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Zweiter Weltkrieg Krieg im Pazifik

Der größte konventionelle Luftangriff aller Zeiten

Im März 1945 veränderten die USA ihre Luftstrategie gegen Japan. Mit Flächenbombardements sollte die Invasion vorbereitet werden. Der große Angriff auf Tokio entfachte eine Katastrophe.
Freier Autor Geschichte

Anfang März 1945 erreichte das Japanische Kaiserreich auf dem asiatischen Festland seine größte Ausdehnung. Nachdem die Armeen des Tenno seit April 1944 weite Teile Chinas erobert hatten, gingen sie 1945 daran, auch Indochina unter ihre direkte Kontrolle zu bringen. Am 9. März 1945 wurden die Reste der französischen Kolonialverwaltung in Vietnam beseitigt.

Das war, verglichen mit der zeitgleichen Lage des Dritten Reiches, eine eindrucksvolle Machtdemonstration. Was die Nachricht aus Hanoi für die Regierung in Tokio aber wirklich bedeutete, machte ein apokalyptisches Ereignis des Tages deutlich. Am Abend wurde die japanische Hauptstadt zum Ziel des größten konventionellen Luftangriffs aller Zeiten. Innerhalb von zwei Stunden fanden mindestens 100.000 Menschen den Tod, mehr als eine Million Bewohner wurden obdachlos.

Der 9. März machte die Asymmetrie des pazifischen Kriegsschauplatzes auf fürchterliche Weise deutlich. Während in China und Indonesien noch riesige Gebiete unter der Kontrolle japanischer Truppen standen, konnten die amerikanische Marine und Luftwaffe nahezu ungehindert gegen die Hauptinseln des Kaiserreichs vordringen.

Japans Kriegsflotte war weitgehend vernichtet, die Handelsflotte war derart ruiniert, dass sie weder die Nahrungsversorgung sicherstellen noch die Industrie mit Rohstoffen versorgen konnte. Und die kaiserliche Luftwaffe verfügte zwar noch über Tausende Maschinen, die aber technisch veraltet oder verschlissen waren und für die kaum noch ausgebildete Piloten zur Verfügung standen.

US-Luftwaffengeneral Curtis LeMay (1906–1990) führte die strategische Bomberoffensive gegen Japan und organisierte 1948/49 die Luftbrücke nach Berlin
US-Luftwaffengeneral Curtis LeMay (1906–1990) führte die strategische Bomberoffensive gegen Japan und organisierte 1948/49 die Luftbrücke nach Berlin
Quelle: picture alliance / CPA Media Co.

Gleichwohl wirkte der Angriff des XXI Bomber Command vom 9. März wie ein Schock. Denn trotz der Serie von Niederlagen, die vor allem die japanische Flotte seit 1944 hatte hinnehmen müssen, schien sich der Krieg aus der Perspektive Tokios und der anderen Metropolen in weiter Ferne abzuspielen. Die Kämpfe hatten sich bislang zumeist auf winzigen Inseln im Pazifik ereignet. Die Verluste waren überschaubar gewesen und wurden durch die Siegesmeldungen aus China leicht überblendet. Von monströsen Zeichen des Untergangs, wie sie das Dritte Reich in Stalingrad, Nordafrika und Russland 1944 erlebt hatte, waren die Japaner bislang weitgehend verschont geblieben.

Dies wollte Curtis LeMay, der neue Kommandeur des Bomber Command, ändern. Zum einen hatten sich die euphemistisch als Präzisionsangriffe beschriebenen Bombardements aus großer Höhe, mit denen die japanischen Zentren bislang angegriffen worden waren, als stumpfe Waffen erwiesen. Die Moral der Zivilbevölkerung blieb intakt und die Kriegsproduktion war nach deutschem Beispiel in gut getarnte Gebiete ausgelagert worden.

Da die amerikanische Führung zudem die geplante Landung in Japan vorbereiten wollte, entwickelte LeMay eine neue Strategie, wobei er sich die britischen „Tausend-Bomber-Angriffe“ gegen Deutschland seit 1942 zum Vorbild nahm. Aus geringer Höhe sollten große Mengen an Brandbomben die aus Holz und Papier bestehenden japanischen Städte buchstäblich auslöschen.

Beim Kampf um Manila im Februar und März 1945 töteten die japanischen Verteidiger rund 100.000 Zivilisten
Beim Kampf um Manila im Februar und März 1945 töteten die japanischen Verteidiger rund 100.000 Zivilisten
Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PR

Etwaige moralische Hemmungen wurden von den Bildern aus Manila verdrängt. Beim Kampf um die philippinische Hauptstadt hatten die Truppen des Tenno im Februar und März 100.000 Zivilisten massakriert.

Neben Phosphorbomben sollten Brandbeschleuniger zum Einsatz kommen, die mit eingedicktem Benzin – Napalm – gefüllt waren. Und mit der B-29 Superfortress stand mittlerweile ein viermotoriger Bomber in großer Zahl zur Verfügung, der die Luftoffensive von den Marianen aus vortragen konnte. Mit der Eroberung der Insel Iwojima war auch ein Stützpunkt gewonnen worden, auf dem beschädigte Flugzeuge auf dem Rückflug notlanden konnten.

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Die B-29 hatte eine Reichweite von 5200 Kilometern und konnte dank einer Druckkabine eine Bombenlast von bis zu fünf Tonnen in einer Höhe von bis zu zehn Kilometern transportieren. Diese Gipfelhöhe und die Geschwindigkeit von 575 Stundenkilometern machte die Bomber für die veralteten japanischen Jäger fast unangreifbar. Da die Angriffe über dem Zielgebiet aber aus einer Höhe von 1500 bis 2500 Metern erfolgen sollten, wurden sie in die Nacht verlegt. Die japanische Verteidigung hatte kaum Erfahrungen mit Nachtangriffen.

Für den Angriff in der Nacht vom 9. auf den 10. März stellte LeMay 346 Bomber bereit. Sie warfen 1665 Tonnen Bomben über Tokio ab und verwandelten die Stadt in ein Flammenmeer. Das Wasser in den Kanälen begann zu kochen. 40 Quadratkilometer wurden vernichtet, 267.000 Gebäude zerstört, 90.000 Tote wurden gezählt und doppelt so viele Verletzte, Schätzungen gehen aber davon aus, dass weit über 100.000 Menschen ihr Leben verloren.

LeMay perfektionierte seine Strategie

Die amerikanischen Verluste waren dagegen gering. Nur 14 Maschinen gingen verloren, die meisten wegen der ungewohnten Turbulenzen, die das Großfeuer (das noch in mehr als 200 Kilometern Entfernung zu erkennen war) in der Höhe auslöste. Bald perfektionierte LeMay seine Strategie und trug sie gegen Osaka, Kobe und 60 andere große Städte vor. Sie wurden bis zu zwei Dritteln zerstört. Ihre Holzbauweise und der Mangel an Luftschutzeinrichtungen führten zu entsetzlichen Verlusten. In den wenigen Monaten vor den Abwürfen der Atombomben verloren wahrscheinlich mehr Menschen im konventionellen Bombenkrieg ihr Leben als in Deutschland seit 1942.

LeMay, der 1948/49 zu den Organisatoren der Berliner Luftbrücke gehörte, und seine Vorgesetzten verteidigten ihre Strategie damit, dass sie Japan zur Kapitulation getrieben und damit das Leben amerikanischer Soldaten geschont hätte. Das ist allerdings eine offene Frage. Denn es war nicht die Zerstörung seiner Städte, die den Tenno schließlich aufgeben ließ, sondern der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki.

Dass sein tödlicher Pragmatismus nur eine Seite der Medaille darstellte, zeigt eine vielzitierte Einlassung von LeMay in der heftigen Debatte, die sich nach 1945 um den Bombenkrieg entzündete: Hätte Amerika den Krieg verloren, gab der General zu Protokoll, wäre er sicherlich als Kriegsverbrecher angeklagt worden. Einer seiner ehemaligen Mitarbeiter, Robert McNamara, der als Verteidigungsminister bis 1968 den Vietnamkrieg führte, wurde 2003 in dem Dokumentarfilm „The Fog of War“ nach seiner Einschätzung gefragt. Er konnte LeMay nur beipflichten.

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