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Meinung Kolumne „Querpass“

Die Linienrichter stochern im Abseits-Nebel

„Abseits ist, wenn dat lange Arschloch zu spät abspielt“, sagte einst Weisweiler. Oder aber, „wenn dat lange Arschloch nicht pfeift“ „Abseits ist, wenn dat lange Arschloch zu spät abspielt“, sagte einst Weisweiler. Oder aber, „wenn dat lange Arschloch nicht pfeift“
„Abseits ist, wenn dat lange Arschloch zu spät abspielt“, sagte einst die Trainer-Legende Hennes Weisweiler. Oder aber, „wenn dat lange Arschloch nicht pfeift“
Quelle: picture alliance / ZB
In der Bundesliga wird Fehlentscheidung auf Fehlentscheidung gefällt. Besonders beim Abseits werden alte Grundsätze aufgeweicht. Die ersten Linienrichter winken angeblich schon auf Verdacht.

Was ist Abseits? Erschrecken Sie jetzt nicht, Sie müssen es nicht wissen. Es genügt vollkommen, wenn Franz Beckenbauer es weiß, und der hat die komplizierte Regel schon kurz nach dem Krieg als Libero und Kaiser einleuchtend so erklärt: „Abseits ist, wenn der Schiedsrichter pfeift.“

Dummer Weise haben das damals nicht gleich alle auf Anhieb kapiert, so dass sich irgendwann auch noch Hennes Weisweiler flankierend zu Wort melden musste. Den kennen die Überlebenden unter uns noch als Trainerguru beim 1. FC Köln, Cosmos New York und FC Barcelona, aber vor allem ließ er die Gladbacher Borussen den aufregendsten Fußball der 70er-Jahre spielen.

Sein Spielmacher hieß dort Günter Netzer, und genau den hat Weisweiler gemeint, als er im Rahmen der Regelkunde für Fortgeschrittene seinen alles entscheidenden Satz abgab: „Abseits ist, wenn dat lange Arschloch zu spät abspielt.“

Selbst bei den sackdoofsten Ignoranten ist spätestens da der Knoten geplatzt, und fortan war eigentlich jahrzehntelang klar, was Sache ist - doch ganz jäh trifft uns momentan nun Rückschlag auf Rückschlag.

Vor allem die Schiedsrichter sind plötzlich von allen guten Geistern verlassen, und ihre Fahnenträger da draußen an der Kalklinie wedeln und stochern mit der Stange seit Wochen derart im Nebel, dass der DFB-Schiedsrichterchef Herbert Fandel seinen Ballermännern demnächst anlässlich einer Winteranalyse die Regel noch mal gründlich von vorne erklären will. „Zum Ende der Hinserie“, ist Fandel geständig, „gab es überraschend deutliche Fehler in Abseitsbewertungen.“

„An der Grenze zur blinden Bratwurst“

Auch an diesem Spieltag. „Advent, Advent, ein Lichtlein brennt“ ist gar kein Ausdruck für das, was beispielsweise in Braunschweig passiert ist. Der ganze Baum hat dort gebrannt, jedenfalls hat dem Hoffenheimer Fußballchef Alexander Rosen („Habt Ihr die Hosen voll?“) regelrecht gestunken, was er da an flatternden Fahnen und schrillen Pfiffen zu sehen und hören bekam.

So einen Elfmeter wie die Braunschweiger hätte er auch gerne gekriegt, und zudem stand der vermeintlich gefoulte Bicakcic zuvor im Abseits. Jedenfalls sind nach dem Abpfiff hart an der Grenze zur „blinden Bratwurst“ deftige Worte gefallen.

Dabei hätte Hoffenheim gegenüber dem Schiedsrichter Guido Winkmann eigentlich auch ein bisschen dankbar sein dürfen, denn früh hatte der den Braunschweigern in einer anderen Abseitsaffäre das 1:0 weggepfiffen. Es war ein piekfeines Tor, lupen- und stubenrein, alles paletti, aber sein Linienrichter da draußen fuchtelte wild – wobei er den Hoffenheimer Verteidiger völlig missachtete, der keine zwei Meter neben ihm stand und das Abseits eklatant aufhob.

Man hätte es dem um seinen Lohn gebrachten Schützen Torsten Oerl nicht verübeln können, wenn er den Linienrichter im Affekt der Repressalie im nächsten Moment umgenietet hätte, wie es neulich der Dortmunder Marco Reus einmal eindrucksvoll vorgemacht hat.

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Überhaupt haben die Linienrichter momentan nicht direkt das, was man einen Glückslauf nennt. Letzte Woche führte Nürnberg in Hannover drei Minuten vor Schluss uneinholbar 3:1, als der Schiedsrichter Torsten Kinhöfer das Ding doch noch drehte, indem er sich blindlings auf seinen Fahnenschwenker verließ, der dem 96er-Torjäger Mame Diouf uneingeschränkte Narrenfreiheit gewährte.

Wären Sie gern Schiedsrichter?

„Zwei Meter abseits! Zwei Meter!“, brüllte sich der Club-Verteidiger Per Nilsson noch eine Stunde danach den Schaum vom Mund. Gott sei Dank hat sich aber wenigstens das üble Gerücht nicht bestätigt, dass es zwischen Nilsson und Kinhöfer auch noch zum folgendem Dialog gekommen sein soll. Der Schwede zum Schiedsrichter: „Wie heißt Ihr Hund?“ Kinhöfer: „Ich habe keinen Hund.“ Darauf Nilsson, fassungslos: „Blind - und keinen Hund?“

Im Straßenverkehr ist, wenn jemand überfahren wird, eines klar: Bestraft wird der Geisterfahrer. Im Fußball ist es umgekehrt: Bestraft wird der Tote – und der soll sich mit einem flehentlichen Appell an seine emotionale Intelligenz gefälligst auch noch zusammenreißen.

Andererseits: Wären Sie gerne Schieds- oder Linienrichter? Möchten Sie anderthalb angespannte Stunden lang ständig blitzschnell entscheiden, wer da im Kuddelmuddel und Tohuwabohu des Strafraums aktiv und wer passiv im Abseits steht?

Die ersten Linienrichter geben den Kampf jetzt auf, sie gehen die Sache entspannter an und winken, wann immer es ihnen danach ist – gleiche Höhe ist dann halt auch mal drei Meter weiter vorne, und warum sollen nicht auch einmal vier Mann auf gleicher Höhe ungestraft im Abseits stehen, wie neulich bei Schalke gegen Basel?

Unvergessene Momente auf Schalke

An dem Abend hat das Übel angefangen. Dieser italienische Schiedsrichter in der Champions League hat die Lawine der Eklats losgetreten und alles wieder zunichte gemacht hat, was wir über Abseits wussten. Ursprünglich war dieser Paolo Tagliavento ja Frisör, aber statt einfach zu hause zu bleiben und den Leuten anständig die Haare zu schneiden, hat er sich durch den Schiedsrichtereingang ins Schalker Stadion gemogelt, den Baslern eine Totalrasur und einen krummen Scheitel verpasst – und Joel Matip mit dem Holzhammer beigebracht, was kein Abseits ist.

Es wird auf ewig unvergesslich bleiben, wie der Schalker meterweit in demselben stand und sich weigern wollte, zu schießen – aber vermutlich hat der Zögerliche von hinten dann den aufmunternden Ruf gehört: „Avanti! Hau ihn endlich rein!“

Die ganze Fußballwelt hat den Kopf geschüttelt. Fast zwei Meter groß ist der Italiener, eine bessere Aussicht auf das Spielgeschehen kann ein Schiedsrichter eigentlich gar nicht haben – und viele unter uns glauben deshalb plötzlich, dass die endgültige und richtige Antwort auf die Abseitsfrage der goldene Mittelweg zwischen Beckenbauer und Weisweiler ist: Abseits ist, wenn dat lange Arschloch nicht pfeift.

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