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Folie 9 Todesmodelle Aufklärung STU7

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Eybl, VO Lieben und Sterben, WS 2010/11 1<br />

STUNDE 7: <strong>Todesmodelle</strong> der <strong>Aufklärung</strong><br />

1. DISPOSITION<br />

1. Das Sterben im Drama: Drei Beispiele<br />

1.1 Andreas Gryphius: Papinian, 1657, V. 313-354<br />

1.2 Johann Christoph Gottsched: Der Sterbende Cato, 1732, V. 1613-1648<br />

1.3 Gotthold Ephraim Lessing: Miss Sara Sampson, 1755<br />

2. Poetik des Dramentodes: Vom Darstellungsverbot zum „anständigen“ Sterben<br />

3. Der Wandel des 18. Jahrhunderts<br />

3.1 Neue Theorien: Lessing<br />

3.2 Neue Praktiken: Entwicklungen der Funeralkultur im 18. Jahrhundert<br />

3.2.1 Umbau des Begräbnispomps<br />

3.2.2 Gefühl und Stimmung statt Repräsentation<br />

3.2.3 Umbau der Erinnerungskultur<br />

3.3 Neue Tode: Der nützliche Tod der Soldaten<br />

3.3.1 Soldatentod „fürs Vaterland“<br />

3.3.2 Warum denn sterben fürs Vaterland? Abbts Theorie des nützlichen Todes<br />

3.3.3 Heldentod light: Der gefühlige Philotas Lessings<br />

Heroische Staatsaktion und Familiendrama<br />

Lessings Skepsis<br />

2. MATERIALIEN<br />

Andreas Gryphius: Papinian, 1657, V. 313-354<br />

Papinian.<br />

Gar willig! grosser Fürst! diß kan / diß wil Ich thun!<br />

Es müsse von nu an die lange Zancksucht ruhn /<br />

Die Hof und Hof zertheilt / und Freund auff Freund verhetzet!<br />

Es falle was bißher / dir Rom / sich widersetzet!<br />

Last Götter mich vor Fürst / vor Rath / Volck und Gemein/<br />

Vor Läger / Land und Reich / ein rein Sün-opffer seyn!<br />

Ade gelibte Stadt! Beherrscherin der Erden!<br />

Es müsse deine Macht umb so vil grösser werden;<br />

Als Ich mich vor dein Heil auffrichtig stets bemüht!<br />

Ade sigreicher Fürst! der ins verborgen siht;<br />

Siht das sein Ruhm allein der Zweck sey meiner Thaten.<br />

Gebt Götter / die dem Thron so wol und besser rathen;<br />

Als Mir je möglich war. Kommt Diner! kommt herzu!<br />

Versichert Plautien daß Ich in lange Ruh /<br />

Auß langer Noth versetzt! sie mässig' ihre Zehren!<br />

(Die wo was nach uns bleibt die Geister mehr beschweren /<br />

Als wol der Pövel meynt) Sie glaub! ob wir geschwind<br />

Doch / durch der Parcen Schluß / auff kurtz getrennet sind!<br />

Sie halt ob dem was uns kan nach dem End erheben!<br />

Sie ehre meinen Tod / und folge meinem Leben!<br />

Erinnert die / die mich in dises Licht gebracht;<br />

Daß ein durchlauchter Tag uns reiss' auß langer Nacht.<br />

Nemt Kleid und Mantel hin! wenn sich das Schaw-Spil endet /


Eybl, VO Lieben und Sterben, WS 2010/11 2<br />

Wird der geborgte Schmuck / wohin er soll / gesendet.<br />

Man halt in meinem Hof umb mich kein Tod-geschrey!<br />

Wer noch leibeigen dint; sey loß. Ich geb jhn frey.<br />

Und hirmit / gute Nacht! bleibt Freunde bleibt gesegnet!<br />

Bleibt Helden bleibt gegrüst! wer seiner Noth begegnet:<br />

Befödert seine Lust / und wird / wie klein er / groß.<br />

Jhr die den Spruch außführt: Kommt Hals und Brust ist bloß.<br />

Heilge Themis 1 die du Sitten<br />

Ins Geblütt hast eingepflantzet;<br />

Die der grimmen Völcker wütten /<br />

Durch gemeines Recht umbschantzet;<br />

Und durch diß was du gesetzt<br />

Dein gelibtes Rom ergetzt;<br />

Gönne daß Ich dir zu Ehren<br />

Dir / die Ich jtzt sterbend grüsse;<br />

Die Ich annoch sterbend libe;<br />

Mein nicht schuldig Blutt vergisse.<br />

Und / (wo Ich was bitten kan)<br />

Schaw diß Reich heilwertig an!<br />

Johann Christoph Gottsched: Der Sterbende Cato, 1732 V. 1613-1648<br />

Portius<br />

Mein Vater! sterbt doch nicht.<br />

Cato (den man getragen bringt)<br />

So weit, hier setzt mich her.<br />

Getrost, mein Sohn, getrost! Das Reden fällt mir schwer.<br />

Tritt näher, Portius. Wie stehts mit unsern Freunden?<br />

Sind sie schon eingeschifft? Entkommen sie den Feinden?<br />

Sprich, ob ich ihnen sonst noch irgend dienen kann?<br />

Du aber rufe nie den Feind um Gnade an.<br />

Versäume niemals was, die Freiheit Roms zu retten;<br />

Itzt folgt sie mir ins Grab! Ich sterbe sonder Ketten<br />

Und bin recht sehr erfreut, daß, da ich frei gelebt,<br />

Ich noch ein Römer bin, indem man mich begräbt.<br />

Dem Beispiel folge nach! Du stammst aus meinem Samen,<br />

Befleiße dich denn auch, dem Cato nachzuahmen!<br />

(Er umarmt ihn.)<br />

Gehab dich wohl, mein Sohn! Du aber, Portia,<br />

Die ich vorlängst verlor, itzt wenig Stunden sah<br />

Und wiederum verlier, gedenke meiner Liebe<br />

Und folg in allem Tun dem tugendhaften Triebe,<br />

Der dich bereits erfüllt. Beweine nicht mein Grab;<br />

Rom, Rom, dein Vaterland dringt dir die Tränen ab!<br />

Verdamme Cäsars Glut, die dich zur Sklavin machet,<br />

Und weil was Römisches in deiner Brust erwachet,<br />

So wehle künftig mir den Held zum Tochtermann,<br />

Der den Tyrannen straft und Rom befreien kann.<br />

Umarme mich, mein Kind! Ihr Freunde, seht mich sterben!<br />

Ihr seufzet? Tut es nicht! Beweinet Roms Verderben!<br />

1 „Heilge Themis“: die Göttin der Gerechtigkeit.


Eybl, VO Lieben und Sterben, WS 2010/11 3<br />

Lebt wohl und Rom getreu. Ihr Götter! hab ich hier<br />

Vielleicht zu viel getan: Ach! So vergebt es mir!<br />

Ihr kennt ja unser Herz und prüfet die Gedanken!<br />

Der Beste kann ja leicht vom Tugendpfade wanken.<br />

Doch ihr seid voller Huld. Erbarmt euch! - - Ha!<br />

Artabanus<br />

Er stirbt!<br />

Gotthold Ephraim Lessing: Miss Sara Sampson, 1755<br />

Sara. Geben Sie mir dieses Papier, Mellefont. Ich will mich mit meinen Augen überzeugen.<br />

(Er gibt es ihr, und sie sieht es einen Augenblick an.) Werde ich so viel Kräfte noch<br />

haben? (Zerreißt es.)<br />

Mellefont. Was machen Sie, Miß!<br />

Sara. Marwood wird ihrem Schicksale nicht entgehen; aber weder Sie noch mein Vater sollen<br />

ihre Ankläger werden. Ich sterbe und vergeb es der Hand, durch die mich Gott heimsucht.<br />

- Ach, mein Vater, welcher finstere Schmerz hat sich Ihrer bemächtiget? - Noch liebe ich<br />

Sie, Mellefont, und wenn Sie lieben ein Verbrechen ist, wie schuldig werde ich in jener<br />

Welt erscheinen! - Wenn ich hoffen dürfte, liebster Vater, daß Sie einen Sohn anstatt einer<br />

Tochter annehmen wollten! Und auch eine Tochter wird Ihnen mit ihm nicht fehlen, wenn<br />

Sie Arabellen dafür erkennen wollen. Sie müssen sie zurückholen, Mellefont; und die<br />

Mutter mag entfliehen. - Da mich mein Vater liebt, warum soll es mir nicht erlaubt sein,<br />

mit seiner Liebe als mit einem Erbteile umzugehen? Ich vermache diese väterliche Liebe<br />

Ihnen und Arabellen. Reden Sie dann und wann mit ihr von einer Freundin, aus deren<br />

Beispiele sie gegen alle Liebe auf ihrer Hut zu sein lerne. - Den letzten Segen, mein<br />

Vater! - Wer wollte die Fügungen des Höchsten zu richten wagen? - Tröste deinen Herrn,<br />

Waitwell. Doch auch du stehst in einem trostlosen Kummer vergraben, der du in mir<br />

weder Geliebte noch Tochter verlierest? -<br />

Sir William. Wir sollten dir Mut einsprechen, und dein sterbendes Auge spricht ihn uns ein.<br />

Nicht mehr meine irdische Tochter, schon halb ein Engel, was vermag der Segen eines<br />

wimmernden Vaters auf einen Geist, auf welchen alle Segen des Himmels herabströmen?<br />

Laß mir einen Strahl des Lichtes, welches dich über alles Menschliche so weit erhebt.<br />

Oder bitte Gott, den Gott, der nichts so gewiß als die Bitten eines frommen Sterbenden<br />

erhört, bitte ihn, daß dieser Tag auch der letzte meines Lebens sei.<br />

Sara. Die bewährte Tugend muß Gott der Welt lange zum Beispiele lassen, und nur die<br />

schwache Tugend, die allzu vielen Prüfungen vielleicht unterliegen würde, hebt er<br />

plötzlich aus den gefährlichen Schranken - Wem fließen diese Tränen, mein Vater? Sie<br />

fallen als feurige Tropfen auf mein Herz; und doch - doch sind sie mir minder schrecklich<br />

als die stumme Verzweiflung. Entreißen Sie sich ihr, Mellefont! - Mein Auge bricht - Dies<br />

war der letzte Seufzer! - Noch denke ich an Betty und verstehe nun ihr ängstliches<br />

Händeringen. Das arme Mädchen! Daß ihr ja niemand eine Unvorsichtigkeit vorwerfe, die<br />

durch ihr Herz ohne Falsch und also auch ohne Argwohn der Falschheit entschuldiget<br />

wird. - Der Augenblick ist da! Mellefont - mein Vater -<br />

Mellefont. Sie stirbt! - Ach! diese kalte Hand noch einmal zu küssen. (Indem er zu ihren<br />

Füßen fällt.)<br />

G. E. Lessing: Philotas, 1759, Figurenkonstellation:<br />

Vater Sohn Diener<br />

[König] Philotas [Aristodem]<br />

Parmenio<br />

Aridäus [Polytimet] Strato


Eybl, VO Lieben und Sterben, WS 2010/11 4<br />

Johann August Nahl (Bildhauer): Grabmal der Maria Magdalena Langhans, Hindelbank,<br />

Kanton Bern (Schweiz), 1751.<br />

3. BIBLIOGRAPHISCHE HINWEISE<br />

Walter Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels, hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt/M. 1978<br />

(stw 225)<br />

Johann Christoph Gottsched: Versuch einer Critischen Dichtkunst durchgehends mit den Exempeln<br />

unserer besten Dichter erläutert. Anstatt einer Einleitung ist Horazens Dichtkunst<br />

übersetzt, und mit Anmerkungen erläutert. Leipzig 4 1751, Faks.neudr. Darmstadt<br />

1982<br />

Gotthold Ephraim Lessing: Wie die Alten den Tod gebildet. Berlin 1769. Gotthold Ephraim Lessing<br />

Werke 1767-1769, hg. v. Klaus Bohnen. Frankfurt/M. 1985 (Werke und Briefe, hg.<br />

v. Wilfried Barner, Bd 6) (Bibliothek deutscher Klassiker 6), S. 715-778.<br />

Thomas Abbt: Vom Tode für das Vaterland. [Berlin: Friedrich Nicolai 1761]

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