Die CDU hat mal wieder die Wahl: Zum dritten Mal treten drei Kandidaten für drei sehr unterschiedliche Versionen einer Volkspartei an. Am Mittwochabend endete die Nominierungsphase. Es bewerben sich: Helge Braun, zum ersten Mal, Norbert Röttgen, es ist seine zweite Kandidatur, und Friedrich Merz auf ein Drittes.

Bis zum 2. Dezember werden sich die Kandidaten der Partei vorstellen. Am 4. beginnt der erste Wahlgang, ein Parteitag bestätigt dann lediglich Ende Januar das Ergebnis. Das Adenauer-Haus plant für kommende Woche je ein digitales Townhall-Meeting pro Kandidat. Die Landesverbände dürfen als Ergänzung selbst einladen – allerdings wird da die Zeit schon knapp. Auch die Parteigliederungen, also etwa die Frauen Union oder die Christlich Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA), werden sich einbringen. Wie genau, das ist noch offen.

Die Ausgangslage ist dieses Mal eine gänzlich neue: Landesverbände, die Frauen, die CDA, die Junge Union und der Wirtschaftsflügel stellen auf CDU-Parteitagen, die üblicherweise über den Parteivorsitz bestimmen, die Delegierten. Sie sind die entscheidenden Macht-Netzwerke. Nur wer sie überzeugt, wird Parteichef. Diesmal sind sie Zuschauer. Die Basis wählt. Die Vereinigungen und Verbände können bestenfalls als Meinungsaggregatoren oder Multiplikatoren wirken.

Was also wollen die drei Kandidaten für ihre Partei – und wen wollen sie damit gewinnen? Ein Überblick

Plötzlich Teamplayer: Friedrich Merz

Wofür steht er?

2021 und mehr noch bei seiner ersten Kandidatur 2018 trat Merz als derjenige an, der die Ära von Angela Merkel beenden sollte. Inhaltlich und habituell wollte er die CDU kantiger machen. Er versprach, die Phantomschmerzen nach den langen Jahren der Regierungskompromisse zu lindern. Als Besserverdiener aus dem privaten Sektor stand er vor allem für: die Wirtschaftskompetenz.

Aus dem Sehnsuchtskandidaten der Konservativen ist ein Teamplayer geworden. Merz hat sich inhaltlich verbreitert. Zumindest sagt er das. Er will die sozialpolitische Flanke nachbessern. Mit dem ehemaligen Berliner Sozialsenator Mario Czaja hat er einen durchaus überraschenden – und in dem Bereich glaubwürdigen – Kandidaten als Generalsekretär. Noch ein Plus: Czaja kommt aus dem Osten und hat seinen Wahlkreis in Marzahn-Hellersdorf souverän gegen die Linkspartei gewonnen.

Die Analyse hat Merz übrigens nicht exklusiv. Auch Wirtschaftspolitiker der CDU erinnern sich derzeit wieder vermehrt daran, dass die soziale Frage doch eigentlich immer zur DNA der Union gehörte. Vielleicht mehr sogar als das Recht auf Spekulationsgewinne.

Eine CDU unter Merz könnte sich also langsam in Richtung des Quadranten verschieben: gesellschaftspolitisch konservativ, wirtschaftspolitisch aber eher sozial.

Wer sind seine Unterstützer?

Mit öffentlichen Sympathiebekundungen halten sich die meisten prominenten Christdemokraten derzeit zurück. Es besteht aber Grund zur Annahme, dass der harte Kern der Merz-Fans dort sitzt, wo er immer saß: In der Mittelstandsunion – auf deren Chef Carsten Linnemann, der sein Stellvertreter werden will, kann Merz sich wohl verlassen; bei der Jungen Union, auch wenn dort die Merz-Begeisterung spürbar nachließ; im Osten und im Südwesten. Die Frage ist: Kann Merz darüber hinaus Stimmen einsammeln? Unter den Arbeitnehmern, nicht gerade Merz’ Revier, registriert man mindestens anerkennend, dass einer der ihren unter Merz Generalsekretär werden soll. Die Frauenunion, sonst auch eher Merz-avers, bekäme als stellvertretende Generalsekretärin eine junge Frau.

Wie hoch sind die Siegchancen?

2018 war Merz neu, unvorhergesehen – aufregend. Seine Kandidatur beflügelte die Fantasie vieler (und die Ängste anderer). Zumindest ersteres gilt eindeutig nicht mehr. Um Merz herum hat ein Gewöhnungseffekt eingesetzt, seit er über drei Jahre wieder regelmäßig Interviews gibt und in Talkshows sitzt. Statt Aufbruchsflair verströmt seine Kandidatur beim dritten Anlauf eher Murmeltiertag-Vibes. Merz muss hoffen, dass seine Popularitätswelle an der Basis noch nicht so schnell bricht wie in der informierten Öffentlichkeit. Dann stehen seine Chancen ganz ordentlich. Sein Plus: Diesmal hat die Parteiführung, die Merz tendenziell misstraut, weniger zu melden. Viel belastbares Zahlenmaterial gibt es noch nicht. Eine Forsa-Umfrage und eine von Insa sehen ihn jeweils leicht vor Röttgen. Fazit: Für die Stichwahl dürfte Merz gesetzt sein.

Vorwärts immer: Norbert Röttgen

Wofür steht er?

Röttgen versucht mit Macht, diese Deutung durchzusetzen: Braun heißt weiter so, Merz bedeutet zurück, und ich stehe fürs Vorwärts. Röttgen sorgt sich vor allem darum, dass die Drähte der CDU hinein in die Gesellschaft abgerissen sind. Egal, was die CDU sagt, die Menschen hören nicht mehr zu – und wenn doch, dann glauben sie nichts mehr, so sein Befund. Seine CDU soll kein interner Beliebtheitswettbewerb werden, sondern mit der Zeit gehen.

Röttgen war mal Bundesumweltminister. Er könnte dieses so zentrale Thema für die Union glaubwürdiger besetzen als seine Mitbewerber. Gerade mit Blick auf zukünftige Koalitionsoptionen ist das sicher nicht unwichtig. Außerdem ist Röttgen als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses sprechfähig zu internationalen Themen und erstarrt nun nicht gerade wie das Reh im Scheinwerfer, wenn mal ein Kamerateam auf Englisch was wissen will. Keine Nebensächlichkeit für einen potenziellen Chef einer potenziellen Kanzlerpartei. Für große Aufmerksamkeit sorgte Röttgen, als er auf dem CDU-Parteitag 2019 in Leipzig einen Antrag einbringen wollte, der den chinesischen Konzern Huawei vom Ausbau des 5G-Netzes ausschließen sollte.

Wer sind seine Unterstützer?

2020 warb die Frauenunion gleichermaßen für Röttgen und Armin Laschet. Ähnlich dürfte es diesmal wieder laufen – Frauen für Röttgen und Braun. Mit der Hamburger Bundestagsabgeordneten Franziska Hoppermann will Röttgen eine junge Frau zu seiner Generalsekretärin machen. Auch der CDA-Flügel dürfte den beiden zuneigen. Weil Merkel Röttgen seinerzeit aus dem Kabinett warf und er seitdem nicht gerade mit Loyalitätsbekundungen aufgefallen ist, weder zur Kanzlerin, noch zu Armin Laschet, dürfte er es bei den harten Merkelianern schwer haben. Obwohl ihn inhaltlich nicht viel trennt von diesem Lager. Seine vergangene Kandidatur orchestrierte Röttgen mit einer sehr cleveren Graswurzelbewegung in den sozialen Medien. Viel Parteiprominenz band er damit zwar nicht. Aber dafür Aufmerksamkeit – besonders in der jungen Zielgruppe. Das versucht er offenbar gerade zu wiederholen.

Wie hoch sind die Siegchancen?

Der liberale Flügel der CDU, den Röttgen eindeutig adressiert, hat schon Wumms. In der Parteispitze hat Röttgen nicht allzu viele laute Fürsprecher. Jetzt wird er mit Helge Braun um diese Stimmen kämpfen müssen. Der Chef des Auswärtigen Ausschusses ist bekannt, einigermaßen beliebt, die ersten Umfragen können ihm Hoffnung machen. Letztlich wird alles von den nächsten Wochen und den Vorstellungsrunden abhängen, wer von den beiden gegen Merz in die Stichwahl einzieht.

Durch und durch ein Merkel-Mann: Helge Braun

Wofür steht er?

Anders als Merz und Röttgen hat sich Braun bislang nicht auf einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit gewandt. Das wird er kommenden Montag zun. Bislang ging allein ein Rundschreiben an die CDU-Mitglieder. Darin bleibt er eher vage, schreibt aber: Russland führe einen hybriden Krieg gegen den Westen. Und die CDU habe zuletzt nicht genug diskutiert. Braun verspricht mehr Mitsprache der Mitglieder, will die Kreisvorsitzenden stärken und fordert eine "Zukunftsagenda", die regionale Besonderheiten wie Stadt und Land berücksichtigen soll.

Kurz nachdem er seine Kandidatur erklärt hatte, ging Braun zu Bild-Live. Programmatisch kam da nicht allzu viel rum. Immerhin positionierte er sich bei zwei gesellschaftspolitischen Aufregerthemen: "Der Muezzin-Ruf gehört zur freien Religionsausübung, und deshalb ist das etwas, was es selbstverständlich auch in Deutschland gibt." Auf die Frage, wie viele Geschlechter es gebe, antwortete Braun: Das könne er nicht abschließend zählen.

Klar ist: Braun ist durch und durch ein Gewächs der Merkel-Ära. Er war Staatssekretär im Bildungsministerium, Staatsminister im Kanzleramt und zuletzt Chef des Kanzleramts. In der Corona-Pandemie war er einer ihrer wichtigsten und loyalsten Mitarbeiter. Darüber hinaus ist Braun keiner, der übermäßig pointierte Talkshow-Häppchen in Umlauf bringt.

Wer sind seine Unterstützer?

Die Kandidaturen von Merz und Röttgen hatten sich länger abgezeichnet. Aber da gibt es das Lager, das Merz inhaltlich ablehnt und Röttgen persönlich nicht viel zutraut. Die machten sich auf die Suche nach einer Alternative und fanden schließlich Braun. Dem Vernehmen nach soll vor allem der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier ihn ermutigt haben. Darüber hinaus dürfte Braun die Unterstützung von vielen haben, die zuletzt für die CDU in Regierungsverantwortung saßen. Eine Kandidatin als Generalsekretärin hat er bislang nicht präsentiert.

Wie hoch sind die Siegchancen?

In den Umfragen liegt Braun bislang zurück. Merz’ Vorteil ist sein Pech: Die Regierungstragenden haben diesmal bestenfalls Fürsprecherfunktion und sind nicht die Strippenzieher auf dem Parteitag. Mit Röttgen wird er um die Gunst der Frauenunion und der CDA buhlen. Sein Ziel: irgendwie in die Stichwahl kommen und dann hoffen, dass Merz mehr abstößt als anzieht.