Dieser Artikel ist erschienen auf unserer Schriftstellerplattform "Freitext". Dort schreibt Katja Oskamp ihre Kolumne "Fußpflege in Marzahn"

Die Bekanntschaft mit Peggy Engelmann verdanke ich Struppi. Struppi hat struppiges Fell, das ab und zu geschoren werden muss. Das macht die nette Frau, die ihren Hundesalon um die Ecke unseres Nagelstudios in Berlin-Marzahn betreibt. Struppi ist ein Exemplar der russischen Rasse Bolonka Zwetna, was "buntes Schoßhündchen" bedeutet, und passt in fast jede Handtasche. Böse Zungen nennen Hunde, wie Struppi einer ist, Fußhupe.

Eines Tages brachte Peggy Engelmann Struppi zu seinem Friseurtermin und kam unterdessen zu mir, um sich die Füße machen zu lassen. Wir verstanden uns auf Anhieb; Peggy Engelmann ist eine herzliche Frau, die direkt losschnattert, kein Blatt vor den Mund nimmt und gern das letzte Wort hat. Mit ihren wundervoll kräftigen roten Naturlocken erinnert sie mich manchmal noch an Pippi Langstrumpf und manchmal schon an Maria Stuart, die schottische Königin. Peggy Engelmann ist zweiundvierzig Jahre alt und dabei, sich in eine Matrone zu verwandeln.

Was die Füße angeht, gibt es zwei Probleme. Erstens sind sie stets einwandfrei gepflegt, weder Horn- noch Nagelhaut ist zu beseitigen, die Nägel sind makellos gerade geschnitten und gefeilt. Zweitens reagiert Peggys Haut allergisch auf ungefähr alles und ich darf weder Schaumbad noch Peeling anwenden, keine unserer Cremes, nicht mal Nagelöl. Mit anderen Worten: Ich habe nichts zu tun.  

Als Peggy Engelmann auf dem Fußpflege-Thron, saß, regelte sie per Smartphone die Lieferung des neuen Schuhschranks, die Vorstandssitzung des Kleingartenvereins, die Frühstücksverabredung mit ihren Kindern, die schon groß und ausgezogen sind. Wir plauderten, wir gackerten, und ich massierte ihr die Füße mit einer allergietauglichen Spezialcreme, die sie in der Handtasche parat hatte.

Fürs nächste Mal vereinbarte Peggy Engelmann einen Termin für sich und für ihren Mann Mirko, welche sie wiederum mit Struppis koordinierte.

Acht Wochen später brachte Peggy Engelmann Struppi planmäßig in den Hundesalon, kam um 16:30 Uhr zu mir und erklärte lachend, ich solle mich nachher nicht wundern, wenn sie im Fußpflegeraum bei Mirko bleibe, er würde sich nie und nimmer allein hierher trauen.

Während Struppi ganz allein bei der netten Frau im Salon blieb, fehlte Peggys fünfundvierzigjährigem Ehemann offenbar dieser Mut. Mein Verdacht, dass Peggy die Fußpflege nicht um ihrer selbst willen aufgesucht hatte, bestätigte sich, als Mirko auftrat. Er kam um 17:30 Uhr und direkt von der Arbeit, grüßte mich kaum, gab Peggy einen Kuss und zog zuerst die saubere Hose an, die sie ihm von zu Hause mitgebracht hatte. Er sprach wenig bis nichts, schaute sich ängstlich in der neuen Umgebung um. In Vorbereitung auf seinen Termin hatte er sich – typischer Anfängerfehler – die Zehennägel geschnitten, allerdings nur acht. Beide Großzehen waren komplett nackt bis auf zwei winzige Hornplättchen an den Nagelwurzeln, die nicht mehr wuchsen. Ich fragte Mirko, was mit den Großzehen passiert war.

Sie seien schlimm entzündet gewesen, erklärte Peggy, die auf dem Stuhl am Fenster saß, da habe der Doktor kurzen Prozess gemacht. Ich stellte mir vor, wie Peggy Mirko zum Arzt gebracht und die ganze Zeit daneben gesessen hatte. Als ich die behandschuhten Hände öffnete, in denen das Peeling verteilt war, und Mirko zögerlich seinen rechten Fuß in sie legte, schnellte er mit einem Aufschrei vom Stuhl hoch. Ich plumpste vor Schreck auf den Hintern. "Ach so, dit hab ick vajessen", quiekte Peggy vergnügt, "er is total kitzlig!"

Für den Rest der Sitzung rang der schüchterne Mirko auf dem Thron wortlos um Contenance; halb gluckste er, halb verbog er sich in Krämpfen. Peggy und ich kringelten uns vor Lachen.

"Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?", fragte ich acht Wochen später, als Peggy wieder auf dem Stuhl am Fenster saß und Mirko sich auf dem Thron krümmte.