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Ctenophora

Placozoa - Porifera - Cnidaria - Ctenophora - Bilateria

Allgemeines

Beschreibung siehe folgenden Text

Verschiedene Rippenquallen
Author: Epipelagic, Photograph credits: (a, b, e, f—Joseph F. Ryan) (c—R. Griswold, National Oceanic and Atmospheric Administration) (d—Marsh Youngbluth, National Oceanic and Atmospheric Administration). Images a, b, e, f are licensed under Creative Commons (CC-BY); images (c, d) are in the public domain
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Die Ctenophora sehen auf den ersten Blick wie richtige Quallen aus dem Stamm der Cnidaria (Nesseltiere) aus, besitzen aber keine Nesselzellen. Ähnlich wie die Cnidaria haben die Ctenophora eine gelatinöse, durchsichtige Körperstruktur, die aber von acht rippenförmigen Kammreihen durchzogen ist - ein charakteristisches Merkmal, das den Ctenophora auch ihren deutschen Namen "Rippenquallen" gegeben hat. Bei den Quallen aus dem Stamm der Cnidaria sucht man ein solches Merkmal vergebens.

Anatomie

Beschreibung siehe folgenden Text

Schema einer typischen Rippenqualle
Autor: Kaidor, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license.

Die meisten Rippenquallen haben einen kugelförmigen bis birnenförmigen Körper, an dem die acht Rippen und die zwei Tentakel besonders auffallen.

Der Körper besteht aus zwei durchsichtigen Geweben, einer Ectodermis (Außenhaut) und einer Endodermis (Innenhaut), die auch - nach ihrer Funktion - Gastrodermis genannt wird.

Die Ectodermis besteht aus zwei Zellschichten und ist außen von Schleim bedeckt, der als Schutzschicht dient. Spezielle Drüsenzellen in der Ectodermis produzieren diesen Schleim.

Die Endodermis umschließt einen Hohlraum, der als Magen fungiert. In der Endodermis sind viele Drüsenzellen enthalten, welche die starken Verdauungsenzyme produzieren.

Der Raum zwischen diesen beiden Geweben (Ectodermis und Endodermis) wird von der Mesoglea eingenommen. Das ist eine gallertige Schicht aus Kollagen und Bindegewebezellen, die von dünnen Kanälen durchzogen ist, in denen Nährstoffe transportiert werden. Ein Blutkreislaufsystem haben die Ctenophora allerdings nicht.

Die Ectodermis ist von acht längsseitigen Bändern durchzogen, die wie Rippen aussehen - daher auch der Name "Rippenquallen". Auf diesen Bändern befinden sich viele kleine Plättchen, die aus vielen miteinander verschmolzenen Geißeln bestehen - so etwas gibt es nur bei den Ctenophora, sonst nirgends im Tierreich. Diese Plättchen können einen koordinierten Ruderschlag ausführen, der das Tier nach vorne oder nach hinten treibt.

Nervensystem

Ein richtiges Nervensystem haben die Rippenquallen nicht. Im Ectoderm befinden sich aber zahlreiche Nervenzellen, die miteinander vernetzt sind. Ganglien oder andere übergeordnete Zentren fehlen allerdings. Besonders in den Rippen sind die Nervenzellen konzentriert, hier bilden sie ein strickleiterartiges Netz. Auch die Mesoglea enthält Nervenzellen, ebenso die Tentakel. Um die Mundöffnung herum sind ebenfalls Nervenzellen konzentriert und bilden eine Art Ring.

Sinneszellen

An Sinneszellen wurden Chemo-, Thermo- und Mechanorezeptoren bei den Ctenophora gefunden. Ein besonderes Sinnesorgan ist die Statocyste, die sich in einer Grube befindet, die sich am Hinterende des Tiers befindet (wenn man den Mund als Vorderende bezeichnet). In dieser Grube befinden sich vier kreuzförmig angeordnete Reihen von Mechanorezeptoren mit Wimpernbüscheln. In der Mitte dieses Wimpernkreuzes liegt ein Statolith aus Calciumphosphat, der aus 200 bis 300 kleinen Kügelchen besteht. Wenn das Tier "schief" im Wasser liegt, werden die Mechanorezeptoren einseitig gereizt, und die Informationen wandern über die Nervenzellen zu den Rippen mit den Geißelplättchen. Durch koordiniertes Schlagen dieser kleinen "Ruder" wird dann die Lage des Tiers im Wasser wieder korrigiert.

Der gesamte Statolith befindet sich in einer Art Haube, die aus gebogenen Wimpern besteht, die miteinander verklebt sind.

Verdauungssystem

Am vorderen Ende des Körpers befindet sich eine Mundöffnung, die über ein Schlundrohr (Pharynx) in den abgeflachten Magen führt. Der Magen geht dann in den Aboralkanal über, der sich in vier symmetrisch angeordnete kurze Äste aufteilt, von denen in der Zeichnung zwei zu sehen sind (Anal canal). Zwei der Aboralkanäle haben eine kleine Öffnung nach außen, durch die Sekrete abgegeben werden können. Nahrungsreste werden allerdings durch den Mund wieder ausgeschieden, also handelt es sich bei den Aboralkanälen keineswegs um eine Art After. Die Bezeichnung "Anal" ist daher etwas irreführend.

Ernährung

Rippenquallen fangen mit ihren Tentakeln Plankton, kleine Larven, Würmer, Krebse und Nesseltiere, aber auch andere kleine Rippenquallen und sogar kleine Fische.

Die Tentakel der Rippenquallen entspringen einer Tentakelscheide und können bei Bedarf in diese eingezogen werden. Beide Tentakel sind mit sogenannten Tentillen besetzt, das sind kleine fadenartige Filamente, die seitlich aus den Tentakeln herausragen. Diese Tentillen (quasi "kleine Tentakel") sind nicht mit Nesselzellen besetzt (wie bei den Cnidaria), sondern enthalten einen eigenen Zelltyp, die sogenannten Colloblasten (könnte man als "Lassozellen" bezeichnen).

Colloblasten

Beschreibung siehe folgenden Text

Ein Colloblast, lichtmikroskopische Darstellung
Aus: A. Kaestner, Lehrbuch der Speziellen Zoologie, Band I, 2. Teil. (C) Gustav Fischer Verlag Stuttgart.

Hier sehen wir eine ältere lichtmikroskopische Darstellung eines Colloblasten.

Der Kopf dieser Klebezellen ist halbkugelförmig und mit einer Reihe von Sekretkörnchen bedeckt, an denen die Beute kleben bleibt. Charakteristisch für die Klebezellen ist das Spiralfilament, der sich um einen Haltefaden oder Stiel windet. Normalerweise ist diese Spirale zusammengedrückt und dadurch gespannt. Bei Berührung wirkt diese Konstruktion wie eine Sprungfeder, die den Klebekopf auf die Beute schleudert. Die Colloblasten werden wie auch die Tentakel als ganzes regelmäßig regeneriert.

Im Gegensatz zu den Nesselzellen der Cnidaria enthalten die Colloblasten kein Gift. Die lebende Beute bleibt an den Colloblasten kleben. Wenn die Tentakel eingezogen werden, wird die Beute von dem Mund abgestreift und gelangt durch das Schlundrohr in den Magen, wo sie durch starke Enzyme verdaut wird.

Lebensraum

Alle Rippenquallen sind rein marine Tiere, leben in allen Meeren der Erde, wenige Arten auch im Brackwasser. In 400 bis 700 m Tiefe gehören die Rippenquallen zu den häufigsten Arten des Planktons. Einige Arten wie die Seestachelbeere (Pleurobrachia pileus), die Meerwalnuss (Mnemiopsis leidyi) oder die Melonenqualle (Beroe gracilis) kommen in der Nordsee vor und leben dort in oberflächennahen Wasserschichten - sofern kein starker Wellengang herrscht, der die empfindlichen Tiere verletzen könnte. Bei starkem Wellengang lassen sich die Tiere in tiefere Wasserschichten bis 700 m absinken, wo es deutlich ruhiger zugeht. In der Ostsee kommen die Seestachelbeere und die Gattung Bollinopsis vor. Die Gattung Mertensia (Seenuss) lebt in der Arktis und stellt dort einen großen Teil des Zooplanktons.

Etwa 35 Arten der Rippenquallen leben am Meeresboden, durch Abflachung ihres Körpers haben sie sich an diesen Lebensraum angepasst. Diese Arten werden daher in das Taxon Platyctenida eingeordnet.

Ökologische Bedeutung

Rippenquallen gehören zu den Primärkonsumenten, wenn sie Phytoplankton fressen, und zu den Sekundärkonsumenten, wenn sie Zooplankton, Würmer, Krebse oder andere kleine Tiere zu sich nehmen. Größere Arten der Rippenquellen fressen auch durchaus kleinere Rippenquallen-Arten , von Kannibalismus ist in der Literatur allerdings nicht die Rede.

Die Populationsdichte vieler Rippenquallen schwankt im Jahresrhythmus periodisch. Pleurobrachia beispielsweise ist in der südlichen Nordsee im Winter sehr selten, im Frühjahr nimmt die Populationsdichte etwas zu, um dann im Sommer ihren Höhepunkt zu erreichen. Im Herbst kann man kaum noch Individuen dieser Art antreffen.

Als Folge des starken Populationswachstums im Sommer kann man einen Rückgang des Zooplanktons beobachten, von dem sich die Tiere hauptsächlich ernähren.

Rippenquallen als Neozoen

Wenn Rippenquallen durch Schiffe oder auf andere Weise in fremde Gewässer gelangen, wo sie nicht heimisch sind, können sie manchmal großen Schaden anrichten. In der Wikipedia [2] kann man folgendes lesen:

"So wurde die nordatlantische Art Mnemiopsis leidyi mit dem Ballastwasser von Schiffen in den frühen 1980er Jahren in das Schwarze Meer verbracht und breitete sich dort rasant aus. Innerhalb von zehn Jahren kollabierte der Sardellen-Fischfang rund um das Meer, da die neu eingeführte Art sich von demselben Plankton ernährte, welches auch die Fischlarven fressen."

Äußere Systematik

Die systematische Stellung der Ctenophora im System der Tiere ist heute immer noch nicht ganz geklärt.

Älteres System

Bis in die 90er Jahre fasste man die Ctenophora mit den Cnidaria (Nesseltiere) zum Taxon Coelenterata (Hohltiere) zusammen:

Beschreibung siehe folgenden Text

Die ältere systematische Einordnung der Ctenophora
Autor: Ulrich Helmich 07/2023, Lizenz: siehe Seitenende

Die Porifera (Schwämme) und die Placozoa (auf der Zeichnung nicht berücksichtigt, weil man diese einfachen Tiere lange Zeit nicht einordnen konnte) galten lange als die "ersten" oder "primitivsten" Tiere, da sie weder Nervensystem noch Muskeln besitzen und weil sie an Choanoflagellaten-Kolonien erinnern [4].

Die Cnidaria (Nesseltiere wie Polypen und Quallen) und die Ctenophora (Rippenquallen) wurden dann zum Taxon der Coelenterata zusammengefasst.

Die Coelenterata sind nach diesem alten System die Schwestergruppe der Bilateria, der Zweiseitentiere, zu denen auch die Säugetiere und der Mensch gehören.

Begründet wurde diese Zusammenfassung der Cnidaria und Ctenophora durch "die scheinbare radiäre Symmetrie dieser Tiere, die gallertigen Körper und ihre pelagische Lebensweise" [3].

Der Vorteil dieser alten Sichtweise ist der, dass das Nervensystem im Tierreich nur einmal entstanden wäre [4].

Neues System

Die Stellung der Ctenophora ist heute immer noch nicht ganz geklärt, es gibt verschiedene Vorschläge, die hier nicht alle präsentiert werden können.

Viele Wissenschaftler halten heute folgende Einordnung für korrekt:

Beschreibung siehe folgenden Text

Die ältere systematische Einordnung der Ctenophora
Autor: Ulrich Helmich 07/2023, Lizenz: siehe Seitenende

Danach sind die Ctenophora die Schwestergruppe der Bilateria. Beiden gemeinsam sind die Acrosomen der Spermien, daher werden beide Taxa als Acrosomata zusammengefasst.

Beschreibung siehe folgenden Text

Ein menschliches Spermium
Autor: Mariana Ruiz (Lady of Hats), Lizenz: Public domain

Auf dieser Zeichnung eines menschlichen Spermiums kann man das Acrosom gut erkennen, es bedeckt den Kopf des Spermiums und wird daher auch als Kopfkappe bezeichnet. Das Acrosom wird vom Golgi-Apparat des Spermiums gebildet und enthält Enzyme, mit denen die Schutzhülle der weibliche Eizelle aufgelöst werden kann (Acrosomreaktion).

Allerdings wird diese Hypothese durch molekulargenetische Untersuchungen nicht (!) unterstützt [3]. Danach bilden die Ctenophora eher die Schwestergruppe aller Metazoa. Nachdem man das Genom von zwei Rippenquallen-Arten komplett entschlüsselt hatte, bildete sich folgende Hypothese über die Stellung der Ctenophora heraus:

Beschreibung siehe folgenden Text

Die ältere systematische Einordnung der Ctenophora
Autor: Ulrich Helmich 07/2023, Lizenz: siehe Seitenende

"Die Untersuchung dieses Genoms bestätigte, dass sich in der Stammlinie zu den Bilateria ... Gruppen in folgender Reihenfolge abspalteten: Ctenophora - Porifera - ... - Placozoa - Cnidaria." [3]

Allerdings ist auch diese Hypothese noch umstritten. Für die Dreiergruppe Placozoa - Cnidaria - Bilateria wurde der Name "ParaHoxazoa" vorgeschlagen, weil alle drei Gruppen über sogenannte Hox- und ParaHox-Gene verfügen, wichtige Gene für die Zelldifferenzierung und die Steuerung der Gewebe- und Organbildung.

Quellen:

  1. Kaestner, Lehrbuch der Speziellen Zoologie, Band I: Wirbellose Tiere, 1. Teil. Stuttgart 1980.
  2. Wikipedia, Artikel "Rippenquallen".
  3. Burda, Hilken, Zrzavy, Systematische Zoologie, 2. Auflage, Stuttgart 2016.
  4. Podbregar, "Rippenquallen sind die ältesten Tiere", auf scienexx von 19.05.2023.