Den Satz von THALES verallgemeinern - aber wie?
Den Satz von THALES verallgemeinern - aber wie?
Den Satz von THALES verallgemeinern - aber wie?
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
KoG •12–2008 G. Weiß, F.Gruber: <strong>Den</strong> <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> <strong>THALES</strong> <strong>verallgemeinern</strong> - <strong>aber</strong> <strong>wie</strong>?<br />
Übersichtsartikel<br />
Angenommen am 15.10.2008.<br />
GUNTER WEIß<br />
FRANZ GRUBER<br />
<strong>Den</strong> <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> <strong>THALES</strong> <strong>verallgemeinern</strong><br />
- <strong>aber</strong> <strong>wie</strong>?<br />
Herrn Prof. Dr. Hellmuth Stachel zum 65. Geburtstag gewidmet.<br />
How to generalize Thales’ Theorem?<br />
ABSTRACT<br />
The classical theorem of Thales can be generalized – depending<br />
on someones interpretation – in several elemental<br />
or abstract ways. This paper tries to classify such generalizations<br />
without claim of completeness. We structured<br />
this work in a way that is suitable for educational purposes<br />
by emphasizing aspects of mathematical research.<br />
Beside more or less known facts, we present new insights<br />
and approaches to one of the most important theorems of<br />
geometry.<br />
Key words: Thales’ Theorem 3D, constrained motions,<br />
spatial kinematics, trihedron<br />
MSC 2000: 51M04<br />
1 Der klassische <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> Thales<br />
Schlampig formuliert lautet er so:<br />
“Jeder Winkel im Halbkreis ist ein rechter.”<br />
Formulierungen dieser Art überleben, ebenso <strong>wie</strong> “der Pythagoras”,<br />
die Vergessensjahre nach dem Ende der schulischen<br />
Ausbildung bis ins hohe Alter. Man sollte sich als<br />
Lehrer die Zeit nehmen, wissensunbelastete Schüler im Elternhaus<br />
nach dem <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> Thales fragen zu lassen und<br />
die gesammelten Antworten inhaltlich statistisch auswerten!<br />
Anschließlich könnte man auf die Diskrepanz zwischen<br />
Gesagtem und Gemeintem hinweisen (vgl.Abb 1(a))<br />
und so zur Schärfung des Sprachvermögens der Schüler<br />
beitragen. Übrigens kann man sich auch aus Spaß gleich an<br />
die Umkehrung des unscharf formulierten Thales-<strong>Satz</strong>es<br />
machen, die dann zu folgendem Statement Anlass gäbe<br />
(vgl.Abb. 1(b), [15]):<br />
“Jeder Rechte ist ein Winkel im Halbkreis! ”<br />
- was offensichtlich so nicht stimmt.<br />
Kako poopćiti Talesov teorem?<br />
SAŽETAK<br />
Klasičan Talesov teorem moguće je poopćiti – ovisno o<br />
interpretciji – na nekoliko elementarnih i apstraktnih načina.<br />
U ovom se radu pokušava, ne zahtijevajući potpunost,<br />
klasificirati te generalizacije. Svojom strukturom rad je prilagođen<br />
obrazovnim svrhama s naglasakom na matematičkom<br />
istraživanju. Uz više ili manje poznate činjenice, predstavljamo<br />
nove uvide i pristupe jednom od najznačajnijih<br />
teorema geometrije.<br />
Ključne riječi: Talesov 3D teorem, ograničeno gibanje, prostorna<br />
kinematika, trobrid<br />
(a) (b)<br />
Abbildung 1: Beispiel eines linken bzw. rechten Winkels im<br />
Halbkreis (a) und “<strong>Satz</strong>-Umkehrung” (b)<br />
Wie ist also der <strong>Satz</strong> zu formulieren, dass er dem (üblicher-<br />
weise richtig) Gemeinten, Abb.2, entspricht?<br />
(T1) “Sind A und B Durchmesser-Endpunkte eines Kreises<br />
k und ist S ein (<strong>von</strong> A und B verschiedener) Kreispunkt,<br />
so ist der Winkel ∠ASB ein rechter, sein Winkelmaß ∢ASB<br />
also π/2 oder 90°.”<br />
7
KoG •12–2008 G. Weiß, F.Gruber: <strong>Den</strong> <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> <strong>THALES</strong> <strong>verallgemeinern</strong> - <strong>aber</strong> <strong>wie</strong>?<br />
k<br />
A M<br />
B<br />
S ′<br />
Abbildung 2: Der <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> Thales mit Ergänzungen<br />
für einen Beweis<br />
Beweis etwa durch Punktspiegelung <strong>von</strong> S am Mittelpunkt<br />
M <strong>von</strong> k, (vgl. auch [19]): Das entstehende Viereck<br />
{ASBS ′ } besitzt gleich lange Diagonalen (Kreisdurchmesser)<br />
mit gleichem Halbierungspunkt. Es ist also ein Rechteck.<br />
Menschen denen “genau dann” - Formulierungen - noch<br />
oder schon <strong>wie</strong>der - fremd sind, werden aus dem obigen<br />
Beweis intuitiv bereits die Umkehrung des <strong>Satz</strong>es (T1)<br />
mitnehmen und keine Beweisnotwendigkeit mehr verspüren:<br />
S nicht auf k ⇒ Diagonalen <strong>von</strong> {ASBS ′ } ungleich<br />
lang, <strong>aber</strong> gemeinsame Mitte M, ⇒ kein Rechteck, sondern<br />
schiefes Paralellogramm. Eh klar! Und trotzdem muss<br />
man beim expliziten Formulieren der Umkehrung fast immer<br />
helfen:<br />
(T2) “Ist ΔASB ein rechtwinkeliges Dreieck mit Hypothenuse<br />
[A,B], so geht der Kreis mit Durchmesserstrecke<br />
[A,B] durch S.”<br />
Über die Limesfigur in der Grenzlage S → A oder S → B<br />
wird man bis zur 9.Schulstufe vielleicht noch nicht reden<br />
wollen und können. Ein Grund mehr, den <strong>Satz</strong> in der (gymnasialen)<br />
Oberstufe <strong>wie</strong>der hervor zu holen und an entsprechende<br />
Lehrplaninhalte (Vektorrechnung, Differentialrechnung)<br />
zu koppeln.<br />
Erarbeitet man mit Schülern den <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> Thales, so werden<br />
bestimmt auch kinematische Formulierungen kommen:<br />
(T3) “Gleiten die Schenkel eines Rechtwinkelhakens durch<br />
zwei feste Punkte A und B, so durchläuft der Scheitel S<br />
einen (Halb-) Kreis k über dem Durchmesser [A,B]”<br />
Der so erklärte “Thales-Zwangslauf” ist die Umkehrung<br />
einer Ellipsenbewegung, <strong>wie</strong> sie bekanntlich durch einen<br />
klassischen Ellipsenzirkel repräsentiert wird.<br />
(T4) “Gleitet der Scheitel S eines Rechtwinkelhakens entlang<br />
eines Kreises k und ein Winkelschenkel durch einen<br />
8<br />
S<br />
festen Punkt A <strong>von</strong> k, so umhüllt der zweite Winkelschenkel<br />
den A gegenüberliegenden Punkt B (Gegenpunkt) <strong>von</strong> k.”<br />
Diese Formulierungen werden zum Ausgangspunkt für<br />
sehr unterschiedliche Verallgemeinerungen, <strong>von</strong> denen einige<br />
den Schulstoff weit hinter sich lassen. Dies gilt im<br />
gleichen Maße auch für die folgende Version des Thales -<br />
<strong>Satz</strong>es:<br />
(T5) “Fällt man auf die Geraden a eines Büschels mit<br />
Scheitel A aus einem Punkt B �= A die Normalen b, so erfüllen<br />
die Schnittpunkte S zugeordneter Geraden a und b<br />
einen Kreis k mit Durchmesser [A,B].”<br />
Bei dieser Auffassung sind die Sonderlagen S = A und<br />
S = B in natürlicher Weise miterfasst. Inhaltlich mit (T5)<br />
ident, <strong>aber</strong> in eine andere Verallgemeinerungsrichtung führend,<br />
ist folgende Formulierung:<br />
(T6) “Die Fußpunktkurve eines Geradenbüschels {a | A ∈<br />
a ⊂ π; A,π fest} für einen festen Punkt B ∈ π,(B �= A), als<br />
Pol ist ein Kreis k, der Thaleskreis über [A,B].”<br />
2 Grundidee der Verallgemeinerung des<br />
<strong>Satz</strong>es <strong>von</strong> Thales<br />
Die klassische, ebene Figur besteht aus Punkten A,B, einem<br />
Kreis oder Halbkreis k mit den Gegenpunkten A,B<br />
und dem Winkelscheitel S mit den Schenkeln SA und SB,<br />
die zu einander normal sind. Wir werden daher (T1) in verschiedene,<br />
zum Teil völlig unabhängige Richtungen <strong>verallgemeinern</strong><br />
können.<br />
Verzichtet man auf Rechtwinkeligkeit der Winkelschenkel<br />
unter Beibehaltung der übrigen Elemente, gelangt man zur<br />
bekannten Ausssage des “Peripheriewinkelsatzes”. Wir<br />
werden diesen Verallgemeinerungsstrang hier nicht weiter<br />
verfolgen.<br />
3 Sphärische Version des <strong>Satz</strong>es <strong>von</strong> Thales<br />
Es ist nahe liegend, zunächst das Wort klassisch, das i.w.<br />
euklidisch meint, durch “nicht-euklidisch” zu ersetzen.<br />
Auch diesen Verallgemeinerungsstrang werden wir hier<br />
nicht im Detail verfolgen, sondern nur den der elementaren<br />
Anschauung zugänglichen sphärischen Fall untersuchen,<br />
der ja die elliptische ebene Geometrie repräsentiert.<br />
Es ist dabei zunächst zweckmäßig, <strong>von</strong> (T5) auszugehen<br />
und sinngemäß die geradlinigen Winkelschenkel zu Großkreisbogen<br />
abzuändern.
KoG •12–2008 G. Weiß, F.Gruber: <strong>Den</strong> <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> <strong>THALES</strong> <strong>verallgemeinern</strong> - <strong>aber</strong> <strong>wie</strong>?<br />
(a) Auf- Grundriss<br />
X<br />
X<br />
αX<br />
k<br />
B<br />
B<br />
M<br />
b<br />
A<br />
a<br />
βX<br />
(b) Axonometrie<br />
Abbildung 3: Konstruktion der Scheitel-Ortslinie für den sphärischen <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> Thales<br />
Zur sphärischen Konstruktion der Ortslinie des Scheitels S<br />
werden die Angabeelemente A und B aus dem Kugelmittelpunkt<br />
M auf die Tangentialebene π in A projiziert. Das<br />
Orthogonalstehen der Winkelschenkelbogen a und b durch<br />
A bzw. B reproduziert sich dabei in orthogonalen Ebenen<br />
um MA und MB, deren Spuren in π gleichfalls rechtwinkelig<br />
sind und demnach dort einen gewöhnlichen Thaleskreis<br />
k ′ erzeugen. M verbunden mit k ′ ist also ein “orthogonaler<br />
(Kreis-) Kegel” Γ, denn seine Kreisschnittebene π ist<br />
normal zu einer seiner Erzeugenden, nämlich zu MA. Die<br />
gesuchte Ortslinie k ist demnach (ein Ast der) Schnittkurve<br />
dieses orthogonalen Kegels Γ mit der Kugel und somit<br />
eine Kurve 4. Ordnung, ein “sphärischer Kegelschnitt”<br />
(Abb.3).<br />
Der Kegel Γ := M ∨ k ′ erfüllt die Gleichung<br />
x 2 + y 2 − tan(2α)yz = 0 (1)<br />
Wir verwenden dabei M als Ursprung, MA als z-Achse<br />
und MAB als yz-Ebene eines kartesischen Koordinatensystems<br />
mit MA = 1 und α messe den halben Winkel ∢AMB.<br />
Hieraus folgt, dass der Aufriss k ′′ der gesuchten Thales-<br />
Kurve k auf einer Hyperbel h mit Mitte M liegt, deren<br />
Asymptoten durch die Normalen zu MA bzw. MB repräsentiert<br />
sind. Die halbe Hauptachsenlänge <strong>von</strong> h ist dabei<br />
1 2 sin(2α), sodass sich für den halben Nebenachsenbogen<br />
β <strong>von</strong> k die Länge<br />
sinβ = tanα bzw. β = arcsin(tanα) (2)<br />
ergibt (Abb.4(a)). Man beachte, dass stets α < β gilt und<br />
dass ein klassisch “elliptisches” Erscheinungsbild <strong>von</strong> k<br />
nur für 2α < 90°auftritt. Für α = 90° zerfällt k in zwei<br />
Kreisbögen in Ebenen normal zur Symmetrieebene MAB.<br />
Für 2α > 90° ist einer der Punkte A oder B durch seinen<br />
Gegenpunkt zu ersetzen (Abb.5).<br />
(a) sinβ = tanα (b) Sphärische Kegelschnitte<br />
Abbildung 4: Illustrationen zu (ST1)<br />
(ST1) Sphärischer Thales-<strong>Satz</strong>: Der Ort der Scheitel sphärischer<br />
rechter Winkel, deren Schenkelbogen durch zwei<br />
Kugelpunkte A und B (B nicht Gegenpunkt <strong>von</strong> A) gehen,<br />
ist ein sphärischer Kegelschnitt mit dem Achsbogen [A,B].<br />
Hat [A,B] die sphärische Länge 2α, so ist die zweite Achse<br />
<strong>von</strong> der Länge 2β = 2arcsin(tanα). Würde man <strong>von</strong> der<br />
kinematischen Auffasssung (T4) ausgehen, so ist auch folgende<br />
Idee ganz natürlich und auf die Kugel verallgemeinerbar:<br />
(T4’) Gleitet in der euklidischen Ebene ein Rechtwinkelhaken<br />
(S,a,b) mit seinem Scheitel S längs eines Kreises k,<br />
während sein Schenkel a durch einen festen Punkt A gleitet,<br />
so umhüllt der Schenkel b i.A. eine Kurve 2. Ordnung<br />
kb (Kegelschnitt), die “Anti-Fußpunktkurve” <strong>von</strong> k bezüglich<br />
des Pols A. Diese Kurve degeneriert in einen Punkt B<br />
genau für A aus k.<br />
9
KoG •12–2008 G. Weiß, F.Gruber: <strong>Den</strong> <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> <strong>THALES</strong> <strong>verallgemeinern</strong> - <strong>aber</strong> <strong>wie</strong>?<br />
Abbildung 5: Sphärischer <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> Thales 2α ≶ 90°<br />
Diese elementare Verallgemeinerung des Thales-<strong>Satz</strong>es<br />
(vgl.Abb.6) ist mit Mitteln der analytischen Geometrie<br />
oder der ebenen Kinematik explizit zu erfassen.<br />
Die sphärische Version dieses <strong>Satz</strong>es ist vom Rechen- und<br />
Beweisaufwand sch<strong>wie</strong>riger. Auch hier das Ergebnis natürlich<br />
eine Anti-Fusspunktkurve. Das Hüllgebilde <strong>von</strong> b<br />
wird wegen (ST1) i.A. sicher nicht kreisförmig oder gar<br />
punktförmig ausfallen können! (Im Sonderfall, dass A Mittelpunkt<br />
<strong>von</strong> k ist, stimmt kb mit k überein, ist also doch<br />
kreisförmig.)<br />
4 Räumlich elementare Verallgemeinerungen<br />
des <strong>Satz</strong>es <strong>von</strong> Thales<br />
Ersetzt man bei den Grundbegriffen das Wort “eben” durch<br />
“räumlich” und behält alle übrigen Elemente bei, so ergibt<br />
die Drehung um die Durchmessergerade AB <strong>von</strong> k als<br />
Scheitelort <strong>von</strong> rechten Winkeln eine Kugel:<br />
(T1’) Sind A,B Durchmesserendpunkte einer Kugel K 2 und<br />
ist S ein <strong>von</strong> A und B verschiedener Kugelpunkt, so ist<br />
10<br />
(a) A liegt auf k (b) A innerhalb <strong>von</strong> k<br />
(c) A ausserhalb <strong>von</strong> k<br />
Abbildung 6: Antifusspunktkurven / Illustrationen zu <strong>Satz</strong><br />
(T4’)<br />
∠ASB ein rechter Winkel. Umgekehrt, ist ΔAPB ein rechtwinkeliges<br />
Dreieck, dann gehört P der Kugel K 2 an.<br />
Es ist naheliegend dass die Aussage auch für die Hyperkugel<br />
K d−1 im d-dimenionalen euklidischen Raum (d � 2)<br />
gelten muss, wobei d = 2 verwendete Beweisidee unmittelbar<br />
brauchbar bleibt.<br />
Die Erweiterung des Schauplatzes auf (euklidische) Räume<br />
E n höherer Dimension n erlaubt auch die dimensionsmäßige<br />
Verallgemeinerung der am <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> Thales beteiligten<br />
Elemente: Es können statt Punkten A,B Unterräume<br />
A k bzw.B l verwendet werden und statt der Winkelschenkel<br />
a und b orthogonale und gemeinsam ganz E n aufspannende<br />
Unterräume α k+i , β l+ j durch A k bzw.B l . Der Schnittort<br />
zugeordneter “Schenkel-Räume” ist dann i.A. eine orthogonale<br />
Hyperquadrik oder ein orthogonaler Kegel, ein Rotationszylinder<br />
oder eine Hyperkugel. Für n = 3 sind die<br />
interessanten unter den möglichen Fällen in den folgenden<br />
Figuren (Abb.7) dargestellt. Wir wollen Ergebnisse höherdimensionaler<br />
Verallgemeinerungen im Folgenden mit<br />
(nD-Ti) kennzeichnen. Somit sind Aussagen, die das Erzeugnis<br />
orthogonaler Unterraumbündel mit der Bezeichnung<br />
(nD-T5) zusammenzufassen.
KoG •12–2008 G. Weiß, F.Gruber: <strong>Den</strong> <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> <strong>THALES</strong> <strong>verallgemeinern</strong> - <strong>aber</strong> <strong>wie</strong>?<br />
A<br />
B<br />
β<br />
α<br />
β<br />
A<br />
B<br />
α<br />
B<br />
α β<br />
Abbildung 7: Die Fälle (3D-T5): Durch orthogonale Unterraumbüschel oder Unterraumbündel erzeugten<br />
Thales-Quadriken des E 3<br />
Bemerkung: Der orthogonale Kegel als Erzeugnis orthogonal<br />
gekoppelter Ebenenbüschel mit scheidenden Achsen<br />
kommt bereits in 3 und Abb. 3 vor. Orthogonale Hyperboloide<br />
und Kegel, so<strong>wie</strong> Drehzylinder treten als “gefährliche<br />
Flächen der Fotogrammetrie” auf: Stammen die in<br />
zwei Fotos eines Objektes erkennbaren mindestens 7 Bildpaare<br />
<strong>von</strong> Raumpunkten, die einer gefährlichen Fläche angehören,<br />
so ist die Rekonstruktion des (euklidisch ausgemessenen)<br />
Objektes nicht möglich, vgl. [8] und [16].<br />
5 Der rechte Winkel als zerfallende Kurve 2.<br />
Ordnung<br />
Ein Paar normaler Geraden a,b in der euklidischen Ebene<br />
p kann als “ausgeartete ” gleichseitige Hyperbel aufgefasst<br />
werden und ist Asymptotenpaar eines Büschels homothetisch<br />
liegender gleichseitiger Hyperbeln. Dabei ergeben<br />
sich zwei Fragen:<br />
(1) Was hüllt jede der homothetisch gelegenen Hyperbeln<br />
h bei der Thales-Bewegung (T3) ein?<br />
(2) Welchen Zwanglauf bestimmt eine durch zwei feste<br />
Punkte A,B gleitende gleichseitige Hyperbel? Die beiden<br />
Fragestellungen werden hier nur durch zwei Figuren visualisiert<br />
(Abb. 9(a) und 9(b)), eine analytische Behandlung,<br />
die Zusammenhänge mit der Ellipsenbewegung offenbart,<br />
unterbleibt hier jedoch.<br />
6 Die Punkte A und B als singuläre Kurve 2.<br />
Klasse; orthoptische Linien<br />
Aus den Punkten des Thales-Kreises k sieht man die Strecke<br />
[A,B] unter festem (rechten) Winkel, k ist also eine<br />
spezielle isoptische Linie für diese Strecke. Fasst man nun<br />
A<br />
das Punktepaar (A,B) als singuläre Kurve 2.Klasse auf,<br />
die z.B. in eine konfokale Schar <strong>von</strong> Ellipsen eingebettet<br />
gedacht werden kann, so ist die Frage nahe liegend, welche<br />
isoptischen Linien bei Kegelschnitten auftreten, wenn wir<br />
als Sichtwinkel stets einen rechten Winkel fordern. (Solche<br />
α = 90°- isoptische Linien werden üblicherweise “orthopische<br />
Linien” genannt. Für die Begriffsbildung “isoptisch”<br />
und “orthoptisch” vgl. [17] und [18].) Es zeigt sich – und<br />
dies ist ein altbekanntes Ergebnis –, dass die orthoptischen<br />
Linien <strong>von</strong> Mittelpunktskegelschnitten Kreise sind; für Parabeln<br />
ergibt sich deren Leitgerade als orthopische Linie,<br />
vgl. Abb. 10.<br />
Natürlich kann man die Punkte A,B für sich und unabhängig<br />
<strong>von</strong>einander zu Kurven <strong>verallgemeinern</strong> und auf diesen<br />
Kurven a und b einen Rechtwinkelhaken “reiten” lassen.<br />
Der Scheitel S dieses Hakens durchläuft dabei die orthoptische<br />
Linie des Kurvenpaares (a,b). Bleibt A ein Punkt,<br />
so entsteht die Fußpunktskurve <strong>von</strong> b bezüglich A als Pol.<br />
Abb. 8 zeigt Spezialfälle, wenn a und b kreis- oder punktförmig<br />
angenommen sind.<br />
Abbildung 8: Orthoptische Linie eines Kreispaares und<br />
allgem. Fusspunktkurve eines Kreises.<br />
B<br />
β<br />
α<br />
A<br />
11
KoG •12–2008 G. Weiß, F.Gruber: <strong>Den</strong> <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> <strong>THALES</strong> <strong>verallgemeinern</strong> - <strong>aber</strong> <strong>wie</strong>?<br />
(a) Hüllgebilde einer mit (S,a,b) homothetischen Hyperbel h beim Thales-Zwanglauf (T3) (b) Bahn(en) des Mittelpunktes und verschiedener allgemeiner<br />
Punkte Pi beim Zwanglauf einer durch zwei Punkte<br />
gleitenden gleichseitigen Hyperbel<br />
12<br />
a<br />
Abbildung 9: Der rechte Winkel aufgefasst als Asymptoten gleichseitiger Hyperbeln<br />
S<br />
b<br />
a<br />
S<br />
Abbildung 10: Orthoptische Linie einer Ellipse, einer Parabel und einer Hyperbel<br />
b<br />
a<br />
S<br />
b
KoG •12–2008 G. Weiß, F.Gruber: <strong>Den</strong> <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> <strong>THALES</strong> <strong>verallgemeinern</strong> - <strong>aber</strong> <strong>wie</strong>?<br />
7 Höherdimensionale Analoga der Rechtwinkeligkeit<br />
Wir suchen nach “vernünftigen” Verallgemeinerungen eines<br />
rechten Winkels bzw. eines Winkels vom Maß π/2 ,<br />
(also einem Viertel des Vollkreisumfanges). Einem rechten<br />
Winkel höherdimensional analog ist ein n-Bein aus<br />
paarweise orthogonalen (Halb-)-Geraden. Dagegen könnte<br />
man (im Fall der Dimension 3), jedes Dreikant mit (sphärischem)<br />
Eckenwinkelmaß π/2 als Analogon eines ebenen<br />
Winkels vom Maß π/2 auffassen. Es gibt also im E 3 bis<br />
auf Bewegungen eine zweiparametrige Menge solcher π/2<br />
- Dreikante.<br />
Einen anderen Verallgemeinerungsweg betreten wir, wenn<br />
wir im Sinne <strong>von</strong> 4. {a,b} als niedrigstdimensionalen Fall<br />
eines quadratischen Kegels Γ auffassen. Um ihn mit der<br />
Orthogonalität zu verbinden, möge man sich der “Spur-<br />
0-Kegel” erinnern. Das sind elliptische Kegel mit einer<br />
Gleichung in projektiven Koordinaten derart, dass die zugehörige<br />
symmetrische Bilinearform auf eine (singuläre)<br />
symmetrische (4x4)-Matrix mit der Hauptdiagonalglieder-<br />
Summe 0, also der Spur 0 führt. Die kennzeichnende geometrische<br />
Eigenschaft dieser Kegel ist die, dass auf ihnen<br />
eine stetige Schar orthogonaler Dreibeine aus Kegelerzeugenden<br />
existiert (vgl. [12], [6]). Ein orthogonales Dreibein<br />
aus Erzeugenden lässt sich also längs Γ herum bewegen.<br />
Ein triviales Beispiel eines solchen Kegels ist der die Kanten<br />
einer Würfelecke enthaltende Drehkegel. Hat der Basiskreis<br />
eines solchen Drehkegels den Radius 1, so ist seine<br />
Höhe 1/ √ 2.<br />
Bemerkung: Für höhere Dimension d ergibt sich eine Höhe<br />
<strong>von</strong> 1/ √ d − 1 über der Mitte der Leitsphäre K d−2 vom Radius<br />
1, <strong>wie</strong> man unter Zuhilfenahme der Maßverhältnisse<br />
beim Hyperwürfel unschwer ableitet. Sinngemäß müssen<br />
wir nun auch das Punktepaar A,B als niedrigstdimensionalen<br />
Kreis auffassen, der nun “Leitkreis” für einen Spur-<br />
0-Kegel zu sein hat. Es ergibt sich folgender <strong>verallgemeinern</strong>der<br />
Sachverhalt:<br />
(3D-T1) Die durch einen Kreis k legbaren Spur-0-Kegel<br />
haben Spitzen, die einem abgeplatteten Drehellipsoid mit<br />
dem Achsenverhältnis √ 2 : 1 angehören, welches k zum<br />
Äquatorkreis hat.<br />
<strong>Den</strong>kt man sich Γ durch ein konkret gegebenes orthogonales<br />
Dreibein erzeugt, so ergibt sich folgende Formulierung,<br />
vgl. Abb. 11, so<strong>wie</strong> [2] und [10]:<br />
Abbildung 11: Dreiparam. Beweglichkeit eines orthogonalen<br />
Dreibeins längs eines festen Kreises k:<br />
Drehellipsoid als zweidimensionaler Scheitelort<br />
S plus einparam. Bewegung längs orthogonalem<br />
Kegel Γ = S ∨ k.<br />
(3D-T3) Treffen die Schenkel eines orthogonalen Dreibeins<br />
stets einen Kreis k, so erfüllen die Scheitel S der so<br />
erklärten 3-parametrigen (!) Menge <strong>von</strong> Dreibeinen eine<br />
Fläche, nämlich ein abgeplattetes Drehellipsoid mit dem<br />
Achsenverhältnis √ 2 : 1, welches k zum Äquatorkreis hat.<br />
Diese Aussage ist zunächst unerwartet, bestimmt der beschriebene<br />
Zwanglauf doch eine dreiparametrige Dreibeinmenge.<br />
Erstaunlicherweise lässt sich der Beweis mit Mitteln<br />
der Elementargeometrie führen, wobei Eigenschaften<br />
der Euler-Geraden und der <strong>Satz</strong> vom Normalriss eines<br />
Rechten Winkels zur Anwendung kommen.<br />
Der folgende, <strong>von</strong> [2] in Details abweichende elementargeometrische<br />
Beweis gliedert sich in drei Schritte:<br />
a) die Festlegung eines Treffpunktedreiecks des Dreibeins<br />
{S;a,b,c} mit k zu (in der Kreisebene) gewähltem Grundriss<br />
S ′ des Scheitels S und gewähltem Punkt C ∈ k des Dreibeinschenkels<br />
c,<br />
b) die Bestimmung der einparametrigen Menge <strong>von</strong> Treffpunktedreiecken<br />
zu festem Scheitelgrundriss S ′ , die wegen<br />
(3D-T1) erwartungsgemäß den selben Scheitel S haben;<br />
wobei also zu zeigen ist, dass bei verschiedener Wahl <strong>von</strong><br />
C die zugehörigen Scheitel S die selbe Höhe über der Kreisebene<br />
haben, und<br />
c) gezeigt werden muss, dass der sicher drehsymmetrische<br />
Ort der Scheitel S eine Meridianellipse der in (3D-T3) behaupteten<br />
Gestalt hat.<br />
Zu a): Bezeichnen A,B,C die Treffpunkte der Schenkel<br />
des Ortho-3-Beins, so ergibt sich nach dem “<strong>Satz</strong> vom<br />
Rechtwinkelbild”, nach dem sich jede Ebenennormale im<br />
Normalriss orthogonal zur Ebenenspur abbildet, dass der<br />
Grundriss S ′ des Scheitels S stets in den Höhenschnittpunkt<br />
<strong>von</strong> ΔABC fällt. Vom Dreieck ΔABC kennt man also einerseits<br />
den Umkreis samt Mittelpunkt M und den Höhenschnittpunkt<br />
S ′ , somit die Euler-Gerade e und den Schwerpunkt<br />
G ∈ e mit MG = 2GS ′ . Zu beliebig, <strong>aber</strong> nicht auf e<br />
gewählter Ecke C ∈ k ist somit CS ′ = hc eine Dreieckshöhe,<br />
13
KoG •12–2008 G. Weiß, F.Gruber: <strong>Den</strong> <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> <strong>THALES</strong> <strong>verallgemeinern</strong> - <strong>aber</strong> <strong>wie</strong>?<br />
zu der die durch M gehende Mittelsenkrechte mc der Seite<br />
c := [A,B] parallel sein muss; CG =: sc ist eine Schwerlinie.<br />
Sie trifft mc im Seitenmittelpunkt C ∗ <strong>von</strong> c und c ist<br />
damit als Normale zu mc durch C ∗ festgelegt. Die Seitengerade<br />
c trifft k in den gesuchten Treffpunkten A und B,<br />
vgl. Abb. 12 (links).<br />
k<br />
A<br />
k<br />
A<br />
e<br />
C<br />
M<br />
sc<br />
C<br />
c<br />
mc<br />
c<br />
C<br />
hc<br />
G<br />
Abbildung 12: Skizzen zum Beweis a) und b)<br />
Zu b): Um die Höhe <strong>von</strong> S über der Ebene π <strong>von</strong> k zu bestimmen,<br />
verwenden wir CS ′ S als Seitenriss-Ebene. (<strong>Den</strong><br />
in dieser Ebene liegenden Höhenfußpunkt c ∩ hc bezeichnen<br />
wir mit Fc.) In diesem Seitenriss erscheint das sicher<br />
rechtwinkelige Dreieck ΔCSFc unverzerrt und wir lesen<br />
nach dem Höhensatz für rechtwinkelige Dreiecke ab:<br />
S ′ S 2 = S ′ C · S ′ Fc. (3)<br />
Nun schneidet hc den Umkreis k <strong>von</strong> ΔABC noch in einem<br />
Punkt Ck, für den bekanntlich gilt:<br />
FcS ′ = FcCk, (4)<br />
sodass damit folgt:<br />
S ′ S 2 = 1<br />
2 S′ C · S ′ Ck. (5)<br />
Der Sehnensatz für (k,S ′ ) besagt nun <strong>aber</strong>, dass<br />
S ′ C · S ′ Ck = const. (6)<br />
für jede Wahl <strong>von</strong> C auf k ist. Demnach muss auch S ′ S 2<br />
einen <strong>von</strong> C unabhängigen festen Wert haben, vgl. Abb. 12<br />
(rechts).<br />
14<br />
C ∗<br />
S ′<br />
S ′<br />
Fc<br />
Fc<br />
Ck<br />
z<br />
B<br />
B<br />
Ck<br />
S ′′′<br />
Zu c): Für den Nachweis, dass der wegen b) nur zweidimensionale<br />
Scheitelort ein abgeplattetes Drehellipsoid<br />
Φ ist, verfolgen wir einen Meridian m <strong>von</strong> Φ, indem<br />
wir <strong>von</strong> fest gewähltem C auf k ausgehen und S ′ auf<br />
der Verbindungslinie CM wählen. Damit muss ΔABC ein<br />
gleichschenkliges Dreieck sein. Zu jeder Wahl der Basisseite<br />
c normal hc = e = CM gehört ein rechtwinkliggleichschenkliges<br />
Dreieck ΔASB, sodass SFc = 1<br />
2AB sein<br />
muss, (Fc bezeichnet <strong>wie</strong>der den Höhenfußpunkt <strong>von</strong> hc<br />
auf c). Andererseits liegt S auf dem Thaleskreis über [CFc],<br />
da auch das Dreieck ΔCSFc rechtwinklig ist, vgl. Abb.13.<br />
k<br />
S ′′′<br />
b ′<br />
C M S ′ Fc<br />
α/2<br />
α<br />
z<br />
B<br />
A<br />
a ′<br />
c ′ = e<br />
Abbildung 13: Skizze zum Beweis c)<br />
Mit α := ∢AMFc besitzt es die Kathetenlängen<br />
SFc = sinα und SC = cos α<br />
(1+cosα), (7)<br />
2<br />
wobei wir für den Radius <strong>von</strong> k o.B.d.A. den Wert 1 verwenden.<br />
Für den Normalriss S ′ ∈ CM ergibt sich demnach<br />
in Abhängigkeit <strong>von</strong> α<br />
r(α) = MS ′ = 1 − cos<br />
2 α<br />
und die Höhe z <strong>von</strong> S berechnet sich zu<br />
z(α) = S ′ S = sin α<br />
2<br />
(1+cosα), (8)<br />
2<br />
α<br />
cos (1+cosα), (9)<br />
2<br />
sodass (r(α),z(α)) die Ellipsengleichung<br />
r 2<br />
1<br />
+ z2<br />
1<br />
2<br />
erfüllt.<br />
= 1 (10)<br />
Bemerkung: Obschon der Sachverhalt (3D-T3) durch die<br />
Aussagen zu (3D-T1) mit erledigt ist, scheint der elementargeometrische<br />
Beweis <strong>von</strong> Interesse zu sein, sind doch<br />
die benützten Werkzeuge im Schulstoff angesiedelt, also<br />
‘Folklore’. Er kann daher <strong>von</strong> jedem an Mathematik interessierten<br />
Laien leicht nachvollzogen werden. Der angegebene<br />
Beweis “rechtfertigt” auch die Tradierung elementargeometrischer<br />
Sätze als ein seltenes Beispiel für die Verwendung<br />
der Euler-Geraden als Beweishilfsmittel!<br />
�
KoG •12–2008 G. Weiß, F.Gruber: <strong>Den</strong> <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> <strong>THALES</strong> <strong>verallgemeinern</strong> - <strong>aber</strong> <strong>wie</strong>?<br />
8 Umstülpung des Würfels nach P. Schatz<br />
In [9] findet sich auf Seite 37 im Zusammenhang mit der<br />
Umstülpung des Würfels (siehe Abb. 14) die Formulierung<br />
“Es erfolgt übrigens die Bezeichnung des umstülpbaren<br />
Würfels als “rechtwinkliges Sechsflach” in Anbetracht sei-<br />
nes Verhältnisses zur Umkugel, dem im Zweidimensiona-<br />
len das Verhältnis des rechtwinkligen Dreiecks zum Kreis<br />
entspricht.”<br />
Abbildung 14: Vom Würfel abgeleitete umstülpbare Tetraederkette<br />
<strong>von</strong> P. Schatz (vgl. auch [20]).<br />
Man könnte also meinen, auch hier eine räumliche Ver-<br />
allgemeinerung des <strong>Satz</strong>es <strong>von</strong> Thales vorzufinden. Der<br />
Umstülpvorgang ändert <strong>aber</strong> den Radius der Umkugel des<br />
Sechsflachs. <strong>Den</strong>noch lässt sich eine Thales-Bewegung extrahieren,<br />
wenn man den Bewegungsvorgang eines der Te-<br />
traeder der sechsgliedrigen Schatzschen Kette <strong>von</strong> Abb. 14<br />
für sich studiert. Dabei wird das Tetraeder auf die drei aufeinander<br />
folgenden Rechtwinkelhaken reduziert, die mit<br />
den Schenkeln a,b durch feste Punkte A,B gleiten sollen<br />
(Abb. 15). Wir fragen nach der Menge <strong>von</strong> Geraden, die die<br />
Gemeinnormale c der zueinander normalen Geraden a und<br />
b durchläuft. Diese Geradenmenge besteht aus Drehreguli<br />
(also einer Erzeugendenschar <strong>von</strong> Drehhyperboloiden) mit<br />
der gemeinsamen Achse AB. Andererseits ist auch ein Be-<br />
wegungsvorgang denkbar, der c nur parallel verschiebt und<br />
einen Thales-Zylinder erzeugt. Damit berühren alle mög-<br />
lichen Geraden c eine mit der Thales-Kugel über AB konzentrische<br />
Kugel und schließen mit AB konstanten Win-<br />
kel ein. Die Menge c ist also eine Geradenkongruenz, die<br />
als Schnitt eines Kugeltangentenkomplexes und des Treffgeradenkomplexes<br />
eines Fernkreises entsteht. (Für diese<br />
der Liniengeometrie entstammende Begriffswelt siehe z.B<br />
[7].)<br />
Abbildung 15: Räumlicher Rechtwinkelhaken aRcSb dessen<br />
Schenkel a und b durch die festen<br />
Punkte A und B gleiten.<br />
9 Weitere Analoga zum <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> Thales<br />
Von den bisherigen Verallgemeinerungen ausgehend lassen<br />
sich weitere Verallgemeinerungslinien eröffnen. Zum<br />
Beispiel erlaubt der Begriff der Fußpunktskurve nahe<br />
liegende räumliche Verallgemeinerungen im Sinne eines<br />
Thales-<strong>Satz</strong>es, wenn man nur die Schenkel a,b<br />
des ursprünglichen Rechtwinkelhakens durch zwei totalorthogonale<br />
Unterräume ersetzt, die ihrerseits zwei Steuerflächen<br />
oder -kurven berühren oder durch Punkte A,B<br />
hindurchgehen. Der Fall der durch orthogonale Geradenund<br />
Ebenenbündel erzeugten Thales-Kugel <strong>von</strong> Abb. 7 gehört<br />
beispielsweise hierher.<br />
Es ist unmittelbar einsichtig, dass das ebene Problem orthoptischer<br />
Kurven, <strong>wie</strong> es in Kapitel 6 behandelt wurde, auf<br />
zwei Arten in den Raum zu übertragen ist:<br />
(3D-T3a) Gesucht ist der Ort der Scheitel eines orthogonalen<br />
Dreibeins, dessen Schenkel drei Steuerflächen berühren,<br />
wobei die Steuerflächen zusammenfallen oder auch zu<br />
Kurven oder Punkten ausarten können.<br />
(3D-T3b) Gesucht ist der Scheitel eines orthogonalen<br />
Dreiflachs, dessen Ebenen drei Steuerflächen berühren,<br />
wobei die Steuerflächen zusammenfallen oder auch zu<br />
Kurven oder Punkten ausarten können.<br />
(3D-T3a) soll durch das folgende Beispiel illustriert werden:<br />
Gesucht ist der Ort der Scheitel S orthogonaler Dreibeine<br />
(S,a,b,c), deren Schenkel drei nicht notwendig<br />
windschiefe Steuergeraden p,q,r treffen. Jeder nicht durch<br />
eine Steuergerade gehende ebene Schnitt der drei Steuergeraden<br />
gibt Anlass zu einem Treffpunktedreieck ΔABC.<br />
Damit dieses das Spurpunktedreieck eines orthogonalen<br />
Dreibeins sein kann, muss es notwendig spitzwinklig ausfallen.<br />
Der Grenzfall rechtwinkliger Spurendreiecke sei<br />
zugelassen. Die Schnittebenen-Normale durch den Höhenschnittpunkt<br />
<strong>von</strong> ΔABC trägt dann zwei zur Schnittebene<br />
15
KoG •12–2008 G. Weiß, F.Gruber: <strong>Den</strong> <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> <strong>THALES</strong> <strong>verallgemeinern</strong> - <strong>aber</strong> <strong>wie</strong>?<br />
symmetrisch liegende Punkte S. Dieses Punktepaar ergibt<br />
sich auch als Schnittpunktepaar der Thales-Kugeln über<br />
den Dreiecksseiten [A,B],[B,C],[C,A], vgl. Abb. 16.<br />
Abbildung 16: Scheitel S eines orthogonalen Dreibeins,<br />
dessen Schenkel drei Leitgeraden p,q,r<br />
treffen.<br />
Da die Menge der Schnittebenen dreidimensional ist, haben<br />
wir <strong>von</strong> einer dreiparametrigen Menge <strong>von</strong> Dreibeinen<br />
auszugehen. Wir überlegen, dass zu jeder Lösung S<br />
eine dreidimensionale Umgebung <strong>von</strong> Lösungen S existiert.<br />
Dazu beschreiten wir einen anderen, etwas aufwändigeren<br />
Lösungsweg: Wir gehen <strong>von</strong> einem zunächst beliebig<br />
(nicht auf den Leitgeraden) gewählten Raumpunkt S<br />
als Auge einer Zentralprojektion auf eine (beliebig gewählte)<br />
Bildebene π aus. Dann ist den Zentralrissen p c ,q c ,r c<br />
ein Dreieck ΔABC so einzuschreiben, dass der Hauptpunkt<br />
der Perspektive dessen Höhenschnittpunkt ist. Unter der<br />
(i.A.) einparametrigen Menge dieser Dreiecke finden sich<br />
zwei (im algebraischen Sinn) so, dass sich die Thales- Kugeln<br />
über den Seiten im Augpunkt schneiden. Die Beweglichkeit<br />
eines (nicht orthogonalen) Dreikants entlang dreier<br />
Geraden findet sich auch bei der <strong>von</strong> H. Stachel entdeckten<br />
Bewegungen, die die beiden Tetraeder einer Stella Octangula<br />
gegeneinander trotz Übergeschlossenheit des kinematischen<br />
Systems ausführen können, vgl. [13] und [14].<br />
Mit diesem in Abb. 16 visualisierten Beispiel hat man in<br />
gewisser Weise auch einen “<strong>Satz</strong> <strong>von</strong> Thales im Linien-<br />
A<br />
C<br />
k<br />
I<br />
S<br />
B<br />
H A<br />
raum” behandelt. Auf die Untersuchung weiterer, liniengeometrisch<br />
motivierter Verallgemeinerungen des <strong>Satz</strong>es<br />
<strong>von</strong> Thales wird hier verzichtet.<br />
Zur Illustration <strong>von</strong> (3D-T3b) gehen wir vom Spezialfall<br />
eines einzigen Kreises k als der (dreifachen) Steuerkurve<br />
aus und bestimmen die orthogonalen Dreiflache, deren<br />
Ebenen k berühren. In gewisser Weise dual zur Aufgabe<br />
(3D-T3) gehen wir also <strong>von</strong> einem spitzwinkligen Tangentendreieck<br />
<strong>von</strong> k aus, bestimmen dessen Höhenschnittpunkt<br />
H und schneiden die Thales-Kugeln über den Dreiecksseiten,<br />
um das zum Tangentendreieck gehörige Paar<br />
<strong>von</strong> Scheiteln S möglicher Dreiflache zu gewinnen, vgl.<br />
Abb. 17.<br />
In Abb. 17 wurde <strong>von</strong> einem (spitzwinkligen) gleichschenkligen<br />
Tangentendreieck ΔABC ausgegangen, dessen<br />
Symmetrieachse die Seite [B,C] im Berührpunkt D mit k<br />
trifft. Ist I der Mittelpunkt <strong>von</strong> k und α bzw. γ der Innenwinkel<br />
<strong>von</strong> ΔABC in A bzw. C und bezeichnet H den Höhenschnittpunkt<br />
<strong>von</strong> ΔABC, so gilt<br />
DC =: p = cot γ<br />
> 1 (im Grenzfall p=1),<br />
2<br />
AI =: q = 1<br />
cosγ = p2 + 1<br />
p 2 − 1<br />
DH =: r = p·cotγ = 1<br />
2 (p2 −1),IH = 1−r= 1<br />
2 (3− p2 )=: y<br />
Hieraus folgt für die z-Kote des Scheitels S des Dreiflaches<br />
nach dem Höhensatz die Beziehung<br />
z 2 = (q+y)r = (q+y)(1 − y) = q+y+qy − y 2 ,<br />
sodass schließlich z und y die Gleichung<br />
y 2 + z 2 = q+y−qy = 2 p2 − 1<br />
p2 = 2 (p > 1)<br />
− 1<br />
erfüllen.<br />
Abbildung 17: Der Scheitelort der einen Kreis k berührenden orthogonalen Dreiflache ist eine mit k konzentrische Kugel.<br />
16<br />
α<br />
k<br />
γ<br />
I<br />
H<br />
γ<br />
2<br />
γ<br />
C<br />
D<br />
B
KoG •12–2008 G. Weiß, F.Gruber: <strong>Den</strong> <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> <strong>THALES</strong> <strong>verallgemeinern</strong> - <strong>aber</strong> <strong>wie</strong>?<br />
Wir haben noch zu zeigen, dass alle Tangentendreiecke<br />
{A,B,C} die den selben Höhenschnittpunkt H haben, zum<br />
selben z-Wert <strong>von</strong> S führen. Die Menge dieser Tangentedreiecke<br />
sind sämtlich einer festen Ellipse e ein- und dem<br />
Kreis k umbeschrieben. (e und k bilden eine Angabe eines<br />
<strong>von</strong> J-V. Poncelet stammenden poristischen Problems<br />
der ebenen projektiven Geometrie, bei dem entweder keine<br />
oder unendlich viele Lösungen auftreten, vgl. [3] und<br />
Abb.18) Die Ellipse e ist dabei durch zwei solche Dreiecke<br />
bestimmt. Wir übergehen die diesbezüglichen Rechnungen.<br />
Abbildung 18: Dem Kreis k umschriebene Dreiecke<br />
mit gemeinsamem Höhenschnittpunkt H<br />
sind einer festen Ellipse e einbeschrieben.<br />
Somit gilt der <strong>Satz</strong><br />
(3D-T3b) Berühren die Ebenen eines orthogonalen Dreiflachs<br />
einen Kreis k vom Radius 1, so gehört der Scheitel<br />
des Dreiflachs einer mit k konzentrischen Kugel vom Radius<br />
√ 2 an.<br />
Für diese Aussage haben die Autoren keinen Hinweis in<br />
der Literatur gefunden. Sie lässt eine (nD-T3) analoge<br />
Dimensionsverallgemeinerung zu, die auf eine Thales-<br />
Hyperkugel vom Radius √ n − 1 führt.<br />
Mit (3D-T3b) ist abschließend ein sehr natürlicher Verallgemeinerungsstrang<br />
des <strong>Satz</strong>es <strong>von</strong> Thales gefunden, der<br />
aus den Formulierungen des ursprünglichen Thales-<strong>Satz</strong>es<br />
im Sinne <strong>von</strong> Kapitel 4 folgt:<br />
(T7) “Fasst man das Punktepaar A,B als ausgearteten<br />
Klassenkegelschnitt (also als Tangentenmenge) auf, so liegen<br />
die Schnittpunkte S orthogonaler Tangenten auf einem<br />
Kreis, dem Thales-Kreis über [A,B].”<br />
(3D-T7) Fasst man einen Kreis k als ausgeartete Klassenquadrik<br />
(also als Tangentialebenenmenge) auf, so liegen<br />
die Schnittpunkte S orthogonaler Tangentialebenentripel<br />
auf einer mit k konzentrischen Kugel vom √ 2-fachen des<br />
Kreisradius.<br />
Herrn M. Hamann verdanken die Autoren den Hinweis,<br />
dass dieser Verallgemeinerungsstrang auch die Verbin-<br />
dung zu “dualen Holditch-Sätzen im Dreidimensionalen”<br />
im Sinne <strong>von</strong> [1] knüpft.<br />
10 Schlussbemerkung<br />
Wir haben einige Wege aufgezeigt, <strong>wie</strong> der <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> Thales<br />
in allgemeinere Fragestellungen als Spezialfall eingebettet<br />
werden könnte. Obwohl dabei Vieles nur grob angerissen<br />
wurde, so wird hoffentlich dennoch zumindest die Reichhaltigkeit<br />
dieser möglichen Verallgemeinerungen sichtbar<br />
und sollte zu eigenständigem forschenden Tun anregen.<br />
Darüber hinaus sollten Prinzipien mathematischer Überlegung<br />
exemplarisch vorgestellt werden: Das Einordnen<br />
eines Sachverhaltes in ein allgemeines Schema einerseits<br />
und das Bilden <strong>von</strong> Analogien andererseits. Beide Prinzipien<br />
erfordern zwar eine gewisse Breite an mathematischgeometrischer<br />
Grundbildung, bei in der Schule nicht gehemmter<br />
natürlicher Neugier der Schüler wird der Erwerb<br />
dieser Bildung <strong>aber</strong> zu keiner Zeit als Last empfunden.<br />
Für diese Bildungsaufgabe mag der vorliegende<br />
Text in Zusammenhang mit der Einübung einer dynamischen<br />
Graphik-Software nutzbar sein. Jedenfalls soll Schülern<br />
und Studenten mit den vorliegenden Materialien, die<br />
durch einschlägige Literatur und Internet-Recherche noch<br />
zu ergänzen sind, auch verdeutlicht werden, dass Geometrie<br />
und Mathematik entgegen landläufiger Meinung keinesfalls<br />
abgeschlossene Wissensgebiete sind!<br />
Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass für den über<strong>wie</strong>genden<br />
Teil der Figuren die programmierbare Graphics<br />
Software ‘Open Geometry GL’ (vgl. [4] und [5]) benutzt<br />
wurde.<br />
Literatur<br />
[1] BROMANN, A., Holditch’s Theorem, Math. Magazine<br />
54 No.3 (1981).<br />
[2] BUBECK, H., Auf der Suche nach einer „einfachen“<br />
räumlichen Entsprechung zum <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> Thales, MNU<br />
47/5 (1994), 264-268.<br />
[3] FRIEDELMEYER, J-P., Le théorème de cloture de<br />
Poncelet comme source d’inspiration et lieu de<br />
rencontre des nouvelles methods en géométrie,<br />
(Lumigny, 2005).<br />
www.univ-nancy2.fr/poincare/colloques/<br />
hgmc2005/Friedel-meyer_Jean_Pierre.pdf<br />
[4] GLAESER, G.- STACHEL, H., Open Geometry:<br />
Open GL + Advanced Geometry, Springer 1999<br />
(ISBN 0387 985999).<br />
17
KoG •12–2008 G. Weiß, F.Gruber: <strong>Den</strong> <strong>Satz</strong> <strong>von</strong> <strong>THALES</strong> <strong>verallgemeinern</strong> - <strong>aber</strong> <strong>wie</strong>?<br />
[5] GLAESER, G. - SCHRÖCKER, H-P., Handbook of<br />
Programming using Open Geometry GL, Springer<br />
Professional Computing 2002 (ISBN 0387 95272-1).<br />
[6] HAVLICEK, H. - WEISS, G., Altitudes of a Tetrahedron<br />
and Traceless Quadratic Forms, The American<br />
Mathematical Monthly, Vol. 110, No. 8 (Oct., 2003),<br />
pp. 679-693.<br />
[7] HOSCHEK, J., Liniengeometrie, HTB, B.I. Mannheim<br />
1971.<br />
[8] KRAMES J., Über die bei der Hauptaufgabe der Luftphotogrammetrie<br />
auftretenden ’gefährlichen’ Flächen,<br />
Bildmessung und Luftbildwesen (1942), 1-18.<br />
[9] SCHATZ, P., Rythmusforschung und Technik, Verlag<br />
freies Geistesleben, 1998. 37-38.<br />
[10] SCHUMANN, H., Schulgeometrie im virtuellen<br />
Raum, Franzbecker 2007, ISBN 978-3-88120-463-7.<br />
[11] SEEBACH, K., Verallgemeinerung des <strong>Satz</strong>es <strong>von</strong><br />
Thales auf 3 Dimensionen, PM 34(1992), 209-212.<br />
[12] STACHEL, H., A remarkable overconstrained spherical<br />
motion, In J. Lenarcic and M. Husty (eds),<br />
Advances in robot kinematics: analysis and control<br />
(Salzburg, 1998), Kluwer Acad. Publ., Dordrecht,<br />
1998 (ISBN 0-7923-5169-X): pp. 287-296.<br />
http://www.geometrie.tu<strong>wie</strong>n.ac.at/<br />
stachel/iftom.pdf<br />
[13] STACHEL, H., Ein bewegliches Tetraederpaar, Elem.<br />
D. Math. 43 (1988), 65-75.<br />
18<br />
[14] STACHEL, H., Zwei bemerkenswerte bewegliche<br />
Strukturen, J. Geom. 43 (1992), 14-21.<br />
[15] STEINER TH.,<br />
http://commons.wikimedia.org/wiki/Image:<br />
Mandate2006.png<br />
[16] WUNDERLICH, W., Zur Eindeutigkeitsfrage der<br />
Hauptaufgabe der Photogrammetrie, Monatshefte<br />
Math.Phys. 50 (1941), 151-184.<br />
[17] WUNDERLICH, W., Kurven mit isoptischem Kreis,<br />
Aequationes math. 6 (1971), 71-81.<br />
[18] WUNDERLICH, W., Die isoptischen Kurven <strong>von</strong> Zykliden,<br />
Z.Angew.Math.Mech. 17 (1937), 56.<br />
[19] http://de.wikipedia.org/wiki/<strong>Satz</strong>_des_<br />
Thales<br />
[20] ZAHAUREK, F., Der umstülpbare Würfel nach Paul<br />
Schatz, 1999,<br />
http://www.fzk.at/wuerfel/index.html<br />
Gunter Weiß<br />
Technical University of Dresden<br />
e-mail: Gunter.Weiss@tu-dresden.de<br />
Franz Gruber<br />
University of Applied Arts Vienna<br />
e-mail: Franz.Gruber@uni-ak.ac.at