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Kultur Ein Mann, ein Wort

„-gate“ ist der „Anglizismus des Jahres“

Feuilletonredakteur
Diese Wortwolke zeigt die Wörter, über die bei der Wahl des "Anglizismus des Jahres 2013" diskutiert wurde Diese Wortwolke zeigt die Wörter, über die bei der Wahl des "Anglizismus des Jahres 2013" diskutiert wurde
Diese Wortwolke zeigt die Wörter, über die bei der Wahl des "Anglizismus des Jahres 2013" diskutiert wurde
Quelle: Anglizismus des Jahres
Merkelgate, Dirndlgate – sogar Mopsgate: 2013 gab es besonders viele solcher Zusammensetzungen. Deshalb haben Wissenschaftler die Nachsilbe zum englischen Fremdwort des Jahres gewählt.

Dass sich eine Jury aus Sprachwissenschaftlern dafür entschieden hat, die Nachsilbe -gate zum „Anglizismus des Jahres 2013“ zu küren, mag zunächst verblüffen. Denn -gate ist in der deutschen Wortbildung schon produktiv, seitdem 1987 die Barschel-Affäre als Waterkantgate etikettiert wurde. Das war das erste Mal, dass ein deutsches Wort nach diesem Muster gebildet wurde. Sprachliches Vorbild war natürlich der Watergate-Skandal, der 1972 begann und im Jahre 1974 zum Rücktritt des damaligen amerikanischen Präsidenten Richard Nixon geführt hatte.

Im Englischen machte sich der Wortbestandteil -gate zur Benennung von Skandalen aller Art schnell selbstständig. 1973 hatte zunächst die Satirezeitschrift „National Lampoon“ eine Affäre in Russland als Volgagate bezeichnet. Besonders populär wurde ab 1986 Irangate, als Bezeichnung für die Affäre um Gelder aus Waffenverkäufen an den Iran, die unter Präsident Ronald Reagan an die rechtsgerichteten Contra-Rebellen in Nicaragua weitergeleitet wurden.

Irangate wurde seinerzeit auch in deutschen Medien oft zitiert. Möglicherweise hat erst diese Schöpfung Deutsche angeregt, die Nachsilbe auch hierzulande produktiv zu nutzen. Dafür spricht, dass etwa die Flick-Affäre Anfang der Achtzigerjahre, ein ähnlich großer politischer Skandal wie die Barschel-Affäre, niemals als Flickgate bezeichnet wurde, obwohl Watergate ja damals schon allgemein bekannt war.

Explosion im Jahre 2013

Als Urheber des Wortes Waterkantgate galt bei den Zeitgenossen das Magazin „Der Spiegel“, davon geht unter anderem ein Artikel in den „Nürnberger Nachrichten“ aus, der im Dezember 1987 über die Wahl der Wörter des Jahres berichtete. Dort belegte Waterkantgate den dritten Platz hinter Aids und Kondom. Der Mannheimer Morgen“ hatte im gleichen Jahr allerdings angenommen, dass „spitze Zungen“ in Kiel das Wort geprägt hätten. Allerdings könnte sich dahinter eine übliche journalistische Verschleierungsstrategie verbergen: Autoren, die etwas erfinden, das dem Objektivitätsgebot zuwiderläuft, legen ihre eigenen Worterfindungen gerne anonymen Kreisen oder „Beobachtern“ in den Mund.

Obwohl sie schon so lange im Deutschen existiert, ist die Wahl zum der Nachsilbe -gate zum „Anglizismus des Jahres 2013“ nachvollziehbar. „Sie hat sich im vergangenen Jahr noch einmal besonders ausgebreitet“, begründete der Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch die Jury-Entscheidung.

Denn nach dem Waterkantgate war die Karriere der neuen Nachsilbe zunächst schleppend vorangegangen: 1990 gab es ein Nersinggate, 1997 ein Börsengate 1997, 2000 ein Bimbesgate – die CDU-Spendenaffäre, in deren Mittelpunkt Helmut Kohl stand. Erst in den vergangenen Jahren ist die Zahl der Wortneubildungen mit -gate geradezu explodiert. Schlag auf Schlag folgten Dirndlgate, Rüttgersgate, Ullagate (2009), Konstantingate, Schrippengate, Watsch’ngate (2010), Hymnengate, Krawattengate, Scheißegate (2011) und Hosengate, Jogigate, Kraftgate, Krippengate, Nasengate (2012).

Platz zwei und drei für Fake und Whistleblower

2013 gab es nach der Zählung der Anglizismus-Juroren mehr als ein Dutzend -gates. Dazu zählte etwa das Handygate um das abgehörte Mobiltelefon der Bundeskanzlerin Angela Merkel und das (zweite) Dirndlgate um den Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, der eine Journalistin unziemlich angebaggert haben soll (deshalb auch Brüderlegate). Zu einem Mopsgate wurde die Geschichte um einen steinernen Hund, der spurlos von einem Denkmal für Loriot in Stuttgart verschwand.

Mein Lieblingsgate war Täschligate, die Aufregung um eine Schweizer Verkäuferin, die sich geweigert hatte, der amerikanischen Fernsehmoderatorin Oprah Winfrey eine teure Tasche aus der Vitrine zu holen – angeblich, weil sie schwarz ist.

Auch Franzosen nutzen -gate

-gate ist als Nachsilbe übrigens nicht nur ins Deutsche eingegangen. Sogar die Franzosen, die besonders empfindlich sind, wenn es um Anglizismen geht, haben es übernommen. Bekannt wurde beispielsweise Angolagate als Spitzname für eine Waffenverkaufsaffäre, in der Präsident François Mitterand, sein Berater Jacques Attali und andere wichtige Politiker eine undurchsichtige Rolle gespielt haben. In der französischsprachigen Schweiz gab es auch ein Pornogate, als herauskam, dass öffentliche Angestellte auf ihren Dienstcomputern Pornos angeschaut hatten.

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Den zweiten Platz bei Wahl zum „Anglizismus des Jahres“ belegte Fake im Sinne von „Fälschung, gefälscht“, das als Vorsilbe im Deutschen mit Wörtern wie Fake-Account („Internetanschluss unter falschen Namen“) ebenfalls produktiv geworden ist. Auf den dritten Platz kam – dank Edward Snowden – Whistleblower im Sinne von „ein Enthüller, der mit geheimen Material aus dem Inneren der Firma/des Apparats, für den er gearbeitet hat, an die Öffentlichkeit geht“).

Whistleblower war auch der Publikumsliebling, es belegte bei der parallel zur Expertenwahl im Internet stattfindenden Abstimmung den ersten Platz. Selfie für selbst gemachte Porträtfotos und Hashtag, für ein Rautezeichen zum Verschlagworten von Begriffen bei Twitter, kamen auf Rang vier und fünf.

Häufig neue Bedeutungen im Deutschen

Silben wie -gate oder Fake stünden auch für eine neue Phase in der Entlehnungsgeschichte zwischen dem Deutschen und dem Englischen, sagte Stefanowitsch: „Es werden nicht mehr nur einzelne Wörter, sondern Teile des Sprachsystems entlehnt, produktiv weiterverwendet und mit deutschen Begriffen kombiniert.“

Wer das für ein Niedergangssymptom hält, der sei daran erinnert, dass ein Wortbildungselement wie -ieren, mit dem im deutschen zahlreiche Verben gebildet werden (fotografieren, agitieren usw.) im Hochmittelalter aus dem Französischen entlehnt wurde. Solche Vorgänge sind also nicht neu und sie müssen keineswegs den Untergang der Deutschen Sprache einleiten.

Häufig erhielten übernommene Wörter neue Bedeutungen, erklärt die Anglizismus-Jury (wie der Sieger von 2011, Shitstorm, der im Englischen unangenehme Situationen allgemein bezeichnet, im Deutschen aber einen Sturm der Entrüstung in den sozialen Medien), und sie werden in die Grammatik der Sprache eingefügt (wie der Sieger von 2010, leaken, dessen Partizip ganz deutsch geleakt lautet).

Eher ein Wort für triviale Affärchen

-gate und andere Vor- und Nachsilben (wie Fake- oder das ebenfalls nominierte Cyber-) gingen sogar noch einen Schritt weiter, betonen die Anglizismus-Juroren: Sie integrieren sich vollständig in das Sprachsystem und stehen dann zur Bildung beliebiger neuer Wörter zur Verfügung. Dabei tendiere -gate im Deutschen (stärker als im Englischen) dazu, eher triviale Skandälchen zu benennen, könne aber – siehe Handygate oder Dirndlgate – nach wie vor auch schwerwiegenden Affären einen Namen geben. Darüber wie „schwerwiegend“ Brüderles Dirndlgate war, muss hier nicht diskutiert werden.

Der „Anglizismus des Jahres“ wird seit 2010 gewählt. Die Jury verfolgt damit auch eine sprachpolitische Agenda: Die eher im politisch linken Spektrum zu verortenden Wissenschaftler möchten damit auf die positiven Einflüsse von Anglizismen hinweisen.

Die Aktion ist also eine Konterattacke gegen Sprachkonservative, die eine „Überfremdung“ des Deutschen vor allem durch englische Lehnwörter (so der wissenschaftlich neutrale Ausdruck für Fremdwörter) beklagen. Der Initiator der Aktion ist Stefanowitsch, der englische Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin lehrt.

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