Onomasiologische Kasustypologie - Wolfgang Schulze
Onomasiologische Kasustypologie - Wolfgang Schulze
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Prof. Dr. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Schulze</strong><br />
Seminar: Kasus (WiSe 07/08)<br />
Grundlagen einer onomasiologischen Kasus-Typologie - Teil 1<br />
Zusammenfassung der Sitzungen vom 5. und 12.11.07 ( © <strong>Wolfgang</strong> <strong>Schulze</strong> 2007)<br />
1. Ereignisvorstellungen (d.h. Szenen) steuern die Rollenzuweisung von Aktanten<br />
(Mitspieler in einer Szene, kognitiv gesehen Referenten (). Da Verben (kognitiv: Relatoren<br />
()) der meronyme (Teil-Ganze-)Ausdruck von Ereignisvorstellungen sind, gilt:<br />
Verben steuern die Rollenzuweisung.<br />
Die Rollen können markiert werden:<br />
a) Intrinsich (Wikipedia: Intrinsisch bedeutet „von innen her kommend“. Intrinsische<br />
Eigenschaften gehören zum Gegenstand selbst und machen ihn zu dem, was er ist):<br />
Referenten qualifizieren sich qua 'Natur' für bestimmten Rollen.<br />
Beispiel:<br />
- 2Sg ('du') immer im Vordergrund ('2sg-Prominenz') in einigen Salish-<br />
Sprachen<br />
- 1sg häufig als semantischer Agens<br />
- Humana eher Agens denn Patiens<br />
- Nicht-Animata (Unbelebte) eher Patiens denn Agens<br />
b) Positionell (oft ikonisch) *Ikonizität *…+ kann im weitesten Sinne beschrieben werden als<br />
Ähnlichkeit zwischen sprachlichen Zeichen bzw. Zeichenfolgen und außersprachlichen<br />
Referenten und Strukturen, die durch diese Zeichen abgebildet werden (Claus D. Pusch,<br />
http://www.romanistik.uni-freiburg.de/pusch/Download/ikonizitaet.pdf)]:<br />
Was im szenischen Vordergrund steht, steht in der Äußerung vorne;<br />
Was im szenischen Hintergrund steht, steht in der Äußerung weiter hinten.<br />
[Nur Tendenz! Große Varianz!]<br />
Die Position versieht einen Referenten mit einer bestimmten Rolle.<br />
Beispiel:<br />
Englische Wortstellung im Satz:<br />
The woman saw the girl vs. The girl saw the woman.<br />
c) Morphologisch: Rollenspezifikationen erfolgen über 'spezifische' lautliche Substanz, d.h.<br />
Morpheme: Präfixe, Suffixe, Infixe, Circumfixe bzw. Klitika (proklitisch, enklitisch)<br />
- Wenn morphologische Rollenmarkierung, kann diese<br />
- vom Verb in die Nominalphrase (NP) 'exportiert' werden ('echte' Kasus')<br />
- im Verb verbleiben (in situ, 'verbale Kasus').<br />
1
- In NP kann Kasusmorphologie spezifisch sein (nur Kasus anzeigen [agglutinierend])<br />
oder 'mehrwertig' sein [flektierend], u.a. auch Numerus, Genus/Klasse, Definitheit<br />
und andere NP-relevante Funktionen kodieren (Polyvalenz).<br />
Beispiel: a) Türkisch: arkadaş-lar-ın<br />
Freund-PL-GEN<br />
b) Latein: amic-ōrum<br />
Freund-PL:GEN:M<br />
- Die radikaslte Form der morphologischen Kasusmarkierung ist Suppletivismus<br />
[Suppletivismus = lexikalische Ausdrucksvarianz eines Elements eines Paradigmas,<br />
e.g. Englisch good vs. worse, Deutsch ich vs. mich, wir vs. uns etc.].<br />
Beispiel: wir NOM<br />
uns DAT/AKK<br />
d) Lexikalisch-Konstruktionell [an bestimmte lexikalische Ausdrücke gebundene<br />
Phrasentypen; Beispiel: Passiv im Deutschen: X wird ge-VERB-t von Y; lexikalische Basen:<br />
werden, von]: Spezifische lexikalische Ausdrücke (oft Prä oder Postpositionen) verbinden sich<br />
mit NP zu kasusmarkierten Phrasen. Die NP kann darüber hinaus intern kasusmarkiert sein.<br />
Beispiel: Neu-Arabisch fī-lmadīna<br />
in-ART-Stadt (Lokativ/Essiv)<br />
Deutsch<br />
Zusammenfassendes Beispiel<br />
Einfache (linguistische) Version:<br />
vs.<br />
in der Stadt (Lokativ/Essiv)<br />
in die Stadt (Lokativ/Allativ)<br />
NOMINATIV AKKUSATIV SUPER-TRANSLATIV<br />
Die Frau brachte den Hund über die Straße<br />
Positionell<br />
[Positionell]<br />
Morphologisch<br />
Konstruktionell (über + AKK)<br />
Kognitive Version:<br />
<br />
NOMINATIV Verb AKKUSATIV Verboid ALLATIV (> AKK)<br />
Die Frau brachte den Hund über die Straße<br />
Positionell<br />
[Positionell]<br />
Morphologisch<br />
Morphologisch<br />
2
2. <strong>Onomasiologische</strong> Kasusbestimmung:<br />
Drei Typen der Rollenzuweisung:<br />
- Semantisch: Bestimmung von Referenz-bezogenen konzeptuellen Größen in<br />
Ereignisvorstellungen (Szenen), etwa Kausator (Agens), Wirkungsbereich (Patiens),<br />
'Prozessor' ('Handlungsträger' ohne Wirkungsbereich), Erfahrender (Experiencier), Verortung<br />
usw. [Traditionell (!!!) auch: Logisches Subjekt/Objekt für Agens/Patiens]<br />
Tiefenkasus (deep cases) im Sinne von Charles Fillmore (e.g. Fillmore 1968. The<br />
Case for Case. In Bach and Harms (Ed.): Universals in Linguistic Theory. New York: Holt,<br />
Rinehart, and Winston, 1-88; vgl. auch Cook, Walter A., SJ (1989) Case Grammar Theory.<br />
Washington, DC: Georgetown University Press.).<br />
http://www.rci.rutgers.edu/~cfs/305_html/Understanding/CaseGram1.html<br />
3
- Syntaktisch: Syntaktische Rollen positionieren die Aktanten in der Szene<br />
(bestimmen also die Szenen-Topologie [hier: Struktur eines Szenen-Raums]] nach<br />
Vordergrund und Hintergründen [traditionell (!!!) auch grammatisches Subjekt und<br />
grammatisches Objekt]:<br />
H<br />
V<br />
Die syntaktischen Rollen (Funktionen) sind V (Vordergrund) und H (genauer H 1 - H n )<br />
(Hintergründe [multiple grounding]).<br />
Beispiel:<br />
Die Frau sieht den Hund auf der Straße nach Bogenhausen<br />
H<br />
<br />
<br />
<br />
H 3 = Bogenhausen<br />
H 2 = Straße<br />
H 1 = Hund<br />
V<br />
<br />
V = Frau<br />
Nota: Wenn eine Sprache den Positionstausch in einer Szene erlaubt (V/H-Wechsel =<br />
Diathese, e.g. Passiv, Antipassiv), dann kann (!) V(ordergund) mit Subjekt und<br />
Hintergrund (nur H 1 !) mit Objekt bezeichnet werden [ist aber zu vermeiden!]<br />
Funktion: Szeneninterner Informationsfluss, Kopplung von Szenen zu Szenarien über<br />
einen referentiell einheitlichen Vordergrund (pivot [Scharnier]):<br />
S2<br />
S3<br />
S1<br />
S4<br />
H<br />
V<br />
Pivot<br />
4
Beispiel:<br />
Harmonischer Vordergrund:<br />
[] V H []<br />
und<br />
[Die Frau] V kam=in [die Stadt] H<br />
{[sie]} V kaufte [ein Buch] H .<br />
Als [sie] V über [die Straße] H ging,<br />
wurde [sie] V von [einem Auto] H überfahren.<br />
Und nicht:<br />
Disharmonischer Vordergrund:<br />
[] V H []<br />
und<br />
[Die Frau] V kam=in [die Stadt] H<br />
{[sie]} V kaufte [ein Buch] H .<br />
Als [sie] V über [die Straße] H ging,<br />
überfuhr [ein Auto] V [die Frau] H<br />
ACHTUNG! V/H-Unterscheidungen können auch über nicht-kasuelle Verfahren erreicht<br />
werden, etwa Kongruenz (besser: agreement [AGR]).<br />
Beispiel:<br />
amic-us flor-em vide-t<br />
SEM AG PAT<br />
SYN V H ……-V (mit -t = referenteilles Echo zu<br />
amicus (V))<br />
flos ab amicō vide-tur<br />
SEM PAT AG<br />
SYN V H …..-V (mit -tur = referentielles Echo +<br />
Passiv zu flos (V)<br />
- Pragmatisch: Vom Konstrukteur der Ereignisvorstellung den Referenten (Aktanten)<br />
zugewiesene 'Sonderrolle' im Text-, Wissens- oder Situationszusammenhang, auch<br />
Markierung von empathischen Gesichtspunkten [Empathie (auch: Perspektivenübernahme):<br />
Emotive (Teil-)Identifikation (positiv: Sympathie, negativ: Antipathie) mit einem Referenten /<br />
Aktanten [vgl. Lichtenberg, J., Bornstein, M. und Silver, D.: Empathy. 3 Bde. Hillsdale, N.J.,<br />
1984]). Funktionen:<br />
5
FOKUS:<br />
Spotting eines Referenten:<br />
- Prosodisch (e.g. Betonung)<br />
- Positionell (e.g. Herausstellung aus Satz)<br />
- Konstruktionell (e.g. Cleft und Pseudo-Cleft)<br />
- Morphologisch (Kasus i.e.S.d.W., Partikeln usw.)<br />
Beispiele:<br />
Ich habe den HUND gesehen.<br />
Ich hab' ihn gesehen, den Hund.<br />
Was den Hund angeht: Ich habe ich gesehen.<br />
Den Hund, ich habe ihn gesehen.<br />
(Prosodie)<br />
(Kataphorese)<br />
(Cleft)<br />
(Pseudo-Cleft<br />
(= nicht satzwertiger Cleft))<br />
Udisch (Ostkaukasisch)<br />
zu adamár-zu beg-i<br />
ich:ABS man-1sg:FOC sehen-PAST<br />
'ich habe einen MANN gesehen'<br />
TOPIK:<br />
Rolle eines Aktanten im Informationsfluss (ko(n)-textuell):<br />
Given Topik<br />
New Topik:<br />
Resumed Topik<br />
Unmittelbare Wiederaufnahme eines eigeführten<br />
Referenten [gTOP]<br />
Einführung eines neuen /noch nicht genannten<br />
Referenten [nTOP]<br />
Wiederaufnahme eines schon früher<br />
eingeführten/genannten Referenten [rTOP]<br />
Beispiel (konstruiert):<br />
"Es war einmal ein König [nTOP]. Er [gTOP] hatte eine Frau [nTOP] und drei<br />
Kinder [nTOP]. Als er[gTOP] die Kinder [gTOP] fragte, welches von ihnen<br />
[gTOP] König werden wolle, sagte das Älteste [g]TOP]: Das sollte deine Frau<br />
[rTOP] entscheiden".<br />
3. Interaktion der Rollenzuweisungen<br />
Traditionelle Zuordnungen (Auswahl):<br />
SEM SYN Hybrid<br />
Schulgrammatik Case-Grammar Typologie Global<br />
Logisches Subjekt Agentive Agens (Grammatisches) Subjekt S, A<br />
Logisches Objekt Objective Patiens (Grammatisches) Objekt P<br />
Dative Experiencer Indirektes Objekt etc.<br />
Instrumental Instrumental etc.<br />
Locative Locative<br />
etc.<br />
etc.<br />
6
Die drei Rollentypen SEM, SYN und PRA können (idealiter) getrennt markiert werden, fallen<br />
aber in ihrer Markierung oft (teilweise) zusammen.<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
SEM SYN PRA<br />
Gelb: Getrennt; Grau: Zusammenfall<br />
Häufig: Typ 2: {SEM/SYN} vs. PRA (e.g. Deutsch)<br />
Typ 4: {SEM/PRA} vs. SYN (e.g. Malgache)<br />
Da jeder Rollentyp mit anderen Rollentypen interagieren kann, müssen diese als<br />
Instantiierungen [einzelne Ausdrucksform] eines globalen Verfahrens der Strukturierung von<br />
Ereignisvorstellungen beschrieben werden. Diese Strukturierung basiert auf 'grammatischen<br />
Relationen', besser: relationalen Primitiven [RP].<br />
Vgl. dazu:<br />
- <strong>Schulze</strong>; <strong>Wolfgang</strong> 1998. Person, Klasse, Kongruenz: Fragmente einer<br />
Kategorialtypologie des einfachen Satzes in den ostkaukasischen Sprachen. Band 1 (in<br />
zwei Teilen): Die Grundlagen. München/Newcastle: Lincom Europa [Second printing:<br />
Munich, Lincom Europa 2002], bes. Kapitel 4 (pp. 395-607).<br />
- <strong>Schulze</strong>; <strong>Wolfgang</strong> 2000. Towards a Typology of the Accusative Ergative<br />
Continuum: The case of East Caucasian. General Linguistics 37: 1 & 2, 2000(1997):71-<br />
155.<br />
- Mithun, Marianne & Chafe, Wallace 1999. What are S, A, and O?, in: Studies in<br />
Language 23.3, 569 – 596.<br />
- Dixon, R.M.W. 1994. Ergativity. Cambridge: Cambridge University Press.<br />
Relationale Primitive: Aus kognitiven Verfahren der Wahrnehmung (besonders: Figure-<br />
Ground-Schematisierung) abgeleitete basale Organisationsmuster von Ereignisvorstellungen,<br />
genauer: die entsprechende Zuordnung eines 'Verhaltenstyps' zu Referenten in einer<br />
Ereignisvorstellung (gl. <strong>Schulze</strong> 2000).<br />
Grundannahme: JEDE Ereignisvorstellung ist (kognitiv) mindestens zweistellig (kognitive<br />
Transitivität, vgl. http://www.lrz-muenchen.de/~wschulze/kogtrans.pdf). In sprachlichen<br />
Systemen kann eine Reduktion hin zu ein- und nullstelligen Repräsentationen von<br />
Ereignisvorstellungen mehr oder minder systematisch erfolgen (Agens -> Prozessor etc.).<br />
Basale Typen: S [LOC]<br />
A O<br />
7
Definition:<br />
RP Auflösung Funktion<br />
S Subjective Zentraler Aktant in reduzierten<br />
Ereignisvorstellungen (= zentraler intransitiver<br />
Aktant) ohne CAUSE-Aktivierung<br />
A Agentive Mit dem CAUSE-Schema verbundener Aktant in<br />
zwei- und mehrstelligen Relationen (-><br />
KAUSATOR)<br />
O Objective Mit dem CAUSE-Schema verbundener Aktant in<br />
zwei- oder mehrstelligen Relationen (-> EFFECT-<br />
Bereich)<br />
LOC Locative Peripherer Aktant in Ereignisvorstellungen ohne<br />
(direkte) CASUE-Aktivierung<br />
Nota: CAUSE-Schema: Basales kognitives Schema zur Interpretation von<br />
Ereignisvorstellungen nach dem Parameter von Ursache und Wirkung (vgl. <strong>Schulze</strong><br />
1998)<br />
Beispiel:<br />
S [Ø] Ohne CAUSE-Schema<br />
Die Frau geht<br />
S LOC Ohne CAUSE-Schema<br />
Die Frau geht=in die Stadt<br />
A O CAUSE-Schema aktiviert<br />
Die Frau baut ein Haus<br />
NOTA: Das CAUSE-Schema [CE (Cause-Effect)] beruht auf der Metaphorisierung<br />
(Funktionserweiterung) des basalen Figure-Grund-Schemas [FG]. Der Übergang von FG<br />
zu CE ist fließend.<br />
Typen der Markierung des {S,A,O}-Clusters:<br />
1. S, A und O können getrennt repräsentiert werden (tripartites System, selten)<br />
2. S, A und O können in Subsystemen (nie aber global!) gemeinsam<br />
repräsentiert werden (neutrales System). Nota: Jede Sprache muss irgendein<br />
(!) Verfahren haben, um A von O zu unterscheiden.<br />
3. S fällt mit A oder O zusammen [Normalfall]: Grund: AO ist eine kausale<br />
Ausprägung von SLOC !<br />
8
Beispiel für tripartite Kasus-Markierung:<br />
Udi (Ostkaukasisch)<br />
šeno<br />
er:ABS<br />
'Er kam.'<br />
ar-i-ne<br />
kommen:PAST-PAST-3sg<br />
šet'in šet'ux beğ-i-ne<br />
er:ERG er:DAT2 sehen-PAST-3sg<br />
'Er sah ihn.'<br />
RP Form KASUS<br />
S šeno ABSOLUTIV<br />
A šet'in ERGATIV<br />
O šet'ux DATIV2<br />
Beispiel für neutrale Kasus-Markierung (Türkisch)<br />
ben<br />
ich:NOM<br />
'Ich komme'<br />
gel-iyor-um<br />
kommen-PRÄS-1sg<br />
ben ev gör-üyor-um<br />
ich:NOM Haus:NOM sehen-PRÄS-1sg<br />
'Ich sehe ein Haus.'<br />
RP FORM KASUS<br />
S ben NOMINATIV<br />
A ben NOMINATIV<br />
O ev Unmarkierter Akkusativ = NOMINATIV<br />
Der S=A bzw. S=O-Synkretismus [Synkretismus = Zusammenfall von Funktionen/Formen]<br />
Ausgangspunkt: Das nicht mit dem CAUSE-Schema verbundene S-Verhalten wird in<br />
Beziehung gesetzt zu einem der beiden Aktantentypen in einem CAUSE-Schema (A bzw. O),<br />
wobei S die Zentralität des jeweiligen Aktankten in einem CAUSE-Schema kopiert.<br />
NOTA: Jedes CAUSE-Schema ist nach Zentralität und Peripherie organisiert (sekundäre<br />
Ausnahmen möglich). Mittelbarer (!!!!) Ausdruck hiervon ist die V/H-Opposition:<br />
9
Zentrum<br />
O A A O<br />
Peripherie<br />
A-Prominenz (A im Zentrum)<br />
O-Prominenz (O im Zentrum)<br />
In Analogie zu dieser Zuordnung kann S (in S[LOC)) zentral sein wie A oder O:<br />
Zentrum<br />
LOC S LOC S<br />
Peripherie<br />
Zentrum<br />
O A A O<br />
Peripherie<br />
S=A-Prominenz (S und A im Zentrum)<br />
S=O-Prominenz (S und O im Zentrum)<br />
Faustregel: Das Zentrum ist oft unmarkiert(er) als die Peripherie [TYP: Nordwest-Iranische<br />
Sprachen]. Entscheidend aber ist, dass die Peripherie anders markiert wird als das Zentrum.<br />
Beispiel:<br />
S=A;O [lies: S ist wie A, und O ist anders]<br />
Türkisch<br />
ben<br />
ich:NOM<br />
'Ich komme.'<br />
gel-iyor-um<br />
kommen-PRÄS-1sg<br />
ben ev-i gör-üyor-um<br />
ich:NOM Haus-AKK:def sehen-PRÄS-1sg<br />
'Ich sehe ein Haus.'<br />
RP FORM KASUS<br />
S ben NOMINATIV (-Ø)<br />
A ben NOMINATIV (-Ø)<br />
O ev-i Markierter AKKUSATIV (-i)<br />
10
S=O;A [lies: S ist wie O, und A ist anders]<br />
Lezgi (Ostkaukasisch)<br />
Ali fi-zwa-y<br />
Ali gehen-IMPFER-PAST<br />
'Ali ging (war am Gehen).'<br />
Ali-di yad qʰwa-na<br />
Ali-ERG Wasser:ABS trinken-AOR<br />
'Ali trank Wasser.'<br />
RP FORM KASUS<br />
S Ali ABSOLUTIV (-Ø)<br />
A Ali-di ERGATIV (-di)<br />
O yad ABSOLUTIV (-Ø)<br />
Gegenüberstellung:<br />
S=A;O S=O;A<br />
S NOM ABS<br />
A NOM ERG<br />
Kern (unmarkiert)<br />
O AKK ABS Peripherie (markiert)<br />
Die jeweilige Peripherie begründet den Namen des Typs:<br />
S=A;O<br />
S=O,A<br />
Akkusativität<br />
Ergativität<br />
Die Kodierung der zentralen Bereiche wird in Abhängigkeit vom Typ bezeichnet:<br />
S=A in Akkusativität:<br />
S=O in Ergativität:<br />
NOMINATIV<br />
ABSOLUTIV<br />
Die Ausprägung von {S,A,O} in dem [sem;syn;pra}-Cluster (Beispiel):<br />
PRA<br />
SEM<br />
Der funktionale Raum einer<br />
RP<br />
SYN<br />
11
Die drei indirekten RPs:<br />
IO Indirect Objective Erweitert den Wirkungsraum um einen Referenten<br />
-> ADRESSAT /ADDRESSEE<br />
IA Indirect Agentive Erweitert den Ursachenraum um einen Referenten<br />
-> INSTRUMENTAL<br />
AO Agentive/Objective In einen weiteren Ursachenraum eigebetteter Referent<br />
mit AO = A-Einbettung als O und SO = S-Einbettung als<br />
O.<br />
-> CAUSEE<br />
Beispiel:<br />
A AO IO O IA <br />
Er ließ ihn der Frau das Buch mit einer Kneifzange geben.<br />
Zusammenfasssend:<br />
S=A-Dominanz<br />
IO<br />
LOC S A IA<br />
O<br />
Zentrum Lokale Peripherie Instrumentelle Peripherie<br />
S=O-Dominanz<br />
IO<br />
LOC S O A IA<br />
12
Zentrum Lokale Peripherie Instrumentelle Peripherie<br />
----- WIRD FORTGESETZT -----<br />
13
Prof. Dr. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Schulze</strong><br />
Seminar: Kasus (WiSe 07/08)<br />
Grundlagen einer onomasiologischen Kasus-Typologie - Teil 2<br />
Zur Sitzung vom 19.11.07 ( © <strong>Wolfgang</strong> <strong>Schulze</strong> 2007)<br />
1. Exkurs: Ergativität im Deutschen:<br />
Beispiel: Rektion [Kasusbindung] von nominalisierten Verben:<br />
Satz<br />
Nominalisierung<br />
Intransitiv(-Lokativ) [S[LOC]]<br />
S LOC /ref S /loc LOC<br />
die Kinder spielen=im Garten das Spielen der Kinder im Garten<br />
NOM DAT GEN DAT<br />
Transitiv:<br />
[AO]<br />
A O /ref O A<br />
der Mann schlägt die Kinder das Schlagen der Kinder durch den Mann<br />
NOM AKK GEN durch-KASUS<br />
Satz (S=A;O) Nominalisierung (S=O;A)<br />
S NOM GEN [trad. genitivus siubjectivus]<br />
A NOM durch-KASUS<br />
O AKK GEN [trad. genitivus objectivus]<br />
NOTA: Varianz der S=O-Markierung bei Nominalisierungen im Deutschen:<br />
Das Spielen des Kindes<br />
Das Spielen der Kinder<br />
Das Spielen eines Kindes<br />
*Das Spielen … Kindern<br />
* ? von dem Kind<br />
* ? von den Kindern<br />
* ? von einem Kind<br />
von Kindern<br />
Vgl.:<br />
Das Haus des Mannes<br />
Das Haus der Männer<br />
Das Haus eines Mannes<br />
*Das Haus … Männern<br />
Das Haus von dem Mann<br />
Das Haus von den Männern<br />
Das Haus vo[n de]m Mann<br />
Das Haus von Männern<br />
Keine von-Varianz im A-Bereich:<br />
Das Verschicken der Briefe durch die Post.<br />
*Das Verschicken der Briefe von der Post.<br />
1
Pseudo-Ergativität im Deutschen:<br />
S<br />
ich<br />
/S<br />
gehe<br />
'A' /O O A O<br />
vor Kälte zittere ich [die Kälte macht mich zittern]<br />
Lies:<br />
S LOC<br />
ich zittere=vor Kälte<br />
2. Zur funktionalen Distribution von Kern und Peripherie<br />
Merke: Je zentraler ein Aktant, desto relevanter wird die Semantizität seiner Rolle (als<br />
relationale Primitive); je peripherer, desto 'pragmatischer' ist die Zugangsart [vgl. <strong>Schulze</strong><br />
1998].<br />
Demnach: Die Syntax einer Ereignisvorstellung ist nach Semantizitäsaspekten profiliert<br />
(active zone à la Langacker).<br />
Active Zone:<br />
lies:<br />
Ich nehme eine Zigarette in den Mund<br />
Ich nehme [die Spitze] eine[r] Zigarette in den Mund.<br />
Der Kern(bereich) einer Ereignisvorstellung ist seine active zone.<br />
der Kernbereich ist weniger variant als der periphere (z.T. inferentielle) Bereich.<br />
Varianz in der Peripherie (Split-Typologie):<br />
In SA=-Systemen (AKK) häufig pragmatisch (semantisch) bestimmt.<br />
IN S=O-Systemen (ERG) häufig semantisch (pragmatsich) bestimmt.<br />
a) S=A;O (AKK)<br />
Der O-Bereich wird gespalten (Split-O) etwa nach:<br />
Definitheitsgrad (Türkisch, Persisch usw.)<br />
(davon abgeleitet) nach semantischen Kriterien: Eine Gruppe von Referenten wird<br />
in O anders markiert als (eine) andere (e.g. Spanisch, Russisch).<br />
2
Zum Ganzen neben vielen anderen:<br />
Bossong, Georg 1985a. Empirische Universalienforschung. Differentielle Objektmarkierung in den<br />
neuiranischen Sprachen. Tübingen: Gunter Narr<br />
Bossong, Georg 1985b. Markierung von Aktantenfunktionen im Guaraní. Zur Frage der differentiellen<br />
Objektmarkierung in nicht-akkusativischen Sprachen. In: Frans Plank (ed.), Relational Typology,<br />
Berlin, 1 - 29.<br />
Bossong, Georg 1998: Le marquage différentiel de l’objet dans les langues d’Europe, in: Jack Feuillet<br />
(ed.), Actance et valence. Berlin: Mouton de Gruyter (EALT EUROTYP 20-2), 193 - 258.<br />
Plank, Frans (ed.) 1984. Objects. Towards a Theory of Grammatical Relations, London.<br />
<strong>Schulze</strong>, <strong>Wolfgang</strong> 2000. The Accusative Ergative Continuum. General Linguistics 37: 71-155.<br />
Beispiele:<br />
a) Pragmatisch (Persisch)<br />
A O /A<br />
من سيب<br />
خريدم<br />
[man] sib xarid-am<br />
[ich] Apfel kaufen:PAST-1sg<br />
'Ich kaufte einen Apfel' [Indefinit]<br />
A O /A<br />
من سيبرا<br />
خريدم<br />
[man] sib-rā xarid-am<br />
[ich] Apfel-O:def kaufemn:PAST-1sg<br />
'Ich kaufte den Apfel.' [Definit]<br />
b) Semantisch (Russisch):<br />
[vgl. Corbett, G.G. (1980): Animacy in Russian and other slavonic languages: where syntax<br />
and semantics fail to match. In: C.V. Chvany et al. (eds.), Morphosyntax in Slavic. p. 43-61.]<br />
A /A O<br />
Я вижу стол<br />
ja viž-u stol<br />
ich sehen:PRES-1sg Tisch(:AKK:sg:m)<br />
'Ich sehe den/einen Tisch.'<br />
A /A O<br />
Я вижу комнату<br />
ja viž-u komnat-u<br />
ich sehen:PRES-1sg Zimmer-AKK:sg:f<br />
'Ich sehe ein/das Zimmer.'<br />
A /A O<br />
Я вижу человека<br />
ja viž-u čelovek-a<br />
ich sehen:PRES-1sg Mensch-GEN:sg:m<br />
'Ich sehe einen/den Menschen.' [+mask;+hum]<br />
3
[NOTA: Im Russischen Tendenz zur Verwendung des AKK/GEN-Splits auch bei mass nouns<br />
(Massennomina) zur Unterscheidung von Definit/Indefinit):<br />
A /[A] IO O<br />
Я послал тебе деньги.<br />
ja poslal tebe den'gi<br />
ich:NOM senden:PAST:sg:m du:DAT Geld(:AKK):pl<br />
'Ich sandte dir das Geld.'<br />
Я послал тебе денег.<br />
ja poslal tebe deneg<br />
ich:NOM senden:PAST:sg:m du:DAT Geld:GEN:pl<br />
'Ich sandte dir Geld.']<br />
[Merke:<br />
A O & O<br />
Он увидел звёзд и звёзды<br />
on u-vid-el zvjozd i zvjozd-y<br />
er:NOM PV-sehen-PAST:sg:m Star:GEN:PL und Stern-PL(:AKK)<br />
'Er erblickte Stars und Sternchen.']<br />
Analog Spanisch:<br />
/A<br />
O<br />
veo la casa<br />
sehen:PRES:1sg ART:f:sg Haus<br />
'Ich sehe das Haus.'<br />
/A<br />
O<br />
veo a la mujer<br />
sehen:PRES:1sg DAT ART:f:sg Frau<br />
'Ich sehe die Frau.' [+hum]<br />
Vgl.<br />
[REFL:S] /S LOC<br />
[me] voy a la casa<br />
[mich] gehen:PRES:1sg DAT ART:f:sg Haus<br />
'Ich ging zum Haus.'<br />
Basis für Split-O (hier):<br />
Russisch Spanisch Persisch<br />
GEN < PARTITIV DAT < ALL 'AKK' < DAT<br />
< Teilweise Betroffenheit < Annäherung < Annäherung (~ rāh 'Weg')<br />
[Honorifics] [honorifcs] [Definitheit ~ Honorifics]<br />
4
) S=O;A (ERG)<br />
Der A-Bereich wird gestaltet (Split-A) nach Graden der Agentivität (seltener).<br />
Beispiele:<br />
Eine Gruppe von Referenten in A-Funktion wird anders kdoiert als eine andere<br />
Gruppe (semantisch).<br />
Oder: A-Referenten werden nach Graden der 'Realisierung' einer<br />
Ereignisvorstellung gruppert (modal/pragmatisch).<br />
a) Semantisch (Tsakhur, Ostkaukasisch Lezgisch West-Samur)<br />
A O /O<br />
adam-e: yig ale-b-t’-<br />
Mann-ERG:HUM Brücke(III):ABS zerstören-III-LV-PAST<br />
‘Der Mann zerstörte die Brücke.’<br />
dama-n yig ale-b-t’-<br />
FLuss-ERG:-HUM Brücke(III):ABS zerstören-III-LV-PAST<br />
‘Der Fluss zerstörte die Brücke.’<br />
b) Modal/Pragmatisch (Tsez, Ostkaukasisch Tsezisch)<br />
A /[O] Fleisch<br />
nes-a: r-ac’-xo reł<br />
er-ERG IV-essen-PRES Fleisch(IV):ABS<br />
'Er isst Fleisch.'<br />
nes-iq r-ac’-eł-xo reł<br />
er-LOC IV-essen-POT-PRES Fleisch(IV)<br />
'Er kann Fleisch essen.'<br />
3. Basale Split-Typologie<br />
a) Zwei Klassen:<br />
Semantisch: Ein referentielles Verhalten wird über die sprecher-unabhängige<br />
Zuordnung des Referenten zu einer spezifischen semantischen Klasse:<br />
Beispiel:<br />
Klasse 1<br />
Klasse2<br />
Human<br />
Nicht-human<br />
Belebt<br />
Nicht-belebt<br />
Maskulin Nicht-maskulin usw.<br />
5
Pragmatisch: Ein refrentielles Verhalten wird über die vom Sprecher entschiedene,<br />
temporäre Zuordnung des Referenten zu einem Informationstyp festgelegt:<br />
Beispiel:<br />
Terminologie:<br />
Typ1<br />
Typ2<br />
Definit<br />
Indefinit<br />
Kontrollierend Nicht-kontrollierend (i.w.S.d.W.)<br />
Given Topic New Topic<br />
Höflich Familiär usw.<br />
X-Split<br />
Generell<br />
Split-X<br />
Fluid-X<br />
Semantisch<br />
Pragmatisch<br />
Also (Beispiel, hier mit 'X' = O):<br />
O-Split<br />
Split-O<br />
Fluid-O<br />
Generelles Verfahren zur Spaltung von O<br />
Semantisches Verfahren des O-Split<br />
Pragmatisches Verfahren des O-Split<br />
Analog (mit 'X' = A):<br />
A-Split<br />
Split-A<br />
Fluid-A<br />
Generelles Verfahren zur Spaltung von A<br />
Semantisches Verfahren des A-Split<br />
Pragmatisches Verfahren des A-Split<br />
Über A und O hinaus kann jede relationale Primitve einfach oder (seltener) mehrfach<br />
gespaltet werden. Hier als Beispiel:<br />
S-Split (auch (horribile dictu) 'Aktiv-Typologie' genannt)<br />
Zitiersprachen e.g. Lakotha, Aceh, Bats, Guaraní usw.<br />
meist über 'verbale Kasus' realisiert, seltener mit Kasus.<br />
Sowohl Spit als auch Fluid.<br />
S wird entweder wie A oder wie O kodiert (AKK/ERG-Kreuzung)<br />
6
Beispiel (Tabasaran, Ostkaukasisch Lezgisch Ost-Samur)<br />
S LOC /S<br />
uzu allah-i-x-na gär-za.<br />
ich:ABS Gott-SA-ADESS-ALL gehen:PRES-ich/ERG:A>S<br />
'Ich gehe zu Gott.'<br />
/S<br />
haz bizar šul-qa-zu<br />
warum müde sein:DUR-FUT-ich:ABS/S<br />
'Warum soll ich müde sein?'<br />
Funktionen (Auswahl)<br />
Schematisch:<br />
S(>O)<br />
S(>A)<br />
Unkontrolliert Kontrolliert FLUID<br />
Unbeabsichtigt Beabsichtigt FLUID<br />
Ubbelebt Belebt SPLIT<br />
Nicht human Human SPLIT<br />
S A S O LOC<br />
A<br />
O<br />
Zeichenerklärung: X > Y (mit X, Y irgendeine relationale Primitive):<br />
' > ' zeigt an, dass ein eigentlich einer RP 'X' zugewiesener Referent sich wie ein<br />
Referent in 'Y'-Funktion verhält.<br />
Also: S>O Ein S verhält sich / wird kodiert als O<br />
S>A Ein S verhält sich / wird kodiert als A usw.<br />
Zum S-Split immer noch maßgeblich (!):<br />
DeLancey, Scott 1981. An interpretation of split ergativity and related patterns. Language<br />
57.3:626-57.<br />
DeLancey, Scott 1985. On active typology and the nature of agentivity. F. Plank, ed.,<br />
Relational Typology. Berlin: Mouton.<br />
Nota: Ein A kann sich auch wie S verhalten, etwa (mit pu => S=O). Hier ein Beispiel mit<br />
verbalen Kasus (Agreement) [Yimas, Papua, Lower Sepik, vgl. Foley 1991:201,205]:<br />
7
pu-ka-tay<br />
3pl:O-1sg:A-sehen-PERF<br />
'Ich sah sie (pl.)'<br />
pu-na-tay<br />
3pl:A>S-1sg:O-sehen:PERF<br />
'Sie sahen mich.'<br />
Zum Ganzen: Gerstner-Link, Claudia 2002. Moving the actants: Degrees of agency in<br />
Yimas. Studies in Language 26, 2: 433-468.<br />
Endozentrik vs. Exozentrik:<br />
Ein Split ist endozentrisch, wenn die alternative Kodierung eines Referenten sich wie die eines<br />
anderen Referent innerhalb der {S,A,O}-Typologie verhält.<br />
Beispiel:<br />
A wird kodiert wie S<br />
S wird kodiert wie O<br />
O wird kodiert wie S usw.<br />
Ein Split ist exozentrisch, wenn die alternative Kodierung eines Referenten auf Kasus etc.<br />
zurückgreift, die sonst nicht innerhalb der {S,A,O}-Typologie erscheinen.<br />
Beispiel:<br />
A wird kodiert wie LOC<br />
O wird kodiert wie LOC<br />
usw.<br />
4. Der IO-Bereich<br />
Der IO-Bereich ist in vielen Sprachen hybrid: er teilt mit A Eigenschaften der prototypischen<br />
Zordnung zu Animata/Humana, mit O die Integration in den Wirkungsbereich.<br />
A /A IO O<br />
Ich gebe der Frau das Buch.<br />
* ? ich gebe dem Stein Wasser.<br />
Primärer und sekundärer IO-Bereich (auch: primary and secondary datives/objects)<br />
Zum Ganzen vgl. u.a.<br />
Dryer, M. 1986. On Primary Objects, Secondary Objects and Antidative. Language 62, 808-<br />
845.<br />
Aristar, A.R. 1996. The Relationship between Dative and Locative: Kuryłowicz’s Argument<br />
from a Typological Perspective. Diachronica 13, 207-224.<br />
Maling, J. 2001. Dative: The Heterogeneity of the Mapping Among Morphological Case,<br />
Grammatical Functions, and Thematic Roles. Lingua 111, 419-464.<br />
Marantz, A. 1993. Implications of Asymmetries in Double Object Constructions, in S.A.<br />
Mchombo (ed.), Theoretical Aspects of Bantu Grammar, CSLI Publications, 113-150.<br />
8
Problem: Wie verhält sich IO kasusbezogen gegenüber O ?<br />
Bestimmunsggröße: Ditransitive Konstruktionen (geben-Verben usw.)<br />
Deutsch:<br />
A IO O<br />
Ich gebe der Frau ein Buch<br />
Ich schlage den Hund<br />
NOM DAT AKK<br />
Aber:<br />
<br />
A IO/O O<br />
Ich gebe der Frau ein Buch<br />
Ich helfe der Frau<br />
NOM DAT AKK<br />
Wenn DAT O in einfachen Transitiva und IO in Ditransitiva kodiert "Primary<br />
Object" (Beispiel 1);<br />
Wenn DAT nur IO in Ditransitiva, AKK aber O in (di)Transitiva "Secondary<br />
Object" (Beispiel 2).<br />
Typologie (O 1 = O in Transitiva, O 2 = O in Ditransitiva):<br />
Primary Secondary Neutral Tripartite<br />
O 1 A A A A<br />
O 2 B A A B<br />
IO B B A C<br />
[A, B, C sind Kürzel für Kodierungsformen, e.g. Dativ vs. Akkusativ usw.]<br />
IO kann sich auch als Verhaltensmuster eines zentralen Aktanten darstellen (Inverse<br />
Constructions): Dabei sind IO-Aktanten meist peripher, dann aber sekundär zentiert.<br />
Beispiel: IO /[S] [S] []<br />
mir ist [es] kalt<br />
Lies: S>IO /# [mit '#' = 'unpersönliches Agreement']<br />
Vgl. A O<br />
j' ai froid [Französisch]<br />
ich haben:PRES:1sg kalt<br />
S<br />
ich<br />
S>IO<br />
mir<br />
<br />
friere<br />
<br />
ist=kalt<br />
9
5. Erste Annäherung an eine <strong>Kasustypologie</strong> (Relationale Primitive hier ohne LOC) im<br />
Deutschen<br />
Hier nur DEFINIT:<br />
ART-KASUS NOMEN[-KASUS]<br />
M F N PL<br />
S=A;O S=A=O S=A=O S=A=O<br />
S d-er d-ie d-as d-ie<br />
A d-er d-ie d-as d-ie<br />
O d-en d-ie d-as d-ie<br />
AO d-en d-ie d-as d-ie<br />
IO d-em d-er d-em d-en [-n]<br />
IA mit d-em mit d-er mit d-em mit d-en [-n]<br />
Ergo: Die zentralen Rollen S, A und O (sowie AO) werden im Deutschen morphologisch nur<br />
im Maskulin/Singular unterschieden (hier S=A;0).<br />
<br />
<br />
Morphologisch steht der Dativ gegen die unmarkierte Form.<br />
Im Deutschen also Ansätze eines diptotischen (zweier-) Systems:<br />
For Nicht-Maskulina/Singular gilt:<br />
{S, A, O, AO}<br />
unmarkiert<br />
'NOM'<br />
{IO, IA}<br />
markiert<br />
'DAT'<br />
NOTA: Eine Form ist nur dann eine Kasus-Form, wenn ihr im selben Paradigma eine andere<br />
Form gegenüber steht!<br />
Markierung von S, A und O [im Deutschen] im Zusammenhang:<br />
KASUS AGR Wortstellung Globaler<br />
Kasusname<br />
M F N PL<br />
S + - - - + [+] NOM<br />
A + - - - + [+] NOM<br />
O + - - - - [+] AKK<br />
10
Personalpronomina (Anapher analog zu Nomina!):<br />
1Sg 2Sg 1Pl 2Pl<br />
S ich du wir ihr<br />
A ich du wir ihr<br />
O m-ich d-ich uns euch<br />
AO m-ich d-ich uns euch<br />
IO mir d-ir uns euch<br />
1 2 3<br />
Singular: Triptotisch (Dreier-)System: S=A; O=AO; IO<br />
Plural Diptotisch (Zwei-)System: S=A; O=AO=IO<br />
SCHMEATISCHE DARSTELLUNG DER RP-Kodierung qua Kasus im Deutschen:<br />
Maskulina Nomina, singulare Personalpronomina und maskuline Anapher:<br />
S [LOC]<br />
A O<br />
IA AO IO<br />
Nicht-Maskulina Nomina und Anaphern (sowie Pluralia):<br />
S [LOC]<br />
A O<br />
IA AO IO<br />
11
Plurale Personalpronomina<br />
S [LOC]<br />
A O<br />
IA AO IO<br />
-- Wird fortgesetzt --<br />
12
Prof. Dr. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Schulze</strong><br />
Seminar: Kasus (WiSe 07/08)<br />
Grundlagen einer onomasiologischen Kasus-Typologie - Teil 3<br />
Zur Sitzung vom 03.12.07 ( © <strong>Wolfgang</strong> <strong>Schulze</strong> 2007)<br />
[Alle Graphiken © W. <strong>Schulze</strong> 2007]<br />
1. Objektsvorstellungen und ihre Lokalität<br />
Definition: Jeder Referent () in einer Ereignisvorstellung wird als mehr oder minder dreidimensionale Struktur<br />
verarbeitet (Basis: Visuelle, weniger prononciert auditive Perzeption; taktile Motorik, MOTION (Bewegung)).<br />
y<br />
z<br />
x<br />
Die Dimensionen Länge, Höhe, Breite ergeben sich aus der Art der Wahrnehmung (und damit Konstruktion) eines<br />
'Objekts' und den 'geometrischen Vorgaben' der 'Welt':<br />
1<br />
In frontaler Betrachtung oder in zweidimensionalen Abbildungen eines 'Objekts' wird die 'Tiefe' (< 'Länge') eines<br />
'Objekts durch die Kognition (re-)konstruiert. Folge: 'Tiefe' und ihre Eigenschaften sind oftmals nur über Inferenzen<br />
zugänglich (Inferenz: Schlussfolgerungen 'Hineintragen'), hier Eigenschaftsvermutungen, die sich nicht nur aus dem<br />
Objekt selbst ergeben, sondern auch aus seiner Situierung, einem Ko(n)-Text usw.). Standardbeispiel: 'Rückseite<br />
des Mondes'.<br />
Jedes 'Objekt' wird in der Vorstellung konstruiert als mit einer ihr typischen Region versehen: Diese Region ist<br />
Teil des Objekts.<br />
Beispiel: Region eines 'Menschen' definiert sich (kulturspezifisch) etwa über den Raum, den ein Individuum<br />
'(be)greifen' kann:
'Region'<br />
'Objekt'<br />
[Konturen des Bildes 'Mensch' modelliert nach http://www.x3dgrafik.de/d/cad/geometrie.html]<br />
'Objektskonstruktionen' (d.h. die standardmäßige Vorstellung von Objekten) haben oftmals intrinsische lokale<br />
Eigenschaften, die selbst wieder als 'objektiv gegeben' verstanden werden. [Wdh: Intrinisch = "von innen her<br />
kommend“. Intrinsische Eigenschaften gehören zum Gegenstand selbst und machen ihn zu dem, was er ist"<br />
(Wikipedia)]. Gegensatz: Extrinsisch (von außen, d.h. nicht vom 'Objekt' her festgestellte/zugewiesene Qualität).<br />
Beispiel:<br />
Stuhl hat ein 'Vorne', weil der hintere Teil durch eine 'Lehne<br />
definiert' ist. Da der Stuhl so 'von sich aus' nach vorne 'schaut', hat er<br />
auch 'von sich aus ein 'links und ein 'rechts' und ein 'hinten'. Die<br />
vertikale Achse (bestimmt durch Analogie zum humanen Wahrnehmer)<br />
identifiziert ein 'oben' und 'unten'<br />
2<br />
Extrinsische Lokalisierungen werden von einem Wahrnehmer bzw. einem gedachten 'Stellvertreter' (ein anderes<br />
'Objekt') erreicht. Beispiel:<br />
Der Hammer ist hinter dem Ball (intrinsisch)<br />
{Lies: Der Hammer ist 'in' der hinteren Region des Balls}<br />
Der Hammer ist vor dem Ball (extrinsisch)<br />
{lies: Der Ball ist vor mir (intrinsisch) und weiter vorn ist der Hammer}<br />
Extrinsik ist also die Einbettung der lokalen/regionalen Faktoren eines Objekts in die Intrinsik des<br />
Wahrnehmenden/Konstrukteurs.
Merke: Je geringer die Eigengestalt eines Objekts profiliert ist, desto eher wird extrinsisch hierauf Bezug<br />
genommen:<br />
Beispiel:<br />
'Parke hinter dem Baum!' (intrinsisch)<br />
'Parke vor dem Baum!' (extrinsisch)<br />
Wichtig: Vorne/Hinten wird auch durch 'Überlappung' kategorisiert, wobei gilt: Das Überlappte ist eher hinten, das<br />
Überlappende eher vorne:<br />
'Der Hammer ist vor dem Ball.'<br />
'Der Hammer ist (wohl) hinter dem Ball.'<br />
Folge (s.o.): Das 'Überlappte' ist weniger sichtbar > referentiell zugänglich als das Überlappende.<br />
Basis: Räumliche Figure-Ground-Beziehung<br />
3<br />
Figure<br />
Abgegrenzter<br />
Kleiner<br />
Profilierter<br />
Zentraler<br />
Ground (wenn sichtbar)<br />
Weniger abgegrenzt<br />
Größer<br />
Weniger profiliert<br />
Peripherer<br />
Weitere Eigenschaften von Objektsvorstellungen: Active Zone (Langacker):<br />
Die profilierten Teile (active zones) einer Objektsvorstellung sind für die Lokalisierung maßgeblich.<br />
'Der Ball auf dem Stuhl.' {lies: auf der Sitzfläche des Stuhls}<br />
Active Zone<br />
' ? Der Ball ist auf dem Stuhl.'<br />
{Lesart ohne active zone}
2. Lokalisierung mittels Kasus<br />
Lokalisierung bedeutet immer die lokale Inbeziehungsetzung von zwei Referenten ().<br />
Daraus folgt: Jede Lokalisierung ist eine zwei-stellige Relation.<br />
Basisschema: Figure Ground (FG)<br />
Lokalisierung: Trajector Landmark (TrLm)<br />
Beispiel:<br />
Ball auf Stuhl<br />
Die lokale Relation kodiert:<br />
1. Die intrinsischen/extrinsischen Räume einer Objektsvorstellung<br />
2. Die 'Zugangsart' eines Trajectors zu dieser Objektsvorstellung (Landmark)<br />
Beispiel:<br />
Den Ball rollt ins Tor.<br />
4<br />
Zugangsart<br />
Intrinsisch/extrinsischer Raum<br />
Vier basale Typen der Zugangsart ('Kasus'):<br />
1. Essiv (Zustand) [ESS] Der Ball ist im Tor.<br />
2. Lativ (Begwegung)<br />
2a. Allativ (hin zu) [ALL] Der Ball ins Tor.<br />
2b. Ablativ (weg von) [ABL] Der Ball rollt aus dem Tor.<br />
2c. Translativ (durch) [TRANS] Der Ball rollt durch das Tor.<br />
Eine Reihe von Lokalsierungen in der Region des Landmark ('Serien') / Zahl ist sprachabhängig.
Beispiel:<br />
ÜBER<br />
HINTER<br />
AUF<br />
IN<br />
AN<br />
NEBEN<br />
UNTER<br />
VOR<br />
NOTA: Der Raum zwischen 'Objekt' und Wahrnehmer ist stärker segmentiert als der 'hinter' (und 'unter') dem<br />
Objekt, weil er visuell zugänglicher ist (Der 'Hinter-/Unterbereich ist der 'Schatten der Wahrnehmung'). Analoges<br />
gilt für den IN-Bereich, wenn das 'Objekt' kein 'offener' Container ist (e.g. Massen):<br />
5<br />
In dem Buch sind zwei Bilder. In dem Buch sind (wohl) Bilder. Hinter dem Haus ist (wohl) ein Garten.<br />
Terminologisch (Auswahl):<br />
'in'<br />
IN<br />
'auf'<br />
SUPER<br />
'über'<br />
SUPRA<br />
'unter' SUB<br />
'unterhalb' INFRA<br />
'vor'<br />
ANTE<br />
'an'<br />
AD<br />
'hinter' POST<br />
'neben' IUXTA<br />
'zwischen' INTER [nota: INTER verlangt immer mindestens zwei Referenten als Landmark!]<br />
Prinzipiell verbinden sich Kasus immer mit Serien (gewöhnlich Kasus vor Serie, wenn Suffix-agglutinierend und<br />
Serie-Kasus, wenn Präfix-agglutinierend).
KASUS<br />
Hier als Beispiel Suffix-agglutinierend (Morpheme nur symbolisch angezeigt):<br />
SERIEN<br />
IN SUPER SUPRA SUB INFRA ANTE AD POST IUXTA INTER<br />
-q- -r- -s- -t- -u- -v- -w- -x- -y- -z-<br />
ESS -a -q-a -r-a -s-a -t-a -u-a -v-a -w-a -x-a -y-a -z-a<br />
ALL -b -q-b -r-b -s-b -t-b -u-b -v-b -w-b -x-b -y-b -z-b<br />
ABL -c -q-c -r-c -s-c -t-c -u-c -v-c -w-c -x-c -y-c -z-c<br />
TRANS -d -q-d -r-d -s-d -t-d -u-d -v-d -w-d -x-d -y-d -z-d<br />
Etwa: -r-c = von über <br />
-w-b = an heran<br />
-x-d = hinter vorbei / hinten durch hindurch usw.<br />
Beispiel: Lokalisierung im Aghul (Ostkaukasisch Lezgisch Ostsamur)<br />
AD ANTE POST SUB SUPER SUPRA IN INTER<br />
-w -h -q -k: -k -l -’ -g<br />
ESS -Ø -f -h -q -k: -k -l -’ -g<br />
ALL -di -f-di -h-di -q-di -k:-di -k-di -l-di -’-di -g-di<br />
ABL -as -f-as -h-as -q-as -k:-as -k-as -l-as -’-as -g-as<br />
a. ħur-i-q-di<br />
village-SA-POST-ALL<br />
‘Towards behind the village’<br />
6<br />
b. ħur-i-’-as<br />
village-SA-IN-ABL<br />
‘From inside the village’<br />
c. ħur-i-h-Ø<br />
village-SA-ANTE-ESS<br />
‘In front of the village’<br />
[SA = Stamm-Augment]<br />
Vgl.: Kasus und Serien im Deutschen<br />
IN SUPER SUPRA SUB<br />
ESS in + DAT auf + DAT über + DAT unter + DAT<br />
ALL in + ACC auf + ACC über + ACC unter + ACC<br />
ABL aus + DAT von auf + DAT von über + DAT von unter + DAT<br />
TRANS durch…hindurch über + ACC hinweg über + ACC hinweg unter + ACC hindurch<br />
INFRA ANTE AD POST<br />
ESS unterhalb + GEN vor + DAT an + DAT hinter + DAT<br />
ALL unterhalb + GEN + hin vor + ACC an + ACC hinter + ACC<br />
ABL von unterhalb + GEN von vor + DAT von an + DAT von hinter + DAT (hervor)<br />
TRANS unterhalb + GEN hindurch vor + DAT vorbei an + DAT vorbei hinter + DAT vorbei
AD [-cnt] 1 IUXTA INTER<br />
ESS bei + DAT neben + DAT zwischen + DAT<br />
ALL ---- neben + ACC zwischen + ACC<br />
ABL ---- von neben + DAT von zwischen + DAT<br />
TRANS ---- neben + DAT vorbei zwischen + DAT hindurch<br />
1 [cnt] = [contact], hier [-cnt] = 'ohne Kontakt'<br />
Die relational-lokalen Kasus-Markierungen des Deutschen:<br />
ESS Ø + DAT<br />
ALL Ø + ACC<br />
ABL von/aus + DAT<br />
TRANS durch/... + ACC<br />
NOTA: ESS und ALL fungieren im Deutschen autonom (ohne Serien-Marker) nur in ihrer Metaphorisierung als<br />
Kodierung relationaler Primitiven: DAT > IO; AKK > O.<br />
ABL (von + DAT) und (eingeschränkt) TRANS (durch + AKK) fungieren auch ohne Serien-Spezifikation (><br />
generalisierte Serien)<br />
Der IN:ABL (‚Elativ‘) ist im Deutschen in einer Form verpackt (aus), kopiert aber mit DAT den generellen<br />
ABL.<br />
Generell gilt: Der lokale Kasus bezieht sich primär auf den Trajector, die lokale Serie primär auf den Landmark,<br />
etwa (hier Präfix-agglutinierend):<br />
Tr KASUS - SERIE- Lm<br />
7<br />
In vielen Sprachen verschmelzen Kasus/Serie häufig zu einer Repräsentation oder Serien oder Kasus fallen<br />
zusammen.<br />
Der MOTION-Aspekt ('Kasus') kann ebenso wie der Lm-bezogene Lokalisierungsaspekt ('Serien') im Verb<br />
angezeigt werden, e.g. mittels Präverbien.<br />
Der MOTION-Aspekt ('Kasus') wird eher kasuell markiert, während 'Serien' häufiger über Präpositionen,<br />
Postpositionen oder die Lexik des Verbs (Path Conflation) aufgefangen werden.<br />
Vgl. Deutsch:<br />
[Nota: Path Conflation: Die Verschmelzung eines lokalisierenden Aspekts mit der verbalen Semantik in<br />
einem nicht analysierbaren lexikalischen Ausdruck, e.g. English enter = Dt. hinein=gehen)].<br />
Tr<br />
Lm<br />
Die Frau geht in d-en Garten.<br />
SERIE<br />
KASUS<br />
Tr<br />
Lm<br />
Die Frau ist in d-em Garten.<br />
SERIE<br />
KASUS
SERIEN sind (alternativ):<br />
1. Eigen-relational:<br />
F G<br />
Tr LOC Lm<br />
die Frau in dem Garten<br />
2. An die Relationalität des Verbs gebunden:<br />
3. Referentiell (meist postpositional):<br />
F G<br />
Tr VERB/LOC Lm<br />
die Frau geht=in den Garten<br />
F G 2 G 1 [Udisch]<br />
Tr Lm 2 Lm 1<br />
otağ üğ-e oq'- -a<br />
Zimmer Dach-GEN unter- -LOC<br />
{Lies: Das Zimmer im Untrigen des Hauses}'<br />
Nota:<br />
1. Referenz-basierte ('nominale') Postpositionen repräsentieren einen 'Serien-Raum' als abstrakte<br />
'Objektvorstellungen'.<br />
2. Präpositionen sind (eher) relational ('verboid'/adverbial).<br />
Schematisch:<br />
8<br />
REL<br />
REF<br />
PRÄ + -<br />
POST - +<br />
Also: Deutsch:<br />
Die Frau geht=in d-en Garten.<br />
Lies: Die Frau geht=innend in=Richtung=auf Garten.<br />
Udisch:<br />
čubux tanesa bağ-un bo- -š<br />
Frau gehen-3sg-$:PRES Garten-GEN in- -ALL<br />
Lies: Die Frau geht des Gartens Innigkeit- -in=Richtung=auf<br />
- Wird fortgesetzt -
LMU München - Institut für Allgemeine und Typologische Sprachwissenschaft<br />
Seminar Kasus<br />
Prof. Dr. W. <strong>Schulze</strong><br />
Schriftführerin: Verena Ross<br />
Protokoll der Sitzung vom 26.11.07<br />
Diathese - Passiv – Antipassiv – Ergativität<br />
Passiv: (S=)A [Zentrum]; O [Peripherie] > O > S [Zentrum] mit A > LOC [Peripherie]<br />
Antipassiv: (S=)O [Zentrum]; A [Peripherie] > A > S [Zentrum] mit O > LOC [Peripherie]<br />
Diathese bedeutet daher (auch der Wortbedeutung nach) eine „Verschiebung“, Zentrum und<br />
Peripherie werden vertauscht.<br />
Akkusativ - Passiv<br />
Peripherie X 2 bzw. O (Akk bzw. Dat./ -Agr)<br />
Zentrum<br />
Agr<br />
O > S<br />
A > Loc<br />
X 1 bzw. A (Nom/+Agr/Word order)<br />
Beispiel: Der Hund wird vom Mann gesehen.<br />
‣ Agreement<br />
‣ ABL-GEN<br />
‣ Positionierung vorne ‣ Satzglied wird fakultativ<br />
Schema des neu entstandenen Satzes: X (Y), es kommt also zu einer<br />
Intransitivierung. Das Paradigma entspricht dem eines intransitiven Satzes:<br />
O > S<br />
A > LOC<br />
entspricht einem intransitiven Paradigma<br />
Ein Passiv ist aber oft morphologisch markierter als das dazugehörige Aktiv, z.B. lat. amat –<br />
amatur; dt. ich sehe – ich werde gesehen. Dies liegt an der Umstellung, denn vergleicht<br />
man das Diagramm, so muss sich auch die Richtung des Pfeiles drehen, der Blickwinkel ist<br />
jetzt andersherum. Daher braucht man zusätzlich einen Diathesenmarker.<br />
Passivierung von Instransitiva ergeben (im Deutschen) inpersönliche Passiva, (S) wird<br />
fakultativer Vordergrundsanzeiger, z.B. es wird gegangen.<br />
In der Diskursorganisation hat das Passiv die Funktionen, das A manchmal nicht genannt<br />
werden soll, die Autorenschaft wird verborgen, z.B. „Der Mann wurde ermordet.“<br />
1
Ergativ – Antipassiv<br />
Peripherie<br />
Zentrum<br />
Agr<br />
X 1 bzw. A (Erg/ -Agr)<br />
A > S<br />
O > Loc<br />
X 1 bzw. O (Abs/+Agr/ggf. Word order)<br />
Formale Mittel können auf ihre Markiertheit bestimmt werden (vorne markiert –<br />
hinten unmarkiert), bei Lexikon kann man dies jedoch nie 100%ig vorraussagen oder<br />
einem Element zuordnen, obwohl es Elemente gibt (Ich, +hum) die prototypisch im<br />
Vordergrund stehen.<br />
Bei ergativischen Strukturen ist die Wortstellung weniger signifikant. Tendenziell (!!)<br />
kann man sagen, dass Akkusativität vermehrt durch Wortstellung, Ergativität vermehrt<br />
durch Kasus ausgedrückt wird.<br />
Das Agreement kann auch in ergativischen Strukturen akkusativisch ausgerichtet sein.<br />
Der LOC ist eigentlich bei S immer da, obwohl man ihn vernachlässigen kann, z.B.<br />
Ich gehe (nach Hamburg).<br />
sterben ist ein transitives Verb, oft stellt es morphologisch das Passiv von töten dar.<br />
(Frage: sterben woran?). Diese Verben werden als sog. ‚labile Verben’ bezeichnet.<br />
Beispiel: Aghul (Ostkaukasus)<br />
Zun k’eya tul’<br />
Zun k’eya<br />
Ich töte den Wolf.<br />
Ich sterbe.<br />
Antipassiv:<br />
Die Lesart des Antipassivs wäre in etwa: O (im Zentrum) bewirkt von A (in der Peripherie).<br />
Umstellung: A als Ursachenbereich rückt ins Zentrum, daher braucht man auch hier<br />
Diathesenamarker!<br />
Beispiel Bežta (Ostkaukasus)<br />
is-t:i ɬi ǧaralca<br />
Bruder-ERG Wasser-ABS bringen: PRÄS<br />
is q w anca<br />
Der Bruder bringt Wasser<br />
Der Bruder kommt.<br />
is ɬi-d ǧarol-da-c<br />
(S>LOC)<br />
Bruder-ABS Wasser-LOC bringen: PRÄS-ANTIPASS<br />
Der Bruder bringt des Wassers (Part.).<br />
Antipassiva werden im Diskurs meistens entweder<br />
- als durativ-habituell,<br />
- als imperfektiv oder<br />
- als Typisierung des Agens<br />
gelesen. Der oben zitierte Satz wäre dann so zu lesen: „Der Bruder ist ein Bringer, einer, der<br />
typischerweise Wasser bringt.“ (O ist dann indefinit). Etwas schwieriger wird dies mit<br />
definiten Aussagen wie „Der Vater kauft das Pferd“, aber mit Zahlen: „Der Vater ist ein<br />
Drei-Pferde-Käufer; einer, der typischerweise/ gewöhnlich drei Pferde kauft.“<br />
2
a|<br />
Versuch einerNachahmung von Ergativität im Deutschen<br />
Ergativität kann hier nur nachgeahmt werden, im Deutschen gibt es keine<br />
grammatikalisierten Ergative.<br />
ACC: Der Glöckner [A]:NOM:AGR läutet die Glocken [O]:ACC:-AGR<br />
PASS: Die Glocken [O>]: NOM:AGR werden geläutet vom Glöckner [A]:ABL:-AGR<br />
(fakultativ)<br />
ERG: *Durch den Glöckner [A]:ERG:-AGR läuten die Glocken [O]:ABS:AGR.<br />
ANTIP: Der Glöckner [A>S]:ABS:AGR läutet im Bezug/ Richtung auf die Glocken [O]:LOC:-<br />
AGR.<br />
Bei der Grammatikalisierung zwischen Passiv und Ergativ darf sich an den Formen nichts<br />
ändern, hieraus lässt sich erkennen, ob die Ergativität aus einem Passiv entwickelt ist oder<br />
nicht. (Oft gibt es auch in ergativischen Verben einen ehem. Passivmarker.) Im Beispiel des<br />
Deutschen ändert sich der Kasus des Glöckners und die Diathese des Verbs.<br />
Beispiel Georgisch (Südkaukasus)<br />
K’ac-i cʼeril-s cʼer-Ø-s.<br />
Mann Brief-Dat schreiben.<br />
K‘ac-ma cʼeril da-cʼer-a.<br />
Mann-Erg Brief schreiben.<br />
K’ac-i cʼeril-s cʼer-AP-AGR.<br />
Präsens (Akkusativ)<br />
Past (wirkungsorientert (Ergativ)<br />
Past, Antipasiv (durativ)<br />
Das aus der ergativischen Struktur entwickelte Antipassiv gleicht wiederum dem<br />
Akkusativ, es wird ebenfalls präsentisch gelesen.<br />
Dies gab es auch im frühen Indogermanischen (und Sumerisch)<br />
3
Quelle: BILD 10.12.07<br />
Nach Angaben der Polizei erschoss am frühen Morgen ein Unbekannter in einem Wohnheim<br />
bei Denver zwei angehende Missionare. Stunden später eröffnete ein Mann auf dem Parkplatz<br />
einer Kirche im gut 100 Kilometer entfernten Colorado Springs das Feuer auf Gläubige. Ein<br />
Mensch starb, vier weitere wurden verletzt, bevor ein Wachmann den Schützen tötete.<br />
Hinweise auf einen Zusammenhang mit der Tat in Denver gebe es zunächst nicht, sagte<br />
ein Polizist in Colorado Springs dem US-Sender CNN. Auszuschließen sei es aber nicht,<br />
dass es sich in beiden Fällen um den selben Täter handele.<br />
Zum Zeitpunkt des Schusswechsels befanden sich nach Angaben des Pastors der New Life<br />
Church in Colorado Spings, Brady Boyd, rund 7000 Gläubige in dem riesigen Gemeindehaus.<br />
Boyd gegenüber CNN: „Viele, viele Leben wurden in unserer Kirche durch die schnelle<br />
Reaktion einiger engagierter Helfer gerettet.“<br />
Nach Polizeiangaben wurde der Täter auf dem Parkplatz vom Mitarbeiter einer privaten<br />
Sicherheitsfirma erschossen, nachdem er das Feuer auf Besucher der Kirche eröffnet hatte.<br />
Hinweise auf ein mögliches Motiv des Mannes lagen zunächst nicht vor.<br />
Einige der Verletzten schwebten nach Angaben des Polizeichefs von Colorado Springs,<br />
Richard Myers, in der Nacht noch in lebensbedrohlichem Zustand. Außerdem seien in der<br />
Kirche „verdächtige Gegenstände“ gefunden worden. Einzelheiten nannte er jedoch nicht.<br />
Ein Sprecher der Polizeibehörde teilte mit, dass man die Ankunft von Ermittlern aus<br />
Denver erwarte, um einen möglichen Zusammenhang der beiden Bluttaten abklären zu<br />
können.<br />
4
Prof. Dr. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Schulze</strong><br />
Seminar: Kasus (WiSe 07/08)<br />
Grundlagen einer onomasiologischen Kasus-Typologie - Teil 4<br />
Zur Sitzung vom 10.12.07 ( © <strong>Wolfgang</strong> <strong>Schulze</strong> 2007)<br />
[Alle Graphiken © W. <strong>Schulze</strong> 2007]<br />
Die Dimension des 'Genitivs'<br />
1. Zur Erinnerung: Die zentralen relationalen Primitiven S, A, O (und partiell LOC) strukturieren die basale<br />
Architektur einer Ereignisvorstellung und sind somit unmittelbar in den entsprechenden, die Ereignisvorstellung<br />
meronymisch abbilden 'Verben' verankert. Beispiel:<br />
a. Tschetschenisch (S=O;A):<br />
S LOC<br />
horš qäč-na ħann-aš-ka<br />
ANAPH:PL:ABS ankommen-INFER Wald-PL-LOC<br />
'Sie kamen in den Wäldern an.'<br />
A O <br />
läħa-n-uo cünan baga tuy=a=töx-na.<br />
Mann-SA-ERG ANAPH:GEN Mund:ABS Spucke=FOC=schlagen-INFER<br />
'Der Mann bespuckte (schlug=Spucke in) seinen (des anderen) Mund.'<br />
b. Arabisch (S=A;O):<br />
S () LOC<br />
raǰa c a r-raǰul-u 'ilā l-madīnat-i<br />
zurückkehren:PERF:3SG:M ART-Mann-NOM hin=zu ART-Stadt-GEN<br />
'Der Mann kehrte in die Stadt zurück.'<br />
1<br />
A O<br />
qatala l-raǰul-u l-kalb-a<br />
töten:PERF:3SG:M ART-Mann-NOM ART-Hund-ACC<br />
'Der Mann töten den Hund:'<br />
Die indirekten relationalen Primitiven IO und IA sind 'in der Regel' verbfrei und kodieren sich über Kasus,<br />
Adpositionen und ähnliches:<br />
a. Georgisch (S=A;O ~ S=O;A):<br />
S IA <br />
bavšv-i axal-i c'ign-it sc'avl-ob-s<br />
Kind-ABS neu-ATTR Buch-INSTR lernen-PRES-3SG<br />
'Das Kind lernt mit einem neuen Buch.'<br />
A O IA <br />
bavšv-i kartul ena-s axal-i c'ign-it sc'avl-ob-s<br />
Kind-ABS georgisch:ATTR Sprache-DAT neu-ATTR Buch-INSTR lernen-PRES-3SG<br />
'Das Kind lernt die georgische Sprache mit einem neuen Buch.'
. Kolyma Jukaghir (S=A;O):<br />
S/A IO<br />
tintaŋ pulut mon-i šaqale-ŋin<br />
DIST alter=Mann sagen-3SG:INTR Fuchs-DAT<br />
'Jener alte Mann sagte/sprach zum Fuchs...' [Maslova 2003:97]<br />
A O(>IA) IO <br />
Ø nodo-le šoromo-ŋin tadī-ŋā<br />
[sie] Vogel-INSTR Leute-DAT geben-3PL:TRANS<br />
'Sie gaben den Leuten die Vögel.' [Maslova 2003:96]<br />
Vgl. aber http://www.lrz-muenchen.de/~wschulze/WS0708/kapro3.pdf für primary/secondary objects !<br />
Die indirekten relationalen Primitiven (RP) relationieren also ebenso wie die 'direkten' RPs zwei (oder mehr)<br />
Referenten bzw. referentiuelle Einheiten, sind aber nicht in eine spezifische Ereignisvorstellungen eingebunden.<br />
Kontinuum der /-Relationierung<br />
BASIS EV (Matrix) EV (eingebettet)<br />
1. Isolierend NP Verb NP + -<br />
2. Morphologisch NP:Case Verb NP:Case + -<br />
3. Morphologisch NP:[...] Verboid NP:Case - +<br />
4. Morphologisch NP:[...] Ø NP:Case - +<br />
5. Morphologisch/Derivation NP:Link Ø NP - -<br />
6. Isolierend/Derivation NP Ø NP<br />
Beispiele:<br />
<br />
1. the man built a house<br />
2. amic-us vide-t flor-em<br />
3. amic[us] in urb-e<br />
4. amic[us] Ø Caesar-is<br />
5. Schwein-s Ø -haxe<br />
6. Haus- -wand<br />
2<br />
Die Relator-freien (verbfreien) -Beziehungen sind in der Regel eingebettet in eine Ereignisvorstellung,<br />
wobei einer der beiden Referenten (also der NPs) eine relationale Primitive entsprechend der übergeordneten<br />
Ereignisvorstellung (EV) annimmt:<br />
A O<br />
<br />
Die Frau d-es Bäckers sah einen Fremden in der Stadt<br />
NOM GEN ACC DAT<br />
Eingebettete -Beziehungen können in der Regel durch 'Relativsätze' und andere Nebensätze paraphrasiert<br />
werden:<br />
A<br />
Matrix<br />
Die Frau,<br />
Subordination<br />
O A <br />
die ein Bäcker hat,<br />
sah<br />
S LOC<br />
O eine<br />
Fremden,<br />
der war= in der Stadt<br />
LOC-Relationen sind in der Regel stärker an die Matrix-Relation angebunden, vgl.:
Paraphrase 1:<br />
Paraphrase 2:<br />
Die Frau des Bäckers sah einen Fremden in der Stadt.<br />
Die Frau des Bäckers sah einen Fremden, der / als er in der Stadt war.<br />
Die Frau des Bäckers sah einen Fremden, als sie in der Stadt war.<br />
LOC-Relatoren können auch formal mit dem zentralen Relator in Beziehung treten bzw. mit ihm fusionieren (bis<br />
zum lexikalischen Ersatz ( Path Conflation)):<br />
Fusion: Die Frau geht=in den Garten.<br />
Conflation: Die Frau betritt den Garten.<br />
Die von dem Relator der eigentlichen Ereignisvorstellung unabhängigste Relation ist die Genitivs.<br />
2. Definition der Dimension 'Genitiv': Ein Genitiv ist ein kasueller Relator, der zwei Referenten innerhalb<br />
eines referentiellen Clusters in Beziehung setzt, wobei die Cluster-interne Relation in der Regel nicht oder nur<br />
schwach vom Relator der eigentlichen Ereignisvorstellung bedingt wird.<br />
Formal:<br />
<br />
<br />
<br />
Etwa:<br />
<br />
Der Freund der Mutter traf den Sohn des Nachbarn<br />
3<br />
Die globalste (am schwächsten semantische) Denomination des 'Genitivs' ist also die des RELATIVS!<br />
Also:<br />
A<br />
<br />
O<br />
Der Freund,<br />
traf<br />
den Sohn<br />
der in einer Beziehung steht/stand zur Mutter,<br />
der in einer Beziehung steht/stand zum Nachbarn.<br />
Die RELATIV-Beziehung zwischen zwei Referenten ist transitiv, womit eine Asymmetrie zwischen den beiden s<br />
gegeben ist:<br />
In ist ein 'abhängig' von dem anderen .<br />
Analogie: Ebenso wie in AO O von A abhängig ist (S=A;O) oder A von O (S=O;A), ist 1 in 1 2<br />
abhängig von 2 oder 2 in 1 2 abhängig von 1 .<br />
A o<br />
1 2<br />
(O ist abhängig)<br />
( 2 ist abhängig)<br />
oder: a O (A ist abhängig)<br />
1 2 ( 1 ist abhängig)
Terminologie:<br />
Derjenige , der von einem anderen abhängig ist, heißt determinatum.<br />
Derjenige , von dem ein anderer abhängig ist, heißt determinans.<br />
Stellungsoption: Ebenso wie A O in der Stellung variieren kann, kann variieren:<br />
Terminologie GenN NGen<br />
determinans-determinatum determinatum-determinans<br />
[GenN = 'Genitiv-Noun', NGen = Noun-Genitiv]<br />
Beispiel: 1 2 (GenN)<br />
amic -ae filia<br />
2 1 (NGen)<br />
Tochter d-er Freundin<br />
Determinatum Determinans Determinatum<br />
3. Markierungsoptionen (Auswahl):<br />
1. Ikonisch: Die Bindung eines an einen anderen wird durch die Reduktion seiner Eigengestalt erreicht:<br />
Beispiel: Status constructus im Hebräischen:<br />
bêth<br />
kohên<br />
Haus:st.c. Priester [Haus: bêyith] 'Haus des Priesters'<br />
sûsǎth šopêṭ<br />
Perd:st.c. Richter [Pferd: sûsâ] 'Pferd des Richters'<br />
4<br />
2. Juxtaposition (isolierend): Die Relationierung wird die einfache Zueinanderstellung der beiden Referenten<br />
erreicht:<br />
Beispiel: Guaraní (Maura Velazquez: Guarani possessive constructions)<br />
Maria<br />
Maria<br />
'Marias Korb'<br />
ajaka<br />
Korb<br />
che (-) ajaka<br />
ich (-) Korb<br />
'mein Korb'<br />
3. Morphologisch: Der RELATIV wird an einem der beiden (a), an beiden (b) oder als separates Lexem (c) kodiert.<br />
a) Determinans Determinatum<br />
amic- -i filia<br />
Determinatum Determinans<br />
kitāb- -e mard<br />
Buch -REL Mann [Persisch]<br />
Die morphologische Markierung ('Kasus') kann einschlägig sein (nur für den RELATIV gelten), oder durch<br />
Metaphorisierungsprozesse aus anderen, oft lokativischen Konzeptualisierungen gewonnen sein (s.u.). Alternativ<br />
können alte referentielle Lexeme (etwa für 'Besitzer/Besitz') grammatikalisieren, etwa:
Maltesisch:<br />
bejjiegh ta-l-haxix<br />
Händler REL-ART-Gemüse [ta- < mataa c 'Besitz']<br />
'Gemüsenhändler'<br />
Analog: Marokkanisches Arabisch: l-kitāb dyal had-l-muhəndis<br />
ART-Buch Besitz(>REL) dies-ART-Architekt<br />
'das Buch dieses Architekten'<br />
Khmer [Heine & Kuteva 2002:296]:<br />
puəq-maaq touc rəbɒh kñom pii neeq nii<br />
Freund klein Sache(>REL) 1Sg zwei CLASS PROX<br />
'Diese zwei kleinen Freunde von mir.'<br />
Anbindung (REL) mittels Possessivpronomina oder anderen anaphorischen Mitteln (e.g. Agreement):<br />
Türkisch: Markierung an Determinatum:<br />
kız<br />
Mädchen<br />
'Mädchenhaus'<br />
ev-i<br />
Haus-3SG:POSS<br />
Chamalal (Andisch, Ostkaukasisch): Markierung an Determinans:<br />
maħammad-ib č'at<br />
Mohammed-III Perd(III)<br />
'Mohammads Pferd.'<br />
5<br />
b) Türkisch:<br />
1 /Derteminans<br />
yoldaş-ın<br />
Freund-GEN<br />
'Das Haus des Freundes'<br />
2 /Determinatum<br />
ev-i<br />
Haus-3SG:POSS<br />
Analog (konstruktionell) Deutsch:<br />
Dem=Freund<br />
Vgl. Englisch:<br />
The man's (< *man his)<br />
sein=Haus<br />
arm<br />
c) Lexikalische ( konstruktionelle) Markierung:<br />
Französisch:<br />
Determinatum Determinans<br />
la maison de la femme<br />
ART Haus von>REL ART Frau<br />
'Das Haus der Frau'<br />
Kabiye (Gur, Niger-Kongo) [Heine und Kuteva 2002:175]<br />
Determinans Determinatum<br />
kólú tέ píya
Schmied heim>REL:ALIEN Kinder<br />
'Die Kinder des Schmiedes (die, die in seinem Heim leben, aber nicht die eigenen).'<br />
4. Zur Semantizität der Dimension 'Genitiv' (Relativ):<br />
Basalste Funktion: Anzeigen referentieller Einheitlichkeit mit unterschiedlicher Profilierung<br />
Determinans 1 2 Determinatum<br />
des Hauses<br />
Tür<br />
D.h. REL bettet einen Referenten ( 2 = determinatum) in einen größeren referentiellen Raum ( 1 = determinans) ein<br />
und profiliert zugleich 1 in Hinblick auf 2 .<br />
Die 'Heraushebung' (highlighting) des profilierten Teils eines referentiellen Clusters separiert diesen zugleich:<br />
Ikonisch: Die Tür von [= 'herausgehoben/genommen aus'] dem Haus (GEN < ABL)<br />
6<br />
Umgekehrt kann der referentielle Cluster ('das Ganze') als auf einen Teil hin profiliert beschrieben werden:<br />
des Brotes (Determinans)<br />
Teil (Determinatum)<br />
http://www.baeckerei-geishecker.de/s_brote.php<br />
Beispiel: Ich nehme einen Teil ( 2 ) des/vom Brot(es) ( 1 )<br />
Daraus abgeleitet: Primäre semantische Funktion des REL/GEN: PARTITIV<br />
Ich nehme vom Brot<br />
Kennzeichen: ( 2 ) [= TEIL] wird nur inferiert, aber nicht genannt, 1<br />
[= Das Ganze] wird als von SEPARATION (PARTITION) betroffen markiert<br />
(REL/GEN).
Genitivus partitivus, zu lesen als: Nicht das Ganze, sondern einen [Teil] des Ganzen.<br />
Metaphorisierungspotential ist sehr hoch, e.g. Reduktion der Affiziertheit in O-Funktion, etwa:<br />
Russisch: A O<br />
ja viž-u bog-a<br />
ich:NOM sehen:PRES-1SG:PRES Gott-GEN<br />
'Ich sehe Gott'<br />
Zu lesen als:<br />
A O[determinatum determinans ]<br />
ja viž-u [TEIL] bog -a<br />
'Ich sehe [einen Teil] von Gott.'<br />
Soziale Deixis [sprachliche/grammatikalisierte Bezugnahme auf soziales Stratum]<br />
Analog Deutsch (lexikalisiert): A O>PART<br />
Wir gedenken des Mannes.<br />
Daraus grammatikalisiert: Fluid-O / Split-O mit Varianz in O-Markierung (X vs. GEN)<br />
Die Relationierung von zwei Referenten beinhaltet also, dass sie im Sinne einer Teil/Ganze-Relation (i.wS.d.W.!)<br />
in einen sie gemeinsam gestaltenden Zusammenhang gestellt werden: Determinans und Determinatum bilden so<br />
einen gemeinsame referentiellen Raum, der vom Determinans 'gestellt' wird:<br />
7<br />
1 2<br />
Genauer: Mittels REL/GEN wird 2 (Determinatum) in den konzeptuellen Raum von 1 gestellt und kann damit<br />
als 'Teil' von 1 interpretiert werden.<br />
Beispiel<br />
Baum<br />
REL/GEN<br />
Äste<br />
Die Äste des Baumes<br />
NOTA: Die active zone (Langacker) einer Referenz ist in der Regel das Determinatum einer meronymen Teil-Ganze-<br />
Beziehung [Langacker, Ronald W. 1984. Active zones. In: Claudia Brugman et al. (eds.) Proceedings of the tenth<br />
annual meeting of the Berkeley Linguistics Society. Berkeley, CA: Berkeley Linguistics Society. 172-188], etwa:
Mit Active Zone: Das Maul des Hundes wird die Katze beißen<br />
Der Hund wird die Katze beißen.<br />
ERGO: Die Active Zone (hier: Maul/Zähne) entspricht dem profilierten Teil einer Teil/Ganze-Beziehung, mithin<br />
dem Determinatum. Ihr lexikalischer Ersatz durch die 'Ganz'-Referenz (hier: Hund) (= determinans) erfolgt in<br />
Analogie zum Partitiv, aber ohne dass eine REL/GEN-Markierung erfolgt. Die Bestimmung der Active Zone erfolgt<br />
oft über die Verbsemantik und/oder kulturelles bzw. enzyklopädisches Wissen.<br />
Also: A O [Determinatum Determinans] ()<br />
Ich nehme [einen Teil] vom Brot<br />
Ich zünde=mir [die Spitze der] (> die) Zigarette an<br />
Vgl. auch die Inbeziehungsetzung e.g. von Form und Qualittät, wie in:<br />
8<br />
Das Rot des Autos<br />
Determinatum Determinans<br />
Damit besteht in Analogie zu FLOC und AO eine Figure-Ground-Beziehung zwischen determinans und<br />
determinatum:<br />
(S=A;O):<br />
(S=O;A):<br />
F LOC<br />
A O<br />
Determinatum Determinans<br />
F LOC<br />
O A<br />
Determinatum Determinans<br />
Die Integration von 2 (determinatum) in den Raum von 1 (determinans) kann als von 1 'kontrolliert'<br />
konstruiert werden, sofern 1 die entsprechenden Qualitäten (e.g. stark animat/human oder Metaphorisierungen<br />
hieraus) beinhaltet. Im Ergebnis
Kontrolliert 1 die Integration von 2<br />
'Besitzt' 1 2 .<br />
POSSESSION:<br />
Die von 1 kontrollierte, mehr oder minder zeitstabile Zuordnung eines 2 in den Raum von 1 .<br />
Das Haus des Mannes<br />
Lies: Das Haus, das sich im Kontrollbereich des Mannes befindet.<br />
1 (determinans) => Possessor (P-or oder Por)<br />
2 (determinatum) => Possessum (P-um oder Pum)<br />
Alienable (veräußerbare) vs. inalienable (nicht veräußerbare) Possession:<br />
Eine Zuordnung von 2 in den Raum von 1, die als dauerhaft (zeitstabil) und nicht veränderbar konzeptualisiert<br />
wird (kulturabhängig!), wird als inalienabel bezeichnet.<br />
Prototypisch:<br />
Körperteile, Blutsverwandtschaft, erweiterte Teil-Ganze-Beziehungen usw.<br />
9<br />
Vgl. Das Auge der Frau (inalienabel)<br />
Das Haus der Frau (alienabel)<br />
Die Opposition Alienabel/Inalienabel wird in den Sprachen der Welt höchst unerschiedlich und in<br />
unterschiedlichem Umfang kodiert. Beispiel für das Deutsche:<br />
Ich wasche dem Kind die Haare<br />
* ? Ich wasche die Haares des Kindes<br />
Ich wasche das Auto des Mannes.<br />
* ? Ich wasche dem Mann das Auto.<br />
[Inalienabel]<br />
[Alienabel]<br />
Vgl.noch:<br />
Der Friseur schnitt dem Kind die Haare (inalienabel) und …..fegte die Haares des Kindes zusammen.<br />
* ? Der Friseur schnitt die Haares des Kindes … und fegte dem Kind die Haare zusammen.<br />
Alienabel/Inalienabel im Deutschen in der Regel nur im (S=)O-Bereich bei bestimmten Verben<br />
(unaccusative)<br />
Vgl. noch:<br />
Dem Kind standen die Haare zu Berge.<br />
* ? Die Haare des Kindes standen zu Berge.
Dem Mann brach der Arm.<br />
* ? Der Arm des Mannes brach.<br />
* ? Dem Baum brach der Ast.<br />
Der Ast des Baumes brach.<br />
Der Fuß des Mannes zerquetschte den Wurm.<br />
*Dem Mann zerquetschte der Fuß den Wurm.<br />
Also: A S=O<br />
Por Pum Por Pum<br />
Alienabel GEN […] GEN […]<br />
Inalienabel GEN […] DAT […]<br />
Funktional wird in inalienablen Possessionen der Por in den IO-Bereich verschoben.<br />
Grund: Die Manipulation einer inalienablen Possession (Pum) würde auch die Manipulation des Possessors (Por)<br />
beinhalten, da Pum fest in den Por-Raum gestellt ist. Durch die Überführung in den IO-Bereich wird der Possessor<br />
der inalienablen Possession als weinger direkt betroffen markiert (indirekte Markierung mittels Dativ), vgl.<br />
A IO O<br />
Ich wasche dem Kind die Haare.<br />
Ich gebe dem Kind ein Bonbon.<br />
Exkurs: Possesionen als Ereignisvorstellungen<br />
Die PorPum-Struktur kann als selbständige Ereignisvorstellung kodiert werden.<br />
Zwei basale Typen:<br />
10<br />
1. Verbalisierung der possessiven Relation, d.h. Überführung der GEN-Semantik in die Semantik einer Verbstruktur:<br />
Por:GEN Pum<br />
> :Por:A /haben :Pum:O<br />
Vgl. <br />
Des Mann- -es Hut<br />
Der Mann hat einen Hut<br />
HAVE-Possession, wobei i.d.R. Por als A und Pum als O auftritt.<br />
2. Beibehaltung oder Veränderung der Kasusmarkierung und Einfügung einer (lokativischen) Copula<br />
Por:GEN Pum<br />
> :Por:GEN(>DAT;LOC) /sein Pum<br />
Vgl. Pum Por <br />
kitāb-u r-raǰul- -i [Arabisch]<br />
Buch-NOM ART-Mann- -GEN<br />
'Ein Buch des Mannes'<br />
>>> :Por:LOC :Pum:S<br />
c inda r-raǰul-u kitāb-an<br />
bei ART-Mann Buch-ACC:INDEF<br />
'Der Mann hat ein Buch.'
Vgl. Deutsch:<br />
Das Buch von dem Mann<br />
dem Mann ist ein Buch<br />
5. Metaphorisierung des Possessionsschemas (Auswahl):<br />
Possessor als A-Marker:<br />
Basis: Zentraler Bereich der Ereignisvorstellung wird als Pum zu einem agentiven/kausalen A<br />
konzeptualisiert:<br />
Des Mannes<br />
Des Mannes<br />
Buch<br />
[ist Buch(=)lesen]<br />
Beispiel:<br />
Lak (Ostkaukasisch)<br />
č:itu-l c'a<br />
Katze-GEN Name 'der Name der Katze'<br />
č:itu-l k'ul-li b-uh-l-ay b-u-r<br />
Katze-GEN>ERG Maus-PL:ABS III:PL-fangen-DUR-PRES III-sein-3SG<br />
'Die Katze fängt gerade Mäuse.'<br />
Possessor als A-Marker mit Backgrounding:<br />
Deutsch:<br />
Pum/O>S<br />
Por/A>LOC<br />
Das Buch<br />
von dem Mann<br />
Das Kind wird von dem Mann gesehen.<br />
11<br />
Vgl.<br />
Por/A Pum/O Por/A:LOC<br />
Der Mann hat ein Buch<br />
Der Mann hat=geschrieben ein Buch<br />
ein Buch von dem Mann<br />
ist=geschrieben ein Buch von dem Mann<br />
Ohne Stellungssemantik:<br />
Por/A(>LOC) Pum/O<br />
Der Mann hat ein Buch<br />
Der Mann hat=geschrieben ein Buch<br />
Von dem Mann<br />
das Buch<br />
Von dem Mann ist=geschrieben das Buch<br />
Ergo: Die possesive (haben-)Architektur transitiver Ereignisvorstellungen ('in der Vergangenheit') stimmt mit der<br />
possessiven von-Konstruktion semantisch überein.
6. PART/POSS-Kodierung im Deutschen (basale Kasus) [definit]<br />
M F N PL<br />
A -er -ie -as -ie<br />
Por 1 -es (-s) --- -es (-s) -er<br />
IO/Por 2 -em -er -em -en (-n)<br />
O -en -ie -as -ie<br />
Ergo: Das Kind der Frau ~ der Frau das Kind<br />
wie: ich schneide *das Haar der Frau => der Frau das Haar<br />
Possession bei Feminina erfolgt in Analogie zu inalienablen Possessionen im S=O-Bereich (der Frau das Haar<br />
schneiden).<br />
Konstruktionell:<br />
1. Pum von Por:DAT<br />
2. Por:DAT Anaph:Poss Pum<br />
3. 1 Por:DAT Pum<br />
Beispiel:<br />
1. der Arm von der Frau<br />
2. der Frau ihr Arm<br />
3. 1 der Frau d[en] Arm<br />
1 In inalienablen S=O-Konstruktionen.<br />
12<br />
Anapohrisch/Personal:<br />
GEN<br />
DAT<br />
Basisform Por1 Por2 (> IO) 1 Konstruktionell<br />
1 ich mein mir von mir<br />
2 du dein dir von dir<br />
2h 2 Sie Ihr Ihnen von Ihnen<br />
3m/n er/es sein ihm von ihm<br />
3f sie --- ihr von ihr<br />
4 wir unser uns (IO = O) von uns<br />
5 ihr euer euch (IO = O) von euch<br />
6 sie ihr ihnen von ihnen<br />
1 In inalienablen S=O-Konstruktionen.<br />
2 2.Person honorifikativ (Höflichkeit).<br />
- Wird fortgesetzt -