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Hamburg Secondhand-Mode

Liebe auf den zweiten Klick

Redakteurin
Bei ihr gibt es nur Orginale: Liz Thieme inmitten der About You Vintage Wardrobe Bei ihr gibt es nur Orginale: Liz Thieme inmitten der About You Vintage Wardrobe
Bei ihr gibt es nur Orginale: Liz Thieme inmitten der About You Vintage Wardrobe
Quelle: Bertold Fabricius
Seit der Pandemie wird anders eingekauft. Manche Unternehmen – vom Luxuslabel bis zum Online-Fashionshop – wollen den Trend nutzen und Secondhand-Mode massentauglich machen. Denn die Branche entdeckt zunehmend ihr nachhaltiges Gewissen.

Vom Eingang eines unscheinbaren Bürogebäudes in St. Georg aus führt Liz Thieme – blonde Haare, rosa Strähnen, kobaltblauer Ledermantel, Jeans mit chlorgebleichtem Saum – in den ersten Stock, wo sie eine schwere Eisentür aufdrückt. Und dann tut sie sich auf, die versteckte Welt aus Farben, Mustern, Formen, die man gerade hier in dem nüchternen Bau nicht erwartet hätte.

Auf Dutzenden Kleiderständern hängt Mode aus den späten 50er-Jahren bis heute. A-Linienkleider, Abendkleider im Pucci-Muster, Cordhosen mit Schlag, Lederblousons und Trainingsjacken aus Ballonseide, verwaschene T-Shirts mit „Nirvana“-Aufdruck.

Die 27-jährige Liz Thieme ist bei About You, einem großen Online-Fashion Shop mit Sitz in Hamburg, zuständig für die „Vintage Wardrobe“, ein Fundus aus Secondhand-Stücken, mit dem das Unternehmen auf Festivals geht, um Besuchern auf spielerische Art und Weise Secondhand-Mode näherzubringen.

In aufwendig dekorierten Zelten konnten Besucher die Teile anprobieren und gegen eine Gebühr von fünf Euro je Teil ausleihen. „Die Idee kam super an. Auch Leute, die noch nie Secondhand getragen haben, trauten sich und griffen zu. Und das wollen wir ja erreichen: Dass Menschen, die sonst keine Berührungspunkte damit haben, die Sachen einfach mal anziehen und merken, wie gut man sich darin fühlt“, erzählt Liz Thieme.

Aktuell tourt die Vintage Wardrobe nicht, Corona hat alles verändert. Die Kollektionen schrumpften, Zwischenkollektionen entfielen völlig, schließlich wurde insgesamt deutlich weniger gekauft, das belegen Zahlen der Gesellschaft für Konsumforschung. So ergab die Befragung von rund 14.000 Verbrauchern, dass für Bekleidung und Schuhe im Januar dieses Jahres 52,9 Prozent weniger ausgegeben wurde als im Vorjahr, vor Ausbruch der Pandemie. Die Erhebung zeigte aber auch: Wenn Kunden zugriffen, langten sie tiefer in die Tasche als sonst. So legten die Ausgaben pro Shoppingtrip, online oder stationär, im Vergleich zum Januar 2020 um 22,4 Prozent zu. Es wird also weiter eingekauft, nur anders.

Hier liegt eine große Chance für Secondhand-Mode, das glauben zumindest viele Hamburger Unternehmen. Vintage ist schon lange in, aber bisher nur wenig massentauglich, trotz Ausnahmen wie der Vintage Wardrobe. Meist sind es Designerstücke und Luxuslabels, die geshoppt werden. Doch in mehreren Firmen – von großen Playern wie About You bis zu kleineren Luxus-Labels – wird gerade daran gearbeitet, den Trend massentauglich zu machen – auch weil die Branche zunehmend ihr nachhaltiges Gewissen entdeckt.

Auch Luxusmarken verfolgen eigene Secondhand-Konzepte

Um möglichst exklusiv daherzukommen, musste Mode lange rar, teuer und neu sein. Das hat sich geändert. Läden wie Secondella in Hamburg, aber auch Anbieter wie Rebelle und Vestivaire Collective, die auf den Weiterverkauf getragener Mode spezialisiert sind, haben längst dafür gesorgt, dass abgelegte Kleidung vom Image her neuer in nichts nachsteht. Einige Luxusmarken verfolgen sogar eigene Secondhand-Konzepte.

So ist das in Hamburg ansässige Kaschmir-Label Iris von Arnim mit Rebelle im September vergangenen Jahres eine Test-Kooperation eingegangen, die sie nun verlängert hat: Kunden, die einen getragenen Iris-von-Arnim-Artikel bei Rebelle zum Verkauf anbieten, erhalten einen 100 Euro Gutschein, der in Iris von Arnims Boutiquen und im Onlineshop eingelöst werden kann. „Wir Luxusmarken müssen Re-Sale als wesentliches Element des künftigen Konsums und als Chance verstehen“, sagt Valentin von Arnim, Geschäftsführer von Iris von Arnim.

Eine Haltung, die ebenso Rebelle-Gründerin Cecile Wickmann vertritt. „Wir möchten unsere Kundinnen dazu ermutigen, bewusste Kaufentscheidungen zu tätigen und in weniger, dafür aber in hochwertige Artikel und Marken zu investieren.“ Ein weiteres Hamburger Beispiel ist Anita Hass. Ihr Name ist eng mit dem bekannten „Used“-Gedanken verbunden, schließlich begann die Erfolgsgeschichte der gleichnamigen Edelboutique in den 1970er-Jahren als Shop für getragene Kleidung. Der lief so gut, dass man das Konzept peu á peu um Neuware erweiterte. Zum 50. Jubiläum launchte Geschäftsführer Christian Villwock, Sohn von Anita Hass, deshalb Yesterday Domani, einen Online-Shop für so genannte pre-loved Designer-Teile.

Wir hoffen, dass wir damit insgesamt dazu beitragen, die Wertschätzung für getragene Kleidung deutlich zu erhöhen.
Tarek Müller, Geschäftsführer und Mitbegründer des Fashionshops About You
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Nun steht der Branche eine neue Verwandlung bevor. Auch Tarek Müller, Geschäftsführer und Mitbegründer des Fashionshops About You, hat das veränderte Kaufverhalten der Kunden in der Krise beobachtet. Da die Pandemie auch in der Textilbranche Entwicklungen beschleunigt hat, auf die man bereits vor dem Lockdown Antworten suchte, ist Nachhaltigkeit das bestimmende Thema. About You plant, an einer Stelle im Kreislauf anzusetzen, die neu ist. „Wir wollen, dass Kleidung nicht nur nachhaltiger produziert wird, wir wollen, dass Kleidung auch insgesamt länger getragen und wiederverwertet wird“, so Tarek Müller.

Im urbanen Raum genieße Secondhand bereits eine große Akzeptanz, allerdings schrecke der Durchschnittskunde noch davor zurück. Auch weil der Kauf von getragener Kleidung vergleichsweise umständlich sei, so Tarek Müller. Musste man bislang auf Flohmärkten herumstöbern, und Glück haben, um genau das Passende zu finden, können Kunden ausgewählte und geprüfte Teile im Onlineshop unter der Kategorie „Second Love“ im Netz shoppen. Aktuell werden alle Artikel über professionelle Partner bezogen und von deren Experten auf Echtheit und Qualität geprüft, bevor sie zum Verkauf angeboten werden.

Außerdem bastelt man an einem Waren-Rücknahmesystem. „Unsere Idee ist, dass wir bei der Lieferung neuer Kleidung alte Kleidung versandkostenfrei zurücknehmen.“ Ebenso soll es möglich sein, ausschließlich getragene Kleidung zurückzugeben, ohne Neubestellung, dank versandkostenfreier Retourentickets zum Runterladen. Noch ist offen, ob es auch ein Bezahlsystem geben und wie es genau ausgestaltet sein wird.

„Wir hoffen, dass wir damit insgesamt dazu beitragen, die Wertschätzung für getragene Kleidung deutlich zu erhöhen. Schließlich sind wir uns im Klaren darüber, dass wir als Onlinehandel eine Mitverantwortung tragen für das, was wir mit dem Angebot immer neuer Ware auslösen. Diese Position wollen wir nutzen, um für ein Umdenken einzutreten“, so Tarek Müller.

Darüber hinaus befindet sich eine weitere neue Kategorie in Planung, unter der „geupcycelte“ Kleidung angeboten werden soll. „Besonders im Bereich Denim und Leder gibt es viele Möglichkeiten, diese Teile modisch aufzuarbeiten, um sie den Kunden als Unikate anzubieten“, so Tarek Müller.

Secondhand als Event

Um getragene Kleidung für die breite Masse leichter zugänglich zu machen, geht About You Partnerschaften mit professionellen Anbietern ein. Dazu gehört etwa Mädchenflohmarkt, Vite Envogue und Vinokilo. Letzteres Label hat seinen Sitz in Mainz und gilt mit seinem Onlineshop als größter Händler für Vintage-Kleidung in Europa.

Normalerweise organisiert das Unternehmen Pop-up-Events, wo Secondhand-Teile in hipper Atmosphäre präsentiert und zum Kilo-Preis verkauft werden. Aktuell fällt dieser Verkaufskanal wegen Corona weg. Bei den ersten Events dieser Art gab es für die Kunden zur Begrüßung ein Glas Wein, daher der Name „Vinokilo“. Schon als Student führte Robin Balser, damals noch im niederländischen Groningen, einen Tauschladen, mit 26 gründete er sein Unternehmen.

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Bis auf einen Anzug, den er sich für eine indische Hochzeit gekauft habe, trage er seit neun Jahren ausschließlich getragene Kleidung, erzählt er. Und Unterhosen und Socken? „Die ergattere ich meistens bei Lieferungen von Shop-Auflösungen. Es gibt einfach unfassbar viel ungetragene Kleidung, die abgegeben wird“, sagt er.

„Vinokilo“ bezieht seine Ware über Firmen, die ihre Lagerbestände auflösen sowie über Zwischenhändler. Robin Balsers Vision ist, dass sich alle Menschen stylish, aber auch nachhaltig kleiden. „Die naheliegendste Antwort, um dieses Ziel zu erreichen, ist Secondhand massentauglich zu machen“, sagt er. In zehn, zwanzig Jahren, so prophezeit er, werde es völlig normal sein, dass Otto Normalverbraucher seinen Look aus getragenen und neuen Teilen zusammensetzt. Und der Anteil getragener Kleidung, da ist er sich sicher, werde deutlich wachsen.

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Eine Haltung, die Liz Thieme schon lange lebt. Die Mode-Designerin arbeitete als Stylistin, bevor sie bei About You anfing und mit dem Aufbau der Vintage Wardrobe betraut wurde. Ganz allein habe sie die Sachen nicht beschafft. Es gab auch eine reihe Vintage-Scouts, die in ihrem Auftrag von Flohmarkt zu Flohmarkt zogen, um markante Einzelstücke zu ergattern, erzählt sie. Auch Theaterfundus öffneten ihre Türen und trennten sich von Sonderanfertigungen. Auf diese Weise ist der Bestand stylisher Einzelteile gewachsen, der allen Mitarbeitern des Unternehmens offensteht.

„Wir wollen damit auch intern dafür sorgen, Secondhand tragbarer zu machen“, so Liz Thieme, die zudem für die geplante Upcycling-Kollektion zuständig ist. In den letzten Jahren, sagt sie, habe Mode einen faden Beigeschmack bekommen, weil deutlich wurde, wie sehr sie auf Kosten der Umwelt geht. Der Secondhand-Boom führe nun dazu, dass der eigentliche Sinn von Mode wieder in den Mittelpunkt rücke. „Endlich darf sie wieder das sein, was sie im Kern ist: Eine Möglichkeit, seine Persönlichkeit auszudrücken und Spaß zu haben.“

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