Bayern: Gendern wieder verboten!

Vom Verbot des Verbotenen. ๐Ÿ“ฃ Ein Kommentar und Gastbeitrag von Stefan Lindl. Zu dem von der Bayerischen Regierung ausgesprochenen Genderverbot vom 19. Mรคrz 2024.

Prรคambel: Niemand muss sich aufregen! Bayern hat den Asterisk und seine Verwandtschaft, die Gendergap etc., vor 23 Jahren schon verboten. Die erneute Regelung der AGO ist nichts anderes als eine Wiederholung des Verbots des Verbotenen.


ยปOffenbar sollen in der neuen Verordnung die neutralen Formulierungen erlaubt sein. Keineswegs steht also selbst in Bayern ein Ende des Genderns anยซ

โ€“ Stefan Lindl

Verbot des Verbotenen

Am Dienstag, 19. Mรคrz 2024 hat die Bayerische Staatsregierung beschlossen, dass die Verwendung von Gendersonderzeichen an staatlichen Einrichtungen ab 1. April 2024 verboten sein soll. Beamten wird bei Zuwiderhandlung gedroht โ€“ wohl dienstrechtlich. So sagte der Bayerische Innenminister Joachim Hermann: ยปMehrgeschlechtliche Schreibweisen durch Wortbinnenzeichen wie Genderstern, Doppelpunkt, Gender-Gap oder Mediopunkt sind nun ausdrรผcklich unzulรคssig.ยซ Doch was bedeutet das? Weiter so Hermann: ยปRechts- und Verwaltungsvorschriften sollen so formuliert werden, dass sie jedes Geschlecht in gleicher Weise ansprechen, etwa durch Paarformeln oder geschlechtsneutrale Formulierungen. Dabei ist jedoch jede sprachliche Kรผnstlichkeit oder spracherzieherische Tendenz zu vermeiden.ยซ 

HeiรŸt das, die alte Sprache und damit die alte soziale Konstruktion, die alten Machtverhรคltnisse der Geschlechter in voller Kraft sollen wiedererstehen? Geht es darum, wenn gesagt wird: Wir verbieten das Gendern? Obgleich dieser Anschein erweckt wird, heiรŸt das noch lange nicht, dass gendergerechte Sprache verboten werden soll. Im Gegenteil, so wird uns vermittelt! Bayern hatte sich lรคngst vor รผber zwei Jahrzehnten explizit verpflichtet, gendergerechte Sprache zu fรถrdern. Die Frage dabei ist nur: Was versteht die verbietende Politik unter gendergerecht beziehungsweise gendersensibel? Was ist erlaubt, was nicht? 

Staatsminister Joachim Herrmann, MdL โ€ข Foto: Staatsministerium Bayern | Pressefoto

ยปGendersensibelยซ scheint weithin lediglich einer binรคren Kodierung zu unterliegen, das heiรŸt, Mรคnner wie Frauen sollen gleichermaรŸen geschlechtergerecht angesprochen werden. Non-binรคre Menschen werden in dieser Bedeutung des Wortes nicht berรผcksichtigt und sollen offenbar auch nicht angesprochen werden. Anders lieรŸen sich die sogenannten Genderverbote nicht verstehen. Bayern verbietet das Gendersternchen, also den Asterisk, und รคhnlicher Schreibweisen. Weiterhin soll und muss gendergerecht die binรคre Ansprache der Bรผrgerinnen und Bรผrger nach ihrem binรคr kodierten Geschlecht erfolgen: Frau Kauffrau, Herr Kaufmann, Herr Dienstherr, Frau Dienstherrin. Bayern untersagte 2001 zudem das generische Maskulinum und neutrale Formulierungen wie ยปdie Studierendenยซ.

Offenbar sollen in der neuen Verordnung die neutralen Formulierungen erlaubt sein. Keineswegs steht also selbst in Bayern ein Ende des Genderns an. Es werden nur, so die bayerische Landesregierung, ยปkรผnstlicheยซ oder ยปspracherzieherischeยซ Formulierungen wie sie in der Gender Gap, dem Doppelpunkt oder mit dem Asterisk, dem Gendersternchen, zum Ausdruck kommen, untersagt.

Also was wird verboten? Und vor allem warum? Ein Verbot, wie es vom bayerischen Ministerprรคsidenten im Dezember 2023 angekรผndigt wurde und nun zum 1. April 2024 gelten soll, scheint aus einem erstaunlichen Grund รผberflรผssig, Oder wie sollte das Verbot des lรคngst Verbotenen verstanden werden? Genderverbot bedeutet: Keine sprachliche Inklusion von Menschen, die weder mรคnnlich noch weiblich sind. Ihnen wird mit den Verboten sprachlich keine Referenz mehr erwiesen, was bis zum 1. April 2024 noch mit dem Asterisk mรถglich gewesen sein wird. 

Totalitรคt des Genderns

Die Regierungserklรคrung von Markus Sรถder vom 6. Dezember 2023, auf der das am 19. Mรคrz 2024 erlassene Verbot ruht, verschleiert beispielsweise diese Differenz in einem Absolutheitsanspruch. Dort heiรŸt es: ยปFรผr Bayern steht fest: Mit uns wird es kein verpflichtendes Gendern geben. Im Gegenteil: Wir werden das Gendern in Schulen und der Verwaltungen sogar untersagen.ยซ Diese Wortwahl der Totalitรคt lรคsst sich nicht auf das Gendern bezรผglich des Diversen und Non-Binรคren verstehen, sondern richtet sich auch gegen die gendergerechte / gendersensible Sprache bezogen auf binรคre Menschen. Hier wird der Eindruck durch das absolute Verbieten vermittelt, dass die binรคren Machtverhรคltnisse auch sprachlich beibehalten und somit in der sozialen Konstruktion rรผckverankert werden sollen. Abwarten, was der Gesetzestext fรผr die AGO [= Allgemeinen Geschรคftsordnung fรผr die Behรถrden des Freistaates Bayern โ€“ Anm. der auxlitera-Red.] vom 19. Mรคrz 2024 an Formulierungen bringt. (Momentan [Stand 19.3.2024 โ€“ Anm. der auxlitera-Red.] liegt er noch nicht online vor.)

Asterisk: Sinn und Schรถnheit des Kรผnstlichen

In Bayern hat sich wie in vielen anderen Bundeslรคndern der Asterisk gegenรผber anderen Schreibweisen weitgehend in den Kreisen durchgesetzt, die das Gendern gutheiรŸen und das Bundesdeutsche Personenstandsgesetz beachten wollen, das seit 2018 das Geschlecht divers neben mรคnnlich und weiblich offiziell anerkennt. โ€“ Ja, es gibt juristisch seit 2018 nicht mehr nur binรคre Menschen in Deutschland, es gibt auch non-binรคre. Wie verhรคlt sich die neue bayerische AGO zum Personenstandsgesetz?

Warum der Asterisk so unbeliebt ist, liegt wohl nicht so sehr in der Schrift verborgen, als im Mรผndlichen. Der Asterisk fรผhrt wรคhrend des Lesens und Sprechens zum Glottisschlag, der in der Tat immer noch fรผr einige gewรถhnungsbedรผrftig klingt und geradezu zur empรถrten Ablehnung bis hin zu hasserfรผllten Gefรผhlsausbrรผchen fรผhrt. Nirgendwo anders als im Glottisschlag wird die Erosion der binรคr kodierten Machtverhรคltnisse, der heterosexuelle Imperativ und die antidiverse diskriminierende Haltung deutlicher, denn die Strahlen des Asterisks erfassen eben alle Formen des Nichtbinรคren, die offenbar von denen, die verbieten, nicht erwรผnscht sind. Das ist fragwรผrdig, wenn nicht eine staatlich legitimierte Alternative zum Asterisk ministeriell verordnet wird. 

Grafik: Gerd Altmann @ Pixabay

Bayerische Verordnungen

Ein Blick in die bayerischen Normative zeigt, dass, wie schon bemerkt, bereits das Kabinett Stoiber III das Gendern bezรผglich der Binaritรคt der Geschlechter explizit herausstellte. Mit der verpflichtenden Berรผcksichtigung des weiblichen Geschlechts wurden Diskriminierungen von Frauen und damals bestehende soziale Machtverhรคltnisse unterminiert. Lediglich ยปkรผnstlicheยซ Formen, wie der Asterisk und entsprechende Zeichen wurden damals verboten. โ€“ Ist das irritierend? Warum wird der Asterisk ab dem 1. April 2024 verboten, obwohl er bereits seit dem 6. November 2001 verboten ist und am 16. Juni 2015 noch einmal das Verbot unterstrichen wurde? (vgl. Richtlinien fรผr die Wahrnehmung und Organisation รถffentlicher Aufgaben sowie fรผr die Rechtsetzung im Freistaat Bayern (Organisationsrichtlinien โ€“ OR) Bekanntmachung der Bayerischen Staatsregierungvom 6. November 2001, Az. B III 2 โ€“ 155 โ€“ 9 โ€“ 33 und Richtlinien fรผr die Redaktion von Rechtsvorschriften (Redaktionsrichtlinien โ€“ RedR) Bekanntmachung der Bayerischen Staatsregierungvom 16. Juni 2015, Az. B II 2 โ€“ G 49/13 โ€“ 5). Das heiรŸt natรผrlich, der Personenstand divers und alle non-binรคren Personen wurde ehemals nicht berรผcksichtigt. Beide Richtlinien aus dem Jahr 2001 und 2015, die fรผr Bayerische Behรถrden die gendergerechte Sprache regeln, konnten das Personenstandsgesetz von 2018 noch nicht bedenken.

Aber was folgt daraus bezรผglich des heute erlassenen Verbots? Wir haben ein neues Personenstandsgesetz seit 2018. Wรคre nicht ein Verbot, sondern ganz im Gegenteil ein Anpassen an den bundesgesetzlichen Rahmen notwendig, den das Personenstandsgesetzt vorgibt? Bundesrecht bricht Landesrecht? Bundesrecht gestaltet den Rahmen des Landesrechts? Bricht es noch? Gestaltet es noch?

Wenn Sie sich also empรถren, dann doch bitte darรผber, dass ein Bundesrecht keine sprachliche Resonanz auf Landesebene finden darf, ja, sogar die bestehende und gรคngigste Resonanz, der Asterisk, verboten worden war, nun wieder wurde und bis auf weiteres verboten worden sein wird! Ansonsten gibt es nun wirklich keinen Grund fรผr kardiovaskulรคre Erregungโ€ฆ Chill! Chill lieber Asterisk! Chill und genieรŸe den SpaรŸfaktor der Politik!
~ Stefan Lindl

Mit freundlicher Genehmigung entnommen dem Wissenschaftsblog von Prof. Dr. Stefan Lindl, โ–บ www.stefanlindl.de. Die Kursivsetzungen im Text bei Anglizismen, Fremdwรถrtern und Zitaten stammen von auxlitera gemรครŸ der Haus-Editierung und sind im Originaltext nicht vorhanden (โ–บ zum Originaltext). Der Text wurde redaktionell leicht editiert (Namensnennungen, Textgestalt).

Ein Kommentar und Anmerkungen als Gastbeitrag von Prof. Dr. Stefan Lindl. Der Text steht auch im Kontext eines Vortrags in der Reihe ยปsex and history: Sprache und kaputt. Der Abstieg des Mรคnnlichenยซ an der Universitรคt Augsburg vom 18. Januar 2024.
Der Originalbeitrag befindet sich auf โ–บ www.stefanlindl.de.

STEFAN LINDL ist Historiker, Klimaforscher und Essayist sowie auรŸerplanmรครŸigen Professor / Akademischer Rat fรผr Regionalgeschichte an der Universitรคt Augsburg.
โ–บ www.stefanlindl.de


Staatsminister Joachim Herrmann, MdL โ€ข Foto: Staatsministerium Bayern | Pressefoto

โ–บ HINTERGRUND

In Behรถrden in Bayern ist die Gendersprache mit Sonderzeichen zur Geschlechterumschreibung unzulรคssig. Der Ministerrat hat am 19. Mรคrz 2024 auf Vorschlag von Innenminister Joachim Herrmann eine entsprechende ร„nderung der Allgemeinen Geschรคftsordnung fรผr die Behรถrden des Freistaates Bayern (AGO) beschlossen.

Innenminister Joachim Herrmann: ยปDie AGO verpflichtet die staatlichen Behรถrden bereits jetzt, die amtliche Regelung der deutschen Rechtschreibung im dienstlichen Schriftverkehr anzuwenden.ยซ Diese Regelung wurde nun nochmals durch eine Anpassung der AGO klarstellend ergรคnzt: ยปMehrgeschlechtliche Schreibweisen durch Wortbinnenzeichen wie Genderstern, Doppelpunkt, Gender-Gap oder Mediopunkt sind nun ausdrรผcklich unzulรคssigยซ, so Herrmann. Das gelte unabhรคngig von etwaigen kรผnftigen Entscheidungen des Rates fรผr deutsche Rechtschreibung zu der Frage der Verwendung von Sonderzeichen.

Der Rat fรผr deutsche Rechtschreibung hat die Verwendung von Sonderzeichen im Wortinneren zuletzt mit Beschluss vom 15. Dezember 2023 nicht empfohlen und darauf hingewiesen, dass es sich um Eingriffe in Wortbildung, Grammatik und Orthografie handelt, die die Verstรคndlichkeit von Texten beeintrรคchtigen kรถnnen. Herrmann: ยปDaran orientieren wir uns. Rechts- und Verwaltungsvorschriften sollen so formuliert werden, dass sie jedes Geschlecht in gleicher Weise ansprechen, etwa durch Paarformeln oder geschlechtsneutrale Formulierungen. Dabei ist jedoch jede sprachliche Kรผnstlichkeit oder spracherzieherische Tendenz zu vermeiden.ยซ ~ [pm/auxlit]


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