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Kultur Serienmörder

Wie Charles Manson zum Popstar werden konnte

Vor 40 Jahren ließ er die hochschwangere Sharon Tate bestialisch ermorden: Seitdem sitzt Charles Manson im Gefängnis. Dennoch stieg er in verhältnismäßig kurzer Zeit zu einer Pop-Ikone auf und verdient angeblich immer noch 250.000 Dollar im Jahr. Wie konnte ein Psychopath eine derartige Karriere hinlegen?

Als der Regisseur Roman Polanski am 9. August 1969 in London den Anruf des Managers seiner Frau erhielt, glaubte er an einen schlechten Scherz und legte auf. Erst beim zweiten Versuch konnte William Tennant ihm die Nachricht übermitteln: Sharon Tate, 26, Ehefrau Polanskis und im neunten Monat schwanger, war auf bestialische Weise in ihrem Haus in Los Angeles ermordet worden.

Mit sieben Schüssen und 104 Messerstichen wurden an diesem Abend mit ihr, dem ungeborenen Kind und vier Freunden sechs Menschenleben ausgelöscht. Sharon Tate war die Letzte, die starb. Sie flehte, bettelte nach Aussagen ihrer Mörder, sie wenigstens bis zur Geburt ihres Babys leben zu lassen.

Stattdessen schrieben sie mit Tates Blut das Wort "Pig" an die Tür. Zwei Tage später wurde das Unternehmerpaar Leno und Rosemary LaBianca in seinem Haus ermordet aufgefunden. "Death to pigs" und "Healter Skelter" (es sollte nach dem Beatles-Stück "Helter Skelter" heißen) war mit Blut an die Wände geschmiert worden, in Lenos Bauch war das Wort "War" geritzt.

Hätte seine wilde Haarpracht nicht durch die Ritzen eines Kastens unter einem Waschbecken hervorgelugt, Charles Manson wäre vielleicht niemals verhaftet worden. Am 12. Oktober 1969 wurden er und seine Anhänger nach einer Razzia auf ihrer Ranch im kalifornischen Death Valley offiziell wegen Autodiebstahls, aber schon unter Mordverdacht, festgesetzt.

Als dann feststand, dass der Anführer einer Hippie-Kommune mit Kontakten zu zwei amerikanischen Entertainment-Größen mindestens sieben Morde zu verantworten hatte, versetzte die Nachricht die USA in einen Schockzustand: Da war die Freundschaft mit Beach-Boys-Drummer Dennis Wilson, für die der musikalische Autodidakt einen Songtext schrieb. Und da war die Bekanntschaft mit Doris-Day-Sohn und Musikproduzent Terry Melcher, der für kurze Zeit Mansons Hoffnung auf einen eigenen Plattenvertrag nährte.

Unzählige Bücher, Filme und Studien sind über den Fall Manson erschienen, er selbst wurde durch Zitate in Rocksongs und Coverversionen seiner Lieder zu einem bizarren Phänomen der Popkultur. Kein Häftling in den USA hat mehr Briefe von Fans erhalten, die sich zum Teil noch immer für ihn opfern wollen. Bei supernaught.com wird eine Haarsträhne Mansons für knapp 3000 Dollar angeboten, sein Einkommen soll 250.000 Dollar jährlich betragen.

Nicht ganz unbeteiligt an diesem nachhaltigen Ruhm war Charles Mansons größter Gegner: Vincent Bugliosi, Staatsanwalt im Prozess, der mit "Helter Skelter", das sieben Millionen Mal verkauft wurde, den größten True-crime-Bestseller aller Zeiten geschrieben hat. Seine Aufgabe während des Prozesses war es vor allem, Mansons persönliche Schuld an den Verbrechen nachzuweisen. Denn der hatte zumindest in den Tate-LaBianca-Fällen nachweislich keinen Mord eigenhändig begangen, er ließ töten.

Bis heute kämpft Bugliosi gegen die Behauptung Mansons und seiner Gruppe, dass das Motiv für die anschließenden Morde allein die Entlastung von Manson-Jünger Bobby Beausoleil im Mordfall Gary Hinman gewesen sei. Beausoleil hatte Hinman ermordet, weil er sich nach einem Streit um eine Drogenlieferung geweigert hatte, Manson eine hohe Summe Geld zu übergeben (die er wahrscheinlich gar nicht hatte).

Manson verletzte Hinman mit einem Schwert am Ohr, Beausoleil erledigte den Rest. Mit Hinmans Blut schrieb er schließlich "Political Piggy" und malte das Symbol der Black Panthers, einer schwarzen radikalen Bürgerrechtsbewegung, an die Wand. Der Versuch, den Verdacht auf die Panthers zu lenken, misslang, Beausoleil wurde verhaftet.

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Die Tate-LaBianca-Morde, die nach dem gleichen Muster vollzogen wurden, seien - so behauptet Manson - nur erfolgt, um Beausoleils Freilassung zu erzielen. Bugliosi konnte das Gegenteil erst beweisen, als ein Manson-Jünger nach dem Prozess seine Falschaussage einräumte.

Für Bugliosi steht das tiefere Motiv des "Helter Skelter" fest, Mansons große Vision vom Rassenkrieg der Schwarzen gegen die Weißen, den er für 1969 voraussagte. Da der sich aber nicht einstellen wollte, glaubte Manson, ein wenig nachhelfen zu müssen. Die Morde wollte er den Panthers anhängen, um den Krieg endlich zu beginnen.

"Helter Skelter" war ein Liedtitel der "vier Engel der Apokalypse", wie Manson die "Beatles" nannte, auf ihrem Weißen Album, bei dem es eigentlich um eine große Kirmesrutsche ging. Manson glaubte, in dem Lied geheime Botschaften für ihn entdecken zu können.

Psychopath mit manipulativem Charakter

Bugliosi hielt Manson für einen Psychopathen mit einem extrem manipulativen Charakter und nährte so, unabsichtlich, das stereotype Bild vom hyperbegabten Serienkiller. Manson machte sich in seinen von Nuel Emmons aufgezeichneten Erinnerungen ("Manson in his own words") darüber lustig, wie er in der Buchverfilmung von "Helter Skelter" mit einem einzigen bösen Blick eine Uhr zum Stillstand bringt. Das sei ihm trotz zahlreicher Versuche in der Realität leider nie gelungen.

Die Tate-LaBianca-Morde versetzten Los Angeles vor der Manson-Verhaftung über Monate in Angst und Schrecken. Leibwächter wurden Mangelware, Frank Sinatra tauchte angeblich unter, seine Ex-Frau und Schauspielerin Mia Farrow blieb der Tate-Beerdigung aus Angst um ihr Leben fern.

In Ermangelung von Tätern und Motiven wurden die Gründe für die Morde im Lebensstil der Opfer gesucht. Waren es ein paar "Rednecks", Unterschichtler, gewesen, die eine blutige Revolution gegen die US-Oberschicht begonnen hatten? Hatten Satanisten sich an Polanski für seinen Film "Rosemary's Baby" mit Farrow in der Hauptrolle rächen wollen?

Ging es um Drogen, angebliche Sadomaso-Sexorgien im Haus der "schönsten Frau der Welt"? Polanski beschwerte sich über die Verunglimpfung seiner toten Frau, musste selbst zum Lügendetektortest, machte sich allein auf Mördersuche und hielt einem Bekannten ein Messer an den Hals, weil er ihn für verdächtig hielt.

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Dass Serienkillerfälle genutzt werden können, um die alte Ordnung und klassische Werte zu beschwören, hat der Historiker Philip Jenkins in "Using Murder" aufgezeigt. So auch hier: Der Freak-Lifestyle hat seine Kinder gefressen, so klang es in Zeitungsberichten dieser Zeit an ("The New Violence - An Age of freaky crime?" Myron Roberts, LA Magazine 1969).

Mord und Totschlag

Für Normalbürger stand fest: Eine Kommune, in der scheinbar jeder mit jedem schlief, LSD in rauen Mengen konsumiert wurde, deren Mitglieder dem Christentum entsagten und das klassische Familienmodell ablehnten, das musste in Mord und Totschlag enden. Dass die Beatles Manson inspiriert haben sollen, passte in das Bild. Ebenso wie sich der Flirt der Künstler mit den Subkulturen zu rächen schien. Hatten Polanski und Tate in "Tanz der Vampire" als Darsteller von Alfred und Sarah nicht selbst am Ende des Films der Verbreitung des Bösen in der Welt geholfen?

So einfach machten es sich nicht alle. Vor allem Soziologen der 70er-Jahre nahmen den Fall zum Anlass, sich mit den Folgen der Drogensucht in den Städten, den Waffen und jugendlichen Subkulturen auseinanderzusetzen. Und natürlich ging es um die gesellschaftlichen Umstände, die solche Verbrechen ermöglichten.

Charles Mansons Leben schien wie dafür geschaffen. Als Sohn einer drogenabhängigen Prostituierten, die ihrerseits einem fundamentalistischen christlichen Haushalt entflohen war, hatte er das klassische Familienideal nie erfahren, war misshandelt, vernachlässigt worden. "Er war das Produkt von allem, was in der amerikanischen Gesellschaft falsch lief", schreibt Psychologe Joel Norris in seiner Studie "Serial Killers".

Zuvor 20 von 32 Jahren eingesperrt

Tatsächlich war Manson erst 1967 aus dem Knast gekommen. Mit 32 Jahren hatte er damals schon 20 Jahre in Gefängnissen oder Erziehungsheimen verbracht. Der Fall Manson hat der Gesellschaft vor Augen geführt, dass sich im Schatten der Hippie-Bewegung ein dunkles Gemisch aus Satanisten und Rassisten sowie gewaltbereiten Drogenbanden entwickelt hatte, das sich ihrer Freiheiten im Lebensstil bediente, von Liebe und Frieden aber gar nichts wissen wollte.

Der Beatnik-Poet Ed Sanders beschreibt in "The Family" wie Manson, bevor er sich auf der Spahn-Movie-Ranch niederließ, das Lebensmodell des Busses als Heimat einer herumfahrenden Kommune von Schriftsteller Ken Kesey ("Einer flog über das Kuckucksnest") kopierte, nur um so im Kreis seinen immer zahlreicher werdenden Anhänger seine Ideen vom Rassenkrieg zu entwickeln.

Die Manson-Morde allein haben die Hippie-Bewegung eine Woche vor ihrem Höhepunkt in Woodstock nicht beendet, aber sie haben ihrem Untergang ein trauriges Symbol gegeben. Sollten sich die derzeit populären Hirnforscher tatsächlich einmal im Strafrecht durchsetzen, Manson würde wohl schuldunfähig gesprochen.

Psychologe Norris bescheinigt ihm Hirntraumata und Störungen im limbischen System, wie sie für Psychopathen typisch sind. 1971 aber wurde Manson mit vier seiner Mitstreiter zum Tod in der Gaskammer verurteilt. Mit der Aussetzung der Todesstrafe 1972 wurde das Urteil in lebenslange Haft umgewandelt.

Seinen Erfolg in der "Serienkillerindustrie" verdankt Manson nicht nur Satanisten und Neonazis, die ihn besonders lieben, seit er sich ein Hakenkreuz in die Stirn ritzte. Die Faszination des Bösen ist in der Gesellschaft breit gestreut, denn Serienkiller haben die gleiche Funktion wie Werwolfs- und Vampirmythen, sie sind nur moderner.

Die Serienkillerindustrie mit ihrem Starkult, schreibt der US-Soziologe David Schmid in seiner Studie "Natural Born Celebrities", dient damit nur einem einzigen Zweck: "Uns zu versichern, dass der scheinbar normal aussehende Killer aus unserer Mitte doch ganz anders ist als wir."

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