23.08.2013 Aufrufe

GESCHICHTESPAZIERGANG „Auf den Spuren jüdischen ... - Erinnern

GESCHICHTESPAZIERGANG „Auf den Spuren jüdischen ... - Erinnern

GESCHICHTESPAZIERGANG „Auf den Spuren jüdischen ... - Erinnern

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Mag. Petra Stein:<br />

Abschlussarbeit an der Pädagogischen Hochschule Linz zum Lehrgang<br />

„Pädagogik an Gedächtnisorten“ im WS 2008/09 und SS 2009<br />

Betreuer: Dr. Christian Angerer und Dr. Werner Dreier<br />

verfasst im Sommer 2009<br />

<strong>GESCHICHTESPAZIERGANG</strong><br />

<strong>„Auf</strong> <strong>den</strong> <strong>Spuren</strong> <strong>jüdischen</strong> Lebens<br />

im Brunnenviertel in Wien-Ottakring“


INHALT<br />

1. Vorwort ........................................................................................................................................... 5<br />

2. Pädagogischer Rahmen ................................................................................................................... 7<br />

2.1 Pädagogische Zielsetzung.............................................................................................................. 7<br />

2.2 Verknüpfung mit Prinzipien der Holocaust Education .................................................................. 8<br />

2.3 Hintergrundsituation mit der betreffen<strong>den</strong> Klasse....................................................................... 9<br />

2.3.1 Ausstellung „Das Dreieck meiner Kindheit. Herklotzgasse 21 und die <strong>jüdischen</strong> Räume in<br />

einem Wiener Grätzel“.................................................................................................................... 9<br />

2.3.2 Lektüre von „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ .............................................................. 12<br />

3. Geschichte Ottakrings ................................................................................................................... 13<br />

3.1 Entstehung Ottakrings................................................................................................................. 13<br />

3.2 Die jüdische Bevölkerung in Ottakring und ihre religiösen Orte............................................... 14<br />

4. Stationen des Geschichtespaziergangs <strong>„Auf</strong> <strong>den</strong> <strong>Spuren</strong> <strong>jüdischen</strong> Lebens im Brunnenviertel in<br />

Wien-Ottakring“ .................................................................................................................................... 16<br />

4.1 Ludo-Hartmann-Platz 4: Arik (Erich) Brauer............................................................................... 16<br />

4.1.1 Lebensgeschichte ................................................................................................................. 17<br />

4.1.2 Ideen zur Gestaltung der Station.......................................................................................... 19<br />

4.2. Thaliastraße – nahe dem Gürtel: Chaim Miller (Fredl Müller)................................................... 22<br />

4.2.1 Lebensgeschichte ................................................................................................................. 23<br />

4.2.2 Ideen zur Gestaltung der Station.......................................................................................... 24<br />

4.3 Brunnengasse 40: Edith Arlen Wachtel, Walter Arlen und das Kaufhaus der Familie Dichter .. 25<br />

4.3.1 Das Kaufhaus Dichter ........................................................................................................... 25<br />

4.3.2 Lebensgeschichten von Walter Arlen und Edith Arlen Wachtel .......................................... 28<br />

4.3.2.1 Edith Arlen Wachtel....................................................................................................... 29<br />

4.3.2.2 Walter Arlen .................................................................................................................. 30<br />

4.3.3 Kunst, Geschichte, Ge<strong>den</strong>ken und Stadtteilarbeit .............................................................. 33<br />

4.3.4 Ideen zur Gestaltung der Station......................................................................................... 38<br />

Exkurs1: Grundsteingasse 29 – 31: Grundsteinhof ....................................................................... 40<br />

Exkurs 2: Grundsteingasse10......................................................................................................... 40<br />

4.4 Die Synagoge in der Hubergasse 8 .............................................................................................. 41<br />

4.4.1 Menschen............................................................................................................................. 42<br />

4.4.2 Geschichte ............................................................................................................................ 44<br />

2


4.4.3 Architektur............................................................................................................................ 45<br />

4.4.4 Ideen zur Gestaltung der Station.......................................................................................... 47<br />

4.5. Stein der Erinnerung an Kálmán und Elisabeth Klein................................................................. 49<br />

4.5.1 Ideen zur Gestaltung der Station.......................................................................................... 51<br />

4.6 Die „Ewigkeitsgasse“ ................................................................................................................... 52<br />

4.6.1 Geschichte Frederic Mortons und der Familie Mandelbaum ............................................. 56<br />

4.6.2 Ideen zur Gestaltung der Station.......................................................................................... 59<br />

4.7 Schuhmacherfamilie Waldinger aus der Neulerchenfelderstraße 5........................................... 61<br />

4.7.1 Ernst Waldinger.................................................................................................................... 62<br />

4.7.2 Theo Waldinger .................................................................................................................... 65<br />

4.7.3 Ideen zur Gestaltung der Station.......................................................................................... 66<br />

5. Materialsammlung ........................................................................................................................ 69<br />

5.1 Material zu Arik Brauer ............................................................................................................... 69<br />

5.1.1 Wikipedia-Artikel über Arik Brauer ...................................................................................... 69<br />

5.1.2 Biograpie Arik Brauers.......................................................................................................... 73<br />

5.1.3 Gespräch mit Arik Brauer, Judaistik-Institut......................................................................... 75<br />

5.1.4 Interview mit Arik Brauer, Wiener Zeitung ......................................................................... 78<br />

5.1.5 Interview „Der Antisemitismus ist auch nicht mehr, was er einmal war“, NU ................... 83<br />

5.1.6 Textauszüge aus „Die Farben meines Lebens“..................................................................... 91<br />

5.2. Material zu Chaim Miller.......................................................................................................... 105<br />

5.2.1 Profil-Artikel „Aktion Nakam“ ............................................................................................ 105<br />

5.2.2 Kantara-Artikel „Wir wollten Rache“.................................................................................. 113<br />

5.3 Material zur Familie Dichter..................................................................................................... 118<br />

5.3.1 Falter-Interview mit Walter Arlen ...................................................................................... 118<br />

5.3.2 Biographischer Artikel von Edith Arlen Wachtel ................................................................ 124<br />

5.3.3 Biographischer Artikel von Walter Arlen............................................................................ 131<br />

5.4. Material zur Synagoge in der Hubergassse .............................................................................. 141<br />

5.4.1 „Die Synagoge in der Hubergasse“..................................................................................... 141<br />

5.4.2 „Die Rekonstruktion der Synagoge in der Hubergasse“..................................................... 143<br />

5.5 Material zum Stein der Erinnerung für Kalman und Elisabeth Klein......................................... 146<br />

5.5.1 Rede von Nelly Sturm bei der Eröffnung............................................................................ 146<br />

5.5.2 Meine Eltern.Text von Nelly Sturm .................................................................................... 147<br />

5.6 Material zu Frederic Morton (Fritz Mandelbaum) .................................................................... 149<br />

3


5.6.1 Wikipedia-Artikel über Frederic Morton............................................................................ 149<br />

5.6.2 „Etwas Süßes für die schwere Reis’“ von Frederic Morton................................................ 151<br />

5.6.3 „Frederic Morton, ein Amerikaner mit Wiener Herkunft“ von Helga Häupl-Seitz............ 153<br />

5.6.4 Lebenslauf von Frederic Morton........................................................................................ 158<br />

5.6.5 „Vom Türkenplatzl zur Thelemanngasse“. Interview mit Frederic Morton ...................... 159<br />

5.7 Material zu Ernst und Theo Waldinger...................................................................................... 164<br />

5.7.1 Wikipedia-Artikel über Ernst Waldinger............................................................................ 164<br />

5.7.2 Bio-/Bibliographie über Ernst Waldinger, Literaturhaus Wien .......................................... 166<br />

5.7.3 Gedichte von Ernst Waldinger............................................................................................ 171<br />

5.7.3.1 „Die kuehlen Bauernstuben“ (Typoskript) .................................................................. 171<br />

5.7.3.2 „Haus Nr. 5“ (Typoskript) ........................................................................................... 172<br />

5.7.3.3 „Der Fünfer-Wagen“ (Typoskript) ............................................................................... 173<br />

5.7.3.4 „Bettel-Wien“ (Typoskript)......................................................................................... 174<br />

5.7.3.5 „An einen Freund im KZ“............................................................................................. 175<br />

5.7.3.6 Gedicht „Hof in Neulerchenfeld“ ................................................................................ 176<br />

5.7.3.7 „Liebhartsthal“ ............................................................................................................ 177<br />

5.7.3.8 „Wiener Elendsviertel“................................................................................................ 178<br />

5.7.4 Auszüge aus „Zwischen Ottakring und Chicago“................................................................ 179<br />

6 Verzeichnis der verwendeten Literatur, Fußnoten, Stadtplan................................................... 187<br />

4


1. Vorwort<br />

„Grab, wo du stehst!“ bzw. „Dig where you stand“ ist eine wichtige Maxime der<br />

Alltagsgeschichte, die für mich bei dieser Abschlussarbeit im Vordergrund steht. Seit<br />

sechs Jahren wohne ich mit meinem Mann nun im Wiener Brunnenviertel, das an<br />

<strong>den</strong> Gürtel grenzt und somit <strong>den</strong> 16. Bezirk (Ottakring) an einer Seite abschließt. Die<br />

anderen Bezirksgrenzen wer<strong>den</strong> durch <strong>den</strong> Wienerwald, <strong>den</strong> 15. bzw. <strong>den</strong> 17.<br />

Bezirk gebildet. Begrenzt wird das Brunnenviertel von Lerchenfelder Gürtel,<br />

Veronikagasse, Ottakringer Straße, Hubergasse, Kirchstetterngasse und<br />

Thaliastraße.<br />

Das Gebiet ist ein traditioneller Arbeiterbezirk; die Mehrzahl der Gebäude wurde für<br />

die Arbeitskräfte, die im Zuge der Industrialisierung nach Wien gekommen sind,<br />

errichtet. Die ökonomische Situation des Viertels ist ten<strong>den</strong>ziell schwach; heute leben<br />

viele alte Menschen hier, was die hohe Zahl an Kleinhaushalten erklärt. Ferner ist<br />

das Viertel von einem hohen AusländerInnenanteil (41%) geprägt, insgesamt leben<br />

hier rund 7.000 Menschen. 1<br />

Die pulsierende Hauptader des Viertels ist der Markt in der Brunnengasse, der<br />

„Brunnenmarkt“ 2 – einer von Europas längsten Straßenmärkten, heute ein<br />

Schmelztiegel der Kulturen, ein Treffpunkt von Orient und Okzi<strong>den</strong>t.<br />

5<br />

Brunnenmarkt 3


Sich hier auf die Suche nach <strong>jüdischen</strong> <strong>Spuren</strong> zu machen, könnte manchem als<br />

aussichtsloses Unterfangen erscheinen. Viele wür<strong>den</strong> <strong>den</strong> zweiten Wiener<br />

Gemeindebezirk – die Leopoldstadt – dafür empfehlen. Doch bin ich bzw. ist mein<br />

Mann im Laufe unseres Wohnens hier nicht nur auf <strong>den</strong> einen oder anderen<br />

<strong>jüdischen</strong> Händler gestoßen 4 , sondern auch auf „Standler“ mit antisemitischen<br />

Ten<strong>den</strong>zen 5 . Nach und nach habe ich immer mehr <strong>Spuren</strong> und Schichten<br />

verschwun<strong>den</strong>en und vergessenen <strong>jüdischen</strong> Lebens entdeckt, so dass es mir nun<br />

zu einem echten Bedürfnis gewor<strong>den</strong> ist, diese Puzzlesteine zu einem<br />

Geschichtespaziergang zusammenzustellen. Ein erst vor wenigen Wochen von mir in<br />

einem Buch entdecktes Foto 6 eines koscheren Fleischers in der Grundsteingasse 12<br />

aus dem Jahre 1900 (siehe Geschäftsschild in hebräischen Lettern am linken<br />

Bildrand) illustriert das Titelblatt der Arbeit: So zufällig wie dieses Bild habe ich auch<br />

etliche andere <strong>Spuren</strong> gefun<strong>den</strong>, die Stationen auf dem Rundgang bil<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>.<br />

6


2. Pädagogischer Rahmen<br />

2.1 Pädagogische Zielsetzung<br />

Nicht ein fertig aufbereiteter Rundgang soll das Endprodukt sein, vielmehr möchte ich<br />

das mir als relevant erscheinende Material so weit aufbereiten und mit Ideen<br />

ergänzen, dass SchülerInnen und Schüler einer von mir unterrichteten 3. (oder auch<br />

höheren) Klasse daraus eine von ihnen geführte und moderierte <strong>Spuren</strong>suche<br />

gestalten können, bei der sie ihr Wissen anhand von kleinen Referaten präsentieren<br />

können. Einzelne Stationen können durchaus auch weggelassen wer<strong>den</strong>, auf Ideen<br />

für Anschlussprojekte bzw. für ältere Jugendliche soll an geeigneter Stelle verwiesen<br />

wer<strong>den</strong>. Ich stelle mir vor, dass eine „offene Mappe“ entsteht, die durch neue<br />

Entdeckungen oder auch die Arbeit anderer Lehrer des Gymnasiums, in dem ich<br />

unterrichte (BgGrgOrg Maroltingergasse in Wien-Ottakring), angereichert wer<strong>den</strong><br />

kann.<br />

Welche Elemente aus dem Ganzen verwendet wer<strong>den</strong> sollen, welche Form die<br />

Arbeit damit annehmen soll, kann und soll durchaus von <strong>den</strong> Interessen, Fähigkeiten<br />

und vom Alter der SchülerInnen abhängen. Meine Abschlussarbeit verstehe ich als<br />

Grundlagenarbeit, die für Weiterentwicklungen offen sein soll. Material zu <strong>den</strong><br />

einzelnen Stationen soll im Anhang - so weit wie möglich – zur Verfügung stehen, so<br />

dass jede/r LehrerIn selbst entschei<strong>den</strong> kann, ob <strong>den</strong> SchülerInnen nur die<br />

Zusammenfassung in meiner Arbeit oder ergänzende Materialien aus dem Anhang<br />

(Kurztexte oder Langtexte) zur Station zur Verfügung stehen sollen.<br />

Als Arbeitszeit schlage ich drei bis sechs Vorbereitungsstun<strong>den</strong> in der Schule vor,<br />

bevor die Referate an <strong>den</strong> Stationen präsentiert wer<strong>den</strong> können. Bei älteren<br />

SchülerInnen würde ich das Recherchieren selbst zu einer Aufgabe machen, so dass<br />

der Lehrer das in der Mappe enthaltene Material zur eigenen Hintergrundinformation<br />

behält bzw. nur teilweise zur Verfügung stellt. Für die von mir ausgewählte Klasse<br />

von 12- bzw. 13-Jährigen und <strong>den</strong> mir zur Verfügung stehen<strong>den</strong> Zeitraum eignet es<br />

sich am besten, kürzere Texte und Hinweise zu Hörtexten zur Verfügung zu stellen.<br />

7


Literaturhinweise zu autobiographischen Büchern können für Oberstufenschüler<br />

bzw. bei besonderem Interesse Anreize für Referate darstellen.<br />

Fächerübergreifende Anschlussmöglichkeiten nach dem Geschichtespaziergang<br />

selbst könnten bei der Arbeit mit älteren SchülerInnen das Gestalten einer<br />

Ausstellung (Bildnerische Erziehung, Werken, Deutsch, Geschichte, Religion, Musik)<br />

bzw. in weiterer Zusammenarbeit mit dem Fach Informatik die Herausgabe eines<br />

Führers zum Geschichtespaziergang sein. Je nach gewählten Stationen und<br />

Interessen der SchülerInnen kann es zu Vertiefungen in Deutsch (z. B. Gedichte<br />

Ernst Waldingers, biographischer Text von Arik Brauer, Romane von Frederic<br />

Morton), in Musik (z. B. Austropop am Beispiel Arik Brauer), Bildnerische Erziehung<br />

(Wiener Schule des Phantastischen Realismus – Arik Brauer, Museums- bzw.<br />

Ausstellungsbesuch), Religion (jüdische Bräuche, Feste, Synagogenbesuch…)<br />

kommen. Die noch leben<strong>den</strong> Personen könnten – so weit in Wien verfügbar - vor<br />

oder nach dem Geschichtespaziergang in die Schule zu Zeitzeugengesprächen<br />

eingela<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>. Denkbar wäre auch die Begleitung beim Rundgang selbst.<br />

2.2 Verknüpfung mit Prinzipien der Holocaust Education<br />

Wie soll man heute SchülerInnen <strong>den</strong> Holocaust vermitteln? Zentrale Prinzipien der<br />

Holocaust Education sind unter anderem die Darstellung am Einzelfall und das<br />

Nichtreduzieren der <strong>jüdischen</strong> Schicksale auf <strong>den</strong> Holocaust, das Leben davor und<br />

danach soll genauso betrachtet wer<strong>den</strong>. Altersadäquat soll die Vermittlung sein. Wie<br />

eine Spirale soll früh mit Einzelschicksalen begonnen wer<strong>den</strong>, dann erst soll es<br />

Erweiterungen zu Familien, Gemeindeleben bzw. Gesellschaft geben und erst später<br />

zur Vermittlung der Geschichte/der Fakten kommen. 7<br />

Insofern scheint es mir sehr geeignet, die Stationen mit <strong>den</strong> Lebensgeschichten<br />

einzelner Menschen zu verbin<strong>den</strong>, diese aber wenn möglich auch mit künstlerischen<br />

oder autobiographischen Äußerungen dieser Personen anzureichern. Im Fall der<br />

Familie Dichter wird auch auf die Geschichte des Hauses einzugehen sein, an ihr<br />

kann exemplarisch auf das Thema Arisierung eingegangen wer<strong>den</strong>. Eine für das<br />

Brunnenviertel charakteristische Verbindung von Geschichte mit künstlerischem<br />

8


Schaffen der hier leben<strong>den</strong> Artisten soll in meiner Arbeit ebenso Beachtung fin<strong>den</strong>.<br />

Menschliche Elementarereignisse wie Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Beten sollen<br />

anhand der Lebensgeschichten mit Orten verknüpft wer<strong>den</strong>.<br />

2.3 Hintergrundsituation mit der betreffen<strong>den</strong> Klasse<br />

2.3.1 Ausstellung „Das Dreieck meiner Kindheit. Herklotzgasse 21 und die <strong>jüdischen</strong><br />

Räume in einem Wiener Grätzel“<br />

„Das Dreieck meiner Kindheit. Herklotzgasse 21 und die <strong>jüdischen</strong> Räume in einem<br />

Wiener Grätzel“ war der Titel einer Ausstellung, die ich mit 26 SchülerInnen der 2 D<br />

am 25. November 2008 im Haus Herklotzgasse 21 im 15. Wiener Gemeindebezirk<br />

(U6-Station Gumpendorferstraße) besuchte. Passend für die Altersgruppe der<br />

Zwölfjährigen wurde hier der Zugang über eigene Erinnerungsgegenstände und die<br />

Geschichte(n), die diese erzählen, gewählt. Dieser Einstieg wurde im Rahmen eines<br />

Diskussionsraums erarbeitet, dann wurde mit <strong>den</strong> eigenen<br />

Erinnerungsgegenstän<strong>den</strong> und <strong>den</strong> Notizen dazu eine kleine Ausstellung gestaltet.<br />

Anschließend wurde die Brücke zu <strong>den</strong> Erinnerungsgegenstän<strong>den</strong> der <strong>jüdischen</strong><br />

Kinder, die im Haus Herklotzgasse 21 <strong>den</strong> Kindergarten besucht hatten<br />

(Zeichnungen, Briefe, Fotos etc.) geschlagen und so die Thematik „Jüdisches Leben<br />

und dessen Verschwin<strong>den</strong> in dieser Gegend“ eröffnet.<br />

Von <strong>den</strong> ca. 15 Themenbereichen, die mit Text- und Bilddokumenten sowie auf<br />

Video-Hör-Stationen aufgezeichneten Interviews von Menschen, die als Kinder bzw.<br />

Jugendliche mit diesem Haus/dieser Gegend zu tun hatten, ausgestaltet sind,<br />

wur<strong>den</strong> <strong>den</strong> Zwölfjährigen aber nur sieben ausgewählte Bereiche vorgestellt und<br />

dialogisch erarbeitet, häufig wurde hierbei der Einstieg über Objekte gewählt:<br />

1. der Kindergarten in der Herklotzgasse 21 (Taschen, Zeichnungen…)<br />

2. Aktivitäten und jüdisches Vereinsleben in der Herklotzgasse 21 (Turnen,<br />

Suppenküche)<br />

3. Fluchtwege (Briefe, Fotos)<br />

9


4. Jüdisches Geschäftsleben und Arisierung<br />

5. Vernichtungslager (Uhr des Großvaters als einzige Erinnerung)<br />

6. der Turnertempel als religiöses Zentrum der Gemeinde<br />

7. die Storchenschul als orthodoxes Bethaus in Sechshaus und die Familie des<br />

Rabbiners Aron Weiss<br />

Für die Vertiefung in die einzelnen Themenbereiche und die Erschließung neuer<br />

Stationen stan<strong>den</strong> <strong>den</strong> Kindern 20 Minuten zur freien Verfügung, wobei sie fakultativ<br />

folgende Fragen (Handout) beantworten konnten: Welches Thema steht bei diesem<br />

Video im Mittelpunkt? Was ist neu für dich? Was ist überraschend? Welche<br />

Erinnerungsgegenstände sind dir aufgefallen und warum? Beschreibe sie kurz?<br />

Die Kinder zeigten großes Interesse am Anhören (bzw. –sehen) der Interviews<br />

mittels Kopfhörer und Videoprojektionen, weitere Interviews stan<strong>den</strong> am Computer<br />

zur Verfügung. Meine begleitende Kollegin schilderte mir, dass besonders die Station<br />

Vernichtungslager sehr stark frequentiert wurde und es dort zu Stausituationen kam.<br />

Den Abschluss des Vormittags bildete ein offener Diskussionsraum, in dem<br />

Eindrücke und noch offene Fragen offen diskutiert wer<strong>den</strong> konnten. Für mich war das<br />

ein sehr spannender Vormittag, der mir Wege zeigte, wie man auch mit Kindern<br />

erstmalig an die Thematik Holocaust herangehen kann. Das Vermittlungsprogramm<br />

von Frau Mag. Alexandra Zaharansky und ihrem Team halte ich für sehr gelungen.<br />

Teile des Projekts sowie einige Fotos von unserer Gruppe sind auf der<br />

Projekthomepage 8 zugänglich, die Publikation zur Ausstellung 9 ist sehr lesenswert.<br />

10


11<br />

2D-Lehrausgang


2.3.2 Lektüre von „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“<br />

Ein halbes Jahr nach dem Besuch der Ausstellung - es ging dann schon dem<br />

Schulende zu – begann ich mit <strong>den</strong> Kindern mit der Lektüre des autobiographischen<br />

Jugendbuchs „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ von Judith Kerr 10 . Anfangs stellte<br />

ich <strong>den</strong> Kindern die Frage, was ich wohl damit meinte, dass sich nun der Kreis<br />

schließe, wenn man das Schuljahr als solches betrachte. Einigen war schon nach<br />

wenigen Seiten Lektüre klar, dass das alte, schmutzige, ausgebleichte „rosa<br />

Kaninchen“ ein Erinnerungsgegenstand der Protagonistin Anna war, <strong>den</strong> sie aber bei<br />

ihrer Flucht nach einer schwierigen Situation der Entscheidungsfindung zugunsten<br />

des neuen und sauberen Stoffhündchens zurückließ.<br />

Als Ergänzung zum Buch spielte ich dann mit <strong>den</strong> SchülerInnen Dilemmasituationen<br />

durch: Welche zwei Gegenstände würde ich als auf eine Flucht mitnehmen wollen?<br />

Für welchen würde ich mich entschei<strong>den</strong>? 11 Warum? Die SchülerInnen sollten ihre<br />

Erwägungen schriftlich festhalten und bei Wunsch der Klasse vorstellen. Da es sich<br />

bei der Protagonistin um ein 10-jähriges Mädchen und ihren etwas älteren Bruder<br />

handelt, es auch eine Überlebensgeschichte darstellt, finde ich es als Einstiegswerk<br />

für Unterstufenklassen sehr geeignet.<br />

12


3. Geschichte Ottakrings<br />

3.1 Entstehung Ottakrings<br />

Ottakring 12 wurde im Jahre 1150 erstmals in einer Schenkungsurkunde erwähnt: ein<br />

Weingarten in „Otachringen wurde dem Stift St. Peter in Salzburg geschenkt. Erste<br />

Häuser wur<strong>den</strong> zwischen Ottakringer Bach und Ameisbach gebaut (rund um die<br />

Lambertkirche), nach und nach entstand entlang des zuerst Genannten ein von<br />

Weinbau und Milchwirtschaft lebender Ortsteil („Altottakring“). Nach der 2.<br />

Türkenbelagerung 1683 entstand eine weitere Siedlung, ursprünglich „Unter-<br />

Ottakring“, später „Neulerchenfeld“ genannt. Als Folge des Brandes 1835 in<br />

Altottakring, bei dem 53 Häuser im Altottakringer Ortskern vernichtet wur<strong>den</strong>,<br />

entstand zwischen Neulerchenfeld und Altottakring „Neuottakring“, ein Handwerker-<br />

und Arbeiterviertel.<br />

Bereits 1871 wurde über die Eingemeindung dieser Vororte nach Wien diskutiert. Die<br />

Bevölkerung, insbesondere jene von Neulerchenfeld weigerte sich aber nicht ohne<br />

Grund rund 20 Jahre: In Neulerchenfeld gab es wegen der in <strong>den</strong> Vororten – so auch<br />

Neulerchenfeld - nicht gelten<strong>den</strong> Wiener Verzehrsteuer von 20 % und der daraus<br />

folgen<strong>den</strong> niedrigen Preise in dieser Gegend noch immer sehr viele Gasthäuser –<br />

sodass man Ottakring als „das größte Wirtshaus Wiens“ bezeichnete. Schon um<br />

1800 hatte man Neulerchenfeld das „größte Gasthaus des Heiligen Römischen<br />

Reichs“ genannt - rund 86 von 153 Häusern hatten als Gastwirtschaften gedient,<br />

weitere 13 zeitweise. Der Kompromiss war, die Verzehrsteuerlinie an die äußere<br />

Grenze zu verlegen, so dass die Bevölkerung <strong>den</strong> Widerstand aufgab und ein mit 1.<br />

Jänner 1892 geltendes Gesetz die Eingemeindung der Dörfer Neulerchenfeld und<br />

Ottakring als 16. Wiener Gemeindebezirk vornahm. Alle neuen Bezirke (neben<br />

Ottakring auch Heiligenstadt, Gersthof, Döbling, Währing, Hernals, Breitensee,<br />

Penzing und Hütteldorf) wur<strong>den</strong> durch zwei neue Bahnlinien verbun<strong>den</strong>. Entlang des<br />

Gürtels entstand die von Otto Wagner geplante Stadtbahn auf <strong>den</strong> Überresten des<br />

früheren Linienwalls.<br />

13


3.2 Die jüdische Bevölkerung in Ottakring und ihre religiösen Orte<br />

Seit dem Jahr 1848 durften sich Ju<strong>den</strong> in Niederösterreich ansiedeln. 1873<br />

schlossen sich die Ottakringer Israeliten mit <strong>den</strong> Hernalser und Neulerchenfelder<br />

Israeliten zu einer Kultusgemeinde zusammen 13 , die bei der Eingemeindung<br />

Ottakrings nach Wien in der Israelitischen Kultusgemeinde Wien aufging, die seit 167<br />

bestand. 1914 gab es im 16. Bezirk Ottakring schon 4.500 Ju<strong>den</strong>, im Zuge des 1.<br />

Weltkriegs stieg die Zahl auf über 5.000 an. 1935 gehörten der IKG Wien 170.000<br />

Mitglieder an, rund 4.000 davon wohnten in Ottakring.<br />

Die von <strong>den</strong> Nationalsozialisten am 17. Mai 1939 vorgenommene Zählung der<br />

<strong>jüdischen</strong> 14 Bevölkerung Ottakrings ergab 1653 „Glaubensju<strong>den</strong>“ (= Mitglieder der<br />

Israelitischen Kultusgemeinde), 221 „Vollju<strong>den</strong>“ (= Menschen mit drei oder vier<br />

Großeltern <strong>jüdischen</strong> Glaubens), 833 „Mischlinge 1. Grades“ (= Menschen mit zwei<br />

<strong>jüdischen</strong> Großeltern) und 416 „Mischlinge 2. Grades“ (= Menschen mit einem<br />

<strong>jüdischen</strong> Großelternteil). 15 Unter <strong>den</strong> Ottakringer Ju<strong>den</strong> waren Ärzte, die sofort<br />

Berufsverbot erhielten, und andere akademische Berufe genauso vertreten wie<br />

Straßenbahner und Metallarbeiter. Jüdische Besitzer von Geschäften, Firmen,<br />

Marktstandeln auf dem Brunnenmarkt oder kleine Flickschuster usw. wur<strong>den</strong> meist in<br />

der Form enteignet, dass sie ihr Eigentum verkaufen mussten, das Geld aber nicht<br />

bekamen, weil es auf einem Sperrkonto lag. Arisiert wur<strong>den</strong> neben der Ottakringer<br />

Brauerei der <strong>jüdischen</strong> Familie Kufner die Apotheken in der Hasnerstraße 29,<br />

Herbststraße 99 und Johann-Nepomuk-Berger-Platz 2 sowie vier Ottakringer Kinos<br />

(Weltspiegel, Lerchenfelder Gürtel 55; Lux, Neulerchenfelder Straße 43; Ottakringer<br />

Straße 133; Savoy, Thaliastraße 28). 16 Wie überall in Wien wur<strong>den</strong> auch in Ottakring<br />

Wohnungen geplündert und zerstört. 1988 wohnten in Ottakring nur mehr 35<br />

jüdische Familien. 17 Neben der in der „Reichskristallnacht“ zerstörten Synagoge in<br />

der Hubergasse 8, auf die ich bei der Behandlung der ihr gewidmeten Station noch<br />

genauer eingehen möchte, gab es in Ottakring noch weitere Bethäuser, die in dieser<br />

Nacht geplündert und zerstört wur<strong>den</strong> 18 :<br />

• In der Neulerchenfelderstraße 64 existerte das Bethaus „Scheweth Achim“ (=<br />

Gemeinschaftliche Brüderlichkeit), der Obmann hieß S. Einleger.<br />

14


• In der Thelemanngasse 8, die auch Teil einer Station sein wird und an dieser<br />

Stelle noch genauer behandelt wird, gab es das Vereinsbethaus Gemilath<br />

Chesed („Man übt Gnade“), das sich im Haus von Bernhard Mandelbaum<br />

(Fabriksbesitzer und Großvater des Schriftstellers Frederic Morton) befand.<br />

Obmann war Julius Kruppnik, Rabbiner Markus Leib Habermann.<br />

• In der Lindauergasse 5 befand sich das Vereinsbethaus „Ahawath Scholaun“<br />

(= Liebe zum Frie<strong>den</strong>), dessen Obmann Moses Huhn war, als Rabbiner<br />

fungierte wiederum Markus Leib Habermann.<br />

• In der Wurlitzergasse 11 sollen sich noch ein jüdischer Wohltätigkeitsverein<br />

und an einer unbekannten Adresse eine Betstube in einem Privathaus<br />

befun<strong>den</strong> haben.<br />

Diese historische Einführung würde ich <strong>den</strong> Kindern beim Geschichtespaziergang<br />

schon anfangs geben, sei es noch in der Schule vor dem Weggehen, sei es bei der<br />

ersten Station als Vorabinformation. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, diese bei<br />

der Synagogen-Station einzubauen.<br />

15


4. Stationen des Geschichtespaziergangs <strong>„Auf</strong> <strong>den</strong> <strong>Spuren</strong> <strong>jüdischen</strong><br />

Lebens im Brunnenviertel in Wien-Ottakring“<br />

„Ju<strong>den</strong> gab es in Ottakring nur wenige: die Dichters etwa, die drüben am Brunnenmarkt ein<br />

Kaufhaus betrieben; <strong>den</strong> Schuhmacher Brauer, dessen Sohn Arik so gut malen konnte – und<br />

eben auch die Müllers, Arbeiter, wie fast alle in dieser ärmlichen Vorstadt.“ 19<br />

Chaim Miller – früher Alfred Müller, genannt Fredl – beschreibt so die Situation in<br />

Wien-Ottakring in <strong>den</strong> 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Mit Stationen zu diesen<br />

drei Familien – Brauer, Müller und Dichter – beginnt der Geschichtespaziergang im<br />

Wiener Brunnenviertel. Ausgehend von der Ausstiegsstelle „Lugner-City„ des 48-A-<br />

Busses an der Grenze zwischen 15. und 16. Bezirk wird der Rundgang entlang der<br />

Achse Brunnengasse durch das Brunnenviertel führen, bis die Grenze zum 17.<br />

Wiener Gemeindebezirk erreicht ist. Zwanzig Meter von der Bushaltestelle entfernt<br />

liegt der Ludo-Hartmann-Platz: Im Haus Nr. 4 auf diesem Platz wohnte die Familie<br />

des heute 80-jährigen Künstlers Arik Brauer.<br />

4.1 Ludo-Hartmann-Platz 4: Arik (Erich) Brauer<br />

Eingangstür und Fassade des Zinshauses, in dem Arik Brauer bis zur NS-Zeit wohnte<br />

16


4.1.1 Lebensgeschichte<br />

Arik Brauer wurde als Sohn eines aus Vilna in Litauen stammen<strong>den</strong> <strong>jüdischen</strong><br />

Schuhmachers in Ottakring geboren und verbrachte im Haus Ludo-Hartmann-Platz<br />

Nr. 4 eine unbeschwerte Kindheit, bis die Nationalsozialisten die Macht auch in<br />

Österreich ergriffen. Heuer (2009) feierte er seinen 80. Geburtstag, weshalb in <strong>den</strong><br />

Medien viel von ihm zu hören war. Er hat sich einen Namen als Maler, Graphiker und<br />

Bühnenbildner, aber auch als Sänger und Dichter gemacht. Im Wiener Dommuseum<br />

am Stephansplatz war bis Juni 2009 seine Ausstellung mit Bildern zu Geschichten<br />

aus dem Alten Testament zu sehen.<br />

Arik Brauer (2009)<br />

Arik Brauer (als junger Künstler)<br />

An dieser Stelle soll ein kurzer Abriss seiner Biographie 20 gegeben wer<strong>den</strong>. Im<br />

Anschluss wird auf verschie<strong>den</strong>e Lese- bzw. Hörtexte verwiesen, die <strong>den</strong> Schülern<br />

zur Bearbeitung zur Verfügung und zur Auswahl stehen sollen:<br />

Arik (eigentlich Erich) Brauer wurde am 4. Jänner 1929 als zweites Kind des 1907<br />

aus Litauen nach Wien emigrierten <strong>jüdischen</strong> Schuhmachers Simche Brauer und<br />

seiner Frau Hermine geboren. Die Herrschaft der Nationalsozialisten beendete seine<br />

17


unbeschwerte Kindheit im Wien der 1930er Jahre. Brauers Vater starb in einem<br />

Konzentrationslager, er selbst besuchte verschie<strong>den</strong>e jüdische Sammelschulen,<br />

arbeitete dann als Tischlergehilfe für die Israelitische Kultusgemeinde (u. a. zimmerte<br />

er begehbare Hühnerstelle für SS-Funktionäre), seiner drohen<strong>den</strong> Deportation<br />

entkam er, weil er sich bis Kriegsende verstecken konnte.<br />

„Mein Vater wurde im Jahr 1883 in Vilna geboren. Er emigrierte 1907 nach Wien und<br />

arbeitete hier als selbstständiger Schuhmachermeister. Im Jahre 1924 heiratete er die 1898<br />

geborene Hermine geb. Sekirnjak, die zwei Kinder zur Welt brachte - 1927 meine Schwester<br />

Lena und 1929 mich, Erich. Meine Familie wohnte in einer Zimmer-Küche-Wohnung im 16.<br />

Wiener Gemeindebezirk. Die Rassegesetze in <strong>den</strong> Jahren 1938 bis 1945 hatten auch für<br />

unsere Familie katastrophale Folgen. Mein Vater wurde aus dem Haus gewiesen, musste<br />

sich verstecken und seine Werkstätte wurde konfisziert, desgleichen die Ersparnisse meiner<br />

Mutter. Meine Schwester und ich wur<strong>den</strong> aus <strong>den</strong> Schulen geworfen. Meine Mutter und<br />

meine Schwester waren zum so genannten Stichtag 1933 nicht Mitglieder der israelischen<br />

Kultusgemeinde (Ältestenrat der Ju<strong>den</strong> in Wien), sie mussten daher keinen Ju<strong>den</strong>stern<br />

tragen. Ich hingegen war Mitglied, trug <strong>den</strong> Stern, hatte jüdische Lebensmittelkarten und im<br />

Reisepass das große rote „J“. Die Flucht nach Riga gelang nur meinem Vater. Für <strong>den</strong> Rest<br />

der Familie war es zu spät. Bis zum meinem 13. Lebensjahr besuchte ich noch diverse<br />

jüdische Schulen, dann arbeitete ich in der Kultusgemeinde. Gegen Ende des Krieges wurde<br />

mir die Kennkarte abgenommen und ich wurde zur Verschickung „ausgehoben“. Es gelang<br />

mir unterzutauchen und in <strong>den</strong> Wirrnissen des Kriegsendes zu überleben. Mein Vater<br />

verstarb 1944 in einem Konzentrationslager in Lettland, meine Mutter lebte in Wien bis zu<br />

ihrem Tod 1987.“ 21<br />

Nach dem Krieg schloss sich der junge Arik Brauer der KPÖ an,<br />

wandte sich aber bald enttäuscht von kommunistischen der<br />

Bewegung ab. Er studierte bis 1951 an der Akademie der<br />

bil<strong>den</strong><strong>den</strong> Künste Wien bei Robin Christian Andersen und Albert<br />

Paris Gütersloh und gründete mit Ernst Fuchs, Rudolf Hausner,<br />

Wolfgang Hutter und Anton Lehm<strong>den</strong> die „Wiener Schule des Phantastischen<br />

Realismus“. Ab 1947 studierte er zusätzlich Gesang an der Musikschule der Stadt<br />

Wien.<br />

Wegen Geldmangels reise er zwischen 1951 und 1954 mit dem Fahrrad durch<br />

Europa und Afrika. 1954/55 lebte er als Sänger und Tänzer in Israel und trat 1956 als<br />

Tänzer im Raimundtheater in Wien auf. Im Jahr darauf heiratete er die jemenitische<br />

Jüdin Naomi Dahabani in Israel und zog mit ihr nach Paris, wo das Paar als<br />

israelisches Gesangsduo „Neomi et Arik Bar-Or“ seinen Lebensunterhalt verdiente.<br />

18


Dort gelang ihm auch der Durchbruch als Maler. 1964 kehrte er mit seiner Famile –<br />

mittlerweile waren die Töchter Timna und Talja geboren (die jüngste Tochter Ruth<br />

kam erst 1972 zur Welt) – nach Wien zurück. „Die Wiener Schule des<br />

Phantastischen Realismus“ genoss bereits große Popularität, und es gab von 1953<br />

bis 1965 eine Weltwanderausstellung.<br />

Neben seinem Wohnsitz in Wien schuf Brauer auch im Künstlerdorf Ein Hod in Israel<br />

aus einer Ruine ein künstlerisch gestaltetes Haus. Er gestaltete Bühnenbilder für die<br />

Wiener Staatsoper, das Opernhaus Zürich, das Theater an der Wien und die Pariser<br />

Oper. Seine Gesangskarriere erreichte in <strong>den</strong> siebziger Jahren ihren Höhepunkt: Mit<br />

seinen Liedern im Wiener Dialekt wie „Sie ham a Haus baut“ und „Sein Köpferl im<br />

Sand“ ("Hinter meiner, vorder meiner") wurde Brauer zu einem der Väter des<br />

Austropop. Seit 2000 tritt er immer wieder mit seinen Töchtern und Elias Meiri als Die<br />

Brauers auf. Von 1986 bis 1997 war Arik Brauer or<strong>den</strong>tlicher Professor an der<br />

Akademie der bil<strong>den</strong><strong>den</strong> Künste in Wien. 1991 begann er mit der künstlerischen<br />

Gestaltung des 1994 fertig gestellten Brauer-Hauses im 6. Wiener Gemeindebezirk<br />

Mariahilf. Er erhielt zahlreiche Preise für sein Schaffen. Kennzeichnend für das<br />

künstlerische Werk Brauers sind die farbenfrohen Flächen, die detaillierte Kleinarbeit<br />

und die Einbindung aktueller politischer Ereignisse in Bilder mit traum- und<br />

märchenhafter Atmosphäre.<br />

4.1.2 Ideen zur Gestaltung der Station<br />

Als Ort der Präsentation bieten sich die Sitzgelegenheiten aus Beton am Ludo-<br />

Hartmann-Platz selbst – schräg gegenüber dem Eingang von Haus Nr. 4 am Platz<br />

an. Die vorbeiführende Straße selbst ist relativ ruhig, sodass Texte und Lieder<br />

problemlos präsentiert wer<strong>den</strong> können. Für SchülerInnen und Schüler, die diese<br />

Station gestalten wollen, eignet sich folgendes Material (sowohl zur Vorbereitung<br />

des Referats als auch zum Einbauen – z. B. von Interviewpassagen - in die<br />

Präsentation an der Station).<br />

19


• Aufnahme der Ö1-Sendung „Logos“ vom 1. April 2009 zur Person Arik Brauer,<br />

die ich auf Hörkassette zur Verfügung stellen kann – Dauer ca. 25 Minuten. Es<br />

sind auch Liedaufnahmen von Arik Brauer enthalten, die man an der Station<br />

vorspielen kann.<br />

• Auf You-Tube sind derzeit (Juli 2009) Aufnahmen der Lieder „Sein Köpferl im<br />

Sand“, „Sie ham a Haus baut“, „Der Blick in die Hölle“ und „Der Surmi Sui“<br />

verfügbar, die heruntergela<strong>den</strong> und zur Untermalung eingebaut wer<strong>den</strong><br />

können.<br />

• Kurzbiographie Arik Brauer von Wikipedia 22 bzw. ausführlichere, tabellarische<br />

Biographie des Künstlers von seiner Homepage 23 (siehe Materialanhang).<br />

• Diverse Interviews mit Arik Brauer: Zusammenfassung eines Gesprächs am<br />

Judaistik-Institut 2009 24, Interview in der Wiener Zeitung 1999 25 , Interview in<br />

NU 2009 26 (behandelt nichtreligiöse Erziehung im Elternhaus, Jugend als<br />

Gassenbub, Überleben als Jude während der NS-Zeit…) (siehe<br />

Materialanhang).<br />

• Als Langtext u. U. auch für ergänzende Referate für Oberstufenschüler in<br />

Geschichte, Deutsch oder Bildnerische Erziehung eignet sich Brauers<br />

autobiographisch-künstlerisches Erinnerungsbuch „Die Farben meines<br />

Lebens“ (bzw. Abschnitte darin 27 ), welches in der Wiener Stadtbücherei oder<br />

bei mir ausgeliehen wer<strong>den</strong> kann. Besonders empfehlenswert für <strong>den</strong><br />

Stadtspaziergang finde ich die Kapitel „Das Viererhaus“ (über die Menschen,<br />

die im Haus Ludo-Hartmann-Platz 4 lebten, S. 33 – 41), „Der Chef“ (Leben als<br />

Mitglied einer Bubenbande als einziger Jude, Umgang mit Schlurfs, S. 48 –<br />

54), „Der Surmi sui“ (über einen sehr strengen Volksschullehrer, der<br />

begeisterter Nazi wurde, seine Schulerfahrungen in der NS-Zeit, das Schicksal<br />

seiner <strong>jüdischen</strong> Freundin Litzi, S. 60 – 70), „Die Tischlerei im Tempel (über<br />

seine Arbeit als Tischler in der Tempelgasse und seine Flucht, die ihm das<br />

Überleben sicherte, S. 77 – 82). Diese Texte sind in der Materialsammlung im<br />

Anhang zu fin<strong>den</strong>, besonders empfehlen kann ich die Kombination von „Surmi<br />

sui“-Kapitel und dem auf You tube verfügbaren Lied dazu, da hier Parallelen<br />

zur Schulerfahrungen der Kinder gezogen wer<strong>den</strong> können.<br />

20


• Denkbar sind auch Besuche in Ausstellungen von Arik Brauer in Wiener<br />

Museen (wenn möglich) bzw. in seinem unterirdischen Museum in Wien-<br />

Döbling sowie eine Einladung des Künstlers zu einem Gespräch in die Schule<br />

bzw. die Einladung zur Teilnahme am Geschichtespaziergang.<br />

Kombinationsmöglichkeiten bieten sich vor allen mit <strong>den</strong> Fächern Bildnerische<br />

Erziehung (malerisches und graphisches Werk Brauers), Deutsch (Brauers<br />

Gedichte), Religion (vor allem Brauers bildhafte Interpretationen des Alten<br />

Testaments) und Musik an (Brauers Dialektlieder als Vorreiter/Vertreter des<br />

Austropop).<br />

21


4.2. Thaliastraße – nahe dem Gürtel: Chaim Miller (Fredl Müller)<br />

Auf Chaim Miller stieß als „Brunnenviertler Ju<strong>den</strong>“ stieß ich eigentlich zufällig, da ein<br />

Artikel über ihn aus einem „Profil“ im Mai dieses Jahres in unserem Lehrerläufer lag.<br />

Dazu gab es einen Vermerk, dass er als Zeitzeuge vor kurzem unsere Schule<br />

besucht hatte. Dies war – so fand ich später heraus – so kurzfristig erfolgt, dass<br />

keine Zeit mehr für eine größere Ankündigung blieb, so dass interessierte<br />

LehrerInnen wie ich keine Möglichkeit zur Teilnahme hatten. Doch war mein<br />

Interesse nun geweckt, und ich besorgte mir sofort die entsprechende Profil-<br />

Ausgabe.<br />

„Seine Eltern nannten ihn Fredl. Alfred klang zu steif im Wiener Arbeiterbezirk Ottakring. Also<br />

Fredl Müller, geboren 1921 in der Thaliastraße, nicht weit vom Gürtel. Ju<strong>den</strong> gab es in<br />

Ottakring nur wenige: (…) An jedem 1. Mai zog Fredl auf seinem mit rotem Krepp zwischen<br />

<strong>den</strong> Speichen geschmückten Fahrrad auf <strong>den</strong> Rathausplatz und hörte die Re<strong>den</strong> von Karl<br />

Seitz und Otto Bauer. Der Vater war schließlich Mitglied beim Schutzbund, der<br />

Wehrorganisation der Sozialdemokraten. Religiös war die jüdische Familie Müller aus der<br />

Thaliastraße nicht. Mit 14 begann Fredl die Schlosserlehre in einer Werkstätte im<br />

Nachbarbezirk Fünfhaus. Einmal in der Woche besuchte er die Berufsschule in der<br />

Mollardgasse. Alles schien vorgezeichnet. Bis zu jenem Tag im März 1938, nach dem so<br />

viele Leben eine dramatische Wendung nahmen. Wie auch jenes von Fredl Müller (…). An<br />

jenem Märztag `38, an dem sich sein Leben ändern sollte, stand der 17-jährige<br />

Schlosserlehrling Alfred Müller an der Ringstraße, sah die Nazis die Stadt übernehmen und<br />

beschloss das Land zu verlassen. Im Februar 1939 hatte er die nötigen Papiere beisammen<br />

und verabschiedete sich von <strong>den</strong> Eltern, die er nie mehr sehen sollte. Am 15. März legte sein<br />

Schiff in Palästina an. Am selben Tag marschierten Hitlers Truppen in Prag ein. Fredl Müllers<br />

Vater wurde wenig später von der Gestapo zur Zwangsarbeit nach Norddeutschland<br />

verschleppt. 1941 kam er zu Tode geschun<strong>den</strong> nur mehr zum Sterben heim in die<br />

Thaliastraße. Wenige Tage danach wurde die Mutter deportiert.(…)“ 28<br />

22


4.2.1 Lebensgeschichte<br />

23<br />

Chaim Miller 29<br />

Chaim Miller wurde als Alfred (genannt Fredl) Müller in einer <strong>jüdischen</strong>,<br />

sozialdemokratisch orientierten Familie in der Thaliastraße (am Beginn,<br />

Hausnummer unbekannt) in Wien-Ottakring geboren. Er besuchte die Unterstufe im<br />

Gymnasium in der Maroltingergasse, begann dann eine Lehre als Schlosser. Nach<br />

dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Wien konnte er nach Palästina fliehen, er<br />

fand in einem Kibbuz Arbeit. Seine Eltern wur<strong>den</strong> verschleppt und umgebracht. Er<br />

landete im Mai 1945 als Soldat der Britischen Armee in Oberitalien und wurde mit der<br />

„Jüdischen Brigade Nakam“ in Tarvis stationiert. Diese „Rachebrigade“ hatte zum<br />

Ziel, ehemalige SS- und Gestapo-Mitglieder für ihre Verbrechen zu bestrafen. Heute<br />

arbeitet er als 88-Jähriger noch als Schlosser im Kibbuz. Im Frühjahr 2009 besuchte<br />

er im Rahmen von Vorträgen bzw. Interviews neben anderen Schulen auch unser<br />

Gymnasium in der Maroltingergasse, an dem er die Unterstufe absolvierte. 30 Im Zuge<br />

seines Österreich-Besuchs kam es auch zu dem vorne angeführten Profil-Interview,<br />

in dem er neben seinem Leben auch über die Tätigkeit in der Nakam-Brigade sprach,<br />

was er bei <strong>den</strong> Zeitzeugengesprächen normalerweise aussparte.


4.2.2 Ideen zur Gestaltung der Station<br />

Da Chaim Miller im Juni 2009 in einer 4. Klasse in unserer Schule als Zeitzeuge<br />

eingela<strong>den</strong> war und als ehemaliger Schüler dieser Anstalt eine besondere<br />

Verbindung aufweist, würde ich dieser Station besondere Bedeutung beimessen. Als<br />

Ort des Erzählens eignet sich, da die Thaliastraße selbst zu laut ist und die genaue<br />

Hausnummer unbekannt ist, am ehesten der der Thaliastraße in Gürtelnähe<br />

vorgelagerte Hoffer-Platz mit seinen Sitzgelegenheiten. Ist das Interview schon auf<br />

der Homepage von „ A letter to the stars“ verfügbar, würde ich schon im Vorfeld<br />

einen Besuch im EDV-Raum einlegen und es von <strong>den</strong> Schülern recherchieren und<br />

anhören lassen. Vor Ort würde dann eine kurze Zusammenfassung reichen.<br />

Ansonsten würde ich die Biographie etwas genauer vorstellen lassen. Als Quellen<br />

bietet sich neben dem Profil-Artikel (im Anhang) und dem hoffentlich bald<br />

vorhan<strong>den</strong>en Interview ein etwa zehn Jahre älterer Text von John Kantara an. 31<br />

Ob und wie genau auf die „Rachebrigade“ Nakam eingegangen wird, sollte vom Alter<br />

der SchülerInnen abhängen. Dieses „Phänomen“ mit seinen eigenen Vorstellungen<br />

von Recht und Gerechtigkeit vorzustellen und zu diskutieren – eventuell auch als<br />

Dilemmasituation durchzuspielen (z. B. Wie kann ich <strong>den</strong>ken und handeln, wenn ich<br />

dem Mörder meiner Mutter/meines Vaters gegenüberstehe bzw. wenn ich einen<br />

Menschen vor mir habe, der für <strong>den</strong> Tod von Tausen<strong>den</strong> Menschen verantwortlich<br />

ist?) – kann in einer dafür ausreichend reifen Klasse sicherlich eine spannende<br />

Erfahrung sein. Eine Erkenntnis wird vermutlich auch sein, dass Moralvorstellungen<br />

sowohl zeitlos wie auch von <strong>den</strong> Umstän<strong>den</strong> abhängig sein können.<br />

24


4.3 Brunnengasse 40: Edith Arlen Wachtel, Walter Arlen und das Kaufhaus<br />

der Familie Dichter<br />

Eigentlich markiert diese Station <strong>den</strong> Beginn meiner Beschäftigung mit der Thematik:<br />

Als ich zwischen meinem Unterrichtspraktikum und meiner Vollbeschäftigung im<br />

Schulwesen vier Jahre lang (2002 – 2006) im Allgemeinen Entschädigungsfonds<br />

der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus tätig war, wurde eines<br />

Tages - vermutlich im Jahre 2004 - die Tür geöffnet und eine Kollegin drückte mir<br />

<strong>den</strong> Akt der Familie Dichter in die Hand, weil sie wusste, dass diese Adresse „bei mir<br />

um die Ecke“ liegt. Tatsächlich dachte ich bis dahin, dass es so etwas wie jüdisches<br />

Leben in Ottakring und vor allem im Brunnenviertel nicht oder kaum gegeben habe,<br />

doch ab diesem Tag betrachtete ich beim Nachhausegehen das Kaufhaus der<br />

Familie Dichter - nun hieß es Osei und ich hatte dort sogar schon<br />

Weihnachsgeschenke eingekauft – mit anderen Augen. Verstärkt wurde meine<br />

Aufmerksamkeit dann durch die ab 2005 einsetzende Beschäftigung der im<br />

Brunnenviertel ansässigen Künstler mit der Geschichte dieses Hauses und jener der<br />

Familie Dichter, die von 2005 bis 2009 in mehreren Ausstellungsprojekten der<br />

Öffentlichkeit – so auch mir als interessierter „Nachbarin“ – zugänglich gemacht<br />

wurde. Doch dazu später mehr.<br />

4.3.1 Das Kaufhaus Dichter<br />

Logo des Warenhauses Dichter 32<br />

25


Warenhaus Dichter, um 1910, vor der Renovierung<br />

Leopold Dichter, der Großvater mütterlicherseits von Walter Arlen und Edith Arlen<br />

Wachtel, gründete 1890 das Warenhaus Dichter in der Brunnengasse (40) an der<br />

Kreuzung mit der Grundsteingasse.<br />

4 Generationen der Familie Dichter: Leopold (rechts hinten), sein Sohn Isidor (links<br />

neben ihm), sein Enkel Walter (Aptowitzer, später Arlen), vorne rechts Leopolds Vater<br />

Salomon Dichter, im Jahre 1925 aufgenommen<br />

26


Schon in <strong>den</strong> 1930er-Jahren war es zum größten Kaufhaus Wiens außerhalb des<br />

Gürtels gewor<strong>den</strong>. 1935 wurde es von Philipp Diamandstein, der gemeinsam mit<br />

Clemens Holzmeister ein Büro betrieb, im modernen Baustil umgestaltet.<br />

Es wurde bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten als Kommanditgesellschaft<br />

(die Kinder waren Kommanditisten) und Familienbetrieb geführt. So arbeiteten nicht<br />

nur Walters und Ediths Eltern dort, auch die Schwestern der Mutter (eine geborene<br />

Dichter) und ihr Bruder waren in verschie<strong>den</strong>en Abteilungen beschäftigt. 1938 wurde<br />

es unter die kommissarische Verwaltung von Arthur Lohre gestellt, im November<br />

desselben Jahres arisierte es der korrupte und bankrotte Bankhausbesitzer Edmund<br />

Topolansky. Dieser bezahlte nur ein Drittel des wahren Wertes, doch nicht aus<br />

seinem eigenen Privatbesitz, sondern aus <strong>den</strong> Erträgen des Kaufhauses. Mit dem<br />

gut gehen<strong>den</strong> Geschäft, das er bis 1949 besaß, sanierte er sein vor dem Konkurs<br />

stehendes Bankhaus im 1. Bezirk. Es kam in <strong>den</strong> Jahren 1949 – bis 1951 zu einem<br />

Rückstellungsverfahren (Topolansky hatte sich vor dem Volksgericht für seine Taten<br />

27


verantworten müssen und 1947 Selbstmord begangen), das mit einem<br />

merkwürdigen, aber nicht unüblichen „Vergleich“ endete: Die Familie musste der<br />

Witwe des Ariseurs Topolansky noch Geld bezahlen, um die Angelegenheit<br />

abschließen zu können. Das Geschäft wurde dann an Oskar Sei<strong>den</strong>glanz (die<br />

Anfangsbuchstaben des Vor- und Familiennamens bildeten <strong>den</strong> neuen Namen des<br />

Kaufhauses OSEI), der selbst im 20. Bezirk ein anderes Geschäft arisiert hatte,<br />

verkauft. Bis zum Winter 2003/04 - ich zog im Sommer 2003 in die Grundsteingasse<br />

und kaufte dort noch Weihnachtsgeschenke – bestand das Geschäft. Das Gebäude<br />

wurde zwischen 2005 und 2007 als Kunstraum von <strong>den</strong> in der Gegend ansässigen<br />

Künstlern genutzt, es fan<strong>den</strong> vier Ausstellungen statt. Das Haus wurde im Frühjahr<br />

2007 abgerissen, die Bauarbeiten des neuen Gebäudes wur<strong>den</strong> im Herbst 2008<br />

abgeschlossen, nun befin<strong>den</strong> sich Mietwohnungen, eine Polizeidienststelle und ein<br />

Penny-Supermarkt darin.<br />

Dichterhof, seit Oktober 2008 fertig gestellt, Ort des früheren Kaufhauses Dichter<br />

4.3.2 Lebensgeschichten von Walter Arlen und Edith Arlen Wachtel<br />

28


4.3.2.1 Edith Arlen Wachtel<br />

Edith Arlen Wachtel 33<br />

Edith Arlen Wachtel 34 war eine Enkeltochter des Kaufhausgründers Leopold<br />

Dichter und die Tochter von Leopolds Tochter Mina, die mit Michael Aptowitzer<br />

(daraus wurde Arlen) verheiratet war. Sie kam 1925 zur Welt und lebte mit<br />

ihrem Vater und dem älteren Bruder Walter im dritten Stock des<br />

Kauhausgebäudes in einer Wohnung. Als Kind schon begann sie bei Grete<br />

Wiesenthal eine Tanzausbildung, die sie bei der Opernballerina Hedy<br />

Pfundmayr fortsetzte, welcher sie die Aufnahme in die Ballettschule der<br />

Wiener Staatsoper im Alter von sieben Jahren verdankte. Sie trat sogar in der<br />

Welturaufführung der Lehar-Operette „Giuditta“ 1935 auf, musste aber aus<br />

gesundheitlichen Grün<strong>den</strong> ihre Ausbildung unterbrechen und konnte nach dem<br />

Einmarsch und der Emigration nie ihre Tanzkarriere wiederaufnehmen.<br />

Edith erlebte mit, wie die Wohnung der Eltern ausgeraubt und ihr Vater<br />

verhaftet wurde. Als ihr Bruder Walter einen Tag vor Ablaufen seines Visums<br />

im März 1939 in die USA flüchtete, blieb sie mit der durch die Ereignisse<br />

psychisch völlig verstörten Mutter und der Großmutter väterlicherseits, welche<br />

1942 in Theresienstadt umgebracht wurde, allein in Wien zurück. Der Vater<br />

wurde im Frühjahr 1939 aus dem Konzentrationslager Buchenwald entlassen<br />

und Edith und ihre Eltern konnten im Mai 1939 nach England emigrieren. Dort<br />

wurde ihr Vater nach Kriegsbeginn im September 1939 als „enemy alien“ auf


der „Isle of Man“ interniert und Edith blieb mit ihrer nervenkranken Mutter<br />

wieder allein zurück. Sie verdiente <strong>den</strong> Lebensunterhalt als Buchhalterin für<br />

die Tageszeitung „Daily Telegraph“ und übersetzte Texte aus dem Deutschen.<br />

Bomben beschädigen drei Mal ihre Unterkunft. Zur Vereinigung mit dem<br />

Bruder Walter und anderen Mitgliedern der Familie in <strong>den</strong> USA kam es erst<br />

nach Kriegsende: Visa und Schiffskarten erlaubten die Ausreise, Chicago<br />

wurde zum neuen Lebensmittelpunkt.<br />

Edith absolvierte an der University of Chicago ihr Studium der<br />

Sozialpsychologie. In ihrer beruflichen Tätigkeit verfasste sie u. a. eine Studie,<br />

die die Auswirkungen des Fernsehens auf Kinder untersuchte. Im Jahre 1970<br />

heiratete sie <strong>den</strong> verwitweten, 1938 aus Österreich nach Peru geflüchteten<br />

Hans Wachtel und lebte mit ihm in Lima, bis sie 1976 wegen der brisanten<br />

politischen Lage nach Los Angeles zogen. Er starb 1997. Edith Arlen Wachtel<br />

ist seit ihrer Pensionierung als Volontärin in Kunstmuseen, musikalischen<br />

Gesellschaften und sozialen Organisationen tätig. Als sie im Oktober 2007 zur<br />

Eröffnung des Projekts „Dichterherbst“ in mein Nachbarhaus in Wien kam,<br />

hatte ich die Gelegenheit, sie kennenzulernen und mich mit ihr zu unterhalten.<br />

4.3.2.2 Walter Arlen<br />

Walter Arlen<br />

30


Walter Arlen 35 – Edith Arlen Wachtels älterer Bruder – wurde 1920 als Walter Aptowitzer<br />

geboren. Er war das erste Kind von Michael und Mina Aptowitzer (geborene Dichter) – also<br />

ein Enkel des Kaufhausgründers und –besitzers Leopold Dichter – und lebte mit seiner<br />

Familie im 2. Stock des Hauses. So erlebte er auch mit, wie unmittelbar nach dem<br />

Einmarsch SA-Männer in die Wohnung eindrangen, Schmuck, Briefmarken und Bargeld an<br />

sich nahmen und ihn und seinen Vater Walter misshandelten. Dieser wurde in das einer<br />

Schule geschaffene Gefängnis in der Karajangasse gebracht, von dort ins<br />

Konzentrationslager Dachau, nach seiner Entlassung von dort wurde er aber bei einer<br />

Razzia auf der Straße wieder festgenommen und im Konzentrationslager Buchenwald<br />

interniert.<br />

Da die meisten engeren Familienmitglieder mit Hilfe von in Chicago leben<strong>den</strong> Verwandten<br />

(Es handelte sich um die bekannte Chicagoer Familie Pritzker, in die eine Schwester<br />

Leopolds eingeheiratet hatte, welche gegenwärtig <strong>den</strong> bekannten Pritzker-Architekturpreis<br />

sponsort und u. a. auch <strong>den</strong> der Chicagoer Öffentlichkeit als Freiluftkonzertsaal im Grant<br />

Park zur Verfügung stehen<strong>den</strong> Pritzker-Pavillion finanziert hat – siehe Foto unten.)<br />

emigrieren konnten, musste der 18-jährige Walter vom Ariseur Topolansky Geld für <strong>den</strong><br />

Lebensunterhalt der verbliebenen Familienmitglieder vom Sperrkonto erbetteln. Die Familie<br />

musste aus dem Haus in der Brunnengasse ausziehen. Da Walters US-Visum am 15.<br />

März ablief, verließ er am 14. März 1939 Österreich. Nach der Freilassung seines Vaters<br />

Ende April konnte im Mai auch seine Schwester Edith mit Vater und Mutter nach England<br />

fliehen.<br />

31


Pritzker-Pavillon im Grant Park in Chicago<br />

Walter Aptowitzer, der sich nun Arlen nannte, arbeitete in Chicago zuerst in einem<br />

Kürschnergeschäft, nebenher nahm er Musikstudien bei dem Komponisten Leo Sowerby<br />

auf und versuchte, sich als Komponist, Musikwissenschaftler und –kritiker zu etablieren.<br />

1947 konnten seine Eltern und seine Schwester Edith nach Chicago ziehen. Er wurde für<br />

vier Jahre Assistent des Komponisten Roy Harris, schrieb ab 1952 (bis 1980)<br />

Musikkritiken für die „Los Angeles Times“. 1969 folgte er dem Ruf als Universitätsprofessor<br />

an die Loyola-Marymount-University in Los Angeles, deren Vorstand er wurde. Erst mit 78<br />

Jahren beendete er seine akademische Karriere.<br />

Sein zwiespältiges Verhältnis zu Österreich ist geprägt durch persönliche Freundschaften<br />

zum mittlerweile verstorbenen Thomas Klestil und Peter Moser (späterer US-Botschafter in<br />

Washington), dem Wiedererlangen der österreichischen Staatsbürgerschaft und etlichen<br />

Wienbesuchen, bei <strong>den</strong>en er persönliche Freundschaften knüpfen konnte, aber auch<br />

durch negative Erinnerungen wie das Verhalten der Sauerbrunner Gemeinde<br />

32


(Burgenland), die ihn zum Beseitigen des „Schandfleckes“ (Reste der abgebrannten Villa)<br />

aufforderte und so zum Verkauf der Liegenschaft um einen Bagatellpreis brachte, statt ihn<br />

über Finanzhilfen durch <strong>den</strong> Marshallplan für <strong>den</strong> Wiederaufbau in solchen Fällen zu<br />

informieren. Mehr als die finanziellen Versuche zur Wiedergutmachung, die nur minimal die<br />

Verluste ausgleichen können, versöhnen ihn die Projekte der Künstler und Stadtteilarbeiter<br />

im Brunnenviertel, die sich dem Ge<strong>den</strong>ken der Geschichte seiner Familie (siehe z. B.<br />

Kapitel 4.3.3 Fotos der Ge<strong>den</strong>ktafel am Dichterhof) widmen. Dieses Thema soll im<br />

nächsten Kapitel behandelt wer<strong>den</strong>.<br />

4.3.3 Kunst, Geschichte, Ge<strong>den</strong>ken und Stadtteilarbeit<br />

33


Ge<strong>den</strong>ktafel für die Familie Dichter beim Hauseingang zum Dichterhof , Brunnengasse 40,<br />

1160 Wien<br />

"Die Ge<strong>den</strong>ktafel und die Benennung in `Dichter Hof´ versöhnt mich und meine Familie mehr<br />

als alle Versuche der `Wiedergutmachung´!"<br />

So beschrieb Walter Arlen seine Gefühle hinsichtlich der Benennung des neuen –<br />

ab Oktober 2008 bewohnbaren - Wohngebäudes der Conwert-<br />

Immobiliengesellschaft, das auf der Liegenschaft des ehemaligen Kaufhauses<br />

Dichter errichtet wurde am 8. März 2008. 36<br />

Verschie<strong>den</strong>e Ausstellungen der in der Grundsteingasse und umliegen<strong>den</strong> Gassen<br />

angesiedelten Brunnenviertler Künstler – die bekanntesten Festivals sind „Soho in<br />

Ottakring“ und „grundstein“ – befassen sich seit 2005 mit der Geschichte<br />

der Familie Arlen und des Warenhauses Dichter, beispielsweise gab es eine<br />

Ausstellung zur Familiengeschichte im Ragnarhof, das Projekt „Dichterherbst“, bei<br />

dem ein bekannt gewor<strong>den</strong>er Spross der Familie – Leopold Dichters Neffe Ern(e)st<br />

34


Dichter und sein Schaffen im Zentrum stan<strong>den</strong> – einen Abend, bei dem eine<br />

Komposition von Walter Arlen aufgeführt wurde oder die Säulen der Erinnerung am<br />

Yppenplatz, die sogar gegenwärtig noch existieren. Informationen zu <strong>den</strong> Projekten<br />

wer<strong>den</strong> laufend auf www.sammlungdichter.com veröffentlicht. Dort wer<strong>den</strong> auch die<br />

Beweggründe für die Sammlung Dichter dargelegt:<br />

„warum sammlung dichter?<br />

die „sammlung dichter“ wurde als hommage an die aus wien vertriebene familie dichter im<br />

sommer 2006 von der Masc Foundation ins leben gerufen. sie steht in der tradition der<br />

klassischen privatsammlung (sammlung dakis joannou, sammlung hummel...). ihr<br />

schwerpunkt ist, die arbeiten von künstlerInnen einer breiten internationalen öffentlichkeit<br />

vorzustellen und dabei auf die veränderte und sich verändernde politische situation im 20/21.<br />

jahrhundert einzugehen. für uns war es sehr wichtig, zum abschluss unserer<br />

ausstellungsreihe (september 2005 bis oktober 2007) auf die gründer dieses ersten<br />

kaufhauses in der vorstadt von wien hinzuweisen. somit endet die über hundert jahre<br />

andauernde geschichte dieses hauses (ca 1890-2006) mit der präsentation der sammlung<br />

dichter. es schließt sich der kreis.<br />

Das letzte Kunstprojekt ist sogar jetzt – im September 2009 noch im öffentlichen<br />

Raum am Yppenplatz präsent, virtuell sogar in all seinen Veränderungen seit seinem<br />

Beginn im März 2008. Am 8. dieses Monats lud der Ottakringer Bezirksvorsteher<br />

Franz Prokop anlässlich des Ge<strong>den</strong>kjahres 2008 zu einem Festakt zur symbolischen<br />

Benennung der Piazza am Yppenplatz in „Edith Arlen Wachtel und Walter Arlen<br />

Piazza" ein: Das Kunstprojekt „Säulen der Erinnerung" der Ottakringer Kulturfreunde<br />

stellte dann an diesem Platz - stellvertretend für alle Opfer des Nationalsozialismus -<br />

die bei<strong>den</strong> aus Ottakring geflüchteten Geschwister Edith und Walter, die persönlich<br />

aus <strong>den</strong> USA angereist waren, um an der Präsentation und Platzbenennung<br />

teilzunehmen, in <strong>den</strong> Mittelpunkt. Mithilfe von biografischen Zitaten, Fotografien,<br />

Zeichnungen und Literatur wur<strong>den</strong> von März bis Ende Oktober 2008 Litfasssäulen<br />

von KünstlerInnen immer wieder neu gestaltet, was auch auf der oben genannten<br />

Homepage über die Verweildauer im öffentlichen Raum hinaus virtuell langfristig zu<br />

sehen war bzw. noch immer ist. Die Idee dahinter ist, Geschichtsschreibung aus der<br />

Wissenschaftlichkeit herauszulösen und historische Ereignisse auch für jene<br />

35


nachvollziehbar zu machen, <strong>den</strong>en die Sprache der Historiker unverständich ist, so<br />

Roland Schütz, ein Künstler der Künstlergruppe „grundstein“.<br />

36<br />

Säulen der Erinnerung<br />

Symbolisch wer<strong>den</strong> die bei<strong>den</strong> wieder Brunnenviertler bzw.Ottakringer Bürger mit einer<br />

Adresse auf der nach ihnen benannten Piazza.


ei der Eröffnung: Walter Arlen und Edith Arlen Wachtel links und in der Mitte der 1. Reihe,<br />

dahinter Wiener Politiker (Ulli Sima, Franz Prokop, Christian Oxonitsch und )<br />

oben: Eröffnungsrede; unten: Geschwister mit Drach-Quartett (meinen Nachbarn)<br />

37


Derzeit wer<strong>den</strong> die Säulen der Erinnerung mit Arbeiten zum Thema „Frederic<br />

Morton“ und „Heimat“ belegt. Da diesem aber eine eigene Station gewidmet ist,<br />

möchte ich hier nur die Gestaltung der Säulen zeigen, aber erst später in der Arbeit<br />

auf Frederic Morton genauer eingehen. Wichtig ist zu betonen, dass viele der<br />

Künstler auch die Thematik MigrantInnen im Brunnenviertel in ihre Arbeiten<br />

einbeziehen. 37<br />

4.3.4 Ideen zur Gestaltung der Station<br />

Säulen der Erinnerung/pillars of memory<br />

Seit Juni 2009 gibt es im neu gestalteten Brunnengassenabschnitt, der an <strong>den</strong><br />

Dichterhof grenzt, einen kleinen Platz mit Bänken bzw. Liegen, wodurch sich<br />

geeignete Sitzgelegenheiten für eine Klasse ergeben, falls das Geschehen am Markt<br />

nicht zu turbulent ist. Hier kann die Geschichte der Familie Dichter von <strong>den</strong><br />

38


SchülerInnen präsentiert wer<strong>den</strong>. Anschließend würde ich mit ihnen die<br />

Brunnengasse bis zum Yppenplatz entlanggehen und zur Arlen-Platz spazieren. Eine<br />

interessante zusätzliche Aufgabe wäre schon im Vorfeld die Gruppe hinzuschicken,<br />

die die Station vorstellt, damit diese einfache Befragungen der Hausbewohner<br />

durchführen kann: Sinn der Befragung wäre es, herauszufin<strong>den</strong>, ob sie wissen,<br />

welchen Namen das Haus trägt, warum es diesen Namen bekommen hat, was sie<br />

über die Geschichte der Familie Dichter wissen, eventuell auch woher sie das<br />

Wissen haben und ob die Geschichte des Dichterhofs ein Thema ist. Eine<br />

Verknüpfung mit dem Fach Psychologie wäre, sich mit dem Vater der Motivforschung<br />

Ernest (früher Ernst) Dichter in Form eines Referats oder einer Fachbereichsarbeit<br />

auseinanderzusetzen. Spannend fände ich auch eine Fachbereichsarbeit, die sich<br />

generell mit möglichen bzw. vorhan<strong>den</strong>en Formen des Ge<strong>den</strong>kens an <strong>den</strong> Holocaust<br />

im öffentlichen Raum in Wien oder speziell im Brunnenviertel auseinandersetzt (z. B.<br />

Ge<strong>den</strong>ktafeln, Steine der Erinnerung, Säulen der Erinnerung…).<br />

Folgende Quellen stehen zur Verfügung (je nach Alter und Zeit)<br />

- Homepage www.sammlungdichter.com mit kurzen Texten zur Familie und <strong>den</strong><br />

bei<strong>den</strong> Geschwistern Walter und Edith sowie viel über Kunstprojekte, viele Fotos<br />

- Falter-Interview mit Walter Arlen 38 (länger) (siehe Anhang)<br />

- ausführliche Artikel von und über Walter Arlen und Edith Arlen Wachtel aus dem<br />

Buch „Vertrieben. Erinnerungen burgenländischer Ju<strong>den</strong>“ 39 (siehe Anhang). Geplant<br />

ist auch die Herausgabe einer „Vertrieben“-DVD, derzeit ist diese aber noch nicht<br />

verfügbar.<br />

39


Exkurs1: Grundsteingasse 29 – 31: Grundsteinhof<br />

Dort wo der Dichterhof steht, kreuzen sich Brunnen- und Grundsteingasse. Falls<br />

Zeitressourcen vorhan<strong>den</strong> sind, bietet sich ein kleiner Abstecher nach links in die<br />

Grundsteingasse 29 - 31 an. Dieses Haus ist der „Grundsteinhof“, dessen<br />

Geschichte ich erst kürzlich durch Zufall von meinem Nachbarn erfuhr 40 : Die Familie<br />

Kufner, die <strong>jüdischen</strong> Besitzer der Ottakringer Brauerei von ca. 1850 – 1938, ließ<br />

dieses Haus für ihre Brauereiarbeiter bauen. Um 1938 lebten rund 50 aus Schlesien<br />

stammende Arbeiterfamilien darin, 40 von ihnen wur<strong>den</strong> deportiert. Es gibt heute<br />

noch einen alten Mann namens Paul, der über die Geschichte des Hauses berichten<br />

kann. Ihn könnten die Schüler interviewen bzw. könnte man ihn in die Klasse<br />

einla<strong>den</strong>. Interessant wäre auch ein Referat über die Geschichte der Ottakringer<br />

Familie Kufner 41 .<br />

Exkurs 2: Grundsteingasse10<br />

Geht man von der Kreuzung rechts in die Gasse, erreicht man innerhalb weniger<br />

Meter das Haus, in dem sich vor etwa 100 Jahren eine jüdische Fleischerei befand,<br />

die auf der alten Postkarte (siehe Titelblatt) abgebildet ist. Hat man ein paar Minuten<br />

Zeit, empfiehlt es sich, die Postkarte herzuzeigen und das Haus (heute der<br />

Künstlertreff und –ausstellungsort Ragnarhof) kurz aufzusuchen, um die Schüler<br />

lokalisieren zu lassen, an welcher Ecke es <strong>den</strong> koscheren Fleischer gab.<br />

40


4.4 Die Synagoge in der Hubergasse 8<br />

Über <strong>den</strong> Yppenplatz bzw. Arlen-Piazza – hier kann man erstmals die Säulen der<br />

Erinnerung (Edith Arlen Wachtel und Walter Arlen im Namen aller anderen<br />

Holocaustopfern gewidmet) betrachten - gelangt man in ein bis zwei Minuten zur<br />

nächsten Station, dem Ort, an dem die ehemalige Synagoge stand. Nur mehr eine<br />

kleine Ge<strong>den</strong>ktafel am gelb angestrichenen „Haus der jungen Generation“ erinnert<br />

heute daran, dass hier bis zur „Reichskristallnacht“ der „Ottakringer Tempel“ stand.<br />

41


Ge<strong>den</strong>ktafel am Haus Hubergasse Nr. 5 (ehemaliger Ottakringer Tempel, Hubersynagoge)<br />

mit der Aufschrift „Hier stand eine um 1885/86 nach Plänen des Architekten Ludwig Tischler<br />

erbaute Synagoge, zerstört in der Reichskristallnacht am 10. November 1938.“<br />

4.4.1 Menschen<br />

„Wir mussten alles liegen und stehen lassen, hatten nur mehr unsere Kleider. Wir sind in<br />

eine Pension gezogen. Die anderen Verwandten waren bald weg, wir blieben wegen dem<br />

Vater. Ich war sehr oft bei der Gestapo im Hotel Metropol am Morzinplatz und habe dort<br />

wegen meines Vaters angesucht, der trotz seines Visums nicht freikam. Zuhause hat mir<br />

meine Mutter gesagt: ,Sie haben dich schon wieder gesucht.´ In der kalten Nacht vom 9.<br />

November bin ich hinauf nach Steinhof. In der Zeit haben sie <strong>den</strong> Ottakringer Tempel<br />

angezündet.“ 42<br />

So erinnert sich Walter Arlen (früher Aptowitzer, siehe voriges Kapitel) an die<br />

Zerstörung der großen Synagoge in der Hubergasse, in der er als 13-Jähriger im<br />

Dezember 1933 seine Bar-Mitzwa feierte. Seine Familie bezeichnet er als nicht sehr<br />

religiös, doch habe seine Familie die Feiertage gepflegt und koscher gegessen,<br />

wenn auch nicht sehr streng. Seine Eltern hatten im Jahr Walter und Mina Aptowitzer<br />

hatten 1919 im Hubertempel ihre Hochzeit gefeiert. Den hohen Feiertagen blieb die<br />

42


Familie Dichter bzw. Aptowitzer aber meist fern, da diese meist in der Villa in<br />

Sauerbrunn im Burgenland gefeiert wur<strong>den</strong>. 43<br />

Die Stimmung in der Synagoge sei sehr feierlich und etwas dämmrig gewesen, da<br />

das Tageslicht durch die angrenzen<strong>den</strong> Gebäude beeinträchtigt gewesen sei. Die<br />

Vorhalle sei mit Marmor verkleidet gewesen und habe einen sehr eleganten Eindruck<br />

erweckt. Schöne, aus Holz geschnitzte Bänke hätten <strong>den</strong> Hauptraum geschmückt. 44<br />

Paul Grosz, der vor wenigen Wochen verstorbene Präsi<strong>den</strong>t der IKG (1976 – 1987)<br />

feierte ebenfalls sein Bar-Mitzwa im Hubertempel und sang dort im Knabenchor.Er<br />

erinnerte sich daran, dass die Sitzplätze in der Synagoge unterteilt waren, vielleicht<br />

habe es sogar Einzelsitze gegeben. 45<br />

Frederic Morton, auf <strong>den</strong> später noch genauer eingegangen wird, hielt es für<br />

wahrscheinlich, dass seine Familie, die in der Thelemangasse u. a. Or<strong>den</strong> und<br />

Auszeichnungen für die Monarchie herstellen ließ, an der Finanzierung des Tempels<br />

beteiligt war (sein Großvater hatte auch schon in <strong>den</strong> früheren Werkstatträumen ein<br />

Bethaus eingerichtet). An <strong>den</strong> Innenraum konnte er sich nicht mehr gut erinnern,<br />

doch berichtete er über <strong>den</strong> Fortgang des Rabbiners Dr. Julius Max Bach nach 1938:<br />

Er habe im New Yorker Exil bis zu seinem Tod 1951 die „American Congregation of<br />

Jews from Austria“ geleitet. Morton lässt in seiner Autobiografie „Runaway Waltz –<br />

Durch die Welt nach Hause“ die Erinnerung an die Wiener Schabbath-Abende wieder<br />

auferstehen. U. a. feierte er seine Bar-Mitzwa-Feier im Hubertempel, worüber ein<br />

Zeitungsartikel 46 berichtete:<br />

Barmizwah-Feier. Samstag, <strong>den</strong> 9. d. M., fand im Ottakringer Gemeindetempel die Barmizwah des<br />

Stu<strong>den</strong>ten Fritz Mandelbaum, Sohn des Herrn Franz Mandelbaum und seiner Gattin Rosalia, geb.<br />

Ungary unter großer Beteiligung statt. Unter <strong>den</strong> Festgästen sah man viele Vertreter des<br />

Bethausvorstandes und aller Wohltätigkeitsvereine des 16. und 17. Bezirkes. Der Barmizwah trug die<br />

Segenssprüche und die Haftorah in ausgezeichneter Weise vor, was seinem Lehrer, Kantor M.<br />

Harendorff zu großer Ehre gereichte. Nachdem Oberkantor R. Kogan einen feierlichen Segensspruch<br />

vorgetragen hatte, hielt Herr Rabbiner Dr. J. M. Bach an <strong>den</strong> Knaben eine sehr herzliche Ansprache, in<br />

der er auf die Tradition der bei<strong>den</strong> Familien Mandelbaum und Ungvary hinwies, in welchen Religion<br />

und Wohltätigkeit gepflegt wird, und besonders des Großvaters Bernhard Mandelbaum s. A. als eines<br />

Mitgründer des Ausspeisungsvereins gedachte. Sr. Ehrwür<strong>den</strong> richtete am Schluss seiner Rede an <strong>den</strong><br />

Konfirman<strong>den</strong> herzliche Worte der Ermunterung, dem Bespiele seines Vaters nachzueifern, der als<br />

angesehener Fabrikant und edler Mensch in weiten Kreisen geehrt und geschätzt wird.<br />

43


4.4.2 Geschichte<br />

44<br />

Straßenansicht des Hubertempels 47<br />

Vorab sei der Name der Hubergasse selbst erklärt: Sie wurde 1856 nach dem<br />

Baumeister Anton Huber benannt, der um 1850 die Gasse eröffnet und kanalisiert<br />

hatte. Vorher befand sich hier der Hernalser Exerzierplatz.<br />

Eckdaten 48 der Synagoge in der Hubergasse:<br />

1874 formierten sich die Ottakringer „Israeliten“ unter der Leitung von Ignaz Kuffner.<br />

1882 wurde das Grundstück Nr. 2265 (Einlagezahl 1470) durch <strong>den</strong><br />

„Tempelbauverein der Israelitischen Cultusgemeinde Hernals, Ottakring und<br />

Neulerchenfeld“ angekauft.<br />

1885 wurde der Architekt Ludwig Tischler mit der Planung einer Synagoge<br />

beauftragt.<br />

1886 (am 23. September) wurde die Synagoge im Stil der Neo-RenaissanceZur<br />

fertiggestellt (. 406 Sitzplätze für Männer, 122 für Frauen)<br />

1891 wer<strong>den</strong> die Frauengalerien 49 im 1. Stock erweitert (von 122 auf 266 Sitze).<br />

1892 wird Ottakring in Wien eingemeindet.<br />

1909 wird für die IKG Wien das Eigentumsrecht einverleibt.


1899 wird der letzte Rabbiner Dr. Max Julius Bach berufen.<br />

1927/28 wird nach <strong>den</strong> Plänen von Architekt Ignaz Reiser ein beheizbarer<br />

Winterbetsaal angebaut. (Der große Tempel ist wie in großen Tempeln üblich<br />

unbeheizbar.)<br />

1938 plündern und zerstören in der Nacht von 9. auf 10. November 1938<br />

„(Reichskristallnacht“, „Novemberpogrom“) die Nationalsozialisten die Synagoge.<br />

1942 wird die Liegenschaft durch die IKG Wien erzwungenermaßen an Herrn Josef<br />

Kaufmann verkauft. 50<br />

1970 wurde die Ruine der Synagoge abgetragen und von der GESIBA<br />

(Gemeinnützige Siedlungs- und Bauaktiengesellschaft) das Wohnhaus der „jungen<br />

Generation“ gebaut.<br />

1988 wurde eine Ge<strong>den</strong>ktafel am Wohnhaus angebracht.<br />

4.4.3 Architektur<br />

Außenansicht der Synagoge<br />

45


Die Synagoge war dreischiffig angelegt, in <strong>den</strong> Vorraum gelangte man durch einen<br />

von drei Eingängen. Es folgte der Hautraum mit einem Fassungsvermögen von 406<br />

Männer- und 266 Frauensitzen. Die Frauengalerien in <strong>den</strong> Seitenschiffen ruhten auf<br />

gemauerten Pfeilern in zwei Etagen. Abgesehen von <strong>den</strong> religiösen Elementen<br />

(zwei Gesetzestafeln an der Giebelspitze und zwei Davidsterne) wirkte die Synagoge<br />

nicht auf <strong>den</strong> ersten Blick wie ein sakraler Bau. Hohe Eingangstüren prägten die<br />

Außenfassade, darüber lagen drei große Bogenfenster, an <strong>den</strong> Seitenfenstern<br />

flankierende Rundfenster. Weder Türme noch Kuppeln wur<strong>den</strong> ergänzt.<br />

1926/27 wurde der von Ludwig Reiser 51 geplante Winterbetsaal mit 124 Plätzen<br />

angebaut, der leicht beheizt wer<strong>den</strong> konnte. In beinahe allen großen Synagogen<br />

wur<strong>den</strong> der Hauptraum nur am Schabbat bzw. an Feiertagen verwendet, an<br />

Wochentagen nutzte man die „Winterschul“.<br />

46<br />

Hauptraum der Galerie


4.4.4 Ideen zur Gestaltung der Station<br />

47<br />

Winterbetsaal<br />

Ich halte es für sinnvoll, die Ge<strong>den</strong>ktafel am Haus der „jungen Generation“ laut<br />

vorlesen zu lassen, die Präsentation würde ich in <strong>den</strong> schräg gegenüber liegen<strong>den</strong><br />

Huberpark verlegen. Dort gibt es hinten eine ruhige Sitzgelegenheit – auch in<br />

Klassengröße – und die Kinder können in Ruhe vortragen, ohne durch Straßenlärm<br />

gestört zu wer<strong>den</strong>. Auch sollte hier eine Pause zum Jausnen und Herumtollen<br />

eingeplant wer<strong>den</strong>. Der mittelgroße Park bietet hierfür ausreichend Gelegenheit.<br />

Als Material kann man <strong>den</strong> Schülern – je nach Alter – entweder nur die bei<strong>den</strong><br />

Kurzartikel aus „David. Jüdische Kulturzeitschrift“ zur Verfügung stellen, für ältere<br />

Schüler wäre es interessant, mit der Diplomarbeit von Gerlinde Grötzmeier zum<br />

Hubertempel zu arbeiten.<br />

Es gibt etliche Erweiterungsmöglichkeiten. Natürlich bietet sich Religion als<br />

Partnerfach hier an: Behandlung des Ju<strong>den</strong>tums als Religion, Besuch des Wiener<br />

Stadttempels in der Seitenstettengasse, Besuch des Jüdischen Museums in der<br />

Dorotheergasse, Besuch der Reste der <strong>jüdischen</strong> mittelalterlichen Synagoge am<br />

Ju<strong>den</strong>platz usw. Referate zur Stellung der Frau im Ju<strong>den</strong>tum (ev. Vergleiche mit


anderen Religionen), zum Novemberpogrom und zur Zerstörung von rund 50<br />

Synagogen allein in Wien in dieser Nacht wür<strong>den</strong> sicher ertragreich sein.<br />

Für ältere Schüler bietet sich auch eine Umfrage unter <strong>den</strong> Hausbewohnern an:<br />

Kennen sie die Geschichte des Hauses? Wie gehen sie mit dieser um? Gibt es eine<br />

Art von Ge<strong>den</strong>ken 52 an die zerstörte Synagoge? Ein Besuch im Bezirksmuseum<br />

Ottakring stellt eine andere Möglichkeit dar: Dort ist ein Foto der abgebrannten<br />

Synagogenruine zu sehen, das ich sonst nirgends gefun<strong>den</strong> habe. Dies zu<br />

recherchieren ist für ältere Schüler sicher eine Herausforderung (Öffnungszeiten<br />

Sonntag 10 – 12 Uhr).<br />

48


4.5. Stein der Erinnerung an Kálmán und Elisabeth Klein<br />

Frau Nelly Sturm (im Bild mit Tochter Eva und Enkel Paul) 53<br />

Am Mittwoch, 7. Mai 2008 um 16.00 Uhr wurde vor dem Haus Ottakringer Straße 35<br />

ein „Stein der Erinnerung" in <strong>den</strong> Gehweg gesetzt. Ziel dieses Projektes sei, an alle<br />

OttakringerInnen zu erinnern, die vor allem in der Zeit von 1938 und 1945 vertrieben<br />

und ermordet wur<strong>den</strong>, meinte Bezirksvorsteher Franz Prokop anlässlich der<br />

Ge<strong>den</strong>kfeier. Da ich <strong>den</strong> über <strong>den</strong> Newsletter des Vereins „Steine der Erinnerung“ 54<br />

über die Steinsetzung informiert war – es handelt sich übrigens bis jetzt um <strong>den</strong><br />

einzigen Stein im 16. Bezirk – konnte ich als eine von ca. 30 TeilnehmerInnen der<br />

Veranstaltung beiwohnen.<br />

49


Sehr berührend war die Ansprache der Tochter des ermordeten Ehepaares Klein –<br />

Nelly Sturm – die mit Tochter und Enkelsöhnen angereist war, um der Eltern zu<br />

ge<strong>den</strong>ken 55 : Bis zum 12. Lebensjahr lebte sie mit ihren Eltern, die eine<br />

Eisenwarenhandlung betrieben, in diesem Haus und verbrachte eine unbeschwerte<br />

Kindheit im Grätzel. Nach dem Anschluss wur<strong>den</strong> die Schaufenster mit Sprüchen wie<br />

„Juda verrecke“ beschmiert, der Vater musste mit einer Bürste <strong>den</strong> Gehsteig putzen.<br />

Die Familie wurde aus der Wohnung geworfen, ein Nachbar entpuppte sich als Nazi,<br />

das Mädchen musste die Schule in der Geblergasse verlassen. Die Flucht nach<br />

Belgien gelang vorerst, aber dann wur<strong>den</strong> beide deportiert und ermordet (der Vater<br />

in Auschwitz, der Körper der Mutter wurde für „rassebestimmende“ Untersuchungen<br />

verwendet). Großeltern und andere Familienmitglieder wur<strong>den</strong> ebenso ermordet.<br />

Nelly konnte trotz ihrer Tätigkeit im Widerstand in Brüssel überleben.<br />

Kálmán Klein, Anfang der 20er-Jahre Elisabeth Klein, 1923<br />

50


4.5.1 Ideen zur Gestaltung der Station<br />

Da die Ottakringerstraße extrem unter Lärmbelästigung leidet, würde ich die<br />

Vorstellung der Station schon im Huberpark am Ende der Pause vornehmen, dann<br />

erst zur Station marschieren. Die Kinder sollen die Steine selbst entdecken, da sie so<br />

auch Sensibilität für unterschiedliche Zeichen des Ge<strong>den</strong>kens im öffentlichen Raum<br />

entwickeln können (Tafeln an Gebäu<strong>den</strong>, Stolpersteine im Gehsteig, Säulen der<br />

Erinnerung….). Diese unterschiedlichen Formen zu untersuchen wäre allein schon<br />

ein schönes Thema für eine Fachbereichsarbeit.<br />

Ergänzend könnte auch eine Vorstellung der Arbeit des Vereins „Steine der<br />

Erinnerung“ gegeben wer<strong>den</strong>, der nun über <strong>den</strong> 2. Bezirk hinaus Steinprojekte<br />

initiiert. Aufschlussreich über dessen Arbeit ist sicherlich die Homepage www.<br />

steinedererinnerung.net. Als Material bietet sich weiters mein Gedächtnisprotokoll an,<br />

der berührende Text „Meine Eltern“ von Nelly Sturm (beides im Anhang, 5.5.1 und<br />

5.5.2, letzterer von der Homepage) könnte teilweise vorgelesen wer<strong>den</strong>.<br />

51


4.6 Die „Ewigkeitsgasse“<br />

Nach der Betrachtung der Steine der Erinnerung biegt man wieder ein in <strong>den</strong><br />

Yppenplatz und begibt sich zu <strong>den</strong> Säulen der Erinnerung, die derzeit (Sommer und<br />

Herbst 2009) dem Thema „Frederic Morton zum Begriff Heimat“ gewidmet sind. Dies<br />

ist ein optimaler Einstieg für die nächste Station in der Thelemanngasse. Die<br />

SchülerInnen können die Texte auf <strong>den</strong> Säulen selbst lesen bzw. können<br />

ausgewählte Schüler oder die ReferentInnen diese Texte (siehe unten) laut<br />

vorlesen. Falls diese Säulen schon einem anderen Thema gewidmet sind oder nicht<br />

mehr existieren, können die Poster zur Säulengestaltung auf der Homepage<br />

www.sammlungdichter.com recherchiert wer<strong>den</strong>:<br />

52


FREDERIC MORTON zum Begriff „Heimat“ aus „Durch die Welt nach Hause“<br />

„Heimat bedeutet für mich geborgen sein. Das ist meine Kindesheimat, die sehr spezifisch war,<br />

nicht, das war eine Gasse in einem<br />

Bezirk und dort gehöre ich hin. In New York war die Bäckerschule für mich die Ersatzheimat.<br />

Die Emigration in die Literatur war wieder<br />

eine Emigration aus der Ersatzheimat. Man ist im richtigen Ausland, wenn man dorthin muss,<br />

und man weiß, man muss dort bleiben.“<br />

53


4.6.1 Geschichte Frederic Mortons und der Familie Mandelbaum<br />

Frederic Morton vor dem Haus Thelemanngasse Nr. 8 Säulen der Erinnerung, 2009<br />

Frederic Morton 56 wurde am 5.10.1924 in der Thelemanngasse in Wiener Bezirk<br />

Hernals, der an dieser Stelle in Form eines Armes in <strong>den</strong> 16. Bezirk Ottakring<br />

hineinragt, geboren. Seine Familie besaß die Häuser 2, 4, 6 und 8 in dieser Straße,<br />

die nicht länger als eben diese vier Häuser ist (=> „Ewigkeitsgasse“). Er besuchte<br />

das BRG 17 und war bester Leichtathlet der Schule.<br />

Die Mandelbaums waren in der Eisenwarenfabrikation tätig. Gründer des<br />

Unternehmens war Fritz´ Großvater Bernhard Mandelbaum, der für die Monarchie<br />

Medaillen schmiedete. Nach dem Anschluss konnte die Familie nicht gleich fliehen.<br />

Der Vater wurde verhaftet und ins KZ Dachau gebracht, nach Zwangsarbeit 1939<br />

wieder freigelassen. 1939 gelang die Ausreise nach England, seit 1940 leben die<br />

Mandelbaums in New York. Der Vater von Fritz ließ <strong>den</strong> Familiennamen<br />

Mandelbaum auf Morton umändern, weil er als Herr Mandelbaum nicht in die damals<br />

antisemitischen US-Gewerkschaften eintreten durfte.<br />

Der 15-jährige Fritz selbst absolvierte in New York eine Bäckerlehre, studierte dann<br />

Nahrungsmittelchemie und schloss mit dem Bachelor of Science ab. Ab 1949<br />

studierte er Literaturwissenschaften an der New School for Social Research und<br />

erwarb ein Masters Degree in Sprachphilosophie. Ab 1951 kam er als<br />

amerikanischer Korrespon<strong>den</strong>t zeitweise nach Wien zurück. Später arbeitete er für<br />

56


die New York Times und das Magazin Esquire. Er begann Bücher zu schreiben, in<br />

<strong>den</strong>en er sich nicht zuletzt mit seiner Emigrations- bzw. der Wiener Geschichte<br />

auseinandersetzt. In seinem Roman "Die Ewigkeitsgasse" 57 (1984) gibt er unter<br />

anderem die Geschichte von Hernals in dieser Zeit wieder. Er schildert darin <strong>den</strong><br />

Aufstieg des kleinen Handwerkers (Berek Spiegelglas - ein literarisches Porträt des<br />

Großvaters des Autors) aus der k. u. k. Provinz zum angesehenen Fabrikanten und<br />

Hausbesitzer in Wien bis zu dessen Tod (1938 im Buch, tatsächlich 1936).<br />

In einem Interview – siehe „Vom Türkenplatzl zur Thelemanngasse“ 58 (– spricht er<br />

über Bezüge zwischen dem Roman und der Familiengeschichte:<br />

„Das Türkenplatzl ist die Thelemanngasse; das ist eine kleine Wiener Gasse mit nur acht<br />

Häusern, zwischen Brunnenmarkt und Gürtel. Benannt nach einem Friedrich Thelemann,<br />

einem sehr erfolgreichen Architekten, der später ein erfolgreicher Grundstücksmakler wurde.<br />

Mein Großvater war Dorfschmiedelehrling in einer Hufschmiede am Brunnenmarkt. Dann<br />

sattelte er auf Schnittenstanzenmacher um, war Geselle bei einem Pfeifenmacher, machte<br />

dann seine Meisterarbeit und begann eine Werkstätte in der Thelemanngasse 8<br />

einzurichten. Dort machte er unter anderem k. u. k. Or<strong>den</strong>. Im Vorwort zu meinem Buch „Ein<br />

letzter Walzer“ habe ich über die Werkstatt geschrieben. Mein Großvater war in Kontakt mit<br />

reichen Leuten wie <strong>den</strong> Kohns. Herr Kohn finanzierte meinen Großvater. Großvater war<br />

technischer Leiter der Werkstätte und kaufte dann das Haus von <strong>den</strong> Kufners. Die Kufners<br />

waren Besitzer einer Brauerei, sie waren ebenfalls Ju<strong>den</strong>. Ignaz Kufner war der letzte<br />

Bürgermeister von Hernals. Hernals war damals ja eine eigene Gemeinde und wurde erst<br />

1898 Wien eingemeindet. (…)<br />

Mein Großvater machte dann eine größere Fabrik auf, Thelemanngasse 4, und kaufte auch<br />

das Haus Nr. 6. so besaß unsere Familie schließlich Thelemanngasse 2, 4, 6 und 8. Ich<br />

wurde in Haus Nr. 8 geboren, wo auch der Komponist Edmund Eysler geboren wurde.<br />

Das Haus Nr. 8 ist historisch, aber nicht architektonisch interessant. In <strong>den</strong> Räumlichkeiten,<br />

in <strong>den</strong>en mein Großvater seine erste Werkstatt hatte und Or<strong>den</strong> erzeugte, war vorher, gleich<br />

nach dem Bau des Hauses, eine Tanzschule. Dann kam mein Großvater und machte eben<br />

k. u. k. Or<strong>den</strong>. Dann, als mein Großvater ein sehr wohlhabender Mensch war, vermietete er<br />

die Werkstättenräume an ein jüdisch-orthodoxes Bethaus. Dieses Bethaus wurde 1938<br />

während der „Kristallnacht“ zerstört, an dem Tag, an dem mein Vater verhaftet und nach<br />

Dachau gebracht wurde. Über diesen Tag habe ich ein Feuilleton in der „New York Times“<br />

geschrieben, zur vierzigsten Wiederkehr der „Kristallnacht“.<br />

Dann wur<strong>den</strong> diese Räumlichkeiten ein SA-Klub. Nach dem Krieg wurde das Ganze eine<br />

Schihosenwerkstätte, dann kurz eine Weinhalle. Jetzt beherbergt das Haus, seit fünfzehn<br />

oder zwanzig Jahren, ein kleines Türkenzentrum – mit einer Moschee, einer moslemischen<br />

Greißlerei und einem kleinen Restaurant.<br />

Bürgermeister Michael Häupl hielt vor zirka sieben oder acht Jahren bei der Enthüllung einer<br />

Ge<strong>den</strong>ktafel für das zerstörte jüdische Gebetshaus eine Rede. Das war sehr ergreifend und<br />

passend, <strong>den</strong>n er sagte, was wir einmal <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> angetan haben, dieses Unheil, soll die<br />

Wiener stets vor der Frem<strong>den</strong>feindlichkeit gegen die Türken warnen. Ich war auch dort und<br />

57


habe es sehr schön gefun<strong>den</strong>. Der Obmann des Türkenzentrums hat mir dann ein Exemplar<br />

des Korans geschenkt, das war sehr ergreifend.<br />

Die Fabrik, die jetzt noch Morton heißt – meine Vater bekam sie in sehr beschädigtem<br />

Zustand zurück - , diese Fabrik machte während der Hitlerzeit Naziabzeichen. Später stellte<br />

man in dieser Fabrik – sie wurde wie gesagt meinem Vater zurückerstattet – Metallor<strong>den</strong> her.<br />

Mein Vater verkaufte sie dann an Herrn Mühlberger, dessen Sohn die Fabrik noch immer<br />

weiterführt. Sie machen unter anderem Schnallen für die Montur der Wiener Stadtpolizisten<br />

und des Bundesheeres.“<br />

Thelemanngasse (Nr. 2, 4, 6 und 8 – von Morton literarisch als „Ewigkeitsgasse“ bezeichnet)<br />

58


Aufschrift am Haus Thelemanngasse 6 Tafel am Haus Thelemanng. 8<br />

Weiters spielt Wien in seinen Romanen „Ein letzter Walzer (1979, Grundlage für das<br />

Musical „Rudolf“) und „Wetterleuchten“ die Hauptrolle. Ein weiteres Werk von<br />

hervorragender Bedeutung stellt "Die Rothschilds“ (1962) dar, ein Werk über die<br />

Geschichte der <strong>jüdischen</strong> Familie Rothschild. Morton erhielt in seiner Heimatstadt<br />

und international viele Ehrungen und Auszeichnungen.<br />

4.6.2 Ideen zur Gestaltung der Station<br />

Ich würde für die Präsentation der Station die ruhigen Sitzgelegenheiten bei <strong>den</strong><br />

Säulen der Erinnerung empfehlen. Der Spaziergang zur Thelemanngasse (=<br />

„Ewigkeitsgasse“) selbst dauert dann nur mehr ein bis zwei Minuten. Hier kann man<br />

dann eher auf Details wie Ge<strong>den</strong>ktafeln wie jene für das ehemalige Bethaus am<br />

Haus Nr. 8, die Aufschrift „Ewigkeitsgasse“ am Haus Nr. 6 oder die Firmentafel<br />

„Morton“ am Haus Nr. 4 verweisen und <strong>den</strong> vom Gürtel kommen<strong>den</strong> Lärm<br />

vermei<strong>den</strong>.<br />

Als Material habe ich verschie<strong>den</strong>e kürzere und längere Texte in <strong>den</strong> Anhang<br />

gegeben, die je nach Alter und Hintergrund zur Vorbereitung der Referate dienen<br />

können:<br />

59


- Biographisches: Lebenslauf 59 von Frederic Morton und Wikipedia-Artikel 60<br />

- Kurztext (vier Seiten) von Frederic Morton „Etwas Süßes für die Reis“ 61 , in<br />

dem er das Verlassen seiner Heimat schildert<br />

- Interview mit dem Autor aus dem Buch „Ewigkeitsgasse“ 62 und Langartikel 63<br />

über ihn: „Frederic Morton, ein Amerikaner Wiener Herkunft“ von Helga Häupl-<br />

Seitz<br />

Handelt es sich um Oberstufenschüler, würde ich im Fach Deutsch Romane von<br />

Frederic Morton als Referatsthemen vergeben. Zuallererst natürlich<br />

„Ewigkeitsgasse“, aber auch alle anderen wären möglich. Da „Ewigkeitsgasse“ vor<br />

einigen Jahren als Gratis-Wien-Stadtbuch verteilt wurde und wir in der Schule<br />

Exemplare in Klassenstärke vorhan<strong>den</strong> haben, könnte man in der Oberstufe in<br />

Deutsch das Buch als Klassenlektüre wählen. Für Schüler aus Ottakring und Hernals<br />

wäre ein Besuch des Hernalser Bezirksmuseums interessant, da dort auf die<br />

Geschichte von Frederic Morton eingegangen wird. Interessant könnte auch eine<br />

Umfrage im Brunnenviertel sein, die – im Anschluss an das derzeitige Kunstprojekt<br />

auf <strong>den</strong> Säulen der Erinnerung“ - die Migranten zu ihrem Heimatbegriff befragt.<br />

60


4.7 Schuhmacherfamilie Waldinger aus der Neulerchenfelderstraße 5<br />

Neulerchenfelderstr. 5 heute - gegenüber: Haus der früheren Werkstätte des Vaters<br />

Über <strong>den</strong> Yppenplatz - wo die Säulen wiederum als Ruheoase für die Vorstellung<br />

der nächsten und letzten Station dienen können – und die Brunnengasse gelangen<br />

wir zur Neulerchenfelderstraße, die wir Richtung Gürtel zum Haus Nr. 5 marschieren,<br />

wo die jüdische Familie Waldinger 64 lebte. Beide Elternteile stammen aus Galizien:<br />

Der Vater Salomon (Schlomo) Waldinger kam 1869 in Drohobycz zur Welt (+ 1933)<br />

und kam im Alter von 14 Jahren erstmals nach Wien 65 und kehrte nicht mehr in<br />

seine Heimat zurück. Er wurde Schuhhändler und –erzeuger in Neulerchenfeld und<br />

heiratete die ebenfalls aus Galizien stammende Anna (Channah) Spinath geb. 1872,<br />

+ 1963 Boston). Schlomos Vater Reb Kalman Waldinger blieb im galizischen<br />

Erdölgebiet von Boryslaw, seine Frau Blume führte als gläubige Jüdin einen strengen<br />

Haushalt. Salomon und Anna hatten vier Kinder: Ernst (1896), Dinah (1898),<br />

Theodor (1903) und Alfred (1905).<br />

61


62<br />

Familie Waldinger, 1912 66<br />

Auf zwei von ihnen – Ernst und Theodor - möchte ich genauer eingehen, da sie<br />

literarisch unter anderem auf die Zeit des Nationalsozialismus eingehen. Alfred, der<br />

Gartenarchitekt, veröffentlichte zwar 1980 auch einen Gedichtband – „Späte Ernte“ –<br />

auf ihn werde ich aber nicht genauer eingehen.<br />

4.7.1 Ernst Waldinger<br />

Ernst Waldinger 67 wurde am 16. Oktober 1896 im Haus Neulerchenfelder Straße 5<br />

(siehe Foto oben - das alte Haus wurde aber längst niedergerissen) im Wiener<br />

Arbeiterbezirk Ottakring geboren. Er besuchte die Volksschule in der<br />

Josefstädterstraße, die Talmudschule in der Hubergasse, später in der Leopoldstadt.<br />

Im Haus Neulerchenfelder Straße 2 – dem „Adlerhof“ (siehe Foto oben rechts) – in<br />

dem sein Vater Schuhmacherwerkstatt und –geschäft hatte, stürzte er durch eine<br />

Kellertür zwei Stockwerke hinab und zog sich einen komplizierten Beinbruch zu, der<br />

schlecht heilte. Dies war sein erster prägender Unfall gewesen.


Häufig unternahm die Familie Waldinger Ausflüge nach Kierling bei Klosterneuburg<br />

ins nahe Liebhartstal im Wiener Wald (siehe Gedicht „Liebhartstal“ im Anhang -<br />

5.7.3.7). Er besuchte das Gymnasium in der Kalvarienberggasse in Hernals und<br />

hörte gerne Vorträge im „Volksheim“, der Volkshochschule Ottakring. 1913<br />

übersiedelte die Familie in die nahe gelegene Bernardgasse 29 im eher bürgerlichen<br />

7. Bezirk auf der anderen Seite des Gürtels. Ernst war Mitglied einer sozialistischen<br />

Mittelschülergruppe, später der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und 1933<br />

Mitbegründer der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller.<br />

Nach der Matura meldete sich der junge Ernst Waldinger mit seiner Schulklasse<br />

geschlossen freiwillig zum Militärdienst, weil er die Ansicht vertrat, dass Ju<strong>den</strong> wie<br />

Nichtju<strong>den</strong> zum Staat stehen müssten, auch wenn sie nicht überall gleichberechtigt<br />

wären. Er wurde Offizier und kam an die Ostfront. Bei Panciu im heutigen Rumänien<br />

wurde er am 17. August 1917 durch Granatsplitter an Kopf und Rücken so schwer<br />

verletzt, dass er vorübergehend sein Sprechvermögen verlor. Durch das Rezitieren<br />

von Gedichten kämpfte er dagegen an. Drei Finger blieben gelähmt. Er studierte<br />

nach dem Krieg Germanistik und Kunstgeschichte. Anschließend arbeitete er für <strong>den</strong><br />

Verlag „Allgemeiner Tarifanzeiger“, ab 1935 war er Mitherausgeber der Reihe „Das<br />

kleine Lesebuch“. Schon seit seinem 16. Lebensjahr hatte er Verse und Essays<br />

verfasst und in diversen Zeitschriften herausgegeben. 1934 veröffentlichte er seinen<br />

ersten Gedichtband „Die Kuppel“. Er erhielt <strong>den</strong> Julius-Reich-Preis.<br />

Nach dem Anschluss konnte er dank der amerikanischen Staatsbürgerschaft seiner<br />

Frau Beatrice aus Wien nach New York fliehen. 1944 war er Mitbegründer von<br />

Wieland Herzfelds Aurora-Verlag. 1947 erhielt er am Skidmore College in Saratoga<br />

Springs, N.Y, eine Professur, die er bis 1965 innehattte. In seiner Lyrik<br />

(Gedichtbände wie „Die kühlen Bauernstuben“ und „Zwischen Hudson und Donau“)<br />

und als Essayist verarbeitete er die leidvollen Erfahrungen der Entwurzelung durch<br />

das Exil. Im Literaturhaus wurde ihm sogar schon eine eigene Ausstellung gewidmet.<br />

Ernst Waldinger starb am 1. Februar 1970 in New York.<br />

63


Ernst Waldinger in Uniform, 1917 68 E. W. mit Josef Weinheber<br />

Ernst Waldinger 1943 und im Central Park, New York 1965<br />

64


4.7.2 Theo Waldinger<br />

Theo Waldinger 69<br />

Theo Waldinger war der weniger bekannte jüngere Bruder von Ernst Waldinger. Er<br />

wurde 1903 ebenso in der Neulerchenfelderstraße 5 geboren und bildete schon früh<br />

mit Gleichgesinnten die künstlerisch wie politisch bewegte Jugendgruppe der<br />

„Felonen“, die Elias Canetti in seinen Erinnerungen „Felos“ nannte. 1938 musste er<br />

über Paris in die USA flüchten. Er arbeitete in New York und Boston initiativ an<br />

österreichischen Exilantenorganisationen mit. Erst spät begann er seine<br />

Lebensgeschichte aufzuschreiben und (mit Hilfe von Karl-Markus Gauß) in seinem<br />

Buch „Zwischen Ottakring und Chicago“ 70 die Geschichte seines Lebens und des<br />

vergangenen Jahrhunderts aus ganz subjektiver Sicht zu erzählen. Er starb am 14.<br />

März 1992 in Chicago.<br />

65


4.7.3 Ideen zur Gestaltung der Station<br />

Da es sich bei der Neulerchenfelderstraße um eine sehr laute Straße handelt, würde<br />

ich nach dem Besuch der Thelemanngasse („Ewigkeitsgasse“) wieder zu <strong>den</strong><br />

Bänken am Yppenplatz zurückkehren und dort die Biographie von Ernst bzw. Theo<br />

Waldinger kurz erzählen lassen.<br />

Was Ernst betrifft, können Gedichte je nach Interesse der Schüler (manche eher mit<br />

Lokalkolorit, manche eher ernster mit Holocaust-Bezug, siehe Materialanhang 5.7.3)<br />

vorgelesen wer<strong>den</strong>. Die Beschäftigung mit <strong>den</strong> Gedichten könnte aber genauso gut<br />

als Vor- bzw. Nacharbeit in der Schule (am besten im Deutsch-Unterricht) angelegt<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

Was Theo Waldinger betrifft, könnten neben einem kurzem Eingehen auf sein Leben<br />

Passagen aus seinem Buch „Zwischen Ottakring und Chicago“ vorgelesen wer<strong>den</strong>:<br />

Im Anhang (5.7.4) befin<strong>den</strong> sich Stellen zur Einwanderung seines Vaters nach Wien<br />

(„Die Liebe zu Wien“), welche auch einen Bezug zum Bethaus in der<br />

Thelemanngasse 8 bieten (Familie Mandelbaum).<br />

„Die Hauptsorge jüdischer Eltern, deren Kinder in die Welt zogen, war damals, dass sie in<br />

der Ferne von <strong>den</strong> alten Traditionen abweichen und vielleicht in ihrem Glauben erschüttert<br />

wer<strong>den</strong> könnten. Als Blume eine orthodoxe Familie gefun<strong>den</strong> hatte, die bereit war, meinen<br />

Vater bei sich aufzunehmen, und als dieser hinreichend glaubwürdig versprochen hatte, fest<br />

nach <strong>den</strong> alten Riten zu leben, durfte er daher tatsächlich aus Boryslaw nach Wien<br />

übersiedeln; und er hielt sich, von unbedeuten<strong>den</strong> Einschränkungen abgesehen, bis ans<br />

Ende seiner Tage an das Versprechen, das er mit vierzehn Jahren seine glaubensstrengen<br />

Mutter gegeben hatte.<br />

Julius Kruppnik, das Oberhaupt der Familie, in die mein Vater geriet, war ultraorthodox, aber<br />

äußerst geschäftstüchtig. Er hatte ein Damenkonfektionsgeschäft aufgebaut und wusste, wie<br />

er die Sabbatruhe umgehen konnte. Gläubige Ju<strong>den</strong> dürfen ja bekanntlich samstags kein<br />

Geschäft offen halten, auch kein Bargeld besitzen. Der Samstag war andrerseits aber der<br />

Hauptgeschäftstag, und so verkaufte Julius Kruppnik je<strong>den</strong> Freitag am Abend, wenn der<br />

Sabbat beginnt, bis zum Samstagabend, wenn er endet, sein Geschäft um einen nominalen<br />

Betrag an einen Nichtju<strong>den</strong>. So gingen die Geschäfte gut und er blieb doch sün<strong>den</strong>frei und<br />

lebte ganz nach dem Buchstaben der Gesetze. Von dem Reichtum, <strong>den</strong> er so schuf und<br />

mehrte, verwandte Julius Kruppnik hohe Summen freigebig für soziale und religiöse<br />

Belange. Unter anderem war er die finanzielle Stütze des Bethausvereins Gemiluth Chesed<br />

Haus der Gnade). Das Gebäude dieses Vereins in der Telemanngase im 16. Bezirk gehörte<br />

einer Familie Mandelbaum, die im Holocaust nahezu ausgelöscht wurde; einem Sohn des<br />

Vermieters Mandelbaum aber sollte die Flucht aus Euro gelingen – er änderte seinen Namen<br />

in New York auf Frederic Morton und wurde ein angesehener amerikanischer Schriftsteller.“ 71<br />

66


Weiters kann im Auszug „Neulerchenfeld“ das Lokalkolorit des Brunnenviertels<br />

spürbar gemacht wer<strong>den</strong>.<br />

„Meine Eltern mieteten zunächst eine Wohnung in Ottakring, das damals noch nicht<br />

eingemeindet, sondern ein Vorort Wiens war. Das dreistöckige Kleinbürgerhaus in der<br />

Neulerchenfelderstraße 5 hatte einen riesigen Hof, es gab Pawlatschen ringsum,<br />

Pferdeställe, sogar eine Druckerei. Auf der Straßenseite war ein großes Tor, hoch und breit<br />

genug, um Schwerfuhrwerken, von Pinzgauerrossen gezogen, Aus- und Einfahrt zu<br />

gestatten. Der Hof war ein Paradies für spielende Kinder, er war von Pferdegetrappel, vom<br />

Aufklatschen der Druckerpresse, vom ausgelassenen Lärmen der Kinder erfüllt. (…)<br />

Mittlerweile hatte mein Vater im gegenüberliegen<strong>den</strong> Haus mit der Nummer 2 eine<br />

Schuhwarenerzeugung mit angeschlossenem Detailgeschäft gegründet.(…) Die<br />

Neulerchenfelderstraße, wir sind dann mit einer kurzen Zwischenstation in der Tigerstraße,<br />

in das Haus mit der Nummer 27 übersiedelt, war damals und ist heute noch eine lebhafte<br />

Durchzugs- und Geschäftsstraße. Die längste Zeit gab es dort natürlich noch keine<br />

elektrische Straßenbahn. Ein grüner Stellwagen war es, der von zwei gutgenährten Pfer<strong>den</strong><br />

gezogen, die Neulerchenfelderstraße dem lieblichen Liebhartstal zu und auf <strong>den</strong><br />

Wilhelminenberg hinauf fuhr. Stellwagen? Vermutlich hieß er so, weil man das Fahrzeug<br />

nach Bedarf anhalten, stellen konnte, und zwar per Anruf des Kutschers, der so aufmerksam<br />

gemacht wurde, dass ein Fahrgast aussteigen oder zusteigen wollte.“ 72<br />

Der Abschnitt „Ins Exil“ mit einzelnen Unterkapiteln geht auf die Flucht des Autors<br />

nach Paris ein. Die Schulerfahrungen seiner vorerst in Wien zurückgelassenen<br />

Tochter Grete und Frau Claire (Parallelen zum Buch „Als Hitler das rosa<br />

Kaninchen stahl“ bieten sich an!) – „Falle Wien“ – eigenen sich sicherlich zum<br />

Vorlesen.<br />

„Am Telefon schilderte mir meine Frau, was in Wien in <strong>den</strong> Tagen nach dem „Anschluss“ vor<br />

sich ging. Unsere Tochter Grete besuchte schon die zweite Klasse der Volksschule in der<br />

Neustiftgasse, sie war eine fleißige, wissbegierige und von allen gemochte Schülerin. Ein<br />

paar Tage nach der Gleichschaltung wurde sie von der ersten in die letzte Bankreihe<br />

versetzt, dorthin, wo sonst kurzfristig die schlimmen Buben lan<strong>den</strong>. Wenn sie allzu frech<br />

gewesen sind und sich beruhigen sollen. Wenig später kam die Verordnung, dass jüdische<br />

Kinder nicht länger mit arischen Kindern zusammen in die Schule gehen durften, eigene<br />

„Ju<strong>den</strong>schule“ wur<strong>den</strong> gegründet. Von einer Stunde auf die andere musste sie ihre Sachen<br />

packen und ihre Mitschüler verlasen. Das tägliche Spielen im Park – für Ju<strong>den</strong> verboten,<br />

lebensgefährlich, sich daran nicht zu halten.“ 73<br />

67


Weitere Stellen gehen auch auf die Erfahrungen eines Flüchtlings in Paris bis zur<br />

Wiedervereinigung mit Frau und Kind ein. Geschichtlich interessierte<br />

Oberstufenschüler könnten als Erweiterung wiederum das ganze Buch in Form eines<br />

Referats im Deutsch- oder Geschichteunterricht vorstellen.<br />

Nach dem Abstecher von der Brunnengasse zur Neulerchenfelderstraße 5, der<br />

inhaltlich sehr interessant ist, was die Häuser selbst betrifft aber eher wenig bietet, ist<br />

der Geschichtespaziergang am Ende angelangt. Es sind nun nur mehr wenige<br />

Schritte bis zur Straßenbahnlinie 2 (früher: J-Wagen), der die SchülerInnen in etwa<br />

zehn Minuten zur Schule zurückbringt.<br />

68


5. Materialsammlung<br />

5.1 Material zu Arik Brauer<br />

5.1.1 Wikipedia-Artikel über Arik Brauer<br />

Arik Brauer 74<br />

Arik Brauer (Wien 2009)<br />

Arik Brauer (* 4. Jänner 1929 in Wien; eigentlich Erich Brauer) ist ein österreichischer<br />

Maler, Grafiker, Bühnenbildner, Sänger und Dichter.<br />

Leben und Wirken<br />

Brauer wurde als Sohn eines aus Litauen stammen<strong>den</strong> <strong>jüdischen</strong> Schuhmachers in Ottakring<br />

geboren. Die Herrschaft der Nationalsozialisten beendete seine unbeschwerte Kindheit im<br />

Wien der 1930er Jahre. Brauers Vater starb in einem Konzentrationslager, er selbst überlebte<br />

in einem Versteck. Nach dem Krieg schloss sich der junge Idealist Brauer zunächst der KPÖ<br />

an, wandte sich aber bald enttäuscht von der kommunistischen Bewegung ab.<br />

Gleich nach dem Krieg studierte Brauer bis 1951 an der Akademie der bil<strong>den</strong><strong>den</strong> Künste<br />

Wien bei Robin Christian Andersen und Albert Paris Gütersloh. Während dieser Zeit gründete<br />

er mit Ernst Fuchs, Rudolf Hausner, Wolfgang Hutter und Anton Lehm<strong>den</strong> die Wiener Schule<br />

des Phantastischen Realismus. Ab 1947 studierte er zusätzlich Gesang an der Musikschule<br />

der Stadt Wien. Zwischen 1951 und 1954 reist er mit dem Fahrrad durch Europa und Afrika,<br />

was er später im Lied: Reise nach Afrika verarbeitet. 1954/55 lebte er als Sänger und Tänzer<br />

in Israel und trat 1956 als Tänzer im Raimundtheater in Wien auf. Im Jahr darauf heiratete er<br />

die Jemenitin Naomi Dahabani in Israel und zog mit ihr nach Paris, wo das Paar als<br />

israelisches Gesangsduo Neomi et Arik Bar-Or seinen Lebensunterhalt verdiente. In Paris<br />

hatte er seine erste erfolgreiche Einzelausstellung.<br />

69


Arik Brauer (Wien 2009)<br />

Als Brauer 1964 die Pariser Bohème verließ und wieder nach Wien zurückkehrte, genossen<br />

die Künstler der Wiener Schule des Phantastischen Realismus bereits große Popularität, und<br />

es gab von 1953 bis 1965 eine Weltwanderausstellung. Neben Wien ist Brauer seit dieser Zeit<br />

auch im Künstlerdorf Ein Hod in Israel ansässig, wo er aus einer Ruine ein künstlerisch<br />

gestaltetes Haus schuf. Zu dieser Zeit begann er auch Bühnenbilder für die Wiener Staatsoper<br />

(Medea von Luigi Cherubini, 1972; Regie August Everding), das Opernhaus Zürich, das<br />

Theater an der Wien und die Pariser Oper (Die Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart,<br />

1977; Regie Horst Zankl, Dirigent Karl Böhm) zu gestalten.<br />

Brauers Gesangskarriere erreichte in <strong>den</strong> siebziger Jahren ihren Höhepunkt: Mit seinen<br />

Liedern im Wiener Dialekt wie Sie ham a Haus baut und Sein Köpferl im Sand ("Hinter<br />

meiner, vorder meiner") (1. Schallplatte 1971, zweimal Gold) oder der LP "Sieben auf einen<br />

Streich" 1978 wurde Brauer zu einem der Väter des Austropop. Seit 2000 tritt er immer<br />

wieder mit seinen Töchtern und Elias Meiri als Die Brauers auf.<br />

1986 bis 1997 war Arik Brauer or<strong>den</strong>tlicher Professor an der Akademie der bil<strong>den</strong><strong>den</strong> Künste<br />

in Wien.<br />

1991 begann er mit der künstlerischen Gestaltung des 1994 fertiggestellten Brauer-Hauses im<br />

6. Wiener Gemeindebezirk Mariahilf.<br />

2002 wurde Brauer mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I.<br />

Klasse ausgezeichnet. Im gleichen Jahr erhielt er <strong>den</strong> Auftrag der Botschaft Österreichs in<br />

Berlin zur Gestaltung des österreichischen United Buddy Bears.<br />

Kennzeichnend für das künstlerische Werk Brauers sind die farbenfrohen Flächen, die<br />

detaillierte Kleinarbeit und die Einbindung aktueller politischer Ereignisse in Bilder mit<br />

traum- und märchenhafter Atmosphäre, wobei Einflüsse von Pieter Bruegel dem Älteren<br />

sowie orientalischer Miniaturmalerei zu verzeichnen sind.<br />

Arik Brauer ist Vater der Sängerin Timna Brauer und der Töchter Ruth Brauer-Kvam (*<br />

1972) und Talja.<br />

70


Werke (Auswahl)<br />

Arik-Brauer-Haus<br />

Vogelfang, 1962<br />

Turm aus gebrannter Erde, 1962/63<br />

Der Regenmacher vom Karmel, 1964<br />

Die Verfolgung des <strong>jüdischen</strong> Volks, Zyklus, ab 1973<br />

Menschenrechte, 1975 (Zyklus von Farbradierungen)<br />

Bühnenbilder und Kostüme zur Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart an der Pariser<br />

Oper, 1975<br />

Sesam öffne dich, 1989 (Fernsehspiel mit Tochter Timna Brauer)<br />

Arik-Brauer-Haus in Wien 6, Gumpendorfer Straße 134/136, fertiggestellt 1993<br />

Fassade der katholischen Kirche Auferstehung Christi in Wien 2, Am Tabor 7, 1996<br />

Fassade der Zwi Perez Chajes Schule in Wien 2, Castellezgasse 35 (am Augarten)<br />

Fassade des Rathauses in Voitsberg (Steiermark) 2002<br />

Schieß nicht auf die blaue Blume, 2003<br />

Frie<strong>den</strong>sverhandlung, 2003<br />

Adam im Feuerwind, 2003<br />

Sommernacht, 2003<br />

Bibliografie (Auswahl)<br />

Buber/Brauer: XX Chassidische Erzählungen, 1978<br />

Arik Brauer: Die Ritter von der Reuthenstopf (Kinderbuch). Betz, München 1986, ISBN 3-<br />

219-10366-9<br />

Arik Brauer: Werkverzeichnis. Harenberg Komm., Dortmund 1992, ISBN 3-88379-427-9<br />

Arik Brauer: Arik Brauer (Bildband). Brandstätter, 1998, ISBN 3-85447-810-0<br />

Arik Brauer: Der Teufel und der Maler. Signierte Vorzugsausgabe. Ein Satyrikon<br />

(Zeichnungen). Amalthea, 2000, ISBN 3-85002-453-9<br />

Arik Brauer: Die Farben meines Lebens. Erinnerungen. Amalthea,2006, ISBN 3-85002-562-4<br />

Diskografie<br />

um 1960 Chants d'Israel par Neomi et Arik Bar-Or, disques BAM, Paris, LP<br />

1968 Brauers Liedermappe, Galerie Sydow, LP – unter Erich Brauer erschienen<br />

1971 Arik Brauer, Polydor in Coproduktion mit dem ORF, LP<br />

1973 Alles was Flügel hat fliegt, Polydor, LP<br />

1973 Petroleumlied / Das gol<strong>den</strong>e Nixerl, Polydor, Single<br />

1978 7 auf einen Streich, LP<br />

1984 Poesie mit Krallen, Joram Harel Management, LP – Zusammen mit Tochter Timna<br />

1985 Au – Lieder von Arik Brauer begleitet von Toni Stricker, Hanniphon, LP – zu Hainburg<br />

1987 Schattberglied / Schattbergsong, Amadeo, Single<br />

1988 Die Ersten, Polydor, CD-Wiederveröffentlichung von Arik Brauer<br />

71


1988 Geburn für die Gruam?, Amadeo, LP, CD, MC<br />

1989 Farbtöne, CD<br />

1994 Von Haus zu Haus, Dino Music, CD – mit Timna Brauer und Elias Meiri<br />

1998 Master Series, Polydor/PolyGram, CD<br />

1999 Die Brauers, „Adam & Eve“ Studio, CD – Die Brauers<br />

2000 Motschkern Is Gsund, Timna Brauer, CD<br />

Ausstellungen<br />

2009: Arik Brauer und die Bibel – Zum 80. Geburtstag, Dommuseum Wien [1]<br />

Literatur<br />

Walter Schurian (Hrsg.): Arik Brauer: Das Runde fliegt, Texte, Lieder, Bilder. dtv, München<br />

1983. ISBN 3-423-02885-8<br />

Theo Rommerskirchen: Arik Brauer. In: viva signatur si! Remagen-Rolandseck 2005. ISBN<br />

3-926943-85-8<br />

Einzelnachweise<br />

↑ Dommuseum Wien – Arik Brauer und die Bibel, abgerufen am 1. Juli 2009<br />

Weblinks [Bearbeiten]<br />

Commons: Arik Brauer – Bilder, Videos und Audiodateien<br />

Offizielle Webpräsenz von Arik Brauer<br />

Literatur von und über Arik Brauer im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Alfred Gerstl – Die vielfältige Kunst des Arik Brauer<br />

Arik Brauer und die Wiener Schule des Phantastischen Realismus<br />

Galerie 10 – Bilder von Arik Brauer<br />

Private Webseite mit Kurzbiographie Arik Brauers<br />

72


5.1.2 Biograpie Arik Brauers<br />

1929: Geboren am 4. Jänner als Sohn eines Handwerkers in Wien 75<br />

1935-1942: Schulzeit in Wien<br />

1938-1945: Verfolgung durch NS - Regime<br />

1945-1951: Besuch der Akademie der bil<strong>den</strong><strong>den</strong> Künste in Wien. Studium bei Prof.<br />

Albert Parus Gütersloh. Arbeitet in dieser Zeit gemeinsam mit <strong>den</strong> Freun<strong>den</strong> Ernst<br />

Fuchs und Anton Lehm<strong>den</strong> im "Turmatelier" der Akademie. Erste Ausstellung im<br />

Art Club Wien. Reise mit dem Fahrrad nach Paris. Tritt dort als Straßensänger auf.<br />

Reise nach Algerien. Lebt mehrere Monate in der Sahara.<br />

1947 - 1951: Gesangsstudium an der Musikschule der Stadt<br />

Wien<br />

1951-1954: Ausgedehnte Reisen mit dem Fahrrad durch<br />

Europa und Afrika (Frankreich, Spanien, ....)<br />

1955-1957: Ballettänzer im Wiener Raimundtheater. Schlägt<br />

sich in Israel als Volksliedersänger und -tänzer durch, erlebt<br />

<strong>den</strong> Sinai-Krieg. Heirat mit Naomi, die einer jüdischjemenitischen<br />

Familie entstammt.<br />

1958-1963: wird in Paris seßhaft. Arbeitet zusammen mit<br />

Naomi als Sänger israelischer Volkslieder. LP: "Neomi et Arik Bar - Or". Geburt<br />

der Töchter Timna und Thalia. Erste Erfolge als Maler in Paris: Ausstellungen in<br />

Galerie Cordier, Galerie Flinker, Salon Mai, Musèe d'art moderne de la ville de<br />

Paris. Weltwanderausstellung der "Wiener Schule des phantastischen Realismus".<br />

1964-1967: Bewohnt ein Haus in Ein Hod (Israel), das er selbst ausbaut und<br />

künstlerisch gestaltet. Lebt seither abwechselnd in Ein Hod und Wien. Ausstellung<br />

und Schallplatte " Glaub nicht an das Winklemaß" in Wien. Ausstellungen in <strong>den</strong><br />

USA, Frankreich und BRD. Schafft die Grafikserie "Liedermappe", die seinen<br />

selbstverfaßten und gesungenen Dialektlieder mit<br />

Schallplatte enthält. Erlebt in Israel <strong>den</strong> 6-Tage-Krieg.<br />

1968-1971: Langen-Müller, München, gibt <strong>den</strong> Band<br />

"Brauer - Malerei des phantastischen Realismus" heraus.<br />

Ausstellungen in der BRD, Rom, Paris, Kopenhagen,<br />

Vaduz, Tel Aviv - Museum, Marlborough Gallery, New<br />

York, Zürich, London. Bühnenbild für die Oper<br />

"Bomarzo" am Züricher Opernhaus. Bei Polydor<br />

erscheint die Arik Brauer LP, wofür er 2 Gol<strong>den</strong>e<br />

Schallplatten erhält.<br />

1972: Geburt der Tochter Ruth<br />

1972 - 1975: Ausstattung für die Oper "Medea" an der Wiener Staatsoper.<br />

Ausstellung im Art Museum, Tokyo. Jugend & Volk, Wien, gibt die Brauer<br />

Monographie von Wieland Schmied heraus. Schafft für TV und LP das Multi-<br />

Media-Werk "Alles was Flügel hat, fliegt". Arbeitet am Ölgemälde-Zyklus: "The<br />

History Of The Persecution Of The Jewish People". Das Mappenwerk<br />

73


"Menschenrechte"erscheint und wird weltweit ausgestellt. Bruckmann, München,<br />

verlegt Erich Lessings Fotoband: "Brauer - Die bunte Mauer".<br />

1976 - 1978: Langen-Müller, München, bringt Brauers Erzählung: "Die Zigeuner-<br />

Ziege" heraus. Ausstellungen in Deutschland, Österreich, Paris, New York, Oslo,<br />

Florenz, Bulgarien, Kanada, Schwe<strong>den</strong>, Polen. Ausstattung für: "Die Zauberflöte"<br />

am Thèatre National de l'Opera de Paris. Museumstour der Albertina-Ausstellung,<br />

das "Graphische Werk" durch Jugoslawien, Norwegen und Lateinamerika. Brauers<br />

Singspiel "7 auf einen Streich" wird im Rahmen der Wiener Festwochen<br />

uraufgeführt. Aufzeichnung des Singspiels für das österreichische, deutsche und<br />

schweizer Fernsehen und LP bei Polydor.<br />

1979 - 1982: Malt ein Ölbild - Zyklus für das Kulturzentrum<br />

der israelitischen Kultusgemeinde Wien. Arbeitet an einem<br />

Wandbild für die Universität - Haifa. Zahlreiche Vorträge an<br />

amerikanischen Universitäten. Gastproffersur an der<br />

Internationalen Sommerakademie für<br />

bil<strong>den</strong>de Kunst auf der Festung<br />

Hohensalzburg.<br />

1983-1987: Weltwanderausstellung:<br />

Wien, Salzburg, Graz. "Lieder und<br />

Bilder" in der Wiener Secession (mit<br />

Tochter Timna) und im Mozarteum,<br />

Salzburg. Brauers Buch: "Das runde<br />

fliegt" kommt beim deutschen<br />

Taschenbuch-Verlag heraus. Reisen<br />

nach USA, Marokko und Kenia, besteigt <strong>den</strong> Mount-Kenia.<br />

Monographie bei Harenberg erscheint. Schallplatte LP "Poesie<br />

mit Krallen", gemeinsam mit Tochter Timna kommt heraus.<br />

Aktive Teilnahme am Widerstand gegen das Kraftwerk<br />

Hainburg. Mini-LP mit Liedern über die Ereignisse in Stopfenreuther Au<br />

(Hainburg). Konzert im Konzerthaus mit Tochter Timna.<br />

1986: übernimmt eine Meisterschule an der Akademie der bil<strong>den</strong><strong>den</strong> Künste in<br />

Wien. Entwirft für das Andrè Heller "Luna-Park"-Projekt ein Ringelspiel.<br />

Schallplatte (Single) mit dem Schattenbergsong" für die Schi-Weltmeisterschaft<br />

kommt heraus.<br />

1988: Album "Geburn für die Gruabn" (Polydor) kommt auf <strong>den</strong> Markt. Die Platte<br />

ist eine Mischung aus traditionellem Wienerlied, Parodie und schwarzem Humor.<br />

1989-1994: gestaltet das "Brauerhaus" in Wien. Baut eine Raststätte an der<br />

Westautobahn (Lindach, Oberösterreich).Gestaltung eines Schachspieles für die<br />

Porzellanmanufaktur Augarten in Wien, TV - Spiele: "Sesam öffne dich" (1. und 2.<br />

Teil), CD und CDI "Von Haus zu Haus",<br />

1995: gestaltet er die Kirchenpassage in Wien.<br />

1998: Gestaltung eines 12000 m² großen Kulturhauses (Einkaufszentrum,<br />

Amphitheater, Museum) in Haifa, Eröffnung: Jänner 2000<br />

74


5.1.3 Gespräch mit Arik Brauer, Judaistik-Institut<br />

Kindheit und Jugend 76<br />

Arik Brauer wurde 1929 in Wien geboren. Sein Vater stammte aus Litauen und lebte in Wien,<br />

Ottakring, als Schuhmacher. Seine Mutter half im Betrieb mit. Als die Nationalsozialisten<br />

1938 Österreich "anschlossen", wurde Brauers Vater verschleppt und in einem KZ ermordet.<br />

Sein Vater "glaubte an die deutsche Kultur". Er kannte alle Schiller-Balla<strong>den</strong> auswendig, er<br />

glaubte nicht, "dass Nazis so grausam sein können." Er dachte, das all das, was nach dem<br />

Anschluss geschah, rasch vorbeigehen müsse, dass dies unkontrollierte Auswüchse seien, die<br />

die neuen Machthaber, die Nazis, rasch abstellen wür<strong>den</strong>. Er irrte sich. Die Nazis "haben ihn<br />

zu Seife gemacht." (Zitat: Brauer)<br />

Arik selbst und seine Mutter überlebten – mehr oder weniger versteckt – in Wien. Aus ihrer<br />

Wohnung wur<strong>den</strong> sie rausgeschmissen, der Schuhmacher-Betrieb arisiert. Der neue<br />

Eigentümer stellte jedoch Ariks Mutter verbotenerweise wieder an, was der Familie letztlich<br />

das überleben in Wien ermöglichte. Denn allein mit Essensmarken, die <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> in Wien<br />

zugeteilt wur<strong>den</strong>, konnte man, so Brauer, nicht lange überleben.<br />

Nationalsozialismus in Wien<br />

Arik Brauer verbrachte also die gesamte NS-Zeit in Wien. Anfangs wurde er noch ab und zu<br />

schikaniert, doch sobald er <strong>den</strong> gelben Davidstern gut sichtbar an der Kleidung tragen<br />

musste, ließen ihn die Leute weitgehend in Ruhe, machten eher einen Bogen um ihn. Das war<br />

<strong>den</strong> Leuten dann doch "zu steil", "so mittelalterlich", meinte Brauer. Diese "Brandmarkung"<br />

sollte sicherstellen, dass Ju<strong>den</strong> sofort erkannt wer<strong>den</strong> und nirgends hingelangten, wo sie<br />

nicht hindurften – was so ziemlich alles war, vom Straßenbahnfahren über <strong>den</strong> Schulbesuch<br />

bis zum Einkaufen oder dem Kinobesuch (sofern man überhaupt noch Geld gehabt hätte).<br />

Allerdings erkennt man, trotz aller Klischees, einen Ju<strong>den</strong> nicht unbedingt am Aussehen.<br />

Und abgesehen davon sah Brauer auch nicht besonders "jüdisch" aus. Also zog er seine<br />

Jacke, auf der der Davidstern befestigt war, einfach verkehrt an, wenn er als Kind, das ja<br />

mangels Schulbesuch nicht viel zu tun hatte <strong>den</strong> ganzen Tag, irgendwo hinging, wo er<br />

eigentlich nicht hindurfte. Etwa, wenn er ins Kino ging.<br />

Ob die Wiener wussten, was mit <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> geschieht, die weggebracht wer<strong>den</strong>? Laut Brauer<br />

ja, zumindest einen Teil der Wahrheit. Man wusste, dass die Ju<strong>den</strong> nach Theresienstadt und<br />

75


Auschwitz gebracht wer<strong>den</strong>, man wusste, dass es dort "schrecklich zugeht". Aber wie<br />

schrecklich, das wusste man nicht unbedingt – oder man konnte es nicht glauben. Man sagte<br />

zwar mitunter, "die wer<strong>den</strong> vergast", aber es konnte wohl kaum jemand glauben. Wobei, so<br />

Brauer, die nicht-jüdische Bevölkerung gewusst haben soll, dass je<strong>den</strong>falls "Schwachsinnige"<br />

vergast wer<strong>den</strong>.<br />

Als Wien schon so gut wie "ju<strong>den</strong>frei" war, entwickelte sich in <strong>den</strong> für <strong>den</strong> "Ju<strong>den</strong>transport"<br />

zuständigen Stellen eine gewisse Eigendynamik. Denn die Soldaten wussten: Sobald der<br />

letzte Jude aus Wien gebracht wurde, ist ihre Stelle überflüssig und sie wer<strong>den</strong> an die Front<br />

versetzt – und das wollte kaum jemand; je länger der Krieg fortlief, umso weniger; <strong>den</strong>n<br />

umso mehr wusste man von der harten Frontrealität.<br />

Also begannen die Wiener Stellen (und vermutlich nicht nur die Wiener), die "Restju<strong>den</strong>"<br />

hin- und herzuschicken. Man wollte sie "behalten", damit man "was zu tun" hat – um sein<br />

eigenes Leben nicht an der Ostfront dem wahrscheinlichen Tod zuzuführen.<br />

Nach 1945: Israel, Paris und wieder Wien<br />

Ob er nach 1945 ein Problem gehabt habe, in Österreich weiterzuleben? Jeder, dem man die<br />

Hand gibt, könnte ja ein "Ju<strong>den</strong>schlächter" gewesen sein! – Nein. Sowas kennt er nicht.<br />

"Jeder Mensch ist eine eigene Welt". Sowas verallgemeinert er nicht.<br />

Er studierte nach dem Krieg so bald wie möglich (er musste wohl noch die Matura<br />

nachholen) und schloss sich der KPÖ an – der er jedoch bald enttäuscht <strong>den</strong> Rücken kehrte.<br />

Bis 1951 studierte er an der Akademie der bil<strong>den</strong><strong>den</strong> Künste Malerei, wo er unter anderem<br />

mit Ernst Fuchs die Schule des Phantastischen Realismus mitbegründete, und von 1947 bis<br />

1951 studierte er auch Geige an der Musikschule. Anschließend, bis 1954, reiste er mit dem<br />

Fahrrad durch Europa und Afrika.<br />

Anschließend ging Brauer nach Israel, wo er eine Sängerin kennen lernte und heiratete. Die<br />

bei<strong>den</strong> zogen nach Paris, da es als "Zentrum der Kunst" galt und Wien für einen Künstler<br />

damals langweilig war – nix los, "wie in Bratislava". In Paris trat er mit seiner Frau als<br />

Gesangsduo auf, er sorgte auch für die musikalische Begleitung. Die Bei<strong>den</strong> pendelten nun<br />

halbjährlich zwischen Israel und Paris. Brauer kümmerte sich aber vor allem um die Malerei,<br />

doch nach ersten Ausstellungen kehrte er mit seiner Frau nach Wien zurück. "Heimaterde ist<br />

Heimaterde", "das Leben in Wien ist schöner als in Paris. Paris ist ein harter Bo<strong>den</strong>" – es sei<br />

"sehr schwer, eine Wohnung oder Atelier zu fin<strong>den</strong>" – in Wien, im Dritten, hatte er hingegen<br />

gleich was passendes gefun<strong>den</strong>.<br />

Antisemitismus, Restitutionsfrage, <strong>Erinnern</strong>, Waldheim<br />

Wenn ihm gegenüber jemand antisemitische Äußerungen macht, ist ihm das "wurscht".<br />

Denn das ist "sein Problem", das Problem desjenigen, der dies tut. "Ich habe keine Angst."<br />

(Brauer)<br />

Es stört ihn natürlich schon, wenn Politik und Medien antisemitisch agieren, aber "das ist<br />

überall so. 10 % der Menschen in jedem Land sehen die Welt so." Diesbezüglich erinnert er<br />

sich an <strong>den</strong> österreichischen Innenminister Oskar Helmer, der, das ist protokollarisch<br />

festgehalten, zur Restitutionsfrage die Aussage "Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu<br />

ziehen" von sich gegeben hat, und, so Brauer, sinngemäß gemeint hat: "wart' ma bis sie<br />

sterben". So etwas sei natürlich sehr ärgerlich und unmoralisch.<br />

Doch die dritte Generation hat die Restitutions-Sache dann endlich "in die Hand genommen<br />

– besser spät, als nie."<br />

76


Und was <strong>den</strong> Holocaust, die Shoa, betrifft, und die Frage, ob <strong>den</strong>n so etwas wieder geschehen<br />

könne: Der Holocaust war das größte Verbrechen der Geschichte – aber auch das erste, das<br />

aufgearbeitet wurde und wird.<br />

Auch über Waldheim gabs nicht viel zu sagen, was wir nicht bereits wüssten. "Da ham's a<br />

wengal die falsche Sau g'schlachtet", fiel Brauer dazu ein. Bei Peter wäre es treffender<br />

gewesen [die große Empörung usw.]. Aber Waldheim habe sich falsch verhalten: "nix g'sehn,<br />

nix g'hört, nur Befehle ausgeführt".<br />

zu Strache, FPÖ und Rechtsextremismus heute<br />

Was unterscheidet das Österreich von heute vom Österreich von 1938? "Damals waren Nazis<br />

teils die Elite – 80 % der Lehrer usw." (Brauer) – "heute muss man Nazis suchen, im<br />

Wirtshaus." Die FPÖ wendet sich an die "ungebildete Schicht, die nichts, oder bestenfalls<br />

Krone lesen."<br />

30 % der FPÖ-Wähler, so Brauer, seien nicht Faschisten oder Antisemiten – das sind Leute,<br />

die Probleme mit der Einwanderung haben: "Ich kann mir schon vorstellen, wie das für eine<br />

Pensionistin im 15. Bezirk ist: die traut sich nicht die Stiege owigehn!" (Brauer) [Wo die<br />

übrigen 70 % der Wähler einzuordnen wären, dazu ist es im Gesprächsverlauf nicht mehr<br />

gekommen.]<br />

Israel, Gaza<br />

"Was Israel macht, regiert, is schlecht – das kann man sagen. Aber was Israel machen<br />

sollte, weiß niemand – irgendwas muss man machen." Und wie umgehen mit <strong>den</strong><br />

palästinensischen Gebieten? Brauer, sinngemäß: Die Zwei-Staaten-Lösung wird das einzige<br />

sein, was infrage kommt. Voraussetzung ist allerdings, dass die Regierung in Palästina [also<br />

die palästinensische Regierung der palästinensischen Gebiete] die Kontrolle über Land und<br />

Bevölkerung hat.<br />

77


5.1.4 Interview mit Arik Brauer, Wiener Zeitung<br />

Der Wiener Künstler Arik Brauer im Gespräch 77<br />

Lieblingsmaler der Europäer<br />

Von Evelyn Adunka<br />

Arik Brauer, einer der Begründer der österreichischen Schule des Phantastischen<br />

Realismus, feierte Anfang Jänner seinen 70. Geburtstag. Eine Auswahl aus seinem Werk<br />

ist noch bis übermorgen im Historischen Museum der Stadt Wien zu sehen. Diese<br />

Ausstellung, zu der im Brandstätter-Verlag ein sehr schöner Katalog erschien, zeigt<br />

überwiegend Bilder aus Brauers Privatbesitz. Anlass genug für ein biographisches<br />

Interview mit dem Künstler, in dem er erstmals ausführlich von seinem Überleben im<br />

nationalsozialistischen Wien berichtet.<br />

„W. Z.": Wann und warum kam Ihr Vater Simche Brauer aus Russland nach Wien?<br />

Arik Brauer: Mein Vater kam aus Wilna in Litauen, das damals zu Russland gehörte. Er<br />

war verwickelt in die Revolution von 1905, nahm sich einen falschen Pass auf <strong>den</strong> Namen<br />

Brauer sein ursprünglicher Name war Segall und kam allein nach Wien. Er hatte eine<br />

gute Stimme und hätte ursprünglich Kantor wer<strong>den</strong> sollen. Dann besuchte er aber eine<br />

höhere hebräische Schule in Wilna, und nahm dort sozialistisches Gedankengut auf, das<br />

damals sehr aktuell war. Das veranlasste ihn, einen handwerklichen Beruf zu ergreifen<br />

und so wurde er aus ideologischen Grün<strong>den</strong> orthopädischer<br />

Schuhmacher.<br />

„W. Z.": War er auch in Wien politisch aktiv?<br />

Brauer: Nur in der austromarxistischen Bewegung und im Abstinenzlerbund. Eine<br />

Zeitlang lebte er in einem Heim, in dem auch der junge Adolf Hitler wohnte. Das war<br />

wahrscheinlich einer der Gründe, warum mein Vater die nationalsozialistische Bewegung<br />

nicht ernst genommen hat.<br />

„W. Z.": Erzählte er von Hitlers Re<strong>den</strong>?<br />

Brauer: Ich war zu jung, ich kann mich nur an <strong>den</strong> jiddischen Ausspruch erinnern: „der<br />

Meschiggene mit dem Burtl", also der Verrückte mit dem Schnurrbart.<br />

„W. Z.": Aber religiös war Ihr Vater nicht mehr?<br />

Brauer: Nein, er gehörte zu jener Generation, die sich emanzipiert hat. Er sprach sehr<br />

gut deutsch mit einem russischen Akzent und war begeistert von der deutschen Kultur,<br />

von Schiller und Goethe,<br />

und wir gingen auch ins Theater. Aber wenn wir allein waren, redete er mit mir jiddisch.<br />

Ich ging auch in die Religionsstunde. Dort wurde die Bibel vorgetragen und ich<br />

i<strong>den</strong>tifizierte mich mit <strong>den</strong> spannen<strong>den</strong> Räubergeschichten, die darin vorkamen. Mein<br />

Vater lachte darüber und sagte: Wenn<br />

die Ju<strong>den</strong> das hören, wer<strong>den</strong> sie zu Imperialisten.<br />

„W. Z.": Das heißt, Ihr Vater war kein Zionist.<br />

78


Brauer: Nein, obwohl die Büchse des zionistischen Nationalfonds bei uns stand, war nie<br />

die Rede von einer Auswanderung nach Palästina.<br />

„W. Z.": In welche jüdische Schulen kamen Sie dann?<br />

Brauer: In der Grüngasse, in der Albertgasse, später in der Sperlgasse und in der<br />

Malzgasse.<br />

„W. Z.": Gab es in diesen Schulen prägende Lehrer, an die Sie sich besonders erinnern?<br />

Brauer: Da war Hugo Bondi, der Direktor in der Grüngasse, der später das jüdische<br />

Waisenhaus in der Tempelgasse, die damals Mohaplgasse hieß, leitete und nach 1945 im<br />

Unterrichtsministerium tätig war.<br />

Im Keller des Waisenhauses war auch die Tischlerei des Ältestenrats der Ju<strong>den</strong> in Wien,<br />

in der ich dann gearbeitet habe. Die Mitarbeiter des Ju<strong>den</strong>referats der Gestapo haben<br />

spät, aber doch bemerkt, dass sie womöglich noch an die Ostfront müssen, wenn keine<br />

Ju<strong>den</strong> mehr da sein wer<strong>den</strong>. Daher begannen sie, die übriggebliebenen Ju<strong>den</strong> wie<br />

Porzellan zu behandeln. Es gab nur mehr kleine Transporte,<br />

sogar Transporte, die wieder zurückkamen, während man 1942/43 noch aus dem vollen<br />

schöpfen konnte.<br />

„W. Z.": Aber wie kamen Sie zu dieser Tischlerei?<br />

Brauer: Ein älterer Bub aus der Schlosserei des Ältestenrats, die es auch gab, hat mir<br />

gesagt, dass man geschützt war, wenn man dort arbeitete.<br />

„W. Z.": Konnten Sie manchmal aus der Mohaplgasse weggehen?<br />

Brauer: Ja, ich trug zwar <strong>den</strong> gelben Stern, aber wohnte in Ottakring, <strong>den</strong>n meine Mutter<br />

war als Mischling geschützt. Da ich aber 1933 Mitglied der Kultusgemeinde war, wurde<br />

ich als „Geltungsjude"<br />

eingestuft.<br />

„W. Z.": Wie war das Gefühl, <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong>stern zu tragen?<br />

Brauer: Die antisemitische Verfolgung vor 1938 war für Kinder sehr schmerzhaft und<br />

intensiv. Aber ich muss sagen, ab dem Tag, als ich <strong>den</strong> Stern tragen musste, wurde ich<br />

nie wieder von der Bevölkerung angestänkert oder behelligt. Offenbar erschien das <strong>den</strong><br />

Menschen doch zu unpassend und mittelalterlich für das 20. Jahrhundert.<br />

Ich erinnere mich, dass mich einmal ein jüdischer Kapo mit dem Ju<strong>den</strong>stern aus<br />

Ottakring in die Castellezgasse führte. Er hatte eine Berechtigung, um mit der<br />

Straßenbahn fahren zu dürfen. Eine Frau gab mir vor allen Menschen ein Sackerl mit<br />

Keksen und riskierte damit ihre Existenz.<br />

Später, im Jahr 1944 muddten Ju<strong>den</strong> die Villa von Johann Rixinger, dem Ju<strong>den</strong>referenten<br />

der Gestapo, in der Hinterbrühl auf Hochglanz herrichten. Ich baute für ihn zwei Monate<br />

lang <strong>den</strong> Hühnerstall, und ein-, zweimal ließ er für uns auch Mohnnudeln kochen. Zwei-<br />

bis dreimal musste ich mit einem schweren Handwagerl vom zweiten Bezirk in die<br />

Hinterbrühl marschieren, und da geht man einen ganzen Tag.<br />

Da musste mich ein deutscher SS-Mann begleiten, der sich furchtbar darüber gegiftet<br />

hat. Wir gingen um fünf Uhr in der Früh weg und ich war bereits am Rande meiner Kräfte<br />

79


und schlecht ernährt. Er stieg mir von Zeit zu Zeit hinten auf die Fersen und ich hatte nur<br />

Holzsandalen. Wir kamen zu einem Hydranten und ich wollte trinken. Er fing an zu<br />

schreien und da kam eine uralte Frau und sagte zu ihm: „Schamst dich nicht, du<br />

Arschloch!" Er war dann wie paralysiert und wir kamen heil in der Hinterbrühl an.<br />

„W. Z.": Wann erfuhren Sie, dass Ihr Vater, der deportiert wurde, in Riga umgekommen<br />

ist?<br />

Brauer: Bis zum Ende des Krieges hofften wir, dass er überleben würde, <strong>den</strong>n er machte<br />

Schuhe für Bonzen, die ihn auch eine Zeitlang schützten. Einmal brachte uns ein Soldat<br />

einen Brief von ihm, in dem stand, dass es ihm gut geht, dass er einen besonderen<br />

Schutz genießt, aber dass wir unbedingt in Wien bleiben sollen. Nach dem Krieg träumte<br />

ich auch sehr viel von meinem Vater, aber er kam nicht<br />

zurück.<br />

„W. Z.": Warum konnten Sie mit Ihren Kindern nie darüber sprechen?<br />

Brauer: Diese Generation ist aufgewachsen in Freiheit, und für sie ist es unverständlich,<br />

warum wir uns das gefallen ließen. Denn genauer betrachtet, was machte ich? Einen<br />

Hühnerstall für Herrn Rixinger, das ist kein besonderer Widerstand. Es ist eigentlich eine<br />

Schande. In Auschwitz arbeiteten sie für die Rüstungsindustrie, und Ähnliches kann man<br />

auch von <strong>den</strong> deutschen Soldaten sagen. Wir ließen uns einspannen, aber natürlich, ich<br />

war ein Kind, und hatte keine Ahnung, was sich politisch und historisch abspielte. Das<br />

macht es so schwer für die Opfer, mit einer neuen Generation darüber<br />

zu sprechen.<br />

„W. Z.": Aber auch Sie wur<strong>den</strong> dann „ausgehoben"?<br />

Brauer: Ja, meine Kennkarte wurde zerrissen und ich war für <strong>den</strong> nächsten Transport<br />

vorgesehen. Da ich <strong>den</strong> Ostbahnhof gut kannte, konnte ich weglaufen und war dann die<br />

letzten Wochen versteckt in<br />

einem Schrebergarten.<br />

Wir wussten bis zum Schluss nicht, was uns erwartet. Es war die Rede von Gaskammern,<br />

aber niemand glaubte es. Dass die Geistesgestörten ermordet wur<strong>den</strong>, das wussten die<br />

Wiener, aber von <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> glaubte man, dass sie im Osten arbeiten mussten. Auch wir<br />

glaubten das anfangs. Später erfuhren wir aus Theresienstadt, dass die Menschen dort<br />

hungerten, und sogar mit unseren knappen Rationen schickten wir<br />

Pakete dorthin.<br />

„W. Z.": Sprachen Sie später auch in Schulen darüber?<br />

Brauer: Manchmal. Aber jenen Teil der Jugend, der gefährdet ist, <strong>den</strong> kann man dadurch<br />

nicht erreichen. Sie <strong>den</strong>ken sich, ich bin ja kein Jude und mir kann daher nichts<br />

passieren. Die müssten ganz anders angesprochen wer<strong>den</strong>, von SS-Männern oder von<br />

Soldaten, die erzählen, wie schlecht es ihnen ergangen ist, wie man sie wie Dreck<br />

behandelt hat. Was dem eigenen Volk vom System angetan wurde, das kommt nicht<br />

heraus. Es wird immer auseinanderdividiert zwischen Opfern und Tätern.<br />

„W. Z.": Wie hieß die Jugendgruppe, in der Sie nach 1945 waren?<br />

Brauer: Das war die Freie österreichische Jugend, in Wirklichkeit ein kommunistischer<br />

Jugendverband. Viele Emigranten aus England kamen zurück nach Österreich. Sie hatten<br />

die Hoffnung, dass durch die Anwesenheit der sowjetischen Besatzungsmacht der<br />

80


Sozialismus aufblühen würde. Darunter war auch mein Cousin Rudi Spitzer, später<br />

Chefredakteur der kommunistischen Tageszeitung in Graz und viele gebildete, gescheite<br />

und interessante Leute.<br />

Ich war ein Mitglied des Chors, sang, tanzte, spielte und fuhr zu <strong>den</strong><br />

Weltjugendfestspielen nach Prag 1947, wo eine euphorische Stimmung herrschte. Prag<br />

war eine blühende Stadt im Vergleich zu Wien, und in meiner Dummheit i<strong>den</strong>tifizierte ich<br />

das mit dem Sozialismus.<br />

Ich war auch noch 1949 in Budapest und da war ich schon etwas kritischer. Mir passte<br />

das System der Bevormundung nicht, aber am Marxismus zweifelte ich noch nicht. Bei<br />

<strong>den</strong> dritten Weltjugendfestspielen in Berlin sah ich dann, dass alles nur von oben<br />

organisiert war, ohne irgendeinen Impuls von unten. Die Kommunisten appellierten an<br />

das Beste im Menschen, und Stalin hat das Gegenteil daraus gemacht, eine faschistische<br />

Hölle. Deshalb ist das eine Beleidigung der menschlichen Seele, die noch schlimmer war<br />

als das, was Hitler aufführte. Ich kann mir nicht verzeihen, dass ich das als Jugendlicher<br />

nicht erkannt habe. Dadurch bin ich auch <strong>den</strong> Nazis gegenüber viel toleranter, <strong>den</strong>n ich<br />

weiß, dass ein junger Mensch wegen der wirtschaftlichen Not 1938 keine Chance hatte,<br />

kein Nazi zu sein.<br />

„W. Z.": Haben Sie mit Nazis darüber gesprochen?<br />

Brauer: Man kann mit Nazis leider nicht sprechen, <strong>den</strong>n es gibt sie nicht, niemand gibt<br />

zu, dass er ein Nazi war.<br />

„W. Z.": Was waren die Indizien oder Anlässe, dass Sie am Kommunismus zu zweifeln<br />

begannen?<br />

Brauer: Nichts politisches, aber ich sah, welche Menschen die Funktionen hatten und sich<br />

vordrängten. Ich beobachtete, dass es ihnen nicht darum ging, die Menschen glücklicher<br />

zu machen, sondern um persönliche Macht. Nach dem Slansky- Prozeß begannen auch<br />

antisemitische Töne und ich wurde als „entwurzelter Jude" bezeichnet.<br />

„W. Z.": Wie weit konnten jüdische Themen und das Schicksal der Ju<strong>den</strong> angesprochen<br />

wer<strong>den</strong>?<br />

Brauer: Immer wenn die Rede davon war, kam die Antwort, dass es im Sozialismus<br />

keinen Rassismus und keine Ju<strong>den</strong> mehr geben wird.<br />

„W. Z.": Wer steht Ihnen von jenen österreichischen Malern im Art Club und von der<br />

späteren Schule des Phantastischen Realismus am nächsten?<br />

Brauer: Anton Lehm<strong>den</strong>, als persönlicher Freund, und Ernst Fuchs.<br />

„W. Z.": Worüber diskutieren Sie mit Fuchs?<br />

Brauer: Wir diskutieren ununterbrochen. Er ist ja katholisch, obwohl ein Mischling, und<br />

war immer sehr religiös und bibelfest, so wie ich.<br />

„W. Z.": Versuchte er nie, Sie zu konvertieren?<br />

Brauer: Direkt nicht, aber indirekt sicher.<br />

81


„W. Z.": Wie kamen Sie zur Gestaltung der Kirche am Tabor?<br />

Brauer: Der Pfarrer trat an mich heran. Die Idee war, im zweiten Bezirk, wo die meisten<br />

Ju<strong>den</strong> lebten, zu zeigen, in welch hohem Maß das Ju<strong>den</strong>tum die Grundlage für das<br />

Christentum ist. Es interessierte mich von Anfang an und ich wurde auch von Kardinal<br />

Schönborn eingela<strong>den</strong> zu einem Gespräch. Er ist sehr stolz auf sein Hebräisch und<br />

interessiert am Ju<strong>den</strong>tum, aber allen direkten Fragen weicht er aus. Ich fragte ihn über<br />

die jungfräuliche Empfängnis Marias und warum es deshalb <strong>den</strong> Dreißigjährigen Krieg<br />

gab. Er wich aus. Dann entwarf ich also die Kirche und ich muss zu meiner Schande<br />

gestehen, dass das, was man als Kind mitbekommt, schwer zu überwin<strong>den</strong> ist. Die<br />

Fassade geht über in ein Kreuz, und beim Zeichnen des Kreuzes spürte ich, dass ich eine<br />

innere Barriere überwin<strong>den</strong> musste.<br />

„W. Z.": Warum schrieben Sie, dass sich im Ausland gerade die heimwehgeplagten<br />

österreichischen Ju<strong>den</strong> sich für Ihre Malerei interessiert haben?<br />

Brauer: Das stimmt besonders für Amerika. Ich habe 15 Jahre überhaupt nur dort<br />

ausgestellt, auch in Museen und immer gut verkauft. Es waren aber immer Ex-Europäer,<br />

die diese Malerei als eine Facette ihrer Malerei verstan<strong>den</strong> haben. Da wurde mir klar,<br />

dass die Möglichkeiten der Rezeption und des Interesses nicht von einer Person oder<br />

einer Begabung abhängen, sondern von der Kunstgeschichte.<br />

Ich glaube nicht an <strong>den</strong> kulturellen Wert von Minderheiten, die sich ghettoisieren. Ich bin<br />

für multikulturelle Gesellschaften. Die fruchtbare jüdische Zivilisation im zweiten Bezirk<br />

gab es, weil sich die Ju<strong>den</strong> emanzipiert haben und mit ihrer Intelligenz und <strong>den</strong><br />

talmudgeschulten Hirnen in die Wiener Kultur eingestiegen sind. Die jüdische Kultur wird<br />

sich nur in Israel weiterentwickeln.<br />

„W. Z.": Aber Ihr Lebenswerk spricht doch nicht für die Assimilation?<br />

Brauer: Warum nicht? Gerade meine Malerei bringt das jüdische Kulturgut nicht als<br />

Folklore, sondern als allgemein menschliches Wertsystem. Ich versuche es ja auch<br />

einzubringen in seiner allgemein humanistischen Dimension. Daher bin ich auch verletzt<br />

durch das Verhalten der Orthodoxie.<br />

„W. Z.": Gibt es Ihrer Meinung nach eine jüdische Malerei?<br />

Brauer: Nein, es gibt nur jüdische Themen von <strong>jüdischen</strong> Malern, wie bei Max<br />

Liebermann. Aber sie sind immer eingebun<strong>den</strong> in ihre Zeit und in <strong>den</strong> Ort, wo sie gelebt<br />

haben. Nur von Chagall kann man sagen, wäre er nur ein Franzose gewesen, hätte er<br />

nicht so gemalt. Während alle anderen zu seiner Zeit bereits auf die gegenstandslose<br />

Malerei losrannten, konnte er das als Jude nicht tun. Er musste unbedingt Geschichten<br />

erzählen, <strong>den</strong>n das Wort und das Erzählen ist aus der <strong>jüdischen</strong> Tradition nicht<br />

wegzu<strong>den</strong>ken.<br />

Auch ich komme aus der Generation, die mit fliegen<strong>den</strong> Fahnen abstrakt zu malen<br />

begann, und es ist kein Zufall, dass gerade Ernst Fuchs, Frie<strong>den</strong>sreich Hundertwasser<br />

und ich immer irgendwie figurativ blieben.<br />

82<br />

Freitag, 15. Jänner 1999


5.1.5 Interview „Der Antisemitismus ist auch nicht mehr, was er einmal war“, NU<br />

COVER<br />

83<br />

(Nr. 34 (12/2008) Kislev 5769)<br />

Der Antisemitismus ist auch nicht mehr,<br />

was er einmal war 78<br />

Der Universalkünstler Arik Brauer feiert im Jänner seinen achtzigsten Geburtstag. NU<br />

sprach mit ihm über seine Jugend als Gassenbub, feige Nazis der Gegenwart und seine<br />

NU: Du bist Jahrgang 1929, dein Vater war<br />

Jude,er kam aus Litauen, war Schuhmacher,<br />

aufgewachsen bist du in Ottakring. Wie war das<br />

Leben damals in der Wiener Vorstadt?<br />

Brauer: Ich hab von Anfang an ein Doppelleben<br />

geführt, ich war ein richtiger Gassenbub, obwohl ich ein<br />

„heiliges“ Elternhaus hatte. Es war sehr beschei<strong>den</strong>,<br />

mein Vater war Schuhmachermeister. Wir hatten eine<br />

Zimmer- Küche-Wohnung, Klo am Gang, Wasser am<br />

Gang, so wie eben damals die meisten Menschen<br />

gelebt haben. Aber wir haben nie Hunger gelitten, im<br />

Gegenteil, wir haben sogar die Nachbarskinder immer<br />

wieder zum Essen bei uns gehabt. Wir konnten im<br />

Sommer aufs Land fahren, waren bei Verwandten<br />

untergebracht, einem Bauern oder Kleinhäusler. Wir<br />

hatten ja auch einen nicht <strong>jüdischen</strong> Zweig. Meine<br />

Mutter war ein Mischling, wie das die Nazis genannt<br />

haben. Das ganze Leben bei uns in Ottakring hat sich<br />

in Richtung Wienerwald abgespielt. In die Stadt ist man<br />

wie ins Ausland gegangen. In die Stadt – das war über<br />

<strong>den</strong> Gürtel. Ich erinnere mich an meinen ersten Weg<br />

mit meiner Mutter in die Stadt. Da sind wir die<br />

Burggasse zu Fuß hinuntergegangen, da gab es bei<br />

einer Kirche eine Heiligenfigur, <strong>den</strong> Sebastian, die hat<br />

mich sehr beeindruckt. Und dann habe ich zum ersten<br />

Mal die Stephanskirche gesehen, vor der habe ich<br />

Angst gehabt. Ich kann mich genau erinnern, da bin ich<br />

vom Graben ums Eck gebogen und plötzlich stand<br />

dieser Architekturberg vor uns, grau in grau, das hat<br />

mich enorm beängstigt, aber das war ja von <strong>den</strong><br />

Erbauern vermutlich auch beabsichtigt.<br />

Du hast gesagt „heilige“ Familie, im Sinn von<br />

religiös?<br />

Sorge um Israel.<br />

von Danielle Spera (Interview) und Peter Rigaud (Fotos)<br />

Nein, meine Eltern waren überhaupt nicht fromm, sie<br />

waren Austromarxisten. Hochgehalten wur<strong>den</strong> die Naturfreunde, die Kinderfreunde oder<br />

der Abstinenzlerbund. Musik war meinen Eltern auch wichtig. Wir hatten in der Zimmer-<br />

Küche-Wohnung einen Stutzflügel und da wurde fleißig Schubert gespielt. Für meine


Mutter und meine Schwester war Schubert eine zentrale Figur.<br />

Da sind zwei Welten zusammengekommen, ein Gassenbub mit <strong>jüdischen</strong><br />

Wurzeln.<br />

Ja, als ich größer wurde, war ich immer auf der Gassn, habe mit dem „Fetzenlaberl“<br />

Fußball gespielt und hab auch die Sprache der Gassenbuben gesprochen, wahrscheinlich<br />

war ich der einzige Jud in Wien, der <strong>den</strong> Wiener Dialekt richtig konnte. Aber einmal in der<br />

Woche bin ich in die Religionsstunde in der Zinkgasse im 15. Bezirk gegangen. Dort waren<br />

die Kinder anders gekleidet, mit Strümpfen und Gummi über <strong>den</strong> Knien oder<br />

Strumpfbandgürtel, das hab ich dort zum ersten Mal gesehen. Aber dort wurde auch<br />

anders gesprochen. Da waren auch Kinder, deren Eltern aus Galizien gekommen sind, die<br />

haben jiddisch gesprochen. Mein Vater hat übrigens auch Jiddisch gekonnt. Ich hab schon<br />

damals gut singen können, da haben sie mich sehr bald animiert, im Kinderchor vom<br />

Turnertempel (Synagoge im 15. Bezirk, Anm. d. Red.) mitzusingen. Aber das war knapp<br />

vor dem Einmarsch der Hitlertruppen, damit war meine Karriere als Tempelsänger<br />

beendet, bevor sie begonnen hat.<br />

Wie sehr warst du vom Ju<strong>den</strong>tum geprägt, hast du etwas davon mitbekommen,<br />

hat dein Vater, habt ihr die Feiertage eingehalten?<br />

Nein, wir waren nicht religiös, wir sind auch nicht in <strong>den</strong> Tempel gegangen, in unserem<br />

Umfeld hat es auch praktisch keine <strong>jüdischen</strong> Familien gegeben. Trotzdem haben mich<br />

meine Eltern in <strong>den</strong> Religionsunterricht geschickt, das ist ja auch typisch für die jüdische<br />

Selbstzerfleischung. Weihnachten haben wir nicht gefeiert, es war für uns mehr ein<br />

Liederabend mit sozialistisch angehauchten Weihnachtsliedern. Ich hatte natürlich aus<br />

dem Religionsunterricht jüdisches Wissen und habe mich damit gebrüstet. Dieses<br />

Doppelleben habe ich eigentlich mein ganzes Leben lang standhaft durchgezogen.<br />

Hast du selbst in dieser Zeit Antisemitismus erlebt?<br />

In der Schule war das enorm. Ich war das einzige jüdische Kind in meiner Klasse, wenn es<br />

eine Streiterei oder Rauferei gab, hat es gleich geheißen: das Ju<strong>den</strong>gfrast. Aber als echter<br />

Gassenbub hab ich gewusst, wie ich mich verteidigen muss. Ab 1938 war mir dann klar,<br />

dass es keine Gerechtigkeit gibt, <strong>den</strong>n ich durfte nicht mehr zurückschlagen. Ich bin so<br />

erzogen wor<strong>den</strong>, dass man sich anständig verhält, dass Gutes belohnt und Böses gerügt<br />

wird, Schläge gab es in unserer Familie nicht. Und plötzlich ist meine Weltordnung<br />

zusammengebrochen. Gleich nach dem Einmarsch 1938 gab es in unserer Schule ein<br />

Sportfest, Höhepunkt war ein Wettlauf um <strong>den</strong> Märzpark. Ich war sehr sportlich und habe<br />

das Rennen gewonnen. Der Lehrer war in einem Dilemma. Dann hat er mich<br />

ausgeschie<strong>den</strong>. Ein Kind hat gefragt: „Warum <strong>den</strong>n, der Brauer war doch der Schnellste?“<br />

Da hat der Lehrer geantwortet: „Nein, er hat die anderen behindert, das ist typisch für<br />

einen Ju<strong>den</strong>, die können sich nicht sportlich verhalten.“ Der erste Preis war aber ohnehin<br />

ein Hitlerbild.<br />

Dein Vater konnte aus Wien flüchten. Wie war das für euch als Familie, das<br />

Zurückbleiben in Wien?<br />

Ja, meinem Vater ist es gelungen, sich nach Litauen durchzuschlagen, wir wollten<br />

eigentlich mit, mussten aber nach Wien zurückkehren. In Wien hat es ja fast bis zum<br />

Kriegsende jüdische Institutionen gegeben. Offenbar hat man im Ju<strong>den</strong>referat gewusst,<br />

wenn es gar keine Ju<strong>den</strong> mehr gibt, dann wird auch das Ju<strong>den</strong>referat aufgelöst und dann<br />

müssen sie an die Ostfront. Ich war ja zuerst noch in der gojischen Schule, das war<br />

fürchterlich, da hab ich schnell begriffen, wo es langgeht. Danach war ich in wechseln<strong>den</strong><br />

<strong>jüdischen</strong> Schulen, die immer wieder geschlossen wur<strong>den</strong>, weil viele Kinder verschickt<br />

wor<strong>den</strong> sind und wir sind immer weniger gewor<strong>den</strong>.<br />

Wie ist es deiner Mutter ergangen?<br />

84


Wir sind weiter in unserer Zimmer- Küche-Wohnung geblieben, meine Mutter musste im<br />

Gegensatz zu mir keinen Ju<strong>den</strong>stern tragen. Ich hatte auch das „J“ im Pass. Aber ich<br />

glaube, meine Mutter hat auch keine „arischen“ Lebensmittelkarten bekommen. Nachdem<br />

man ihr die Ersparnisse weggenommen hat, hat sie Wäsche für verschie<strong>den</strong>e Familien<br />

gewaschen und damit ein bisschen Geld verdient, damit wir irgendwie leben. Dann ist sie<br />

in einer Spedition untergekommen und hat uns durch ihre Arbeit dort über <strong>den</strong> Krieg<br />

gerettet.<br />

Deine Mutter war keine Jüdin, war es je ein Thema für sie überzutreten?<br />

Wozu? Warum <strong>den</strong>n? Nach welcher Halacha bin ich kein Jude? Wenn es nach <strong>den</strong><br />

Reformern geht, ist es völlig egal, welcher Elternteil Jude ist. Die Reformer sind übrigens<br />

im Ju<strong>den</strong>tum heute in der Mehrheit. Eigentlich ist es genau das, was die Nazis gemacht<br />

haben, Rassismus auf der anderen Seite. Meiner Meinung nach genauso lächerlich.<br />

Wie war das Leben, das Überleben in Wien als U-Boot?<br />

Ich habe, nachdem es keinen Schulunterricht mehr gab, als Lehrling in der Tischlerei der<br />

Kultusgemeinde zu arbeiten begonnen. Auch da wur<strong>den</strong> wir immer weniger, unser<br />

Meister, Herr Sussmann, ist nach Theresienstadt deportiert wor<strong>den</strong>. Wir mussten für<br />

einen hohen SS-Funktionär eine Villa in der Hinterbrühl einrichten, gleichzeitig waren die<br />

Russen schon in Ungarn. Ich musste noch im Herbst 1944 einen begehbaren Hühnerstall<br />

bauen für <strong>den</strong> SS-Mann Rücksinger, ein sehr pingeliger Mann. Es war grotesk, dass wir,<br />

die Tischler der Kultusgemeinde, die Wohnungseinrichtungen für SSBonzen gemacht<br />

haben. Die meisten der Tischler waren übrigens burgenländische Ju<strong>den</strong>, hoch qualifizierte<br />

Handwerker, die wunderbare Möbel bauen konnten.<br />

Wie lange ist das gut gegangen?<br />

Nach und nach sind alle abgeholt wor<strong>den</strong>, dann haben sie mir auch meine Kennkarte<br />

abgenommen, das hat geheißen, Transport am nächsten Tag. Da habe ich mich sofort<br />

versteckt, glücklicherweise waren sie nicht mehr im Stande genau zu kontrollieren.<br />

Wie habt ihr das Kriegsende erlebt?<br />

Ich habe in der Seitenstettengasse <strong>den</strong> Einschlag einer Kettenbombe erlebt. Ich wurde in<br />

eine Einfahrt geworfen und bin so unverletzt geblieben. Die Feuerwehr hat<br />

vorbeigeschaut, einer hat gerufen: „Wir haben etwas Besseres zu tun, als tote Ju<strong>den</strong><br />

auszugraben.“ Ich habe dann mitgeholfen, die Toten und Verletzten herauszuziehen.<br />

Dann waren aber schon bald die Russen da und da bin ich schon zwischen <strong>den</strong> russischen<br />

Panzern herumgesprungen.<br />

War das dann schon deine Annäherung zum Kommunismus?<br />

Dass der Marxismus etwas Tolles ist, habe ich mit der Muttermilch mitbekommen! Es hat<br />

eine Zeit gedauert, bis ich diese Muttermilch wieder ausgespuckt habe. Die Russen haben<br />

uns befreit und niemand anderer. Wir sind mit weißen und roten Fahnen auf sie<br />

zugelaufen, meine Schwester hat „Wolga, Wolga“ gespielt am Klavier, daraufhin haben sie<br />

uns auch zu essen gebracht. Später sind die Russen mit <strong>den</strong> Pferdewagen gekommen und<br />

da haben dann die Vergewaltigungen begonnen. Meine Schwester war 18, einmal ist ein<br />

betrunkener Russe zu uns gekommen, da hat sie sich im Klappbett versteckt, bis er weg<br />

war.<br />

Du hast dich aber dann doch der KPÖ angeschlossen.<br />

Durch einen Bekannten, <strong>den</strong> Heini Klein. Da gab es kleine Trupps, die <strong>den</strong><br />

Volkssturmleuten die Panzerfäuste weggenommen haben, unter dem Motto: Schleichts<br />

85


euch, der Krieg ist aus! Das war in <strong>den</strong> letzten Kriegstagen, da war ich gleich dabei. Dann<br />

ist mein Cousin, der Rudi Spitzer, zurück aus der Emigration gekommen, als englischer<br />

Offizier, in dieses Elend, um hier <strong>den</strong> Sozialismus aufzubauen. Er hat mich bestärkt, dass<br />

ich mit der KPÖ auf dem richtigen Weg sei. Da war ich dann in der Jugendbewegung<br />

aktiv, habe aber sehr bald die Problematik erkannt. Es sind dann immer mehr junge<br />

Ju<strong>den</strong> zurück aus England gekommen, um hier <strong>den</strong> Sozialismus aufzubauen, sie sind<br />

schon in England geschult wor<strong>den</strong>. Es war eine komische Situation, wir haben sie nicht<br />

mehr als Ju<strong>den</strong>, sondern als Emigranten gesehen, sie haben anders gesprochen, waren<br />

natürlich gebildeter, fast alle aus bürgerlichen Familien und keine Arbeiterkinder. Darüber<br />

wurde aber nie gesprochen. Ich war so etwas wie ein Bindeglied, obwohl ich aus einer<br />

Arbeiterfamilie stammte. Dann hat die Kaderabteilung begonnen mich zu fördern. Da<br />

habe ich aber schon begonnen mich zurückzuziehen. Ich habe instinktiv gespürt, dass das<br />

in eine falsche Richtung läuft. Allerdings habe ich dort sicher sechs, sieben Jahre<br />

verplempert. Meine Karriere als Maler hat dadurch erst später begonnen, während der<br />

Ernst Fuchs schon längst ausgestellt hat.<br />

Was hast du in der KP überhaupt gemacht?<br />

Es gab eine Theatergruppe mit einem Chor, dort war ich aktiv. Ich habe auch politische<br />

Musicals geschrieben. Das wurde auch hochgejubelt, weil es „aus dem Volk“ kam. Dann<br />

habe ich einen Kinderchor geleitet, wollte aber lieber nach Israel. Das hat aber der Rudi<br />

Spitzer vorerst verhindert, er hat gemeint, zuerst müssen wir <strong>den</strong> Sozialismus aufbauen,<br />

das geht ja eh geschwind, jetzt musst du noch dableiben. In der KP haben sie mich<br />

„Singerl“ genannt, weil ich bei <strong>den</strong> Ausflügen immer mit der Gitarre unterwegs war und<br />

voll in meinem Element. Der Name ist mir dann in dieser ganzen Zeit picken geblieben.<br />

Allerdings habe ich bald die Diskrepanz zwischen Kunst und Totalitarismus gesehen. Das<br />

haben die Funktionäre gespürt, die haben dann schon gewusst, dass ich nicht mit Leib<br />

und Seele dabei bin. Mir war die Freiheit wichtiger, sie haben mich auf eine Parteischule<br />

geschickt und gesagt, deine Kunst kann warten, bis der Sozialismus gesiegt hat. Jetzt<br />

musst du in die Betriebe gehen, das hab ich dann auch gemacht, gemeinsam mit dem<br />

Hrdlicka.<br />

Wie siehst du die Situation <strong>den</strong>n heute, im Lichte der Finanzkrise, wo es heißt,<br />

der Kapitalismus ist tot?<br />

Die Probleme des Kapitalismus wer<strong>den</strong> nicht durch Kommunismus beantwortet. Alles, was<br />

schlecht ist am Kapitalismus, trifft auch auf <strong>den</strong> Kommunismus zu, obwohl das scheinbar<br />

ganz anders funktioniert, der menschliche Egoismus und die Gier und das sinnlose<br />

Streben nach immer mehr, sind im Kommunismus noch penetranter, dort ist es<br />

unkontrolliert, es hat eine andere Façon. Die Antwort auf <strong>den</strong> Kapitalismus, die hab ich<br />

auch nicht parat, aber sie ist sicher nicht, wie man auf Hebräisch sagt: „Zbang ve<br />

gamarnu – ein Schlag und es ist erledigt.“ Hier muss mit kleinen Schritten zurechtgestutzt<br />

wer<strong>den</strong> und da sind die Europäer weiter voran als die Amerikaner. Es ist ein Balanceakt,<br />

wie alles im Leben.<br />

Dein Vater ist im KZ ermordet wor<strong>den</strong>, wann habt ihr davon erfahren?<br />

Mein Vater war in Riga, zusammen mit einem anderen Schuhmacher, sie haben dort<br />

gearbeitet, von dort haben wir noch Briefe bekommen. Dieser befreundete Schuhmacher<br />

ist dann nach Russland gegangen, ist allerdings nach Sibirien deportiert wor<strong>den</strong>. Mein<br />

Vater ist aber in Riga geblieben. Dort hat er auch noch Schuhe für die Nazis gemacht. Er<br />

war ein Künstler, er hat sehr gute orthopädische Schuhe machen können: „Schich far<br />

Menschn mit gekrimte Fiss“, hat er immer gesagt. Letztendlich ist ein Überlebender zu<br />

uns gekommen und hat uns erzählt, dass er die Leiche meines Vaters aus der Gaskammer<br />

geholt hat.<br />

Hast du je Rachegefühle verspürt?<br />

86


Ich sehe Menschen nicht als Paket: die Araber oder die Deutschen. Ich sehe einzelne<br />

Menschen, wie es im Talmud steht, jeder Mensch ist eine Welt. Nur gegen die Menschen,<br />

die meinen Vater getötet haben, gegen die hege ich unverzeihlichen Hass, bis an mein<br />

Lebensende. Ich lebe damit, weil ich sie nicht kenne. Ich möchte nicht in die Situation<br />

kommen, über einen der Täter Macht zu haben. Ich bin glücklich, dass ich kein Richter<br />

bin. Dieses Gefühl, jede Hand, die ich hier einem Österreicher gebe, ist eine Mörderhand,<br />

das empfinde ich aber nicht, dazu bin ich zu sehr in Österreich verankert. Ich würde hier<br />

sonst nicht friedlich und glücklich leben können. In der Thora appelliert Abraham an Gott,<br />

die Stadt Sodom nicht zu vernichten, wenn es zehn Gerechte gibt. Das lehrt uns, keine<br />

Pakete zu schnüren und zu sagen, alle Menschen sind böse.<br />

Wie war das Leben überhaupt im Wien der Nachkriegsjahre, Ju<strong>den</strong> sind ja nicht<br />

gerade mit offenen Armen empfangen wor<strong>den</strong>?<br />

Diesen hautnahen Antisemitismus habe ich nicht gespürt. Es war komisch, sobald ich <strong>den</strong><br />

Stern getragen habe, bin ich auf der Straße nicht mehr verfolgt oder angepöbelt wor<strong>den</strong>.<br />

Ich hatte das Gefühl, das war <strong>den</strong> Leuten dann doch zu viel. Das war vielleicht zu krass<br />

mittelalterlich. Nach dem Krieg war der Antisemitismus ganz sicher weiter latent<br />

vorhan<strong>den</strong>. Dann gab es aber auch <strong>den</strong> Philosemitismus. Da hab ich oft gehört, na du bist<br />

ja a Jud, deshalb bist du ein Genie. Der Qualtinger hat zu mir gesagt: „Du bist a Jud, du<br />

brauchst dich nicht anzusaufen. Du bist ja auserkoren, hast keinen<br />

Minderwertigkeitskomplex, <strong>den</strong> du mit Alkohol besänftigen musst!“ Das ist natürlich auch<br />

lebensgefährlich. Ich hatte einmal einen Schweizer Bergführer, der hat gesagt: „Nur keine<br />

jüdische Hast“ und ich hab geantwortet: „Na wenn schon Hast, dann eine jüdische, weil<br />

ich bin ein Jud.“ „Aber was“, hat er gesagt, „du kannst kein Jud sein, ein Jud kann doch<br />

nicht so klettern!“<br />

Der Satz mit der „<strong>jüdischen</strong> Hast“ hat sich ja hartnäckig gehalten, zuletzt von<br />

Bundeskanzler Gusenbauer zu Journalisten gesagt …<br />

Das stört mich eigentlich nicht. Es trifft ja ein bisschen <strong>den</strong> Punkt. Ich weiß, dass ich<br />

hastiger bin und geschwinder im Reagieren als der durchschnittliche Wiener, vielleicht<br />

wird das als Hast gesehen, na, soll ich schlafen am helllichten Tag?<br />

Wie in vielen anderen Bereichen gab es auch an der Akademie <strong>den</strong> so genannten<br />

gleiten<strong>den</strong> Übergang, das heißt, dass viele Lehrer aus der NS-Zeit übernommen<br />

wor<strong>den</strong> sind. Hat man das gespürt, wie haben diese Lehrer auf das Jüdische in<br />

deiner Malerei reagiert?<br />

Mit Schweigen. Der Antisemitismus als offizielle Ideologie war ja mit einem Mal<br />

verschwun<strong>den</strong>. Ich habe als Tänzer im Raimundtheater gearbeitet, nicht weil ich ein<br />

Tänzer wer<strong>den</strong> wollte, ich hab nur so getan, als wär ich einer, aber ich war eigentlich<br />

recht erfolgreich. Da hat der Jan Kiepura in einer Operette gesungen, der war ein Star.<br />

Die ortsansässigen Sänger haben dann gesagt, der soll sich heimschleichen, der polnische<br />

Jud. Bemerkungendieser Art berühren mich nicht. Wenn heute auf der Straße jemand zu<br />

mir Saujud sagte, würde ich sagen, schönen guten Tag. Mein Vater hat nicht geglaubt,<br />

dass man vergasen wird und hat mit dem Leben bezahlt, sie haben Seife aus ihm<br />

gemacht. Wenn mich jemand vergasen wollte, kriegt er eine Atombombe mitten ins<br />

Gesicht. Das ist der Unterschied zwischen heute und damals.<br />

Glaubst du, dass es <strong>den</strong> Österreichern bewusst ist, welchen Verlust sie durch die<br />

Vertreibung und Ermordung der Ju<strong>den</strong> erlitten haben, welche geistige und<br />

schöpferische Kraft dem Land verloren gegangen ist?<br />

Allen so genannten Intellektuellen, also Menschen, die sich mit diesen Dingen<br />

beschäftigen, ist es natürlich bewusst, weil es so auffällig und so deutlich ist, dass sogar<br />

Leute, die vielleicht antisemitische Gefühle haben, das nicht wegleugnen können. Bewusst<br />

oder unbewusst wissen sie, welche Bedeutung das Jüdische in der Geisteswissenschaft<br />

87


und Kultur zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Wien hatte. Für die Menschen, die sich nicht<br />

so sehr damit beschäftigen, für die also die Kultur so selbstverständlich ist wie die Luft,<br />

für die ist sie einfach da. Da gibt es ja in Wien Kultur, wo man hinschaut, auf jedem Dach<br />

sind die tollsten Kunstwerke zu sehen, das nehmen sie vielleicht gar nicht bewusst wahr,<br />

trotzdem lebt sie im Herzen der Menschen. Wenn sie dann nicht in Wien sind, sind sie<br />

ganz unglücklich und wissen aber gar nicht warum. Denen geht das Jüdische sicher nicht<br />

ab, weil sie gar nicht abschätzen können, welches Ausmaß das hatte. Wenn ein Wiener<br />

Bürgermeister, wie der verstorbene Helmut Zilk, sich hinstellen und sagen kann, diese<br />

Stadt braucht 50.000 Ju<strong>den</strong>, da weiß man, dass es Menschen gibt, an die das gerichtet<br />

war. Zilk hat das übrigens vor zwanzig Jahren gesagt, für solche Aussagen hat er ja auch<br />

seine Hand verloren.<br />

Reisen war schon früh sehr wichtig für dich, nach Paris mit dem Fahrrad.<br />

Ja, da hat mich der Ernst Fuchs eingela<strong>den</strong>, komm nach Paris, sei mein Gast, hat er<br />

gesagt. Eine Zeit lang hab ich unter der Brücke geschlafen, oder bei Bekannten, aber ich<br />

habe von Anfang an nicht vorgehabt, in Paris zu bleiben. Ich bin von Paris mit dem Rad<br />

nach Italien gefahren und war von Florenz so begeistert. Pisa, Venedig und mit dem Rad<br />

nach Hause zurück. Etliche Jahre später bin ich dann mit meiner Frau Naomi nach Paris<br />

übersiedelt, da waren wir dann mehr als sechs Jahre. Dort waren wir sehr verwurzelt,<br />

haben die Sprache gelernt und haben einen breiten Freundeskreis gehabt, hauptsächlich<br />

französische Ju<strong>den</strong>. Die Franzosen sind sehr in sich abgezirkelt. Wir sind in diese<br />

Künstleratmosphäre eingetaucht, ich habe Yves Klein oder Mathieu kennengelernt. Ich<br />

habe dort meinen Durchbruch als Künstler erzielt.<br />

Warum dann die Rückkehr nach Wien?<br />

Der Hauptgrund war das Wohnungsproblem. Wir hatten ja schon zwei Kinder, haben aber<br />

in einem winzigen Loch gewohnt, obwohl ich schon gut verdient habe, konnten wir uns<br />

keine größere Wohnung leisten. Ein Auto haben wir aber schon gehabt. Es war ja auch<br />

schwierig, <strong>den</strong>n ich habe manchmal Bilder verkauft, manchmal nicht. In Wien waren<br />

Wohnungen damals viel günstiger. Ich habe ein Atelier im dritten Bezirk gefun<strong>den</strong>. Meine<br />

Mutter hat hier gelebt. Außerdem: Heimaterde ist Heimaterde, und ich wollte Skifahren<br />

gehen. Allerdings habe ich mein französisches Autokennzeichen und unsere kleine<br />

Wohnung lange behalten. Dann bin ich aber in Wien so erfolgreich gewor<strong>den</strong>, dass ich die<br />

Pariser Wohnung hergeschenkt habe. Dann hat auch noch meine Frau die Villa gefun<strong>den</strong>,<br />

in der wir heute noch leben. Meine Frau hat immer das Glück in die Familie gebracht.<br />

Du bist dann auch nach Israel gereist, wie war diese erste Reise?<br />

In Wien war ich ideologisch enttäuscht. Nach der Katastrophe von Prag und Budapest war<br />

die KPÖ für mich endgültig erledigt. Stalin war der Todfeind des Humanismus. Nachdem<br />

der Mensch ohne Hoffnung nicht leben will oder kann, haben meine Schwester und ich<br />

gesagt, auf nach Israel! Meine Schwester war Tänzerin, so sind wir als Tänzer mit einem<br />

Engagement nach Israel gegangen. Fast ein Jahr hat mich meine Schwester trainiert, ich<br />

war aber viel zu alt, um das noch richtig zu lernen, ich konnte aber gut springen, so<br />

haben wir die folkloristischen Tänze gut geschafft. Wir sind also 1953 nach Israel<br />

gegangen und haben dort in einem Cabaret gearbeitet. Ich war 24 Jahre alt, nach zwei<br />

Wochen habe ich meine künftige Frau Naomi kennengelernt. Ich bin sofort in Israel in die<br />

Jugendbewegungen reingekommen, Hashomer Hazair, Rikudei Am, also die<br />

Tanzbewegung. Die Kabarettwelt war uns fremd, auch meiner Schwester. Wir haben<br />

Volkstänze gemacht und viele Ausflüge unternommen. Wir haben noch das paradiesische<br />

Israel der frühen Zeit erlebt, wo alle ihre Türen offen gelassen hatten, wo man in je<strong>den</strong><br />

Kibbuz gehen konnte, um zu übernachten, wo man das Gefühl hat, ich lebe in einem Volk<br />

von Brüdern. Alle waren gleich arm, alle haben die gleichen Khaki-Hosen angehabt, die<br />

gleichen Hem<strong>den</strong> und im Winter die hässlichen Pullover, es war herrlich. Ich habe<br />

ununterbrochen gemalt, und bin dann zurück nach Wien und habe mein Studium fertig<br />

gemacht.<br />

88


Wie hast du Ivrit gelernt?<br />

Hebräisch habe ich sehr schnell gelernt, ich konnte ja kein Englisch, ich habe nie eine<br />

Sprache gelernt. Ich konnte mich aber irgendwie verständigen. Heute kann ja jeder<br />

Englisch, heute ist die Sprache präsent. Ohne Englisch kann man nicht einmal das Radio<br />

aufdrehen. Damals war Englisch so wie wenn jetzt jemand Japanisch kann. Kein Mensch<br />

hat Englisch können, nur der Kurt Waldheim mit seinem Akzent. Mit meiner Frau hab ich<br />

also nach drei Monaten das Englisch abserviert und ich habe nach einem halben Jahr<br />

Hebräisch, zwar mit schweren grammatikalischen Problemen, aber fließend re<strong>den</strong> können.<br />

Naomi hat pausenlos gequatscht, das macht sie bis heute. So habe ich die Sprache<br />

gelernt. Dann sind wir nach Paris und mit dem Geld, das ich dann verdient habe, haben<br />

wir begonnen in En Hod unser Haus zu bauen.<br />

Du hast ein Haus in Israel, ein Haus in Wien, wo fühlst du dich mehr zu Hause?<br />

Das ist eine gute Frage. Sterben möchte ich, wie alle Ju<strong>den</strong>, in Israel, aber leben tu ich<br />

lieber in Wien. In Israel habe ich einen großen Freundeskreis, der aber immer kleiner<br />

wird. Heutzutage sterben ja Leut, die früher nicht gestorben sind. Es ist ja wahrscheinlich<br />

das Schicksal des Alters, dass die anderen sterben. Ich bin sehr glücklich in Wien, die<br />

Stadt ist in jeder Hinsicht wunderbar. Man hat einen Kreis von Menschen um sich, die<br />

keine Antisemiten sind.<br />

Wie beurteilst du <strong>den</strong> Antisemitismus heute in Österreich?<br />

Ich sehe <strong>den</strong> Antisemitismus nicht so dramatisch, ich habe <strong>den</strong> Antisemitismus der<br />

1930er Jahre kennengelernt, da kann ich nur sagen, der Antisemitismus heute ist auch<br />

nicht das, was er einmal war. Ich meine, dieser Olympia-Gacker, der da jetzt<br />

Parlamentspräsi<strong>den</strong>t ist, das stört mich nicht. Es ist ja kläglich, es findet sich ja nicht ein<br />

einziger Nazi, der sich hinstellt und sagt: „Ja, wir haben vergast und das war richtig, weil<br />

die Ju<strong>den</strong> gehören weg.“ Nein, hier sagen sie: „Wir wussten das alles nicht“ und re<strong>den</strong> um<br />

<strong>den</strong> Brei herum, das ist wirklich zum Kotzen. Das stört mich am meisten an <strong>den</strong> Nazis<br />

hier, dass sie keine wirklichen Nazis sind, die sich dazu bekennen. Wenn der<br />

Antisemitismus nicht gefährlich ist, ist er mir wirklich wurscht.<br />

Wie siehst du die Zukunft Israels – vor allem, wenn du an <strong>den</strong> Iran <strong>den</strong>kst, der<br />

vermutlich bald über eine Atombombe verfügen wird? Als Besucher hat man das<br />

Gefühl, dass viele Israelis Zukunftsängste haben.<br />

Ich mit meiner ganzen Fantasie, die ich immer gehabt habe, kann mir nicht vorstellen,<br />

wie es weitergehen soll. Meine einzige Hoffnung ist, dass es anders kommt, als man<br />

<strong>den</strong>kt. Fest steht, dass es in 20 Jahren zwischen Jordan und Mittelmeer eine<br />

überwältigende arabische Mehrheit geben wird. Und zwar Menschen, die vom<br />

Säuglingsalter an dazu erzogen wur<strong>den</strong>, dass die Ju<strong>den</strong> weggehören. Ihre Erziehung ist:<br />

Das ist unsere Welt, unser Land. Ich weiß nicht, wie der jüdische Staat weiter bestehen<br />

soll. Als jüdische Minderheit in einem arabischen Land, das haben wir gehabt, da hätten<br />

wir gleich in Marokko bleiben können oder im Jemen, da hätten wir nicht davonlaufen<br />

brauchen. Die einzige Chance, die besteht, ist, dass der Islam auch seine Entwicklung<br />

durchmacht. In fünfzig Jahren wird auch die arabische Welt anders ausschauen, ich hoffe,<br />

dass sie im Stande ist, eine Minderheit zu akzeptieren und zu ertragen. Im Arabischen<br />

gibt es nicht einmal ein Wort für Rassismus. Das ist ihnen fremd. Im Islam war man<br />

wesentlich toleranter als im Christentum. Was sie so stört an <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong>, ist nicht die<br />

Religion, sondern die westliche Zivilisation. Das ist ihnen unerträglich – aus einem Grund:<br />

Sie wollen Auto fahren, sie wollen Computer haben, sie wollen die neuesten technischen<br />

Errungenschaften, aber sie wollen unter keinen Umstän<strong>den</strong> die Gleichberechtigung der<br />

Frau. Das ist für sie das Ende der Welt. Ich spreche jetzt nicht von <strong>den</strong> Philosophen,<br />

sondern vom Volk, von <strong>den</strong> Männern. Die Männer sind arme Teufel, ohne Hoffnung, ohne<br />

Bildung, ohne Selbstbewusstsein. Aber sie sind die Chefs der Familie und die Beherrscher<br />

der Frauen und der Kinder. Wenn man ihnen das wegnimmt, haben sie nichts mehr. Diese<br />

Modernisierung lehnen sie ab. Das ist auch der Grund, warum die Palästinenser nicht im<br />

89


Stande sind, diese Mezzie anzunehmen, die sie haben könnten, wirtschaftlich und<br />

kulturell, die diese jüdische Minderheit in ihrer Welt bietet. Die andere Alternative ist eine<br />

riesige Mauer in einer feindlichen Welt und man behauptet sich. Das ist eine Zeit lang<br />

sicher möglich, aber ob es ein Vergnügen ist und ob es kreativ sein kann, ist sehr fraglich.<br />

Ich sehe das sehr pessimistisch.<br />

In Europa fliegen Israel nicht viele Sympathien zu. Woran liegt das und wie<br />

gehst du damit um, dass man in Europa Israel hauptsächlich als Aggressor<br />

sieht?<br />

Die Massenmedien beschäftigen sich nicht mit <strong>den</strong> Ursachen, sondern mit <strong>den</strong> Wirkungen.<br />

Was eine Headline macht, ist ein Hubschrauber, der Hamas-Leute verfolgt und dabei zwei<br />

Kinder tötet. Was aber die Ursache dafür ist, interessiert nieman<strong>den</strong>. Das Denken und<br />

Fühlen der Menschen ist von <strong>den</strong> Massenmedien geprägt. Israel ist der Besatzer, der<br />

technisch Überlegene, der diktiert. Man hat das Bild des David gegen Goliath. Wenn man<br />

<strong>den</strong> Fokus vergrößert, schaut das Bild ganz anders aus. Da ist eine Welt von Hass und<br />

mitten drinnen liegt das Sandkörnchen Israel, das sich mit seiner technischen<br />

Überlegenheit, ohne die es nicht mehr existieren würde, versucht zu verteidigen. Die<br />

Palästinenser wollen alles, <strong>den</strong> Staat und vor allem ohne Ju<strong>den</strong>.<br />

Du bist eigentlich ein Universalgenie, du bist Maler, Grafiker, Keramikkünstler,<br />

Architekt, Musiker, warst Tänzer – was von all dem ist oder war dir in deinem<br />

Leben das Liebste?<br />

Mein Beruf und meine Berufung ist die Malerei. Das war mir immer klar, in meiner Familie<br />

hatte niemand ein Faible dafür, nur für Musik. Ich habe aber schon als Kind begonnen zu<br />

zeichnen, das haben alle bemerkt. Ich konnte mit acht Jahren schon Porträts zeichnen, da<br />

haben alle gesagt, ich sei ein Wunderkind. So habe ich mich entschlossen, Maler zu<br />

wer<strong>den</strong> und bin davon keinen Millimeter abgerückt. Ich sage ganz ehrlich, ich habe gegen<br />

Ende des Krieges gedacht, ich muss durchkommen und die Malerei wird mir dabei helfen.<br />

Die Bibelthemen, die bei dir immer wieder vorkommen, zeigen auch von einem<br />

detaillierten Wissen über die Thora.<br />

Ja, die Thora habe ich wirklich intensiv studiert. Die Bibel ist als Kunstwerk einfach<br />

unglaublich, einmalig. Sie kommt mir insofern entgegen, als sie etwas vom<br />

phantastischen Realismus hat. Je mehr man gräbt, desto mehr kommt man drauf, was<br />

historisch ist. Dann kommen die Wunder, die natürlich menschliche Erfindungen sind,<br />

aber als Erfindungen ein Wunder sind. Dass das Meer sich teilt, das muss einem erst<br />

einfallen. Das Meer teilt sich und sie marschieren durch, das hat eine derartige Wucht.<br />

Das Wunder ist, dass das jemandem eingefallen ist.<br />

Im Jänner feierst du deinen 80. Geburtstag, siehst du das als einen Zeitpunkt,<br />

um Bilanz zu ziehen?<br />

Nein, ich bin ja mein Leben lang durch körperliche Tüchtigkeit aufgefallen, ich bin immer<br />

sehr beweglich gewesen, beim Skifahren muss ich mich sogar zurückhalten, sonst sagen<br />

die Leute, na der macht sich aber wichtig.<br />

Dann ein herzliches Mazel Tov zum Achtzigsten und Danke für das Gespräch.<br />

90


5.1.6 Textauszüge aus „Die Farben meines Lebens“<br />

Es folgen drei Kapitel aus „Die Farben meines Lebens“ von Arik Brauer 79 : Der Chef,<br />

S. 48 – 54; Der Surmi sui, S. 60 – 70; Die Tischlerei im Tempel, S. 77 – 82.<br />

91


100


101


102


103


104


5.2. Material zu Chaim Miller<br />

5.2.1 Profil-Artikel „Aktion Nakam“<br />

von Herbert Lackner 80<br />

105


106


107


108


109


110


111


112


5.2.2 Kantara-Artikel „Wir wollten Rache“<br />

Olie Givon & Chaim Miller – Sie töteten Nazis<br />

Wir wollten Rache<br />

von JOHN A. KANTARA 81<br />

“Bei der Aktion in Wien fuhren wir einen Wagen der Jüdischen Brigade, der wir angehörten. Statt des<br />

Davidsterns an <strong>den</strong> Uniformen trugen wir Armbin<strong>den</strong> der britischen Militärpolizei.” Chaim Miller erzählt<br />

das mit fester Stimme, als falle es ihm nicht schwer, sich zu erinnern. Dabei ist das alles mehr als 50<br />

Jahre her. Chaim Miller ist 76 Jahre alt und lebt in einem Kibbuz in der Nähe von Jerusalem; er<br />

arbeitet als Verwalter in einer Stahlfabrik. Alle Arbeiter des Unternehmens sind in seinem Alter – und<br />

Überlebende des Holocaust.<br />

Sein Kamerad Dov Shenkal, 73, war damals, nach dem Krieg, in Wien dabei. Er erzählt: “Als wir zu<br />

dem Haus kamen, umstellten wir es. Und natürlich überprüften wir, ob es Hinterausgänge hatte. Dann<br />

sicherten wir die Eingänge und die Fenster.” Wie Chaim Miller lebt Dov Shenkal in einem Kibbuz;<br />

anders als Chaim ist er ein eher introvertierter Mensch. Obwohl er perfekt Deutsch spricht, weigert er<br />

sich, die Sprache der Feinde zu benutzen.<br />

Die Mission, die die Männer verband, nannten sie “Nakam”, was auf Hebräisch Rache heißt – es war<br />

ihr Wort für die Rache der Ju<strong>den</strong> an Nazis in Österreich und Deutschland.<br />

In jener Nacht im Juni 1945 kommt sie über einen Vorort von Wien. Dort suchen die Männer einen<br />

Nazi, von dem sie zu wissen glauben, dass er Mitverantwortung trägt an der Shoah, der Vernichtung<br />

der Ju<strong>den</strong>. Als Soldaten der Jüdischen Brigade sind sie Teil der britischen Besatzungsarmee. Sie<br />

vertrauen auf die Autorität ihrer Uniform, um wenigstens einige der Greuel zu sühnen, die die Nazis<br />

ihrem Volk angetan haben. Sie tun das nachts und illegal, ohne das Wissen ihrer Vorgesetzten.<br />

Auch der dritte Mann der Rächergruppe lebt heute unbehelligt in Israel: Schmuel “Olie” Giveon ist 74<br />

Jahre alt und eine eigenartige Mischung aus Kommisskopf und Künstler. Der Reserveoffizier im Rang<br />

eines Brigadegenerals, Veteran des Sechstagekriegs, leitet ein Dada-Museum in der Wüste. Seine<br />

gesamte Familie wurde von <strong>den</strong> Nazis umgebracht, wie die Familien seiner Freunde.<br />

113


“Ich habe <strong>den</strong> Nazi mit Gewalt aus der Wohnung holen müssen”, erinnert sich Olie Giveon.<br />

“Anscheinend ahnte er, dass wir nicht wirklich Militärpolizisten waren.” Die drei Männer schafften <strong>den</strong><br />

Gefangenen mit dem Auto in einen nahen Wald. “Wir mussten uns beeilen, <strong>den</strong>n wir hatten Angst,<br />

dass wir vom englischen Militär erwischt wür<strong>den</strong>. Wir unterhielten uns mit dem Mann etwa eine halbe<br />

Stunde. Ich sagte: ,Im Namen des <strong>jüdischen</strong> Volkes ist es bestimmt, dass du das Leben verlierst.’<br />

Dann haben wir ihn erschossen.”<br />

Ein Urteil ist vollstreckt. Der Delinquent war schuldig gesprochen wegen Teilnahme am Holocaust.<br />

Seine drei selbsternannten Ankläger, Richter und Vollstrecker mussten sich nie für ihre Tat<br />

verantworten. Sie gingen nach Israel zurück, wo sie seit 1939 gelebt hatten und führten ein Leben als<br />

unbescholtene Bürger.<br />

Wie Dov Shenkal und Olie Giveon wanderte auch Chaim Miller 1939 als junger Zionist von Wien nach<br />

Palästina aus; das Land untersteht noch britischem Völkerbundsmandat. Am 15. März, als Hitler mit<br />

der Wehrmacht in Prag einzieht, kommt Chaim Millers Schiff im Hafen von Haifa an. Er ist 18 Jahre<br />

alt. In Wien hat er seine Eltern zurückgelassen, er wird sie nie wiedersehen. Miller will Israel<br />

mitaufbauen, <strong>den</strong> Staat der Ju<strong>den</strong>. Wie Shenkal und Giveon wird er Mitglied der Hagana, einer<br />

Untergrundbewegung zur Abwehr arabischer Überfälle.<br />

Drei Jahre später steht Hitlers Armee unter Feldmarschall Erwin Rommel in Ägypten und bedroht <strong>den</strong><br />

Traum der Ju<strong>den</strong> vom eigenen Staat. Die Führung in Palästina beschließt, Rommel eigene Männer<br />

entgegenzustellen. Tausende jüdischer Soldaten dienten bereits in <strong>den</strong> britischen Streitkräften. Nun<br />

erlaubten die Engländer die Ausbildung jüdischer Guerillakämpfer.<br />

Die Hagana baut eine geheime 35 Mann starke Spezialeinheit auf: die “Deutsche Abteilung”. Auf <strong>den</strong><br />

Hügeln über dem Kibbuz “Mischmar Ha’emmek” kreuzen sich im Juni 1942 die Wege von Dov<br />

Shenkal, Olie Giveon und Chaim Miller zum ersten Mal. Alle drei sind groß, blond und blauäugig.<br />

Deutsch ist ihre Muttersprache. Als deutsche Offiziere verkleidet, sollen sie im Rücken von Rommels<br />

Afrikakorps für Sabotageakte eingesetzt wer<strong>den</strong>. In Uniformen der Wehrmacht durchlaufen sie die<br />

gleiche Grundausbildung wie ihre Feinde. Täglich üben sie an deutschen Waffen, nachts stehen<br />

Nazilieder auf dem Ausbildungsprogramm – Lieder, die sie hassen und doch nie vergessen wer<strong>den</strong>.<br />

Chaim Miller hat die Zeilen noch heute im Kopf.<br />

“Durch Großberlin marschieren wir, für Adolf Hitler kämpfen wir, die rote Front, schlagt sie entzwei, SA<br />

marschiert, Achtung, die Straße frei.”<br />

Rommel und sein Afrikakorps kommen nicht bis Palästina, die Deutsche Abteilung nicht zum Einsatz.<br />

Die Ju<strong>den</strong> unter der Führung des späteren Staatsgründers David Ben-Gurion fordern seit Jahren,<br />

gegen Nazi-Deutschland eine eigene Armee ins Feld führen zu dürfen. Doch erst Ende 1944 stimmen<br />

die Engländer zu, eine 5000 Mann starke Jewish Brigade Group aufzustellen. Fast alle Freiwilligen,<br />

die sich in Palästina zur Jüdischen Brigade mel<strong>den</strong>, sind Mitglieder der Hagana. Ihr Brigadeabzeichen<br />

ist ein Davidstern, ihre Einheit gehört zur britischen 8. Armee, die in Italien kämpft.<br />

Anfang März 1945 zieht sich die Wehrmacht nördlich von Florenz hinter die sogenannte Gotenlinie im<br />

Zentralapennin zurück. Endlich kommt die Brigade zum Einsatz. Die Deutsche Abteilung mit Olie<br />

Giveon, Chaim Miller und Dov Shenkal meldet sich am 26. April 1945 zum Einsatz. Aber da ist der<br />

Krieg schon fast vorüber. “Es war schrecklich”, erinnert sich Dov Shenkal, “eine fürchterliche<br />

Enttäuschung. Jahrelang hatten wir uns auf <strong>den</strong> Kampf gegen die Deutschen vorbereitet. Dafür waren<br />

wir in die britische Armee eingetreten. Und dann passierte fast nichts.”<br />

114


Am Ende des Krieges ist die Brigade im italienischen Tarvisio stationiert, dort, wo Österreich,<br />

Slowenien und Italien aneinandergrenzen. Millionen Menschen ziehen heimatlos durch das zerstörte<br />

Europa. Auch Überlebende der Vernichtungslager sind darunter. Als abgemagerte Flüchtlinge an der<br />

Kaserne der Jüdischen Brigade vorbeiziehen, entschließen sich die Soldaten zu einer beispiellosen<br />

Rettungsaktion: Unter <strong>den</strong> Augen des britischen Militärs schleusen sie mit Hilfe der Hagana Hunderte<br />

von Holocaust-Opfern illegal nach Palästina ein. Von <strong>den</strong> Brigadesoldaten mit britischen Papieren<br />

ausgestattet, wer<strong>den</strong> die Flüchtlinge aus Polen, Deutschland und Österreich mit Militärfahrzeugen<br />

nach Jugoslawien transportiert. Von dort weiter nach Palästina.<br />

Der Holocaust, <strong>den</strong> die <strong>jüdischen</strong> Soldaten bis dahin nur als ferne Tragödie kennen, ist plötzlich zum<br />

Greifen nah. Viele haben ihre Familien in <strong>den</strong> Lagern der Nazis verloren. Der Schock entlädt sich<br />

zunächst in blinder Wut. Brigadesoldaten töten deutsche Gefangene, vergewaltigen österreichische<br />

Frauen. Der Hass auf die Deutschen findet zunächst nur zufällige Ziele.<br />

“Ich weiß nicht, ob man das, was wir taten, überhaupt Rache nennen kann”, sagt Chaim Miller. “Unser<br />

Ziel war nicht das gesamte deutsche Volk. Wir wollten die Schuldigen. Wir suchten nach Leuten, die<br />

an der Vernichtung der Ju<strong>den</strong> beteiligt waren. Eigentlich sollten keine Unschuldigen verletzt wer<strong>den</strong>.<br />

Wir wollten keine blindwütige Rache.”<br />

Die Organisation der Vergeltung liegt in <strong>den</strong> Hän<strong>den</strong> von zwei Männern: Chaim Laskov, der später der<br />

erste Generalstabschef der israelischen Armee wird und Me’r Zorea, auch er später ein hoher<br />

General. Die bei<strong>den</strong> rekrutieren aus der Jüdischen Brigade Rachetrupps, die unabhängig operieren.<br />

Die Deutsche Abteilung spürt einen ehemaligen Gestapo-Mann auf, der mit seiner Frau für die<br />

Konfiszierung <strong>jüdischen</strong> Eigentums zuständig gewesen ist. Er liefert die Adressen anderer Nazis.<br />

Später entledigt man sich des Informanten und seiner Frau.<br />

“Nicht weit von der Stadt entfernt liquidierten wir beide mit Pistolenschüssen. Die Kugeln hinterließen<br />

nur ein kleines Loch in der Stirn und rissen fast <strong>den</strong> ganzen Hinterkopf weg. Einer unserer eigenen<br />

Männer wäre dabei fast verletzt wor<strong>den</strong>. Eine sehr unangenehme Sache.”<br />

Das erzählte der im Juni 1996 verstorbene General Me’r Zorea bei einem Vortrag, der auf Video<br />

aufgenommen wurde. Jede Gruppe hatte ihre eigene Methode, Menschen hinzurichten. “Wenn wir<br />

jeman<strong>den</strong> liquidierten, gingen wir methodisch vor. Nie hat einer erfahren, wie oder warum er getötet<br />

wer<strong>den</strong> sollte und wer wir überhaupt waren. Wir sagten nie: im Namen des <strong>jüdischen</strong> Volkes” – Me’r<br />

Zorea widerspricht damit Giveon. “Keine Ansprachen, keine Vorträge, kein Blablabla. Wir haben die<br />

Nazis getötet, wie man eine Laus zerquetscht.”<br />

Im Frühsommer 1945 ist Olie Giveon mit seiner Rächergruppe in <strong>den</strong> österreichischen Bergen<br />

unterwegs. In einer Berghütte stoßen sie zufällig auf zwei versteckte SS-Offiziere. Sie machen kurzen<br />

Prozess.<br />

“Wir haben sie überrascht”, sagt Olie Giveon. “Ich habe ihnen gleich das Hemd heruntergerissen.<br />

Unter der Achsel trugen sie das tätowierte Zeichen der SS. Nachdem wir einen gewissen Druck<br />

ausgeübt hatten, stellte sich heraus, wer sie waren, wo sie gekämpft hatten und dass sie an der<br />

Vernichtung der Ju<strong>den</strong> beteiligt gewesen waren. Das war nicht einfach aus ihnen<br />

herauszubekommen, sie logen. Ich habe sie dann zu einem Gletscher gebracht und in eine vielleicht<br />

achtzig Meter tiefe Spalte gestoßen. Damit war die Sache erledigt. Wenn ich nicht hundertprozentig<br />

überzeugt gewesen wäre – ich bin sicher, ich hätte das nicht gemacht. Ich muss sagen, ich habe<br />

gestaunt, daß sie sich wie Menschen benommen haben. Es waren doch SS-Offiziere.”<br />

Bis zu hundert Nazis sollen von <strong>den</strong> Soldaten der Jüdischen Brigade in <strong>den</strong> ersten sechs Monaten<br />

nach dem Krieg im allgemeinen Chaos getötet wor<strong>den</strong> sein.<br />

In Polen grün<strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> schon früher eine Racheorganisation, <strong>den</strong>n Polen wird bereits einige Wochen<br />

zuvor befreit. Ihr Motto lautet: “Für uns wird der Krieg nicht en<strong>den</strong>. Unser jüdischer Krieg gegen die<br />

115


Deutschen wird weitergehen.” Der Führer der Gruppe ist Abba Kovner – Dichter, Partisan, Visionär<br />

und später Abgeordneter der Knesset. Und er ist weitaus radikaler als die Deutsche Abteilung um<br />

Miller, Giveon und Shenkal.<br />

Als Partisan, der in <strong>den</strong> umliegen<strong>den</strong> Wäldern von Wilna operierte, hatte Kovner Zigtausende Ju<strong>den</strong> in<br />

die Gaskammern gehen sehen. Kovner und seine Kampfgefährten sind überzeugt, daß das gesamte<br />

deutsche Volk schuldig ist. Für je<strong>den</strong> der ermordeten sechs Millionen Ju<strong>den</strong> sollen die Deutschen mit<br />

Blut bezahlen. Seine Gruppe plant, sechs Millionen Deutsche durch vergiftetes Trinkwasser<br />

umzubringen. Sie hat die Bevölkerung von Hamburg und Nürnberg ausgesucht.<br />

Jahre später sagt Kovner in einem Interview mit dem israelischen Historiker Levi Aria Sharid: “Die Tat<br />

sollte schockieren. Die Deutschen sollten wissen, dass es nach Auschwitz kein Zurück zur Normalität<br />

geben kann.” Für <strong>den</strong> Plan, <strong>den</strong> die Rächer “Tochnit Alef”, Plan A, nennen, brauchen sie<br />

Unterstützung. Sie hoffen auf die Hagana.<br />

Ende Juli 1945 trifft Abba Kovner in Palästina ein, um Gift zu besorgen; sein Stellvertreter Pascha<br />

Reichmann etabliert währenddessen Ableger der Organisation in Hamburg, Frankfurt, Nürnberg und<br />

München. Abba Kovner will außerdem die Führung der Ju<strong>den</strong> für seine Rachepläne gewinnen. Er<br />

weiht nur wenige Mitglieder der Hagana in seine Pläne ein. Dazu Tom Segev, Historiker und<br />

Kolumnist der israelischen Tageszeitung Ha’aretz: “Die jüdische Führung in Palästina hat Abba<br />

Kovner gefragt: ,Was soll diese obszöne Idee? Was haben wir davon, wenn wir sechs Millionen<br />

Deutsche vergiften?’ Die Kluft zwischen <strong>den</strong> ehemaligen Partisanen, die gerade aus dem Wald<br />

gekommen waren, und <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> in Palästina, die <strong>den</strong> Holocaust nicht mitgemacht haben, war<br />

riesengroß. Das tat weh, es war traumatisch für die jüdische Guerilla.”<br />

In München wartet Pascha Reichmann auf das Gift, das Kovner mitbringen will. Reichmann hat alles<br />

für <strong>den</strong> großen Plan vorbereitet, hat Agenten in die Wasserwerke von Hamburg und Nürnberg<br />

eingeschleust. Im Dezember 1945 schifft sich Abba Kovner in der Uniform eines Soldaten der<br />

Jüdischen Brigade auf einem britischen Truppentransporter ein. Sein Ziel ist Deutschland. Im Gepäck<br />

hat er das Gift. Seine Papiere stammen von der Hagana, zwei ihrer Soldaten begleiten ihn. Die<br />

Hagana, die von Kovners Plänen unterrichtet ist, wird nervös. Nachum Schadmi, Oberbefehlshaber<br />

der Hagana in Europa, schickt einen Kurier nach München. Er soll Kovners Gruppe unterstützen, aber<br />

auch kontrollieren. Dem Kurier wird eingeschärft, regelmäßig über Aktivitäten der Gruppe zu<br />

berichten. Sein Name ist Dov Shenkal.<br />

Benny Morris, Historiker an der Hebräischen Universität von Jerusalem, glaubt, dass die Hagana<br />

Abba Kovner verraten hat. “Die jüdische Führung in Palästina hat schon 1945, also noch vor der<br />

Staatsgründung, verstan<strong>den</strong>, dass Rache an <strong>den</strong> Deutschen zumindest problematisch war. Nicht<br />

Rache sollte die jüdische Politik bestimmen, sondern das Überleben, die Errichtung eines Staates.<br />

Freunde im Ausland waren wichtiger als tote Deutsche.”<br />

Statt ihre Racheträume in historischen Ausmaßen verwirklicht zu sehen, fan<strong>den</strong> sich die Rächer um<br />

Abba Kovner im Abseits. Der Historiker Tom Segev sagt: “Sie sahen sich als die Boten des <strong>jüdischen</strong><br />

Volkes. Als Soldaten. Und sie glaubten, dass sie die Pflicht hätten, diese reinigende Aktion<br />

auszuführen um einen Schlussstrich zu ziehen und ein neues Leben beginnen zu können. Doch mit<br />

dieser Auffassung stan<strong>den</strong> sie allein da.”<br />

Dov Shenkal erinnert sich: “Anfang Dezember kam ich in München an. Ich traf Pascha und weitere<br />

fünf bis sechs Leute. Sie wollten das Trinkwasser einer deutschen Großstadt vergiften. Immer wieder<br />

forderten sie mich auf mitzumachen. Sie sagten: Sechs Millionen Ju<strong>den</strong> wur<strong>den</strong> abgeschlachtet! Ich<br />

antwortete: Wenn wir jetzt sechs Millionen Deutsche umbringen, sind wir ja selber Nazis.”<br />

116


Abba Kovner kommt nie an. Kurz vor dem Hafen von Toulon wird Kovners Name über die<br />

Bordlautsprecher ausgerufen. Er soll sich beim Kapitän mel<strong>den</strong>. Als er an Deck kommt, wird er<br />

verhaftet und vier Monate lang in einem britischen Militärgefängnis in der Nähe von Kairo interniert.<br />

Das Gift wird nie gefun<strong>den</strong>. Hat Kovner es ins Meer geworfen?<br />

Die Mitglieder seiner Gruppe sind verzweifelt, als sie von Kovners Verhaftung erfahren. Aber sie sind<br />

zu allem entschlossen. Pascha Reichmann entschließt sich für einen zweiten Plan, “Tochnit Bet”, Plan<br />

B. Arsen muß beschafft wer<strong>den</strong>. Nun wollen die Ju<strong>den</strong> Tausende von SS-Angehörigen in einem<br />

amerikanischen Kriegsgefangenenlager vergiften. Ihr Ziel ist das Stalag XIII bei Nürnberg.<br />

“Ich brachte der Gruppe im April 1946 aus Paris das Arsen in einem Rucksack mit”, gibt Dov Shenkal<br />

zu. “Den Rucksack erhielt ich von unserem Oberbefehlshaber Nachum Schadmi. Wo er das Gift<br />

herhatte, weiß ich nicht. Die Menge? Es war ein schwerer Rucksack, ein sehr schwerer Rucksack.”<br />

Am 14. April 1946 dringen Reichmanns Männer in die Konsum-Großbäckerei, Schleifweg 37, in<br />

Nürnberg ein, die 16 000 ehemalige SS-Angehörige versorgt. Sie bestreichen 3000 Brotlaibe mit<br />

Arsen, bevor sie von Wächtern überrascht wer<strong>den</strong>. Im Monatsbericht des Nürnberger<br />

Oberbürgermeisters vom April 1946 steht: “Nach dem Einbruch in eine Groß- bäckerei wur<strong>den</strong> der<br />

Chemischen Untersuchungsanstalt Nürnberg überbracht: 1 Pinsel, 1 Gummihandschuh, ein vom<br />

Bo<strong>den</strong> der Bäckerei abgeschabter, eingetrockneter weißer Spritzer, 1 Stück Brot und eine Probe<br />

Streumehl. Pinselhaare und Pinselstiel enthielten außergewöhnlich große Mengen von Arsenik. Der<br />

Gummihandschuh war mit weißem Arsenik dick bedeckt. Der Bo<strong>den</strong>spritzer erwies sich als reines<br />

Arsenik. Auf der Brotscheibe (Anschnitt eines sogenannten Kommissbrotes) befan<strong>den</strong> sich 0,3<br />

Gramm Arsenik, eine unerhört große Menge!”<br />

Der Arsen-Kurier Dov Shenkal hatte von der Hagana-Leitung <strong>den</strong> Auftrag bekommen, sicherzustellen,<br />

daß das verteilte Arsen bei Plan B nicht tödlich wirkte. Und er räumt auch ein, Abba Kovner an die<br />

Briten verraten zu haben. Am 23. April 1946 berichtet die New York Times, daß mehr als 2000 SS-<br />

Angehörige in einem Nürnberger Gefangenenlager vergiftet wor<strong>den</strong> seien. Aber es sei niemand<br />

gestorben. Diese Meldung muss in <strong>den</strong> Zeiten der strengen allierten Pressezensur aber nicht<br />

unbedingt stimmen. Zur Belohnung für Shenkals Verrat entließen die Briten 5000 Ju<strong>den</strong> aus<br />

belgischen und französischen Sammellagern. Sie durften nach Palästina ausreisen, mit or<strong>den</strong>tlichen<br />

Pässen ausgestattet – obwohl die Briten sonst versuchten, jede jüdische Zuwanderung in ihr<br />

Mandatsgebiet Palästina zu verhindern.<br />

Dov Shenkal bleibt wenigstens eine angenehme Erinnerung an diese schreckliche Zeit: Er durfte die<br />

5000 Ju<strong>den</strong> nach Israel begleiten, und wenn er davon erzählt, sieht er sehr zufrie<strong>den</strong> aus. War es<br />

richtig, damals nur an Rache zu <strong>den</strong>ken? “Wenn ich noch einmal in der Zeit zurückreisen könnte,<br />

würde ich lieber Gutes tun”, sagt er. Doch wie Chaim Miller und Olie Giveon beharrt er darauf, dass er<br />

nichts bereut. “Unsere Rache war winzig und fast unwichtig im Schatten des industriellen<br />

Massenmords”, sagt er.<br />

117


5.3 Material zur Familie Dichter<br />

5.3.1 Falter-Interview mit Walter Arlen<br />

Über Nacht waren alle Nazis 82<br />

Walter Arlen, 1920 in Wien geboren, erlebte 1938 die dramatische Enteignung und<br />

Vertreibung seiner Familie. Als Musikkritiker und Universitätsprofessor arbeitete<br />

Arlen in Los Angeles. Mit seiner Schwester Edith Arlen Wachtel wohnt er am 8. März<br />

der Eröffnung des Kunstprojektes „Säulen der Erinnerung“ bei, das seiner Familie im<br />

Ge<strong>den</strong>ken an alle Opfer des Nationalsozialismus gewidmet ist. Der Neubau, der<br />

heute an der Stelle des ehemaligen Kaufhauses Dichter, das von Arlens Familie<br />

betrieben wurde, entsteht, wird eine Ge<strong>den</strong>ktafel bekommen.<br />

Falter: Wie erinnern Sie sich an das Ottakring ihrer Kindheit?<br />

Walter Arlen: Ich bin in der Brunnengasse 40 geboren, im Warenhaus meiner<br />

Familie. Mein Großvater Leopold Dichter hat es 1890 gegründet. Es wurde das<br />

größte Kaufhaus der äußeren Bezirke, und wir hatten 85 Angestellte. Wir wohnten in<br />

demselben Gebäude. Unsere Familie besaß auch eine Villa in Sauerbrunn, wo wir<br />

immer auf Sommerfrische waren. Dort hatte ich ein Klavier.<br />

Sie waren ein musikalisches Kind?<br />

Ja, ich habe sehr gern gesungen. Mein Großvater hat mich schon mit fünf zu dem<br />

berühmten Schubert-Forscher Otto Erich Deutsch gebracht. Der stellte bei mir das<br />

absolute Gehör fest und schickte mich zu einer Klavierlehrerin. Wir hatten ein<br />

Grammophon, und ich habe mir die Lieder gemerkt. Im Geschäft war das eine<br />

Sensation. Dort haben sie mich auf die Budel gestellt und aufgefordert: „Walter, sing<br />

was!“ Eines der Lieder war zum Beispiel „Wenn die letzte Blaue fährt“. Meine letzte<br />

Komposition von vor zehn Jahren basiert auf diesem Schlager.<br />

In Ottakring gab es damals viel Textilindustrie. War das Kaufhaus darauf<br />

spezialisiert?<br />

Nein, wir führten alles. Parfums, Lederwaren, Spielzeug, Schulhefte, Bekleidung und<br />

so weiter. Meine Großmutter saß gleich am Eingang an der Kassa. Wenn ich in der<br />

Schule brav war, bekam ich von ihr einen Schilling.<br />

Haben Sie schon damals Antisemitismus erlebt?<br />

Als Kind nicht, aber im Gymnasium wurde ich beleidigt und verhaut. Es gab auch<br />

einen Professor, der im Unterricht über die Ju<strong>den</strong> schimpfte. Ich war von klein auf<br />

eingeschüchtert. Man hatte irgendwie das Gefühl, dass man als Jude ein<br />

Untermensch ist. Merkwürdig, dass auch die Kirche diese Idee gefördert hat. Ich bin<br />

118


erst nach vielen Jahren in Amerika draufgekommen, dass Jesus ein Jude war –<br />

darüber ist nie gesprochen wor<strong>den</strong>. Das hätte ich <strong>den</strong> Burschen sagen können, die<br />

mich geschlagen haben: Jesus war auch Jude! Mein letzter Schultag war der 11.<br />

März 1938.<br />

Wie haben Sie <strong>den</strong> „Anschluss“ erlebt?<br />

In der Nacht, nachdem Hunderttausende Hitler auf dem Hel<strong>den</strong>platz zugejubelt<br />

haben, schlugen um zwei Uhr acht SA-Leute an unsere Wohnungstür. Jemand muss<br />

ihnen die Kaufhaustür aufgesperrt haben. Sie nahmen, was an Bargeld und<br />

Schmuck da war, auch die beachtliche Briefmarkensammlung meines Vaters. Mich<br />

haben sie abgewatscht, meinen Vater und meine Onkel ins Gefängnis geschleppt.<br />

Wie ist es mit dem Kaufhaus Dichter weitergegangen?<br />

Jüdische Geschäftsleute wie wir waren ja das Hauptziel des Volkszorns. Am<br />

nächsten Morgen habe ich aus dem Fenster eine große schimpfende<br />

Menschenmenge gesehen, die ins Geschäft eingedrungen ist. Es gab zwar keine<br />

Plünderung, aber die Angestellten kamen in die Wohnung und haben die Telefone<br />

von der Wand gerissen. Dabei wäre ein Anruf bei der Polizei ohnehin sinnlos<br />

gewesen. Es waren ja über Nacht alle Nazis!<br />

Haben Sie davor schon Anzeichen dafür bemerkt?<br />

Meine Mutter hat am Samstag immer im Geschäft ausgeholfen, und nach dem<br />

„Anschluss“ hat eine Verkäuferin sie hinausgeschmissen. Obwohl sie die Tochter des<br />

Inhabers war! Am Tag vorher waren sie alle noch freundlich, und nachher hätten sie<br />

einen umgebracht.<br />

Haben Sie überlegt, nach Sauerbrunn zu fahren?<br />

Schauen Sie, man hat nicht gewusst, was sein wird. Es wur<strong>den</strong> ja auch alle Grenzen<br />

sofort gesperrt. Später haben wir erfahren, dass die paar Ju<strong>den</strong>, die nach<br />

Sauerbrunn gefahren sind, von der Bevölkerung blutig geschlagen wor<strong>den</strong> sind.<br />

Wie eine feindliche Meute.<br />

Ja, die haben nur darauf gewartet, anzugreifen. Es ist kein Wunder, dass es zur<br />

Ermordung von sechs Millionen Ju<strong>den</strong> gekommen ist, <strong>den</strong>n der Hass, der Zorn und<br />

der Neid waren unendlich groß.<br />

Wie haben Sie die Wirtschaftskrise der Dreißigerjahre erlebt?<br />

Damals ist es weltweit schlecht gegangen, in Amerika und Frankreich war auch<br />

Depression. Mein Großvater ist jedes Jahr nach Deutschland auf die Messe<br />

gefahren, aber 1933 war damit Schluss. Man hat genau gewusst, was dort vor sich<br />

geht, es stand auch in der Zeitung.<br />

Ihr Großvater hat sein Kaufhaus noch 1935 modernisiert.<br />

119


Er hat sein Leben lang immer renoviert und vergrößert. Mein Großvater ist nach<br />

Frankreich, England und Italien gereist und hat in Amerika die Woolworth-Kaufhäuser<br />

besucht, um Ideen zu kriegen. Meine Onkel haben ihn zu überre<strong>den</strong> versucht, dass<br />

er Geld in die Schweiz schickt. Aber er hat immer gesagt: „Nein, das ist gegen das<br />

Gesetz.“<br />

In Ottakring gab es auch eine große Synagoge. War Ihre Familie religiös?<br />

Wir haben nur die Feiertage gepflegt. Damals waren alle Ju<strong>den</strong> mehr oder weniger<br />

koscher, aber nicht streng.<br />

Welche Rolle spielte die Kultur?<br />

Mein Großvater hat uns sehr gefördert, obwohl er selbst nicht so kulturinteressiert<br />

war. Meine Schwester Edith zeigte Begabung für Tanz, und so hat er sie zu der<br />

bekannten Tänzerin Grete Wiesenthal gebracht. Ich habe mit zehn zum<br />

Komponieren begonnen. Wenn ich am Klavier klimperte, schimpfte meine Mutter:<br />

„Komponierst du schon wieder? Mach deine Schulaufgaben!“ Nach dem Wunsch<br />

meines Großvaters sollte ich in einem Warenhaus in Chicago lernen. Ich war der<br />

Erbe, aber soweit ist es nicht gekommen.<br />

Wie ging es mit dem Kaufhaus Dichter nach dem „Anschluss“ weiter?<br />

Sie haben sofort einen „Ariseur“ geschickt. Sein Name war Edmund Topolansky, und<br />

er besaß eine Privatbank mit Adresse Graben 13. Diese Bank war bankrott, aber<br />

Nazibonzen als Freunde gaben ihm unser Geschäft zu seiner Sanierung. Wir hatten<br />

450.000 Reichsmark Vermögen und wur<strong>den</strong> von heute auf morgen enteignet.<br />

Topolansky hat das Geld sogar in die Schweiz verschoben. Dafür kam er später ins<br />

Gefängnis, aber das Geld blieb für immer verschwun<strong>den</strong>.<br />

Was hat Ihre Familie dann unternommen?<br />

Mein Großvater hatte eine Schwester, die 1890 nach Amerika ausgewandert ist. Nur<br />

durch ihre Bürgschaft konnte die ganze Familie ein Visum bekommen. Das war nicht<br />

so leicht, <strong>den</strong>n auch Amerika hat darauf bestan<strong>den</strong>, dass man für die Exilanten<br />

garantiert.<br />

Ihr Vater war noch inhaftiert?<br />

Der saß fünf Wochen im Gefängnis, und wir zahlten tausend Reichsmark für seine<br />

Freilassung. Die unbestechlichen Nazis! Meinen Großvater haben sie wahrscheinlich<br />

wegen der „Arisierung“ nicht eingesperrt, der musste alles unterzeichnen. Sie haben<br />

keine Ahnung, wie viele Dokumente mit Hakenkreuzstempel und der Unterschrift<br />

„Leopold Dichter“ wir haben. Am 15. Mai kam mein Vater plötzlich nicht mehr<br />

nachhause. Er fiel einer der Razzien auf <strong>den</strong> Straßen zum Opfer, bei <strong>den</strong>en die<br />

Ju<strong>den</strong> direkt ins KZ geschickt wur<strong>den</strong>. Erst einen Monat später erreichte uns eine<br />

Meldung aus Dachau. Meine Mutter erlitt einen Nervenzusammenbruch. Durch Glück<br />

konnte ich sie in ein Sanatorium bringen, es wur<strong>den</strong> ja eigentlich keine Ju<strong>den</strong> mehr<br />

120


ehandelt.<br />

Wo haben Sie gelebt?<br />

Wir mussten alles liegen und stehen lassen, hatten nur mehr unsere Kleider. Wir sind<br />

in eine Pension gezogen. Die anderen Verwandten waren bald weg, wir blieben<br />

wegen dem Vater. Ich war sehr oft bei der Gestapo im Hotel Metropol am Morzinplatz<br />

und habe dort wegen meines Vaters angesucht, der trotz seines Visums nicht<br />

freikam. Zuhause hat mir meine Mutter gesagt: „Sie haben dich schon wieder<br />

gesucht.“ In der kalten Nacht vom 9. November bin ich hinauf nach Steinhof. In der<br />

Zeit haben sie <strong>den</strong> Ottakringer Tempel angezündet.<br />

Hatten Sie noch Geld?<br />

Unser Geld lag auf dem „Sperrkonto“. Topolansky meinte immer: „Was will der kleine<br />

Jud schon wieder?“ Ein bisschen gab er uns zum Leben, bis er selbst eingesperrt<br />

wurde. Ich bin einen Tag vor Erlöschen meines Visums weg, am 14. Mai 1939, und<br />

habe in Triest allein ein Schiff nach Amerika bestiegen. Mein Vater kam gerade noch<br />

rechtzeitig heraus. Mit meiner Mutter und Schwester war er sieben Jahre in London,<br />

bevor wir uns wiedersahen.<br />

Hat Ihnen Ihr Vater von seinen Erfahrungen im KZ erzählt?<br />

Kein Wort. Nicht von Dachau und nicht von Buchenwald. Man hat nicht danach<br />

gefragt. Aber ich habe diese Lager später alle besucht.<br />

Haben Sie nach dem Krieg Rückforderungen gestellt?<br />

Die Österreicher haben sich nach dem Krieg sehr, sehr schlecht benommen. Das<br />

war eine Bagage: Für die Einreichungen gaben sie einem nichts aus <strong>den</strong> Archiven.<br />

Es war ein ekelhafter, mieser Kampf, <strong>den</strong> wir um irgendeine Restitution führen<br />

mussten. Topolansky hatte sich erschossen, aber seine Witwe hat uns nach dem<br />

Krieg mit einer Klage gedroht, falls wir etwas von ihr verlangen. Wir waren in<br />

Kalifornien, und 1946 war es noch so schwer hierherzukommen, zuerst mit dem Zug<br />

nach New York und dann mit dem Schiff. Von unserem Rechtsanwalt hieß es nur:<br />

„Nichts zu machen.“ Topolansky hatte ein von meinem Großvater signiertes<br />

Dokument, nachdem er anstatt 450.000 nur 29.000 Reichsmark besessen hätte.<br />

Dabei war der Großvater da schon drei Monate weg! Alles gefälscht. Wir hatten nach<br />

dem Krieg auch solche Schwierigkeiten, weil Topolansky das ganze Geld<br />

unterschlagen hat.<br />

Haben Sie jemals überlegt, zurückzukehren?<br />

Als der Krieg aus war und Hitler verloren hatte, hatte man nicht mehr so schlechte<br />

Gefühle gegenüber Österreich. Diese Einstellung veränderte sich erst, als sich<br />

Österreich so benommen hat. Wir haben versucht, unsere riesige<br />

„Reichsfluchtsteuer“ zurückzubekommen. Aber die Ministeriumsbeamtin hat sich<br />

geweigert und uns böse Briefe geschrieben. Die Regierung war gegenüber <strong>den</strong><br />

Leuten, die zurückgekommen sind, sehr feindlich eingestellt. Sogar Karl Renner hat<br />

121


gesagt, die Ju<strong>den</strong> sollen nicht zurückkommen. Auch darum lebten vor dem Krieg<br />

180.000 Ju<strong>den</strong> in Österreich und heute nur mehr 8000.<br />

Was hat Ihr Großvater dazu gesagt?<br />

Einmal hat er mich gefragt: „Willst du nicht nach Wien fahren?“ Aber ich habe mir<br />

damals gerade eine Existenz als Musikkritiker bei der Los Angeles Times aufgebaut.<br />

Ich konnte nicht weg, mir fehlte auch das Geld für die Reise. In <strong>den</strong> Fünfzigerjahren,<br />

da war mein Großvater schon tot, wurde das Geschäft um nur 25.000 Dollar an<br />

Oskar Sei<strong>den</strong>glanz, einen „Ariseur“, verkauft.<br />

Wann sind Sie das erste Mal zurück nach Österreich gekommen?<br />

Wir kamen 1965 her, aber alles war wie fremd. Wie wir im Kaufhaus Osei unsere alte<br />

Wohnung ansehen wollten, hat man uns rausgeworfen. Entsetzlich war, was sie uns<br />

in Sauerbrunn angetan haben: Die Villa wurde beschlagnahmt, zu Kriegsende haben<br />

sie das Gebäude abgebrannt. Dann hat uns doch tatsächlich die Gemeinde<br />

geschrieben, „der Schandfleck“ müsse weg.<br />

Sie wur<strong>den</strong> im Ernst aufgefordert, die Ruine zu beseitigen?<br />

Ja, wir haben das über einen Rechtsanwalt gelöst, der einen Käufer fand. Der<br />

Kaufpreis war aber gerade so hoch wie das Honorar von dem Anwalt. Dabei war es<br />

ein sehr großes Grundstück. Bei unserem ersten Besuch 1965 ist dort frisch ein<br />

neues Gebäude gestan<strong>den</strong> mit einem Schild: „Dieses Haus wurde mit Staatsgeldern<br />

errichtet.“ Aber uns, die wir das Geld für einen Neubau nicht hatten, haben sie nie<br />

gesagt, dass uns finanzielle Hilfe durch <strong>den</strong> Marshallplan zugestan<strong>den</strong> wäre.<br />

Wie fan<strong>den</strong> Sie Amerika?<br />

Amerika war in der Depression, und in Chicago stan<strong>den</strong> lauter Gerüste unfertiger<br />

Wolkenkratzer, für die das Geld ausgegangen war. Ich musste während des Kriegs<br />

vier Jahre in einer chemischen Fabrik arbeiten. Aber daneben konnte ich weiter<br />

Musik studieren, und außerdem habe ich wegen starker Depressionen eine<br />

Psychoanalyse begonnen. Ich wurde dann Assistent des berühmten Komponisten<br />

Roy Harris. Er hat mich in das Musikleben der USA eingeführt.<br />

Viele Exilanten haben sich von Hollywood Aufträge erhofft.<br />

In Los Angeles haben Komponisten wie Arnold Schönberg und Igor Strawinsky<br />

gelebt. Durch die exilierten Komponisten und erstklassigen Musiker war die Szene in<br />

Los Angeles sehr interessant. Die fan<strong>den</strong> in Hollywood ein sehr gutes Einkommen,<br />

und das Niveau war äußerst hoch.<br />

Wie verlief Ihre berufliche Laufbahn?<br />

Es war learning by doing. Nach einigen Jahren wurde ich von der Loyola-Universität<br />

eingela<strong>den</strong>, ein Institut für Musik aufzubauen. Ich war ein sehr glücklicher und<br />

erfolgreicher Mensch. Die schlechten Zeiten sind vor sieben Jahren gekommen, als<br />

122


Österreich auf einmal mitteilte, man solle sich um Restitution bewerben. Eigentlich<br />

wollte ich davon nichts mehr wissen, aber sie haben es uns aufgedrängt, mit dem<br />

Versprechen, dass etwas herausschauen würde. Erstmals kamen die ganzen<br />

Dokumente vom Gericht. Die Einreichungen haben sich dann ewig hingezogen.<br />

Sie haben im Vorjahr eine Verzichtserklärung unterschrieben. Wieso?<br />

Nach vielen Jahren kam die Entscheidung des Restitutionsfonds, dass wir zehn<br />

Prozent vom errechneten Wert bekommen. Das waren nur 20.000 Dollar – eine<br />

Augenauswischerei. Ich wusste damals noch nicht, dass der Neubau in Sauerbrunn<br />

heute viele Millionen wert ist. Die Villa ist beschlagnahmt wor<strong>den</strong>, die Geschichte<br />

existiert schwarz auf weiß. Aber die waren nur an der Unterschrift interessiert, dass<br />

das von der Familie Dichter verkauft wurde. So ein kleiner Magister hat mir erklärt,<br />

ein Einspruch würde weitere Jahre dauern und nichts bringen. Ich bin heute fast 88,<br />

wie lange sollte ich noch dafür rackern?<br />

Ist Ihnen jemand bekannt, der wirklich entschädigt wor<strong>den</strong> wäre?<br />

Nein, niemand. Nur Maria Altmann, die ich gut kenne, erhielt die Klimt-Bilder zurück.<br />

Aber das war ja ein anderer Fall. Die musste Österreich zurückgeben, weil die ganze<br />

Welt gewusst hat, dass die Kunst aus deren Haus herausgestohlen wor<strong>den</strong> war.<br />

Zumindest kommt jetzt von einer anderen Generation eine symbolische Würdigung.<br />

Ich freue mich sehr darüber, dass der Name Dichter mit dem Gebäude „Dichter Hof“<br />

wiederauferstehen und eine Ge<strong>den</strong>ktafel bekommen wird. Geld ist gut, aber besser<br />

ist, dass der Name vielleicht wieder hundert Jahre vor <strong>den</strong> Augen der Leute sein<br />

wird.<br />

123


5.3.2 Biographischer Artikel von Edith Arlen Wachtel<br />

aus: Vertrieben 83<br />

124


125


126


127


128


129


130


5.3.3 Biographischer Artikel von Walter Arlen<br />

aus: Vertrieben 84<br />

131


132


133


134


135


136


137


138


139


140


5.4. Material zur Synagoge in der Hubergassse<br />

5.4.1 „Die Synagoge in der Hubergasse“<br />

aus: David 85<br />

141


142


5.4.2 „Die Rekonstruktion der Synagoge in der Hubergasse“<br />

aus: David 86<br />

143


144


145


5.5 Material zum Stein der Erinnerung für Kalman und Elisabeth Klein<br />

5.5.1 Rede von Nelly Sturm bei der Eröffnung<br />

Gedächtnisprotokoll 87 :<br />

Sie war 1938 dreizehn Jahre alt, besuchte die Schule in der Geblergasse. Ihre Familie war nicht<br />

religiös, eher an Traditionen orientiert. Sie ging zum Spielen zum Yppenplatz, zum Eislaufen zum<br />

Engelmann usw. Ihre Eltern führten im Haus (links von der Tür) eine Eisenwarenhandlung, die Mutter<br />

arbeitete auch mit, besuchte am Abend VHS-Kurse. Die Familie hatte oft Handwerksberufe:<br />

Großeltern mütterlicher- bzw. väterlicherseits waren Glaser, Drechsler usw., einer ihrer Enkel ist nun<br />

Kunstrestaurateur. Ihr Vater war im 1. Weltkrieg in russischer Kriegsgefangenschaft gewesen.<br />

Mit dem Anschluss kam ein Ariseur, der sich als kommissarischer Verwalter vorstellte und die<br />

Schlüssel verlangte. Ein Nachbar, Herr Trübswasser, ein illegaler Nazi, warf sie aus der Wohnung. Sie<br />

erwähnt die damaligen Nachbarskinder, Herta und ?, eine noch am Leben, die ihnen halfen und die<br />

später auch französische Zwangsarbeiter (?) unterstützten.<br />

Sie wurde im April 38 aus der Schule geworfen. Nazis versuchten, die Wohnungstür aufzubrechen,<br />

„Juda verreck“ wurde auf die Scheiben der La<strong>den</strong>fenster geschrieben, ihr Vater wurde zu Reibpartien<br />

abgeholt und war danach ein gebrochener Mensch. Viele Papiere mussten sie vorlegen, um ihren<br />

Ausreiseantrag zu untermauern. Im August 39 durften sie endlich nach Belgien/Brüssel ausreisen. Die<br />

Großeltern und deren Geschwister kamen in KZ um. Nach der deutschen Besetzung Belgiens wurde<br />

ihr Vater in ein Internierungslager gesteckt, von dort kam er nach Auschwitz und wurde 1942 dort<br />

ermordet. Die Mutter wurde bei einer Großrazzia in Brüssel festgenommen, kam nach Auschwitz<br />

(Transport Nr. 20, 997 Menschen, nur 3 überlebten), sie kam dann mit einem Transport nach<br />

Natzweiler-Stutthof in Elsass und (von diesem Transport überlebten 117) und wurde zusammen mit<br />

anderen dann im August 1943 ermordet, die noch warmen Körper wur<strong>den</strong> der Gerichtsmedizin<br />

übergeben. Der Plan war, an diesen Körpern rassische Merkmale festzustellen, die die<br />

Niederwertigkeit der „<strong>jüdischen</strong> Rasse“ beweisen sollten.<br />

Nelly Sturm lebte in Brüssel weiter und war im Widerstand tätig, also doppelt gefährdet. Sie meinte,<br />

dass es in ihrer Gruppe hohe Opferzahlen gegeben habe.<br />

In Ottakring habe es vor dem Krieg 6000 Ju<strong>den</strong> gegeben, heute gibt es nur mehr 39 Familien. Der<br />

Tempel in Ottakring war in der Hubergasse. Der Besitzer des Hauses habe das Anbringen einer<br />

Ge<strong>den</strong>ktafel am Haus nicht gestattet, deshalb freut sie sich jetzt über <strong>den</strong> Ge<strong>den</strong>kstein für ihre<br />

Eltern.<br />

146


5.5.2 Meine Eltern.Text von Nelly Sturm<br />

Meine Eltern 88<br />

Text von Nelly Sturm<br />

Am 7. Mai 2008 fand vor dem Haus Ottakringer Straße 35 eine Ge<strong>den</strong>kfeier statt. Dort wur<strong>den</strong> im<br />

Straßenpflaster zwei „Stolpersteine eingelassen. Kleine flache Grabsteine. Darauf stehen die Namen<br />

von Menschen, die hier lebten und arbeiteten. Sie wur<strong>den</strong> ermordet, weil Hitler Sün<strong>den</strong>böcke<br />

brauchte, weil sie <strong>den</strong> Ideen des nazistischen Rassenwahns nicht entsprachen, weil sie Ju<strong>den</strong> waren.<br />

Mutter stammte aus einer Handwerkerfamilie. Ihr Vater war Drechsler, ihr Großvater Dachdecker.<br />

Diese Menschen waren meine Eltern.<br />

Sie selbst war blond und hatte strahlend blaue Augen, sie strafte Hitlers Typologie Lügen. Sie liebte<br />

alles, was schön war: Natur, Musik, Film, Kunst, Literatur, Bildung, Wissen - vor allem Wissen, zudem<br />

sie jedoch aufgrund der beschei<strong>den</strong>en Verhältnisse, aus <strong>den</strong>en sie stammte, nur wenig Zugang hatte.<br />

Sie war ein fröhlicher Mensch und immer voller Pläne für die Zukunft. Sie glaubte an das Gute im<br />

Menschen und an einen ständigen Fortschritt. Sie träumte von Reisen in ferne Länder. Dieser letzte<br />

ihrer Wünsche sollte in Erfüllung gehen, allerdings wurde daraus eine lange Reise im Viehwaggon<br />

und in einen sicheren qualvollen Tod.<br />

Noch im belgischen Zwischenlager hat sie nach ihrer Verhaftung durch die Nazihäscher mir und<br />

meiner Großmutter kurze Botschaften zukommen lassen, in <strong>den</strong>en sie ihnen Mut zuspricht und<br />

Hoffnung auf ein Wiedersehen macht.<br />

Mein Vater wuchs in einem winzigen ungarischen Dorf auf. Not und Elend waren tägliches Brot.<br />

Kaum hatte er <strong>den</strong> Beruf eines Glaserers erlernt, wurde er an die russische Front des Ersten<br />

Weltkriegs geschickt. Aus dem gigantischen Kriegsgefangenenlager in Wladiwostok 1919 entlassen,<br />

kam er nach Wien und lernte später meine Mutter kennen und lieben. Sie heirateten im Januar 1924,<br />

im Dezember kam ich zur Welt.<br />

Das Glück war beinahe vollständig. Der Krieg lag hinter ihnen, es herrschte Frie<strong>den</strong>. In Hernals hatten<br />

sie eine Zimmer-Küche-Wohnung gefun<strong>den</strong> und einen kleinen La<strong>den</strong> in Ottakring, der ihnen einen<br />

beschei<strong>den</strong>en Lebensunterhalt sicherte. Abwechselnd verkauften sie dort alles, was die damals noch<br />

zahlreichen Ottakringer Handwerker für ihre Tätigkeit benötigten: Werkzeuge, Eisenwaren,<br />

Schrauben, Nägel, aber auch alles, was sich Hausfrauen zu einer Küchenausstattung ersehnten.<br />

Mein Vater mit seinen dunklen Augen und seinem weichen ungarischen Akzent hat <strong>den</strong> Kundinnen<br />

offensichtlich sehr gefallen. Die Handwerker hingegen schätzten ihn, weil er oft geduldig darauf<br />

wartete, dass sie ihre Rechnung erst dann bezahlten, wenn sie selbst nach Lieferung Kassa gemacht<br />

hatten. Er stand von früh bis spät in seinem blitzblanken La<strong>den</strong>, war freundlich zu allen und in der<br />

Umgebung bekannt und beliebt.<br />

Auch er hatte seine Vorlieben: Sicher war für ihn das Wohlergehen der kleinen Familie und das Glück<br />

seines Kindes das Wichtigste. Regelmäßig im Sommer besuchte er jedoch seine alte Mutter im<br />

ungarischen Dorf Kisnana und beschenkte seine Schwestern und ehemaligen Jugendfreunde<br />

großzügig. Wenn er sich selbst etwas Besonderes gönnen wollte, dann ging er abends in <strong>den</strong><br />

Musikvereinssaal oder ins Konzerthaus. Er liebte klassische Musik über alles. Wo er zum ersten Mal<br />

147


mit ihr in Berührung gekommen war, blieb mir für immer ein Rätsel. Er genoss aber auch ab und zu<br />

ein gutes Fußballspiel und kam dann gelöst und begeistert nach Hause. Auch das Zeitungslesen war<br />

eine seiner Lei<strong>den</strong>schaften.<br />

Im Frühling, Herbst und Winter wanderte er je<strong>den</strong> Sonntag mit Kind, Frau und <strong>den</strong> Schwiegereltern in<br />

<strong>den</strong> Wiener Wald. Im Sommer liefen wir entlang des Donaukanalufers in die Kuchelau, wo wir<br />

unseren Stammplatz zum „Wildba<strong>den</strong>“ hatten. Dort trafen wir andere Leute, „kleine Leute“ - wie wir<br />

selbst -, freundeten uns an und fühlten uns Gleiche unter Gleichen. Ich entsinne mich keines<br />

Zwischenfalls, keines Streites, keiner Diskriminierung oder gar Exklusion.<br />

Meine Eltern schienen in Österreich, in Wien und ganz besonders in Ottakring integriert zu sein, hier<br />

war ihre Heimat, ihr „zu Hause“, ihr Nest.<br />

War das aber nicht eine Illusion, eine Fata Morgana?<br />

Inzwischen waren die Zeiten schwer gewor<strong>den</strong>: Die Weltwirtschaftskrise hatte tiefe <strong>Spuren</strong><br />

hinterlassen. Von Tag zu Tag wur<strong>den</strong> die Schlangen von Arbeitslosen vor <strong>den</strong> Suppenküchen länger.<br />

Die Republik war zerstört wor<strong>den</strong>. Es kam der Ständestaat, der Austrofaschismus, und schließlich, als<br />

Letztes, der wirkliche, der entsetzliche, der grausame deutsche Nationalsozialismus, am 12. März<br />

1938. Für unsere wie auch für andere Zehntausende Familien brach die Hölle los. Hysterisches<br />

Gebrüll in allen Straßen. Menschengesichter verwandelten sich in Fratzen. Eine ungeheure<br />

Zerstörungswut ergriff einen Teil der Bevölkerung. Kein Jude war mehr seines Lebens sicher.<br />

Verfemt, verfolgt, vertrieben oder verhaftet, verschickt, verhungert, vergast.<br />

Angst, Not und Verlassenheit trieben die gesamte jüdische Gemeinschaft in Verzweiflung, aus der als<br />

Ausweg nur Flucht oder Selbstmord in Frage zu kommen schien.<br />

Aber die Nazihor<strong>den</strong> folgten ihnen auf dem Fuße. Sie haben sie durch halb<br />

Meine Eltern suchten, wie viele andere auch, in der Flucht einen Ausweg. Aber die Nazihor<strong>den</strong><br />

folgten ihnen auf dem Fuße. Sie haben sie durch halb Europa gejagt, bis sie sie schließlich fan<strong>den</strong> und<br />

vernichteten. Ich frage mich oft, woran meine Eltern in <strong>den</strong> letzten Stun<strong>den</strong> vor ihrem Tode gedacht<br />

haben mögen. Vielleicht dachten sie an eine zukünftige Welt, in der alle Menschen ausnahmslos in<br />

bunter Vielfalt verbrieften Anspruch auf Leben haben, in der Freiheit und Gerechtigkeit regiert, in der<br />

Rassismus, Antisemitismus, Frem<strong>den</strong>feindlichkeit der Überzeugung gewichen sind, dass alle<br />

Menschen gleichwertig sind und Freundschaft besser als Feindschaft ist. Die Ge<strong>den</strong>kfeier am 7. Mai<br />

soll unter diesem Zeichen stehen. Sie soll ein kleiner Beitrag zur Forderung der Überleben<strong>den</strong><br />

wer<strong>den</strong>: nie wieder Faschismus.. Sie soll ein kl<br />

einer<br />

148


5.6 Material zu Frederic Morton (Fritz Mandelbaum)<br />

5.6.1 Wikipedia-Artikel über Frederic Morton<br />

Frederic Morton (* 5. Oktober 1924 in Wien als Fritz Mandelbaum) ist ein österreichischer<br />

Schriftsteller. 89<br />

Leben<br />

Mandelbaum wuchs in der Thelemangasse in Hernals auf und ging auf die Realschule BRG 17.[1][2]<br />

Werke<br />

Das Haus in der Thelemangasse 8 in Hernals, in dem Mandelbaum aufwuchs<br />

Das Haus in der Thelemangasse sowie drei anliegende Häuser waren im Besitz seiner Familie, die<br />

Eisenwarenfabrikanten waren. Gegründet wurde das Familienunternehmen von seinem Großvater<br />

Bernhard Mandelbaum, der für Kaiser Franz Joseph I. Medaillen schmiedete. Mit dem Einmarsch der<br />

Nazis 1938 und dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich musste die jüdische Familie 1939<br />

nach England ins Exil, seit 1940 lebte sie in New York. In Amerika angekommen änderte der Vater von<br />

Fritz Mandelbaum <strong>den</strong> Familiennamen auf Morton um. Frederic Morton kam 1951 nach dem Krieg<br />

als amerikanischer Korrespon<strong>den</strong>t zeitweise nach Wien zurück. Er arbeitete später unter anderem für<br />

die New York Times und das Magazin Esquire.<br />

Auszeichnungen<br />

2001: Ehrenmedaille der Stadt Wien in Gold<br />

2005: Silbernes Ehrenzeichen der Republik Österreich; wurde ihm im Juni von Bundespräsi<strong>den</strong>t<br />

Thomas Klestil persönlich in der Wiener Hofburg überreicht.<br />

Dunkle Lei<strong>den</strong>schaft. Aus dem Amerikanischen von Katrin Kaufmann. Schuler, Stuttgart 1951.<br />

Asphalt und Begierde. Aus dem Englischen von Heinz Winter. Zsolnay, Wien-Hamburg 1961.<br />

Die Rothschilds. Porträt einer Familie. Ins Deutsche übertragen von Hans Lamm. Droemer-Knaur,<br />

München-Zürich 1962.<br />

Die Affäre Schatten. Mol<strong>den</strong>, Wien 1965.<br />

149


Schicksalsjahr Wien 1888/89. Aus dem Amerikanischen von Karl Erwin Lichtenecker. Mol<strong>den</strong>, Wien<br />

1979, ISBN 3-217-01138-4.<br />

Neuveröffentlichung als Ein letzter Walzer. Wien 1888/89. Deuticke, Wien 1997, ISBN 3-216-30146-X.<br />

Wetterleuchten 1913/1914. Aus dem Amerikanischen von Johannes Eidlitz. Ueberreuter, Wien 1990,<br />

ISBN 3-8000-3353-4.<br />

Crosstown sabbath. Über <strong>den</strong> Zwang zur Unrast. Mit einem Vorwort von Adolf Holl. Vom Verfasser<br />

autorisierte Übersetzung aus dem Amerikanischen von Susanne Costa. Deuticke, Wien 1993, ISBN 3-<br />

216-30041-2.<br />

Geschichten aus zwei Welten. Deuticke, Wien 1994, ISBN 3-216-30061-7.<br />

Die Ewigkeitsgasse. Deuticke, Wien 1996, ISBN 3-216-30191-5.<br />

Das Zauberschiff. Aus dem Amerikanischen von Karl-Erwin Lichtenecker. Deuticke, Wien 2000, ISBN<br />

3-216-30469-8.<br />

Durch die Welt nach Hause. Mein Leben zwischen Wien und New York. Autobiographie. Aus dem<br />

amerikanischen Englisch von Susanne Costa. Deuticke, Wien 2006, ISBN 3-552-06030-8.<br />

Marica und Frederic Morton: Schokolade. Kakao, Praline, Trüffel & Co. Aus dem Amerikanischen von<br />

Kurt Bracharz. Deuticke, Wien 1995, ISBN 3-216-30157-5.<br />

Einzelnachweise<br />

↑ Bezirksmuseum Hernals: Morton Frederic zum 80.Geburtstag<br />

↑ Wiener Zeitung: Morton, Frederic: Mit der Kraft des Steins<br />

Weblinks<br />

Literatur von und über Frederic Morton im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Informationen zu Leben und Werk auf literarturhaus.at<br />

150


5.6.2 „Etwas Süßes für die schwere Reis’“ von Frederic Morton<br />

aus: Ich stamme aus Wien 90<br />

151


152


5.6.3 „Frederic Morton, ein Amerikaner mit Wiener Herkunft“ von Helga Häupl-Seitz<br />

Frederic Morton, ein Amerikaner mit Wiener Herkunft 91<br />

Morton, Frederic: Mit der Kraft des Steins<br />

Von Helga Häupl-Seitz<br />

Sein Geburtsdatum merkt man ihm ebenso wenig an wie <strong>den</strong> sprichwörtlich<br />

hektischen New Yorker Alltag, <strong>den</strong> er nun seit fast 60 Jahren erlebt. Und doch: In<br />

dieser weitläufigen Stadt gelang es ihm, dem Emigranten wider Willen, nicht nur<br />

eine neue Heimat zu fin<strong>den</strong>, sondern auch in einer für ihn zunächst frem<strong>den</strong><br />

Sprache literarischen Weltruhm zu erlangen. Sein Generalthema: Österreichs<br />

Geschichte an entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Wendepunkten.<br />

Nicht zufällig gehen die dabei gewählten Daten mit Autobiographischem einher:<br />

An jenem Tag im Jahr 1938, "als in Österreich die Hakenkreuze aufblühten wie<br />

die Gänseblümchen", endete etwa auch für die Familie Spiegelglas der Traum<br />

von einer neuen Heimat: Am "Türkenplatzl" hatte die heranwachsende Familie<br />

und ihre Mitarbeiter im expandieren<strong>den</strong> Metallbetrieb Arbeit und Wohnung<br />

gefun<strong>den</strong> und durch kommunale Einrichtungen und eine Betstube auch etwas<br />

von dem erhalten, was ihnen einst das Shtetl im slowakischen Varugny<br />

bedeutete: Heimat.<br />

Mittelpunkt ist der ehemalige Dorfschmied Berek Spiegelglas, der, zwar völlig<br />

mittellos, <strong>den</strong>noch ein unerschütterliches Vertrauen in sein Glück und seinen<br />

Stein hegt, der angeblich aus der Klagemauer in Jerusalem stammt und als<br />

Symbol für ewig geltende Werte dient. Wie eine Figur aus alten Legen<strong>den</strong> bezieht<br />

er aus diesem Stein jene Kraft und Energie, die er für <strong>den</strong> Aufbau seiner<br />

beschei<strong>den</strong>en Existenz und das Wohlergehen der kleinen Gasse benötigt, die er<br />

als seine neue Heimat erkoren hat. Sie wird 65 Jahre lang Zeugin einer<br />

lebendigen Familiengeschichte, bevor Enkel Leon mit dem sagenumwobenen<br />

Stein aus Wien fliehen muss.<br />

Die Thelemanngasse als Zentrum<br />

Der wohl berührendste Roman Frederic Mortons "Ewigkeitsgasse" hat tatsächlich<br />

seine Wurzeln in Wien. Doch nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, rund um<br />

<strong>den</strong> Türkenschanzpark, sondern in Hernals nahe dem Yppenmarkt: Die kleine<br />

Gasse ist die Thelemanngasse, in der Frederic Morton als Fritz Mandelbaum am<br />

5. Oktober 1924 zur Welt kommt: "Sie war das Lebenswerk meines Großvaters,<br />

das sich auch auf meinen Vater verpflanzt hat", sieht er rückblickend. Auf<br />

Nummer 8 hatte 1888 sein Großvater die Fabrik "Bernhard Mandelbaum und<br />

Söhne" gegründet. Sie erzeugte neben Bijouteriewaren, Schuh- und<br />

Gürtelschnallen auch Or<strong>den</strong> und Auszeichnungen für die Monarchie. Als die<br />

Fabrik expandieren musste, erwarb der Großvater zusätzlich das Haus Nr. 4. Die<br />

alten Räumlichkeiten der Werkstätte ließ er als Betraum einrichten. "Er war ein<br />

153


äußerst sozial <strong>den</strong>kender Mensch. Er hat sein verdientes Geld immer wieder in<br />

seine Gasse und für alle investiert."<br />

Wie der Großvater verstand sich auch der Vater vor allem als Handwerker: "Wir<br />

haben nie viel ausgegeben. Unsere Familie besaß kein Auto, ja nicht einmal<br />

Wasser und WC in der Wohnung. Mein Vater hat es sich nie nehmen lassen,<br />

täglich selbst hinter seinen Maschinen zu stehen und zu stanzen - so sehr hat er<br />

das Handwerk geliebt."<br />

1936 kam der Großvater bei einem Betriebsunfall ums Leben; der Vater<br />

übernahm die Fabrik und kümmerte sich um die Familie - bis zur<br />

Reichskristallnacht, in der Frederic Mortons unbeschwerte Kindheit jäh beendet<br />

wurde.<br />

In dieser Nacht wurde sein Vater festgenommen und ins Konzentrationslager<br />

Dachau deportiert. Nach vier Monaten gelang es ihm zu entkommen, unter der<br />

Bedingung "das deutsche Reich zu verlassen". Im Juli 1939 reiste er mit seinem<br />

Sohn Fritz nach London. Die Mutter und sein kleiner Bruder blieben noch bis zum<br />

Jahresende in Wien. - "um zu versuchen, wenigstens noch die neuen Möbel, auf<br />

die sie 20 Jahre warten musste, zu retten", versteht der Sohn noch heute ihr<br />

Zögern. Doch auch sie musste alles zurücklassen: Die Möbel, die neue, größere<br />

Wohnung, die Fabrik - und die geliebte Thelemanngasse. Mit einem<br />

amerikanischen Visum gelang ihr und dem kleinen Bruder mit einem der letzten<br />

Flugzeuge die Flucht nach Großbritannien.<br />

Aber London war nur eine Zwischenstation. 1940 ging es mit dem Dampfer über<br />

<strong>den</strong> großen Teich: New York war der neue Wohnsitz der Familie Mandelbaum.<br />

"Dass mein Vater unbedingt nach New York wollte und beispielsweise nicht nach<br />

Schwe<strong>den</strong>, wo er ebenfalls ein kleines Büro hatte, hängt sicher mit dem Schock<br />

des Konzentrationslagers zusammen. Nur weit weg genug wollte er sein."<br />

Die neue Heimat bot Frie<strong>den</strong> und Sicherheit. Der Preis dafür war der Verlust des<br />

letzten Eigenen, das die Familie mitgebracht hatte - des Namens: "Als gelernter<br />

Schnittenstanzenmacher hätte mein Vater auch gleich einen Job bekommen.<br />

Doch dazu musste man bei der Gewerkschaft sein, die damals ganz offiziell<br />

antisemitisch war. Es wurde ihm beschie<strong>den</strong>, dass er für das Union Central<br />

Committee in Washington, obwohl sie ihn nie persönlich kennen lernen wür<strong>den</strong>,<br />

seinen Namen gesetzlich ändern sollte." So wur<strong>den</strong> aus Franz und Rosa<br />

Mandelbaum Frank und Rose Morton, aus Fritz und seinem Bruder Hans Fred und<br />

John Morton. (Seinen Vornamen Frederic legte er sich nach dem Erscheinen<br />

seines ersten Buches auf Anraten seines Verlegers zu.)<br />

Die nahegelegte Entscheidung "war für uns alle ein Schock. Für meinen Vater<br />

kam er erst später, weil für ihn am Anfang nur wichtig war, dass er seine Familie<br />

erhalten kann. Mein Vater - er ist vor zwei Jahren im Alter 100 Jahren gestorben,<br />

meine Mutter im Vorjahr mit 96, war immer ein glühender Wiener."<br />

Zwar gelang es ihm später, sich wieder mit einer kleinen Werkstätte selbständig<br />

zu machen; ein Haus wie die "Thelemanngasse 8" zu fin<strong>den</strong>, blieb aber unerfüllt.<br />

"Der Hausnummer ist er aber in gewissen Sinn treu geblieben: Wir haben in der<br />

154


808. Straße in Washington Heights gewohnt" - dort, wo sich die meisten<br />

österreichischen und deutschen Emigranten einquartiert hatten und verzweifelt<br />

versuchten, wieder ein wenig von der alten Heimat aufzubauen und<br />

liebgewor<strong>den</strong>e Traditionen zu pflegen.<br />

Chemie und Literatur<br />

Ursprünglich wollte Frederic Morton, wie sein Vater und Großvater, ein Handwerk<br />

erlernen. "Ich war völlig unintellektuell, habe sogar einen Hauslehrer für die<br />

Volksschule gebraucht und hatte nur zwei Lieblingsfächer: Turnen und Latein."<br />

So entschied er sich in London für die Bäckerlehre, "weil ich dachte, Bäcker kann<br />

man immer brauchen." Auch in New York besuchte er zunächst die<br />

Bäckergewerbeschule. Aufmerksame Lehrer ermutigten ihn, am City College<br />

Nahrungsmittelchemie zu studieren. Mit dieser Beschäftigung erwachte plötzlich<br />

sein Hunger nach Literatur: "Ich habe auf einmal 20 Bücher gleichzeitig zu lesen<br />

begonnen und fing an, heimlich zu schreiben". So "seltsam" war die Entwicklung<br />

auch für ihn, dass er sich lange Zeit nicht getraute, <strong>den</strong> Eltern seine literarische<br />

Neigung einzugestehen.<br />

Erst als er die anorganische Chemie schon fast fertig studiert und einen Vertrag<br />

mit einem großen Backwarenkonzern in der Tasche hatte, entschied er sich<br />

endgültig für die literarische Laufbahn und einen weiteren Schulbesuch, diesmal<br />

auf der New School for Social Research, wo er später <strong>den</strong> Master degree für<br />

Sprachenphilosophie erwarb. Und er schrieb sein erstes Buch "The haunt",<br />

benannt nach einem Gedicht des englischen Lyrikers Francis Thompson ("The<br />

haunt of haven"). Zu seinem Erstaunen wurde es nicht nur von der Fachwelt<br />

angenommen, sondern errang auch einen Literaturpreis.<br />

Einem Stipendium für die Columbia Universität folgte eine mehrjährige<br />

Lehrtätigkeit für englische Literatur an verschie<strong>den</strong>en Universitäten, obwohl er<br />

noch gar nicht fertig studiert hatte - "Eine völlige Hochstapelei, weil ich damals<br />

nur fertiger bachelor of chemistry war", muss er noch heute darüber lachen.<br />

Doch been<strong>den</strong> wollte er sein Studium sowieso nicht: "Dann wäre ich nur Gefahr<br />

gelaufen, Universitätsprofessor statt Schriftsteller zu wer<strong>den</strong>."<br />

Mit journalistischen und literarischen Beiträgen in großen Magazinen wie dem<br />

"Esquire", oder dem "New York Playboy" bestritt Frederic Morton seinen<br />

Lebensunterhalt, <strong>den</strong>n seine zwei nächsten Bücher genossen zwar ebenfalls in<br />

der Fachwelt Ansehen, wur<strong>den</strong> aber kommerziell kein großer Erfolg.<br />

Wiedersehen mit Österreich<br />

Für ein Reisemagazin reiste er wieder nach Österreich, um über die gehobene<br />

Gesellschaftsschicht und über Essen und Trinken zu schreiben. Zum Glück hatte<br />

der in diesen Belangen Unbewanderte bereits seine Frau Marcia Coleman-Morton<br />

an seiner Seite, die ebenfalls journalistisch tätig war: "Sie war eigentlich die<br />

Reise- und Gourmetjournalistin, die auch zwei Kochbücher "The art of Austrian<br />

cooking" und "The art of Viennese pastry" geschrieben hat. Sie war mein "seeing<br />

eye dog" - mein Blin<strong>den</strong>hund auf dem Gourmetsektor. Ich habe immer gesagt,<br />

"you are my tasting palate wife", schmunzelt er.<br />

155


Der große Durchbruch gelang ihm 1963 mit der Geschichte der Rothschilds. "Ab<br />

dann konnte ich mir leisten, zu schreiben, was mich wirklich interessierte." So<br />

begann Frederic Morton, die österreichische Geschichte mehr und mehr zu<br />

seinem Generalthema zu machen. Es folgten u. a. "Ein letzter Walzer", der Wien,<br />

seine Intelligenz und seine Bürger rund um <strong>den</strong> Selbstmord Kronprinz Rudolfs<br />

1888/89 beschreibt und "Wetterleuchten", das die Ereignisse und die<br />

aufkeimende Kriegseuphorie im Wien von 1913/14 rund um die Ermordung des<br />

Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinands aufrollt.<br />

Verbun<strong>den</strong> mit dem Wunsch nach österreichischer Geschichte war aber auch, die<br />

seiner Familie nicht dem Vergessen anheim fallen zu lassen. Über 40 Jahre<br />

später ließ er <strong>den</strong> Zauber seiner verlorenen Kindheit in <strong>den</strong> Romanen "Die<br />

Ewigkeitsgasse" und "Crosstown Sabbath" wiederauferstehen. "Der Verlust des<br />

Sabbats ist für mich nicht nur im religiösen Sinn gedacht. Es ist gleichzeitig der<br />

Verlust der Muße, des Lebensgenusses. Was ich zu erzählen versucht habe, war<br />

das festgesetzte Ritual, das mein Vater jede Woche zelebriert hat: Er hat immer<br />

die Fabrik eigenhändig zugesperrt. Mit dem Herunterlassen des Rollbalkens<br />

seines Schreibtisches war auch für uns Kinder immer Feiertag. Niemand hat<br />

mehr ein Wort über schlechte Schulnoten fallen lassen. Am Nachmittag gab es<br />

dann, schön herausgeputzt, <strong>den</strong> traditionellen Kaffeehausbesuch."<br />

Wiener Vorhaben<br />

Soeben ist sein Buch "Das Zauberschiff" auf Deutsch erschienen und wurde im<br />

Wiener Rathaus von Kulturstadtrat Peter Marboe präsentiert. Wieder gibt eine<br />

persönliche Erinnerung <strong>den</strong> Rahmen für eine fiktive Geschichte: Ein eleganter<br />

Luxusdampfer verlässt im Mai 1940 <strong>den</strong> Hafen von Southampton. An Bord<br />

befindet sich eine bunte Mischung von Menschen, darunter auch der 19-jährige<br />

Leon.<br />

Wie in seinen anderen bei<strong>den</strong> Romanen "Wetterleuchten" und "Ein letzter<br />

Walzer" scheint auch hier die Zeit noch stillzustehen. Zwischen all der<br />

(aufgesetzten) Fröhlichkeit und dem Wunsch, sein Leben genauso wie früher zu<br />

gestalten, begleiten Angst und Sorge um die ungewisse Zukunft diese Fahrt.<br />

Intendant Rudi Klausnitzer bescherte ihm einen weiteren Auftrag: Anlässlich des<br />

200. Geburtstages des Theaters an der Wien wird Morton für Herbst 2001 seinen<br />

Roman "Ein letzter Walzer" als Musical aufbereiten: Der Stoff - eine<br />

Rahmenhandlung in der Gegenwart, gepaart mit dem über drei Jahre hinweg<br />

recherchierten Material aus dem Roman - verspricht eine mitreißende Mischung.<br />

Was ihn besonders freut: Die "Ewigkeitsgasse" wird noch heuer von dem Grazer<br />

Regisseur Curt Faudon in Wien verfilmt, der auch schon für die filmische<br />

Aufbereitung von "Crosstown Sabbath" verantwortlich war. Das Budget dazu, u.<br />

a. von der Stadt Wien, ORF und 3sat subventioniert, steht bereit. Eigens dafür<br />

hat er das Drehbuch verfasst: Wie im Roman spielt ein Stein, der von Generation<br />

zu Generation weitergegeben wird, eine wichtige symbolische Rolle. Sorgen,<br />

Wünsche und Sehnsüchte wer<strong>den</strong> ihm per Zettel ebenso zugesteckt wie<br />

Dankesbezeugungen und Lobpreisungen. "In meiner eigenen Familie gab es<br />

keinen Stein. Ich wollte eine Metapher für unsere generationenlange<br />

156


Verbun<strong>den</strong>heit zur Thelemanngasse fin<strong>den</strong>", sagt Frederic Morton schlicht. "Sie<br />

war für uns alle der Nabel der Welt."<br />

Zwei weitere Romane sind ebenfalls im Entstehen. Bis sie bei uns erscheinen,<br />

wird zwar noch ein wenig Zeit vergehen. Aber das, so findet je<strong>den</strong>falls der mit<br />

dem Gol<strong>den</strong>en Ehrenzeichen der Stadt Wien Geehrte hat der Wiener dem<br />

schnelllebigen New Yorker voraus: er kann warten. Vor allem, möchte man<br />

hinzufügen, wenn sich das Warten so lohnt wie bei <strong>den</strong> Romanen Frederic<br />

Mortons.<br />

Die genannten Werke Frederic Mortons wur<strong>den</strong> auf Deutsch während der letzten<br />

Jahre im Wiener Deuticke Verlag veröffentlicht. Unlängst ist der Roman "Das<br />

Zauberschiff" erschienen. Er wurde von K. Lichtenecker übersetzt.<br />

Freitag, 28. April 2000<br />

157


5.6.4 Lebenslauf von Frederic Morton<br />

aus: Ewigkeitsgasse 92<br />

158


5.6.5 „Vom Türkenplatzl zur Thelemanngasse“. Interview mit Frederic Morton<br />

aus: Ewigkeitsgasse 93<br />

159


160


161


162


163


5.7 Material zu Ernst und Theo Waldinger<br />

5.7.1 Wikipedia-Artikel über Ernst Waldinger<br />

Ernst Waldinger 94<br />

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie<br />

Ernst Waldinger (* 16. Oktober 1896 in Wien-Neulerchenfeld; † 1. Februar 1970 in New York) war ein<br />

österreichischer Lyriker und Essayist.<br />

Leben<br />

Ernst Waldinger entstammte einer <strong>jüdischen</strong> Familie. Im Ersten Weltkrieg wurde er 1917 in<br />

Rumänien schwer verwundet (verlor zeitweise sein Sprechvermögen), nach dem Krieg studierte er<br />

Germanistik und Kunstgeschichte an der Universität Wien (Dr. phil. 1921). Anschließend arbeitete er<br />

für <strong>den</strong> Verlag "Allgemeiner Tarifanzeiger", ab 1935 war er Mitherausgeber der Reihe "Das kleine<br />

Lesebuch". Nach dem Anschluss 1938 floh er aus Wien vor <strong>den</strong> Nationalsozialisten nach New York. Er<br />

erhielt 1947 eine Professur für deutsche Sprache und Literaturgeschichte am Skidmore College in<br />

Saratoga Springs N. Y., die er bis 1965 innehatte. Als Lyriker und Essayist verarbeitete er die<br />

leidvollen Erfahrungen der Entwurzelung durch das Exil. [1]<br />

In New York City war er 1944 Mitbegründer von Wieland Herzfeldes Aurora-Verlag.<br />

Werke<br />

Die Kuppel. Wien 1934 (Gedichte)<br />

Der Gemmenschneider. Neue Verse. Wien 1937<br />

Die kühlen Bauernstuben. Aurora-Verlag, New York 1946<br />

Musik für diese Zeit. München 1946<br />

Glück und Geduld. New York 1952<br />

Zwischen Hudson und Donau. Wien 1958<br />

Gesang vor dem Abgrund. 1961<br />

Ich kann mit meinem Menschenbruder sprechen. Wien 1965 (Gedichte)<br />

Noch vor dem jüngsten Tag - Ausgewählte Gedichte und Essays, Karl-Markus Gauß (Hrsg. und<br />

Nachwort), mit Theodor Waldinger: Mein Bruder Ernst Waldinger, Müller Salzburg 1990, ISBN 3-<br />

7013-0799-7.<br />

164


Auszeichnungen<br />

1934 Julius-Reich-Preis<br />

1958 Theodor-Körner-Preis<br />

1960 Literaturpreis der Stadt Wien<br />

1966 Gol<strong>den</strong>e Ehrenmedaille der Stadt Wien<br />

Literatur<br />

Hans J. Schütz: Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen - Vergessene und Verkannte Autoren des<br />

20. Jahrhunderts, Beck München 1988, ISBN 3-406-33308-7.<br />

Theodor Waldinger, Zwischen Ottakring und Chicago, Salzburg 1993<br />

Weblinks<br />

Ernst Waldinger im Österreichischen Literaturarchiv<br />

Literatur von und über Ernst Waldinger im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek (Datensatz zu<br />

Ernst Waldinger • PICA-Datensatz • Einträge im Musikarchiv)<br />

Einzelnachweise<br />

↑ Literaturhaus Wien Eine Ausstellung zu Ernst Waldinger, Kurator: Heinz Lunzer, Zwischen Hudson<br />

und Donau, Bio/Bibliografie, Portraits, Typoskripte, Wien 2006.<br />

165


5.7.2 Bio-/Bibliographie über Ernst Waldinger, Literaturhaus Wien<br />

Bio/Bibliografie 95<br />

16. Oktober 1896 Wien bis 1. Februar 1970 New York<br />

Der Vater EWs, Salomon/Schlomo Waldinger (1869 Drohobycz in Galizien bis 1933<br />

Wien) kam im Alter von 16 Jahren nach Wien und wurde Schuhhändler und -<br />

erzeuger kleinindustriellen Zuschnitts. Der Großvater Reb Kalman/Kalonymos<br />

Waldinger (1850-1913) lebte im galizischen Erdölgebiet von Boryslaw; seine Frau<br />

Blume führte als gläubige Jüdin einen strengen Haushalt.<br />

Die Mutter EWs hieß Anna/Channah Spinath (1872 Lipnik/[Bielitz-] Biala, damals in<br />

Galizien, bis 1963 Boston) kam ebenfalls in jungem Alter nach Wien; sie hatte das<br />

Glück, 1943 ihren Kindern in die Emigration nach Amerika folgen zu können.<br />

EW hatte drei Geschwister:<br />

Schwester Dinah (1898 Wien bis 1984 Tivon bei Haifa, Israel); Theodor (1903 Wien<br />

bis 1992 Chicago) war Rechnungsprüfer; er emigrierte im Februar 1938 zuerst nach<br />

Paris, dann nach Boston. Er verfasste Erinnerungen an das Leben der Familie, die<br />

im Buch "Zwischen Ottakring und Chicago. Stationen" 1990 veröffentlicht wur<strong>den</strong>;<br />

Alfred (1905 Wien bis 1991 San Francisco) war Gartenarchitekt; seine Gedichte<br />

erschienen 1980 unter dem Titel "Späte Ernte".<br />

1896<br />

Ernst Waldinger wurde am 16. Oktober im Haus Neulerchenfelder Straße 5, im<br />

Wiener Arbeiterbezirk Ottakring, geboren. Er besuchte die Volksschule in der<br />

Josefstädterstraße, die Talmudschule in der Hubergasse, später in der<br />

Leopoldstadt.<br />

Im Haus Neulerchenfelderstraße 2, dem "Adlerhof", wo der Vater Geschäft und<br />

Werkstatt hatte, widerfuhr EW sein erster prägender Unfall: Er stürzte durch eine<br />

Kellertür zwei Stock tief und zog sich einen komplizierten Beinbruch zu, der<br />

schlecht heilte.<br />

Auf Sommerfrische fuhr man öfters in Ortschaften wie Kierling bei Klosterneuburg;<br />

häufiger wanderte EW ins nahe Liebhartstal, wo der Wienerwald der Stadt am<br />

nächsten kommt.<br />

EW ging in das Gymnasium in der Kalvarienberggasse in Hernals; die Talmud Thora<br />

Schule besuchte er im 2. Bezirk. Am liebsten hörte er Vorträge im "Volksheim", der<br />

Volkshochschule Ottakring.<br />

Er war Mitglied einer sozialistischen Mittelschülergruppe, später der<br />

Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und 1933 Mitbegründer der Vereinigung<br />

sozialistischer Schriftsteller.<br />

166


1913<br />

übersiedelte die Familie in die Bernardgasse 29 im 7. Bezirk Neubau.<br />

1915<br />

Nach der Matura meldete sich der Kriegsgegner EW mit seiner Schulklasse<br />

geschlossen freiwillig zum Militärdienst - er meinte, Ju<strong>den</strong> müssten wie Nichtju<strong>den</strong><br />

zum Staat stehen, auch wenn sie nicht überall gleichberechtigt waren. Er wurde<br />

Offizier und kam zum Einsatz an der Ostfront.<br />

Am 17. August 1917 wurde er bei Panciu (heute Rumänien) durch Granatsplitter<br />

an Kopf und Rücken schwer verwundet. Vorübergehend verlor er das<br />

Sprechvermögen, kämpfte dagegen durch Rezitieren von Gedichten; drei Finger<br />

der rechten Hand blieben gelähmt. Zur Rekonvaleszenz hielt er sich 1917/1918 in<br />

Wien und in Bad Ischl auf.<br />

1917<br />

Ab Dezember 1917 studierte EW Germanistik und Kunstgeschichte an der<br />

Universität Wien und promovierte 1921 mit der Dissertation "Heinrich Leuthold<br />

und die Kunst der strengen Form". Von 1922 bis 1938 war er Angestellter beim<br />

"Allgemeinen Tarifanzeiger", der Alexander Freud, dem Bruder Sigmund Freuds,<br />

gehörte.<br />

1923<br />

EW heiratete Beatrice ("Rosa") Winternitz (1896 New York bis 1969<br />

Schruns/Vorarlberg), eine Nichte von Sigmund Freud. Sie bezogen eine Wohnung<br />

in der Vegagasse in Döbling, später in der Anastasius-Grün-Gasse in Währing. Sie<br />

hatten zwei Kinder:<br />

Hermann Valentin (1923 Wien bis 2003 New York) und Ruth (1927 Wien bis 1969<br />

New York).<br />

1924<br />

EW schrieb seit seinem 16. Lebensjahr Verse.<br />

Erste Veröffentlichungen in <strong>den</strong> Zeitungen "Bohemia" (Prag), "Prager Tagblatt", in<br />

<strong>den</strong> Zeitschriften "Das Zelt", "Die Waage"; ab 1929 zahlreiche Gedichte in der<br />

"Arbeiter-Zeitung" (Wien) u.a., sowie in Anthologien. EW publizierte auch Essays<br />

und Rezensionen, z.B. von Werken Brochs und Canettis. Er übersetzte zumeist<br />

Lyrik aus dem Amerikanischen, aber auch aus dem Ungarischen und<br />

Französischen.<br />

1933 und 1936 Lesungen eigener Lyrik im Hörfunksender Radio Wien.<br />

1934<br />

EWs erste Buchveröffentlichung: "Die Kuppel", Wien, Saturn Verlag.<br />

EW erhält <strong>den</strong> Julius Reich-Preis zuerkannt.<br />

167


1937<br />

"Der Gemmenschneider". Wien, Saturn Verlag.<br />

In <strong>den</strong> 1920er Jahren stand EW unter dem Einfluss von Karl Kraus; er war ihm u.a.<br />

Vorbild für einen bewußten und präzisen Gebrauch der Sprache.<br />

Freundschaftliche Beziehungen zu Josef Weinheber (der EW von einem<br />

Ottakringer Gesangsverein her kannte und, selbst prominenter Autor gewor<strong>den</strong>,<br />

EWs Arbeiten der 1930er Jahre schätzte), Paul Amann, Richard Berczeller, Friedrich<br />

Bergammer, Hermann Broch, Rudolf Brunngraber, Elias Canetti, Rudolf Felmayer,<br />

Ernst Fischer, Fritz Hochwälder, Martha Hofmann, Theodor Kramer, Hans Leifhelm,<br />

Leopold Liegler, Georg Merkel, Leo Perutz, Jakob Picard, Stefan Pollatschek, Ernst<br />

Schönwiese, Franz Staude, Heinrich Steinitz, Joseph Luitpold Stern, Otto Stoessl;<br />

besonders zu Walter Kauders (dem Lektor des Rikola Verlags in <strong>den</strong> 1920er<br />

Jahren); und zu Fritz/Frederick Ungar, dem Gründer des Saturn Verlags und später<br />

der Ungar Publishing Co. in New York, der da wie dort Werke von EW publizierte.<br />

Nach 1938 kamen u.a. Ferdinand Bruckner, Richard Beer-Hofmann, Alfred Farau,<br />

Oskar Maria Graf hinzu.<br />

Von <strong>den</strong> meisten der Genannten und zahlreichen anderen Personen sind Briefe im<br />

Nachlaß erhalten.<br />

1938<br />

Als Deutschland im März 1938 Österreich annektierte, lag EW in einem Wiener<br />

Spital. Ein Tumor mußte operiert wer<strong>den</strong>. Vor <strong>den</strong> Nationalsozialisten mühsam<br />

verborgen, wurde er notdürftig behandelt. Seine Frau verbrannte aus Angst viel<br />

von seinen Schriften.<br />

Die Emigration wurde durch Beatrices amerikanische Staatsbürgerschaft und<br />

Einladungen von Eugene G. und Marie H. Bloch, New York, ermöglicht; die<br />

Formalitäten wur<strong>den</strong> ungewöhnlich rasch erledigt. Ende August 1938 fuhren die<br />

Waldingers über Paris nach London, um Bruder Theo und die Familie Freud zu<br />

besuchen; sie kamen im September 1938 in New York an.<br />

Lange arbeitete EW in verschie<strong>den</strong>sten Jobs: in einem Warenhaus, dann als<br />

Bibliothekar. Er erhielt ein halbes Jahr lang eine Ausbildung zum Hochschullehrer<br />

am Haverford College in Haverford, Pennsylvania, die jedoch nicht unmittelbar zu<br />

einer qualifizierten Anstellung führte.<br />

1939<br />

Kontakte mit der American Guild for German Cultural Freedom; EW befürwortete<br />

eine Förderung für Fritz Hochwälder und ein Affidavit für ihn.<br />

Mitarbeit bei der "Austro American Tribune", deren Kulturredakteurin Elisabeth<br />

Freundlich war. Nach 1945 Mitarbeit u.a. bei der Zeitschrift "Books Abroad" und<br />

dem "Aufbau" (New York); Mitinitiator des "Austrian Council". Mit Gedichten<br />

vertreten in <strong>den</strong> Anthologien "Aufbau Almanach" (New York 1941), "Zwischen<br />

gestern und morgen" (London 1942), "Österreichische Schriftsteller im Exil"<br />

168


(London 1946), "Morgenröte" (New York 1947).<br />

1944<br />

Elf österreichische und deutsche Exilautoren gründeten in New York <strong>den</strong> "Aurora<br />

Verlag". In der kurzen Zeit seines Wirkens erschienen 12 Bände, darunter EWs<br />

Band "Die kühlen Bauernstuben", 1947 in New York und in einer Lizenzausgabe in<br />

Wien, der zu seinen erfolgreichsten Büchern zählt. EW organisierte Vorträge und<br />

sprach sich in Essays kritisch und streng zur Gegenwartsliteratur aus. Kompromisse<br />

duldete er nicht, schon gar nicht solche mit dem Nationalsozialismus.<br />

EW erhielt die amerikanische Staatsbürgerschaft.<br />

1945<br />

EW nahm rasch nach Kriegsende Kontakt mit Bekannten in Österreich und<br />

Deutschland auf, u.a. mit jenen, die wieder Zeitschriften publizierten. Seine Texte<br />

erschienen ab 1945 in zahlreichen deutschsprachigen Zeitschriften, darunter<br />

"Plan", "das silberboot", "Der Turm", "Österreichisches Tagebuch", "Wort in der<br />

Zeit", "Wiener Bücher Briefe".<br />

Das Angebot, nach Österreich zurückzukehren, wie es Ernst Fischer allerdings recht<br />

unspezifisch in einem Schreiben vom 12. Oktober 1945 an EW richtete und das der<br />

Politiker Otto Kreilisheim (KPÖ) bald nach Kriegsende überbrachte, wurde nicht<br />

angenommen - auch später nicht.<br />

1947<br />

Von 1947 bis 1965 lehrte EW deutsche Sprache und Literatur am Skidmore College<br />

in Saratoga Springs, einem traditionsreichen Kurort im Staat New York. Nach der<br />

Pensionierung 1965 übersiedelten Ernst und Beatrice Waldinger wieder nach New<br />

York City.<br />

1950<br />

EW gab die gesammelten Gedichte Isaac Schreyers heraus.<br />

1958<br />

EWs erste Reise nach Wien, der 1962 eine weitere folgte. Keine Rückkehr, da<br />

Beatrice W. (deren Mutter, eine Schwester Sigmund Freuds, im KZ ermordet<br />

wurde) sie nicht wünschte; EW hätte sich wohl überzeugen lassen.<br />

EW wurde von der Stadt Wien mit verschie<strong>den</strong>en Preisen ausgezeichnet:<br />

1958 Theodor Körner-Preis,<br />

1960 Preis der Stadt Wien,<br />

1966 Gol<strong>den</strong>e Ehrenmedaille der Stadt Wien.<br />

1969/1970<br />

Während seiner dritten Österreichreise erlitt EW in Schruns einen Schlaganfall;<br />

infolge der Anstrengung und Aufregung erlag seine Frau einem Herzinfarkt,<br />

während EW nach New York zurückgebracht wurde. Dort blieb er, gelähmt, u.a.<br />

von seinem Bruder Alfred betreut, bis zu seinem Tod in Spitalspflege.<br />

169


EWs schriftlicher Nachlass ist im Besitz der Dokumentationsstelle; EWs Bibliothek<br />

hat seine Familie der Central Library/Jean & Alexander Heard Library der<br />

Vanderbilt University, Nashville, Tennessee, übergeben.<br />

Werke<br />

Die Kuppel. Gedichte. Wien: Saturn 1934. 123 S.<br />

Der Gemmenschneider. Wien: Saturn 1937. 112 S.<br />

Die kühlen Bauernstuben. Gedichte. New York: Aurora 1946. 111 S. (Aurora-<br />

Bücher) [Weitere Ausgaben: Wien: Continental-Edition A. Sexl 1947; Berlin: Aufbau<br />

1949].<br />

Musik für diese Zeit. Ausgewählte Gedichte. München: Weismann 1946. 96 S.<br />

Glück und Geduld. Gedichte. New York: Ungar 1952. 144 S.<br />

Zwischen Hudson und Donau. Ausgewählte Gedichte. Wien: Bergland 1958. 61 S.<br />

(Neue Dichtung aus Österreich. 44).<br />

Tradition and Poetry. Saratoga Springs, N.Y.: Bulletin of Skidmore College 1960, Bd.<br />

1. 15 S.<br />

Gesang vor dem Abgrund. Einleitung, Auswahl: Ernst Schönwiese. Graz, Wien:<br />

Stiasny 1961. 128 S. (Das österreichische Wort. 85).<br />

Ich kann mit meinem Menschenbruder sprechen. Gedichte. Wien: Bergland 1965.<br />

253 S.<br />

Noch vor dem jüngsten Tag. Ausgewählte Gedichte und Essays. Hrsg., Nachwort:<br />

Karl-Markus Gauß. Salzburg: Müller 1990. 232 S.<br />

Eine jüdische Jugend in der Wiener Vorstadt. In: The Jews of Austria. Essays on<br />

their Life, History and Destruction. Hrsg.: Josef Fraenkel. London, Vallentine<br />

Mitchell, 1967, 2. Aufl. 1970, S. 259-281. Dies ist Teil einer unvollendeten<br />

Autobiografie, die EW in <strong>den</strong> späten 1960er Jahren schrieb und von der weitere<br />

Teile als Manuskripte im Nachlass erhalten sind.<br />

Isaac Schreyer: Psalm eines einfachen Mannes. Gedichte 1911-1947. Hrsg.: Ernst<br />

Waldinger. New York, Wien: Selbstverlag Schreyer-Pisarsky, 1950.<br />

170


5.7.3 Gedichte von Ernst Waldinger<br />

5.7.3.1 „Die kuehlen Bauernstuben“ (Typoskript)<br />

5.7.3.1 – 5.7.3.4: Literaturhaus-Hompage 96<br />

171


5.7.3.2 „Haus Nr. 5“ (Typoskript)<br />

172


5.7.3.3 „Der Fünfer-Wagen“ (Typoskript)<br />

173


5.7.3.4 „Bettel-Wien“ (Typoskript)<br />

174


5.7.3.5 „An einen Freund im KZ“<br />

Gedichte 5.7.3.5 – 5.7.3.8 aus: Die kühlen Bauernstuben 97<br />

175


5.7.3.6 Gedicht „Hof in Neulerchenfeld“<br />

176


5.7.3.7 „Liebhartsthal“<br />

177


5.7.3.8 „Wiener Elendsviertel“<br />

178


5.7.4 Auszüge aus „Zwischen Ottakring und Chicago“<br />

von Theo Waldinger 98<br />

179


180


181


182


183


184


185


186


6 Verzeichnis der verwendeten Literatur, Fußnoten, Stadtplan<br />

Brauer, Arik: Die Farben meines Lebens. Erinnerungen. Wien 2006.<br />

Grötzmeier, Gerlinde: Virtuelle Rekonstruktion der Ottakringer Synagoge,<br />

Hubergasse 8. Diplomarbeit, eingereicht an der Technischen Universität Wien,<br />

Fakultät für Architektur und Raumplanung. Wien 2008.<br />

Grundstein.permanent.event. 1/07, Wien 2007, S. 47 – 54.<br />

Häupl-Seitz, Helga: Frederic Morton, ein Amerikaner mit Wiener Herkunft, in: Wiener<br />

Zeitung vom 28. April 2000, http://www.wienerzeitung.at/Desktopdefault.<br />

aspx?TabID=3946&Alias=wzo&lexikon=Auto&letter=A&cob=6132, 20.9.09.<br />

Kantara, John A.: Wir wollten Rache, http://www.kantaratv.de/bluenote/<br />

flow.php?id=202, 20.7.09<br />

Kerr, Judith: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl. Ravensburg 1997.<br />

Klusacek, Christine/Stimmer, Kurt: Ottakring. Zwischen gestern und morgen. Wien<br />

2005.<br />

Kofler, Michael, Pühringer, Judith und Traska, Georg (Hg.): Das Dreieck meiner<br />

Kindheit. Eine jüdische Vorstadtgemeinde in Wien. Wien 2008.<br />

Lackner, Herbert: Aktion „Nakam“. Zeitgeschichte. Eine geheime Truppe junger<br />

Ju<strong>den</strong> ermordete in Österreich nach Kriegsende dutzende KZ-Schergen und<br />

Gestapo-Männer. Profil traf <strong>den</strong> letzten Überleben<strong>den</strong> der Racheengel. In: Profil Nr.<br />

22 vom 25. Mai 2009 (40. Jg.), S. 18 – 26.<br />

Lang, Alfred/Tobler, Barbara/Tschögl, Gert: Vertrieben. Erinnerungen<br />

burgenländischer Ju<strong>den</strong> und Jüdinnen. Wien 2004.<br />

Martens, Bob: Die Synagoge in der Hubergasse, in: David. Jüdische Kulturzeitschrift,<br />

20. Jahrgang, Nr. 77, Juni 2008, S. 1 f.<br />

Martens, Bob: Die Rekonstruktion der Synagoge in der Hubergasse, in Wien, in:<br />

David. Jüdische Kulturzeitschrift, 21. Jahrgang, Nr. 1, Juni 2009, S. 1 – 4.<br />

Morton, Frederic: Etwas Süßes für die schwere Reis’, in: Ehalt, Hubert Christian<br />

(Hg.): Ich stamme aus Wien: Kindheit und Jugend von der Wiener Moderne bis 1938,<br />

Wien, 2008. S. 276 – 279.<br />

Morton, Frederic: Ewigkeitsgasse. Roman. Wien 1993.<br />

Scheyerer, Nicole: Über Nacht waren alle Nazis. Interview mit Walter Arlen, in: Falter,<br />

Wien 10/200 vom 5.3.08, S. 60, in http://www.falter.at/web/print/detail.php?id=651,<br />

23.9.09.<br />

187


Seemann, Helfried/Lunzer, Christian (Hg.): Das jüdische Wien 1860 – 1938. Album.<br />

Wien 2006.<br />

Spera, Danielle: „Der Antisemitismus ist auch nicht mehr, was er einmal war. Der<br />

Universalkünstler Arik Brauer feiert im Jänner seinen achtzigsten Geburtstag. NU<br />

sprach mit ihm über seine Jugend als Gassenbub, feige Nazis der Gegenwart und<br />

seine Sorge um Israel.“ In: NU Nr. 34 (12/2008), S. 6 – 13.<br />

Waldinger, Ernst: Die kühlen Bauernstuben. Gedichte, Wien 1947.<br />

Waldinger, Theo: Zwischen Ottakring und Chicago. Stationen. Herausgegeben und<br />

mit einem Nachwort von Karl-Markus Gauß. Salzburg-Wien 1993.<br />

Internetadressen, Abrufdatum:<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Arik_Brauer, 9.7.09<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Frederic_Morton, 15.9.09<br />

http://jioeh.blogspot.com/2009/06/9-vo-19-mai-2009-arik-brauer.html<br />

http://magwien.gv.at/stadtplan/print.asp?Imageurl=2c367451-e524-4899-b548,<br />

24.9.09<br />

http://www.falter.at/web/print/detail.php?id=651, 23.9.09.<br />

http://www.gebietsbetreuung.wien.at/gbdocs/gbstern16/brunnenmartk.html, 16.9.09<br />

http://www.geocities.com/Vienna/Strasse/3193/abrauer.htm, 9.7.09<br />

http://www.herklotzgasse21.at, 22.9.09<br />

http://www.kantaratv.de/bluenote/flow.php?id=202, 20.7.09<br />

http://www.lettertothestars.at, 23.9.09<br />

http://www.literaturhaus.at/autoren/W/E-Waldinger/index.html, 20.9.09<br />

http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20080307_OTS0158),2.9.09<br />

http://www.ottakringer.at/html/01_brauerei/1.7_geschichte.php, 21.9.09<br />

http://www.sammlungdichter.com, 9.7.09<br />

http://www.steindedererinnerung.net, 15.9.09<br />

http://www.wienerzeitung.at/Desktopdefault.aspx?tabID=3946&alias=WZO&lexikon=<br />

Kunst&letter=K&cob=7124, 9.7.09.<br />

http://www.wienerzeitung.at/Desktopdefault.aspx?TabID=3946&Alias=wzo&lexikon=<br />

Auto&letter=A&cob=6132, 20.9.09.<br />

http://www1.yadvashem.org/education/German/pedagogia.htm#8, 9.7.09<br />

188


Fußnotenverzeichnis<br />

1 Siehe http://www.gebietsbetreuung.wien.at/gbdocs/gbstern16/brunnenmartk.html, am<br />

16.9.09.<br />

2 Ab 1786 entwickelte sich an der Thaliastraße ein kleiner Markt, der sich später bis in die<br />

Brunnengasse ausdehnte. Namensgeber war ein an der Ecke Neulerchenfelder Straße und<br />

Brunnengasse stehender Brunnen für frisches Hochquellwasser. Siehe ebenda. Vgl.<br />

Klusacek, Christine, Stimmer, Kurt : Ottakring. Zwischen gestern und morgen. Wien 2005<br />

S. 63 - 65. Hier wird im Kapitel „Brunnen- und Yppenmarkt“ der Beginn des Marktes in der<br />

Thaliastraße erst mit 1830 angesetzt, der Beginn des Marktes um <strong>den</strong> Brunnen früher.<br />

Je<strong>den</strong>falls kam es zum Zusammenwachsen dreier Märkte: Markt um <strong>den</strong> Brunnen an der<br />

Neulerchenfelderstraße/ Brunnengasse, Markt an der Thaliastraße, Markt am Yppenplatz<br />

(am Ende der Brunnengasse).<br />

3 Alle Fotos, die ich im weiteren Verlauf der Arbeit ohne Herkunftsangabe eingebaut habe,<br />

wur<strong>den</strong> wie dieses von mir selbst gemacht.<br />

4 Nicht immer deklarieren sich diese offen. Als Beispiel möchte ich einen <strong>jüdischen</strong><br />

Schuhhändler in der Neulerchenfelderstraße nennen (mittlerweile gibt es dieses Geschäft<br />

nicht mehr), der zu Yom Kippur (jüdischer Versöhnungstag, an dem Ju<strong>den</strong> <strong>den</strong> ganzen Tag<br />

fasten und in der Synagoge beten sollen) sein geschlossenes Geschäft „sicherheitshalber“<br />

mit der Tafel „Wegen Inventur geschlossen“ erklärte.<br />

5 So erinnere ich mich noch sehr gut an ein Gespräch mit einem ansonsten sehr<br />

sympathischen Obst- und Gemüsehändler türkischen Ursprungs, der mir nach der Rückkehr<br />

von einer Mauthausen-Exkursion, von der wir beim Einkaufen zu sprechen kamen,<br />

weismachen wollte, dass das, was <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong> widerfahren sei, „so schlimm es auch ist“,<br />

vielleicht doch auch gerecht sein könnte. Als Beleg führte er danach auch „Erfahrungen“ mit<br />

Händlern an, von <strong>den</strong>en ihm berichtet wor<strong>den</strong> sei, die Rechnungen wegen des Verbots, am<br />

Schabbat mit Geld zu handeln, auch später nicht begleichen wür<strong>den</strong>. Rechtsanwälte wür<strong>den</strong><br />

<strong>den</strong> betrogenen Großhändlern nicht helfen, da sie gegen Ju<strong>den</strong> sowieso nichts ausrichten<br />

könnten. Außerdem sei auch die hohe Zahl jüdischer Namen im amerikanischen Kongress<br />

ein Zeichen für die Macht der Ju<strong>den</strong> usw. Soweit die „Theorien“ eines an sich sehr<br />

gebildeten und netten jungen Händlers türkischen Ursprungs auf dem Wiener Brunnenmarkt<br />

im Jahre 2008.<br />

6 Seemann, Helfried/Lunzer, Christian (Hg.): Das jüdische Wien 1860–1938. Album. Wien<br />

2006. S. 78.<br />

7 Siehe dazu das pädagogische Konzept, das von der International School for Holocaust<br />

Studies empfohlen wird. http://www1.yadvashem.org/education/German/pedagogia.htm#8.<br />

189


8 http://www.herklotzgasse21.at bzw. http://www.herklotzgasse21.at/index.php?id=24<br />

(Fotos).<br />

9 Kofler, Michael, Pühringer, Judith und Traska, Georg Hg.): Das Dreieck meiner Kindheit.<br />

Eine jüdische Vorstadtgemeinde in Wien. Wien 2008.<br />

10 Kerr, Judith: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl. Aus dem Engllischen von Annemarie<br />

Böll. Ravensburg 1987.<br />

11 Wie uns im bei einem Vortrag der pädagogischen Leiterin der International School for<br />

Holocaust Studien in Vashem Shulamit Imber im Juli 2008 empfohlen wurde, eignet sich<br />

das Durchspielen von „Dilemmasituationen“ als geeignete Methode in der Holocaust<br />

Education. Eine noch relativ harmlose Entscheidungssituation („Was nehme ich mit auf die<br />

Flucht?“) erscheint mir als gute Vorbereitung für komplexere Entscheidungssituationen.<br />

12 Zur Geschichte Ottakrings siehe u.a. Klusacek/Stimmer: Ottakring.<br />

13 Dies geschah unter der Leitung des damaligen <strong>jüdischen</strong> Bürgermeisters von Ottakring,<br />

Ignaz Kufner (seit 1869), der mit seinem Cousin Jakob die Ottakringer Brauerei 1850 gekauft<br />

und sie zu großem Erfolg geführt hatte. Als Wohltäter, Stifter und politische Persönlichkeiten<br />

wur<strong>den</strong> beide geschätzt. Sein Sohn und Universalerbe Moritz Kufner ließ die Sternwarte am<br />

Willhelminenberg bauen, die noch heute besteht, und wandelte die Brauerei 1905 in eine<br />

Aktiengesellschaft um. Sein Palais wurde zum Treffpunkt politischer und intellektueller<br />

Größen der Donaumonarchie. Siehe<br />

http://www.ottakringer.at/html/01_brauerei/1.7_geschichte.php.<br />

14 Die nachstehend angeführte Einteilung wurde in <strong>den</strong> „Nürnberger Rassegesetzen“ 1935<br />

festgelegt.<br />

15 Klusacek/Stimmer: Ottakring. S. 191 f. Bei diesen Zahlen ist zu berücksichtigen, dass<br />

schon viele Ju<strong>den</strong> aus Wien und Ottakring geflüchtet waren. Vor dem März 1938 waren<br />

diese höher.<br />

16 Ebenda S. 192 f.<br />

17 Grötzmeier, Gerlinde: Virtuelle Rekonstruktion der Ottakringer Synagoge, Hubergasse 8.<br />

Diplomarbeit, eingereicht an der Technischen Universität Wien, Fakultät für Architektur und<br />

Raumplanung. Wien 2008. S. 7.<br />

18 Ebenda S. 8 f.<br />

19 Lackner, Herbert: Aktion „Nakam“. Zeitgeschichte. Eine geheime Truppe junger Ju<strong>den</strong><br />

ermordete in Österreich nach Kriegsende dutzende KZ-Schergen und Gestapo-Männer.<br />

Profil traf <strong>den</strong> letzten Überleben<strong>den</strong> der Racheengel. In: Profil Nr. 22 vom 25. Mai 2009 (40.<br />

Jg.), S. 18 – 26. S. 20.<br />

20 http://de.wikipedia.org/wiki/Arik_Brauer, 9. Juli 2009.<br />

190


21 Brauer, Arik: Die Farben meines Lebens. Erinnerungen. Wien 2006. S. 9.<br />

22 http://de.wikipedia.org/wiki/Arik_Brauer, 9. Juli 2009.<br />

23 http://www.geocities.com/Vienna/Strasse/3193/abrauer.htm, 9. Juli 2009<br />

24 Gespräch zwischen Arik Brauer und DI DDR. Peter Landesmann am Institut für Judaistik<br />

der Universität Wien, in: Ju<strong>den</strong>tum heute. Dokumentation einer Gesprächsreihe am Institut<br />

für Judaistik der Universität Wien. Dienstag, 9. Juni 2009, 8. VO, 19. Mai 2009 – Arik Brauer,<br />

siehe http://jioeh.blogspot.com/2009/06/9-vo-19-mai-2009-arik-brauer.html, 9.07.09.<br />

25http://www.wienerzeitung.at/Desktopdefault.aspx?tabID=3946&alias=WZO&lexikon=Kunst<br />

&letter=K&cob=7124, 9. Juli 2009.<br />

26 Spera, Danielle: „Der Antisemitismus ist auch nicht mehr, was er einmal war. Der<br />

Universalkünstler Arik Brauer feiert im Jänner seinen achtzigsten Geburtstag. NU sprach mit<br />

ihm über seine Jugend als Gassenbub, feige Nazis der Gegenwart und seine Sorge um<br />

Israel.“ In: NU Nr. 34 (12/2008), S. 6–13.<br />

27 Brauer, Farben, S. 48 – 54; S. 60 – 70; S. 77 – 82.<br />

28 Lackner, Herbert: Aktion „Nakam“. Zeitgeschichte. Eine geheime Truppe junger Ju<strong>den</strong><br />

ermordete in Österreich nach Kriegsende dutzende KZ-Schergen und Gestapo-Männer.<br />

Profil traf <strong>den</strong> letzten Überleben<strong>den</strong> der Racheengel. In: Profil Nr. 22 vom 25. Mai 2009 (40.<br />

Jg.), S. 18 – 26, S. 20. Auf „audio-profil.at“ ist der gesamte Text im Internet auch in<br />

gelesener Form abrufbar.<br />

29 Alle Fotos zu Chaim Miller stammen aus dem vorne zitierten Profil-Artikel.<br />

30 Wie Chaim Miller einem meiner Lehrerkollegen mitteilte, wird es das aufgezeichnete<br />

Interview auf der Homepage von A-Letter-to-the-Stars geben. Derzeit ist es dort aber noch<br />

nicht verfügbar.<br />

31 Kantara, John: Die Rächer – wie Ju<strong>den</strong> Nazis töteten (siehe Anhang), der im Internet<br />

sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache (The avengers) unter<br />

http://www.kantara.de/?p=80 abrufbar ist.<br />

32 Alle Fotos in diesem Abschnitt 4.3.1 stammen – mit Ausnahme des von mir selbst<br />

gemachten Fotos vom Dichterhof heute - aus dem Begleitheft zu einer Ausstellung in der<br />

Grundsteingasse – Grundstein.permanent.event. 1/07, S. 47 – 54.<br />

33 Dieses und alle weiteren Fotos in diesem Abschnitt 4.3.2 stammen von der Homepage<br />

www.sammlungdichter.com.<br />

34 Siehe ebenda.<br />

35 Siehe ebenda.<br />

36 http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20080307_OTS0158),2.9.09.<br />

191


37 Alle Fotos in diesem Kapitel – mit Ausnahme der ersten drei und des letzten (eigene<br />

Aufnahmen) - stammen von der website www.sammlungdichter.com.<br />

38 Scheyerer, Nicole: Über Nacht waren alle Nazis. Interview mit Walter Arlen, in: Falter,<br />

Wien 10/200 vom 5.3.2008, S. 60, in http://www.falter.at/web/print/detail.php?id=651,<br />

23.9.09.<br />

39 Lang, Alfred/Tobler, Barbara/Tschögl, Gert: Vertrieben. Erinnerungen burgenländischer<br />

Ju<strong>den</strong> und Jüdinnen. Wien 2004. S. 419 – 439 (Walter Arlen) und 440 – 452 (Edith Arlen<br />

Wachtel).<br />

40 Die mündlichen Angaben konnten wegen des Mangels an Literatur darüber nicht<br />

überprüft wer<strong>den</strong>.<br />

41 Zur Geschichte der Familie Kufner und der Ottakringer Brauerei siehe:<br />

http://www.ottakringer.at/html/01_brauerei/1.7_geschichte.php, 21.9.09.<br />

42 Scheyerer, Interview mit Walter Arlen, S. 60 (siehe Kap. 5.3.1).<br />

43 Grötzmeier, Ottakringer Synagoge, S. 4.<br />

44 Ebenda, S. 16.<br />

45 Zu Paul Grosz und Frederic Morton siehe ebenda, S. 17 – 19.<br />

46 Zitiert nach: ebenda, S. 18.<br />

47 Alle Fotos in <strong>den</strong> Kapiteln 4.4.2 und 4.4.3 entstammen <strong>den</strong> zwei Titelblättern bzw.<br />

Kurzartikeln aus David. Jüdische Kulturzeitschrift, Juni 2008 und 2009. Siehe Martens, Bob:<br />

Die Synagoge in der Hubergasse, in: David. Jüdische Kulturzeitschrift, 20. Jahrgang, Nr. 77,<br />

Juni 2008, S. 1 f. und Martens, Bob: Die Rekonstruktion der Synagoge in der Hubergasse in<br />

Wien, in: David. Jüdische Kulturzeitschrift, 21. Jahrgang, Nr. 1, Juni 2009, S. 1 – 4.<br />

48 Zur Geschichte der Synagoge siehe Grötzmeier, Ottakringer Tempel, S. 10 – 13. Der<br />

Hubertempel war Tischlers erster Sakralbau. Zuvor hatte er Hotelbauten und Mietpalais<br />

geplant wie z. B. das Hotel Metropol am Morzinplatz im 1. Wiener Bezirk (GESTAPO-<br />

Hauptquartier während der NS-Zeit). Er war für die Renovierung der griechisch-orthodoxen<br />

Kirche in der Wiener Griechengasse verantwortlich, 1906 für die Errichtung des so<br />

genannten Kleinen Tempels in Brünn. Siehe ebenda, S. 29 – 37.<br />

49 Zur Frauengalerie, der Stellung der Frau in der Synagoge und zum Ottakringer<br />

Settlement siehe ebenda, S. 38 - 41.<br />

50 „Die Rückstellungskommission des Landesgerichts für Zivilsachen Wien beschloss im<br />

September 1947 die grundbücherliche Anmerkung der Einleitung des<br />

Rückstellungsverfahrens. Im April 1948 wurde Herr Josef Kaufmann verpflichtet, die<br />

Liegenschaft EZ 1470, KG 01405 in Ottakring der IKG Wien sofort zurückzustellen und in die<br />

Einverleibung des Eigentumsrechts der IKG einzuwilligen. Unter anderem wurde diese<br />

192


Erkenntnis damit begründet, dass eine Vermögensentziehung im Sinne des § 1.3.<br />

Rückstellungsgesetzes als erwiesen gilt und Herr Kaufmann die Liegenschaft als<br />

Ersatzobjekt für Betriebsräumlichkeiten im Arsenal des „Deutschen Luftwaffen-Kommandos<br />

angeboten bekam, der Kaufpreis wurde allerdings nicht zum Vorteil der IKG Wien verwendet,<br />

sondern wurde an die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ der Nationalsozialisten<br />

abgeführt. Der Umstand, dass Herr Kaufmann die Betriebsräumlichkeiten im Arsenal<br />

angeblich nur als Treuhänder für eine politisch verfolgte Person innehatte, änderte nichts an<br />

der Beurteilung der Kommission. Nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Erkenntnisses wurde<br />

im Juni 1948 das zwangsweise Eigentumsrecht der IKG Wien einverleibt“, ebenda, S. 11.<br />

51 Ludwig Reiser hatte zuvor <strong>den</strong> Jubiläumstempel in der Wiener Pazmanitengasse (1913)<br />

und die Synagoge in Mödling (Enzersdorferstraße) geplant, weiters plante bzw. leitete er <strong>den</strong><br />

Umbau der Polnischen Schul in der Großen Schiffgasse bzw. des Storchentempels in der<br />

Storchengasse. Siehe ebenda, S. 36 f.<br />

52 Als mein Mann und ich in der Novemberprogromnacht 2008 eine Kerze auf dem<br />

Fensterbrett deponiert hatten, mussten wir zwei Stun<strong>den</strong> später enttäuscht feststellen, dass<br />

sie verschwun<strong>den</strong> war. Ob dies aus Sicherheits- oder aus anderen Grün<strong>den</strong> geschah, kann<br />

ich nicht sagen.<br />

53 Alle Fotos in diesem Kapitel entstammen der Homepage www.steinedererinnerung.net.<br />

54 Der Verein „Steine der Erinnerung“ hat es sich zum Ziel gesetzt, der <strong>jüdischen</strong> Opfer des<br />

Holocausts zu ge<strong>den</strong>ken und die Erinnerung an das jüdische Leben und die jüdische Kultur<br />

vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten wach zu halten. Dieses Ge<strong>den</strong>ken soll an<br />

<strong>den</strong> Orten, an <strong>den</strong>en jüdische WienerInnen gelebt haben, durch das Setzen von „Steinen der<br />

Erinnerung“ verankert wer<strong>den</strong><br />

55 Siehe Gedächtnisprotokoll im Anhang, Kap. 5.5.2.<br />

56 Siehe Lebenslauf Frederic Morton, zitiert nach: Morton, Frederic: Ewigkeitsgasse.<br />

Roman. Wien 1993, S. 479 - 480 (siehe Materialanhang 5.6.4).<br />

57 Morton, Ewigkeitsgasse.<br />

58 Vom Türkenplatzl zur Thelemanngasse. Ein Interview mit Frederic Morton, in: Morton,<br />

Ewigkeitsgasse, S. 480 – 488 (siehe Materialanhang 5.6.5).<br />

59 Lebenslauf Morton, in: Morton, Ewigkeitsgasse, S. 479 – 480.<br />

60 http://de.wikipedia.org/wiki/Frederic_Morton, 15.9.09 (siehe Materialanhang 5.6.1)<br />

61 Morton, Frederic: Etwas Süßes für die schwere Reis’, in: Ehalt, Hubert Christian (Hg.): Ich<br />

stamme aus Wien: Kindheit und Jugend von der Wiener Moderne bis 1938, Wien, 2008. S.<br />

276 – 279. (siehe Materialanhang 5.6.2).<br />

62 Interview, in: Morton, Ewigkeitsgasse, S. 480 – 488.<br />

193


63 Häupl-Seitz, Helga: Frederic Morton, ein Amerikaner mit Wiener Herkunft, in: Wiener<br />

Zeitung vom 28. April 2000, siehe<br />

http://www.wienerzeitung.at/Desktopdefault.aspx?TabID=3946&Alias=wzo&lexikon=Auto&let<br />

ter=A&cob=6132, 20.9.09. (siehe Materialanhang 5.6.3).<br />

64 Zur Geschichte der Familie Waldinger siehe am besten<br />

http://www.literaturhaus.at/autoren/W/E-Waldinger/index.html, 20.9.09.<br />

65 Material zu dieser Thematik findet sich im Materialanhang 5.7.4 – Abschnitt „Die Liebe zu<br />

Wien“ bzw. Ideen zur Gestaltung der Station 4.7.3.<br />

66 Waldinger, Theo: Zwischen Ottakring und Chicago, Stationen. Herausgegeben und mit<br />

einem Nachwort von Karl-Markus Gauß, Salzburg-Wien, S. 17.<br />

67 http://www.literaturhaus.at/autoren/W/E-Waldinger/index.html, 20.9.09.<br />

68 Alle Fotos auf dieser Seite von Ernst Waldinger stammen von der Literaturhaus-<br />

Homepage (Ernst Waldinger - Portraits). Siehe ebenda.<br />

69 Waldinger, Ottakring-Chicago, S. 169.<br />

70 Waldinger, Ottakring-Chicago.<br />

71 Waldinger, Theo, Ottakring- Chicago, S. 10 f. (siehe Materialanhang 5.7.4).<br />

72 Ebenda, S.12 f. (siehe Materialanhang 5.7.4).<br />

73 Ebenda, S. 93 f. (siehe Materialanhang 5.7.4).<br />

Fußnoten zum Materialanhang:<br />

74 http://de.wikipedia.org/wiki/Arik_Brauer, 9.7.09.<br />

75 http://www.geocities.com/Vienna/Strasse/3193/abrauer.htm, 9.7.09.<br />

76 Gespräch zwischen Arik Brauer und DI DDR. Peter Landesmann am Institut für Judaistik<br />

der Universität Wien, in: Ju<strong>den</strong>tum heute. Dokumentation einer Gesprächsreihe am Institut<br />

für Judaistik der Universität Wien. Dienstag, 9. Juni 2009, 8. VO, 19. Mai 2009 – Arik Brauer,<br />

siehe http://jioeh.blogspot.com/2009/06/9-vo-19-mai-2009-arik-brauer.html, 9.07.09.<br />

77 Lieblingsmaler der Europäer. Interview mit Arik Brauer von Evelyn Adunka, in: Wiener<br />

Zeitung, 15. Jänner 1999, siehe http://www.wienerzeitung.at/Desktopdefault.<br />

aspx?tabID=3946&alias= WZO&lexikon=Kunst&letter=K&cob=7124, 9.7.09.<br />

78 Spera, Danielle: „Der Antisemitismus ist auch nicht mehr, was er einmal war. Der<br />

Universalkünstler Arik Brauer feiert im Jänner seinen 80. Geburtstag. NU sprach mit ihm<br />

über seine Jugend als Gassenbub, feige Nazis der Gegenwart und seine Sorge um Israel.“<br />

In: NU Nr. 34 (12/2008), S. 6 – 13.<br />

194


79 Auszüge aus: Brauer, Arik: Die Farben meines Lebens. Erinnerungen. Wien 2006.<br />

80 Lackner, Herbert: Aktion „Nakam“. Zeitgeschichte. Eine geheime Truppe junger Ju<strong>den</strong><br />

ermordete in Österreich nach Kriegsende dutzende KZ-Schergen und Gestapo-Männer.<br />

Profil traf <strong>den</strong> letzten Überleben<strong>den</strong> der Racheengel. In: Profil Nr. 22 vom 25. Mai 2009, 40.<br />

Jg., S. 18 – 26..<br />

81 Kantara, John A. Wir wollten Rache, http://www.kantaratv.de/bluenote/flow.php?id=202,<br />

20.7.09.<br />

82 Scheyerer, Nicole: Über Nacht waren alle Nazis. Interview mit Walter Arlen, in: Falter,<br />

Wien 10/200 vom 5.3.08, S. 60, in http://www.falter.at/web/print/detail.php?id=651, 23.9.09.<br />

83 Edith Arlen Wachtel, in: Lang, Alfred/Tobler, Barbara/Tschögl, Gert: Vertrieben.<br />

Erinnerungen burgenländischer Ju<strong>den</strong> und Jüdinnen. Wien 2004, S. 440 – 452.<br />

84 Walter Arlen, in ebenda, S. 419 – 439.<br />

85 Martens, Bob: Die Synagoge in der Hubergasse, in: David. Jüdische Kulturzeitschrift, 20.<br />

Jahrgang, Nr. 77, Juni 2008, S. 1 f.<br />

86 Martens, Bob: Die Rekonstruktion der Synagoge in der Hubergasse in Wien, in: David.<br />

Jüdische Kulturzeitschrift, 21. Jahrgang, Nr. 1, Juni 2009, S. 1 – 4.<br />

87 Gedächtnisprotokoll von Petra Stein vom 7.5.08.<br />

88 www.steinedererinnerung.net, 20.9.07<br />

89 http://de.wikipedia.org/wiki/Frederic_Morton, 15.9.09.<br />

90 Morton, Frederic: Etwas Süßes für die schwere Reis’, in: Ehalt, Hubert Christian (Hg.): Ich<br />

stamme aus Wien: Kindheit und Jugend von der Wiener Moderne bis 1938, Wien, 2008. S.<br />

276 – 279.<br />

91 Häupl-Seitz, Helga: Frederic Morton, ein Amerikaner mit Wiener Herkunft, in: Wiener<br />

Zeitung vom 28. April 2000, http://www.wienerzeitung.at/Desktopdefault.<br />

aspx?TabID=3946&Alias= wzo&lexikon=Auto&letter=A&cob=6132, 20.9.09.<br />

92 Lebenslauf Morton, in: Morton, Ewigkeitsgasse, S. 479 – 480.<br />

93 Vom Türkenplatzl zur Thelemanngasse. Ein Interview mit Frederic Morton, in: Morton,<br />

Ewigkeitsgasse, S. 480 – 488.<br />

94 http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Waldinger, 20.9.09.<br />

95 http://www.literaturhaus.at/autoren/W/E-Waldinger/index.html, 20.9.09.<br />

96 Typoskripte 5.7.3.1 – 4, http://www.literaturhaus.at/autoren/W/E-Waldinger/texte/,<br />

23.9.09.<br />

195


97 Waldinger, Ernst: Die kühlen Bauernstuben. Gedichte, Wien 1947, S. 27, 29, 37 u. 106 f.<br />

98 Waldinger, Theo: Zwischen Ottakring und Chicago. Stationen. Herausgegeben und mit<br />

einem Nachwort von Karl-Markus Gauß. Salzburg-Wien 1993, S. 9 – 15 und 88 – 95.<br />

99 http://magwien.gv.at/stadtplan/print.asp?Imageurl=2c367451-e524-4899-b548, 24.9.09.<br />

Stadtplan<br />

Stadtplan mit Adressensuche<br />

Brunnengasse<br />

Aus: Homepage des Wiener Magistrats 99<br />

© STADT WIEN<br />

196

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!