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Wirtschaft Carsten Schloter (†)

Was den deutschen Topmanager in den Tod trieb

Die Belastung als Swisscom-Chef, die persönliche Unzufriedenheit und die ständigen Scharmützel innerhalb des Konzerns nagten an Carsten Schloter Die Belastung als Swisscom-Chef, die persönliche Unzufriedenheit und die ständigen Scharmützel innerhalb des Konzerns nagten an Carsten Schloter
Die Belastung als Swisscom-Chef, die persönliche Unzufriedenheit und die ständigen Scharmützel innerhalb des Konzerns nagten an Carsten Schloter
Quelle: 13photo,Switzerland/13photo, Switzerland
Sieben Jahre lang leitete Carsten Schloter den Telefonriesen Swisscom. Er galt als erfolgreicher Konzernchef, stand auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Doch dann nahm sich der 49-Jährige das Leben.

Das Hotel „Guarda Val“ in Sporz oberhalb Lenzerheide ist ein Kleinod: 50 Zimmer verteilen sich auf elf Almhütten und -ställe, die mehr als 300 Jahre alt sind. Die Küche lockt mit 15 Gault-Millau-Punkten. Von den Sonnenterrassen hat man einen beeindruckenden Blick hinunter ins Albulatal. Besonders bei Mountainbikern ist das Luxushotel beliebt: Routen mit einer Gesamtlänge von 250 Kilometern kann man von hier ansteuern, die Fahrten gegen Sonnenaufgang gelten als einer der Höhepunkte in der bergigen Region 1600 Meter über dem Meer.

Ideal also für den Mann, der in der zweiten Juliwoche im „Guarda Val“ eincheckte. 3500 Kilometer fährt Carsten Schloter jedes Jahr mit dem Fahrrad, mit dem Sport beginnt er am Wochenende am liebsten um sechs Uhr morgens: „Das schenkt einem im Jahr 40 bis 50 Sonnenaufgänge. In der Natur. Das ist jedes Mal ein außerordentliches Erlebnis“, schwärmte er 2012 Jahr im Interview mit der „Bilanz“.

Dieses Mal jedoch, in jener Juliwoche, wirkt Schloter alles andere als entspannt: In sich gekehrt, nachdenklich, fast deprimiert scheint er Beobachtern, die ihn Abend für Abend auf der Terrasse sitzen sehen, eine Flasche Wein als einzige Begleiterin. Das passt so gar nicht zum asketischen Sportler.

In der Blüte seiner Schaffenskraft

Zwei Wochen später ist Carsten Schloter, der Vorstandschef des Schweizer Telekomkonzerns Swisscom, tot. Sein Selbstmord ist der wohl erschütterndste Todesfall der jüngeren Schweizer Wirtschaftsgeschichte. Der 49-Jährige war in der Blüte seiner Schaffenskraft, er war erfolgreich, er war in Wirtschaft und Politik hoch angesehen, wurde auch von Gegnern ob seiner Visionen und seiner scharfen Rhetorik respektiert. Gut aussehend und sportlich, verkörperte er Virilität, er war einflussreich und wohlhabend, blieb dabei aber immer bescheiden. Die Karriere des Carsten Schloter schien ungebremst. Bis zum 15.  Juni 2011.

Am 15. Juni 2011 trat Anton Scherrer ab, altersbedingt. Scherrer war bei der Swisscom, die aus der Schweizer Bundespost PTT hervorgegangen ist und noch immer mehrheitlich dem Schweizer Staat gehört, Präsident des Verwaltungsrats. Der Posten ist enorm einflussreich, einflussreicher noch als der eines Aufsichtsratsvorsitzenden in einer deutschen Aktiengesellschaft.

Mehr als fünf Jahre hatten Scherrer und Schloter gut miteinander harmoniert: Scherrer ließ seinen Vorstandsvorsitzenden an der langen Leine laufen, mischte sich nicht ein ins Geschäft, verzieh ihm die eine oder andere Kapriole. Die ganze Firmenstruktur war auf Schloter zugeschnitten: Der Deutsche war Konzernchef, verantwortete den gesamten Umsatz in der Schweiz und als Verwaltungsratspräsident auch die italienische Tochter Fastweb. Um Scherrer auf seiner Seite zu haben, besprach Schloter wichtige Entscheidungen mit ihm, ehe sie in den Verwaltungsrat gingen. „Der Vorstandsvorsitzende hat den Präsidenten geführt“, sagt einer, der damals in der Konzernleitung saß.

Mit dem neuen Präsidenten dreht der Wind

Das sollte sich ändern, als Hansueli Loosli das Präsidentenamt übernahm. Der langjährige Chef der Supermarkt- und Warenhauskette Coop hat ein völlig anderes Führungsverständnis als sein Vorgänger. Den Einzelhandelskonzern hat er lange Jahre operativ geleitet, auch als Verwaltungsratspräsident führt er eng. 40 Stunden pro Woche widmet er der Swisscom, neben seinen beiden anderen Mandaten als Coop-Präsident und als Chef der Großhandelsgruppe Transgourmet.

Schloters Leine wurde plötzlich sehr kurz: Loosli verlangte regelmäßig Rapporte, immer schriftlich. Und er kontrollierte kleinste Details. So ließ er sich Zugriff aufs Buchhaltungssystem geben. Mit Schloter diskutierte er ausgiebig, welche Einnahmen und Ausgaben warum auf welches Konto gebucht wurden. „Der Erfolg liegt im Detail“: Nach diesem Motto agierte Loosli bei Coop. „Schloter klagte, die Absicht von Loosli sei es, Swisscom zu einer Coop zu machen und sie genau so zu führen“, erzählt ein Freund.

So empfand Schloter auch das Projekt „Triathlon“. Ziel dieser Übung, die mit den Strategieberatern von McKinsey entwickelt worden war: die Zahl der Jobs im mittleren Management um 15 bis 20 Prozent zu reduzieren. Schlanker, kostengünstiger und schneller sollte die Organisation werden. Das Projekt verfehlte sein Ziel, erreicht wurde am Ende nur ein Stellenabbau von fünf bis sieben Prozent, und intern wurde Kritik laut an der Vorgehensweise: „Das war unverträglich mit der Organisation – ein Telekomunternehmen ist kein Einzelhändler“, heißt es aus dem Swisscom-Management.

Schloter galt als Kontrollfreak

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Ein fast identisches Projekt hatte Loosli auch schon bei Coop durchführen lassen. Der Partner auch hier: McKinsey. Schloter wurde das Projekt vom Verwaltungsrat aufgedrückt: „Man hat genau gemerkt, dass er nicht dahinterstand“, sagt ein Manager. „In Schloters Wahrnehmung mischte sich Loosli ein, aber er übernahm keine Verantwortung“, sagt ein anderer Swisscom-Mann. „Das war Carsten zutiefst zuwider.“

Dabei mischte sich Schloter selbst gern in die Details ein, er galt als Kontrollfreak. Als Chef hatte er hohe Ansprüche an Leistung und Qualität – sich selbst, aber auch anderen gegenüber. Seine Eingriffe sah er nicht als Bevormundung, sondern als Motivation. Mit dem Vorwurf des Mikromanagements konnte er leben: Er glaubte sich in operativen Fragen vielfach überlegen – und war es häufig auch.

Der branchenfremde Loosli gab und gibt sich Mühe, den Telekomkonzern zu begreifen. Dennoch akzeptierte Schloter seine Eingriffe nicht: „Ich habe in internationalen Firmen viel mehr Managementwissen angesammelt als dieser Schweizer Einzelhändler“, klagte er einem Freund gegenüber. Vor dem Wechsel zu Swisscom hatte Schloter für Daimler in Paris gearbeitet und für Debitel.

„Einer der besten CEOs dieser Branche“

Größte Mühe hatte Schloter auch mit dem Umbau der Konzernleitung im vergangenen Jahr. Er musste das Schweizer Geschäft an Urs Schaeppi abgeben, seinen Freund und Sportkameraden – eine weitere Machtverschiebung im Konzern. Zwar wurde schon unter Scherrer entschieden, Schaeppi langfristig zum Nachfolger aufzubauen. Doch auf einmal hatte Schloter einen Gegenpol, der offiziell zwar nur die Nummer zwei war, faktisch aber 80 Prozent des Umsatzes und 86 Prozent des Gewinnes verantwortete.

In Looslis Augen war der Schritt eine Hilfe für Schloter. Der Vorstandsvorsitzende, im Tagesgeschäft entlastet, konnte sich nun mehr um Strategie und Übernahmeziele kümmern. „Ich habe nicht eine Sekunde das Gefühl gehabt, dass Schloter nicht zufrieden wäre“, sagte Loosli der „Bilanz“ im Januar. In Schloters Augen aber war es eine Desavouierung. Er soll dem Präsidenten damals sogar seinen Rücktritt angeboten haben. Der wollte davon nichts wissen. Als „einen der besten CEOs dieser Branche“, lobte er seinen Konzernchef öffentlich.

Mit Loosli und Schloter prallten zwei Alphatiere aufeinander, die beide nicht verstanden, wie der andere funktioniert. Eine schwierige Situation für jeden Vorstandsvorsitzenden, der gewohnt ist, viele Freiheiten zu haben. Eine fast unmögliche Situation für einen Manager, der von sich selbst sagte, dass er in der Kindheit Mühe gehabt habe, Autoritäten zu akzeptieren, und nicht fähig gewesen sei, sich führen zu lassen.

Erbsenzähler vs. Rebell in Lederkluft

Schloter sah sich gern als Rebell, als Querdenker: Bei seiner ersten Managementklausur als Konzernchef, 2007 in Lausanne, trat er nicht in Anzug und Krawatte auf, sondern in Lederkluft. Als Chef der Mobilfunksparte der Swisscom hatte er mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Jens Alder gut harmoniert – die beiden tickten ähnlich. Mit Loosli, für Schloter ein Erbsenzähler, ging es nicht.

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Hinzu kam, dass die Kommunikation gestört war: „Mit Loosli kann ich nicht offen reden, er kann keine Kritik hören und wird sofort laut“, vertraute Schloter gleich mehreren Freunden an. Die regelmäßigen Treffen mit dem Hauptmann der Infanterie bezeichnete er als „Befehlsausgabe“, Feedback gebe es keines. „Das Verhältnis war zerrüttet“, sagt einer, der beide begleitete. „Die Zusammenarbeit mit Carsten Schloter war sachbezogen und von gegenseitigem Respekt geprägt“, lässt Loosli dagegen ausrichten: „Meinungsverschiedenheiten haben wir auf der Sachebene zwischen Verwaltungsrat und CEO bereinigt.“

Ein Manager muss Gegenwind aushalten können, zumal ein Vorstandschef. Aber Schloter war schon immer ein innerlich Getriebener. Manche Menschen ruhen in sich selbst, er gehörte nicht dazu. „Carsten hatte nie eine lockere Aura, konnte nie völlig entspannt sein. Das war ihm als Person nicht gegeben“, sagt einer, der ihn lange Zeit in der Konzernleitung erlebt hat.

Machtdemonstration des Präsidenten

Im Juli 2012 ließ Loosli Auswahlverfahren durchführen. Offiziell gesucht wurde ein Chef der Sparte IT Services. Doch informell wurde den Aspiranten im Vorfeld mitgeteilt, es gehe auch „um eine Potenzial-Abklärung für andere Positionen, auch für den Chefposten“, wie ein Beteiligter sagt. Drei interne Kandidaten waren im Rennen, den Zuschlag aber bekam schließlich ein Externer: Andreas König von der IT-Firma NetApp.

Rechtzeitig einen Nachfolger für den amtierenden Vorstandschef zu suchen, gehört zu den wichtigsten Pflichten eines Schweizer Verwaltungsratspräsidenten. Doch Schloter bekam sie in den falschen Hals. Er sah das Vorgehen als Machtdemonstration seines Präsidenten, als Drohung einer bevorstehenden Absetzung. Von einem „Zermürbungskrieg“ sprach er einem Vertrauten gegenüber: Loosli wolle ihn zur Kündigung treiben, damit er ihn nicht entlassen müsse. Dies, obwohl Loosli auch öffentlich zu seinem Vorstandschef stand.

Bereits die Ernennung eines neuen Strategiechefs im Frühling war von Misstönen begleitet. Loosli, der als Einzelhändler jeden Rappen zweimal umdreht, wollte die Strategietruppe schlanker, agiler und kostenbewusster aufgestellt sehen. Er fand in Deutschland den Partner einer namhaften Strategieberatung, der gleichzeitig auf Telekommunikation und auf Kostensenkung spezialisiert ist.

Keine Informationen für die Spitzenmanager

Schloter jedoch hatte ganz andere Vorstellungen, wollte einen Mann aus einer Zukunftsbranche. Er fand ihn bei Google in der Person von Jürgen Galler. Schließlich entschied sich der Verwaltungsrat für Schloters Gegenkandidaten. Die Runde ging an den Konzernchef.

Loosli revanchierte sich, als es darum ging, einen Ersatz für den 2014 abtretenden Vizepräsidenten Richard Roy zu suchen. Scherrer hätte Schloter eingeweiht, die Mitglieder der Konzernleitung hätten das Anforderungsprofil sehen können, sogar eigene Kandidaten vorschlagen können. Loosli aber gab den Auftrag an einen Headhunter, ohne seinen Spitzenmanager zu informieren.

Strategie war nicht Looslis Thema. Alle wichtigen Innovationen aus dem Hause Swisscom kamen auf Schloters Initiative hin zustande. Vom Verwaltungsrat wurden sie nur abgesegnet. „Visionäre Themen kann man von einem Einzelhändler nicht erwarten“, sagt einer, der den Vorstandschef und den Präsidenten sehr eng begleitet hat.

Konstellation führt zu absurder Gesamtsituation

Die Konstellation führte letztlich zu der absurden Situation, dass sich der Verwaltungsratschef, der eigentlich für das Strategische zuständig sein sollte, teilweise um das Operative kümmerte. Dem Vorstandschef, der eigentlich fürs Operative zuständig sein sollte, blieb fast nur noch das Strategische.

Loosli will sich in dieser Sache nicht äußern. „Auch aus Rücksicht auf die Trauerfamilie beteiligen wir uns nicht an möglichen Spekulationen über die Hintergründe“, lässt er ausrichten. Loosli die Schuld für den Tod Schloters zu geben, wäre ungerechtfertigt. Der Suizid soll den Manager tief getroffen haben.

Aber er musste danach auch viel Kritik einstecken. Seine Videobotschaft an die Mitarbeiter und sein Auftritt bei der Trauerfeier in der Kathedrale St. Nicolas in Freiburg gerieten hölzern. Er erläuterte, welche Produkte unter der Ägide des Verstorbenen eingeführt wurden. „Loosli sprach nicht wie auf einer Trauerfeier, sondern wie auf einer Generalversammlung“, ist noch eines der gnädigeren Statements aus dem Konzern.

Vielleicht unterschätzte Schloter seinen Marktwert

„Schloter war A-Liga, er hätte nach einer Kündigung sofort viele gute Jobangebote erhalten“, sagt ein Headhunter. Vielleicht unterschätzte der Swisscom-Chef seinen Marktwert, vielleicht hing er einfach auch zu sehr an der Firma, in der er 13 erfolgreiche Jahre verbracht hatte. Gefragt, warum er die Swisscom nicht einfach verlasse, antwortete er: „Because I love my people“ – weil ich meine Leute liebe –, mit der Betonung auf „my“. Von dem Milliardenkonzern sprach er gern als seinem „Zuhause“.

So suchte er anfangs nur halbherzig nach Jobalternativen. 2012, im Jahr nach Looslis Amtsantritt, liebäugelte Schloter mit dem französischen Mobilfunkanbieter SFR und mit der Deutschland-Tochter von Vodafone. Bei beiden Unternehmen war der Chefposten neu zu besetzen. Bei Vodafone hatte Schloter sogar einen Fürsprecher: Der Vorgänger auf dem Chefsessel, Jürgen von Kuczkowski, war bis September 2007 im Verwaltungsrat von Swisscom Mobile, die Schloter jahrelang leitete. Doch kam Schloter bei beiden Besetzungen nicht zum Zuge.

Seine drei Kinder, das betonte er oft, waren für ihn das Wichtigste auf der Welt. Als Swisscom-Mobilfunkchef weigerte er sich, an einer wichtigen Managementsitzung teilzunehmen, weil die Veranstaltung auf den Geburtstermin des jüngsten Kindes fiel. „Mein Sohn würde später nie verstehen, wenn ich bei seiner Geburt nicht dabei gewesen wäre“, sagte er seinem damaligen Chef Jens Alder.

Die größte Niederlage seines Lebens

Die Prioritäten änderten sich, als Schloter vor vier Jahren Isabelle F., 37, kennenlernte, die bei der Swisscom die Mitarbeiterzeitschrift „Piazza“ verantwortete. Die beiden wurden ein Paar. Sie verließ in der Folge die Swisscom, um den Grundsätzen der guten Unternehmensführung („Corporate Governance“) Genüge zu tun.

Schloter machte den viel größeren Schritt und verließ die Familie. Mit seiner Frau Kerstin arrangierte er sich. Doch dass er die beiden Söhne (heute acht und 14 Jahre alt) und die Tochter (heute elf) nur noch alle zwei Wochen sehen durfte, bezeichnete Schloter, der sonst nur Erfolge kannte, als größte Niederlage seines Lebens. Schuldgefühle plagten ihn seither. Die Situation war bis zuletzt unbefriedigend, aber stabil. Bis zu seinem Tod sprach Schloter stets positiv über seine Frau und seine Kinder.

Die neue Beziehung lief nicht nach Wunsch. Es soll unterschiedliche Vorstellungen zu möglichen gemeinsamen Kindern gegeben haben. Im Mai vereinbarten Schloter und Isabelle F. eine Auszeit. Er lebte weiterhin im gemeinsamen Haus in Villars-sur-Glâne vor den Toren Freiburgs, sie ging für ein Sabbatical nach Indien. Zweieinhalb Wochen vor Schloters Tod kehrte sie zurück.

Dem Swisscom-Chef fehlten Ankerpunkte im Leben

Keine stabile Partnerschaft, die Kinder nur noch alle 14 Tage, eine unsichere berufliche Zukunft, niemand, dem er sein Herz ausschütten konnte – dem 49-Jährigen fehlten die Ankerpunkte. Ein eigenes Büro hatte Schloter seit Jahren nicht mehr, er arbeitete mobil und in Sitzungszimmern. Auf seine ständige Erreichbarkeit per Handy, SMS und E-Mail war er stolz.

In seiner Freizeit tröstete sich Schloter mit Sport: Fahrradfahren und Joggen, Skifahren und Snowboarden. So konsequent wie im Job war er auch im Sport: Schloter nahm teil am Fahrradrennen „Tortour“ und, zusammen mit Schaeppi und Finanzchef Mario Rossi, an der Skitour „Patrouille des Glaciers“ – beides äußerst harte Wettbewerbe. „Das Einzige, was zählt, ist, dass man wirklich an die eigenen Grenzen geht. Wo man damit endet, ist eigentlich vollkommen egal“, sagte er im Sommer vergangenen Jahres im „Bilanz“-Interview. „Du rennst vor dir selbst weg“, warf ihm einer seiner Freunde daraufhin an den Kopf.

So trainiert Schloter auch war: Die Belastung als Swisscom-Chef, die persönliche Unzufriedenheit und die ständigen Scharmützel nagten schließlich an seiner Gesundheit. Seit Frühling dieses Jahres litt er zunehmend an Schlafstörungen, wie er mindestens einem Managerkollegen anvertraute. Anderen Führungskräften der Swisscom fiel auf, dass der Chef, der früher vor Energie sprühte, bisweilen zusammengesunken in einer Ecke sass. Ein Freund bemerkte im Sommer, dass der sonst so eloquente Schloter auffallend lange Denkpausen beim Reden einlegte.

Schwierigkeiten, zur Ruhe zu kommen

In einem Interview mit der Schweizer Zeitung „Sonntag“ sprach Schloter im Mai offen vom Druck, der auf ihm lastete: „Ich stelle bei mir fest, dass ich immer größere Schwierigkeiten habe, zur Ruhe zu kommen, das Tempo herunterzunehmen“, sagte er. „Es kommt irgendwann ein Punkt, wo Sie das Gefühl bekommen, nur noch von einer Verpflichtung zur nächsten zu rennen. Das schnürt Ihnen die Kehle zu.“

Beim Swiss Economic Forum in Interlaken einen Monat später referierte er über die Schwierigkeiten, die „Work-Life-Balance“ zu halten – das Thema hatte er sich selbst ausgesucht. Engen Mitarbeitern fiel auf, dass Schloter in den letzten Monaten in der Führung softer wurde – weniger konsequent, weniger fordernd. „Er brauchte seine Energie zunehmend nach oben, statt sie seinen Mitarbeitern weitergeben zu können“, sagt einer aus der Swisscom-Chefetage.

Die Spannungen mit Loosli drangen bis zu Bundesrätin Doris Leuthard vor, als Vorsteherin des „Eidgenössischen Departments für Umwelt, Energie, Verkehr und Kommunikation“ oberste Chefin der beiden Streithähne. Sie sprach Schloter auf die Probleme an. Der aber wollte seinen Präsidenten nicht anschwärzen. Ein enger Freund riet Schloter damals, Looslis Job für sich selbst zu fordern. „Die Hierarchie ist klar“, entgegnete Schloter. Für eine Palastrevolte fehlte ihm der Mut.

Bis Jahresende eine Entscheidung über seinen Weggang

Er suchte nach anderen Auswegen. Im Frühling 2013 traf er einen Headhunter in Deutschland. Ihm legte er das angespannte Verhältnis zu seinem Präsidenten dar. Bis Jahresende wolle er sich entscheiden, ob er die Swisscom verlassen werde, sagte er dem Personalberater.

Am 18.  Juni, fünf Wochen vor seinem Tod, traf sich Schloter mit dem befreundeten Chef eines Schweizer Mittelständlers im Restaurant „Casa Novo“ in Bern. Während des dreistündigen Abendessens redete er freimütig. Der Leidensdruck war inzwischen unerträglich, die weitere Zusammenarbeit mit seinem Präsidenten bereits undenkbar. Schloter suchte nun doch die Machtprobe: „I want to have a shoot-out“, er wolle ein Duell wie im Western, sagte er dem Freund.

Schloters Chancen wären nicht einmal schlecht gewesen. Bundesrätin Leuthard hatte ihm die Tür bereits geöffnet. Auch die Zahlen sprachen für ihn. Die öffentliche Meinung hätte der charismatische und rhetorisch brillante Swisscom-Chef sowieso hinter sich gehabt. Es gibt Vorstandschefs in der Schweiz, die ein Duell mit ihren Präsidenten aus deutlich schlechteren Ausgangssituationen gewonnen haben.

Er trieb seine berufliche Zukunftsplanung voran

Warum Schloter den entscheidenden Zweikampf dann doch nicht forcierte, ist nicht bekannt. Klar ist aber: Der Swisscom-Chef trieb in den Wochen vor seinem Tod seine berufliche Zukunftsplanung voran. Im Juni kontaktierte er mindestens zwei weitere Headhunter. Einen kannte er seit Jahren, mit dem zweiten, einem Schwergewicht der Szene, hatte er geschäftlich noch nicht zu tun gehabt.

Mit beiden diskutierte er seine Jobperspektiven: Ein mittelständisches Unternehmen in der Größenordnung von 800 bis 1000 Mitarbeitern könnte er sich vorstellen, vielleicht auch kleiner, wenn möglich in der Schweiz. Mit einem anderen Vertrauten sprach er in derselben Zeit über ein Jobangebot als Senior Partner einer Strategieberatung im Silicon Valley. Doch der Wechsel in die USA kam für ihn nicht infrage, weil er seine Kinder dann kaum mehr gesehen hätte.

Hoffnungen machte er sich hingegen auf ein Projekt, das ihn persönlich faszinierte: ein Joint Venture zwischen dem Schweizer Fahrradhersteller BMC/Stromer, der Swisscom, Google und dem amerikanischen Elektroautohersteller Tesla. „Smart Mobility“ ist das Thema, die Kombination von Informationstechnologie und E-Bikes. Die Markteinführung ist für 2014 geplant, 120 bis 150 Mitarbeiter soll das mittelständische Gemeinschaftsunternehmen in der Anfangsphase beschäftigen.

Die Idee, sein Hobby zum Beruf zu machen

„Carsten brachte viel Wissen und Herzblut in das Projekt ein“, sagt Thomas Binggeli, Chef von BMC, ein enger Freund, der Schloter auf Radtouren begleitet hat. Schloter sah sich als potenziellen Chef der neuen Firma. Er hätte sein Hobby zum Beruf machen, seine Visionen und seine IT-Kompetenz einbringen können, etwas Nachhaltiges getan.

Anfang Juli hatte sich Schloter entschieden, die Swisscom sofort zu verlassen: „Wenn ich aus dem Urlaub zurückkomme, werde ich kündigen“, erzählte er vor seiner Abreise nach Lenzerheide einem Vertrauten. Innerlich hatte er da schon gekündigt. „Es macht keine Freude mehr“, sagte er. Wenige Tage vor seinem Tod informierte er einen anderen Vertrauten. Da war er bereits weitergereist nach Zermatt. In seiner Ferienwohnung verbrachte er die letzte Woche seines Lebens mit den drei Kindern. „Er wirkte sachlich, gar nicht bedrückt“, erinnert sich ein Gesprächspartner.

Am Montag, nachdem Schloter aus Zermatt zurückgekommen war und die Kinder zurück zu seiner Frau gebracht hatte, ist Isabelle F. nicht zu Hause. Schloter geht nicht ins Büro, reicht nicht die Kündigung ein. Am nächsten Morgen um sieben Uhr findet ihn die Putzfrau in seinem Haus tot auf. Die Schweizer Tageszeitung „Le Matin“ schreibt, er habe sich erhängt.

Zukunftsangst? Einsamkeit? Erschöpfung? Schuldgefühle? Was der Auslöser ist für Carsten Schloters letzte Entscheidung, wird niemand je wissen. Auch in dem kurzen Abschiedsbrief an Freundin und Frau gibt Schloter entgegen anderslautenden Berichten keine Gründe für seinen Suizid an. Er schreibt nur, er wolle niemandem zur Last fallen.

Der Autor ist stellvertretender Chefredakteur der „Bilanz“. Der hier abgedruckte Artikel ist eine leicht veränderte Fassung der Titelgeschichte, die das Schweizer Wirtschaftsmagazin zuvor veröffentlichte. Die „Bilanz“ gehört wie die „Welt“ zur Axel Springer AG.

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