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Literatur Biografie

Vor dieser Schriftstellerin hat Amerika Angst

Einerseits war sie eine ängstliche, nervöse, fragile Outsiderin, aber auch Insiderin in Hollywoodzirkeln und New York: Joan Didion, die Autorin von „Play it as it Lays“ Einerseits war sie eine ängstliche, nervöse, fragile Outsiderin, aber auch Insiderin in Hollywoodzirkeln und New York: Joan Didion, die Autorin von „Play it as it Lays“
Einerseits war sie eine ängstliche, nervöse, fragile Outsiderin, aber auch Insiderin in Hollywoodzirkeln und New York: Joan Didion, die Autorin von „Play it as it Lays“
Quelle: ZUMAPRESS/dpa/picture alliance
Joan Didion war die Prinzessin des „New Journalism“. Die Welt trauerte mit ihr, als ihr Mann und ihr Kind starben. Jetzt ist sie das Gesicht von „Céline“. Tracy Daugherty hat ihr Leben aufgeschrieben.

Wer dieser Tage das erste Mal von Joan Didion hört, könnte meinen, sie sei im Fashion Business tätig. Und mit ihren mittlerweile 80 Jahren eine Art weiblicher Karl Lagerfeld. Denn man kann derzeit sogar eine Lederjacke von Alice Lancaster kaufen, deren Rücken das Gesicht von Didion ziert. Oder Handtaschen mit Didion-Zitaten.

Didion war Anzeigenmodell für die Sommerkollektion von „Céline“ und natürlich hat Jürgen Teller das Foto der alten Dame geschossen. Das berühmteste Style-Foto von Didion stammt jedoch aus den sechziger Jahren. Joan steht vor ihrer weißen Corvette Stingray, schmal, ja fragil, verstört, migränegeschüttelt, aber cool.

Sie steht da in einem weißen bodenlangen Hippiekleid, das heute Tom Ford gefallen würde, und hält bereits alle Regeln ein, die ein „celebrity author“ einhalten muss. Eine Schriftstellerin, deren Gesicht man kennt, eine Schriftstellerin, die etwas von Inszenierung versteht und eine, deren Arbeit weit über ein Jahrzehnt oder eine Mode hinausgehen wird.

Joan Didion schreibt wie Hemingway auf Xanax

Tom Wolfe und Hunter S. Thompson in einer Person, nur als Frau. Unprätentiös, keine, die große Reden schwingt. So kann man sich Joan Didion ungefähr vorstellen. Risikobereit, ohne Selbsthass, ohne innere Grenze. Eine zarte Puppe, die einzige Prinzessin des „New Journalism“, des wilden, neuen Journalismus, der sich in den 60er Jahren in den USA entwickelte.

Joan Didion ist die Meisterin des Edel-Detachment ohne Angst, sie schreibt Sätze wie Hemingway auf Xanax. Sie kann ertragen und schreiben, ohne zu zerbrechen. Amerika hat deshalb ein wenig Angst vor ihr, weil man mit Joan Didion nicht gut kuscheln kann.

Über Joan Didion ist jetzt die Biografie „The last love song“ von Tracy Daugherty erschienen. Didion hat nicht mitgewirkt und nichts autorisiert. Daugherty stellt präzise alle Adjektive und Zuschreibungen zusammen, die Didion seit Jahrzehnten charakterisieren. Didion, die ängstliche, nervöse, fragile Outsiderin per se, aber Insiderin in Hollywoodzirkeln und New York, eine Zeugin der wichtigsten Momente Amerikas, eine Überlebende persönlicher Katastrophen. Trotzdem markenbewusst, was den eigenen Körper angeht.

Sie schreibt über Vietnam, über Hippies, über Kalifornien

Aber eben auch eine „steely professional“, eine hart arbeitende Maus aus Stahl. Daugherty beschreibt Didion nicht als Bohémienne aus Kalifornien. Didion will keine Revolution, sie will niemanden aufrühren. Von Beginn an steht Didion für die Freiheit der Beobachtung, die Freiheit des emotionalen Entkoppeltseins, wann immer sie es wünscht und wann sie es für nötig hält. Vor allem, wenn es um ihr Land Amerika geht.

Sie schreibt über die Bedrohung, den Glitzer, die Angst wie in „Miami“ 1987 über die Exilkubaner und ihre Welt. Sie schreibt über Vietnam, über Hippies, über Kalifornien. Für Didion sind dies Metaphern des Versprechens und des darauffolgenden Verrats Amerikas am Amerikaner. Und sie schreibt, wie jeder vernünftige Autor, über sich selbst.

Das ist es, was einige Kritiker an Didion nie mochten. Barbara Grizzuti Harrison nannte Didion eine „nervenschwache Cher“, da ihr Stil bloß einen „Kasten voller Tricks“ zur Verfügung habe und ihr einziges Thema sie selbst sei.

Inzwischen ist sie eine Art weiblicher Karl Lagerfeld: Joan Didion im Arbeitszimmer ihres Mannes, des 2003 verstorbenen Schriftstellers und Dramatikers John Gregory Dunne
Inzwischen ist sie eine Art weiblicher Karl Lagerfeld: Joan Didion im Arbeitszimmer ihres Mannes, des 2003 verstorbenen Schriftstellers und Dramatikers John Gregory Dunne
Quelle: dpa/picture alliance
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Didions Ich-Stil war für mindestens einen anderen „celebrity author“ sehr wichtig. Bret Easton Ellis hat sich früh der Didion-Schule verschrieben. „Ich schrieb ein paar ihrer Paragraphen um, nur um zu sehen, wie sie es machte.“ sagt Ellis. So findet man in „Less than zero“ von Ellis eine ähnlich vibrierende, hysterische, aber dennoch kalte Los-Angeles-Dramatik, wie in Didions „Play it as it Lays“ von 1970.

Damals eine Art „Valley of the Dolls“ für Intellektuelle. Es geht um eine von hunderttausenden aufstrebenden Schauspielerinnen in Hollywood, die das Gefühl dafür verliert, wie tief man fallen kann, wenn man ganz nach oben will. Besser hat bisher niemand über eine Frau ohne Halt in Hollywood geschrieben.

Dabei hat Joan mit Showbusiness nichts zu tun. Sie wird in Sakramento, Kalifornien geboren, stammt aus einem konservativen Elternhaus. Ihr Lieblingsschauspieler ist der Republikaner John Wayne. Joan gilt als „bookish“, als Nerdmädchen, die Tage in der Bibliothek verbringt. Didion besucht die Berkeley-Universität, beginn danach, für die „Vogue“ in New York zu arbeiten und schreibt während ihrer Zeit dort ihren ersten Roman „Run, River“.

Sie heiratet den Autor John Gregory Dunne, Spross einer Entertainmentfamilie und zieht mit ihm 1968 nach Kalifornien. Dort wo sich Amerika gerade verändert. Doch Didion ist keine Linke, kein Hippiefan. Sie findet Jim Morrison und seinen Rimbaud-Fetisch lächerlich. Sie sieht in der Existenz von „dropouts“, also von Gesellschaftsaussteigern wie dem Massenmörder Charles Manson, ein Zeichen von gefährlicher, sozialer Pathologie, nicht von coolem Underground.

Sie benutzt ihren Konservativismus als Sicherheitszone

Didion begreift in „Slouching towards Bethlehem“ von 1968 (eine Sammlung von Artikeln über ihre Zeit in Kalifornien), wie sich Amerika verändert, muss eingestehen, dass sie selbst nicht mehr in der Lage ist, so zu denken wie ihre Vorfahren. So bleibt sie auf eine Art produktiv-unpolitisch. Und sie bleibt der alten, konservativen Welt verhaftet.

Denn sie tut das, was viele Schriftsteller tun: sie benutzt ihren „Erzkonservativismus“, wie ihr Mann John Dunne oft scherzte, als Sicherheitszone, um beim Schreiben möglichst weit raus zu schwimmen. Bedeutet: Didion liebt die regelmäßigen Mahlzeiten, die französischen Tischdecken aus Leinen beruhigen ihre Nerven, das ordentliche Porzellan nimmt ihr die Angst. Es ist die Welt ihres Mannes. Dort kriecht sie unter, wenn ihre Nerven flattern oder die Angst zuschlägt, die in die Bücher und nicht im Wohnzimmer am Kamin herumsitzen soll.

Dunne und Didion werden bald zu einer Art Hollywood It-Couple, obgleich Didion kaum wirkliches Interesse an einem Celebrity-Leben zeigt. Sie ist kein „Talker“ auf den vielen Partys. Das übernimmt ihr Mann. Sie ist der „Writer“ im Haus und ist nur vor der Schreibmaschine „sie selbst“. Didion schreibt Drehbücher mit ihrem Mann, ab und zu verschmelzen sie zu einem Autor, schreiben z.B. den Al-Pacino-Film „Panic in Needle Park“ gemeinsam.

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Doch Didions Gabe, präzise zu beobachten, bleibt ihr trotz solcher Ausflüge erhalten. Vor allem wenn es um Hollywood geht, sieht sie dem System in die Struktur. Präzise wie ein Chirurg und zeitlos. „Das öffentliche Leben im liberalen Hollywood ist eine Art Diktatur der guten Absicht, ein sozialer Vertrag, in dem tatsächliche oder sagen wir unversöhnliche Meinungsverschiedenheiten tabu sind, so wie scheitern oder schlechte Zähne, es herrscht ein Klima ohne Ironie.“

Doch es sind vor allem die beiden letzten Bücher, die Didion in in das Bewusstsein einer neuen, nicht nur amerikanischen Öffentlichkeit schossen. „The year of magical thinking“ von (2005) und und „Blue Nights“ (2011) behandeln die zwei größten im Menschenleben denkbaren Katastrophen. Erstens: den Tod eines langjährigen Ehepartners. Zweitens: den Tod des eigenen Kindes.

Der Didion-Autismus wirkt heute attraktiv

Didion ist beides passiert. Kurz nacheinander. 2003 bricht ihr Ehemann am Abendessentisch mit einem Herzinfarkt zusammen und stirbt. Didion hält ihr innerstes mit „The year of magical thingking“ zusammen, doch nur nur zwei Jahre später stirbt ihre 1966 adoptierte Tochter Quintana Roo mit 39 an einer Bauchspeicheldrüsenentzündung, angeblich wegen Alkoholmissbrauch.

Didion fühlt in erster Linie Schuld am Tod der Tochter, beschuldigt sich selbst, sie vielleicht nie wie ein Kind behandelt zu haben, sondern wie eine Person, die den Irrsinn eines Schreiberlebens schon als Baby verstehen sollte. Dafür hat Didion mit diesen beiden Bücher wahrscheinlich Menschen, die ähnliches erleiden, geholfen, nicht vollkommen durchzudrehen und nicht das eigene Leben in die Tonne zu treten. Sie hat das mit den üblichen Didion-Instrumenten getan und wenn man sich als Leser von diesen Instrumenten angezogen fühlt, erzählt das mehr über den Leser als über Joan.

„Ein Didion-Fan zu sein, heißt ein Verfechter der scharfen und brutalen Kanten zu sein, ein Champion der Sachlichkeit – sogar jemand , der einen leichten Elitismus vergibt, ja vielleicht sogar schätzt.“ schrieb „The Atlantic“ neulich über die angeblich so kühle Joan, die vielleicht einfach nicht so nahbar war. Genau dieser spezielle Didion-Autismus wirkt heute attraktiv, weil er als Ruhe rüberkommt, als mögliches Mittel, sich nicht beim Kaputtgehen zuzusehen.

Schauspieler Griffin Dunne hat das erkannt und dreht über seine Tante Joan gerade eine Dokumentation. Sie heißt „We tell ourselves stories in order to live.“ Das ist, in einem Satz das, was Joan Didion ausmacht und warum man sie lesen sollte.

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