Mode

Berlin Fashion Week: Dank neuer Protagonist:innen erhält die deutsche Mode ihre (verdiente) Relevanz zurück

Vom 5. bis 8. Februar ist in Berlin Fashion Week. Nicht nur die Daten sind neu, sondern auch die Euphorie, denn lange galt sie als irrelevant. Was verbesserte den Ruf der deutschen Modewoche? Eine Beestandsaufnahme
Berlin Fashion Week Dank neuer Protagonistinnen erhält die deutsche Mode ihre  Relevanz zurück
George Nebieridze

Lange war sie das Sorgenkind: Wie die Berlin Fashion Week dank ihrer Protagonist:innen frischen Wind erlangt

Odeeh

Tim Sonntag & buero bungalow

Die Hitze steht an diesem frühen Juliabend immer noch über der Stadt, als die ersten Models barfuß über die Freitreppe der Alten Nationalgalerie laufen. Zuerst ertönen die kleinen Kuhglocken, die sie an ihren Gürteln tragen, dann setzen das Klavier und die griechische Mezzosopranistin Artemis Bogri ein. Das Publikum sitzt auf den Treppenabsätzen, sein Blick folgt den neuesten Entwürfen von Rianna + Nina. Eklektische Kreationen, handgefertigt im Berliner Atelier von Rianna Kounou und Nina Knaudt. Dass die Zuschauenden einen uneingeschränkten Blick auf das fast zehn Meter hohe bronzene Reiterstandbild Friedrich Wilhelms IV., des Gründers der Museumsinsel, und, je nachdem wo man genau sitzt, auch auf den Fernsehturm und die Kuppel des Berliner Doms haben, könnte auch symbolisch sein. Alle blicken auf Berlin. "Die Location wurde uns angeboten", erzählt Nina Knaudt. "Man fragte uns, ob wir Lust haben, in der Alten Nationalgalerie zu zeigen." Gemeinsam mit der Veranstaltungsgesellschaft Museum & Location hatte der Fashion Council Germany im Juli Shows an beeindruckenden Berliner Orten möglich gemacht.

Odeeh

Andreas Knaub

Auch das Label Odeeh zeigte in einer wunderschönen Location: der James-Simon-Galerie by David Chipperfeld, einem beeindruckenden Bau auf der Museumsinsel. Solche Locations unterstützen die Attraktivität der deutsche Modewoche. Der Reiz und die Coolness der Stadt selbst, die auch im Ausland als kreativer Hotspot gesehen wird, ließen sich bei der Fashion Week bisher nicht vermitteln. Zu kommerziell, zu provinziell, keine Labels, die auch internationale Relevanz haben, so die Meinung vieler. Das war ganz zu Beginn mal anders. 2007 fand die erste Mercedes-Benz Fashion Week in Berlin statt, es zeigten große deutsche Labels wie Boss das mittlerweile mal in New York, mal in Miami oder in Mailand präsentiert. Damals fungierte Mercedes-Benz gemeinsam mit IMG als Sponsor, ähnlich wie einst bei der New York Fashion Week. Damals zeigte man die Kollektionen noch in einem großen Zelt, in New York stand es am Bryant Park, in Berlin am Brandenburger Tor. Zumindest immer dann, wenn die Berliner Stadtverwaltung es zuließ. Vor fünf Jahren war dann plötzlich IMG weg; für 2023 kündigte auch Mercedes-Benz den Rückzug an und unterstützt seitdem nur noch ausgewählte Shows in Berlin. Im Januar war es ein Großformat von Marc Cain, im Juli die Modenschau im Foyer des Gropius Bau mit anschließendem Dinner des Berliner Designers William Fan.

William Fan

George Nebieridze

Man möchte an dieser Stelle keine der vielen gehässigen Headlines zur Berlin Fashion Week zitieren, die schon immer wenig kreativ und noch weniger konstruktiv waren. Ja, es wurde immer viel Champagner getrunken. Ja, die vermeintliche Prominenz in der ersten Reihe war den Brands manchmal womöglich selbst peinlich, aber so kamen wenigstens die Fernsehsender. Über Mode berichtet wurde allerdings meist wenig, es war eher ein Event für die Klatschpresse. Und ja, "geschrieben wird woanders", wie der Handel es immer so schön formulierte und damit das Business der Fashion Buyer in Düsseldorf meinte. Denn die Düsseldorfer Fashion Days, früher CPD genannt, waren der eigentliche Pflichttermin der Einkäufer:innen deutscher Modehäuser. Diese Widrigkeit, den Split über verschiedene moderelevante Orte, gibt es nur in Deutschland, in anderen Ländern hat man sich auf eine alleinige Modehauptstadt geeinigt. Und natürlich waren auch der kurzfristige Auftritt der Frankfurt Fashion Week 2021 und 2022 und der Umzug der Modemesse Premium, die bis dato immer parallel zur Berliner Fashion Week stattfand, nicht gerade förderlich für eine stabile Reputation. Inzwischen gibt es die Premium nicht mehr. All das Hin und Her hat vor allem eins hinterlassen: die Sehnsucht der lokalen Modeszene nach einer beständigen Fashion Week, die dem kreativen Ruf Berlins gerecht wird.

"Ich glaube, dass Berlin ein Kessel voller Kreativität und Freiheit ist, der gerade unter Druck steht" - Scott Lipinski, CEO Fashion Council Germany

Und es tut sich was. Während der Fashion Week im Juli 2023 lag ein Gefühl von Neuanfang in der Luft. Das freut besonders Scott Lipinski. Es gehört zu seinem Job, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie es die Berlin Fashion Week schaffen kann, international relevant zu werden. Er ist CEO des Fashion Council Germany, der 2015 nach dem Vorbild von Modeverbänden in Italien, Frankreich und Großbritannien gegründet wurde. Man fördert die hiesige Designszene und ganz allgemein Mode als Kulturgut. Zu seinen Gründungsmitgliedern gehören unter anderem Marcus Kurz, Geschäftsführer der Agentur Nowadays, die viele Shows während der Berliner Modewoche produziert, und die ehemalige VOGUE-Chefredakteurin Christiane Arp. Um der deutschen Mode global mehr mediale Sichtbarkeit zu geben, lädt der Fashion Council Germany internationale Journalist:innen ein das ist üblich in der Branche, die jeweiligen Organisator:innen der Fashion Weeks in Städten wie Kopenhagen, London, Tiflis machen das ebenfalls in großem Stil. Außerdem kuratiert der Council den Schauenkalender: "Ich glaube, dass Berlin ein Kessel voller Kreativität und Freiheit ist, der gerade unter Druck steht. Die Fashion Week ist dabei ein kleines Ventil, das lange verschlossen war. Der Senat und wir drehen gerade daran", sagt Lipinski. Und so zeigen sich Marken in Berlin, die dem Portfolio guttun und Qualität bringen.

"Berlin war zu Beginn noch nicht bereit für uns. Vor acht Jahren waren wir zu bunt und verrückt" - Nan Li, Designer Namilia

SF1OG

Shauna Summers

In den vergangenen Saisons präsentierten zum ersten Mal Marken wie SF10G, kurz für Seitenflügel 1. Obergeschoss, von Rosa Marga Dahl, die mit besonderer Handwerkskunst beeindruckt. Selten hat jemand mit geschwungenen Nähten so viel Poesie in Tanktops und Lederjacken gelegt. Oder das Label Namilia von Emilia Pfohl und Nan Li, die mit ihren sexpositiven Entwürfen zu den Lieblingen der Berliner Clubszene gehören und im vergangenen Herbst die erste Kollektion für Kylie Jenners neues Modelabel Khy entworfen haben. Sechsmal präsentierten sie während der New York Fashion Week, vor einem Jahr dann zum ersten Mal in Berlin. "Das liegt daran, dass Berlin zu Beginn noch nicht bereit für uns war", sagte Nan Li in einem früheren Gespräch mit uns. "Vor acht Jahren waren wir zu bunt und verrückt für die Stadt. In den letzten Jahren ist Berlin viel offener gegenüber neuen Styles geworden, und jetzt ist es zwischen uns sehr symbiotisch: Berlin inspiriert uns, und wir inspirieren Berlin." Für Februar angekündigt ist außerdem eine Show von Dennis Chuene. Der gebürtige Südafrikaner fertigt in seinem Atelier in Berlin beeindruckende Streetwear wie eine Shirtjacke aus Bandana-Patchworks und einen Blouson aus einem 190 Meter langen Stück Kordel. Sie alle zeigen im Rahmen von Berlin Contemporary. Dahinter verbirgt sich ein Konzeptwettbewerb, den die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe gemeinsam mit dem Fashion Council Germany ausschreibt, seit es die Mercedes-Benz Fashion Week nicht mehr gibt. Die neue Regierung zeigte sich offen und unterstützt, immerhin gehört der Titel "Berlin Fashion Week" dem Senat. "Wir haben 2022 Staatssekretär Michael Biel angerufen und ihm unsere Ideen präsentiert", erzählt Scott Lipinski.

Eine Fachjury aus Leuten der Bereiche Design, Einkauf, Presse und manchmal auch Investition wählt seither 14 deutsche Modelabels sowie zusätzlich vier ukrainische Brands aus, die jeweils 25 000 Euro für eine Modenschau im Rahmen der Berlin Fashion Week erhalten. Entscheidungsgrundlage seien, so heißt es, die vorherigen Kollektionen und die Medienwirksamkeit der Labels. So werden nicht nur Nachwuchstalente gefördert, sondern auch etablierte Labels. Allein 2023 wurde die Berlin Fashion Week aus dem Senat mit zwei Millionen Euro gefördert. Ein Glück für alle Beteiligten, dass die Verantwortlichen im Senat auch nach den Berliner Neuwahlen vorerst größtenteils gleich geblieben sind.

Namila

Haydon Perrior / Courtesy of Berlin Fashion Week

Dass die Förderung viele Labels zurück in den Schauenkalender gebracht hat, ist kein Geheimnis, dazu gehört auch die Designerin Malaika Raiss. Sie hatte ihre Kollektionen für ihr Label Malaikaraiss in der Vergangenheit häufiger mal in Kopenhagen statt in Berlin präsentiert. Im vergangenen Januar zeigte sie dann erstmals wieder während der Berlin Fashion Week. Die Entwürfe ihrer neu gelaunchten Bridal-Kollektion kamen überall gut an, wenige Wochen später trug Model Gigi Hadid einen Blazer aus der Kollektion. Im Juli fehlte die Designerin allerdings wieder im Schauenkalender, aufgrund mangelnder finanzieller Unterstützung, im Februar ist sie wieder dabei. "Wir hätten auch eine Show im Juli gemacht, wenn wir die Förderung bekommen hätten", erklärt Malaika Raiss. Ohne ist es für uns leider nicht machbar. Fashionshows sind in Relation zu anderen Marketingausgaben sehr teuer. Da muss ich wirtschaftlich denken." Für die Zukunft schließt sie Kopenhagen nicht aus, der Markt ist für ihre Brand wichtig. Für die internationale Medienpräsenz aber, vor allem für ein wertvolles Feature auf der Plattform VOGUE Runway, müsse sie jedoch in Berlin zeigen, sagt sie, denn hier unterstützt die lokale VOGUE-Redaktion mit Kollektionsbesprechungen. "Das ist die Plattform, auf die am Ende alle internationalen Buyer gucken."

Statt den Stil anderer Fashion Weeks zu kopieren, wolle man aber lieber den einzigartigen Charakter der Veranstaltung und der Stadt stärken

Mehr Sicherheit bei der Förderung wünschen sich viele Designer:innen. Bobby Kolade etwa gewann 2013 einen Preis, wurde kurzzeitig gefördert. Nachdem der kommerzielle Erfolg ausblieb, musste er drei Jahre später sein Label aufgeben. Mittlerweile führt er ein Upcyclinglabel in Uganda. Hätte er es geschafft, mit einem besseren Mentoring und einer nachhaltigeren Unterstützung? Andere Fashion Weeks konzipieren ihre Förderungen langfristig. In Großbritannien etwa hat der British Fashion Council die Initiative Newgen ins Leben gerufen, die junge Labels mit finanziellen Mitteln, Fashionshows und Mentoring unterstützt. Das Preisgeld wird über zwei Jahre aufgeteilt und pro Saison ausgegeben. Zu den ehemaligen Gewinner:innen gehören Simone Rocha, JW Anderson und Marques’Almeida. Heute etablierte Namen, die Besucher:innen zur London Fashion Week ziehen. Die Idee ist dem Fashion Council Germany natürlich bekannt, doch Scott Lipinski weist darauf hin, dass in Großbritannien viel Geld aus privaten Unternehmen in die Förderung fließt. "Staatsgelder kann man so nicht vergeben", sagt er.

Inzwischen ist der deutsche Council auch im Austausch mit den Pendants der anderen Länder, im Rahmen der European Fashion Alliance arbeitet man eng zusammen und lernt voneinander. "Warum sollen wir Fehler machen, die andere schon gemacht haben?", so Lipinski. Ansonsten mag er den Vergleich verschiedener Modewochen nicht. "Wir waren in der Vergangenheit immer zu sehr damit beschäftigt, zu vergleichen", findet er. "Nicht vergleichen", das wiederholt er in unserem Gespräch öfter. Man sei nicht Paris oder Mailand. Wäre man vielleicht gern wie das international viel besuchte Kopenhagen oder hätte gern eine Art Hype, wie ihn Tiflis vor ein paar Jahren erlebte? Mit Sicherheit. Statt den Stil anderer Fashion Weeks zu kopieren, wolle man aber lieber den einzigartigen Charakter der Veranstaltung und der Stadt stärken, heißt es. Wie das genau aussieht, ist gerade in der Findungsphase.

"Der Berlin Fashion Week tut es gerade richtig gut, dass sie nicht versucht, chic und glamourös zu sein, sondern authentisch zu bleiben" - William Fan

William Fan

Ludovic Pieterson

"Der Berlin Fashion Week tut es gerade richtig gut, dass sie nicht versucht, chic und glamourös zu sein, sondern authentisch zu bleiben", findet der Designer William Fan. Er zeigt seine Kollektionen seit 2015 während der Berliner Modewoche, seine Shows waren lange Zeit, das muss man so sagen, die einzigen Highlights im Kalender. Er lud zur Kollektionspräsentation in den Fernsehturm oder in ein chinesisches Restaurant. "Ich bin mit der Fashion Week erwachsen geworden und hatte das Glück, dass ich seit der ersten Stunde Kund:innen hatte und immer Umsatz gemacht habe. Ich wusste, wenn ich das skalieren kann, dann hat mein Label eine Chance." Er gehört mittlerweile zu den erfolgreichsten Designer:innen der Modewoche. Er sagt ganz klar: "Ohne die Berlin Fashion Week wäre ich nicht da, wo ich bin." William Fan hat einen eigenen Store in Berlin und gewinnt von Jahr zu Jahr viele Neukund:innen. In der ARD Mediathek kann man seit dem vergangenen Sommer eine Dokumentation über ihn sehen, die zur letzten Fashion Week Premiere feierte. "Die Berlin Fashion Week ist am Ende immer eine Plattform. Ob man sie irgendwann verlässt, ist eine individuelle Frage", sagt Fan.

Für Rianna Kounou und Nina Knaudt ist Berlin ebenfalls nach wie vor die richtige Entscheidung. "Wir verkaufen zwar in die ganze Welt, aber unsere Heimat ist Berlin. Hier fühlen wir uns wertgeschätzt", erzählt Nina Knaudt. "Diese Euphorie, die während unserer Show im Juli spürbar war, bekommt man nur im eigenen Heimatmarkt." Nach der Show im vergangenen Juli waren gar 80 Prozent der Einzelstücke schnell verkauft.

Dass die Medienpräsenz deutlich besser ist und internationale Redakteur:innen gern zu Besuch kommen, macht sich auch für sehr junge Designer:innen längst bemerkbar. Im vergangenen Juli präsentierte der Kölner Mario Keine die erste Kollektion seiner Unisex-Brand. Der Content Creator Hanan Besovic, der den Instagram-Account @ideservecouture betreibt, kam und postete; einer seiner Follower bestellte daraufhin zwei Komplettlooks bei Keine. Im Februar wird er eine Show im Rahmen von Berlin Contemporary präsentieren.

Schon jetzt spürt der Fashion Council Germany nach eigenen Angaben einen erweiterten Zuspruch bei internationalen Gästen, die im Februar nach Berlin kommen möchten. Ist das einmal gefestigt, wird man sich voraussichtlich zum Sommer stärker auf die Einkäufer:innen fokussieren können. Das ist ungeheuer wichtig für die Marken.

Um eine Modewoche langfristig erfolgreich zu halten, braucht es die freiwillige (und nicht gesponserte) Anwesenheit von Streetstyle-Stars sowie von Prominenten, die wiederum die Streetstyle-Fotograf:innen anziehen und so die Sichtbarkeit in den sozialen Netzwerken erhöhen; es braucht die Presse und eben die Präsenz von lokalen wie globalen Buyern. Wenn all das ineinandergreift, kann die Berlin Fashion Week das werden, was die Stadt selbst auch ist: eine Destination für kreative Menschen, die Spaß an Mode und Individualität haben.

Dieser Artikel ist Teil unserer neuen VOGUE für Januar/Februar 2024 – diese ist ab sofort erhältlich, zum Beispiel über Amazon!

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