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Die Haftanstalt Tegel wird 125 Jahre alt.

© IMAGO/Funke Foto Services

Geschichte hinter Gittern: Die Berliner Haftanstalt Tegel wird 125 Jahre alt

Dieses Gefängnis gehört zu den ältesten im Land. Auch das macht es zu einer Herausforderung.

Aus der Luft wirkt das rund 130 000 Quadratmeter große Areal fast wie ein eigener Stadtteil. Backsteingebäude, Werkhalle, Hochhäuser, auch eine Kirche fehlt nicht. Die Justizvollzugsanstalt Tegel ist das älteste und größte Gefängnis Berlins, gelegen im Bezirk Reinickendorf. Anfang Oktober 1898 kamen die ersten Häftlinge in das „Königliche Strafgefängnis Tegel“.

Im Lauf der vergangenen 125 Jahre entstand eine der größten Justizvollzugsanstalten Deutschlands - die allerdings in die Jahre gekommen ist. „Es gibt Gebäude, die marode sind und einer Grundsanierung bedürfen. Das überlagert die Arbeit an vielen Stellen. Wir beschäftigen uns viel mit Mangel“, sagt Leiter Martin Riemer.

Unsaniert seit der Kaiserzeit

Der große Sanierungsstau stelle ein Problem dar, sagt er. „Wir haben Gebäude aus der Kaiserzeit oder und den 1960er Jahren, die unsaniert sind und konzeptionell nicht geeignet sind“, so der Anstaltsleiter. „Die Männer schlafen in der kaiserzeitlichen Teilanstalt II mit dem Kopf neben dem Klo.“

Baubeginn für das Gefängnis war 1896 – gut zwei Jahre später kamen die ersten Gefangenen. Im Jahr 1913 waren im Durchschnitt 1565 Menschen inhaftiert, Platz war nach Justizangaben für 1628. Zu den Gefangenen gehörte Friedrich Wilhelm Voigt, besser bekannt als Hauptmann von Köpenick. Er verbrachte zwei Jahre dort bis zu seiner Entlassung im August 1908.

Wilhelm Voigt, bekannt geworden als der Hauptmann von Köpenick, beim Abzug aus dem Gefängnis in Tegel.
Wilhelm Voigt, bekannt geworden als der Hauptmann von Köpenick, beim Abzug aus dem Gefängnis in Tegel.

© ullstein bild via Getty Images/ullstein bild Dtl.

Von Tegel zur Hinrichtung

Von Mai bis Dezember 1932 war der spätere Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky in Tegel inhaftiert. Später saßen zahlreiche Gegner des Nationalsozialismus dort aus politischen oder religiösen Gründen ein, zu ihnen gehörte etwa der Theologe Dietrich Bonhoeffer.

Ein Teil der Anstalt wurde als Wehrmachts-Untersuchungsgefängnis genutzt. Viele Inhaftierte kamen aus Tegel direkt in die Hinrichtungsstätten in Plötzensee oder Brandenburg und wurden dort ermordet.

Spektakulärer Ausbruch

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Anstalt aufgelöst und alle Gefangenen wurden entlassen. Im Sommer 1945 übernahm die französische Besatzungsmacht das Gefängnis. Wenig später konnte die deutsche Verwaltung das Gelände wieder als Haftanstalt nutzen. Es folgten zahlreiche Bauarbeiten auf dem Gelände. „Das ist eine Anstalt, in der man die letzten 125 Jahre Justizvollzugsgeschichte am lebenden Objekt betrachten kann“, erklärt Riemer, inzwischen seit zehn Jahren Leiter des Gefängnisses.

In diese Zeit fiel ein spektakulärer Ausbruch im Februar 2018: Einem Gefangenen war es gelungen, in einen Lieferwagen zu klettern und unbemerkt nach draußen zu kommen. Als Konsequenz wird seitdem hochsensible Technik zur Kontrolle eingesetzt: In jedem Fahrzeug, das die Anstalt verlässt, erfasst ein Herzschlagdetektor in Sekundenschnelle menschliche Geräusche.

Neubau in Planung

Zu einer der größten Herausforderung gehörte für Riemer bislang die Corona-Pandemie. „Es war eine interessante Erfahrung, wie so eine eigentlich sehr robuste Institution Gefängnis auf so eine besondere Erfahrung reagiert“, sagt er heute dazu.

Angesichts des Bauzustandes der JVA ist Riemer froh darüber, dass die schwarz-rote Berliner Regierung alte Pläne reaktiviert hat und eine neue Haftanstalt auf dem Gelände bauen will. Das Geld dafür hat der Senat laut Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) für den Doppelhaushalt 2024/2025 eingeplant. Baustart soll 2025 sein, drei Millionen Euro sind laut Badenberg veranschlagt für das Projekt. Frühere Planungen für einen Ersatzneubau waren von Rot-Rot-Grün gestoppt worden, nach einem Regierungswechsel Ende 2016.

Konstruktiver Umgang

Trotz der Probleme, die auch dadurch entstanden sind, kann nach Einschätzung des Gefängnisleiters „sehr individuell“ auf die meisten Gefangenen eingegangen werden. „Wir haben einen konstruktiven, professionell-freundlichen Umgang mit den Gefangenen“, meint Riemer. Insasse H. Peter Maier widerspricht dem nicht. Zugleich berichtet der Redakteur der Gefangenenzeitung „der Lichtblick“, die unzensiert in der JVA erstellt wird, von großem Personalmangel.

„Die Leute warten und warten. Es gibt beispielsweise viel zu wenig Sozialarbeiter“, schildert der gebürtige Schweizer. Ein anderes Problem sei die Verständigung. „Es bräuchte viel mehr Menschen, die andere Sprachen sprechen.“ Häufig müssten Gefangene herangezogen werden, um das Nötigste zu übersetzen für ausländische Häftlinge. Zwar könnten Sozialarbeiter Übersetzer heranziehen, praktisch sei das aber kaum zu verwirklichen.

Arbeit für Überzeugte

Etwa 700 Häftlinge befinden sich laut Anstaltsleiter derzeit in der JVA, die generell rund 900 Plätze habe. Durch Brandschutzmaßnahmen in Gebäudekomplexen sei die Kapazität derzeit geringer und läge bei fast 800 Plätzen. In den Jahren 2007 und 2008 seien 1800 Menschen inhaftiert gewesen.

Der Lehrbauhof. Im Gefängnis ist auch Ausbildung möglich.
Der Lehrbauhof. Im Gefängnis ist auch Ausbildung möglich.

© Tagesspiegel/Lydia Hesse

Knapp 600 Menschen seien im Kern im Gefängnis beschäftigt, hinzu kämen regelmäßig Beschäftigte von freien Trägern oder technisches und medizinisches Personal. Wichtigste Voraussetzung für Riemer, um den Job hinter Gittern leisten zu können: „Man muss von der Sinnhaftigkeit der Arbeit überzeugt sein.“

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