Link to the English version: On the use of High-Performance Fiber Reinforced Concrete in bridge design.


Dieser Beitrag beleuchtet die Ergebnisse eines laufenden Forschungsprojekts der Universidad Politécnica de Madrid (UPM) zusammen mit dem Construction Technology Centre von ACCIONA, das die Anwendung von Hochleistungsfaserbeton (HPFRC) im Infrastrukturbau untersuchen soll. Das Projekt verfolgt einen umfassenden Ansatz, der die Entwurfsplanung, die Materialentwicklung und Versuche umfasst. Das führende UPM-Team besteht aus Rafael Ruiz, Hugo Corres und Leonardo Todisco. Leonardo ist in diesem Semester als Gastprofessor am Lehrstuhl für Massiv- und Brückenbau an der ETH Zürich tätig. 

HPFRC hat eine Druckfestigkeit von etwa 100-120 MPa, was im Vergleich zu herkömmlichem Beton höhere Vorspanngrade ermöglicht. Dieses Potenzial erlaubt eine erhebliche Verringerung des Betonvolumens und fördert die Realisierung grösserer Spannweiten bei Betonfertigteilbrücken. Darüber hinaus können die Beiträge der Stahlfasern und der Vorspannung zum Schubwiderstand die herkömmliche Schubbewehrung ersetzen, die bei konventionellen Balkenbrücken etwa 40% des Bewehrungsstahls ausmacht. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass ein Fasergehalt von etwa 80 kg/m3 (Vf ≈ 1%) ausreicht, um eine ausreichende Duktilität zu gewährleisten, wenn die Bügel entfernt werden. Darüber hinaus ermöglicht die schnelle Festigkeitsentwicklung des Betons ein frühes Vorspannen, was den Herstellungsprozess beschleunigt. Diese hohe Frühfestigkeit ist mit einer schnelleren Entwicklung der Kriechverformungen verbunden, wodurch Langzeiteffekte wie verzögerte Vorspannkraftverluste reduziert werden. Schliesslich werden diese mechanischen Eigenschaften durch eine erhebliche Verbesserung der Dauerhaftigkeit im Vergleich zu herkömmlichem Beton ergänzt. 

Die entwickelte HPFRC-Mischung, die 500 kg/m3 Zement, 50 kg/m3 Silikastaub und 80 kg/m3 Stahlfasern der Länge 4d-60 mm enthält, bietet vielversprechende mechanische Eigenschaften bei Kosten, die etwa 2,5 bis 3,0 mal so hoch sind, wie die von herkömmlichem Beton, also deutlich niedriger als bei einem Ultra-Hochleistungs-Faserbeton. Der entwickelte HPFRC weist eine Druckfestigkeitsklasse C120, eine Biegefestigkeitsklasse nach Rissbildung von 13a und eine Ausbreitungsklasse F5 auf.

Der entwickelte HPFRC wurde für den Entwurf eines U-förmigen Trägers für Strassenbrücken verwendet (Link). 

Der Brückenüberbau besteht aus zwei U-förmigen Trägern, die jeweils aus drei 20 Meter langen Fertigteilsegmenten bestehen, so dass sich eine Gesamtspannweite von 60 Metern ergibt. Der Brückenüberbau wird durch eine Fahrbahnplatte aus herkömmlichem Beton vervollständigt. Sein Querschnitt und ein 3D-Bild sind in Abbildung 1 dargestellt. Die Vorspannung befindet sich ausserhalb des Betons, innerhalb des U-Trägers, was zu einer starken Reduzierung der Dicke von Stegen und Bodenplatte führt. Ausserdem weichen einige Spannglieder bei L/5 von den Stützen ab, um eine bessere Annäherung an die Biegemomentenverteilung zu erreichen.

Abbildung 1: Querschnitt und 3D-Modell des HPFRC U-förmigen Trägers für Strassenbrücken.

Im Vergleich zu anderen Referenzprojekten mit ähnlichen geometrischen Merkmalen und konventionellen Materialien wird der Betonverbrauch um 50% reduziert, die Bewehrung um 67% und der Spannstahl um 17%. Insgesamt führt die HPFRC-Lösung zu einer Kostenreduzierung von 14%, ungeachtet zusätzlicher Vorteile wie einem geringeren Eigengewicht und einer höheren Haltbarkeit.

Um Bedenken hinsichtlich (i) Kaltfugen zwischen den Gussstücken und (ii) der Faserorientierung auszuräumen, wurden zwei rechteckige Platten (Abbildung 2, links) in vier Schichten gegossen und mit einer Vibriernadel verdichtet.  Es wurden prismatische Proben mit variabler Ausrichtung entnommen. Die Ergebnisse nach EN 14651 (Abbildung 2, rechts) wurden als zufriedenstellend eingestuft, ohne erkennbare Auswirkungen, die auf die Faserausrichtung oder Diskontinuitätsebenen zurückzuführen sind (Link).

Abbildung 2: Experimentelle Untersuchung der Kaltfugen zwischen den Gussstücken und Faserrichtungen: rechteckige Platten und Resultate. 

Das Schubverhalten solcher Elemente wird jedoch immer noch wissenschaftlich diskutiert und die meisten Bemessungsmodelle liefern stark streuende und sehr konservative Vorhersagen (Link), die von der Verwendung von HPFRC abhalten. Daher wurde eine experimentelle Untersuchung an acht HPFRC-Balken in Originalgrösse durchgeführt (Abbildung 3). Die Balken wurden mit unterschiedlichen Vorspanngraden getestet und die Verformungen wurden mit Digitaler Bildkorrelation (DIC) gemessen. 

Abbildung 3: Von links nach rechts: HPFRC U-förmige Balkenbrücke mit einer Spannweite von 60 m, Versuchskörper des vorgespannten Balkens und Versuchsvorrichtung mit Rissbild.

Anhand der experimentellen DIC-Daten wurden die Rissentwicklung und -Kinematik im Detail untersucht, ebenso die damit verbundenen Beiträge potenzieller Schubübertragungsvorgänge (Link). Die Ergebnisse (Abbildung 4) zeigen einen signifikanten Beitrag der Fasern sowie der Neigung des Druckgurtes bei hohen Vorspannungen, während die anderen potenziellen Schubbeiträge (d.h. Rissverzahnung, Dübelwirkung) vernachlässigbar sind.

Abbildung 4: Rissentwicklung bei ausgewählten Lastschritten (Schubversagen bei Schritt 1.00) und verbundene Beiträge potenzieller Schubübertragungsvorgänge.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Studie wertvolle Einblicke in die Anwendung von HPFRC im Infrastrukturbau lieferte und dessen Potenzial zur Veränderung des traditionellen Brückenentwurfs hervorhob. Eine Balkenbrücke mit 60 m Spannweite aus HPFRC wurde als kostengünstige (-14%) Alternative zu konventionellen Lösungen identifiziert. Sie besteht aus drei vorgefertigten Segmenten, die durch Spannglieder ohne Verbund vorgespannt sind. Dank der Vorspannung und dem Beitrag der Fasern zum Schubwiderstand  ist keine Bügelbewehrung erforderlich. Die laufenden Bemühungen konzentrieren sich auf die Verfeinerung der Modelle für die Schubbemessung, um den einzigartigen Eigenschaften von HPFRC besser Rechnung zu tragen und seine breite Einführung in der Praxis zu erleichtern.


Leonardo Todisco

Link to the English version: A novel combination of Machine Learning and the Finite Element Analysis.


Einige der letzten blog Beiträge haben sich schon der Nachhaltigkeit im Betonbau gewidmet (z.B. Blog Rebecca Ammann, Blog Sophia Kuhn). In diesem Blogpost wird eine neue Methodik vorgestellt, die effizientere Entwürfe und Überprüfungen von bestehenden Stahlbetonbauten ermöglichen soll, sodass die Verwendung von Beton reduziert werden kann und wir nachhaltiger bauen können.

Bestehende Entwurfsmethoden für Stahlbetonbauten basieren hauptsächlich auf den linear-elastischen Finite-Elemente-Analysen (LFEA). Sie approximieren das stark nichtlineare Materialverhalten von Stahlbeton mit linearen Modellen und sind deshalb teils sehr konservativ (Thoma et al. 2014). Solche Annäherungen können deshalb zu wirtschaftlich wie auch umwelttechnisch ineffizienten Designs von Stahlbetonbauten führen. Andererseits bestehen viele Modelle für nichtlineare Finite-Elemente-Analysen (NLFEA), welche unterschiedlichen methodologischen Ansätzen folgen. Ein Beispiel ist die Implementierung des mechanisch konsistenten Gerissenen Scheibenmodell (engl.: Cracked Membrane Model, Kaufmann und Marti 1998, Thoma et al. 2014). Diese Methode kann das Materialverhalten von Stahlbeton im Vergleich zur LFEA genauer abbilden und ist universell einsetzbar, auch bei diskontinuierlichen Strukturen (siehe auch füherer Blogbeitrag von Marius Weber). Dennoch werden NLFEA selten in der Praxis verwendet, da sie rechnerisch ineffizient sind und komplexe Abhängigkeiten von verschiedenen Materialparametern aufweisen. Nur selten wird mehr als eine NLFEA Berechnung ausgeführt, was es schwierig macht, unterschiedliche Lastsituationen oder Überprüfungsszenarien zu betrachten oder sogar Strukturen zu optimieren.

Neue digitale Prozesse, wie maschinelles oder tiefes Lernen (engl.: Machine and Deep Learning, ML / DL), wie auch differenzierbare Simulation sind hingegen der neuste Stand der Technik bezüglich ableitungsbasierten Optimierungsmethoden. Für ML und DL wurde zum Beispiel gezeigt, dass diese Methoden neue Muster aus Daten erkennen können und gut über Datensätze hinweg generalisieren können (LeCun et al. 2015, Shen et al. 2023). Sobald sie trainiert sind, können sie schnell gewünschte Zielparameter vorhersagen. Neue Entwicklungen in physik-basiertem maschinellem Lernen (PBML) haben gezeigt, dass die Kombination von ML mit bestehenden computergestützen physikalischen Modellen ein grosses Potenzial birgt. Dies wurde in diversen Anwendungsgebieten wie zum Beispiel Fluiddynamik, Festkörpermechanik wie auch Strukturmechanik gezeigt. Ein Beispiel von PBML sind physik-informierte neuronale Netze (PINNs, Raissi et al. 2019), bei denen im Vergleich zu konventionellen neuronalen Netzen (NN) die zugrundeliegenden physikalischen Gleichungen, z.B. Differenzialgleichungen, direkt in die Verlustterme des NNs eingefügt werden. Abbildung 1 zeigt ein Beispiel eines PINNs für einen Stahlbetonbalken mit Euler-Bernoulli Balkengleichung. Als Datensatz werden nur die Stellen x benötigt, an denen man die Differenzialgleichung auswerten möchte. Sobald das PINN trainiert ist, kann es für gegebene Geometrie, Materialparameter und Last die Verschiebungen (w) und Momente (M) eines einfach gelagerten Balkens an der gewünschten Stelle x vorhersagen.

Abbildung 1: (a) Netzwerkarchitektur des Physik-informierten neuronalen Netzes für einen einfachen Balken, trainiert mit der Euler-Bernoulli Gleichung und ihren Randbedingungen (BC), verglichen mit (b) einer normalen Architektur eines neuronalen Netzes, trainiert mit Daten d(x).

Damit man ML / DL – Methoden im Bausektor anwenden kann, ist es wichtig, grundlegende Theorien des Anwendungsgebiets (z.B. die Differenzialgleichung des Euler-Bernoulli-Balkens) miteinzubeziehen bei der Erstellung der Methode, wie es zum Beispiel bei PINNs möglich ist, sodass eine Akzeptanz wie auch Validierungsmöglichkeit geschaffen wird. Zusätzlich gibt es im Bausektor typischerweise wenig verfügbare Daten mit denen man ein ML Modell trainieren könnte, weshalb es noch wichtiger ist, physik-basierte Methoden zu verwenden. Obwohl diese Methoden gute Resultate zeigen, sind sie limitiert in ihrer Generalisierbarkeit ausserhalb des Parameterraums in dem sie trainiert wurden, was die Anwendung solcher Methoden auf reale Probleme im Betonbau äusserst einschränkt. Deshalb wollen wir eine neue Methode entwickeln, die ML mit traditionellen FEA kombiniert, wobei die Hauptanliegen in Abbildung 2 dargestellt sind: Die Methodik soll auf Bauteilebene entwickelt werden, das heisst für einzelne Balken, Platten oder Schalenelemente und schlussendlich die Effizienz der zur Zeit verwendeten FE-Methoden verbessern. Dies soll durch eine interpretierbare Mechanik-gestützte Methode, die in die FEA eingegliedert wird erreicht werden, idealerweise mit einer praxistauglichen Implementierung in einer kommerziellen FE-Software.

Abbildung 2: Ziele der Forschung zur Kombination von maschinellem Lernen und Finiter Elemente Analyse.

Zur Veranschaulichung der Idee wurde eine Vorstudie durchgeführt, die eine vereinfachte NLFEA eines Balkenelements untersucht. Abbildung 3 zeigt den Ablauf dieser vereinfachten NLFEA, bei der zuerst der einfach gelagerte Balken in finite Elemente unterteilt wird, welche auf der Querschnittsebene analysiert werden, die dann zu den Werten für die lokalen und globalen Steifigkeitsmatrizen führen, um schlussendlich das globale Gleichgewicht zu lösen. Das Ziel war nun, die iterative und zeitaufwändige Berechnung auf Querschnittsebene durch ein normales NN zu ersetzen (siehe Abbildung 3). Das NN wird auf Daten von parametrisierten Simulationen trainiert. Die Parametrisierung enthält Variationen von Materialsteifigkeiten und -stärken wie auch von Breite und Höhe des finiten Elements, etc. Zum Schluss werden dem NN als Input das Moment am finiten Element gegeben und es kann dann Krümmungen und zugehörige Tangentensteifigkeiten (EI) des Querschnitts vorhersagen. Durch den Ersatz dieses Berechnungsschrittes wird ein stellvertretendes finites Element erstellt, welches für alle mit Balkenelementen modellierbare Strukturen eingesetzt werden kann und dadurch zu grösserer Generalisierbarkeit führt. Als nächste Schritte sollen diese Resultate nun für Schalenelemente adaptiert werden und physikalische Zusammenhänge im NN eingebracht werden gemäss den Erläuterungen oben. Zuletzt wird die entwickelte ML-FEA Methode mit dem aktuellsten Stand der Technik von NLFEA Methoden verglichen.

Abbildung 3: Ablauf der ML-FEA der Vorstudie am einfachen Balken.

Zusammenfassend hoffen wir mit dieser Kombination von ML und FEA Methoden ein neues Werkzeug zu entwickeln, mit dessen Hilfe Entwurf und Überprüfung von bestehenden Bauten detaillierter durchgeführt werden können und somit Stahlbeton effizienter eingesetzt werden kann. Falls Sie Interesse an diesem Thema haben, bleiben Sie dran, wir werden Sie gerne über die aktuellsten Entwicklungen dieses Projekts auf dem Laufenden halten.


Vera Balmer

Link to the English version: A first step towards AI-assisted strut-and-tie model generation.


Fachwerkmodelle sind ein weit verbreiteter Ansatz zur Bemessung von in der Ebene belasteten Stahlbetontragwerken wie Balken oder Wände auf der Näherungsstufe 1. Sie sind insbesondere für geometrische oder Lastdiskontinuitäten geeignet. Mit der Fachwerkanalogie wird der Kraftfluss dargestellt, in welchem Druckstreben den Beton unter Druck und Zugstreben die Bewehrung unter Zug repräsentieren. Klassische Spannungsfelder bieten einen detaillierteren Bemessungsansatz auf der Näherungsstufe 2 an, der den Kraftfluss kontinuierlicher betrachtet. Geeignete Spannungsfelder kann man durch Berücksichtigung der Knotenbereiche aus einem Fachwerkmodell ableiten1Weitere Erweiterungen der klassischen Spannungsfelder können elastisch-plastische oder nichtlineare Materialgesetze beinhalten und werden häufig in Finite-Elemente-Modellen implementiert, wie z. B. die «Compatible Stress Field Method», die sich besonders für bestehende Tragwerke eignet.. Fachwerkmodelle und Spannungsfelder sind Lösungen nach dem unteren Grenzwertsatz der Plastizitätstheorie. Demnach lohnt es sich während der Entwurfsphase verschiedene Lösungen zu untersuchen, um diejenige zu finden, die der vollständigen Lösung am nächsten kommt, und um die zulässige Last zu maximieren. Ausserdem können sie als Plausibilitätsüberprüfung der Ergebnisse aus Finite-Element-Analysen dienen, um Modellierungsfehler zu vermeiden. Die Auswahl oder der Vorschlag geeigneter Fachwerkmodelle ist einerseits stark von der Expertise und der Erfahrung des:der Bauingenieur:in abhängig und andererseits ein zeitintensives und iteratives Verfahren2Für den historischen Hintergrund der Entwicklung von Fachwerken, lesen Sie bitte diesen Blogartikel.. Diese Punkte erschweren den breiten Einsatz von Fachwerkmodellen, welche eine interpretierbare und sichere Bemessung ermöglichen. Digitale Hilfsmittel, wie maschinelles Lernen, könnten diese Lücke schliessen. Sie könnten dazu beitragen, dass unterschiedliche Ingenineur:innen einheitlichere Entwürfe für Stahlbetonkonstruktionen erstellen, und könnten letztlich zur Qualitätskontrolle und Materialreduktion eingesetzt werden. Als erster Schritt in diese Richtung stellt dieser Artikel verschiedene Ansätze von Fachwerkmodellgenerierungsmethoden und ihre Grenzen vor, gefolgt von unserer Forschungsfrage und wie ein Hilfsmittel zur Validierung von Fachwerkmodellen uns beim Erreichen unserers Forschungsziels hilft.

Abbildung 1: Beispiele von Fachwerkmodellgenerierungsansätzen, a-b) für diskrete Layoutoptimierung [Bildquelle: Mozaffari et al. 2020], c-e) für kontinuierliche Optimierung [Bildquelle: Xia et al. 2020].

Verschiedene Ansätze wurden zur automatisierten Generierung von Fachwerkmodellen entwickelt, welche grösstenteils auf Optimierungsalgorithmen basieren. Die Mehrheit dieser Ansätze können in die folgende zwei Kategorien unterteilt werden: diskrete (Layout-) oder kontinuierliche Optimierung. Diskrete (Layout-)Optimierungsverfahren basieren auf einem vordefinierten Gitter oder Layout, das alle möglichen Knoten und Kanten des resultierenden Fachwerks darstellt (siehe Abbildung 1a-b). Mathematische Optimierungsalgorithmen werden verwendet, um eine Zielfunktion, wie z.B. das Gesamtstahlvolumen, unter vordefinierten Bedingungen zu minimieren. Aus der diskreten Optimierung erhält man ein regelmässiges Muster, wo man auch schiefe Bewehrungen pönalisieren kann, damit man ein Fachwerk mit nur orthogonaler Bewehrung erhält, aber dennoch schräge Druckstreben erlaubt.

Im Gegensatz dazu basieren kontinuierliche Optimierungsverfahren oft auf der Topologieoptimierung. Die Topologieoptimierung zielt in der Regel auf die Minimierung des Gesamtgewichts oder Volumens einer Struktur unter bestimmten strukturellen Bedingungen, wie z.B. Spannungsgrenzen oder Verformungen, indem Material entfernt wird (siehe Abbildungen 1c-d). Sie erfordert grosse geometrische Freiheiten und liefert meistens Ergebnisse basierend auf einem linear elastischen, isotropen Materialverhalten, was die Berechnungen erheblich beschleunigt. Im Falle von Stahlbeton, entspricht diese vereinfachende Annahme aber nicht dem wahren Materialverhalten, da sie den Einfluss der Bewehrungsrichtung, der Rissbildung, das unterschiedliche Materialverhalten unter Zug und Druck und andere materielle Nichtlinearitäten vernachlässigt. Die Topologieoptimierung liefert nur ein Zwischenresultat und noch nicht das finale Fachwerk (Abbildung 1d) mit spezifischen Knotenpunkten und Streben. Es ist schwierig, ein geeignetes Fachwerk zu finden, da man die Aspekte der Bauausführung (z.B. Vermeidung von schiefer Bewehrung oder die Berücksichtigung der Bewehrungsverankerung) gegenüber der strukturellen und materiellen Ausnutzung abwägen muss (Abbildung 1e).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der diskrete Optimierungsansatz oft zu rigide ist, um komplexe Geometrien zu erfassen, und wenig Flexibilität für Anpassungen durch den:die Benutzer:in anbietet, während der kontinuierliche Ansatz Schwierigkeiten hat, Aspekte der Bauausführung, wie schiefe Bewehrungen oder kurze Zugstreben, zu berücksichtigen. Ausserdem wurde das Problem von mehreren verschiedenen Lastfällen, wo man für jeden einzelnen Lastfall wieder ein neues Fachwerkmodell definieren müsste, wenig erforscht. Diese Herausforderungen haben zu einer Lücke in den derzeitigen Fachwerkmodellgenerierungsmethoden geführt. Wenige kommerzielle Programme beinhalten diese optimierungsbasierten Ansätze und sie haben sich in der Praxis noch nicht durchgesetzt. Des Weiteren führen Optimierungen nur zu einem einzelnen Fachwerkmodell. Jedoch  benötigt der:die Ingenieur:in Freiheiten, um andere problemspezifische und erfahrungsbasierte Aspekte zu berücksichtigen, und auch die Möglichkeit das resultierende Fachwerk zu beeinflussen, da er:sie am Ende des Tages der:die Entscheidungsträger:in bleibt. Wir möchten diese Forschungsfrage auf eine datenbasierte und domänenspezifische Weise mit Hilfe von maschinellem Lernen angehen, indem wir ein KI-gestütztes automatisiertes Fachwerkmodellgenerierungstool entwickeln. Dieses Tool konzentriert sich nicht nur auf die Generierung eines optimalen Fachwerks, sondern schlägt eine Auswahl von Fachwerkmodellen vor und erlaubt ein Zusammenspiel zwischen Benutzer:in und Maschine, um den:die Ingenieur:in im Entscheidungsprozess zu unterstützen.

Als ersten Schritt in Richtung dieses Ziels und für eine zuverlässige Datengenerierungspipeline, benötigen wir ein Validierungstool zur Überprüfung der vorgeschlagenen Fachwerke. Eine solche Pipeline wird für das Training und Testen des maschinellen Lernmodells benötigt, und um die endgültigen Vorschläge zu validieren. Dieses Tool, das derzeit nur die Traglast berücksichtigt, überprüft nicht nur das Kräftegleichgewicht, sondern auch die Spannungsfelder und Knotenbereiche, um eine verfeinerte Bemessung auf Näherungsstufe 2 zu erreichen.  

Abbildung 2: Beispiel einer Wand mit einer Öffnung in a), für zwei Fachwerke (b und c) und den vom Validierungstool generierten entsprechenden Spannungsfeldern (d und e).

Anhand des Beispiels einer Wand mit einer Öffnung (siehe Abbildung 2a, Beispiel aus Schlaich et al. 1987) und zwei verschiedenen entsprechenden Fachwerken3Die rechte konzentrierte Druckstrebe ist eine Vereinfachung, und man sollte Querbewehrung einlegen, um die Kräfte zu verteilen., möchten wir die Notwendigkeit für die Generierung mehrerer Fachwerke aufzeigen. Das erste Modell (Abbildung 2b) veranschaulicht ein einfaches aber effizientes Fachwerk, das schiefe Bewehrung verwendet und einen geringen Gesamtstahlverbrauch aufweist. Ohne die Mindestbewehrung, die Verankerung der Bewehrung und andere konstruktive Details zu berücksichtigen, beträgt das Gesamtstahlvolumen 0.021 m3. Das zweite Modell (Abbildung 2c) zeigt ein regelmässigeres Fachwerk mit nur orthogonaler Bewehrung. Allerdings benötigt dieses Modell 70% mehr Stahl und zwar 0.036 m3. Dennoch sollte man keine voreiligen Schlüsse ziehen.

Die sichere Anwendung von Fachwerken setzt die Erfüllung der zugrunde liegenden Annahmen der Plastizitätstheorie, einschliesslich der Duktilität, voraus. Eine ausreichende Mindestbewehrung, z.B. hier 12@150 ist unumgänglich. Da die Fachwerkmodelle auf linear elastischem Materialverhalten basieren, können diese superponiert werden. Durch die Verwendung der Mindestbewehrung, kann die Traglast des zweiten Fachwerkmodells um 9% ausgenutzt werden. Dies verringert in Kombination die Last des ersten Modells, sodass dies zu einer Reduktion des Stahlvolumens um 10% führt. Es gibt selbstverständlich andere mögliche Aufteilungen. Schlaich et al. schlagen z.B. vor, dass jedes Modell die Hälfte der Last trägt. Dieses Beispiel zeigt, dass es optional ist, nur ein Fachwerk zu betrachten; stattdessen können mehrere kombiniert werden, um die Vorteile jedes Modells auszunutzen.

Das Validierungstool liefert uns die äquivalenten Spannungsfelder in den Abbildungen 2d und e, unter der Annahme einer Verankerung der Bewehrung ausserhalb der Knotenbereiche und hydrostatische Knoten. Es zeigt, ob genug Beton aktiviert werden kann und macht somit kritische Bereiche für den:die Benutzer:in ersichtlicher.

Dieses Beispiel veranschaulicht die Abwägung zwischen einem simplerem Fachwerk (1), das den Stahlverbrauch optimiert, aber die Bauausführung beeinträchtigen kann, und einem regelmässigeren Fachwerk (2) mit einem höheren Stahlverbrauch aber dafür einer einfacheren Bauweise.

Als nächsten Schritt untersuchen wir verschiedene Algorithmen und Methoden des maschinellen Lernens, um unser Problem der KI-gestützten automatischen Generierung von Fachwerkmodellen anzugehen. Dies wird jedoch ein Thema für einen zukünftigen Blogbeitrag sein. In der Zwischenzeit können Sie sich gerne an Karin Yu wenden, wenn Sie Vorschläge oder Bemerkungen haben.


Karin Yu

Link to the English version: Establishment of an inter-university research and teaching group in the field of structural masonry.


Lehre und Forschung im Bereich des konstruktiven Mauerwerkbaus haben am Institut für Baustatik und Konstruktion der ETHZ eine langjährige Tradition. Diverse Pionierarbeiten zur Beschreibung des Tragverhaltens von Mauerwerk und wegweisende experimentelle Untersuchungen an Mauerwerksbauteilen wurden ab den 70er Jahren unter der Leitung von Prof. Dr. Bruno Thürlimann und seinem Nachfolger Prof. Dr. Peter Marti durchgeführt. Diese bahnbrechenden Arbeiten fanden in der Wissenschaft einen breiten Anklang und liefern die Grundlagen für die heutige Bemessungsnorm SIA 266 und wurden an der ETHZ durch Dr. Nebojsa Mojsilovic und Prof. Dr. Joseph Schwartz fortgeführt . Die Emeritierung von Prof. Schwartz Anfang 2023 und die anstehende Pensionierung von Dr. Mojsilovic im Jahre 2025 veranlassten die Ziegelindustrie Schweiz (Weblink), eine Anschlusslösung zur Weiterführung von Lehre und Forschung im Bereich des konstruktiven Mauerwerkbaus zu finden.

Abbildung 1: Wegweisende Forschung an der ETHZ im Bereich des konstruktiven Mauerwerkbaus: (a) Zweiaxial beanspruchte Elementversuche mit geneigten Lagerfugen (aus Ganz/Thürlimann, 1982); (b) Bruchbedingungen für eben beanspruchtes Mauerwerk basierend auf der Plastizitätstheorie (aus Ganz, 1985); (c) Entwicklung von ideal plastischen Spannungsfeldern (aus Ganz, 1985).

Etablierung einer hochschulübergreifenden Mauerwerksgruppe

Über Prof. Dr. Walter Kaufmann (Leiter der Professur für Massiv- und Brückenbau) bekam ich die Anfrage, ob ich künftig die Lehr- und Forschungstätigkeiten im Bereich des konstruktiven Mauerwerkbaus übernehmen möchte. In einigen Gesprächen mit der Ziegelindustrie Schweiz entwickelte sich schliesslich die Idee einer hochschulübergreifenden Mauerwerksgruppe, die ich ab diesem Sommer an der Professur für Massiv- und Brückenbau (Weblink) der ETHZ und am Institut für Bauingenieurwesen (IBI) der Hochschule Luzern Technik und Architektur (HSLU T&A) leiten darf. Die Mauerwerksgruppe wird durch eine grosszügige Donation der Ziegelindustrie Schweiz unterstützt, wobei die Vereinbarung – gemäss unseren akademischen Prinzipien – festhält, dass die Freiheit von Forschung und Lehre jederzeit gewährleistet ist. Bis zu seiner Pensionierung wird Dr. Mojsilovic die Mauerwerksgruppe mit seiner Expertise unterstützen, was sehr wertvoll ist und die Kontinuität gewährleistet.

Faszination Mauerwerk – eine uralte Bauweise in der modernen Welt

Seit meiner Studienzeit begleitet mich der Werkstoff Mauerwerk in verschiedenen Lehr- und Forschungstätigkeiten, die ich insbesondere während meines Doktorates am Institut für Werkstoffe im Bauwesen (IWB) der Universität Stuttgart bearbeitete (Publikationsliste siehe hier). Neben zahlreichen analytischen und experimentellen Untersuchungen  galt meine Faszination der Beschreibung und Analyse des Tragverhaltens von Mauerwerk und Mischtragwerken (Mauerwerk/Stahlbeton) mit modernen Simulationstools – oder etwas fachtechnischer ausgedrückt, der Entwicklung von mechanisch konsistenten Modellvorstellungen und deren Implementierung in numerische Verfahren (z.B. lineare/nichtlineare Finite Elemente → siehe Blogbeitrag vom Jahre 2022). Zudem kam ich immer wieder in den Genuss, innerhalb von Lehrveranstaltungen und der Betreuung von Studierendenarbeiten das Wissen weiterzugeben.

Abbildung 2: Ausgewählte eigene Forschung im Bereich des konstruktiven Mauerwerkbaus: (a) Monotone und semizyklische Elementversuche mit geneigten Lagerfugen (aus Weber/Sharma/Hofmann, 2019); (b) Microplane-Modellierung mithilfe von MASA (aus Weber/Hahn/Sharma, 2018); (c) Nichtlineares Werkstoffgesetz (URM-Usermat) basierend auf erweiterten Bruchbedingungen von Ganz; (d) NLFE-Berechnung eines Mauerwerkgebäudes mithilfe des URM-Usermat; (e) und (f) NLFE-Analyse der Versuche von Beyer et al, 2015 an Mischtragwerken aus Mauerwerk und Stahlbeton mithilfe des URM-Usermat für Mauerwerk bzw. des CMM-Usermat für Stahlbeton (Bilder (c) bis (f) aus Weber, 2019).

Obwohl sich die Mauerwerksbauweise1Heutzutage steht allerdings eine breite Palette von Hochleistungssteinen zur Verfügung, die je nach statischen, bauphysikalischen und ästhetischen Anforderungen verwendet werden. über Jahrtausende entwickelte, hat sich das Grundprinzip (das Aufeinanderschichten von Steinen2Heutzutage steht allerdings eine breite Palette von Hochleistungssteinen zur Verfügung, die je nach statischen, bauphysikalischen und ästhetischen Anforderungen verwendet werden.) über die kulturhistorischen Zivilisationen kaum verändert – die Art und Weise zur Analyse, Untersuchung und Berechnung jedoch radikal. Während bereits in der Antike die Römer und Griechen die selbsttragende Form von Mauerwerksgewölben erkannt hatten, beschäftigten sich in der Renaissance erste Gelehrte systematisch mit der Frage nach einer dem Kräfteverlauf angepassten Bogenform, woraus sich später die Stützlinie entwickelte – d.h. die mathematische Beschreibung der Linie in einem Bogen, entlang welcher die aus der Belastung entstehenden, zusammengefassten Druckkräfte verlaufen (vgl. Abbildung 3 (a)). Diese physikalischen Grundprinzip des Kräfteabtrages über Druckstreben macht man sich für die rechnerische Beurteilung von Mauerwerksbauten noch heute zunutze, beispielsweise bei der Überprüfung von Bogenbrücken aus Mauerwerk mittels graphischer Statik oder bei der Bemessung von herkömmlichen Mauerwerkswänden auf Basis von ideal plastischen Druckspannungsfeldern gemäss der SIA Norm 266 (vgl. Abbildung 3 (b)). Die Methodik zur Berechnung des Kräfteverlaufes und der Traglasten hat sich jedoch durch die digitale Revolution in den letzten Jahren elementar verändert. Aufwendige Rechen- und Routineaufgaben werden effizient vom Computern übernommen – die Kunst und das Wissen der baustatischen und physikalischen Grundlagen sind jedoch nicht überflüssig, sondern im Gegenteil für die Resultatinterpretation unabdingbar (und anspruchsvoller denn je!). Bereits herkömmliche Computer verfügen über genügend Rechenpower für die Verwendung von verfeinerten (z.B. nichtlinearen) Materialmodellen, womit “automatisert”3“automatisiert” bezieht sich auf den eigentlichen Berechnungs- und Optimierungsprozess des Computers. Die Anwendung, Interpretation und Verifizierung solcher verfeinerten Modellvorstellung (allen voran die nichtlineare Finite Elemente Methode) ist jedoch äusserst zeitaufwendig und verlangt ein hohes Mass an Fachkompetenz. der Kräfteverlauf berechnet werden kann (vgl. Abbildung 3 (c)) und Aussagen zum Last-Verformungsverhalten, der Rissbildung und der damit einhergehenden Schnittkraftumlagerung möglich sind (z.B. mit dem während meiner Dissertation entwickelten URM-Usermat für die nichtlineare Finite Element Analyse von allgemein beanspruchten4Unter einer allgemeinen Beanspruchung wird die Kombination aus Scheiben- und Plattentragwirkung verstanden. Mauerwerksbauteilen). Vor dieser Entwicklung darf auch die Ausbildung und Forschung im Bereich des konstruktiven Mauerwerkbaus nicht halt machen – die konsequente Anwendung des Gleichgewichts und mechanischer Grundprinzipien ist jedoch entscheidend (oder besser gesagt zwingend) für deren Erfolg.

Abbildung 3: Grundprinzip des Kräfteabtrags im Mauerwerk durch Druckstreben: (a) Schnitt durch die von Giacomo della Porta entworfene Kup­pel des Petersdoms, Rom, 1547-1590 und Analyse des Tragverhaltens von Giovanni Poleni mittels grafischer Statik und dualem Seil, 1748 (aus Schwartz, 2011); (b) Bemessung von Mauerwerksscheiben mittels ideal-plastischen Spannungsfeldern gemäss der SIA Norm 266; (c) Druckspannungsfeld berechnet auf Basis einer FE-Analyse mithilfe des URM-Usermat (aus Weber, 2019).

Forschung, Lehre und Praxis verbinden

Eine zentrale Aufgabe der Mauerwerksgruppe sind die Lehr- und Forschungstätigkeiten im Bereich des konstruktiven Mauerwerkbaus, die gleichzeitig an der Professur für Massiv- und Brückenbau der ETHZ und dem IBI der HSLU T&A etabliert werden. Im Fokus steht dabei insbesondere die Förderung und Entwicklung von numerischen Simulationstools für die Lösung von Problemstellungen aus der Praxis.

Forschungsschwerpunkt ist dabei die Entwicklung von  mechanisch konsistenten Materialmodellen und deren Implementierung in die an der Professur für Massiv- und Brückenbau entwickelten  Software- und Analysetools – wie z.B. der aktuell in Entwicklung stehenden Open-Source-Toolbox StrucEng Library (mehr dazu im Blogbeitrag aus dem Jahr 2022). Die Tools zielen drauf ab, neue Tragwerke effizienter zu entwerfen sowie Traglastreserven bestehender Tragwerke zur Minimierung von Verstärkungsmassnahmen zu identifizieren, ohne dabei die Tragsicherheit und Robustheit zu gefährden. Als Grundlage für die Entwicklung und Validierung der Materialmodelle führen wir experimentelle Untersuchungen zum Tragverhalten von Mauerwerk durch. Dazu steht unter anderem der weltweit einzigartige Large Universal Shell Element Tester (LUSET) an der Professur für Massiv- und Brückenbau der ETHZ zur Verfügung, mit dem wir das Tragverhalten von allgemein beanspruchten Schalenelementen aus Mauerwerk erstmalig experimentell untersuchen können (vgl. Abbildung 4 (b)).

Des Weiteren widmen wir uns offenen Fragestellungen zum mechanischen Tragverhalten im Bereich des konstruktiven Mauerwerkbaus, die noch nicht vollständig geklärt sind. Dazu gehören z.B. die Frage nach den Anwendungsgrenzen ideal plastischer Berechnungsmethoden  (ein “ausreichendes” Verformungsmögen wird dabei vorausgesetzt) auf den Werkstoff Mauerwerk mit seinem bekanntlich stark eingeschränkten Verformungsvermögen oder dem Tragverhalten von Mischsystemen aus Mauerwerk und Stahlbeton (z.B. Lastverteilung durch die Stahlbetonplatten, Mitwirkung von Stahlbetonscheiben, Einfluss von Sturz- und Brüstungselementen). Zur Beantwortung solcher Fragestellungen kombinieren wir die numerischen Tools und mechanischen Modellvorstellungen mit grossmassstäblichen Versuchen, mit dem Ziel, entsprechende Bemessungsmodelle oder Entwurfskriterien mit direktem Nutzen für die Baupraxis abzuleiten. Im Zentrum steht dabei immer die konsequente Anwendung mechanisch konsistenter Modelle.

In Zukunft werden wir uns zudem vermehrt mit der Anwendung und Eingliederung der Softwaretools in den digitalen Planungs-, Fertigungs-, und Erhaltungsprozess von Tragwerken beschäftigen und an neuen innovativen Lösungen für digital (vor)fabrizierte Mauerwerksbauteilen forschen.

Abbildung 4: Open source Toolbox StrucEng Library für die Analyse von Tragstrukturen aus Stahlbeton und Mauerwerk (links) und Large Universal Shell Element Tester (LUSET) der Professur für Massiv- und Brückenbau (rechts).

Ein zentrales Anliegen der Mauerwerksgruppe ist zudem die Sicherstellung des Transfers der Forschungsergebnisse und die Vermittlung des Fachwissens im Bereich des konstruktiven Mauerwerkbaus in die Baupraxis. Dazu gehört einerseits die künftige Bereitstellung der StrucEng Library als Open-Source-Toolbox für die freie Verwendung in der Baupraxis. Anderseits führen wir Lehrveranstaltungen an der ETHZ und HSLU durch, wobei wir Bauingenieurinnen und Bauingenieure in den Bereichen Bemessung, Entwurf und Überprüfung von Mauerwerksbauten ausbilden und im Umgang mit computerunterstützten Berechnungsmethoden sensibilisieren. Des Weiteren engagieren wir uns in Berufsverbänden und Normkommissionen, wie z.B. der Fachgruppe für die Erhaltung von Bauwerken (FEB) der SIA (Weblink) und der Normkommission SIA 266 (Weblink) und arbeiten eng mit der Industrie an nachhaltigen Lösungen für die Baupraxis.

Last but not least soll die Mauerwerksgruppe eine Plattform für den Austausch und die Diskussion im Bereich des konstruktiven Mauerwerkbaus sein, und wir laden sie daher ein, gemeinsam an den Lösungen heutiger und künftiger Herausforderungen unserer Gesellschaft zu arbeiten. Wir freuen uns, die Zukunft des Werkstoffes Mauerwerk aktiv mitgestallten zu können und danken der Ziegelindustrie Schweiz für die wertvolle Unterstützung. Let’s give masonry a new shine!


Marius Weber

Link to the English version: The path to more sustainable concrete floor slabs through digital fabrication


In Anbetracht der Klimakrise müssen die Treibhausgasemissionen drastisch reduziert werden. Dabei muss auch der Gebäudesektor, welchem rund 37 Prozent der globalen betrieblichen energie- und prozessbedingten Treibhausgasemissionen zugeordnet werden, deutlich umweltfreundlicher werden, insbesondere wenn man bedenkt, dass die benötigte Fläche für Wohnen und Infrastruktur in den kommenden Jahren massiv zunehmen wird (2022 Global Status Report for Buildings and Construction). Um diese Reduktion der negativen Umweltauswirkungen zu erreichen ist ein Umdenken auf allen Ebenen nötig. Während aktuell alternative Baustoffe in der Forschung und Praxis grosse Beachtung finden, ist die Umsetzung von effizienten Tragwerken eine oft unterschätzte Massnahme, mit welcher enorme Einsparungen erreicht werden können. (The Institution of Structural Engineers, 2022)

Da in typischen Gebäuden rund die Hälfte des Materials in Decken verbaut wird (Bischof et al. 2022), liegt es nahe, Optimierungen der Materialeffizienz in diesen Bauteilen anzustreben. Tatsächlich existieren zahlreiche praxiserprobte Deckensysteme, welche im Vergleich zu den weitverbreiteten Flachdecken massiv reduzierte Treibhausgasemissionen verursachen: Durch die Wahl von statisch effizienten Systemen wie beispielsweise Rippendecken, Kassettendecken oder Hohlkörperdecken können in Abhängigkeit der Spannweite bis zu 60% der Treibhausgasemissionen im Vergleich zu Flachdecken eingespart werden (Regúlez et al., 2022). Wieso also bauen wir auch heute noch überwiegend Flachdecken?

Dies lässt sich mit einer ganzheitlichen Betrachtung des Problems erklären: Deckensysteme werden nicht oder nur bedingt aufgrund ihrer Treibhausgasemissionen gewählt. Vielmehr sind Kriterien wie Baukosten, Bauzeit, Schallschutz, Möglichkeit zur Integration von Haustechnikeinlagen und viele weitere entscheidend. Anders ausgedrückt müssen Deckensysteme sowohl ökologisch nachhaltig (u.a. Emissionen, Ressourcenverbrauch und Abfallproduktion, Dauerhaftigkeit und gegebenenfalls Zirkularität) als auch sozial nachhaltig (u.a. Sicherheit, Funktionalität und Anpassungsfähigkeit) und wirtschaftlich nachhaltig (u.a. Kosten, Baubarkeit und Flexibilität) sein, um auf dem Massenmarkt Verbreitung zu finden und so wirkungsvoll zur Steigerung der Umweltfreundlichkeit beizutragen. Die Komplexität dieser Anforderungen ist in Abbildung 1 zusammengefasst.

Abbildung 1: Anforderungen an Deckensysteme

Bei vielen dieser Kriterien ist die Wahl einer Flachdecke, deren Produktion jahrzehntelang optimiert wurde, vorteilhaft: Nicht nur sind Flachdecken günstig in der Erstellung, sondern sie weisen auch eine niedrige Gesamthöhe und gute akustische Schalldämmeigenschaften auf und bieten die Möglichkeit, Haustechnik als Deckeneinlagen zu integrieren. Auch nicht zu unterschätzen ist die geometrische Freiheit im Grundriss, welche durch die Wahl von Flachdecken ermöglicht wird: Die statische Effizienz, welche mit Tragsystemen wie zum Beispiel Rippendecken erreicht wird, bedingt häufig eine höhere geometrische Komplexität der Querschnitte. Wegen des dafür erforderlichen höheren Schalungsaufwandes werden solche Decken im Allgemeinen nicht im Ortbetonverfahren sondern mittels Vorfabrikation hergestellt, wobei wiederverwendbare Schalungen eingesetzt werden. Dies wiederum reduziert die geometrische Freiheit der damit herstellbaren Grundrisse, da sich solch wiederverwendbare Schalungen im Allgemeinen nur für regelmässige und sich wiederholende Grundrisse eignen. Auch tragen Deckensysteme wie Rippendecken und Hohlkörperdecken primär in eine Richtung (in Gegensatz zu Flachdecken), was die geometrische Freiheit im Grundriss weiter eingrenzt.

All diese Gründe führen dazu, dass in der Praxis trotz des in den letzten Jahren gesteigerten Nachhaltigkeitsbewusstseins die Wahl häufig auf eine emissionsintensive Flachdecke fällt.

Das innovative Feld der digitalen Fertigung mit Beton (DFB) könnte dazu beitragen, dass diese Wahl in Zukunft häufiger auf ein effizienteres Tragsytem fällt: Durch eine Vielzahl von Fertigungsverfahren, das Bekannteste davon der 3D-Druck mit Beton (3DDB), soll der Bau von geometrisch komplexen, massgefertigten Bauteilen ohne oder nur mit minimaler Schalung bei reduzierten Produktionskosten und gesteigerter Arbeitssicherheit ermöglicht werden (Wangler et al., 2016). Was diese geometrische Freiheit in der Praxis bedeuten könnte, ist in Abbildung 2 ersichtlich: Für einen Grundriss wurden eine konventionelle Flachdecke, eine Rippendecke mit geraden, regelmässigen Rippen und eine Freiform-Rippendecke, wie sie potentiell mithilfe von digitalen Fertigungsmethoden produziert werden könnte, vordimensioniert. Aufgrund des direkteren Lastabtrags sind nicht nur die potentiellen Materialeinsparungen bei der Freiform-Rippendecke grösser als bei der Rippendecke mit geraden Rippen (27% – 38% anstatt 18% – 28% weniger Betonverbrauch in der Decke), sondern es resultieren weniger Anpassungen im Grundriss (wie zum Beispiel zusätzlich benötigte Stützen).

Abbildung 2: Varianten einer Decke mit (von links nach rechts) einer Flachdecke, einer Rippendecke mit geraden, regelmässigen Rippen und einer Freiform-Rippendecke.

Die Herausforderung besteht nun darin, zuverlässige und effiziente Methoden zu finden, solche oder ähnliche geometrisch komplexen Tragwerke mithilfe von DFB herzustellen. Tatsächlich wurden sowohl an der ETH (im Rahmen des NFS Digitale Fabrikation) als auch weltweit bereits erste Konzepte für digital fabrizierte Betondecken entwickelt – Beispiele hierfür sind in Abbildung 3 ersichtlich. Von den meist aufwendig produzierten Prototypen zu einem massenmarkttauglichen System, welches die Möglichkeiten der digitalen Fertigung voll ausschöpft, ist es jedoch noch ein weiter Weg. Wir wollen dabei einen Beitrag leisten, indem wir Systeme entwickeln, welche DFB nur einsetzt, wo die gewonnene geometrische Freiheit vorteilhaft ist und so die Vorteile von DFB und herkömmlichen Bauverfahren vereinen.

Abbildung 3: Konzepte für digital fabrizierte Betondecken: Oben links: Decke mit 3D-gedruckten Schalungselementen (Quelle: Hansemann et al., 2022), Oben rechts: 3D-gedruckte Decke, hergestellt mithilfe einer digital fabrizierten Schalung (Binder Jetting) (Quelle: Anton et al., 2020), Unten links: Decke mit 3D gedruckten Mineralschaumelementen (Quelle: Bedarf et al., 2022), Unten rechts: Rippendecke, hergestellt mit einer digital fabrizierten Schalung (Eggshell) (Quelle: Burger et al., 2022)

Die Vielfältigkeit der Anforderungen, welche an Decken gestellt werden in Kombination mit den Möglichkeiten und Herausforderungen, welche DFB mit sich bringt, machen dieses Forschungsprojekt zu einer komplexen Aufgabe – es bleibt also spannend und wir freuen uns, hier zu gegebener Zeit über die Fortschritte des Projekts zu informieren.


Rebecca Ammann

Link to the English version: Production of a CFRP-Prestressed Railway Bridge Prototype.


Seit dem letzten Blogpost zum Thema ist einige Zeit vergangen, in der sich entsprechend viel getan hat. Dem Ziel, Bahnbrücken im Spannweitenbereich von 2-10 m mit karbonfaserverstärktem Kunststoff (CFK) vorzuspannen, ist das Projektteam bestehend aus SBB, alphabeton AG, HSLU, Empa und ETH einiges nähergekommen: Es ist gelungen, einen 1.7 m x 6.5 m grossen Prototypen zu bauen. Der Prototyp ist biaxial CFK-vorgespannt und repräsentiert einen Ausschnitt (bestehend aus vier anstelle von neun Längsträgern) einer Überführung mit 6 m Spannweite. Die Vorspannung ist dabei so ausgelegt, dass die Brücke unter Gebrauchslasten (LM1) ungerissen bleiben soll. Abbildung 1 zeigt die Grundidee des Brückensystems sowie den nichtrostenden Bewehrungsstahl und die sandbeschichteten CFK-Spannstäbe.

Abbildung 1: Grundidee.

Der detaillierte Bewehrungsplan des Prototyps im Querschnitt ist in Abbildung 2 gezeigt. Er beinhaltet folgende Elemente:

Abbildung 2: Bewehrung im Querschnitt.

Zwei wesentliche Änderungen im Konzept und dem Herstellungsverfahren wurden seit dem letzten Blogbeitrag vorgenommen:

  1. Anstelle eines Ultrahochleistungsbetons (UHB) wurde ein Hochleistungsbeton C80/95 verwendet. Vorversuche haben gezeigt, dass dieser Beton ausreichend ist, um die im Spannbettverfahren vorgespannten CFK-Stäbe über Verbund zu verankern – bei wesentlich kleinerem Zementgehalt als der UHB.
  2. Die Herstellung erfolgte schrittweise: In einem ersten Schritt wurden die Längsträger (jeweils zwei hintereinander mit den gleichen Spannstäben vorgespannt) betoniert. Nach Fertigung der vier Längsträger wurden diese nebeneinander platziert, um die vorgespannten Querträger (Quervorspannung und -bewehrung durch Aussparungen in den Längsträgern) und die Platte zu betonieren.

Für die Herstellung (Vorspannung im Spannbettverfahren) des Prototyps waren umfangreiche Technologieentwicklung und Vorarbeiten vonnöten. Dies betrifft einerseits die Entwicklung von insgesamt vier Spannrahmen für die Vorspannung in Längs- und Querrichtung, federführend projektiert durch Prof. Dr. Albin Kenel und Martina Rohrer, HSLU. Renderings der Spannrahmen sind in Abbildung 3 zu sehen. Der Spannrahmen für die Längsträger (Abbildung 3 (a)) ist insgesamt gut 14 m lang (wobei er modular auf beliebige Längen <14 m einstellbar ist) und auf eine totale Spannkraft von 2.8 MN ausgelegt. Die drei Rahmen für die Quervorspannung (Abbildung 3(b)) müssen wesentlich weniger Last (~0.8 MN) verankern können. Das Grundsystem ist überall identisch: die CFK-Stäbe werden in Lochplatten verankert, die über hydraulische Pressen verschoben werden können, um die gewünschte Spannkraft auf die Stäbe zu bringen. Anschliessend wird um die gespannten Stäbe betoniert; die Vorspannung wird abgesenkt sobald der Beton die nötige Festigkeit aufweist.

Abbildung 3: Spannrahmen. (a) für Längsträger; (b) für Querträger. Konstruiert und gezeichnet von Martina Rohrer, HSLU.

Die zweite grosse Herausforderung war die Keilverankerung der aufgrund ihrer Anisotropie äusserst anspruchsvoll zu spannenden CFK-Stäbe. Die Verankerung (entwickelt durch Prof. Dr. Giovanni Terrasi und Valentin Ott, Empa) bestehend aus einer Stahlhülse und drei Kunststoffkeilen ist auf ihrem jetzigen Entwicklungsstand in der Lage, zuverlässig eine Kraft von 55 kN pro Stab (entspricht einer Spannung von 1041 MPa bezogen auf den nominellen Durchmesser von 8.2 mm) zu verankern. Abbildung 4 zeigt (a) eine einzelne Verankerung, (b) das hydraulische Einpressen der Keile auf eine definierte Einpresskraft, sowie (c) die Anordnung der Keile in der Lochplatte für die Herstellung der Längsträger.

Abbildung 5 zeigt Bilder der Herstellung im Werk der alphabeton AG:

(a)Bewehrungskörbe der Längsträger im Spannrahmen. Diese mussten äusserst präzise gefertigt sein, damit die Spannglieder durchgeführt werden konnten ohne die Bewehrungseisen zu touchieren (vgl. Abbildung 2). Kontakt würde (i) zu nicht kontrollierbaren Umlenkungskräften und schlimmstenfalls Versagen der Spannstäbe führen, und (ii) das Risiko galvanischer Korrosion der Bewehrungsstäbe erhöhen.
(b)Bewehrungskörbe mit den unteren Lagen der CFK-Spannstäbe inklusive der horizontal geteilten Abschalung.
(c)Bewehrungskorb inklusive CFK-Spannstäbe.
(d)(a)   Detail der Aussparungen inklusive Aufhängebewehrung (im Kreuzungsbereich der Längs- und Querträger) und eigens für diesen Zweck an der Empa 3D-gedruckte Abstandhalter, die auf das Längseisen montiert werden konnten. So konnte die geforderte Präzision der Aussparungen für das Durchführen der Quervorspannung sichergestellt werden.
(e)Längsträger in der Schalung nach dem Betonieren.
(f)Platzierung der Längsträger in den Spannrahmen für die Quervorspannung.
(g)Bewehrung der Endscheiben und Brückenplatte.
(h)Einpressen der Keile für die Quervorspannung. Man beachte, dass während des Spannvorgangs massive Stahlplatten hinter die Verankerungen montiert wurden, um ein allfälliges unkontrolliertes Absprengen bei potentiellem Versagen der Spannstäbe zu verhindern (siehe Abbildung 3).
(i)Detail der Quervorspannung in den Aussparungen der Längsträger.
(j)Fertiger Prototyp: Seitenansicht.
(k)Fertiger Prototyp: Ansicht von unten mit Längs- und Querträgern.
Abbildung 5: Herstellung. Fotos: Andreas Näsbom (ETH), Gezim Bushaj (alphabeton AG).

Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Herstellung des Prototyps wie geplant gelungen ist. Erste faseroptische Dehnungsmessungen an den CFK-Stäben zeigen, dass die Vorspannung auf einer Länge von weniger als 200 mm voll über Verbund verankert wird und die Spannbettvorspannung mit sandbeschichteten CFK-Stäben somit funktioniert. «Lessons learned» umfassen sowohl das Design als auch die Ausführung. Statische Effizienz muss sorgfältig gegen die Komplexität der Fertigung abgewogen werden; der eine oder andere Millimeter mehr zwischen CFK – und Bewehrungsstäben hätte die Herstellung des Prototyps erheblich vereinfacht. Das Vorspannen der CFK-Stäbe ist anspruchsvoll und bedarf neben massgeschneiderter Hardware wie Spannrahmen und Keilankern äusserst präziser Arbeit im Werk, insbesondere beim Binden der Bewehrungskörbe. Aus Sicht des Projektteams hat die alphabeton AG den «Proof of concept» für die Herstellung erbracht, der Weg zum Bau der ersten Bahnbrücke aus CFK-vorgespanntem Beton ist jedoch noch weit… Stay tuned!


Andreas Näsbom

Link zu der deutschen Version: Innovating Bridge Design: Exploring the Potential of AI-Augmented Structural Engineering


Brücken sind wichtige Infrastrukturelemente, die Gemeinden miteinander verbinden, den Verkehr begünstigen und zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen. Der Entwurf und Bau von Brücken erfordert eine sorgfältige Planung und technisches Fachwissen, um Sicherheit, Effizienz, Ästhetik und auch Dauerhaftigkeit zu gewährleisten. Bislang war dieser Prozess in hohem Masse von menschlichem Fachwissen und manuellen Iterationen über mehrere Teams hinweg abhängig, was zu einem langwierigen und weitestgehend starren Entwurfsprozess führte. Die jüngsten Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) haben bereits viele Forschungs- und Industriebereiche transformiert und haben zudem das Potenzial, die Art und Weise zu revolutionieren, wie Ingenieure Strukturen konzipieren, analysieren und optimieren.

An unserer Professur arbeiten wir an der Integration von modernen KI-Algorithmen in das konstruktive Ingenieurwesen. Konkret befasst sich unser laufendes Forschungsprojekt “Domain-Aware-AI Augmented Design of Bridge Structures (DAAAD_Bridges)” mit der Implementierung von generativen KI-Algorithmen für die Anwendung im Brückenbau. Zusammen mit dem Swiss Data Science Center entwickeln wir eine Deep-Learning-basierte Software-Toolbox, die als Co-Pilot in frühen Entwurfsphasen fungieren und die Stärken der KI und des Menschen kombinieren soll.

In der heutigen Praxis wird Simulationssoftware (z.B. Finite-Elemente-Software) zur Qualitätsevaluation von Entwürfen eingesetzt. Zu den wichtigen Entwurfszielen gehören Sicherheit, Gebrauchstauglichkeit, Nachhaltigkeit, Baubarkeit und Kostenminimierung. Eine detaillierte und genaue Entwurfsbewertung mit Hilfe von Simulationssoftware wird jedoch bei komplexen und hochdimensionalen Entwurfsproblemen wie Brückenbauwerken rechenintensiv. Daher ist der Einsatz moderner Simulationssoftware zeitaufwändig oder sogar unbrauchbar, wenn es darum geht, mehrere Entwurfsalternativen in einer frühen Entwurfsphase effizient zu untersuchen und zu vergleichen (siehe Abbildung 1). Die früheren Entwurfsentscheidungen sind jedoch massgeblich und erfolgsentscheid für das gesamte Bauprojekt.

Abbildung 1: Status-quo-Entwurfsansatz: Vorwärts Entwurfsiteration.

Wir stellen uns diesen Herausforderungen und formulieren den aktuellen Entwurfsprozess neu und unterstützen ihn mit datenbasierten Erkenntnissen, vgl. Abbildung 2. Wir konzentrieren uns auf Brückendesigns, die eine parametrisch Darstellung besitzen und entwickeln Deep-Learning-Modelle, die als approximative Ersatzmodelle für die Vorhersage der Qualität eines definierten Designs (“Vorwärtsdesign”) fungieren, und zusätzlich die Generierung von leistungsstarken Designalternativen ermöglichen, welche geforderte Qualitätsanforderungen erfüllen (“Inversdesign”). Das Forward-Design-Model nimmt die Entwurfsattribute (z.B. Trägerhöhe, Anzahl der Pfeiler, Materialfestigkeit, etc.) als Eingabe und approximiert die Qualität (z.B. strukturelle Ausnutzung, Treibhauspotential, Kosten, etc.) des definierten Designs. Das inverse Modell ermöglicht auf innovative Weise die Generierung einer Reihe von Entwurfsalternativen auf der Grundlage von (selbstdefinierten) Entwurfszielen und -beschränkungen (z.B. Budget, strukturelle Ausnutzungsbeschränkung, lichte Höhe, usw.).

Abbildung 2: Vorgeschlagene Mehrfachabfrage mit erklärbarem Design-Metamodell, das Vorwärts- und Inversdesign ermöglicht.

Wir haben eine Variante eines Conditional Variational Autoencoders (CVAE) abgeleitet (vgl. Abbildung 3), welche die Grundlage für die Entwurfsmetamodelle bildet. Der CVAE kann auf einem Datensatz von existierenden und/oder synthetisch erzeugten Brückenstrukturen trainiert werden. Während des Trainings werden die Modellparameter des CVAEs an die Trainingsdaten gefitted, indem die in Abbildung 3 definierte Verlustfunktion minimiert wird. Der Encoder lernt die Abbildung des euklidischen Vektors x auf den entsprechenden Leistungsvektor ŷ (Vorwärtsdesign). Zugleich lernt der Decoder, neue Deisgnattribute x̂ unter Berücksichtigung des gewählten Designzielvektors y zu erzeugen (Inversdesign). Im Anschluss an das Training wird das Modell anhand von einem Testdatenset evaluiert, welches aus Brückenstrukturen bestehen, die das Modell noch nicht zuvor gesehen hat. Da neuronale Netze vollständig differenzierbar sind, nutzt die CVAE ausserdem die automatische Differenzierung (AD) zur effizienten Berechnung der Ableitungen von den Qualitätskennwerte nach den Entwurfsvariablen (d.h. dy/dx) für eine anschliessende lokale Sensitivitäts- oder Unsicherheitsanalyse.

Abbildung 3: CVAE-Architektur einschliesslich der Verlustfunktion [1].

In einer Pilotstudie mit Basler & Hofmann wurden die entwickelten Werkzeuge auf die Projektsituation einer Fussgängerbrücke in St. Gallen angewendet [2]. Mit Hilfe von Dynamo in Revit und SOFiSTiK wurde ein Datensatz für die vorliegende reale Projektsituation generiert, auf dessen Basis der CVAE trainiert wurde. Im Projekt wurde ebenfalls eine erste Version einer grafischen Benutzeroberfläche für die Interaktion zwischen Brückeningenieur:innen und dem KI-Modell entwickelt, vgl. Abbildung 4. Es konnte gezeigt werden, dass mit dem CVAE sowohl die vorwärtsgerichteten als auch die inversen Abbildungen genau erlernt werden können und die Vorhersage der Entwurfsqualität (inkl. strukturelle Ausnutzung, Materialvolumen und Kosten) sowie die bedingte Entwurfsgeneration in Echtzeit möglich sind. Das Modell ermöglicht daher eine schnelle Untersuchung einer grossen Anzahl von Entwurfsalternativen und die Ermittlung optimaler Entwürfe, die die vorgegebenen Designziele erfüllen. Durch die Anwendung von Sensitivitätsanalysen liefern die trainierten Modelle ein Verständnis für die Abhängigkeiten der Designqualitäten von den Designattribute in den hochdimensionalen Entwurfsräumen und ermöglichen die Ableitung von Entwurfsregeln für die analysierten Strukturen. Das Tool kann daher wichtige Entscheidungen in der Konzeptionsphase eines Bauprojektes unterstützen und so Strukturen fördern, die sich durch Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit auszeichnen. Die Einschränkung besteht darin, dass der Aufbau der Datengenerierungspipeline, die Datengenerierung und der Trainingsprozess selbst (d.h. die Offlinephase, vgl. Abbildung 2) einen erheblichen Zeitaufwand erfordern. Daher sollten die datengestützten Entwurfsmodelle so allgemein wie möglich anwendbar erstellt werden, was zum Beispiel durch die Erweiterung der Trainingsdatenbank um mehrere Projektsituationen und Brückenbauwerkstypen erreicht werden kann. Die Studie zeigt ausserdem die Notwendigkeit und das Potenzial systematischer und detaillierter Datenbanken, welche die geplanten und gebauten Strukturen von heute und morgen enthalten.

Abbildung 4: Prototyp einer grafischen Benutzeroberfläche in Dynamo (Revit), entwickelt für ein Fussgängerbrückenprojekt [2].

Die sich in der Entwicklung befindende Software-Toolbox ist strukturunabhängig anwendbar und kann daher ein breites Spektrum parametrischer Entwurfsprobleme unterstützen. Die breite Anwendbarkeit unseres Ansatzes demonstrieren wir mit einigen Anwendungsstudien, zum Beispiel des Entwurfes von Stahl- und Holzgitterschalentragwerken in Zusammenarbeit mit der Digital Structures Gruppe des MITs [3] und der Holzverbindungsbemessung mit der Holzbaugruppe der ETH. Klingt spannend? Fühlen Sie sich eingeladen, einen Blick auf die Projekt-Webseiten zu werfen oder uns zu kontaktieren, wenn Sie daran interessiert sind, unsere Toolbox in Ihrem Forschungsprojekt oder Ihrem laufenden Projekt in der Industrie einzusetzen.


Sophia Kuhn

Literatur

[1]Kuhn, S. V., Hodel, A., Bischof, R., Balmer, V. M., Pérez-Cruz, F. , Kaufmann, W. , Kraus, M. A. (2023), Assessment and Integration of Sustainability and Circularity Metrics within Generative Bridge Design, EG-ICE 2023, London.
[2]Balmer, V. M., Kuhn, S. V., Bischof, R., Salamanca, L., Kaufmann, W., Pérez-Cruz, F., Kraus, M. A. (2022). “Design Space Exploration and Explanation via Conditional Variational Autoencoders in Meta-Model-Based Conceptual Design of Pedestrian Bridges.” arXiv. https://doi.org/10.48550/arXiv.2211.16406
[3]Fang, D., Kuhn, S. V., Kaufmann, W., Kraus, M. A., Mueller, C. (2023), Quantifying the influence of continuous and discrete design decisions using sensitivities. Advances in Architectural Geometry 2023, Stuttgart.

Links

https://mkrausai.github.io/research/01_SciML/01_BH_PedestrianBridge_XAI/

https://designplusplus.ethz.ch/research/domain-aware-ai-augmented-design-of-bridge-structures–daaadbrid.html

Link to the English version: Developing a material model for reinforced concrete structures subjected to cyclic loading


An der Professur für Massiv- und Brückenbau setzen wir seit einigen Jahren ein selbst entwickeltes Materialmodell für Simulationen von Stahlbetonstrukturen ein, unter anderem für Nachrechnungen von bestehenden SBB Rahmenbrücken. Die Simulationen werden auch nicht-lineare Finite-Elemente (NLFE) Analysen genannt. Mehr über den Begriff “NLFE Analysen” können Sie im Blogbeitrag “Die Finite-Elemente-Methode im konstruktiven Ingenieurbau” lesen. Wie in diesem beschrieben wird, besteht das Grundprinzip von FE Analysen in der Tragwerksplanung darin, eine komplexe Tragstruktur in viele Elemente zu unterteilen (Diskretisierung) und die Elemente mathematisch zu einem Gesamtmodell zu verknüpfen. Für eine FE Analyse wird neben der Geometrie der Tragstruktur, der Einwirkung und den Randbedingungen/Lagerung auch ein Materialmodell benötigt, um (auf der Elementebene, präziser gesagt im Integrationspunkt) aus den Verformungen, resp. Dehnungen, die zugehörige Kraft, resp. Spannung zu berechnen. Das an unserer Professur verwendete nicht-lineare Materialmodell, genannt CMM-Usermat, simuliert die Steifigkeiten (= Kraft / Verformung resp. = Spannungen / Dehnungen) von Scheiben-, Platten und Schalenelementen akkurat, und die in Versuchen beobachteten Verformungen, Versagensarten und Maximallasten werden vom Modell im Allgemeinen gut abgebildet. Für einen vertieften Einblick in den Aufbau und Verifikation des Materialmodelles verweise ich auf folgende Literatur: [1]–[4]. Das CMM-Usermat ist zurzeit auf unidirektionale Belastungen beschränkt, d.h. es können nur monoton ansteigende Belastungen berücksichtigt werden; Ent- und Wiederbelastungen können nicht simuliert werden.

Als logischer nächster Schritt in der Entwicklung des Materialmodelles soll es verallgemeinert werden, damit Ent- und Wiederbelastungen / zyklische Belastungen aufgebracht werden können. Dies ermöglicht es uns, Simulationen der Tragstrukturen für verschiedene Zeitpunkte der zyklischen Belastung (z.B. bei einem Erdbeben) durchzuführen, auch bezeichnet als Zeitverlaufsanalyse. In meinem Doktorat befasse ich mich mit dieser Weiterentwicklung des Materialmodelles. Ziel des Forschungsprojektes ist es, mit dem zu entwickelnden zyklisches Materialmodell stabile und zuverlässige FE Analysen durchzuführen, die das Tragverhalten von zyklisch beanspruchten Stahlbetonstrukturen möglichst exakt wiedergeben. Caminada hat sich im Rahmen von seinem Masterstudium an der Hochschule Luzern (HSLU) bereits dieser Thematik angenommen und vielversprechende Resultate erzielt [5]-[7], die eine vertiefte Erforschung rechtfertigen.


Finanzierung des Forschungsprojektes:

Das in diesem Blogbeitrag beschriebene Forschungsprojekt, das auf drei Jahre ausgelegt ist und 2025 endet, wird vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) finanziert und von seinen Fachexpert:innen begleitet. Ein Forschungsschwerpunkt des ENSIs liegt bei der Erdbebenanalyse von Stahlbetontragwerken mit dominanter Scheibentragwirkung (Schubwände). Mit den Erkenntnissen aus diesem Projekt sichert das ENSI seine Kompetenz bei der Bewertung der Tragsicherheit solcher Tragelemente. Weitere Informationen zur Forschung des ENSI findet man im jährlich erscheinenden Erfahrungs- und Forschungsbericht.


Abbildung 1: Schematischer Aufbau des benutzerdefinierten Materialmodelles CMM-Usermat-C.

In der Folge wird der Aufbau des zyklischen Materialmodelles beschrieben, wobei CMM-Usermat-U bzw. CMM-Usermat-C das unidirektionale bzw. zyklische Materialmodell bezeichnet.


Stahlbeton in a nutshell (für Nicht-Bauingenieur:innen):

Beton hält einer relativ hohen Druckbelastung stand, aber wenn er auf Zug beansprucht wird, ist die maximal aufnehmbare Last eine Grössenordnung kleiner, wobei das Versagen auch noch spröde ist. Die tiefe und stark streuende Betonzugfestigkeit wird daher meist vernachlässigt bei der Bemessung der Tragsicherheit. Beton wird jedoch mindestens in zwei Richtungen (normalerweise senkrecht zueinander) mit duktilem Stahlstäben (Bewehrung), die im Vergleich zu Beton eine sehr hohe Zugfestigkeit aufweisen, verstärkt. Die Kombination von Beton und Bewehrung führt zum charakteristischen Tragverhalten von Stahlbeton: Zugkräfte werden von der Bewehrung übernommen (nachdem der Beton gerissen ist) und Druckkräfte werden überwiegend vom Beton abgetragen.

Wie dieser kurzen Beschreibung der Bestandteile und des Tragverhaltens zu entnehmen ist, kann Stahlbeton nicht als homogenes isotropes Material betrachtet werden. Das Zusammenwirken der Bewehrungsstäbe mit dem umhüllenden Beton ist sehr komplex und daher erfordert die Modellierung gewisse Vereinfachungen.


Um eine gute Näherungslösung für das komplexe Stahlbetontragverhalten zu erhalten, wurde beim CMM-Usermat-C ein Ansatz gewählt, der in drei Ebenen gegliedert werden kann: Untergeordnete Materialmodelle, mechanische Modelle und Schichtenmodell (siehe Abbildung 1).

Die untergeordneten Materialmodelle beschreiben die Spannungs-Dehnungsbeziehungen der Stahlbetonkomponenten (Beton und Bewehrung) sowie die Verbundspannungs-Schlupfbeziehung zwischen Beton und Bewehrung. Eine Bibliothek von verschiedenen untergeordneten Materialmodellen für Beton, Bewehrung und Verbund wird zurzeit aufgebaut.

Die mechanischen Modelle, die das Herzstück des CMM-Usermat-C darstellen, abstrahieren das Tragverhalten von Stahlbetonelementen so, dass die wesentlichen Mechanismen, unter anderem das Zusammenwirken der Stahlbetonkomponenten, abgebildet werden. Der Fokus liegt dabei auf einer mechanisch konsistenten Modellierung, bei der das Gleichgewicht der Kräfte und die Kompatibilität (Dehnungen und Spannungen stimmen in jedem Punkt mit den beschriebenen untergeordneten Materialmodellen für Bewehrung und Beton überein) erfüllt sind. Konkret basiert das CMM-Usermat-C auf dem Zuggurtmodell [8] (auf Englisch: Tension Chord Model (TCM)), welches die Mitwirkung des Betons zwischen den Rissen (Zugversteifung) mitberücksichtig und dem Gerissenen Scheibenmodell mit frei rotierenden Rissen [9] (auf Englisch: Cracked Membrane Model with rotating, stress-free cracks (CMM-R)), das den Lastabtrag von primär auf Schub belasteten Scheiben modelliert. Das TCM und das CMM-R greifen für das Materialverhalten der Komponenten auf die Bibliothek der untergeordneten Materialmodelle zurück. Nebenbemerkung: Der Name des Materialmodelles CMM-Usermat-C leitet sich vom verwendeten mechanischen Modell CMM-R ab, wobei «Usermat» für «user-defined material» steht.

Die dritte und höchste Ebene im CMM-Usermat-C bildet das Schichtenmodell [10], das für die Erweiterung von den bisher diskutierten mechanischen Modellen (1D und 2D) zu dreidimensionalen Platten- oder Schalenelementen zuständig ist. Dabei wird das Schalen- oder Plattenelement in Schichten unterteilt, wobei für jede Schicht ein ebener Spannungszustand angenommen wird. Die einzelnen Schichten können mit den oben beschriebenen mechanischen Modellen simuliert werden. Alle resultierenden Kräfte in den Schichten werden addiert/integriert und ergeben schlussendlich die allgemeine Beanspruchung (Membrankräfte, Biegung und Drillung) an einem bestimmten Punkt im FE-Netz.

Nachdem der gesamte Aufbau des CMM-Usermat-C erklärt wurde, beschreiben die beiden nächsten Abschnitten die konkrete Erweiterung des TCM auf zyklische Belastungen und die Verifikation des TCM für zyklische Belastungen anhand von Nachrechnungen eines zyklisch belasteten Zuggurtversuches.

Erweiterung des TCM auf zyklische Belastungen

Das TCM wird im CMM-Usermat-C gebraucht, um die Beziehung zwischen durchschnittlicher Längsdehnung und Stahlspannung am Riss für ein auf Zug belastetes 1D-Stahlbetonelement zu simulieren. Eine analytische Lösung für die Beziehung zwischen durchschnittlicher Längsdehnung und Stahlspannung am Riss, wie sie für unidirektionale Belastung (CMM-Usermat-U) verwendet wird, ist bei zyklischen Beanspruchungen, angesichts der unendlichen Anzahl möglicher Lastverläufe, schwierig zu erreichen. Daher wurde eine algorithmische Lösung implementiert, in der der 1D-Zuggurt in endliche Tranchen unterteilt und Spannungen, Dehnungen und Verschiebungen in der Bewehrung und im Beton Tranche für Tranche berechnet werden (siehe Abbildung 2). Es wird angenommen, dass die Verbundschubspannung über die Dicke der Tranchen konstant ist. Alle Variablen (σs, σc, εs, εc, us, uc, wr) ausser der Verbundschubspannung (τb) werden an den Gitterpunkten zwischen zwei benachbarten Tranchen ausgewertet. Anhand von Gleichgewichtsüberlegungen können die Spannungen in der Bewehrung, dem Beton und die Verbundschubspannungen bestimmt werden. Mit den untergeordneten Materialmodellen können die berechneten Spannungen in der Bewehrung (σs,i) oder im Beton (σc,i) am Gitterpunkt i mit den Dehnungen (εs,i, εc,i) oder Verbundspannungen (τb,k) in Beziehung gesetzt werden.

Abbildung 2: Schematische Darstellung der TCM-Berechnung, welche aus den folgenden drei Ebenen besteht: Zugelement, Diskretisierung in Tranchen, Matrizen.

Verifikation des TCM für zyklische Belastungen

Mit dem in Python implementierten Algorithmus des zyklischen TCM können Zugversuche an Stahlbetonelementen simuliert werden. Die Ergebnisse von drei Simulationen und einem von Pfyl [11] durchgeführten Versuch sind in Abbildung 3 dargestellt. Der Stahlbeton-Zuggurt wird belastet, bis sich Risse bilden. Nach einem weiteren Lastanstieg überschreitet die Bewehrung die Fliessgrenze. Die Last wird danach auf null reduziert und wieder erhöht, bis das Versagen erreicht ist. Abbildung 3 zeigt, dass die TCM-Simulationen das Gesamtverhalten gut wiedergeben, wobei es erhebliche Unterschiede zwischen den Verbundmodellen {voller Verbund; Koppitz et al. [12]} und {kein Verbund} gibt. Letzteres berücksichtigt die Zugversteifung im gerissenen elastischen Bereich nicht und überschätzt die Verformungen im plastischen Bereich. Die TCM-Simulationen mit den Verbundmodellen {voller Verbund; Koppitz et al. [12]} überschätzen die Energiedissipation während der Ent- und Wiederbelastung (Hystereseschleife), wobei das Verbundmodell {Koppitz et al. [12]}, das eine Verbundschädigung nach dem ersten Lastwechsel berücksichtigt, weniger von der experimentellen Kurve abweicht als das Verbundmodelle {voller Verbund}. Die Ergebnisse der Simulationen sind im Allgemeinen zufriedenstellend.

Abbildung 3: TCM Simulationen mit unterschiedlichen Verbundmodellen {kein Verbund; voller Verbund; Koppitz et al. [12]} und experimentellen Daten von Pfyl [11]: Kraft-Verformungskurven ohne (a) und mit (b) Verzerrung der Verformungsachse.

Weitere Beschreibungen und Ergebnisse werden folgen, sobald das Projekt weiter fortgeschritten ist.


Simon Karrer

Literatur

[1] P. Roos, “FEM Modelle für Stahlbetonplatten – Verifizierung des Schichtenmodells anhand von Bauteilversuchen”, Hochschule Luzern Technik & Architektur, Horw, 2014.

[2] K. Thoma, P. Roos, and M. Weber, “Finite-Elemente-Analyse von Stahlbetonbauteilen im ebenen Spannungszustand”, Beton- und Stahlbetonbau, vol. 109, no. 4, pp. 275–283, 2014, doi: 10.1002/best.201300087.

[3] K. Thoma, P. Roos, and G. Borkowski, “Finite Elemente Analyse von Stahlbetonplatten”, Beton- und Stahlbetonbau, vol. 109, no. 12, pp. 895–904, 2014, doi:10.1002/best.201400047.

[4] K. Thoma, “Finite element analysis of experimentally tested RC and PC beams using the cracked membrane model”, Engineering Structures, vol. 167, no. 15, pp. 592–607, Jul. 2018.

[5] T. Caminada, “Zuggurtmodell – zykische Beanspruchug”, Vertiefungsmodul I, Fachgruppe Massivbau HSLU, Horw, 2017

[6] T. Caminada, “Normalkraft beanspruchte Betonelemente”, Vertiefungsmodul II, Fachgruppe Massivbau HSLU, Horw, 2017

[7] T. Caminada, “Gerissenes Scheibenmodell für zyklische Beanspruchungen”, Master’s Thesis, Fachgruppe Massivbau HSLU, Horw, 2018

[8] P. Marti, M. Alvarez, W. Kaufmann and V. Sigrist, “Tension Chord Model for Structural Concrete”, Structural Engineering International, vol. 8, no. 4, pp. 287–298, Nov. 1998, doi: 10.2749/101686698780488875.

[9] W. Kaufmann, “Strength and Deformations of Structural Concrete Subjected to In-Plane Shear and Normal Forces”, Doctoral dissertation, Institut für Baustatik und Konstruktion, ETH Zürich, Basel, 1998. doi: 10.1007/978-3-0348-7612-4.

[10] H. Seelhofer, Ebener Spannungszustand im Betonbau: Grundlagen und Anwendungen. Zürich: vdf Hochschulverl. an d. ETH, 2010.

[11] T. Pfyl and P. Marti, Versuche an stahlfaserverstärkten Stahlbetonelementen, vol. 268. 2001. [Online]. Available: https://doi.org/10.3929/ethz-a-004273447

[12] R. Koppitz, A. Kenel, and T. Keller, “Tension Chord Model Modification for Uniaxial Unloading and Reloading in Elastic and Plastic States”, Journal of Structural Engineering, vol. 140, no. 10, p. 04014077, Oct. 2014, doi: 10.1061/(ASCE)ST.1943-541X.0000999.

Link to the English version: Load-bearing behaviour of reinforced concrete tunnel lining joints


Es mag überraschen, dass sich der Lehrstuhl für Massiv- und Brückenbau auch mit Tunnelbau befasst. Allerdings werden beim Vortrieb von Tunnel mittels Tunnelbohrmaschine (TBM) häufig Tunnelauskleidungssegmente, die sogenannten Tübbinge, aus Betonfertigteilen verwendet. Aufgrund der grossen Anzahl der benötigten Segmente kann dessen Optimierung einen grossen Einfluss auf das Tunnelbauprojekt haben. Schlankere Tübbinge können die Kosten und die Umweltauswirkungen erheblich reduzieren, da eine dünnere Auskleidung nicht nur weniger Baumaterial verbraucht, sondern vor allem auch den erforderlichen Aushub verringert.

Die Tübbinge übernehmen eine Vielzahl von Aufgaben: Sie nehmen den Gebirgsdruck auf, dichten den Tunnel ab, dienen als Befestigungselemente von Ausrüstungsteilen und übertragen die Vortriebs- und Steuerungskräfte der TBM. Die entsprechenden Kräfte müssen bei der Bemessung der Tübbinge berücksichtigt werden, wobei den Fugen eine Schlüsselrolle zukommt.

Abbildung 1: Tunnelbau mittels Schild-TBM und den wichtigsten Details. Adaptiert von Arnau und Molins.

Die Längsfugen zwischen den Segmenten (siehe Abbildung 1) übertragen bei einschaligen Tunnel die Lasten während des Baus und der gesamten Lebensdauer. Im druckhaften und quellfähigen Gebirge treten typischerweise grosse Ringdruckkräfte auf. Die Kontaktfläche in der Längsfuge ist meistens im Vergleich zum Normalquerschnitt des Tübbings reduziert. Dies erleichtert den Tübbingeinbau, vermeidet Abplatzungen und ermöglicht das Anbringen von Dichtungen. Aufgrund der verringerten Kontaktfläche resultieren im Bereich der Lasteinleitung höhere Druckspannungen als im Normalquerschnitt des Tübbings und es treten Spaltzugkräfte aufgrund der Lastausbreitung auf. Die Tübbingstärke von Tunnel mit grossen Ringdruckkräften wird häufig durch die Gestaltung der Längsfugen bestimmt.

Im Schildvortrieb wirken die über den Umfang verteilten Einzellasten der TBM-Vortriebszylinder auf den zuletzt eingebauten Tübbingring und werden über die Ringfugen auf die zuvor eingebauten Tübbingringe übertragen (siehe Abbildung 1). Aus dieser Einwirkung resultieren unter anderem Zugsbeanspruchungen, aufgrund der Lastausbreitung und Einbautoleranzen, welche häufig massgebend sind für die Bemessung der Bewehrung zur Begrenzung der Rissbreiten.

Ein vom ASTRA und BAV unterstütztes Forschungsprojekt am Lehrstuhl für Massiv- und Brückenbau untersucht die Längs- und Ringfugen von Tunneltübbingen. Das Ziel des Projekts ist es, verbesserte Bemessungsansätze zur Dimensionierung der Fugen zu entwickeln. Dieser Blogbeitrag fokussiert auf die Längsfugen und präsentiert die Ergebnisse einer experimentellen Versuchskampagne.

Der Lastabtrag in den Längsfugen stellt ein Problem der Teilflächenpressung mit überwiegend unidirektionaler Lastausbreitung dar und kann als Streifenbelastung idealisiert werden. Bei der Streifenbelastung wird ein Bauteil über eine schmalere Breite als die Bauteilbreite und über eine wesentlich grössere Länge belastet. Die Last breitet sich aus, bis der gesamte Querschnitt homogen belastet wird. Aus umfangreichen Versuchsreihen ist bekannt, dass bei Teilflächenbelastung wesentlich höhere Kontaktpressungen als die einaxiale Betondruckfestigkeit auftreten können. Die meisten aktuellen Bemessungsansätze zur Teilflächenbelastung (z.B. SIA 262, Eurocode 2 oder fib Model Code 2010) basieren auf dem sogenannten Quadratwurzelansatz. Dabei wird die mittlere Tragfähigkeit der belasteten Fläche, ausgedrückt als Spannung qx,u, mit der einachsigen Druckfestigkeit fc und der Quadratwurzel aus dem Verhältnis der für den Lastabtragung zur Verfügung stehenden Fläche Ac2 und der belasteten Fläche Ac1 in Beziehung gesetzt:

Der Quadratwurzelansatz ist rein empirischer Natur und daher ist dessen Anwendung in den Normen durch mehrere Bedingungen begrenzt: Geometrische Ähnlichkeit der Flächen Ac1 und Ac2, Begrenzung des Festigkeitszuwachses auf den Faktor drei und ausreichend Querbewehrung zur Aufnahme der Spaltzugkräfte. Dabei schränkt die erste Bedingung die Festigkeitserhöhung für Längsfugen in Tunneltübbingen stark ein. Der erforderliche Widerstand der Spaltzugbewehrung kann mit einem einfachen Fachwerkmodell zuverlässig bestimmt werden. Dabei ist es wichtig zu erwähnen, dass mit dem Quadratwurzelansatz weder die positive Wirkung der Querbewehrung, die sich in der Nähe des Lasteinleitungsbereichs befindet, noch die der Spaltzugbewehrung, die die erforderliche Mindestmenge überschreitet, berücksichtigt wird. Experimente an Tübbinglängsfugen haben gezeigt, dass wesentlich höhere Lasten aufgenommen werden können, als mit dem Quadratwurzelansatz vorhergesagt. Die Durchführung projektspezifischer Tests ist jedoch teuer und zeitaufwändig.

Als Alternative zum Quadratwurzelansatz können Längsfugen von Tunneltübbingen als Bauteile mit Umschnürungsbewehrung, z.B. nach SIA 262, Ziffer 4.2.1.8, bemessen werden. Dieser mechanisch solide Ansatz, der vor allem bei der Bemessung von Vorspannverankerungen und Druckgliedern verwendet wird, ermöglicht die Aktivierung der Querbewehrung, sowohl in der Nähe der Lasteinleitung als auch der Spaltzugbewehrung, die über das für die Lastausbreitung erforderliche Mindestmass hinausgeht. Dabei wird jedoch der günstige Einfluss der Lastausbreitung bei Teilflächenbelastung vernachlässigt. Zudem bestehen Unsicherheiten, inwieweit die Bewehrung aktiviert werden kann und ob bereits im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit Abplatzungen des Überdeckungsbetons auftreten können. Nach SIA 262 ist die Kombination des Quadratwurselansatzes mit der günstigen Wirkung der Umschnürungsbewehrung nicht zulässig. Es ist jedoch bekannt, dass sich die Lastausbreitung und die Umschnürungsbewehrung positiv auf die Tragfähigkeit von teilbelasteten Flächen auswirken.

In der Vergangenheit wurden nur wenige Versuche an streifenbelasteten Stahlbetonkörpern mit ausgeprägter Umschnürungsbewehrung durchgeführt. Aus diesem Grund wurde eine Versuchskampagne mit 20 streifenbelasteten Stahlbetonblöcken (350x550x525 mm3) entworfen. Die Proben wurden mittels einer 20 MN Amsler Prüfmaschine an der Empa in Dübendorf getestet (siehe Abbildung 2). Die Probekörper bestanden entweder aus normalfestem Beton, hochfestem Beton oder faserbewehrtem Beton und waren mit geschweissten Leitern, Bügeln oder Doppelkopfankern kontinuierlich in Quer- und Längsrichtung über die gesamte Höhe bewehrt (siehe Abbildung 3). Die Proben wurden mit kleinen Stahlklötzen über eine durchgehende Länge von 450 mm und einer Breite von 140 mm bzw. 210 mm belastet, was einem Lastkonzentrationsverhältnis von 40% (= 140 mm / 350 mm) bzw. 60% (= 210 mm / 350 mm) entsprach. Alle Proben bis auf zwei wurden zentrisch belastet.

Abbildung 2: Versuchsaufbau. (a) 20 MN Amsler Prüfmaschine; (b) und (c) Prüfkörper während und nach dem Versuch.
Abbildung 3: Unterschiedliche Bewehrungslayouts. (a) Geschweisste Leiterbewehrung (b) Bügelbewehrung, (c) Doppelkopfankerbewehrung.

Aus der Versuchskampagne lassen sich die folgenden Schlussfolgerungen für streifenbelastete Stahlbetonblöcke ableiten:

Für weitere Details zur Versuchsreihe wird auf Morger und Kaufmann verwiesen.

Abbildung 4: Vergleich der Versuchsergebnisse mit den Modelvorhersagen als Funktion des mechanischen Bewehrungsgehalts ωc.

In Abbildung 4 ist das Verhältnis zwischen den experimentell gemessenen durchschnittlichen Pressungen beim Versagen qx,u,exp und den Vorhersagen der Bemessungsansätze qx,u,model gegen den mechanischen Bewehrungsgehalt ωc aufgetragen. Abbildung 4 zeigt nur die zentrisch belasteten Probekörper aus normal- und hochfestem Beton. Beim Quadratwurzelansatz ist zu erkennen, dass die Zuverlässigkeit der Vorhersagen mit zunehmendem Bewehrungsgrad abnimmt. Dabei ist zu beachten, dass die Bedingung der geometrischen Ähnlichkeit vernachlässigt wurde. Andernfalls resultierten wesentlich konservativere Vorhersagen. Mit dem Umschnürungsansatz wird der Einfluss unterschiedlicher Bewehrungsgehalte erfasst, jedoch wird die Tragfähigkeit der Versuchskörper unterschätzt, da der Einfluss der Lastausbreitung vernachlässigt wird.

Abbildung 5: Dual-Wedge-Spannungsfeld.

Das kürzlich publizierte mechanisch konsistente Dual-Wedge-Spannungsfeld (siehe Abbildung 5 oder Markic, Morger und Kaufmann) berücksichtigt sowohl die Lastausbreitung als auch die Umschnürungsbewehrung. Im Vergleich mit dem Quadratwurzel- und Umschnürungsansatz zeigt das Dual-Wedge-Spannungsfeld gute Übereinstimmung mit den Versuchen an streifenbelasteten Stahlbetonblöcken. Der detaillierte Vergleich des Dual-Wedge-Spannungsfeld mit den Experimenten wird in einer zukünftigen Publikation präsentiert.


Fabian Morger

Der fünfte Betontag wurde kürzlich an der Hochschule für Technik und Architektur Fribourg HTA-FR durchgeführt. Zu diesem Anlass widmet sich der aktuelle Blogpost der Schweizer Delegation der Fédération internationale du béton (fib-CH). In einem Interview haben wir uns mit Herrn Thierry Delémont, dem Delegationsleiter der fib-CH, und Herrn Dr. Patrick Valeri, seit kurzem Delegationsmitglied und Vorsteher der fib-CH Young Members Group, unterhalten. Sie stellen uns die Organisation, ihre Aufgaben und Ziele vor.

Das Comité Européen du Béton (CEB) und die Fédération Internationale de la Précontrainte (fip) schlossen sich 1998 zur heutigen Fédération internationale du béton (fib) zusammen. Das CEB, gegründet 1953 mit dem Ziel der Vereinheitlichung der Bestimmungen im Bauwesen auf europäischer Ebene, publizierte 1964 ihre ersten Empfehlungen für ein Normenwerk. In Zusammenarbeit mit der fip folgte dann 1978 die Publikation «International System of Unified Standard Codes of Practice for Structure», welche später die Grundlage für den Eurocode für Stahlbetonbauten bildete. Seit 1985 liegt der Sitz des CEB (und der heutigen fib) an der EPF Lausanne.

Was ist die Rolle der Schweizer Gruppe (fib-CH) innerhalb der fib?

Thierry Delémont: Die Schweiz hat bei der Gründung des CEB und der fib eine führende Rolle gespielt. In dieser Funktion bleibt sie trotz der Kleinheit unseres Landes ein wichtiger Akteur in der Organisation. Die strategischen Entscheidungen des fib werden jährlich im “Technical Council” und an der “General Assembly” getroffen. Mit drei Delegierten ist die Schweiz eines der am stärksten vertretenen Länder. Die fib-CH will die Ziele der fib auf nationaler Ebene vorantreiben: Förderung der Forschung im Bereich Betonbau, Verbreitung von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen, Organisation von Kongressen, Symposien und Workshops, Erarbeitung von Empfehlungen auf nationaler und internationaler Ebene, Information der Mitglieder über die neusten Entwicklungen.

Unser Ziel ist es, eine Verbindung zwischen Berufseinsteigern und erfahrenen Ingenieur:innen herzustellen, damit die junge Generation auch eine aktive Rolle im Verband spielen kann.

Herr Valeri, Sie sind der fib während Ihres Doktorats beigetreten und haben da den Vorsitz der Schweizer fib Young Members Group (YMG) übernommen. Was ist die Funktion der YMG? Wer kann Mitglied werden? Hat sie ihre eigene Agenda und Ziele mit eigenen Prioritäten gegenüber dem Rest der fib?

Patrick Valeri: Die Kerninteressen der YMG sind der Wissenstransfer, das Networking, die Unterstützung der Task-Groups und die Organisation von Symposien. Unser Ziel ist es, eine Verbindung zwischen Berufseinsteigern und erfahrenen Ingenieur:innen herzustellen, damit die junge Generation auch eine aktive Rolle im Verband spielen kann. Laut Tomaž Ulaga, Mitglied der Schweizer Delegation, war es vor einigen Jahrzehnten Tradition, dass jeder Ingenieur / jede Ingenieurin Mitglied von mindestens einem Fachverband war. Heutzutage nimmt der hektische Berufsalltag sehr viel Zeit in Anspruch, und die Zahl der Verbandsmitglieder verringert sich stetig. Die YMG versucht diesem Trend entgegenzusteuern.

Veranstaltungsort des fünften fib-CH Betontags war die Hochschule für Technik und Architektur Fribourg HTA-FR.

Am 25. Oktober 2022 fand an der Hochschule für Technik und Architektur in Fribourg der fünfte fib-CH Betontag statt. Seit wann wird dieser durchgeführt? An wen ist er gerichtet und welche Ziele hat er?

Thierry Delémont: Das Hauptziel ist es, mit der Publikation Betonbau in der Schweiz, das Know-how der Schweizer Ingenieure der internationalen Ingenieurgemeinschaft vorzustellen. Dies, trotz des Fakts, dass nur sehr wenige Schweizer Ingenieure ihre Projekte an den fib-Kongressen vorstellen. In einem zweiten Schritt wird mit dem Betontag ein regelmässig stattfindender Anlass geschaffen, an dem sich die Akteure der Branche treffen und austauschen können.

Patrick Valeri: Die Publikation erscheint im Vierjahrestakt, sprich im selben Rythmus wie der fib-Kongress, welcher ebenfalls alle vier Jahre stattfindet. Zudem stellt der Betontag eine Verbindung der Schweizer Delegation der fib mit der fib-International her und erhält sie aufrecht.

Eine Auswahl der wichtigsten Betonbauprojekte wird in der Publikation Betonbau in der Schweiz vorgestellt und am folgenden Betontag präsentiert. Eine der ersten Schweizer Publikationen, Spannbeton in der Schweiz, kam als Sammlung Schweizer Beiträge vom siebten fip Kongress 1974 zustande. In dieser Publikation ist ein Beitrag zum Entwurf und Bau des Viadukts über die Paudèze zu finden, und in der diesjährigen Ausgabe wurde die Erweiterung und Sanierung des Bauwerks vorgestellt. Der Betontag und die Publikationen tragen so zu einer Baukultur mit hoher Qualität in der Schweiz und deren Aufrechterhaltung bei.

(a) Sammlung der Beiträge anlässlich des siebten fip-Kongresses in New York von 1974 mit (b) einem Beitrag zum Entwurf und Bau des Viadukts über die Paudèze und (c) dessen Instandsetzung, vorgestellt am fib-Kongress 2022 in Oslo und am Betontag 2022 in Fribourg.

Welche Bedeutung hat dieser Betontag für Sie beide persönlich? Wieso nehmen Sie daran teil?

Thierry Delémont: Dieser Anlass ist immer eine gute Gelegenheit, Kollegen zu treffen, denen man nicht regelmässig begegnet, und neue Bekanntschaften zu schliessen. Es bietet auch die Möglichkeit, Projekte aus anderen Regionen der Schweiz zu entdecken, von denen man sonst nicht hören würde. Ich hatte die Gelegenheit, bei einer früheren Veranstaltung ein Projekt vorzustellen, doch heute nehme ich als Organisator teil.

Patrick Valeri: Der Betontag hat für mich verschiedene Funktionen. Zum einen, ist er eine Drehscheibe, um neue Verbindungen zu knüpfen und bestehende Bekanntschaften aufrecht zu erhalten und zu pflegen. Idealerweise treffen sich hier Planer, Unternehmer, Bauherren und Studierende, um sich informell austauschen zu können. Dieser Austausch fördert Innovation und Qualität in der Projektierung und bei der Realisierung. Zum anderen können wir uns auch von den Vorträgen inspirieren lassen, wobei wir einen Überblick bekommen, wo wir als Gesellschaft gerade hinsteuern, und an welchen Themen wir noch arbeiten müssen.

Wie hat sich die fib-CH Gruppe und die Schweizer BauIngenieur:innen-Gesellschaft im Allgemeinen über die letzten paar Jahrzehnte hinweg entwickelt? Und wohin will man sich weiterentwickeln?

Thierry Delémont: Aus persönlicher Sicht bedauere ich, dass die Mehrheit der praktizierenden Bauingenieur:innen in der Schweiz nicht besonders daran interessiert ist, sich über Verbände wie die fib am internationalen Austausch zu beteiligen. Wahrscheinlich ermutigt die privilegierte Situation der Schweiz die Ingenieur:innen nicht, sich im Ausland zu engagieren. Im Gegensatz dazu sind die beiden technischen Hochschulen und einige Fachhochschulen sehr aktiv, was auf die Initiative ihrer Professor:innen zurückzuführen ist, die viel stärker für die Bedeutung des internationalen Austauschs sensibilisiert sind. Es wäre daher wünschenswert in Zukunft mehr praktizierende Bauingenieur:innen aus der Schweiz davon zu überzeugen, sich in fib-Arbeitsgruppen zu engagieren, da sie dort nicht nur viel beitragen, sondern auch viel lernen können.

Wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial im Austausch und in der Zusammenarbeit auf internationaler Ebene und zwischen Industrie und Forschung?

Patrick Valeri: Durch die Digitalisierung haben wir in den letzten Jahrzehnten eine allgemeine Beschleunigung unserer Gesellschaft erlebt. In meinen Augen kann dies, unter Umständern zu einer Spaltung zwischen Forschung und Praxis führen, denn Normen, Richtlinien und marktreife Produkte können nicht immer auf dem letzten Stand des Wissens sein. Hinzu kommt, dass in der Praxis (Projektierung, Produktherstellung) und Forschung nicht immer die gleichen Ziele verfolgt werden – weil hier andere Markt- und Finanzkräfte im Spiel sind.

Die fib-International besteht aus Hochschulprofessor:innen und Ingenieur:innen die in Forschung, Projektierung und Produktentwicklung tätig sind. Die Zusammenarbeit dieser Leute, die sich an einen gemeinsamen Tisch setzen, versucht, der Spaltung von Forschung und Praxis entgegenzusteuern. Dazu haben wir zwei Mechanismen: zum Einen können neue Forschungsarbeiten auf die Praxisanforderungen und Markterwartungen zugeschnitten werden. Und zum Anderen kann die Vielzahl an wissenschaftlichen Publikationen in praxistaugliche Richtlinien transformiert werden (fib Bulletins). In diesem Sinne bildet die fib einen internationalen Arbeitsrahmen, damit Forschung und Praxis synergetisch zusammenarbeiten können.

Wir leben in einer globalisierten Welt mit Problemen, die den ganzen Planeten betreffen. Auch die Lösungen müssen auf globaler Ebene gedacht werden, und es wird immer wichtiger, Kontakte mit der gesamten internationalen Gemeinschaft der Ingenieure zu fördern, z.B. durch Verbände wie die fib.

Meine Kolleg:innen nehmen dieses Jahr zum ersten Mal am Betontag teil. Das ist für einige von Ihnen der erste Kontakt mit der fib. Wie wichtig ist es, dass sich vor allem jüngere Ingenieur:innen aktiv engagieren?

Patrick Valeri: Aus miener Sicht ist es aus mindestens zwei Blickwinkeln wichtig ist, dass sich die junge Generation aktiv in einem Verband engagiert. Erstens wird die bestehende Generation in Zukunft kürzer treten und in den Ruhestand gehen. Je früher wir als junge Ingenieure einem Verband beitreten, desto länger können wir diese Transitionsphase ausdehnen – und in dieser Zeit viel voneinander lernen. Zum Zweiten ist Verbandsarbeit auch mehr oder weniger das Gegenteil von unserem beruflichen Alltag, wo Projekte abgewickelt und abgeschlossen werden. In der fib, wie auch in anderen Fachverbänden, können wir unser Projektwissen in einem strukturierten Rahmen mit unseren Kolleg:innen teilen, um künftig davon zu profitieren. In diesem Sinne ist unsere Arbeit für einen Verband projektübergreifend und eine inspirierende Abwechslung zum Projektalltag.

Thierry Delémont: Wir leben in einer globalisierten Welt mit Problemen, die den ganzen Planeten betreffen. Auch die Lösungen müssen auf globaler Ebene gedacht werden, und es wird immer wichtiger, Kontakte mit der gesamten internationalen Gemeinschaft der Ingenieure zu fördern, z.B. durch Verbände wie die fib. Deshalb bietet die YMG jungen Ingenieur:innen eine hervorragende Möglichkeit, sich mit Kolleg:innen aus verschiedenen Ländern auszutauschen und gleichzeitig Vorschläge zu machen, die von der gesamten fib gehört werden.

Ein letztes Thema würde ich gerne noch ansprechen – es ist eins das mich persönlich stark beschäftigt: die Nachhaltigkeit in der Baubranche. Die Baubranche hat einen enormen CO2-Fussabdruck. Gemäss dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) haben alleine die  Treibhausgasemissionen der Zementherstellung einen Anteil von 35 % an den Industrieemissionen – dies entspricht rund 8.7 % der Schweizer Gesamtemissionen (Stand 2020, BAFU). Prof. Muttoni hat die Dringlichkeit im Schlusswort am Betontag deutlich zum Ausdruck gebracht. Was haben Sie von diesem Schlusswort mitgenommen und was würden Sie gerne mit der Leserschaft hier teilen?

Patrick Valeri: Es ist ein Thema, das uns alle betrifft und bewegen sollte. Im Kern appelliert Prof. Muttoni an uns Bauingenieure, Ressourcen intelligent zu nutzen und innovativ zu sein. Eines seiner genannten Beispiele waren Decken: ein Deckensystem aus Stahlbeton mit niedrigem Zementgehalt, mit bedachter Wahl der Zementart, statisch sinnvoller Geometrieführung und recycelten Baustoffen, insbesondere des Betonstahls, hat einen vergleichbaren CO2 –Fussabdruck wie eine Holzdecke. Mit Optimierungen kann man durchaus 80% kg CO2-Äquivalent einsparen, was beträchtlich ist. Holztragwerke liegen auch voll im Trend. Man soll dabei aber nicht vergessen, dass Holz begrenzt verfügbar ist und in seiner Funktion den Beton nicht ersetzen kann. Das ist der Fall bei den meisten Strassen- und Bahnbrücken, Stützbauwerken, Erdbebenaussteifungen von Hochhäusern und dergleichen, um nur wenige Beispiele zu nennen. Dennoch, der Trend hin zu hybriden Stahlbeton-Holztragwerken im Hochbau ist erfreulich. Die fib selbst unterstützt diesen Trend aktiv: am Conceptual Design Symposium 2021 in Attisholz wurden mehrere Beiträge zum Entwurf von Holz- Betonhybridbauwerken vorgetragen, wie beispielweise der Holliger Tower präsentiert von Dr. Neven Kostić (siehe Video).

Was vom Schlusswort auf jeden Fall auch nachhallen sollte, sind die Gesamtleistungswettbewerbe als Mittel für mehr Nachhaltigkeit. Sie bieten sich als Methode zur Projektoptimierung an, und bieten Raum für Innovation und Materialeinsparungen. Wichtig wäre, dass in ihnen auch die Ökobilanz bewertet und berücksichtig würde. In diesem Sinne müssen aber alle Involvierten, also die Bauherren, Ingenieure, Bauunternehmer und Zementhersteller auf ein nachhaltigeres Ziel, sowie innovative und effiziente Lösungen hinarbeiten.

Tena Galkovski

Zu den Interviewen:

Thierry Delémont
Ing. Civ. Dipl. EPF / SIA
Delegationsleiter fib-CH
Managing director at T ingénierie sa

Dr. Patrick Valeri
MSc ing. civile PoliMi / SIA
Delegationsmitglied fib-CH
fib YMG-CH Vorsteher
Projektleiter Dr. Lüchinger+Meyer Bauingenieure AG

Link to the English version: The formwork as a major challenge in the fabrication of efficient, economical and sustainable concrete slabs


Die aktuelle Umweltkrise verlangt nach dem Bau von nachhaltigeren Tragwerken, was einen radikalen Wandel in der Art und Weise, wie wir heute planen und bauen erfordert [1]. Veränderungen in der Bauindustrie gehen im Vergleich zu anderen Branchen wie der Automobil- oder Computerindustrie traditionell langsam vonstatten. Trotzdem besteht (zumindest) in der Wissenschaft bereits ein allgemeines Einvernehmen darüber, dass Baumaterialien und Tragwerke reduziert, wiederverwendet, rezykliert und wiedergewonnen werden müssen, um eine radikale Senkung der CO2-Emissionen einer Branche zu erreichen, die für 38 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist [2][3].

Forschungsgruppen unternehmen erhebliche Anstrengungen, um die Tragwerkseffizienz und die Herstellung von Betondecken zu optimieren und den Materialverbrauch zu verringern, da diese Elemente im Allgemeinen zwischen 40 % und 60 % des Betons in der Gebäudestruktur ausmachen [4]. Ausserdem übertragen leichtere Decken geringere Lasten auf die vertikale Tragstruktur, was geringere Abmessungen von Stützen, Wänden und Fundamenten ermöglichen kann.

Tragwerkseffizienz wird durch Optimierung der Form, Topologie und Abmessungen angestrebt, was zu dünnschaligen Betondecken verschiedener Art [5][6], Rippendecken [7][8] oder einer Kombination von beidem [9][10][11] führt. Modernste Methoden und Softwares ermöglichen Deckensysteme mit einem Höchstmass an Optimierung des Tragwerkes. Trotz innovativer Anwendungen der digitalen Fertigung gibt es bei der Konstruktion dieser meist komplexen Formen immer noch Schwierigkeiten in Bezug auf Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit. Während die erste Anforderung in der Regel selbst auferlegt ist, bis strengere Nachhaltigkeitsvorschriften eingeführt werden, erinnert die raue Wirklichkeit der Bauindustrie Forscher:innen, die ihre Innovationen verbreiten wollen, daran, dass ein wirtschaftlich nicht rentables System nur sehr geringe Chancen hat, auf dem Massenmarkt Fuss zu fassen und somit einen Einfluss auf die Gesellschaft zu haben. Eine der grössten Herausforderungen in diesem Zusammenhang ist die Herstellung der Schalung.*

Ein Blick in die Vergangenheit verdeutlicht die Bedeutung wirtschaftlicher Schalungen für den Bau nicht geradliniger Elemente, allen voran Gewölbe und Schalen. Alte, grosse Baumeister:innen, Architekt:innen oder Ingenieur:innen verliessen sich auf eine bestimmte wirtschaftliche Art der Herstellung oder Verwendung der Schalung, um ihre Mauerwerke oder Betonschalen bauen zu können, oder sie griffen in einigen Fällen sogar auf Techniken zurück, die keine Schalung erforderten. Einige Beispiele für die zahlreichen existierenden Techniken werden in den folgenden Abschnitten vorgestellt. Nach ihrer Emigration aus Spanien im Jahr 1881 errichteten die Guastavinos (Rafael Guastavino Sr. und sein Sohn) in den Vereinigten Staaten rund 1000 Gebäude dank einer wirtschaftlichen, ausdrucksstarken und feuerfesten Bautechnik: dem Ziegelgewölbe [12]. Ziegelgewölbe (manchmal auch als Timbrel, katalanische Gewölbe oder Guastavino-Gewölbe bezeichnet) sind Mauerwerkskonstruktionen aus dünnen Ziegeln (Fliesen), Mörtel und schnell abbindendem Zement oder Gips. Die Ziegel werden flach verlegt und bilden zwei, drei oder mehr Schichten. Traditionell werden Ziegel wegen ihres geringen Gewichts verwendet, was zusammen mit der Verwendung eines schnell abbindenden Bindemittels eine notwendige Voraussetzung für den Bau der ersten Schicht ohne Stützschalung ist [13] [14] [15] (Abbildung 1).

Abbildung 1. Bau von Ziegelgewölben ohne stützende Schalung [13].

Auch der Ingenieur Eduardo Torroja (1899-1961) nutzte diese Bautechnik, denn ” such shells [tile vaults] are cheap to make and may be adapted to any desired shape, even to continuously changing curvatures, […]. If constructed by bricklayers skilled in the technique, they can be made without the aid of formwork..” [16]. Er verwendete sie in Kombination mit Bewehrung beispielsweise bei einer Kirche in Pont de Suert (Abbildung 2) oder den Fundamenten der Sancti-Petri-Brücke in Cadiz, beide in Spanien [17] [18] [19].

Abbildung 2. Kirche in Pont de Suert, Spanien. Links) Innenansicht, rechts) Querschnittsausschnitt [16].

Der italienische Ingenieur Pier Luigi Nervi (1891-1979) unternahm ebenfalls grosse Anstrengungen, um durch geeignete Schalungssysteme wirtschaftliche Bauweisen zu erzielen. Die Suche nach einer Möglichkeit, massive Holzschalungen, wie er sie bei einigen seiner ersten Hangars für die italienische Luftwaffe verwendete, zu vermeiden, führte ihn zur Verwendung von vorgefertigten Betonelementen und wiederverwendbaren Schalungen aus Ferrozement auf beweglichen Gerüsten [20].

Wiederverwendbare und bewegliche Schalungen wurden auch von dem uruguayischen Ingenieur Eladio Dieste (1917-2000) verwendet [21]. Diese Tatsache hat einen ausserordentlichen Einfluss auf das Design seiner verstärkten Ziegelschalen, die einen sich wiederholenden Rhythmus der gleichen Form entlang der Länge des Gebäudes aufweisen (Abbildung 3). Die Menge und Art des Mörtels in den Fugen der Ziegelsteine ermöglichte ein schnelles Entfernen der Schalung, um sie so schnell wie möglich für den nächsten Teil des Gebäudes zu verwenden [22] [23].

Abbildung 3. Bau der Kirche von Atlántida [24].

Der spanische Architekt Félix Candela (1910-1997) erzielte wirtschaftliche Schalungen für seine Betonschalen, indem er seine Tragwerke als hyperbolische Paraboloide formte. Solche Regelflächen ermöglichten eine einfache und schnelle Konstruktion der Schalung, bei der nur wiederverwendbare, gerade Holzbretter verwendet wurden. Dieses System in Verbindung mit den relativ niedrigen damaligen lokalen Lohnkosten ermöglichte ihm eine erfolgreiche Karriere im Bau von dünnwandigen Betonschalenkonstruktionen [25].

Hyperbolische Paraboloide wurden auch von Antoni Gaudí (1852-1926) und Luis Moya (1904-1990) als Ziegelgewölbe gebaut. Gaudí verwendete diese Form für die Ziegelgewölbe der Vorhalle der Kirche der Colonia Güell in Santa Coloma de Cervelló, Spanien [26]. Anschliessend goss er Beton auf das als integrierte Schalung fungierende Ziegelgewölbe, um ein hybrides Tragwerk aus Mauerwerk und Beton zu schaffen [19]. Der Architekt Luis Moya verwendete ein hyperbolisches Paraboloid zur Überdachung der Kapelle, die er für die Schule Santa María del Pilar in Madrid, Spanien, entwarf [27]. Bei diesem Dach handelt es sich um ein 743 m2 grosses, 14 cm dickes, bewehrtes Ziegelgewölbe, das auf einem Traggerüst aus Holzbrettern mit einem Abstand von 60 cm errichtet wurde. Die Bewehrung befindet sich zwischen den Ziegelschichten, während auf dem Mauerwerk eine 10 cm dicke Schicht aus Leichtbeton aufgebracht ist [28] (Abbildung 4).

Abbildung 4. Kapelle der Schule Santa María del Pilar, Madrid. Links) Innenansicht (© E. Sánchez), rechts) Detail des Gewölbes an der oberen Stütze [28].

Die Möglichkeit der Verwendung von Ziegelgewölben als integrierte Schalung für Beton wurde durch den Autor dieser Zeilen untersucht [29]. In der Forschung zu diesem Thema wird diese Bautechnik als eine Möglichkeit vorgestellt, ausdrucksstarke Stahlbetonschalen (einschliesslich Deckensystemen) unter Verwendung von Ziegelgewölben als integrierter Schalung zu bauen, mit dem Ziel, die Kosten und den Materialabfall zu reduzieren und gleichzeitig einen einzigartige Oberfläche auf der inneren Gewölbefläche zu schaffen [30] (Abbildung 5). Die Baukosten können vor allem aufgrund der niedrigen Materialkosten und der Tatsache, dass keine zusätzlichen Schalungen oder Fundamente erforderlich sind, gesenkt werden.

Figure 5: Photo of one of the full-scale steel-reinforced composite prototypes. View of the intrados showing the tile vault’s pattern.

Zur Validierung dieser Konstruktionstechnik wurden experimentelle Untersuchungen, einschliesslich Belastungstests an Materialproben und Prototypen in Originalgrösse, durchgeführt, wobei es sich um die ersten Labortests für diese Art von Verbundtragwerken handelte [31] [32] (Abbildung 6). Die Kalibrierung der Finite-Elemente-Modelle auf der Grundlage der Versuchsergebnisse ermöglichte die Definition einer zuverlässigen Modellierungstechnik, eines Materialmodells und Materialeigenschaften für die Analyse dieser Art von Tragwerken. Darüber hinaus wurde eine auf der Grenzwertanalyse [33] basierende Methode beschrieben, um solche einfach gekrümmten Tragwerke sicher zu entwerfen und ihre Festigkeit und Stabilität gegenüber äusseren Belastungen zu bewerten. Die Methode wurde Extended Limit Analysis of Reinforced Masonry (ELARM) genannt, geht auf Roca et al. [34] zurück und liefert grafische und intuitive Ergebnisse in 2D [30]. Ein dreidimensionaler Ansatz von ELARM wurde ebenfalls vorgestellt [35].

Abbildung 6. Risse an der Aussenseite einer Kuppel nach der Prüfung.

Statische Analysemethoden, experimentelle Forschung und Entwurfsmethoden wurden für diese Bautechnik erfolgreich bereitgestellt. Dies reicht jedoch nicht aus, um den Sprung auf den Massenmarkt zu schaffen. Die Bewertung der Rentabilität dieser Technik hängt stark von der Form, der Spannweite und der Anzahl der Wiederholungen dieser Form ab. Ausserdem sind die Baukosten variabel und hängen von vielen Faktoren ab, wobei der Standort ein wichtiger Faktor ist. Was das Hauptthema dieses Beitrags betrifft, d. h. die Verwendung der vorgestellten Technik für Deckensysteme mit kleiner oder mittlerer Spannweite, so könnte sie dort rentabel und wettbewerbsfähig sein, wo die Arbeitskräfte im Baugewerbe nicht teuer sind.

Das Gleichgewicht zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit bei der Herstellung von optimierten Decken zu finden, ist eine der Herausforderungen der dritten Phase des Nationalen Forschungsschwerpunkts Digitale Fabrikation (NCCR dfab) der ETH Zürich. Einerseits müssen sich die Forschenden mit der Nachhaltigkeit befassen, mit dem Fokus auf Material- und Abfallreduktion, dem Einsatz von Materialien mit geringerem CO2-Fussabdruck, zirkulärem Bauen und Wiederverwendungsmöglichkeiten. Andererseits sollen wirtschaftliche Systeme geschaffen werden, die es den entwickelten Ideen, Konzepten und Patenten ermöglichen, den Massenmarkt zu erreichen, um einen grundlegenden Wandel in der Bauindustrie zu bewirken.

Wie bereits erwähnt, sind Lösungen kontextabhängig. Lokale Ressourcen, Materialien, Traditionen und Fachwissen tragen dazu bei, dass ein System in verschiedenen Teilen der Welt erfolgreich ist oder scheitert. Um eine relevante, globale Umweltwirkung zu erzielen, sollte daher besonderes Augenmerk auf die Umsetzung der Innovationen in den Regionen gelegt werden, in denen in den nächsten Jahrzehnten umfangreiche Bauvorhaben stattfinden werden.

*In diesem Beitrag werden mit dem Begriff “Schalung” teilweise auch die die Schalung stützenden Elemente im Sinne von Gerüsten oder Lehrgerüsten mitgemeint.


[1]          Block P, Van Mele T, Rippmann M, Ranaudo F, Calvo Barentin C, Paulson N. Redefining Structural Art: Strategies, necessities and opportunities. The Structural Engineer 2020;98:66–72.

[2]          Mai I, Brohmann L, Freund N, Gantner S, Kloft H, Lowke D, et al. Large Particle 3D Concrete Printing—A Green and Viable Solution. Materials 2021;14:6125. https://doi.org/10.3390/ma14206125.

[3]          Agustí-Juan I, Habert G. Environmental design guidelines for digital fabrication. Journal of Cleaner Production 2017;142:2780–91. https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2016.10.190.

[4]          Bischof P, Mata-Falcón J, Kaufmann W. Fostering innovative and sustainable mass-market construction using digital fabrication with concrete. Cement and Concrete Research 2022;161:106948. https://doi.org/10.1016/j.cemconres.2022.106948.

[5]          Hawkins W, Orr J, Shepherd P, Ibell T. Design, Construction and Testing of a Low Carbon Thin-Shell Concrete Flooring System. Structures 2019;18:60–71. https://doi.org/10.1016/j.istruc.2018.10.006.

[6]          Hawkins W, Orr J, Ibell T, Shepherd P. A design methodology to reduce the embodied carbon of concrete buildings using thin-shell floors. Engineering Structures 2020;207:110195. https://doi.org/10.1016/j.engstruct.2020.110195.

[7]          Mata-Falcón J, Bischof P, Huber T, Anton A, Burger J, Ranaudo F, et al. Digitally fabricated ribbed concrete floor slabs: a sustainable solution for construction. RILEM Tech Lett 2022;7:68–78. https://doi.org/10.21809/rilemtechlett.2022.161.

[8]          Burger J, Huber T, Mata-Falcón J, Lloret Fritschi E, Kaufmann W, Gramazio F, et al. Design, fabrication, and testing of an optimised reinforced concrete floor slab fabricated with robotically 3D printed formwork (accepted). Third RILEM International Conference on Concrete and Digital Fabrication, 2022.

[9]          López López D, Veenendaal D, Akbarzadeh M, Block P. Prototype of an ultra-thin, concrete vaulted floor system. Proceedings of IASS Annual Symposia 2014;2014:1–8.

[10]        Liew A, López López D, Van Mele T, Block P. Design, fabrication and testing of a prototype, thin-vaulted, unreinforced concrete floor. Engineering Structures 2017;137:323–35. https://doi.org/10.1016/j.engstruct.2017.01.075.

[11]        Nuh M, Oval R, Orr J, Shepherd P. Digital fabrication of ribbed concrete shells using automated robotic concrete spraying. Additive Manufacturing 2022:103159. https://doi.org/10.1016/j.addma.2022.103159.

[12]        Ochsendorf J. Guastavino Vaulting: The Art of Structural Tile. Reprint edition. New York: Princeton Architectural Press; 2013.

[13]        Truñó A. Construcción de bóvedas tabicadas. 1st edition. Madrid: INSTITUTO JUAN DE HERRERA; 2004.

[14]        López López D, Domènech Rodríguez M, Palumbo Fernández M. “Brick-topia”, the thin-tile vaulted pavilion. Case Studies in Structural Engineering 2014;2:33–40. https://doi.org/10.1016/j.csse.2014.09.001.

[15]        López López D, Van Mele T, Block P. Tile vaulting in the 21st century. Informes de la Construcción 2016;68:e162–e162. https://doi.org/10.3989/ic.15.169.m15.

[16]        Torroja Miret E. The structures of Eduardo Torroja: an autobiography of engineering accomplishment. New York: F.W. Dodge Corporation; 1958.

[17]        Torroja Miret E. Memoria. No 19.301 1926.

[18]        Torroja Miret E. Iglesia de Pont de Suert. Informes de la Construcción 1962;14:59–70. https://doi.org/10.3989/ic.1962.v14.i137.4933.

[19]        López López D, Van Mele T, Block P. The combination of tile vaults with reinforcement and concrete. International Journal of Architectural Heritage 2019;13:782–98. https://doi.org/10.1080/15583058.2018.1476606.

[20]        Halpern AB, Billington DP, Adriaenssens S. The Ribbed Floor Slab Systems of Pier Luigi Nervi n.d.:7.

[21]        Anderson S. Eladio Dieste: Innovation in Structural Art. 1st edition. New York: Princeton Architectural Press; 2004.

[22]        Dieste E, Arana M, Garabelli L. Diálogos con Dieste. SUMMA 1980;8:96–101.

[23]        López López D, Van Mele T, Block P. Dieste, González Zuleta and Sánchez del Río: Three approaches to reinforced-brick shell structures. Structural Analysis of Historical Constructions: Anamnesis, Diagnosis, Therapy, Controls, CRC Press; 2016.

[24]        Dieste E. Iglesia en Montevideo. Templo parroquial de Atlántida. Informes de la Construcción 1961;13:43–56. https://doi.org/10.3989/ic.1961.v13.i127.5106.

[25]        Cassinello P, Schlaich M, Torroja JA. Félix Candela. In memorian (1910-1997). From thin concrete shells to the 21st century’s lightweight structures. Informes de la Construcción 2010;62:5–26. https://doi.org/10.3989/ic.10.040.

[26]        González Moreno-Navarro JL, Casals Balagué A. Gaudí y la razón constructiva. Un legado inagotable. Akal; 2002.

[27]        Moya Blanco L, Domínguez Salazar JA. Capilla del Colegio de Santa María del Pilar, Madrid. Informes de la Construcción 1965;18:49–61. https://doi.org/10.3989/ic.1965.v18.i173.4340.

[28]        Moya Blanco L. Memoria descriptiva de construcción y material y mediciones del proyecto para la construcción de una capilla y cripta en el colegio Santa María del Pilar 1963.

[29]        López López D. Tile Vaults as Integrated Formwork for Concrete Shells: Construction, Experimental Testing, Structural Analysis and Design. Doctoral Thesis. ETH Zurich, 2019. https://doi.org/10.3929/ethz-b-000417993.

[30]        López López D, Roca P, Liew A, Van Mele T, Block P. Tile vaults as integrated formwork for reinforced concrete: Construction, experimental testing and a method for the design and analysis of two-dimensional structures. Engineering Structures 2019;188:233–48. https://doi.org/10.1016/j.engstruct.2019.03.034.

[31]        López López D, Bernat-Maso E, Gil L, Roca P. Experimental testing of a composite structural system using tile vaults as integrated formwork for reinforced concrete. Construction and Building Materials 2021;300:123974. https://doi.org/10.1016/j.conbuildmat.2021.123974.

[32]        López López D, Bernat-Maso E, Gil L, Roca P. Experimental testing of tile vaults. Brick and Block Masonry – From Historical to Sustainable Masonry, CRC Press; 2020.

[33]        Heyman J. The stone skeleton. International Journal of Solids and Structures 1966;2:249–79.

[34]        Roca P, López-Almansa F, Miquel J, Hanganu A. Limit analysis of reinforced masonry vaults. Engineering Structures 2007;29:431–9. https://doi.org/10.1016/j.engstruct.2006.05.009.

[35]        López López D, Roca P, Liew A, Méndez Echenagucia T, Van Mele T, Block P. A three-dimensional approach to the Extended Limit Analysis of Reinforced Masonry. Structures 2022;35:1062–77. https://doi.org/10.1016/j.istruc.2021.06.013.


David López López


Comment on this post on LinkedIn or Instagram

Link to the English version: Finite-Element-Method in Structural Engineering


Grundprinzip und Anwendungsgebiete der FEM

Computerunterstützte Berechnungsmethoden – allen voran die Finite Elemente Methode (FEM) – haben sich in den letzten Jahrzehnten zu einem unverzichtbaren Werkzeug im Ingenieurwesen gemacht. Mit der Entwicklung der FEM können alltägliche Rechen- und Routineaufgaben automatisiert und ohne Flüchtigkeitsfehler durchgeführt werden. Damit ist (zumindest ein Teil) von Konrad Zuse’s [1] Traum von der Übernahme “lästiger” Aufgaben durch eine vollautomatisierte Rechenmaschine Wirklichkeit geworden. Die Aufgabe vom Ingenieur hat sich also vom Rechnen hin zur Modellbildung und Resultatinterpretation verlagert, für die jedoch die zugrundegelegten Theorien und Methoden bewusst und richtig angewendet werden müssen. Damit ist die Kunst der Baustatik nicht überflüssig geworden, sondern im Gegenteil, anspruchsvoller und interessanter.

Abbildung 1: Konrad Zuse 1941 mit dem Z3, dem ersten Computer der Welt (Quelle: Ingenieur.de)

Ganz allgemein gesprochen liefert die FEM eine numerische Näherungslösung für alle Aufgaben, die mathematisch mit partiellen Differentialgleichungen darstellbar sind, für die keine geschlossenen Lösungen vorliegen. Etwas vereinfachter ausgedrückt werden in der FEM komplexe Systeme (Tragwerke) in Komponenten (finite Elemente) aufgeteilt und mathematisch zu einem Gesamtmodell verknüpft. Sind die mechanischen Eigenschaften (Steifigkeiten) der einzelnen Elemente, durch eine im Rahmen der ausgewählten strukturmechanischen Modellierung vorgegebenen Beziehungen zwischen Spannungen und Verzerrungen bekannt, lassen sich unter gegebenen Einwirkungen und Randbedingungen (Lagerung) die Auswirkungen (z.B. Schnittkräfte, Verformungen, usw.) am Gesamtmodell ermitteln.

Für die alltäglichen Aufgaben der Bauingenieure/innen kommt meistens die linear-elastische FEM zum Einsatz, wobei ein linearer Zusammenhang zwischen den Spannungen und Verzerrungen vorausgesetzt wird. Die FEM liefert dabei z.B. die Schnittkräfte für die Bemessung eines Bauteils auf Basis von ideal-plastischen Modellvorstellungen. In Spezialfällen z.B. bei der statischen Überprüfung von bestehenden Tragwerken kommt  immer öfters die (materielle [2]) nichtlineare FEM zur Anwendung. Dabei wird ein nichtlinearer Zusammenhang zwischen den Spannungen und Verzerrungen angesetzt, womit Aussagen zum Last-Verformungsverhalten, der Rissbildung und der damit einhergehenden Schnittkraftumlagerung möglich sind. Damit lassen sich gegenüber herkömmlichen Berechnungsmethoden Traglastreserven identifizieren und effizientere Tragwerke erstellten oder im Idealfall teure Verstärkungsmassnahmen bei der statischen Ertüchtigung verhindern. Ist die reine Anwendung solcher nichtlinearer FEM-Programme dank der Entwicklung von benutzerfreundlichen Oberflächen heutzutage relativ einfach, umso komplexer gestaltet sich die Frage um die Wahl der zur vorliegenden Problemstellung passenden (nichtlinearen) Material- und Strukturmodellierung. Die Modellvorstellungen und deren Grenzen sowie die Eigenheiten einer NLFE Berechnung (z.B. Divergenzen) sollten im Detail verstanden werden. Die Vermittlung dieses Wissens ist eine zentrale Herausforderung für uns als Lehr- und Forschungsinstitut.  

Geschichtlicher Abriss der Finite Elemente Methode

Im Allgemeinen geht die Entwicklung der FEM nicht auf eine einzige Person oder ein einzelnes Fachgebiet zurück, sondern hat bis heute einen stark interdisziplinären Charakter mit Aspekten aus der Mathematik, der Mechanik, dem Ingenieurwesen und der Informatik. Die Entwicklung der FEM begann in den 1950er Jahren und wurde durch die Pionierarbeiten von  J. Argyris an der Universität Stuttgart, R.L. Taylor oder R. Clough an der Universität von Kalifornien, Berkley und  O.C. Zienkiewicz von der Universität von Wales geprägt (alles ausgebildete  Bauingenieure!). Ab den 1960er Jahren nahm die Entwicklung mit der ersten internationalen FEM Konferenz 1965 und mit dem ersten Standardwerk 1967 von Zienkiewicz mit dem Titel “The Finite Element Method in Structural and Continuum Mechanics” richtig Fahrt auf.

Abbildung 2: Interdisziplinäre Entwicklungsgeschichte (links oben; Quelle: Vorlesungsskript Prof. Bischoff, Universität Stuttgart) und Pioniere in der der Entwicklung der FEM (restlichen Bilder; Quelle: optimum.one).

Die Anwendung der FEM auf Stahlbetonstrukturen begann Ende der 1960er mit den Arbeiten von Ngeo and Scordelis 1967 and Rashid 1968. Seit daher wurden unzählige Publikationen und Bücher mit den theoretischen Grundlagen, Anwendungsfällen und Richtlinien publiziert (siehe FIB Bulletin 45 2008). Die ersten FEM-Programme wurden an Universitäten entwickelt und ab den 1970er zu kommerziellen FE-Paketen mit erhöhter Benutzerfreundlichkeit weiterentwickelt (Ansys, Abaqus, ATENA, Diana). Dabei entstanden eine Vielzahl von verschieden Elementtypen (1D bis 3D) und diverse mathematische Lösungsalgorithmen für die Orts- und Zeitdiskretisierung des vorliegenden Problems. Eine Vorreiterrolle in der Entwicklung von nichtlinearen Materialmodellen für Stahlbeton und deren Implementierung in entsprechende FEM-Programme nahmen dabei D. Mitchel, M.P. Collins und F. J. Vecchio von der Universität in Toronto in den 1980er Jahren ein (Entwicklung der Druckfeldmodelle und deren Implementierung in die Software VecTor). Heutzutage ist die FEM eines der am meist verbreiteten numerischen Lösungsverfahren für unterschiedlichste physikalische Aufgabenstellungen im Bereich aller Ingenieurswissenschaften bis hin zu Wettervorhersagen. Desto stolzer können wir sein, dass Bauingenieure einen signifikanten Beitrag bei der Entwicklung der FEM lieferten.

NLFE-Tools an der Professur für Massiv- und Brückenbau

Wir von der Professur für Massiv- und Brückenbau konzentrieren uns auf die Entwicklung von nichtlinearen Materialmodellen und deren Implementierung in numerische Methoden, wie eben der FEM. In den letzten Jahren wurden an der Professur für Massiv- und Brückenbau verschiedene Tools zur nichtlinearen FEM  Analyse von Bauteilen aus Stahlbeton und Mauerwerk entwickelt:

Die Compatiable Stress Field Method (CSFM) eignet sich für die detaillierte Analyse von einzelnen, eben beanspruchten Stahlbetonbauteilen eines Gesamttragwerkes (z.B. Rahmenecken oder Längsträger einer Hohlkastenbrücken wie in Abbildung 3 ersichtlich). Das CSFM basiert im Wesentlichen auf der Implementierung des Zuggurtmodelles in das FE-Programm Idea StatiCa Detail.

Abbildung 3: CSFM-Analyse eines Bauteilversuches an einer Rahmenecke (links; Quelle: Kraus et al.) und an einem einfachen Balken (rechts; Quelle: Kaufmann et al.).

Das CMM-Usermat beinhaltet im Wesentlichen die Implementierung des durch Prof. Dr. Walter Kaufmann entwickelten Cracked Membrane Model (gerissenes Scheibenmodell) als user-defined material (Usermat) in das FEM-Programm ANSYS Mechanical APDL. In Kombination mit dem Schichtenmodell lassen sich damit komplexe Schalentragwerke (kombinierte Platten- und Scheibentragwirkung) aus Stahlbeton untersuchen (siehe Abbildung 4).

Abbildung 4:CMM-Usermat Analyse eines Bauteilversuches an einer zweifeldrigen Stahlbetonplatte (Quelle: Thoma/Roos/Borkowski): Last-Verformungskurven (links) und Hauptquerkraftfluss (rechts).

Mit dem URM-Usermat lässt sich das nichtlineare Tragverhalten von unbewehrten Mauerwerksstrukturen untersuchen (siehe Abbildung 5). Das URM-Usermat basiert auf der Implementierung erweiterter Bruchbedingungen von Ganz (welche in den 1980er an der ETH Zürich entwickelt und heute immer noch als Grundlage für die Bemessung von Mauerwerk verwendet werden) als user-defined material in das FEM-Programm ANSYS Mechanical APDL. In Kombination mit dem CMM-Usermat lässt sich das komplexe Tragverhalten von Mischtragwerken aus Stahlbeton und Mauerwerk untersuchen (siehe Abbildung 6).

Abbildung 5: URM-Usermat Analyse eines Bauteilversuches an einer Mauerwerksfassade (Quelle: Weber): Last-Verformungskurven (links), deformiertes FE-Netz (mitte) und Verlauf der Hauptdruckspannungen (rechts).
Abbildung 6: CMM/URM-Usermat Analyse eines Bauteilversuchen an einem Mischtragwerk aus Mauerwerk und Stahlbeton (Quelle: Weber): Last-Verformungskurven (links oben), deformiertes FE-Netz (rechts oben), Verlauf der Hauptdruckspannungen (links unten) und Rissbild (rechts unten).

Allen NLFE-Tools gemeinsam ist, dass die Materialmodelle – auf Basis von mechanisch konsistenten Zusammenhängen – die wesentlichen Eigenschaften des Tragverhaltens von Stahlbeton bzw. Mauerwerk berücksichtigen. Zudem werden nur wenige, physikalisch klar definierte Inputparameter benötigt, welche bei der Bemessung oder der statischen Beurteilung von Tragwerken bekannt sind. Damit eignen sich die NLFE-Tools hervorragend für die Anwendung in der Baupraxis.

Aktuelle Entwicklungen

Die NLFE-Tools werden aktuell in die StrucEng Library implementiert, welche an der Professur für Massiv- und Brückenbau entwickelte wird. Die StrucEng Library ist eine OpenSource Software, mit welcher computergestützte Berechnungen von Tragsystemen aus Stahlbeton und Mauerwerk durchgeführt werden können. Dabei stehen neben den nichtlinearen Materialmodellen verschiedene weitere Materialmodelle zur Verfügung, welche das gesamte Spektrum vom Tragwerksentwurf über die Bemessung mit linear-elastischen ideal-plastischen Modellvorstellung abdecken. Die StrucEng Library soll in Zukunft im OpenSource Format zur Verfügung gestellt werden, womit die entsprechenden Modellvorstellungen von praxistätigen Ingenieuren/innen unter Verwendung einer benutzerfreundlichen Oberfläche frei verwendet werden können. Zudem werden in diversen Projekten die nichtlinearen Materialmodelle weiterentwickelt (z.B Korrosion, faserbewehrte Bauteile, etc.). In Zukunft werden zudem Lehrveranstaltungen und Weiterbildungsangebote im Bereich der numerischen Modellierung von Stahlbeton- und Mauerwerkstrukturen an der Professur für Massiv- und Brückenbau angeboten. Mit diesem besonderen Fokus in Lehre und Forschung auf die numerische Modellierung sind wir davon überzeugt, dass die angehenden Bauingenieure/innen fit für die zukünftigen Herausforderungen sind.


[1] Konrad Ernst Otto Zuse war ein deutscher Bauingieneur (!), Erfinder und Unternehmern. Mit seiner Entwicklung der Z3 im Jahre 1941 baute Zuse den ersten funktionsfähigken Computer der Welt.
[2] Im Rahmen diese Blogbeitragens wird immer von materiellen Nichtlinearität gesprochen.  Des weiteren gibt es noch die geometrische Nichtlinearitäten (Berechnungen 2. Ordnung), welche über den P-Delta Effekt berücksichtigt werden.

Marius Weber


Kommentieren Sie diesen Beitrag auf LinkedIn oder Instagram

Link to the English version: Long-term effects for designing piers monolithically connected to a prestressed girder or slab


In diesem Blogbeitrag geht es um ein technisch anspruchsvolles Thema: die Berücksichtigung von Langzeiteinflüssen (Schwinden und Kriechen) bei der Bemessung von Pfeilern, die monolithisch mit einem vorgespannten Träger oder einer Platte verbunden sind. Dieses strukturelle System findet man in monolithischen Bauwerken oder in Spannbetonbrücken. Wenn Sie sich für Tragwerksplanung begeistern und vielleicht sogar schon in Ihrer beruflichen Praxis damit zu tun hatten wird dieses Thema für Sie von grossem Interesse sein.

Der Entwurf von monolithischen, d.h. fugenlosen Bauwerken setzt sich beim Brückenbau in Europa immer mehr durch. Die Hauptgründe dafür sind zum einen der Wunsch, Probleme der Dauerhaftigkeit zu minimieren und die Instandhaltungskosten zu senken, und zum anderen, dass zunehmend Richtlinien für den Entwurf solcher Bauwerke zur Verfügung stehen. Die Schweiz ist ein Referenzland, das zur Entwicklung dieser Art von Bauwerken beigetragen hat.  Traditionell werden Betonbrücken mit monolithisch mit der Fahrbahn verbundenen Pfeilern und halbintegrale oder integrale Brücken (monolithische Verbindung an beiden Widerlagern) [1], wo immer möglich, bevorzugt [2]. In der Schweiz wurden zahlreiche fugenlose Brücken [3][4][5][6][7] gebaut, und technische Richtlinien fördern integrale oder semi-integrale Brücken [1][2] (alte Referenz1Routes Nationales Suisses, Projects Standards de Ponts, Passage Supérieur avec Béquilles en V en Béton Coule sur Place, Departement Federak de L’Interieur, Bern 1972 aus den 70er Jahren). Angesichts der daraus resultierenden Tendenz, immer längere monolithische, fugenlose Brücken zu bauen, sind immer genauere und komplexere Berechnungen erforderlich, um die Pfeiler zuverlässig zu bemessen. Vor etwa zehn Jahren hatte ich die Gelegenheit, an einer Veröffentlichung mitzuwirken, die Ingenieure bei der Bemessung von Pfeilern langer fugenloser Betonbauwerke unterstützt [8]. Dieses Dokument ist allerdings auf Bauwerke beschränkt, bei denen die Platte oder der Träger nicht vorgespannt ist.

Trotz der Verfügbarkeit leistungsfähiger Statiksoftware bleibt die Analyse statisch unbestimmter Strukturen, die Langzeiteinflüssen ausgesetzt sind, eine Herausforderung. Ein anschauliches Beispiel dafür, das wir in diesem Blog erörtern werden, ist die Abschätzung der Biegemomente aufgrund von Langzeiteinflüssen in einem Betonpfeiler, der monolithisch mit einem vorgespannten Träger verbunden ist. Bei dieser Art von Bauwerk ist ein grosser Teil der Kräfte, die im Pfeiler wirken, auf die Verformungen zurückzuführen, die dem Pfeilerkopf durch das Deck aufgezwungen werden und die in den Grenzzuständen der Gebrauchstauglichkeit (GZG) und der Tragsicherheit (GZT Typ 2 und GZT Typ 42Obwohl die aufgezwungenen Verformungen (Schwinden und Kriechen) keine zyklischen Einwirkungen sind, sind sie im GZT Typ 4 (Ermüdungsversagen) für Betonermüdungsnachweise relevant, die von den absoluten maximalen und minimalen Betonspannungen abhängen.) relevant sind. Die Ermittlung der durch Langzeiteinflüsse verursachten Schnittgrössen im Pfeiler mit akzeptabler Genauigkeit ist jedoch kompliziert, da die Spannungen über der Zeit nichtlinear variieren (der Elastizitätsmodul variiert mit dem Alter des Betons), der Träger und der Pfeiler nicht gleichmässig kriechen (unterschiedliche Kriechkoeffizienten, d. h. unterschiedliche Betone und unterschiedliches Alter) und die gerissene Biegesteifigkeit über die Pfeilerhöhe variiert und von der Belastungsgeschichte abhängt (maximale Zugspannung). Um die Schnittgrössen in den Pfeilern einfach abschätzen zu können, berücksichtigen die Ingenieure in der üblichen Ingenieurpraxis daher in der Regel (i) reduzierte Pfeilerbiegesteifigkeiten aufgrund von Rissen (im Allgemeinen konstant oder linear variabel entlang der Pfeiler), die durch Iteration berechnet werden und für GZG-, GZT Typ 2- und GZT Typ 4-Nachweise unterschiedlich sind, (ii) etwa 40…50% des gesamten Schwindens der Fahrbahnplatte zur Zeit t = ∞, um die Langzeiteinflüsse zu berücksichtigen, aber (iii) vernachlässigen Langzeiteinflüsse aufgrund der Vorspannung mit der Begründung, dass das Kriechen des Pfeilers die Zunahme der Pfeilerkopfverschiebung aufgrund des Kriechens des Trägers kompensiert.

Die erste Vereinfachung kann im Allgemeinen akzeptiert werden, wenn sie mit dem nötigen technischen Sachverstand durchgeführt wird, sollte aber durch eine Sensitivitätsstudie ergänzt werden, um die Unsicherheiten der Berechnungen abzudecken. In Bezug auf die zweite und dritte Vereinfachung stellen sich jedoch unweigerlich folgende Fragen: Ist dieser Ansatz angemessen und unter welchen Bedingungen ist er gültig? Was ist der Hintergrund? Ist dieser Ansatz konservativ? Ist es notwendig, eine Sensitivitätsanalyse durchzuführen, um Unsicherheiten abzudecken, wenn diese Massnahme für den Entwurf entscheidend ist?

Nach dieser Einführung ist es nun an der Zeit, diese Fragen zu beantworten. Im Folgenden werden Sie und ich das formulierte Problem analytisch lösen, die Ergebnisse interpretieren und einige Schlussfolgerungen ziehen. Das zu untersuchende Bauwerk ist in Abbildung 1 vereinfacht dargestellt. Das horizontale Element stellt einen Spannbetonträger dar, das vertikale Element einen Pfeiler mit der Höhe h, der monolithisch mit dem Träger in einem Abstand LT (Ausdehnungslänge) vom Fixpunkt verbunden ist. Die mechanischen Eigenschaften sind für beide Elemente konstant und sind in Abbildung 1(a) dargestellt. Abbildung 1(b) und Abbildung 1(c) zeigen die horizontalen Verschiebungen des Pfeilerkopfes über die Zeit, uh,εcs(t) und uh,P,el(t), verursacht durch das Schwinden ecs(t) bzw. die Vorspannung P(t) des Trägers. Beachten Sie, dass die Einspannung des Pfeilers in die horizontalen Verschiebungen des Trägers vernachlässigt wird, da die axiale Steifigkeit des Trägers im Allgemeinen um Grössenordnungen höher ist als die horizontale (Biege-)Steifigkeit des Pfeilers. Darüber hinaus wurden für die in Abbildung 1(c) dargestellten Gleichungen folgende Annahmen getroffen: Normalkraft konstant entlang des Trägers (keine Vorspannungkraftverluste durch Reibung) und EPIP<<EGIG, d.h. Pfeiler “perfekt” doppelt eingespannt. Es ist zu beachten, dass die letztgenannte Überlegung für einige Fälle nicht geeignet ist, z. B. für Bauwerke, bei denen die Biegesteifigkeit der Stütze im Vergleich zu der des Trägers nicht vernachlässigbar ist, oder für flexible Fundamente (Tiefgründungen). Die im Folgenden berechneten Langzeiteinflüsse werden jedoch unabhängig von den Steifigkeiten der Pfeiler und der Fahrbahnplatte formuliert, die direkt als aufgezwungene Verformungen in die Finite-Elemente-Analyse (FEA) einbezogen werden können. Darüber hinaus wird der Einfluss des Kriechens des Pfeilers auf die entsprechenden (ungerissenen und gerissenen) Biegesteifigkeiten in den folgenden Berechnungen nicht berücksichtigt, so dass die äquivalente reduzierte Biegesteifigkeit des Pfeilers unter Berücksichtigung von Kriechen und Rissbildung im statischen System verwendet werden sollte.

Abbildung 1. Pfeiler, der monolithisch mit einem vorgespannten Träger verbunden ist. (a) Mechanische Eigenschaften; (b) horizontale Verschiebungen über die Zeit aufgrund von Schwinden; (c) horizontale Verschiebungen über die Zeit aufgrund von Vorspannung

EG: Elastizitätsmodul des Trägers
EP: Elastizitätsmodul des Pfeilers
IG:
Flächenträgheitsmoment des Trägers
IP:
Flächenträgheitsmoment des Pfeilers
φG(t,tj): Kriechkoeffizient des Trägers
φP(t,ti): Kriechkoeffizient des Pfeilers

Um das System analytisch zu lösen, wird die Rahmenstruktur aus Abbildung 1 gemäss Abbildung 2 vereinfacht. Um die Schnittgrössen im Pfeiler infolge der aufgezwungenen horizontalen Verschiebung uh, zu erhalten, kann der isolierte doppelt-eingespannte Pfeiler der Höhe h (Abbildung 2 (a)) durch den isolierten gelenkig eingespannten Pfeiler der Höhe h/2 (Abbildung 2 (b)) ersetzt werden. Abbildung 2(c) zeigt somit das äquivalente vereinfachte System zur Ermittlung der Schnittgrössen im Pfeiler infolge einer horizontalen Verschiebung u’h am Pfeilerkopf, die gleich der Hälfte der horizontalen Verschiebung uh im ursprünglichen System (Abbildung 1) ist, d. h. u’h (t)= uh(t)/2. Um die korrekte Verschiebung des Pfeilerkopfes infolge der Vorspannung zu erhalten, ist die äquivalente Vorspannkraft P’ (t) im vereinfachten System (Abbildung 2(c)) gleich der Hälfte der Vorspannkraft P(t)/2 im ursprünglichen System (Abbildung 1), wenn die Biegesteifigkeit des Pfeilers gegenüber der axialen Steifigkeit des Trägers vernachlässigt wird, andernfalls wird sie wie folgt bestimmt:

    \begin{align*}& P'(t)=\frac{P(t)}{2}\left( \frac{{{k}_{G}}+k{{'}_{P}}}{{{k}_{G}}+{{k}_{P}}} \right) \\& k{{'}_{P}}=\frac{3{{E}_{P}}{{I}_{P}}}{{{\left( {h}/{2}\; \right)}^{3}}}=\frac{24{{E}_{P}}{{I}_{P}}}{{{h}^{3}}} \\& {{k}_{P}}\text{ and }k{{'}_{P}}\text{ }\ll \text{ }{{k}_{G}}\to \text{ }P'(t)\approx \frac{P(t)}{2} \\\end{align*}

Abbildung 2. (a) Isolierter doppelt-eingespannter Pfeiler; (b) isolierter gelenkig-eingespannter Pfeiler; (c) äquivalentes vereinfachtes System von Abbildung 1

Im Folgenden isolieren wir den Pfeiler des in Abbildung 2(c) dargestellten vereinfachten Systems und lösen ein System, das aus einem Pfeiler mit einem einzigen Grad statischer Unbestimmtheit besteht, indem wir die zeitabhängige Kraftmethode anwenden und die Kompatibilitätsgleichungen über die Zeit formulieren, wobei:

BS (Basissystem): Feste Rotation in B (Pfeilerkopf) freigegeben

ÜG (Überzählige Grösse): Biegemoment in B (Pfeilerkopf)

Zusätzlich werden die zeitabhängigen Biegemomente am Pfeilerkopf infolge Schwinden und Vorspannung separat berechnet.

Zeitabhängiges Verhalten von Betonpfeilern

1. Schwinden (zeitabhängige Pfeilerkopfverschiebung3Beachten Sie, dass die Pfeilerkopfverschiebungen analog zu den Setzungen in unserer Vorlesung über Langzeiteinflüsse behandelt werden können (zeitunabhängig oder zeitabhängig).)

Abbildung 3 zeigt den isolierten Pfeiler mit dem Basissystem (BS) und der überzähligen Grösse (ÜG), die zur Bestimmung des Biegemoments MB(t) mit Hilfe der Kraftmethode verwendet wird. Da sich das Biegemoment MB(t) über die Zeit verändert, wird die Kompatibilität am Auflager B sowohl zum Anfangszeitpunkt als auch zeitabhängig ausgedrückt.

Abbildung 3. Zeitabhängige Pfeilerkopfverschiebung (Schwindung des Trägers). (a) Basissystem (BS) mit erzwungener Pfeilerkopfverschiebung; (b) BS mit überzähliger Grösse (ÜG); (c) und (d) entsprechende Biegemomentdiagramme

Das Schwinden εcs(t) des Trägers verursacht eine Verformung über die Zeit, die horizontale Verschiebungen uh(t) und Biegemomente MB(t) am Pfeilerkopf erzeugt. Zum Anfangszeitpunkt sind sowohl die horizontale Verschiebung uh(t0) als auch das Biegemoment MB(t0) Null (kein Schwinden). Zu jedem beliebigen Zeitpunkt t > t0, ist der Träger um εcs(t) geschwunden, was zu einer horizontalen Verschiebung uh(t) und einem Biegemoment MB(t) führt, siehe Abbildung 4(a) bzw. Abbildung 4(b). Unter der Annahme, dass das Schwinden des Trägers und damit die aufgezwungenen Verformungen über die Zeit uh(t) proportional zur Kriechfunktion des Pfeilers sind, kann uh(t) wie folgt ausgedrückt werden:

    \[{{u}_{h}}(t)={{u}_{h,\infty }}\frac{{{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}})}{{{\varphi }_{P}}(\infty ,{{t}_{i}})}\text{             (Gl}\text{. 1)}\]

Daher erreicht die horizontale Verschiebung am Pfeilerkopf zur Zeit t = ∞ die maximale horizontale Verschiebung uh,∞ = εcs,·LT (Abbildung 4(a)). Wie wir jedoch weiter unten sehen werden, wird das Biegemoment MB,∞ (t=) geringer sein als das elastische Biegemoment MB,el,∞ das durch die maximale horizontale Verschiebung uh,∞ verursacht wird (Abbildung 4(b)).

Das Biegemoment MB(t) am Pfeilerkopf kann wie folgt formuliert werden:

    \[{{M}_{B}}(t)=\cancel{{{M}_{B}}({{t}_{0}})}+\Delta {{M}_{B}}(t)=\Delta {{M}_{B}}(t)\text{          (Gl}\text{. 2)}\]

Dabei ist ΔMB(t) die Zunahme des Biegemoments über die Zeit infolge des Schwindens.

Abbildung 4. Horizontale Verschiebungen uh(t) (a) und Biegemomente MB(t) (b) am Pfeilerkopf über die Zeit infolge des Schwindens

Rotationskompatibilitätsbedingung zum Anfangszeitpunkt t=t0:

Die Rotationskompatibilität zum Anfangszeitpunkt (man beachte, dass alle Operationen im Basissystem (BS) angewendet werden) ergibt den Ausdruck:

    \[{{\theta }_{B}}({{t}_{0}})=\cancel{{{\theta }_{B0}}}+{{M}_{B}}({{t}_{0}})\cdot {{\theta }_{B1}}={{\theta }_{BS}}({{t}_{0}})=0\to {{M}_{B}}({{t}_{0}})=\frac{\cancel{{{\theta }_{BS}}({{t}_{0}})}}{{{\theta }_{B1}}}=0\text{         (Gl}\text{. 3)}\]

Wie bereits erwähnt, ist das Biegemoment am Pfeilerkopf zum Anfangszeitpunkt gleich Null MB(t0) = 0, da das Schwinden noch nicht eingesetzt hat.

Zeitabhängige Rotationskompatibilitätsbedingung (Methode von Trost):

Die Entwicklung der zeitabhängigen Rotationskompatibilität erfolgt nach der Methode von Trost. Wenn Sie mit dieser Methode nicht vertraut sind, empfehle ich Ihnen unsere Vorlesung zu Langzeiteinflüssen in Advanced Structural Concrete.


    \begin{align*}& {{\theta }_{B}}(t)=\cancel{{{\theta }_{B0}}}\left[ 1+{{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}}) \right]+\cancel{{{M}_{B}}({{t}_{0}})}\cdot {{\theta }_{B1}}\left[ 1+{{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}}) \right]+\Delta {{M}_{B}}(t)\cdot {{\theta }_{B1}}\left[ 1+\mu \cdot {{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}}) \right]={{\theta }_{BS}}(t)\text{          (Gl. 4)} \\& {{\theta }_{BS}}(t)={{\theta }_{BS,\infty }}\frac{{{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}})}{{{\varphi }_{P}}(\infty ,{{t}_{i}})} \\& \Delta {{M}_{B}}(t)={{M}_{B}}(t)=\frac{{{\theta }_{BS,\infty }}}{{{\theta }_{B1}}}\cdot \frac{{{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}})}{{{\varphi }_{P}}(\infty ,{{t}_{i}})}\cdot \frac{1}{1+\mu \cdot {{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}})} \\& {{M}_{B,el,\infty }}=\frac{{{\theta }_{BS,\infty }}}{{{\theta }_{B1}}}=\frac{6{{E}_{P}}{{I}_{P}}}{{{h}^{2}}}{{\varepsilon }_{cs,\infty }}{{L}_{T}}\text{          (Gl}\text{. 5)} \\& {{M}_{B}}(t)={{M}_{B,el,\infty }}\cdot \frac{{{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}})}{{{\varphi }_{P}}(\infty ,{{t}_{i}})}\cdot \frac{1}{1+\mu \cdot {{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}})}\text{          (Gl}\text{. 6)} \\& {{M}_{B,\infty }}(t=\infty )={{M}_{B,el,\infty }}\frac{1}{1+\mu \cdot {{\varphi }_{P}}(\infty ,{{t}_{i}})}\text{          (Gl}\text{. 7)} \\\end{align*}


Beachten Sie, dass die Kompatibilitätsgleichung (Gl. 4) ausdrückt, dass die durch das Biegemoment MB(t) verursachte Rotation θB(t) (überzählige Grösse ÜG) die Rotation aufgrund der Pfeilerkopfverschiebung θBS(t) kompensieren muss; beide Rotationen werden im Basissystem bestimmt. Mit anderen Worten, die Gesamtrotation des Pfeilerkopfes B muss gleich Null sein (siehe Abbildung 3). Der von Trost eingeführte Alterungskoeffizient μ4Der Alterungsbeiwert μ könnte durch Lösen einer linearen und inhomogenen Volterra-Integralgleichung ermittelt werden, aber für typische Fälle kann man μ ≈ 0.8 annehmen. trägt der Tatsache Rechnung, dass der Beton bei später einwirkenden Lasten weniger kriecht. Aus dieser Bedingung lässt sich das Biegemoment MB(t) zu jedem Zeitpunkt t bestimmen (Gl. 6) und in Form des elastischen Biegemoments MB,el,∞ (Gl. 5) ausdrücken.

2. Vorspannung

Im Gegensatz zum Schwinden, bei dem die horizontale Verschiebung am Pfeilerkopf von Null zum Anfangszeitpunkt zunimmt, ist die Vorspannung eine sofortige Einwirkung zum Anfangszeitpunkt (t=t0), die eine anfängliche horizontale Verschiebung uh(t0) = uh,P,el(t0) und ein entsprechendes anfängliches elastisches Biegemoment MB(t0) = MB,el(t0) am Pfeilerkopf verursacht. Danach ändern sich sowohl die horizontale Verschiebung uh(t) als auch das Biegemoment MB(t) über die Zeit.

Ähnlich wie bei der Berechnung der Biegemomente infolge Schwinden wird der Pfeiler isoliert und das Basissystem (BS) mit dem Biegemoment am Pfeilerkopf B MB(t) als überzählige Grösse verwendet, siehe Abbildung 5.

Abbildung 5. Zeitabhängige Pfeilerkopfverschiebung (Vorspannung). (a) Basissystem (BS) mit erzwungener Pfeilerkopfverschiebung; (b) BS mit überzähliger Grösse (ÜG); (c) und (d) entsprechende Biegemomentdiagramme

Die gesamte horizontale Verschiebung am Pfeilerkopf uh(t) infolge der Vorspannung beträgt:

    \[{{u}_{h}}(t)={{u}_{h,P,el}}({{t}_{0}})+\Delta {{u}_{h,\varepsilon cc}}(t)+\Delta {{u}_{h,\Delta P}}(t)\text{      (Gl}\text{. 8)}\]

wobei,

uh,P,el(t0) die anfängliche horizontale Verschiebung am Pfeilerkopf infolge der elastischen Verformung des Trägers durch die anfängliche Vorspannkraft P(t0) ist, d.h.,

    \[{{u}_{h,P,el}}({{t}_{0}})=\frac{P({{t}_{0}})}{{{k}_{G}}}\text{     (zeitunabh }\!\!\ddot{\mathrm{a}}\!\!\text{ ngige Pfeilerkopfverschiebung)      (Gl}\text{. 9)}\]

Δuh,ecc(t) ist der horizontale Verschiebungszuwachs am Pfeilerkopf über die Zeit aufgrund von Langzeiteffekten, die durch das Kriechen des Trägers φG(t,tj) verursacht werden.

    \[\Delta {{u}_{h,\varepsilon cc}}(t)={{\varphi }_{G}}(t,{{t}_{j}})\cdot {{u}_{h,P,el}}({{t}_{0}}\text{)     (zeitabh }\!\!\ddot{\mathrm{a}}\!\!\text{ ngige Pfeilerkopfverschiebung)      (Gl}\text{. 10)}\]

Δuh,DP(t) ist der horizontale Verschiebungszuwachs am Pfeilerkopf über die Zeit infolge der Änderung der Vorspannkraft ΔP(t) (Vorspannkraftverluste) über die Zeit aufgrund von Schwinden, Kriechen und Relaxation. Sie wird als proportional zur anfänglichen horizontalen Verschiebung uh,P,el(t0) betrachtet und hat einen negativen Wert, da ΔP(t) <0:

    \[\Delta {{u}_{h,\Delta P}}(t)=\frac{\Delta P(t)}{P({{t}_{0}})}\cdot {{u}_{h,P,el}}({{t}_{0}})\text{     (zeitabh }\!\!\ddot{\mathrm{a}}\!\!\text{ ngige Pfeilerkopfverschiebung)      (Gl}\text{. 11)}\]

Wenn die Vorspannkraft zum Anfangszeitpunkt (t=t0) aufgebracht wird, weist der Pfeilerkopf eine anfängliche horizontale elastische Verschiebung uh,P,el(t0) auf. Anschliessend nimmt die horizontale Verschiebung aufgrund des Kriechens des Trägers Δuh,εcc(t) mit der Zeit zu, was teilweise durch die Abnahme der Vorspannkraft aufgrund der Vorspannkraftverluste Δuh,ΔP(t) kompensiert wird, siehe Abbildung 6(a). Andererseits wird das Biegemoment MB,el(t0) im Pfeilerkopf, das durch die aufgezwungene horizontale Verschiebung uh,P,el(t0), die elastische Verformung des Trägers infolge der Vorspannung, verursacht wird, im Laufe der Zeit aufgrund des Kriechens und der Vorspannkraftverluste ΔP(t) des Pfeilers verringert (Abbildung 6(b)). Das Biegemoment MB(t) kann wie folgt ausgedrückt werden:

    \[{{M}_{B}}(t)={{M}_{B,el}}({{t}_{0}})+\Delta {{M}_{B}}(t)\text{          (Gl}\text{. 12)}\]

Dabei ist ΔMB(t) die Zunahme des Biegemoments über die Zeit aufgrund des Kriechens des Pfeilers und des Trägers sowie der Vorspannkraftverluste.

Abbildung 6. Horizontale Verschiebungen uh(t) (a) und Biegemomente MB(t) (b) am Pfeilerkopf über die Zeit aufgrund von Vorspannung

Für die Berechnung der Biegemomente MB(t) am Pfeilerkopf über die Zeit wird, ähnlich wie bei der Berechnung des Schwindens, erstens die Rotationskompatibilität zum Anfangszeitpunkt und zweitens die zeitabhängige Rotationskompatibilität nach der Methode von Trost angewendet.

Rotationskompatibilitätsbedingung zum Anfangszeitpunkt t=t0:

Die Rotationskompatibilität im Basissystem (BS) zum Anfangszeitpunkt (Abbildung 5) ergibt:

    \begin{align*} & {{\theta }_{B}}({{t}_{0}})=\cancel{{{\theta }_{B0}}}+{{M}_{B}}({{t}_{0}})\cdot {{\theta }_{B1}}={{\theta }_{BS,P,el}}({{t}_{0}})+\cancel{\Delta {{\theta }_{BS,\varepsilon cc}}({{t}_{0}})}+\cancel{\Delta {{\theta }_{BS,\Delta P}}({{t}_{0}})}\text{        (Gl}\text{. 13)} \\ & {{M}_{B}}({{t}_{0}})=\frac{{{\theta }_{BS}}({{t}_{0}})}{{{\theta }_{B1}}}={{M}_{B,el}}({{t}_{0}})\text{        (Gl}\text{. 14)} \\\end{align*}

Das anfängliche Biegemoment MB(t0) am Pfeilerkopf ist gleich dem anfänglichen elastischen Biegemoment MB,el(t0), siehe Gl. 14.

Zeitabhängige Rotationskompatibilitätsbedingung (Methode von Trost):

Im Folgenden werden die Gleichungen mit Hilfe der Methode von Trost entwickelt, um den Biegemomentzuwachs am Pfeilerkopf über die Zeit ΔMB(t) zu bestimmen.

    \[{{\theta }_{B}}(t)={{\theta }_{B0}}\left[ 1+{{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}}) \right]+{{M}_{B}}({{t}_{0}})\cdot {{\theta }_{B1}}\left[ 1+{{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}}) \right]+\Delta {{M}_{B}}(t)\cdot {{\theta }_{B1}}\left[ 1+\mu \cdot {{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}}) \right]={{\theta }_{BS,P,el}}({{t}_{0}})+\Delta {{\theta }_{BS,\varepsilon cc}}(t)+\Delta {{\theta }_{BS,\Delta P}}(t)\text{          (Gl}\text{. 15)}\]

Beachten Sie, dass die Rotation am Auflager B θB(t) über die Zeit, analog zur horizontalen Verschiebung, ergibt:

    \[{{\theta }_{B}}(t)={{\theta }_{B,P,el}}({{t}_{0}})+\Delta {{\theta }_{B,\varepsilon cc}}(t)+\Delta {{\theta }_{B,\Delta P}}(t)\]

wobei,

    \begin{align*} & {{\theta }_{B,P,el}}({{t}_{0}})={{{u}_{h,P,el}}({{t}_{0}})}/{h}\; \\ & \Delta {{\theta }_{B,\varepsilon cc}}(t)={{{u}_{h,\varepsilon cc}}(t)}/{h}\; \\ & \Delta {{\theta }_{B,\Delta P}}(t)={{{u}_{h,\Delta P}}(t)}/{h}\; \\\end{align*}

Durch Substitution von Gl. 13 und Gl. 14 in Gl. 15:

    \begin{align*} & {{\theta }_{B}}(t)={{M}_{B,el}}({{t}_{0}})\cdot {{\theta }_{B1}}\cdot {{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}})+\Delta {{M}_{B}}(t)\cdot {{\theta }_{B1}}\left[ 1+\mu \cdot {{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}}) \right]=\Delta {{\theta }_{BS,\varepsilon cc}}(t)+\Delta {{\theta }_{BS,\Delta P}}(t)\text{          (Gl}\text{. 16)} \\ & \Delta {{M}_{B}}(t)=\left[ \frac{\Delta {{\theta }_{BS,\varepsilon cc}}(t)}{{{\theta }_{B1}}}+\frac{\Delta {{\theta }_{BS,\Delta P}}(t)}{{{\theta }_{B1}}}-{{M}_{B,el}}({{t}_{0}})\cdot {{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}}) \right]\cdot \frac{1}{1+\mu \cdot {{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}})}\text{          (Gl}\text{. 17)} \\\end{align*}

Andererseits kann angenommen werden, dass das Biegemoment und die Rotation am Pfeilerkopf proportional zur horizontalen Verschiebung über die Zeit sind. Daher kann man aus Gl. 10 und Gl. 11 die Biegemomenterhöhungen ΔMB,εcc,el(t) und ΔMB,ΔP,el(t) aufgrund von Kriech- bzw. Vorspannkraftverlusten wie folgt formulieren:

    \begin{align*} & \frac{\Delta {{\theta }_{BS,\varepsilon cc}}(t)}{{{\theta }_{B1}}}=\Delta {{M}_{B,\varepsilon cc,el}}(t)={{\varphi }_{G}}(t,{{t}_{j}})\cdot {{M}_{B,el}}({{t}_{0}})\text{          (Gl}\text{. 18)} \\& \frac{\Delta {{\theta }_{BS,\Delta P}}(t)}{{{\theta }_{B1}}}=\Delta {{M}_{B,\Delta P,el}}(t)=\frac{\Delta P(t)}{P({{t}_{0}})}\cdot {{M}_{B,el}}({{t}_{0}})\text{          (Gl}\text{. 19)} \\\end{align*}

Durch Substitution von Gl. 18 und Gl. 19 in Gl. 17:

    \[\Delta {{M}_{B}}(t)={{M}_{B,el}}({{t}_{0}})\cdot \frac{{{\varphi }_{G}}(t,{{t}_{j}})-{{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}})+\frac{\Delta P(t)}{P({{t}_{0}})}}{1+\mu \cdot {{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}})}\text{          (Gl}\text{. 20)}\]

Durch Einsetzen des Biegemomentinkrements ΔMB(t) aus Gl. 20 in Gl. 12 ergibt sich schliesslich das Gesamtbiegemoment am Pfeilerkopf über die Zeit MB(t) wie folgt:

    \begin{align*}& {{M}_{B}}(t)={{M}_{B,el}}({{t}_{0}})\cdot \left( 1+\frac{{{\varphi }_{G}}(t,{{t}_{j}})-{{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}})+\frac{\Delta P(t)}{P({{t}_{0}})}}{1+\mu \cdot {{\varphi }_{P}}(t,{{t}_{i}})} \right)\text{          (Gl}\text{. 21)} \\& {{M}_{B,\infty }}(t=\infty )={{M}_{B,el}}({{t}_{0}})\cdot \left( 1+\frac{{{\varphi }_{G}}(\infty ,{{t}_{j}})-{{\varphi }_{P}}(\infty ,{{t}_{i}})+\frac{\Delta {{P}_{\infty }}}{P({{t}_{0}})}}{1+\mu \cdot {{\varphi }_{P}}(\infty ,{{t}_{i}})} \right)\text{          (Gl}\text{. 22)} \\\end{align*}

3. Zusammenfassung und Diskussion

Schwinden:

Das Biegemoment MB,∞ am Pfeilerkopf zur Zeit t = ∞  infolge des Schwindens ist wie folgt:

    \[{{M}_{B,\infty }}={{M}_{B,el,\infty }}\frac{1}{1+\mu \cdot {{\varphi }_{P}}(\infty ,{{t}_{i}})}\]

Dabei ist μ ≈ 0.80 und ti das Alter des Pfeilerbetons, wenn der Träger zu schwinden beginnt. Abbildung 7 zeigt das Verhältnis zwischen dem Biegemoment MB,∞ und dem elastischen Biegemoment MB,el,∞ am Pfeilerkopf zur Zeit t = ∞  als Funktion des Pfeiler-Kriechkoeffizienten φP(∞,ti).

Abbildung 7. MB,∞ zu MB,el,∞ Verhältnis (μ=0.80)

Das Biegemoment MB(t) am Pfeilerkopf infolge Schwinden wächst mit der Zeit an, bis es zur Zeit t = ∞ ein maximales Biegemoment MB,∞ erreicht (siehe Abbildung 4(b)), das das 1/(1+μ·φP(∞,ti)) fache des elastischen Biegemoments MB,el,∞ infolge der kurzfristigen Wirkung des Gesamtschwindens εcs, beträgt.

Das maximale Biegemoment MB,∞ am Pfeilerkopf zur Zeit t = ∞, das unabhängig vom Kriechkoeffizienten φG(∞,ti) des Trägers ist, ist gleich 38%·MB,el,∞ für einen typischen Wert von φP(∞,ti) = 2.0. Aus diesem Grund berücksichtigen viele Ingenieure 40% des Gesamtschwindens (40%·φcs,), um die Schnittgrössen in den Pfeilern zur Zeit t = ∞  aufgrund von Langzeiteinflüssen zu bestimmen. Da die Pfeiler jedoch vor dem Träger gebaut werden, ist der Pfeilerkriechkoeffizient im Betonalter, in dem der Träger zu schwinden beginnt, oft kleiner als 2.0 und in Regionen mit hoher relativer Luftfeuchtigkeit ohnehin kleiner (z. B. φP(∞,t0) ≈ 1.8 für C30/37 und RH ≈ 80%, wie in der Schweiz üblich). Wird darüber hinaus die vorteilhafte Wirkung eines gerissenen Pfeilers mit entsprechend reduzierter Steifigkeit berücksichtigt, muss ein noch geringerer äquivalenter Kriechkoeffizient φP (ermittelt z.B. aus einer Querschnittsanalyse als Verhältnis der Krümmungen mit und ohne Kriechen) verwendet werden. Wenn die Ingenieure nicht über diesen Hintergrund verfügen und wahllos den Referenzwert von 40% (φP(∞,ti) = 2.0) oder sogar einen reduzierten Wert für das Schwinden aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit verwenden, kann der Entwurf der Pfeiler auf der unsicheren Seite liegen, insbesondere bei GZG. Betrachtet man beispielsweise einen Pfeiler-Kriechkoeffizienten zur Zeit t = ∞ von φP(∞,ti) = 1.25 ab dem Zeitpunkt, an dem der Träger zu schwinden beginnt, so beträgt das Biegemoment am Pfeilerkopf MB,∞ = 50%·MB,el,∞, d.h. 32% höher als MB,∞ = 38%·MB,el,∞ für φP(∞,ti) = 2.0.

Vorspannung:

Das Biegemoment MB,∞ am Pfeilerkopf zur Zeit t = infolge der Vorspannung (einschliesslich kurz- und langfristigen Einflüssen) beträgt:

    \[{{M}_{B,\infty }}={{M}_{B,el}}({{t}_{0}})\cdot \left( 1+\frac{{{\varphi }_{G}}(\infty ,{{t}_{j}})-{{\varphi }_{P}}(\infty ,{{t}_{i}})+\frac{\Delta {{P}_{\infty }}}{P({{t}_{0}})}}{1+\mu \cdot {{\varphi }_{P}}(\infty ,{{t}_{i}})} \right)\]

wobei tj und ti das Betonalter des Trägers bzw. des Pfeilers bei Einwirkung der Vorspannung sind.

Abbildung 8 zeigt das Verhältnis zwischen dem Biegemomentzuwachs ΔMB,∞ und dem anfänglichen elastischen Biegemoment MB,el(t0) am Pfeilerkopf zur Zeit t = ∞. Wie bei der Bemessung häufig angenommen, wirkt das Kriechen des Pfeilers zusammen mit dem (negativen) Beitrag der Vorspannungsverluste dem Anstieg der Biegemomente am Pfeilerkopf, der durch das Kriechen des Trägers verursacht wird, entgegen und kompensiert ihn bei bestimmten Werten der Kriechkoeffizienten sogar. In typischen Fällen sind jedoch erhebliche Unterschiede zu beobachten. Im Allgemeinen ist das Verhältnis ΔMB,∞ / MB,el(t0) eine Funktion des Pfeiler-Kriechbeiwerts φP(∞,ti), des Träger-Kriechbeiwerts φG(∞,tj), der Vorspannkraftverluste ΔP/P(t0) und des Alterungsbeiwerts μ. Die in Abbildung 8 dargestellten Kurven wurden für μ=0.80, φG(∞,tj) = {1.0; 1.5; 2.0} und ΔP/P(t0)= {0%; 10%} erstellt. Man kann feststellen, dass die Vorspannkraftverluste eine geringe Auswirkung auf das Verhältnis ΔMB,∞  / MB,el(t0) haben (etwa 5 % für die verwendeten Parameter), was in den Berechnungen vernachlässigt werden kann.

Abbildung 8. ΔMB,∞ zu MB,el(t0) Verhältnis (μ=0.80, φG(∞,tj) = 1.0-1.5-2.0 und ΔP/P(t0)=0%-10%). ΔMB,∞: Biegemomentenzuwachs am Pfeilerkopf infolge langfristiger Vorspannungseffekte zur Zeit t = ∞; MB,el(t0): Anfängliches elastisches Biegemoment am Pfeilerkopf infolge der Vorspannung

Das Verhältnis ΔMB,∞ / MB,el(t0) hängt von den Kriechkoeffizienten des Trägers und des Pfeilers (mit ti und tj = Betonalter dieser Elemente zum Zeitpunkt des Aufbringens der Vorspannung) sowie von den Vorspannungsverlusten ab. Das anfängliche Biegemoment MB,el(t0) am Pfeilerkopf nimmt im Laufe der Zeit ab, wenn der Kriechkoeffizient des Pfeilers φP(∞,ti) höher ist als der Kriechkoeffizient des Trägers φG(∞,tj), d. h. φP(∞,ti) > φG(∞,tj), und nimmt andernfalls zu (unter Vernachlässigung der Vorspannungsverluste), was typischerweise zutrifft, da die Pfeiler vor den Trägern gebaut werden.

Bei einem Pfeiler-Kriechkoeffizienten von φP(∞,ti) = 1.25 erhöht sich das Biegemomentinkrement ΔMB,∞  zur Zeit t = ∞ um etwa 10 % bzw. 35 % gegenüber dem anfänglichen Biegemoment MB,el(t0) für Träger-Kriechkoeffizienten von φG(∞,tj) = 1.5 bzw. φG(∞,tj) = 2.0. Ein Anstieg von 35 % ist nicht von vornherein vernachlässigbar; er kann jedoch für niedrige und mittlere Vorspannungsniveaus des Trägers vernachlässigt werden, da der Biegemomentenzuwachs ΔMB,∞ im Vergleich zu dem durch Schwinden verursachten Biegemoment in der Regel gering ist.

4. Schlussfolgerungen

Für eine vorläufige Bemessung (Abschätzung der inneren Einwirkung) von Pfeilern, die monolithisch mit einem vorgespannten Träger verbunden sind, ist es eine gültige Näherung, 40…50 % des Gesamtschwindens zur Zeit t = ∞ εcs, zu berücksichtigen und die über die Zeit zunehmende innere Kraft infolge der Vorspannung zu vernachlässigen. Diese Überlegungen können auch bei der Detailplanung akzeptabel sein, wenn die Bemessung der Pfeiler nicht entscheidend ist und der Planer den Einfluss der Langzeiteinflüsse auf das Bauwerk, einschliesslich des Bauprozesses, kontrollieren kann. Im Allgemeinen kann jedoch die Verwendung eines Wertes von 40%·εcs, zur Berücksichtigung der langfristigen Auswirkungen unsicher sein, da die in den Pfeilern wirkenden Schnittgrössen unterschätzt werden.

Die vorgestellten Gleichungen zur Abschätzung der Schnittgrössen in den Pfeilern aufgrund der Langzeiteinflüsse sind in der Ingenieurpraxis nützlich. Sie ermöglichen eine einfache, aber wesentlich genauere Langzeitanalyse, wie sie für lange fugenlose Bauwerke mit monolithischen Pfeiler-Träger-Verbindungen erforderlich ist. Darüber hinaus kann eine geeignete Strategie der Betonierabschnitte dazu beitragen, die Länge von fugenlosen Bauwerken deutlich zu erhöhen.

Abschliessend wird darauf hingewiesen, dass die durch Schwinden und Vorspannung verursachten Momente an den Pfeilerköpfen aufgrund des Kriechens der Pfeiler zwar reduziert werden, dass aber bei der Bemessung von Lagern und Dehnungsfugen und der Abschätzung von Brückenendverschiebungen in integralen Widerlagern die vollen Trägerverschiebungen berücksichtigt werden müssen.

Ich hoffe, dass dieser Beitrag für Sie von Interesse und Nutzen war. Wir freuen uns über Kommentare und Anregungen.


Alejandro Giraldo Soto


Kommentieren Sie diesen Beitrag auf LinkedIn oder Instagram

Link to the English version: Ductility and rotation capacity of structural concrete


Was ist Duktilität? Warum brauchen wir sie?

Die Duktilität ist ein allgegenwärtiges Konzept im Bauingenieurwesen und im Stahlbetonbau, dem Feld um das sich dieser Blogpost handelt.

Im Erdbebeningieurwesen haben bekannte Autoren folgende Definition der Duktilität vorgeschlagen.

Der Begriff Duktilität bezeichnet die Fähigkeit eines Tragelementes oder Tragwerks, sich nicht nur elastisch, sondern unter Aufrechterhaltung des Tragwiderstandes auch plastisch zu verformen.

(Paulay, Bachmann, Moser ,1990: Erdbebenbemessung von Stahlbetonhochbauten)

The term “ductility” in structural design is used to mean the ability of a structure to undergo large deformations in the postelastic range without a substantial reduction in strength.

(Park, 1991: Ductility of Structural Concrete)

Die Definitionen stammen aus dem Erdbebeningenieurwesen und zielen darauf ab übermässige Schäden bei grossen plastischen Verformungen zu vermeiden. Daher werden manchmal geringe Lastabfälle, oder Entfestigung akzeptiert. Dies ist im Bauingenieurwesen unüblich und unkonservativ, da die meisten Einwirkungen lastgesteuert sind und Versagen bei Höchstlast eintritt.

Paulay, Bachmann und Moser (1990) schlagen vor, je nach Massstab verschiedene Arten der Duktilität zu betrachten, nämlich Dehnungsduktilität auf Materialebene, Krümmungsduktilität auf Querschnittsebene, Rotationsduktilität für plastische Gelenke und die Verschiebeduktilität bei statischen Systemen. Die Duktilität wird jeweils als Verhältnis der betrachteten Grösse (z.B. Dehnung, Krümmung) bei Versagen und bei Fliessbeginn berechnet.

Im Bauingenieurwesen ist die Duktilität in der SIA 260 (2013) wie folgt definiert:

Durch irreversible Verformungen und Energiedissipation charakterisiertes, in der Regel auf die Grenze des elastischen Verhaltens bezogenes plastisches Verformungsvermögen.

Im Bauingenieurwesen ist Duktilität notwendig um die Plastizitätstheorie anzuwenden, um Lastumlagerungen zu ermöglichen und um Eigenspannungszustände vernachlässigen zu können. Dieses Konzept findet sich auch in Normen, wie den SIA Normen oder den Eurocodes wieder. Laut SIA 262 (2013) darf die Plastizitätstheorie nur angewendet werden, wenn duktiles Verhalten sichergestellt werden kann. Lastumlagerungen sind bei kleinem Verhältnis x/d, duktilem Bewehrungsstahl und normalfestem Beton erlaubt. Die Eurocodes erlauben das Vernachlässigen von Eigenspannungszustände, wie Temperatureffekten, differentiellen Setzungen und Schwinden, falls das Verformungsvermögen und das Rotationsvermögen genügend sind (n.b. in der englischen Version des Eurocode 2 ist Verformungsvermögen zu «ductility» übersetzt). Es gibt keine Angabe zur Bestimmung des Verformungsvermögens, aber ein Nachweis des Rotationsvermögens ist in der Norm enthalten (siehe zweiter Abschnitt).

Während die exakte Definition der Duktilität nicht eindeutig ist, sind die meisten Autor:innen sich einig warum duktil gebaut werden sollte. Die Argumente können grob zu zwei Hauptideen zusammengefasst werden:

Ein bekanntes Beispiel, wo Duktilität das Versagen verhindert hat, ist die Reussbrücke Wassen, die grosse Setzungen nach dem Unwetter von 1987 überlebt hat und repariert werden konnte (Abbildung 1).

Abbildung 1: Reussbrücke Wassen nach der Flut von 1987 (Foto: Keystone, Tagesanzeiger)

Ist Stahlbeton duktil? Wie stellt man das bei der Bemessung sicher?

Wie gerade gesehen kann Stahlbeton duktil sein. Es stellt sich die Frage, wie bei der Bemessung bestimmt werden kann ob ein Bauwerk ausreichend duktil sein wird. Hier werden zwei Vorgehensweisen vorgestellt.

In der Schweizer Baupraxis wird Duktilität durch bestehendes Wissen über günstige Konstruktionsmassnahmen erreicht. Beispiele für solche Massnahmen sind die Wahl von angemessenen, bewährten Materialien, Mindestbewehrungen und Verbügelung um spröde Schub- oder Druckzonenversagen zu vermeiden. Die Massnahmen stützen auf Erfahrung und experimentell validierten Forschungsergebnissen ab, was gleichzeitig ihr grösster Nachteil ist. Während sie in Standardfällen sehr effizient sind, erschweren sie zum Beispiel die Verwendung von neuen Materialien.

Die SIA 262 erlaubt die Umlagerung von Schnittkräften ohne Nachweis des Verformungsvermögens, falls die Druckzonenhöhe begrenzt wird, die Duktilitätsklasse des Betonstahls mindestens B500B ist und die Druckfestigkeitsklasse tiefer als C50/60 ist. Der Eurocode 2 enthält ähnliche Angaben, aber erlaubt hochfesten Beton unter Voraussetzung einer strikteren Begrenzung der Betondruckzonenhöhe. Daraus kann man implizit ableiten, dass Bauteile, die diese Bedingungen erfüllen, als duktil angesehen werden können.

Werden diese Bedingungen nicht erfüllt, gilt es zu überprüfen ob das Rotationsvermögen von erwarteten plastischen Gelenken grösser ist als der Rotationbedarf. Während es kein direkter Nachweis der Duktilität ist, stellt es sicher, dass die plastischen Rotationen, die zur Biegemomentenumlagerung bei Bemessungslast nötig sind, ohne Versagen aufgenommen werden können. In diesem Beitrag zeige und vergleiche ich zwei Methoden um das Rotationsvermögen zu berechnen.

Der Eurocode 2 (2004) schlägt bilineare Zusammenhänge zwischen dem plastischen Rotationsvermögen und xu/d vor, wobei xu die Höhe der Druckzone ist und d die statische Höhe. Die Norm enthält verschiedene Zusammenhänge für normalfesten und hochfesten Beton, und Betonstahl der Klassen B500B und B500C. Die Zusammenhänge dürfen mit einem Faktor multipliziert werden, der der Schubschlankheit Rechnung trägt. Der Hauptnachteil dieser Methode ist, dass es sich um eine «Black Box» handelt, sodass es schwierig für Ingenieure ist die Plausibilität der Resultate zu prüfen.

Sigrist und Marti (1994) schlagen eine allgemein gültige Methode und eine vereinfachte Bemessungsmethode für das Rotationsvermögen vor, die beide auf dem Zuggurtmodell basieren. Bei der vereinfachten Methode wird die mittlere plastische Krümmung bei Versagen mit einer angenommenen Länge des plastischen Gelenks Lpl = d multipliziert (d = statische Höhe). Die Autoren geben zwei analytische Ausdrücke für die mittlere plastische Krümmung an, je nachdem ob Reissen der Bewehrung oder ein Betondruckversagen massgebend wird. Bei tiefen bis moderaten mechanischen Bewehrungsgehalten wird Reissen der Bewehrung massgebend, bei vergleichsweise hohen mechanischen Bewehrungsgehalten das Betondruckversagen.

Die allgemein gültige Methode wird hier nicht im Detail vorgestellt. Sie folgt der gleichen Idee, die Stahlspannungen in der plastischen Zone zu bestimmen. Zusätzlich berücksichtigt sie den Verlauf der Kraft im Zuggurt, der benutzt werden kann, um die Länge des plastischen Gelenks zu bestimmen, und die Biegemomentenumlagerung beim Fliessen des plastischen Gelenks.

Abbildung 2 zeigt einen Vergleich der drei erwähnten Methoden am Beispiel eines Zweifeldträgers unter Gleichlast mit statischer Höhe d = 1200 mm. Das Basisbeispiel wurde mit Beton C30/37, Betonstahl B500B, Schlankheit L/d = 20 (L = Spannweite) und einem Rissabstand sr = 150 mm berechnet. In Abbildung 3 werden diese Parameter einzeln variiert. Die Kurven starten bei der Mindestbewehrung um ein Sprödversagen bei Rissbildung zu vermeiden.

Die bilinearen Kurven des Eurocode spiegeln die Form der Kurven auf Basis des Zuggurtmodells wieder, bei welchen der Knick den Übergang zwischen Stahl- und Betonversagen ausdrückt. Der Unterschied zwischen den beiden Methoden von Sigrist und Marti (1994) bei kleinen mechanischen Bewehrungsgehalten ist hauptsächlich der Abschätzung der plastischen Gelenklänge in der vereinfachten Methode geschuldet: Wenn eine Gelenklänge von Lpl = 0.7 d anstelle Lpl = d angenommen wird sind die Kurven fast identisch. Die unbekannte Länge des plastischen Gelenks ist einer der Hauptnachteile der vereinfachten Methode.

Abbildung 2: Vergleich verschiedener Methoden zur Abschätzung des plastischen Rotationsvermögens.

Abbildungen 3 (a) bis (d), zeigen den Einfluss der Betondruckfestigkeitsklasse, der Duktilitätsklasse der Bewehrung, der Schlankheit und des Rissabstandes.

Der Eurocode gibt eine einzelne Kurve für das Rotationsvermögen aller Betondruckfestigkeitsklassen < C50/60 an. Die Modelle basierend auf dem Zuggurtmodell ergeben eine Abnahme des Rotationsvermögens mit höherer Druckfestigkeit, falls Stahlversagen massgebend ist, und kaum einen Einfluss falls Betonversagen massgebend ist. Das mag auf ersten Blick kontraintuitiv scheinen, liegt aber daran, dass die Betonzugfestigkeit laut Zuggurtmodell in direktem Bezug zur Verbundspannung steht. Eine höhere Verbundspannung bedeutet einen grösseren Einfluss der Zugverfestigung und daher eine kleinere mittlere Stahlspannung im Risselement und ein geringeres Rotationsvermögen.

Wird duktilerer Stahl verwendet, so ergeben die Modelle wie erwartet ein grösseres Rotationsvermögen und Betonversagen wird bei tieferen mechanischen Bewehrungsgehalten massgebend.

Laut Eurocode dürfen die bilinearen Zusammenhänge mit einem Faktor kλ multipliziert werden, um die Schlankheit des Bauteils zu berücksichtigen. Die allgemein gültige Methode von Sigrist und Marti (1994) zeigt eine ähnliche Zunahme des Rotationsvermögens mit der Schlankheit, doch die vereinfachte Methode berücksichtigt die Schlankheit nicht.

Die Methoden auf Basis des Zuggurtmodells ergeben, dass ein grösserer Rissabstand einen negativen Einfluss auf das Rotationsvermögen hat. Der bilineare Zusammenhang laut Eurocode berücksichtigt den Rissabstand nicht. Das kann auch als Vorteil gewertet werden, da die Abschätzung der Rissabstände schwierig ist.

Abbildung 3: (a) Variation der Betondruckfestigkeitsklasse; (b) Variation der Duktilitätsklasse des Betonstahls; (c) Variation der Schlankheit; (d) Variation des Rissabstands.

Hier sind die wichtigsten Schlussfolgerungen aus der Parameterstudie zusammengefasst

Eine spezifische Bemessungsaufgabe ergibt einen Punkt in den oberen Diagrammen. Da sowohl die Methode nach Eurocode und die vereinfachte Methode nach Sigrist und Marti (1994) sehr einfach anzuwenden sind, macht es Sinn in Praxis beide zu vergleichen.

Die Unterschiede zwischen den Methoden mögen gross scheinen, aber es ist wichtig anzumerken, dass die experimentellen Resultate ebenfalls streuen. Das rechtfertigt es einfachere Methoden beim Nachweis des Rotationsvermögens zu verwenden (anstelle komplizierter Modelle) aber stellt solche Berechnungen grundsätzlich in Frage.

Ein direkter Nachweis der Duktilität (als Verhältnis von z.B. der Rotation bei Versagen und Fliessbeginn) wird bei statischen Problemen nicht praktiziert. Obwohl eine solche Berechnung der Rotationsduktilität in plastischen Gelenken in der Literatur diskutiert wird, gibt es kaum Informationen zu Duktilitätsanforderdungen.

Was ist der Zusammenhang zwischen dem Nachweis des Verformungsvermögens und der Duktilität?

Während Bauingenieur:innen im allgemeinen mit dem Konzept der Duktilität vertraut sind, wird sie oft mit anderen, verwandten Konzepten, wie zum Beispiel dem Verformungsvermögen und dem Verformungsbedarf verwechselt.

Die SIA 260 definiert die Duktilität als Verformungsvermögen, das durch irreversible Verformungen und Engergiedissipation charakterisiert ist, wobei das Verformungsvermögen elastische und plastische Verformungen eines Bauwerks bis zum Versagen umfasst. Ein duktiles Bauteil ist dementsprechend eins, das vor dem Versagen grosse inelastische Verformungen erträgt während es Energie dissipiert, und also nicht entfestigt. Das Konzept der Duktilität ist nicht direkt von den Einwirkungen oder dem Verformungsbedarf abhängig.

Im Gegensatz dazu wird beim Nachweis des Verformungsvermögens laut Eurocode 2 überprüft ob der Verformungsbedarf im Bemessungsfall geringer ist als das Verformungsmögen. Falls die Schnittgrössen insgesamt oder in einer Region gering sind, kann der Nachweis erfüllt sein, obwohl das Verformungsvermögen eines Bauteils gering ist. Das hat positive und negative Konsequenzen. Einerseits scheint es unnötig ein hohes Verformungsvermögen in Bereichen zu bieten, die wohl nie ins Fliessen kommen. Andererseits können unvorhergesehene Lasten oder Eigenspannungszustände zu unerwartet hohem Verformungsbedarf führen, sodass mangelndes Verformungsvermögen fatal sein könnte.

Eine der Hauptschwierigkeiten beim Nachweis des Verformungsvermögens besteht in der Berechnung des Verformungsbedarfs, da er von Eigenspannungszuständen abhängig ist. Das kann anschaulich am Beispiel eines Experiments an einem zweifeldrigen Plattenstreifen gezeigt werden (Abbildung 4). Vor Versuchsbeginn wurde dem anfänglich ebenen Versuchskörper ein Eigenspannungszustand aufgezwungen, indem die Auflager verschoben wurden. Dadurch entsteht die gekrümmte Form bei Last 0 kN in Abbildung 4. Es ist intuitiv klar, dass der Rotationsbedarf am Zwischenauflager in diesem Fall höher ist, als im Fall ohne Eigenspannungszustand. Folglich müssen ungünstige Eigenspannungszustände bei der Bestimmung des Verformungsbedarfs berücksichtigt werden.

Im Extremfall müsste man fordern, dass das Verformungsvermögen grösser ist als der Verformungsbedarf bis zum Erreichen der Traglast. In diesem Fall ist das Verformungsvermögen bei jedem beliebigen Eigenspannungszustand ausreichend. Leider gibt die SIA 262 nicht an, wie genau der Nachweis des Verformungsvermögens erfolgen soll und welche Einwirkungen bei der Bestimmung des Verformungsbedarfs zu berücksichtigen sind.

Abbildung 4: Versuch zum Verformungsvermögen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Bauingenieurwesen an der Hochschule Luzern (Bildnachweis: Martina Rohrer, IBI, Hochschule Luzern)

Was können wir schlussfolgern? Wo soll es hingehen?

In diesem Blogpost wurde das Thema der Duktilität bei der Bemessung von Stahlbetonbauteilen unter statischen Lasten eingeführt und zwei einfache Methoden zur Berechnung des Rotationsvermögens wurden aufgezeigt. Dann wurde der Zusammenhang zwischen dem Konzept der Duktilität und dem Nachweis des Verformungsvermögens erklärt.

Ein Problem ist, dass die SIA 262 keine Methoden bereitstellt um die Duktilität von Bauteilen abzuschätzen, die nicht der gängigen Baupraxis entsprechen. Falls z.B. Bewehrungen benutzt werden sollen, die nicht den Duktilitätsklassen B500B oder B500C entsprechen, können Schnittkräfte nur mit Nachweis des Verformungsvermögens umgelagert werden. Das ist eine schwere Einschränkung für innovative Baumaterialien und Fertigungsprozesse, wie z.B. neue Bewehrungsarten oder die Digitale Fabrikation, da die in den Normen gegebenen Methoden nur für spezifische Anwendungen gedacht sind: Die einfachen Berechnungsmethoden für das Verformungsvermögen sind nützlich für Bauteile die in eine Richtung tragen aber sind z.B. nicht auf Platten anwendbar. Ausserdem ist die Bestimmung des Verformungsbedarfs schwierig, da er von Eigenspannungszuständen abhängt.

Aktuelle Forschung zielt darauf ab eine Strategie zur Bemessung von Bauteilen mit niederduktilen, entfestigenden und spröden Elementen zu entwickeln, wobei das Gesamtbauteil duktil bleiben soll.

Dazu werden die Ideen der Kapazitätstheorie mit elastisch-plastischen System verknüpft und Bauteile so bemessen, dass Versagen in duktilen Bereichen eintritt. Ähnliche Ideen sind die Basis von Normbestimmungen um spröde Schubversagen zugunsten von Biegeversagen zu vermeiden.

Gleichzeitig wird in Zusammenarbeit der Professur für Massiv- und Brückenbau an der ETH Zürich und des Instituts für Bauingenieurwesen (IBI) an der Hochschule Luzern eine Versuchsserie an zweifeldrigen Plattenstreifen durchgeführt.

Abbildung 4 zeigt einen Versuch an einem Plattenstreifen, der mit Betonstahl mit hoher Bruchdehnung aber kaum Verfestigung in einem Grossteil des inelastischen Bereichs bewehrt wurde. Dies ist einer in einer Reihe von 21 geplanten Versuchen mit metallischen Bewehrungen verschiedener Duktilität und Festigkeit, sowie nicht-metallischer Bewehrung.

Die Untersuchungen sollen bei der Verwendung von innovativen Materialien und Fertigungsweisen helfen und das Verständnis, sowie das Bewusstsein für Duktilität, Verformungsvermögen und Verformungsbedarf im Stahlbeton stärken.


Nathalie Reckinger


Kommentieren Sie diesen Beitrag auf LinkedIn oder Instagram

Link to the English version: Fire behaviour of statically indeterminate reinforced concrete structures


Bei Brandversuchen an statisch bestimmten Biegebauteilen (wie einfachen Balken) werden häufig grosse Verformungen beobachtet. Die Verformungen werden zunächst durch den Temperaturgradienten zwischen dem beheizten und dem nicht beheizten Querschnittsrand ausgelöst und später durch die temperaturabhängige Verringerung der Materialeigenschaften verstärkt. Bei statisch unbestimmten Bauteilen werden jedoch Rotationen und/oder axiale thermische Ausdehnungen z. B. an Zwischenauflagern von durchlaufenden Trägern und/oder an Endauflagern behindert. Aufgrund behinderter Rotationen und/oder axialer Ausdehnungen kommt es durch den Temperaturgradienten innerhalb des Querschnitts zu Zwangsschnittgrössen, deren Grösse vom statischen System, der Steifigkeit seiner Bauteile und deren Querschnittswiderstand abhängt.

In Abbildung 1 werden die Folgen einer Brandbeanspruchung an der Unterseite eines statisch unbestimmten, über zwei Felder tragenden Plattenstreifens ersichtlich. Der Plattenstreifen wurde von Kordina and Wesche (1979)  getestet. Abbildung 1a zeigt die elastische Biegemomentverteilung (i) bei Raumtemperatur (bezeichnet als Md,el) unter der Annahme einer gleichmässigen Belastung und des Verhältnisses der Bemessungslast bei Raumtemperatur zu derjenigen unter Brandbedingungen von qd / qd,fi = 1,4 und (ii) unter Brandbedingungen (bezeichnet als Mfi) bei verschiedenen Brandeinwirkungszeiten t = [0, 5, 10, 15, 30] min, wobei die tatsächlichen Lasteinleitungspunkte während des Versuchs berücksichtigt werden. Kordina und Wesche geben an, dass der Plattenstreifen so bemessen wurde, dass bei Raumtemperatur 15% des maximalen elastischen Biegemoments vom Mittelauflager zum Feld umgelagert werden müssen (die sich daraus ergebende Biegemomentverteilung entlang der Plattenachse ist in Abbildung 1a mit der gestrichelten Linie angegeben, bezeichnet als Md,pl). Abbildung 1b zeigt das Biegemoment und die Auflagerkraft beim Mittelauflager während der Zeit t im Brandversuch, beide bestimmt durch Kraftmessungen bei den Randauflagern. Die Kurven zeigen, dass positive Krümmungen, die durch die Brandeinwirkung an der Unterseite der Platte verursacht werden, bereits bei kurzer Branddauer zu einem drastischen Anstieg des Stützmoments und der vertikalen Auflagerkräfte am Mittelauflager führen. In Abbildung 1c sind die gemessene maximale Durchbiegung im Feld und eine Abschätzung der entsprechenden plastischen Rotation am Mittelauflager (berechnet auf der Grundlage der Durchbiegungen im Feld) über die Zeit aufgetragen. Sobald das Fliessmoment nach 15 Minuten Brandeinwirkung erreicht war, traten erhebliche plastische Rotationen auf, die nach 90 Minuten fast 120 mrad betrugen und damit die bei Raumtemperatur erwarteten Werte bei weitem übertrafen (vgl. Bestimmungen in der EN 1992-1-1).

Abbildung 1: Analyse des in Kordina und Wesche beschriebenen Brandversuchs an der Zweifeldplatte 2 (Spannweiten pro Feld = 4 m, Plattenstärke = 100mm). (a) Biegemomentenverteilung bei Umgebungstemperatur (Md) und unter Brandbedingungen (Mfi), (b) Biegemoment und Auflagerkraft beim Mittelauflager B während der Versuchszeit t, und (c) gemessene maximale Durchbiegung im Feld (w) und geschätzte plastische Rotation über dem Mittelauflager (qpl,est.) während der Versuchszeit t.

Im Rahmen der Überarbeitung der EN 1992-1-2 zur Bemessung von Tragwerken im Brandfall haben wir mehrere Versuchsserien zu statisch unbestimmten Bauteilen studiert. Dabei haben wir uns hauptsächlich auf die Versuchsserien konzentriert, die vor fast 50 Jahren an der TU Braunschweig unter der Leitung von Prof. Karl Kordina durchgeführt wurden: Ehm et al. (1970) und Wesche (1974) berichteten über mehrere Brandversuche an Durchlaufträgern, während Kordina and Wesche neun Brandversuche an Zweifeld-Plattenstreifen dokumentierten. Abbildung 2 zeigt die Träger 1 und 4 von Wesche nach Versuchsende und Abbildung 3 zeigt die Platten 1, 2, 4, 5 und 9 von Kordina and Wesche nach Versuchsende.

Abbildung 2: Träger von Wesche nach dem jeweiligen Versuch, (a) Träger 1; (b) und (c) Träger 4.
Abbildung 3: Plattenstreifen von Kordina and Wesche nach dem jeweiligen Versuch: (a) Versagen der Platte 1; (b) Rissmuster über der Zwischenstütze und übermässige Durchbiegungen der Platte 2 nach dem Versuch; (c) Versagen der Platte 4; (d) Versagen der Platte 5; (e) Platte 9 nach dem Versuch.

Die Erkenntnisse aus diesen Versuchen an der TU Braunschweig hatten einen direkten Einfluss auf entsprechende Paragraphen zur Bemessung und konstruktiven Durchbildung für statisch unbestimmt gelagerte Träger und Platten in der EN 1992-1-2:

Abbildung 4: Vorgabe der EN 1992-1-2 zur Vermeidung einer zu kurzen oberen Bewehrung.

Unter Beachtung dieser Bemessungsregeln können Durchlaufträger gemäss der geltenden Norm EN 1992-1-2 mit geringeren Achsabständen (resp. Betonüberdeckungen) als bei statisch bestimmten Trägern durch Versuchsergebnisse ausreichend abgestützt als sicher angesehen werden. Die Bemessungsregeln für Durchlaufplatten beinhalten jedoch ein beträchtliches Mass an Extrapolation und «engineering judgement», da die experimentellen Grundlagen für Durchlaufplatten spärlich sind: nur drei der neun von Kordina und Wesche  geprüften Plattenstreifen erfüllten den zu erwartenden Brandwiderstand unter Verwendung der tabellarischen Bemessungsdaten in der EN 1992-1-2. Dementsprechend ist ein genügendes Rotationsvermögen bei Deckenplatten nicht selbstverständlich – insbesondere dann nicht, wenn weder eine axiale Einspannung mobilisiert werden kann (wie z. B. bei Zwei-Feld-Tunneldecken), noch eine zweiachsige Lastabtragung möglich ist (viele Fertigteildeckenlösungen).

Darüber hinaus sind plastische Gelenke, die durch die hohen Zwangsschnittkräfte unter Brandbedingungen verursacht werden, relevant für die zuverlässige Modellierung des Verhaltens von Stahlbetontragwerken unter (teilweiser) Brandeinwirkung. Daher haben wir ein Modell zur Beurteilung des Verhaltens von biegebeanspruchten Bauteilen unter Brandbedingungen entwickelt. Das Modell baut auf dem Zuggurtmodell auf, das von Sigrist (1995) für die Untersuchung des Rotationsvermögens von biegebanspruchten Bauteilen bei Raumtemperatur entwickelt wurde. Unser Modell basiert auf den thermischen und mechanischen Materialeigenschaften entsprechend der EN 1992-1-2 und einigen ergänzenden Überlegungen zur biaxialen Betondruckfestigkeit und zur Verfestigung der Bewehrung. Das Tragwerk wurde unter Verwendung von damit hergeleiteten Querschnittsmoment-Krümmungs-Beziehungen analysiert, wobei das globale Gleichgewicht und die Kompatibilität durch Iteration sichergestellt wird.

Abbildung 5 vergleicht (a) die Biegemomente MB am Mittelauflager, (b) die maximalen Durchbiegungen wSpan im Feld und (c) die über 100 mm gemittelten Bewehrungsdehnungen εsm,B am Mittelauflager in den von Kordina und Wesche dokumentierten Plattenstreifen. Im Allgemeinen korrelieren die Modellvorhersagen gut mit den Versuchsergebnissen in Bezug auf den Feuerwiderstand, die Entwicklung der Biegemomente am Mittelauflager sowie die Feldverformungen. Der Vergleich zwischen den Versuchsergebnissen und den Modellvorhersagen zeigt jedoch einen beträchtlichen Einfluss der verwendeten Betonzuschläge, der hauptsächlich durch die entsprechende Wärmeausdehnung des Betons verursacht wird.

Abbildung 5: Vergleich der Versuchsergebnisse und Modellrechnungen für die Platten 1, 2, 3, 5 und 9. (a) Maximales Biegemoment am Mittelauflager (Anmerkung: der schwarze Stern zeigt den Zeitpunkt des Versagens im Versuch an), (b) vertikale und (c) spannungserzeugende Dehnungen der oberen Bewehrung am Mittelauflager (zwei Messungen angegeben).

Mit dem entwickelten Modell haben wir eine parametrische Studie durchgeführt mit dem Ziel, (i) die entscheidenden Parameter in Bezug auf das Verhalten von statisch unbestimmten Stahlbetontragwerken unter Brandbedingungen zu identifizieren und (ii) zu diskutieren, ob die in der EN 1992-1-2 angegebenen Bemessungsregeln auch für Platten mit Abmessungen gelten, die nicht denjenigen aus den beschriebenen Versuchsreihen entsprechen. Die parametrische Studie untersuchte die Auswirkungen von Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Modellierung statisch unbestimmter Systeme, da nicht nur die Steifigkeit und Festigkeit, sondern auch die Schnittgrössen durch die Verwendung vereinfachter Materialmodelle stark beeinflusst werden. Die folgenden Parameter wurden als die einflussreichsten identifiziert:

Während Projektierende die Duktilität der Bewehrung, den Bewehrungsgehalt und die (charakteristische) Betonfestigkeit vorgeben können, ist es im Allgemeinen nicht möglich, die Zuschlagstoffe in der Planungsphase zu spezifizieren, und die Einspannbedingungen eines Brandabschnitts sind nur schwerlich und ungenau zu quantifizieren. Konzequenterweise konzentrieren sich die Bemessungsempfehlungen der EN 1992-1-2, die hauptsächlich an der TU Braunschweig unter der Leitung von Professor Kordina entwickelt wurden, auf die von Projektierenden beeinflussbaren Eigenschaften.

Auf der Grundlage unserer parametrischen Studie kann davon ausgegangen werden, dass die in der EN 1992-1-2 enthaltenen Bemessungsregeln für praktische Anwendungen allgemein gültig sind. Das Rotationsvermögen ist für die meisten untersuchten Platten mit einem Bewehrungsgrad von 0,5 % ausreichend. Zwar decken die Vorgaben zur konstruktiven Durchbildung nicht alle Eventualitäten ab, wie z. B. das mangelnde Rotationsvermögen bei Verwendung von hochfestem Beton oder grosse Umlagerungen von Querkräften in Richtung von Zwischenauflagern, sie gewährleisten jedoch für die meisten, derzeit in der Praxis angewandten Durchlaufplatten ein genügendes Sicherheitsniveau und sind einfach anwendbar.

Wir konnten mit unserer parametrischen Studie ebenso zeigen, dass die Modellierung von statisch unbestimmten Systemen mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist, wenn (i) die Informationen über das verwendete Material unvollständig sind oder (ii) die angewandten Modelle das verwendete Material nicht oder nur unzureichend beschreiben (z. B. fehlende Verfestigung in der Spannungs-Dehnungs-Beziehung für Betonstahl). Die Betonzuschlagsart mit ihrer entsprechenden thermischen Ausdehnung, die Berücksichtigung der Verfestigungseigenschaften der Bewehrung und der Zugversteifung können bei der Modellierung von statisch unbestimmten Biegebauteilen unter Brandeinwirkung über mehrere Brandwiderstandsklassen entscheiden.


Patrick Bischof


Kommentieren Sie diesen Beitrag auf LinkedIn oder Instagram

Link to the English version: Use of Extended Reality (XR) in Teaching Structural Concrete Design


Für das Verständnis der Inhalte der Vorlesungen im Konstruktiven ingenieurbau sind fortgeschrittenes analytisches Denken und Abstraktionsvermögen unabdingbar: reale (3D-)Strukturen unter verschiedenen Belastungssituationen werden mit Hilfe von rechnerischen Ersatzmodellen für bauweisenspezifische Analysen sowie die Auslegung der Bewehrung untersucht. Insbesondere für Studierende des Bauingenieurwesens mit geringer Berufserfahrung stellt diese Abstraktion in den Vorlesungen eine Hürde dar. Im Stahlbeton kommt erschwerend hinzu, dass die verwendeten Modellvorstellungen die Wirklichkeit wesentlich stärker abstrahieren  als in anderen Bauweisen Ein tieferes Verständnis bezüglich der Sachverhalte gewinnen die Studierenden der meist erst in der Reflexion nach der Vorlesung oder in nachfolgenden Übungen und Kollquien. Um den genannten Herausforderungen zu begegnen, entwickeln wir an unserer Professur digitale Demonstratoren und Hilfsmittel zur Unterstützung und Verbesserung der Lehre [1]. Die Hauptideen sind dabei: (i) den üblicherweise papierbasierten Unterricht durch digitale Inhalte zu ergänzen, die über smarte Geräte angezeigt werden; (ii) mobile Technologien zu nutzen, die den Studierenden zur Verfügung stehen, um interaktives, personalisiertes und selbstmotiviertes Lernen anstelle von inhalts- bzw. lehrerzentrierten Anweisungen zu unterstützen; (iii) das Engagement und die Begeisterung der Studierenden für die Vorlesung durch die Immersion in den Vorlesungsinhalt zu steigern, um ein tieferes Verständnis auf individueller Ebene zu fördern; (iv) die traditionellen Lehrmethoden im Bauingenieurwesen zu modernisieren und zu digitalisieren. Zu diesem Zweck haben die Autoren ein mobiles Augmentierte- bzw. Gemische-Realität-Tool (Struct-MRT) [4] konzipiert, implementiert und in Feldstudien unter Studierenden und Lehrenden evaluiert.

Methoden der Erweiterten Realität und deren Einsatz in der Lehre im Bauingenieurwesen

Erweiterte Realität (XR) ist ein Überbegriff für alle Technologien, die reale und virtuelle Umgebungen sowie Mensch-Maschine-Interaktionen kombinieren, die durch Computertechnologie und Mobilgeräte erzeugt werden [2,3]. XR-Technologien schaffen immersive digitale Welten innerhalb des sogenannten Realitäts-Virtualitäts-Kontinuums [2,2] in unterschiedlichem Ausmass je nach Intention, vgl. Abbildung 1. Augmentierte Realität (AR) befindet sich auf der linken Seite des Realitäts-Virtualitäts-Kontinuums in Abbildung 1, wo die reale Welt mit digitalen Inhalten erweitert wird. “Google Glass” oder “Bosch Smartglasses Light Drive BML500P” sind hierbei typische AR-Geräte. Virtuelle Realität (VR) befindet sich auf der rechten Seite des Kontinuums, wobei der Nutzer z. B. über das “Oculus Quest”-Gerät von Facebook in eine vollständig digitale Umgebung eintaucht und die reale Umgebung ausblendet. Gemischte Realität (Mixed Reality / MR) liegt zwischen den genannten Extremen und umfasst alle Technologien, bei denen computergenerierte Inhalte in unterschiedlichen Anteilen mit der Sicht des Einzelnen auf die reale Welt vermischt werden. Das derzeit populärste Gerät für MR ist das “Microsoft HoloLens” Headset.

Abbildung 1: Realitäts-Virtualitäts-Kontinuum, aus [2,3]

Derzeit liegen nur wenige Forschungsarbeiten zur Entwicklung und Integration von XR-Technologien in die Bauingenieur-Lehre vor. Es gibt jedoch wissenschaftliche Belege dafür, dass XR das Lernen von abstrakten und schwer verständlichen Themen erleichtert [4 – 6]. Zudem hat die derzeit immer noch herrschende globale Pandemie (COVID-19) viele Hochschulen und Firmen dazu veranlasst, die Art und Weise des Arbeitens, Lehrens und Lernens zu verändern. In unseren prototypischen Studien wurden Inhalte aus verschiedenen Stahlbeton-Vorlesungen als AR Anwendungen für Smartphones und Tablets entwickelt, vgl. Abbildung 2, und als methodische Workflows (Struct-MRT), vgl. Abbildung 3, anderen Lehrenden zur Verfügung gestellt.

Abbildung 2: QR-Codes (links) und Impressionen (rechts) der AR / MR Anwendungen: (oben) Betonkonsole; (unten) Torsionsbalken

Moderne XR-fähige Smartphones und Tablets sind erschwinglich und vielfach bei Lehrenden und Studierenden verfügbar, so dass diese Art von immersivem Unterricht zu geringen Kosten hoch skalierbar ist. Im Rahmen von zwei Feldstudien wurde Struct-MRT bezüglich der beiden Beispielapplikationen einer Stahlbetonkonsole sowie eines Torsionsbalkens im Einsatz in realen Unterrichtssituationen getestet und bewertet, vgl. Abbildung 2 und [1]. Struct-MRT erlaubt den Nutzenden, interaktiv durch die einzelnen Schritte der statischen Berechnung, Bemessung und Bewehrungsführung zu navigieren. Neben der massstabsgetreuen, dreidimensionalen Darstellung der Bauteile werden ergänzende Texte und Formeln dynamisch angezeigt, um den Nachweisprozess zu erläutern. Damit transformieren wir den traditionellen papierbasierten Unterricht in einen immersiven Unterricht, bei dem über mobile Geräte Zugang zu kontextbezogenen visuellen Informationen des Unterrichtsstoffs ermöglicht wird. Komplexe Lehrinhalte der Vorlesungen und Übungen zur statischen Modellbildung oder Konstruktionsdetails können auf diese Weise zusammen mit der konstruktiven, normgerechten Bemessung spielerisch veranschaulicht und erlebt werden. Schliesslich wird mit Struct-MRT ein studierendenzentrierter Ansatz ermöglicht, der individualisiertes und selbstmotiviertes Lernen ermöglicht.

Struct-MRT Workflow einer Übung und Anwendungsbeispiel

Die Interaktionen der Nutzer mit Struct-MRT Applikationen sind in Abbildung 3 (links) als Sequenzdiagramm dargestellt. Während einer Vorlesung können die Studierenden auf die zusätzlichen Inhalte eines Aufgabenblattes zugreifen, indem sie mit ihrem mobilen Gerät (iPhone/iPad) einen QR-Code über die eingebauten Kameras scannen. Wenn sie dann die App auf ihrem Endgerät öffnen, werden computergenerierte 3D-Inhalte einschliesslich Multimedia (z.B. Bilder oder Formeln) angezeigt (vgl. Abbildung 2 und 3). Die Ansichten der entwickelten Anwendungen sind im Vollbildmodus angelegt und unterstützen sowohl die Ausrichtung im Hoch- als auch im Querformat. Zusätzliche grafische Interaktionswidgets werden je nach den Besonderheiten des Einsatzbeispiels entlang des 3D-Inhalts platziert.

Abbildung 3: (links) Sequenzdiagramm des entwickelten Struct-MRT Workflows; (mitte) verfügbare AR Applikationen für das Beispiel des Torsionsbalkens [1]; (rechts) FEM Spannungen in AR

Konkret wurde im vergangenen Herbstsemester eine Übung zur Bemessung und konstruktiven Durchbildung eines Torsionsträgers mit AR Apps angereichert. Die Studierenden konnten neben den papierbasierten Unterlagen sechs AR Applikationen (vgl. Abbildung 3 (Mitte)) parallel dazu nutzen, um räumliche Eindrücke bezüglich der Geometrie des Trägers, der Modellbildung mit Fachwerken oder Spannungs- und Verformungsergebnisse der Finite-Elemente-Methode zu erhalten und in immersiver Weise damit zu interagieren. Nach der Übung wurden die ca. 40 Teilnehmer dieser Feldstudie (Panel) mithilfe eines umfassenden Fragebogens hinsichtlich folgender Ziele befragt:

  1. Ermittlung der Benutzerfreundlichkeit, des Eindrucks und der Interaktivität.
  2. Ermittlung des Potentials und der Akzeptanz des Einsatzes von XR in der Ingenieurausbildung und Wissensvermittlung unter den Studienteilnehmern.
  3. Identifikation möglicher Defizite und Verbesserungspotenziale der MR-Apps.
  4. Identifikation weiterer geeigneter Anwendungsfälle der MR-Apps.

Im Rahmen der Umfrage wurden folgende Hypothesen getestet:

Statistische Hypothesentests zeigen, dass alle vier Hypothesen als zutreffend angesehen werden können. Diese Ergebnisse stützen die Kernannahme der Autoren für den Einsatz von XR in der Lehre: Die die Darstellung von kontextbezogenen 3D-Modellen zur Veranschaulichung der Inhalte ist ein gewinnbringender Ansatz in der Lehre.

Die Studie lieferte weitere Erkenntnisse über die Anwendungsfälle von XR im Bauingenieurwesen. Die grössten Vorteile von XR Applikationen sieht das Panel eindeutig im konstruktiven Ingenieurbau, gefolgt von Bau- bzw. Infrastrukturmanagement. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Wahrnehmung und das Verständnis besonders komplexer Struktursysteme mit aufwendigen Entwurfs- und Bemessungsaufgaben durch XR stark unterstützt werden kann. Das Panel gab zudem Hinweise auf weitere unterstützende Funktionalitäten, mit denen künftige Versionen von Struct-MRT Workflows und Applikationen ausgestattet werden können. Weitere Erkenntnisse und statistische Auswertungen dieser Studie können [4] entnommen werden.

Fazit und weitere zukünftige Möglichkeiten

Die Ergebnisse unserer Pilotstudien zeigen zusammenfassend, dass Methoden der Erweiterten Realität im Studien- und Lehralltag noch nicht ausreichend angekommen ist, sich jedoch das Bild einer breiten Akzeptanz dieser Technologie unter Studierenden des Bauingenieurwesens an der ETH Zürich abzeichnet. Die entwickelten Applikationen bieten durch den interaktiven Arbeitsbereich bessere Unterstützung des Lernprozesses und fördern die Interaktion der Studierenden mit den Kursinhalten durch die Immersion in multimedial gestützte Lernumgebungen. Neben dem potenziell transformativen Mehrwert von Erweiterter Realität in der Massivbau-Lehre gaben die Umfragen gleichzeitig einen Einblick in die technologischen, organisatorischen und kognitiven Herausforderungen des Einsatzes in Lehre und Studium. Die Entwicklung und Einführung von Anwendungen aus dem Bereich der Erweiterten Realität ergänzt unser Angebot an digitalen Lernapplikationen und bietet insbesondere Möglichkeiten zu immersiven Lernerlebnissen während der Vorlesung und in den Übungen. Gerne laden wir Sie ein, unsere Applikationen via [1]selbst zu erkunden.

Danksagung

Ein grosser Dank gilt allen Beteiligten, welche zur Umsetzung der Applikationen beigetragen haben und natürlich allen Teilnehmenden der begleitenden Feldstudien.

Projektverantwortliche:              Prof. Dr. Walter Kaufmann, Dr. Michael A. Kraus

Applikationen:                          Irfan Čustović

Beutreuung Tutorien:                Simon Karrer

Links

Sammlung aller Stahlbeton-Lernapplikationen:               https://concrete.ethz.ch/applikationen/

Literatur:

[1] https://concrete.ethz.ch/blog/lernen-zu-lernen-digitale-lernapplikationen-in-der-stahlbeton-vorlesung/

[2] Milgram, P., & Colquhoun, H. (1999). A Taxonomy of Real and Virtual World Display Integration. Mixed Reality, 5–30.

[3] Osorto Carrasco, M. D., & Chen, P. H. (2021). Application of mixed reality for improving architectural design comprehension effectiveness. Automation in Construction, 126(March).

[4] Kraus, M., Custovic, I., & Kaufmann, W. (2021). Struct-MRT: Immersive Learning and Teaching of Design and Verification in Structural Civil Engineering using Mixed Reality. arXiv preprint arXiv:2109.09489.

[5] Sampaio, A. Z., & Martins, O. P. (2014). The application of virtual reality technology in the construction of bridge: The cantilever and incremental launching methods. Automation in Construction, 37, 58–67. https://doi.org/10.1016/j.autcon.2013.10.015

[6] Shirazi, A., & Behzadan, A. H. (2015a). Content delivery using augmented reality to enhance students’ performance in a building design and assembly project. Advances in Engineering Education, 4(3), 1–24.


Michael Anton Kraus


Kommentieren Sie diesen Post auf LinkedIn oder Instagram

Link to English version: Development of a CFRP-prestressed UHPC bridge system for the SBB


Bei der Suche nach Systemlösungen für Bahnbrücken mit kurzen Spannweiten, wie sie häufig bei Überführungen vorkommen, wird häufig auf die standardisierten «Walzträger in Beton» (WIB) – Brücken zurückgegriffen. Diese sind auf dem Schienennetz der Schweiz weit verbreitet und überzeugen durch eine simple Bauweise, wohlbekanntes Tragverhalten und eine ziemlich sportliche Schlankheit. Als Nachteile sind der hohe Materialverbrauch (Vollplatte mit Stahlprofilen) und die reduzierte Dauerhaftigkeit (exponierte Unterflansche der Stahlprofile) zu nennen. Aufgrund dieser Nachteile strebt die SBB ein alternatives Brückensystem an, welches gegenüber den bisher eingesetzten Systemen verbesserte Dauerhaftigkeitseigenschaften besitzt und eine schnellere Montage ermöglicht. Eine Bestandesanalyse der SBB zeigt den Bedarf eines effizienten und wirtschaftlichen Brückensystems mit minimalem Unterhalt und Streckensperrungen auf: Auf dem SBB-Netz werden ca. 800 bestehende Brücken im Spannweitenbereich zwischen 2 und 10m mit Zustandsklassen 3 (“ausreichend”) oder 4 (“schlecht”) bewertet. Dies bedeutet, dass in absehbarer Zeit Massnahmen an diesen Bauwerken nötig sein werden. Obwohl nicht alle zustandskritischen Brücken ersetzt werden müssen und viele Neubauten als geschlossene Rahmen ausgebildet werden, sieht die SBB einen grossen Bedarf an einfeldrigen Brücken im Spannweitenbereich von 2 bis 10m.

Abb. 1: Brückensystem: Schematische Querschnitte [mm].

An der Professur für Massiv- und Brückenbau wird unter der Leitung von Prof. Dr. Walter Kaufmann und Dr. Karel Thoma an einer Systemlösung geforscht, welche die oben genannten Nachteile der WIB-Brücken überwindet. Design und Materialisierung sind ganz auf die Dauerhaftigkeit und die schnelle Montage (hoher Vorfabrikationsgrad) ausgelegt. Das Grundkonzept ist in Abbildung 1 dargestellt. Es wird Ultrahochleistungsbeton (UHB) verwendet, welcher durch seine hohe Festigkeit eine schlanke Bauweise ermöglicht und aufgrund seiner Dichtigkeit den Eintrag unerwünschter, korrosionsfördernder Stoffe auf die Bewehrung verhindert. Unter Gebrauchslasten soll das Brückensystem im ungerissenen Zustand verbleiben, wodurch die Durchbiegungen aufgrund der höheren ungerissenen Steifigkeit reduziert werden und sich zudem keine korrosionsförderende Risse bilden. Die Systembrücke wird deshalb in Längs – und Querrichtung vorgespannt. Aus Dauerhaftigkeits– und Überwachungsgründen wird anstelle einer konventionellen Vorspannung aus Stahl ein Kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff (CFK) verwendet, welcher im Spannbettverfahren vorgespannt wird. Die CFK-Stäbe werden im Werk in einem Spannrahmen gespannt und zusammen mit konventioneller Bewehrung in der Brückenschalung positioniert (siehe Abb.2), welche anschliessend ausbetoniert wird. Nach dem Aushärten des Betons wird die Vorspannung im Spannrahmen gelöst, womit sich die CFK-Stäbe selber im Beton über Reibung verankern und den Beton auf Druck belasten. Abbildung 2 zeigt schematisch den Prozess der Spannbettvorspannung.

Abb. 2: Spannbettverfahren.

Neben der CFK-Vorspannung wird, wie bereits erwähnt, konventionelle Stahlbewehrung verwendet, welche für ein duktileres Tragverhalten sorgt. Ein System nur mit CFK verhielte sich annähernd linear-elastisch bis zum Bruch.  Die gewählte Variante mit einem Unterflansch in Längsrichtung mit Inspektionsöffnungen (Abb. 1 d) erlaubt eine schlanke Bauweise und ermöglicht die Führung der Spannglieder in Längsrichtung im Unterflansch, womit die benötigte Vorspannung minimiert wird und eine Entflechtung mit der Quervorspannung erreicht wird. Nachteile bspw. gegenüber einem offenen Trägerrost ergeben sich bzgl. der visuellen Inspektion im Betrieb sowie in der Schalungstechnik.

Ziel des Projekts ist es, eine zuverlässige Systemlösung zu entwickeln, welche letztendlich vom Bundesamt für Verkehr bewilligt wird. Um dies zu erreichen, müssen als erstes wissenschaftliche Fragen im Zusammenhang mit dem Tragverhalten des Beton-Stahl-CFK-Verbundwerkstoffs, der gemäss Kenntnisstand des Projektteams noch nie für eine Bahnbrücke in der Schweiz verwendet wurde, beantwortet werden. Einen schematischen Überblick über die wissenschaftlichen Fragestellungen gibt Abbildung 3. Ein besonderes Augenmerk wird auf das zyklische Verhalten des Verbundwerkstoffs gelegt: Wie verhält sich das Material nach 1, 2 oder 4 Millionen Lastzyklen im Vergleich zur Erstbelastung? Insbesondere: Wie entwickelt sich das Verhältnis der Verbundspannungen zwischen Bewehrung und Vorspannung (Faktor ξ gemäss SIA 262, 4.3.8.1.5) mit den Lastzyklen? Um diese Fragen zu klären, wird eine gross angelegte Versuchsserie in Zusammenarbeit mit unseren Forschungspartnern an der Empa und der Hochschule Luzern (HSLU) durchgeführt. An der ETH konzentrieren wir uns auf das Verhalten unter Zug (siehe Abbildung 3 a) und die Simulation der Brückenplatte (Abbildung 3 e). Aus den Zugversuchen werden wir ein auf CFK-Vorspannung erweitertes Zuggurtmodell [1] entwickeln, welches das Last-Verformungsverhalten und die Duktilität des Werkstoffs inklusive Effekte aus zyklischer Belastung modelliert. Dieses dient als Grundlage für ein universales Werkstoffmodell, welches wir analog zu [2] in ein nichtlineares FE-Framework implementieren werden um in der Entwicklungsphase eine gross angelegte numerische Parameterstudie für das definitive Design des Brückensystems durchführen zu können. Prof. Dr. Giovanni Terrasi und sein Team an der Empa kümmern sich intensiv um die Spannbettvorspannung und die Entwicklung einer Klemmverankerung für CFK-Vorspannung. Weiter behandeln sie das Verbundverhalten der CFK-Vorspannung im Randbereich des Trägers (Abbildung 3 c), sowie das zyklische Verhalten eines statisch bestimmten Trägers unter Biegung und Querkraft (Abbildung 3 b). Die HSLU unter der Leitung von Prof. Dr. Albin Kenel kümmert sich – neben sämtlichen Fragen zur Betontechnologie, dem systematischen Messen von Materialparametern und Fragen der Nachbehandlung (UHB ist aufgrund seines hohen Zementgehalts sehr schwindanfällig) – um das Design des Spannrahmens, die Lastverteilung in der Brücke bei exzentrischer Laststellung (Abbildung 3 d) und das Brandverhalten.

Abb. 3: Wissenschaftliche Fragestellungen.

Erster Höhepunkt des Projekts ist ein Grossbauteilversuch an einem 2 x 6 m Ausschnitt einer Brücke. Der Versuch dient als «Proof of concept», der aufzeigen soll, dass (i) wir die Herstellung im Griff haben, und (ii) das mechanische Verhalten einen Einsatz für die SBB grundsätzlich erlaubt. Der Herausforderung, diesen ersten grossen Brückenausschnitt herzustellen, nimmt sich die alphabeton AG an. Unsere Umsetzungspartnerin ist zuständig für die Herstellung sämtlicher Versuchskörper im Projekt. Die Herstellung bringt einerseits einige Herausforderungen bezüglich Schalungstechnik mit sich. Die grösste Challenge ist jedoch die Vorspannung, welche speziell bezüglich Arbeitssicherheit sorgfältige Planung erfordert.

Der Grossbauteilversuch wird im Frühjahr/Sommer 2022 bei uns in der Bauhalle an der ETH Hönggerberg durchgeführt. Über den weiteren Verlauf des Projekts, welcher nach dem «Proof of concept» und der beschriebenen wissenschaftlichen Aufarbeitung das Design der Systemlösung und ein Dimensionierungs-Tool mit anschliessendem Pilotprojekt auf dem Streckennetz der SBB beinhaltet, werden wir Sie hier in unserem Blog auf dem Laufenden halten.

Literature

[1] Alvarez M. Einfluss des Verbundverhaltens auf das Verformungsvermögen von Stahlbeton. Tech Rep 236, Institut für Baustatik und Konstruktion, ETH Zürich;1998. http://dx.doi.org/10.3929/ethz-a-002000033.

[2] Thoma K, Roos P, Weber M. Finite-Elemente-Analyse von Stahlbetonbauteilen im ebenen Spannungszustand. Beton- Stahlbeton 2014;109(4):275–83. http://dx.doi.org/10.1002/best.201300087.


Andreas Näsbom


Kommentieren Sie diesen Beitrag auf LinkedIn oder Instagram

Link to English version: On the emergence of Digital Fabrication with Concrete


Digitale Fertigung mit Beton (DFB) hat sich in den letzten Jahren zu einem neuen Trend in der Bauindustrie entwickelt. Doch woher kommt dieser Trend, und was ist DFB? In diesem Blogbeitrag wollen wir Sie in das Thema DFB einführen und die drängendsten Fragen aus diesem Bereich beantworten.

Was ist Digitale Fertigung mit Beton?

Digitale Fertigung mit Beton beschreibt verschiedene Fertigungsverfahren, bei denen Betonelemente in einem automatisierten Prozess hergestellt werden. Mit diesen Technologien können fast alle Arten von Betonelementen ohne oder mit wenig Schalung und unter Optimierung des Materialeinsatzes hergestellt werden (Wangler et al. 2019). Diese neuen Verfahren behaupten die Bauindustrie effizienter zu machen und die negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu reduzieren. Von den unterschiedlichen, derzeit vorhandenen Verfahren ist der 3D-Druck mit Beton (3DDB) das am häufigsten angewandte. Bei 3DDB wird ein Betonelement durch das Auftragen von Schichten additiv hergestellt, wie man es von herkömmlichen 3D-Druckern mit Kunststoff kennt.

Was ist die Geschichte dieser Technologien?

Die erste automatisierte und schichtweise Herstellung eines Betontragwerks geht auf die 1940er Jahre zurück. Mit der Urschel Wall Building Machine wurde ein kreisförmiges Betontragwerk mit einem automatisierten System hergestellt.

Urschel Wall Building Machine (Link zum Video) (Quelle: Urschel Laboratories Inc.)

Diese Erstentwicklung wurde in den darauf folgenden Jahrzehnten nicht weiterentwickelt oder weiterverwendet. Anfang der 2000er Jahre veröffentlichte Prof. Khoshnevis (Khoshnevis 2004) seine Arbeit zu Contour Crafting (ein 3DDB-System mit seitlichen Taloschen) und löste damit einen Schub in der Forschung und Entwicklung von 3DDB und anderen DFB-Technologien aus. Heute nutzen und erforschen Unternehmen und Institutionen auf der ganzen Welt diese neuen Technologien. Die bekanntesten Anwendungen sind der Einsatz für den Bau ganzer Gebäude, wie z.B. ein kürzlich in Deutschland errichtetes Wohnhaus. Verschiedene DFB-Technologien wurden bei der Herstellung der DFAB-Wohneinheit im NEST-Gebäude der Empa eingesetzt. Die Anwendung von DFB ist jedoch nicht nur auf Häuser beschränkt. Es gibt eine breite Palette von Anwendungen in verschiedenen Bereichen wie künstlerische Installationen, Brücken, Infrastrukturelemente usw. (siehe Abblildung unten).

Verschiedene Anwendungen von DFB Technologien: Oben links: Erstes 3D gedrucktes Wohngebäude in Deutschland (Quelle: Peri AG). Oben rechts: DFAB House (Quelle: DFAB HOUSE, Foto: Roman Keller). Unten links: Conrete Choreography (Quelle: dbt, Foto: Benjamin Hofer). Unten rechts: Striatus Bridge Quelle: BRG, ZHACODE ©naaro)

Was sind die aktuellen Herausforderungen?

Die Weiterentwicklung der DFB-Technologien, insbesondere 3DDB, steht vor verschiedenen Herausforderungen. Forscher und Unternehmen bemühen sich weltweit, diese Herausforderungen zu meistern. Die wichtigsten Forschungsbereiche umfassen Material-, Architektur- und Tragwerksüberlegungen. Auf der Materialebene sind die Eigenschaften im frischen und ausgehärteten Zustand, die Materialzusammensetzung und die Verarbeitung einige der Hauptinteressengebiete. Für Architekten ergeben sich neue Möglichkeiten und Grenzen für die Gestaltung. Der gesamte Gebäudekatalog, einschliesslich der Gebäudetechnik, kann neu gedacht werden, wenn DFB eingesetzt wird.

Eine der grössten Herausforderungen (und der Schwerpunkt der Forschung des Autors) ist die Anwendung von DFB für Tragwerke. Aufgrund des Mangels an Bewehrungskonzepten wurde bei den meisten bisherigen Anwendungen unbewehrter, gedruckter Beton als Mauerwerk-Ersatz oder als verlorene Schalung (d.h. zum Betonieren eines herkömmlichen Stahlbetonbauteils innerhalb der gedruckten Schale) verwendet. Es ist jedoch fraglich, ob 3D-gedruckter Beton (typischerweise mit hohem Klinkeranteil), der als Mauerwerk-Ersatz oder verlorene Schalung verwendet wird, zu einer nachhaltigeren Bauweise führt.

Die Palette von DFB-Bauteilen müsste auf tragende Anwendungen erweitert werden, die denen von herkömmlichem Stahlbeton ähnlich oder gleichwertig sind, um einen bleibenden positiven Einfluss auf die Bauindustrie zu haben. Daher sind neue Bewehrungsstrategien erforderlich. Das Vorsehen von Bewehrung zu DFB und insbesondere zu 3DDB ist jedoch nicht einfach zu bewerkstelligen. Ohne Bewehrung kann ein nach heutigen Normen bemessener DFB nur für Tragwerke eingesetzt werden, in denen nur Druckspannungen vorherrschen, oder für welche keine statische Anforderungen vorhanden sind, oder für welche die Tragsicherheit über Versuche nachgewiesen ist. Es gibt entsprechend keinen Massenmarkt tauglichen Rahmen, der uns sagt, wie wir DFB-Bauwerke auf zuverlässige Weise entwerfen und bauen können.

All diese Herausforderungen müssen angegangen werden, wobei gleichzeitig allgemeine Überlegungen wie sozioökonomische Auswirkungen und Nachhaltigkeit zu berücksichtigen sind. Weitere Einzelheiten zu den aktuellen Herausforderungen der digitalen Fertigung mit Beton werden in verschiedenen Übersichtsartikeln wie (Wangler et al. 2019), (Khan et al. 2020) und (Menna et al. 2020) behandelt.

Was passiert an der ETH Zürich?

Im Jahr 2014 wurde der vom SNF finanzierte NFS Digital Fabrication ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um eine schweizweite “Initiative, die Entwicklung und Integration digitaler Technologien im Bereich der Architektur” vorantreibt (dfab.ch). Das Projekt ist in verschiedene Bereiche unterteilt, die sich mit unterschiedlichen Aspekten der Digitalisierung der Bauindustrie befassen. Einer der Bereiche konzentriert sich auf DFB. Innerhalb dieses Bereiches werden an der ETH Zürich verschiedene Technologien wie Smart Dynamic Casting (Lloret Fritischi 2016), Eggshell (Burger et al. 2020), MeshMould (Hack 2018), KnitCrete (Popescu 2019) und 3DDB (Anton et al. 2020) interdisziplinär untersucht (siehe Abbildung unten).

Digitale Fertigung mit Beton an der ETH Zürich: L.n.r.: Smart Dynamic Casting (Quelle: (Lloret Fritischi 2016)), Eggshell (Quelle: (Burger et al. 2020)), 3DDB (Quelle: (Anton et al. 2020), Foto: Keerthana Udaykumar), Mesh Mould (Quelle: GKR).

An der Professur für Massiv- und Brückenbau befassen wir uns mit den tragwerksrelevanten Aspekten dieser neuen Technologien. Wir fragen uns: Wie können wir statisch einwandfrei funktionierende Bauteile bauen? Wie können wir eine Win-Win-Situation bei der Kombination von Bewehrung mit DFB-Verfahren schaffen? Gibt es Bewehrungsansätze, die sich im konventionellen Stahlbeton nicht durchsetzen konnten, aber im Bereich der DFB neue Möglichkeiten bieten könnten? Wie werden wir die Elemente verbinden und wie werden die Lasten übertragen?

Mit einem Team von Doktoranden und PostDocs gehen wir diesen Fragen nach, indem wir Versuchskörper herstellen, diese in unseren Labors testen und, falls nötig, exisitierende Modele anpassen oder neue entwickeln. Die Abbildung unten zeigt einige Beispiele aus unseren aktuellen Forschungsarbeiten.

Auszug aus verschiedenen Forschungsarbeiten am Lehrstuhl für Massiv- und Brückenbau. Links: Bewehrungsstrategien für DFB (Quelle: (Gebhard et al. 2021a) und (Gebhard et al. 2021b)). Mitte: Textile Bewehrung für DFB (Quelle: Minu Lee). Rechts: Versuche zu mit DFB hergestellten Schubverbindungen (Quelle: Patrick Bischof).

Wo geht die Reise hin?

Die Träume für DFB-Technologien sind gross: vom Drucken mehrstöckiger Gebäude bis hin zu Kolonien auf dem Mars. Allerdings befinden sich heute die DFB-Technologien noch im Entwicklungsstadium. Es müssen noch viele Herausforderungen bewältigt werden, bevor DFB zu einem festen Bestandteil der Bauindustrie wird. Die Bauindustrie steht in den kommenden Jahrzehnten von einigen grossen Aufgaben. DFB stellt dabei ein spannendes Forschungsgebiet dar, das einen Anteil für die Lösungen liefern wird, wie gross dieser Anteil aber sein wird, wird sich noch zeigen.


Lukas Gebhard


Kommentieren Sie diesen Beitrag auf LinkedIn oder Instagram

Link to English version: Performance-based generative design of network tied-arch bridges


Die Methode des Generative Design (GD) [1] wurde kürzlich auch im Bauwesen eingeführt und markiert einen Wandel in Konzeption, Entwurf und Realisierung der gebauten Umwelt. Die Grundidee hinter GD ist die effiziente Generierung von Entwurfsalternativen ausgehend von einem parametrischen Modell einer baulichen Struktur unter definierten Leistungskriterien und Randbedingungen, sodass den Beteiligten eine informations- und datenbasierte Entscheidungsfindung ermöglicht wird. Zu diesem Zweck stellt die GD eine Methode zur Entwurfsautomatisierung und -optimierung dar, welche seit diesem Jahr ebenfalls in kommerziellen Produkten der Ingenieurpraxis wie AUTODESK REVIT etc. verfügbar ist und bereits erste publizierte Anwendungen vorweisen kann, z. B. [2].

Im Bereich des Bauingenieurwesens stellen Infrastrukturbauwerke und insbesondere Brücken ein potentielles Anwendungsfeld von Generativem Design dar. Andererseits gibt es bis heute keinen ausgereiften durchgehend digitalen und somit rechnergestützten Entwurfs- oder Optimierungsansatz für Brücken, da sich diese Aufgabe durch nichtlineare Interaktionen der Brückenkomponenten und eine enorme Anzahl geometrischer und materieller Entwurfsvariablen sehr komplex gestaltet. Daher ist die Optimierung von Brücken mühsam, zeitaufwendig und stark von der Erfahrung des jeweiligen Ingenieurs bzw. Ingenieurin abhängig. Die kollektive Auswertung von Entwurfserkenntnissen und -mustern wird nur in begrenztem Umfang durchgeführt, eine systematische und methodische Bewertung durch moderne Algorithmen des maschinellen Lernens (ML) ist somit nicht möglich, siehe Abbildung 1 (links).

Abbildung 1: Übersicht zum „Bridge Genome Project”: (links) herkömmlicher Brückenentwurf; (rechts) KI-basierter GD Brückenentwurf, aus [3].

Um das erwähnte Problem beim Brückenentwurfs anzugehen, haben wir das “Bridge Genome Project” initiiert. Darin wird die Forschungshypothese evaluiert, dass der heute verfolge Ansatz beim Entwurf durch den Einsatz moderner ML-Methoden in Verbindung mit Datenbanken über bestehende Bauwerke und GD erheblich unterstützt und verbessert werden kann. Das Konzept zur Erzielung dieser Idee ist in Abbildung 1 (rechts) dargestellt. Die Idee hinter dem “Bridge Genome Project” ist es, Informationen über bestehende Bauwerke zu sammeln, um die zugrundeliegenden Muster des Brückendesigns (das “Design-Genom”) mit ML zu identifizieren. So trainierte ML Modelle dienen dann als Ausgangspunkt für weitere GD-Studien im Zuge neuer Projekte. Zur Überprüfung des Konzepts (proof of concept) werden im Rahmen dieser Studien ausschließlich Netzwerkbogenbrücken untersucht.

Der vorgeschlagene Arbeitsablauf besteht aus den folgenden fünf Schritten, vgl. Abbildung 2:

  1. Erfassung der Strukturdaten von Brücken in einer Datenbank;
  2. Durchführung einer Clusteranalyse durch unüberwachte ML-Algorithmen;
  3. Durchführung von Vorhersagen durch ML-Regressions-/Klassifizierungsalgorithmen, um initiale Brückenmodelle (Priormodelle) zu erstellen;
  4. Zuführung der Priormodelle der Brücken in den GD-Prozess in Grasshopper / Rhino;
  5. Optimierung von Entwurfsalternativen mit Grasshopper / Rhino [4].
Abbildung 2: Details zu den notwendigen Arbeitsschritten innerhalb des „Bridge Genome Project”, aus [3].

Auf der Grundlage eines vorverarbeiteten Datensatzes von weltweit existierenden Netzwerkbogenbrücken wurde eine Clusteranalyse durchgeführt, um latente Strukturen innerhalb der Brückendaten mit Hilfe von zwei unüberwachten Lernalgorithmen, K-Prototype [5] und DBSCAN [6], zu identifizieren. Beide Algorithmen konnten konsistente Strukturen in den Daten erkennen, z.B. dass eine Ähnlichkeit aller Brückenparameter für Netzwerkbogenbrücken in Abhängigkeit der Spannweiten besteht (siehe Titelbild). Anschließend wird auf den Clustern ein Priormodell trainiert, welches in der Lage ist, geeignete Brückenparameter für neue Projekte in einer vordefinierten Reihenfolge vorherzusagen. Da es sich im vorliegenden Fall um gemischte Datentypen handelt, wird hier der CatBoost-Algorithmus [7] eingesetzt, da dieser gleichzeitig Regressions- und Klassifikationsmöglichkeiten anbietet.

Nach der Generierung von Brückenentwürfen mit diesem Priormodell werden die parametrischen Strukturmodelle zur Optimierung in Grasshopper und Karamba3D in der Rhino 7-Umgebung übergeben. Hierbei kann das generative Modell ein Echtzeit-Feedback bezüglich statischer aber auch weiterer Kriterien für alle Parameteränderungen liefern. Dazu wird das Plug-in Octopus eingesetzt, um mit Hilfe des genetischen Optimierungsalgorithmus HypE die multikriterielle Optimierungen der Brückenparameter durchzuführen. Im Rahmen der hier vorgestellten Studie wurden als Zielfunktionen die Materialkosten, statische Ausnutzung (hier vereinfacht 2D und linear elastisches Werkstoffverhalten angenommen) sowie ein neu entwickelter ML-basierter Prädiktor für die ästhetische Qualität des Brückenentwurfes untersucht. Beispielhafte Ergebnisse der Optimierungen sind in Abbildung (3) dargestellt. Dabei umfassen die Ergebnisse die Berücksichtigung der Kriterien (i) Materialkosten und statische Ausnutzung (Pareto-Front durch grüne Punkte markiert); (ii) Materialkosten, statische Ausnutzung und ästhetisches Empfinden (Pareto-Front durch lila Punkte markiert).

Abbildung 3: Beispielhafte Ergebnisse für verschiedene multikriterielle Optimierungen, aus [3].

In der hier vorgestellten Proof-of-Concept-Studie zu Netzwerkbogenbrücken erweist sich der entwickelte mehrstufige ML-Ansatz für ein automatisiertes Generatives Design von Brücken als wertvolle Unterstützung des Planenden, insbesondere in frühen Entwurfsphasen eines Projekts. Unser Ansatz ermöglicht einen effizienten statischen Entwurfs- und Optimierungsprozess von Brücken und stellt eine allgemeine Methode zur Verfügung, welche direkt auf andere geeignete Datensätze weiterer baulicher Strukturen wie z.B. Hallen oder Wohngebäude, angewendet werden kann. Der vorgeschlagene ML-Ansatz ermöglicht durch den Clustering-Schritt einerseits die Identifizierung, Extraktion und Analyse von Entwurfsmustern der gebauten Umwelt, welche dann einer weiteren Interpretation und Diskussionen durch Fahleute zugeführt werden kann. Das kalibrierte Priormodell formalisiert dieses Designwissen und ermöglicht die Erzeugung neuer Designs in einem frühen Projektstadium. Die so generierten Entwürfe können dann in die Grasshopper/Rhino-Optimierungsschleife eingespeist werden, um auf automatisierte Weise Leistungsinformationen (z. B. statische Ausnutzungen, Kosten aber auch Ästhetik und Nachhaltigkeit usw.) zu erhalten. Es konnten aber auch Einschränkungen und Kritikpunkte bei diesem Ansatz festgestellt werden. Dies sind die epistemischen Unsicherheiten des Priormodells aufgrund der geringen Größe und Bias des Datensatzes für das Modelltraining. Darüber hinaus ist der Einsatz von Fachwissen und Kreativität eines Bauingenieurs bzw. Bauingenieurin nach wie vor erforderlich, da das maschinelle Lernmodell potenziell ungünstige Entwürfe aus den Daten gelernt haben könnte, Innovationen aufgrund der aktuellen Formulierung des GD-Ansatzes selten vorkommen und die Pareto-Optimalität eine endgültige Stakeholder-Entscheidung über die Abwägung mehrerer Leistungsziele (z. B. Budgetierung vs. statische Ausnutzung usw.) erzwingt.


Dr. Michael A. Kraus


Kommentieren Sie diesen Beitrag auf LinkedIn oder Instagram


Literatur

[1] https://www.autodesk.com/solutions/generative-design

[2] https://archistar.ai/blog/4-examples-of-generative-design-in-action/

[3] Kuhn, S. (2021): Parametric Modelling and Generative Design – A Multi-Step Machine Learning Approach for Design and Optimization of Network Tied-Arch Bridges, Master Thesis, ETH Zurich

[4] McNeel, R., & others. (2010). Rhinoceros 3D, Version 7.0. Robert McNeel &amp; Associates, Seattle, WA.

[5] Huang, Z. (1997): Clustering large data sets with mixed numeric and categorical values, Proceedings of the First Pacific Asia Knowledge Discovery and Data Mining Conference, Singapore, pp. 21-34.

[6] https://scikit-learn.org/stable/modules/generated/sklearn.cluster.DBSCAN.html

[7] Dorogush, A., Gulin, A., Gusev, G., Kazeev, N., Prokhorenkova, L., Vorobev, A. (2017): Fighting biases with dynamic boosting, arXiv:1706.09516.

Link to English version: On the fire safety engineering in structural concrete

Ein brennender Raum kann sich in Abhängigkeit seiner Grösse, Belüftung und Brandlast in wenigen Minuten auf über 1000°C erhitzen. Solch eine Brandbeanspruchung verursacht für Stahlbetontragwerke:

Das Verhalten von Stahlbetontragwerken unter Brandeinwirkung wird durch eine Vielzahl von Parametern beeinflusst, hauptsächlich die Brandlast, die Zusammensetzung des Betons und dessen Feuchtigkeit, Spannungen und Dehnungen statischen oder thermischen Ursprungs, die Geometrie und die konstruktive Durchbildung. Abhängig von der Brandeinwirkung, der verwendeten Materialien und des Tragwerks ergeben sich beispielsweise bei Stützen erhöhte Auslenkungen oder bei statisch unbestimmten Systemen veränderte interne und externe Spannungszustände. So waren beispielsweise erhöhte Stützenkopfauslenkungen der Hauptgrund für das Versagen einer Lagerhalle in Gent (1974) (s. Bild), während Kraftumlagerungen zur Innenstütze das Versagen der Einstellhalle in Gretzenbach (2004) (s. Bild) mitverursacht haben.

Eingestürzte Lagerhalle in Gent (1974) [Taerwe, 2007]
Eingestürzte Einstellhallendecke in Gretzenbach (2004) [www.vtg.admin.ch]

Oftmals ist es bei Schadensfällen, aber auch bei grossmasstäblichen (repräsentativen) Brandversuchen schwierig bis unmöglich, alle auftretenden Phänomene zu erklären. Bei Schadensfällen kann nach den Löscharbeiten nur mit grossen Unsicherheiten bestimmt werden, welcher Schaden wann aufgetreten ist. Ebenso können bei Brandversuchen nur die Temperatur, Verformungen und äussere Kräfte zuverlässig gemessen werden, um das lokale und globale Verhalten von Versuchskörpern zu diskutieren. Trotzdem konnte dank umfangreicher experimenteller Studien (ergänzt durch theoretische Überlegungen) zum Brandverhalten von Stahlbetontragwerken zwischen 1960 und 1990 (z.B. an der TU Braunschweig unter der Leitung von Prof. Kordina) vergleichsweise einfache Tabellen, konstruktive Regeln und einfach anzuwendende Materialmodelle für Normbrandbedingungen hergeleitet werden. Damit wurde der Nachweis des Feuerwiderstands von Stahlbetontragwerken eine einfache Aufgabe – berechtigterweise, da sich Stahlbetontragwerke im Brandfall bei heute normalerweise verwendeten Querschnittsabmessungen und Bewehrungsüberdeckungen gutmütig verhalten. Das gutmütige Verhalten von Stahlbeton im Brandfall rührt vor allem daher, dass (i) sich Beton vergleichsweise langsam aufheizt und folglich die Bewehrung vor Wärme schützt, (ii) Betonquerschnitte im Vergleich zu Querschnitten anderer Baustoffe massiv sind und (iii) Stahlbeton nicht brennt und folglich selbst nicht zur Brandlast beiträgt. Entsprechend einfach ist der Brandwiderstand von Stahlbetonbauten in den meisten Fällen durch konzeptionelle Entscheide und schnelle Überprüfungen mithilfe von Tabellenwerken gewährleistet (nicht umsonst präsentiert die SIA 262 die wichtigsten Prinzipien zur Brandbemessung auf zwei kurzen Seiten).

Ein gutes Beispiel für das gutmütige Verhalten von Stahlbeton bei hohen Temperaturen ist der Brand des siebengeschossigen Parkhauses der Liverpool Echo Arena (Abmessungen: 70 m x 60 m) im Jahr 2017. Der Brand und die Brandlast in Liverpool waren in ihrem Ausmass beispiellos (bis zu 1400 Fahrzeuge brannten während mehrerer Stunden aus). Das Parkhaus bestand aus Stützen, Trägern, Treppenhauskernen und vorfabrizierten Rippenplatten. Die vorfabrizierten Rippenplatten wurden stark beschädigt resp. stürzten teilweise ganz ein, der Rest des Tragwerks blieb jedoch praktisch unbeschädigt (s. Bild, Referenz: Structural-Safety).

Brandschäden im Parkhauses der Liverpool Echo Arena, Bildquelle: Merseyside Fire & Rescue Service (MFRS)

Für die Projektierung oder Überprüfung von Bauwerken mit grossem Schadens- resp. Personenrisiko (z.B. Spitäler, Hochhäuser, Tunnel) und von Bauteilen mit schlanken Abmessungen oder aus neuartigen Betonen sind allerdings Tabellen ungenügend oder gar nicht anwendbar. Um Projektierungsarbeiten für solche Tragwerke oder Bauteile gewissenhaft durchführen zu können, ist ein vertieftes Verständnis für das Brandverhalten von Stahlbetonbauten notwendig. Vor dem Hintergrund der Anstrengungen zur Klimaneutralität kann davon ausgegangen werden, dass über die Anwendung von Tabellen hinausgehende Studien in Zukunft gar vermehrt nötig sein werden, weil:

Gerade das explosive Abplatzen von vorfabriziertem Beton unter Brandbedingungen hat das Brandingenieurwesen in den letzten 10 Jahren auf den Bürotisch der/des projektierenden Schweizer Bauingenieurin/Bauingenieurs gebracht – und so auch auf meinen Bürotisch beim Start meiner wissenschaftlichen Arbeit in der Gruppe von Prof. Walter Kaufmann an der ETH Zürich. Nach anfänglichen Arbeiten zum explosiven Abplatzen mit der Idee, die Grundlagen für die Korrigenda C1 der SIA 262 im Jahr 2017 zu erweitern, konnten wir in den letzten vier Jahren vor allem im Rahmen der Revisionsarbeiten für die EN 1992-1-2 das Brandingenieurwissen in unserer Gruppe kontinuierlich ausbauen.

Mit dem Wissen um die Relevanz des Brandingenieurwesens unterrichten wir dieses im Stahlbetonbau jedes Jahr im Rahmen der Vorlesung «Advanced Structural Concrete» (Masterstudiengang Bauingenieurwesen der ETH Zürich) und neu auch im Rahmen des MAS-Lehrgangs Fire Safety Engineering (eingeführt und organisiert durch die Professur Holzbau der ETH Zürich). Wir stellen das Material- und Tragwerksverhalten unter Brandbedingungen vor und präsentieren die Anwendung, Stärken und Grenzen der in den Normen verfügbaren Nachweisverfahren. Basierend auf diesem Wissen fördern wir die Fähigkeit, die Plausibilität der mit allgemeinen Berechnungsverfahren bestimmten Ergebnisse zu überprüfen. Darüber hinaus geben wir einen Überblick zur Überprüfung der Brandsicherheit bestehender Bauwerke. Nicht zuletzt wollen wir das Verständnis für die der Norm zugrundeliegenden Annahmen vermitteln, damit zukünftige projektierende Bauingenieure*innen die von der Norm nicht abgedeckten Problemstellungen erkennen.


Patrick Bischof


Kommentieren Sie diesen Beitrag auf LinkedIn oder Instagram

Link to English version: Riccardo Morandi – Pioneer of Bridge Design or bad engineer?

Morandi’s Polcevera-Viadukt

Der über einen Kilometer lange Polcevera-Viadukt, gebaut in den Jahren 1963-1967, führte die Autobahn A10 in rund 40 m Höhe über den Fluss Polcevera, die Bahnlinie Turin-Genua, zwei Rangierbahnhöfe und ein Industriegebiet. Die drei markanten, 90 m hohen Pylone im Bereich der rund 220 m langen Hauptspannweiten machten den Viadukt nach seiner Einweihung (zur Bildergalerie) innert Kürze zu einem Wahrzeichen Genuas und einer der bekanntesten Brücken von Riccardo Morandi.

Der damals grösste Viadukt Europas (zum Video) war in verschiedener Hinsicht innovativ, auch wenn Morandi vieles von seiner 1962 fertiggestellten Brücke über den Maracaibo-See in Venezuela übernahm. So sind beispielsweise die Hauptspannweiten beider Viadukte als mehrfeldrige Schrägseilbrücken ausgebildet,  ihre Pylone sehr ähnlich gestaltet und die Regelspannweiten bestehen aus vorfabrizierten Elementen. Beim Polcevera-Viadukt verwendete Morandi jedoch erstmals vorgespannte Betonzugglieder als Schrägseile, um deren Steifigkeit zu erhöhen, und die Hauptspannweiten wurden mit Hilfe temporärer Spannglieder frei vorgebaut, was bei den grossen Spannweiten auch heute noch eine Herausforderung wäre.

Polcevera-Viadukt: Freivorbau der Hauptspannweiten [1].

Durch den hohen Vorfabrikationsgrad und den Freivorbau konnte der Polcevera-Viadukt sehr schnell gebaut werden. Da die Plangenehmigung durch die Bahnbetreiber einige Zeit in Anspruch nahm, dauerte die Ausführung zwar länger als bei der über acht Kilometer langen Brücke über den Maracaibo-See, die in einer Rekordzeit von nur 40 Monaten (!) gebaut wurde. Ohne die genannten Verzögerungen hätten die Hauptspannweiten aber in nur 23 Monaten ausgeführt werden können [1].

Brücke über den Maracaibo-See: Vorläufer des Polcevera-Viadukts (8678 m lang, gebaut in nur 40 Monaten) © wikipedia.org.

Der Polcevera-Viadukt war zudem ein äusserst wirtschaftliches und effizientes Bauwerk, das beispielsweise pro Quadratmeter Brückenfläche nur gerade einen Drittel des (damals teuren) Spannstahls verbrauchte wie die zur gleichen Zeit ausgeführte Bendorfer Brücke, die den Rhein bei Koblenz mit vergleichbarer Hauptspannweite quert. Im Vergleich zur inzwischen fertiggestellten, von Renzo Piano entworfenen neuen Brücke waren der Ressourcenverbrauch und die Treibhausgasemissionen von Morandi’s Polcevera-Viadukt trotz seiner wesentlich grösseren Spannweiten signifikant geringer; Der Ersatzneubau ist durch das gewählte statische System (Aufnahme eines grossen Teils der Lasten als Einfeldträger) und die Querschnittsausbildung (viel Material im Bereich der Neutralachse) statisch ineffizient. Während ersteres durch die notwendige schnelle Montage der einfeldrigen Stahlträger gerechtfertigt werden kann, ist die rein gestalterisch begründete Querschnittsausbildung (sie soll anscheinend an ein Schiff erinnern) schwer nachvollziehbar: Ein statisch effizienter, leichter Querschnitt wäre viel wirtschaftlicher und klimaschonender gewesen und auch für die schnelle Montage vorteilhaft, und hätte gewiss ebenso ansprechend gestaltet werden können.

Einsturz

Vor ziemlich genau drei Jahren, am 14. August 2018, stürzte ein rund 250 m langer Abschnitt im Bereich des westlichen Pylons ein und riss 43 Menschen in den Tod. Nach heutigem Kenntnisstand [2] wurde der Einsturz durch den Bruch eines Schrägseils ausgelöst, was zum Kollaps des gesamten Pylons mit dem zugehörigen Teil des Überbaus, inklusive der angrenzenden Einhängeträger, führte. Das Schrägseil brach dabei nahe der oberen Verankerung infolge gravierender Korrosion, verursacht durch die mangelhafte und teils sogar fehlende Injektion der Hüllrohre in diesem Bereich.

Schwachpunkte des Tragwerkskonzepts

Nach dieser Tragödie kritisierten verschiedene Berufskollegen das Konzept der Brücke und Riccardo Morandi als Ingenieur. Einige der vorgebrachten Kritikpunkte sind dabei schlicht falsch, und zeugen teilweise von mangelnder Fachkompetenz der Kritiker. So wurde beispielsweise angeführt, das Konzept der Brücke sei grundsätzlich schlecht, was man daran erkenne, dass weltweit nur drei solche Brücken gebaut worden seien. Tatsächlich gibt es sehr viel mehr solcher Brücken – sowohl von Morandi als auch von anderen Projektverfassern – insbesondere in Deutschland, wo sie als “Zügelgurtbrücken” bekannt sind. Konkreter wurde bemängelt, dass die Pylone viel zu steif seien, wodurch viele Dilatationsfugen notwendig wurden – offenbar in Unkenntnis der Tatsache, dass mehrfeldrige Schrägseilbrücken entweder steife Pylone oder einen sehr steifen Überbau benötigen [3]. Auch die Ausführung der Schrägseile als vorgespannte Betonzugglieder anstelle nackten Stahls wurde bemängelt, ohne zu realisieren, dass Morandi diese Lösung bewusst gewählt hatte, da durch die Vorspannung des Betons eine rund fünfmal höhere Steifigkeit erreicht wurde als mit dem Spannstahl alleine.

Dass solche für Fachleute offensichtlich falsche Argumente den Weg in die Nachrichten schaffen, geschieht leider nach allen grossen Schadenereignissen, die eine breite Öffentlichkeit interessieren: Journalisten der Tagespresse lassen jeweils nichts unversucht, um möglichst schnell pointierte Aussagen von Experten zu Ursachen und Schuldigen abdrucken zu können. Diese Aussagen stammen aber selten von wirklich kompetenten Fachleuten, da diesen bewusst ist, dass ohne detaillierte Kenntnisse von Objekt und Einsturzhergang (was Wochen oder Monate dauert) über Ursachen höchstens spekuliert werden kann.

Polcevera-Viadukt: Installation der Vorspannkabel in einem Schrägseil [1].

Ein Kritikpunkt, der grundsätzlich zutrifft, bezieht sich auf die durch Morandi unterschätzten Langzeiteffekte des Betons, insbesondere des Kriechens. Mit heutigen Berechnungsmethoden können wir relativ gut aufzeigen, dass ein grosser Teil der Vorspannung der Schrägseile des Polcevera-Viadukts im Laufe der Zeit verloren ging, so dass der Beton dekomprimierte und schliesslich riss, wie dies in verschiedenen Zustandsuntersuchungen auch tatsächlich festgestellt wurde. Diese Risse – und das damit einhergehende wechselfeuchte Milieu direkt am Spannstahl – beschleunigten mutmasslich die Korrosion des Spannstahls der Schrägseile. Die Langzeiteffekte verursachten zudem Durchbiegungen des Überbaus, die den Fahrkomfort beeinträchtigten.

In verschiedener Hinsicht entsprach auch das Tragwerkskonzept der Brücke tatsächlich nicht dem heutigen Stand der Technik, insbesondere hinsichtlich Robustheit: Offensichtlich waren die Folgen des Versagens eines einzigen Schrägseils beim Polcevera-Viadukt unverhältnismässig gross. Moderne Schrägseilbrücken werden hingegen so bemessen, dass einzelne Schrägseile ohne Konsequenzen für das Tragwerk ausfallen können. Zudem sind Schrägseile heute mehrfach korrosionsgeschützt und so ausgebildet, dass Schäden frühzeitig erkannt und betroffene Litzen ausgetauscht werden können; beim Polcevera-Viadukt war die Betonüberdeckung hingegen sehr gering, und der Spannstahl war nur teilweise durch Hüllrohre geschützt. Der Durchmesser der Hüllrohre war  zudem aus heutiger Sicht für eine zuverlässige Injektion, die wegen der grossen Höhe der Pylone ohnehin sehr anspruchsvoll war, zu klein gewählt. Aufgrund von Korrosionsschäden wurden denn auch bereits 1993 die Schrägseile von zwei der drei Pylone verstärkt – nur der westliche Pylon, bei dem die Korrosion damals am wenigsten fortgeschritten war, wurde nicht verstärkt, was den Einsturz 2018 zur Folge hatte.

Beurteilung

Aus heutiger Sicht beurteilt wies das Tragwerkskonzept des Polcevera-Viadukts also tatsächlich Schwächen auf. War Morandi also kein Pionier des Brückenbaus, sondern vielmehr ein schlechter Ingenieur – wie von einigen Kritikern behauptet? Meine Meinung dazu ist klar: Es ist unfair, ein Bauwerk, das vor mehr als einem halben Jahrhundert gebaut wurde, an heutigen Ansprüchen zu messen. Als Morandi seine Brücken entwarf, wurden Brücken primär an ihren Kosten und an der Bauzeit gemessen – und diesbezüglich war der Polcevera-Viadukt kaum zu übertreffen.

Robustheit war dagegen damals schlicht kein prioritäres Entwurfsziel, so dass Defizite in dieser Hinsicht bei Bauwerken aus dieser Zeit eher die Regel sind als eine Ausnahme. Als Beispiel seien statisch bestimmte Fachwerkbrücken erwähnt, wie sie damals vor allem in Nordamerika üblich waren: Versagt ein einziger Fachwerkstab oder ein Knotenblech, stürzt die gesamte Brücke ein – so geschehen leider im Jahr 2007 bei der Interstate 35W-Brücke über den Mississippi (Baujahr 1967 wie der Polcevera-Viadukt).

Auch hinsichtlich Dauerhaftigkeit weisen sehr viele Brücken aus der damaligen Zeit Probleme auf, da sehr kleine Betonüberdeckungen üblich waren. So sind auch Brücken von zweifellos herausragenden Brückenbauern von schwerwiegenden Korrosionsschäden betroffen, beispielsweise die Crestawaldbrücke von Christian Menn. Einen Vorwurf kann man den Projektverfassern aber kaum machen, da die Problematik der Korrosion durch Chloride damals weitgehend unbekannt war. Erstaunlich ist vielmehr, dass die Betreiber beim Polcevera-Viadukt trotz klarer Anzeichen schwerer Korrosionsschäden keine Massnahmen ergriffen, um den westlichen Pylon zu verstärken – analog zur Verstärkung der anderen Pylone 25 Jahre vor dem Einsturz.

Verbleibt noch die Unterschätzung der Langzeiteinflüsse des Betons, die einen Kritiker gar dazu verleitete zu behaupten, Morandi habe eine gute Intuition gehabt, aber nicht viel Übung im Berechnen (“aveva grandi intuizioni, pero non grande pratica di calcolo”). Diese Kritik ist komplett unangebracht: Aus den Publikationen von Morandi ist ersichtlich, dass er auch analytisch ein Meister seines Fachs war. Dass er die Kriechumlagerungen unterschätzte lag vielmehr daran, dass dieses Phänomen zum Zeitpunkt der Projektierung des Polcevera-Viadukts schlicht noch nicht hinreichend erforscht war [4,5].

Beurteilt man seine Brücken im Kontext der Zeit ihrer Projektierung und Erstellung, bleibt Riccardo Morandi zweifellos der Pionier des Brückenbaus, als der er vor der Tragödie von Genua anerkannt war. Dass seine Brücken nicht an heutigen Massstäben gemessen werden sollen bedeutet aber nicht, dass wir bei der Beurteilung der Tragsicherheit bestehender Bauwerke andere Massstäbe ansetzen dürfen als bei Neubauten: Zwar können die Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit reduziert und Einwirkungen sowie Baustoffkennwerte aktualisiert werden, da sie im Unterschied zu einem Neubau bekannt sind. Ein höheres Einsturzrisiko ist jedoch inakzeptabel. Wird bei der Untersuchung einer bestehenden Brücke ein solch erhöhtes Risiko erkannt, sind vertiefte Untersuchungen, Verstärkungsmassnahmen oder Lastbeschränkungen unumgänglich – so teuer und/oder unpopulär diese auch sein mögen.

Hierin unterscheiden sich Brücken von Autos: Wer einen Oldtimer mit Baujahr 1967 fährt – beispielsweise einen der Alfa Romeo GT1300 Junior auf dem Titelbild dieses Blogbeitrags – nimmt in Kauf, dass sein Fahrzeug weder ABS noch Airbags hat, ja nicht einmal ein Zweikreisbremssystem (das Alfa Romeo erst 1968 beim 1750 GT Veloce anbot). An ein solches Fahrzeug die gleichen Ansprüche wie an ein modernes Auto zu stellen oder gar moderne Sicherheitssysteme nachzurüsten, käme wohl kaum jemandem in den Sinn.


Walter Kaufmann


Kommentieren Sie diesen Beitrag auf LinkedIn oder Instagram

Literatur

[1] Morandi, R.: “Il Viadotto Polcevera dell’Autostrada Genova-Savona,” L’Industria Italiana del Cemento, No. 12, 1967, pp. 849– 872.

[2] Nutini, A.M, Rapporto della giudice per le indagini preliminari, 22.12.2020, 476 pp.

[3] Virlogeux, M., “Recent evolution of cable-stayed bridges,” Engineering Structures, Vol. 21, 1999, pp. 737–755

[4] Einfluss von Kriechen und Schwinden des Betons auf die Schnittgrößen und Spannungen, TH München, 1966

[5] Trost, H., “Folgerungen aus Theorien und Versuchen für die baupraktische Untersuchung von Kriech- und Relaxationsproblemen in Spannbetontragwerken”, IABSE Symposium Madrid, Vol. 5, 1970

Link to English version: International exchange during the pandemic

Unsere Gruppe kann durch Austauschforscherinnen in vielerlei Weise profitieren. Die tägliche Zusammenarbeit mit ausländischen Forscherinnen ist laut Dr. Jaime Mata Falcón der beste Weg, um unseren Kopf und unseren Forschungshorizont offen zu halten. Wir gewöhnen uns damit an ein globales Leben und die globale Wirtschaft. Ein internationaler Austausch von Forschungsideen und -methoden bietet zudem ein enormes Potenzial für Synergien und Fortschritt. Publikationen sind die klassischste Kommunikationsform in der Forschung. Obwohl sie ein wesentlicher Schritt des Teilens sind, neigen Veröffentlichungen dazu, unpersönlich zu sein und keinen hohen Dialog und keine Interaktion mit unseren Kolleginnen zu fördern. Die Zusammenarbeit mit Auslandsforscherinnen über längere Zeit schafft ein gemeinsames Verständnis sowohl auf persönlicher als auch auf beruflicher Ebene, und es wird eine tiefere Interaktion ermöglicht. Dies ist eine hervorragende Gelegenheit, unsere Ideen effizienter zu verbreiten, neue Perspektiven einzunehmen und langjährige Kooperationen aufzubauen. Während wir uns an die virtuelle Arbeit und Interaktion gewöhnen, bin ich überzeugt, dass diese Ergebnisse nur erreicht werden können, wenn man die Möglichkeit hat, einige Zeit von Angesicht zu Angesicht zu arbeiten und den anderen und seine Kultur kennenzulernen.

Leider hat die anhaltende Covid-19-Pandemie die Interaktion mit ausländischen Forscherinnen, die einige Zeit bei uns verbringen, erschwert. Um mehr Einblick in dieses Thema zu bekommen, teilen drei Austauschforscherinnen in diesem Beitrag ihre beruflichen und persönlichen Erfahrungen und wie diese von der Pandemie betroffen sind.

Erzähl uns von dir!

Ich bin Tobias Huber und komme aus Wien, Österreich. Ich bin 32 Jahre alt und arbeite als Postdoc im Bereich Betonbau. Mein Doktoratsstudium habe ich 2019 an der TU Wien abgeschlossen und meine Doktorarbeit beschäftigt sich mit dem Tragverhalten alter Betonbrücken. Seit geraumer Zeit versuche ich mit meiner Forschung neue Wege für schnelleres und nachhaltiges Bauen zu finden. Neben der Forschung liebe ich es, die Welt zu bereisen, Fußball zu spielen und außerdem bin ich leidenschaftlicher Vespa-Fahrer.

Mein Name ist Laura Esposito und ich bin 28 Jahre alt. Ich komme aus Italien und habe 2018 meinen Master-Abschluss in Bau- und Geotechnik an der Universität Neapel Federico II abgeschlossen. Nach dem Abschluss entschied ich mich, meine Karriere an der Universität mit einem Doktorat fortzusetzen. Das Thema meiner Forschung lautet: Innovative Strukturen durch die Umsetzung von 3D-Drucktechnologie in der Bauindustrie. Die Doktorarbeit ermöglicht es mir, sehr innovative Themen zu untersuchen und herauszufinden, wie sehr Automatisierung in allen Bereichen, einschließlich des Bauingenieurwesens, an Bedeutung gewinnen.

Mein Name ist Lisbel Rueda García und ich bin 29 Jahre alt. Nachdem ich 2017 meinen Master in Bauingenieurwesen an der Polytechnischen Universität Valencia UPV (Spanien) abgeschlossen hatte, schrieb ich mich als Doktorandin in Bauingenieurwesen ein. Meine Forschung konzentriert sich auf das Schubtragverhalten von Betonverbundträgern. Außerdem beschäftige ich mich auch mit dem Tragverhalten und der Ertüchtigung von Betonkonstruktionen unter Erdebenbeanspruchung.

Was machst du an der ETH Zürich?

(Tobias) Ich arbeite am NCCR-dfab-Projekt, einer herausragenden Schweizer Forschungsinitiative für digitale Fabrikation in Architektur und Bau. In einem interdisziplinären Team finden wir Wege, die Technologie des 3D-Drucks für Schalungen von Stahlbetonbauwerken zu nutzen. Mit dieser, durch Roboter ermöglichten, Formfreiheit ist es möglich, nicht nur Materialkosten und Arbeitsaufwand beim Schalungsbau zu senken, sondern auch die Konstruktionselemente zu optimieren. Dies führt zu einem geringeren Materialverbrauch. Wir werden versuchen, das Potential zu zeigen, indem wir einen Demonstrator einer Deckenplatte bauen.

(Laura) Während meines Doktorates hatte ich die Möglichkeit, prägende und spannende Erfahrungen in ganz Europa zu sammeln. An der ETH Zürich konzentriere ich mich zusammen mit meinem italienischen Tutor (Costantino Menna) und meinem Tutor an der ETH (Jaime Mata Falcón) auf Bewehrungsstrategien und deren Wirksamkeit in 3D-Betondruckstrukturen. Ich und Lukas Gebhard (ein ETH-Doktorand, derzeit an meiner Heimatuniversität) arbeiten zusammen und teilen experimentelle Ergebnisse, Fachkenntnisse und Know-how. Die Möglichkeit zu einem direkten Austausch mit einem ETH-Forscher war ein wesentlicher Grund für meinen Austausch. Darüber hinaus ermöglicht mir diese Erfahrung, mit einer der führenden Universitäten in der wissenschaftlichen Forschung zur Digitalen Fabrikation zusammenzuarbeiten.

(Lisbel) Von den spanischen Ministerien werden Stipendien zur Unterstützung von Auslandsaufenthalten vergeben, um die Zusammenarbeit mit einer anderen Universität im Forschungsprojekt und die berufliche und persönliche Entwicklung des Doktoranden an einer anderen Universität zu fördern. Dank dieser Unterstützung bin ich derzeit für drei Monate an der ETH, um die von mir am UPV getesteten Träger mit der Software IDEA StatiCa Detail, die auf der an der ETH entwickelten Compatible Stress Field Method (CSFM) basiert, numerisch zu modellieren.

Tobias beim Betonieren in der Bauhalle

Wieso hast du dich für die ETH Zürich entschieden?

(Tobias) Zu Beginn meines Doktoratsstudiums im Jahr 2016 hatte ich die Möglichkeit, an einem fib-Workshop zum Thema Schubtragfähigkeit von Betonbauwerken an der ETH-Zürich (Hönggerberg) teilzunehmen. Dort durfte ich Prof. Kaufmann und sein Team sowie die beeindruckende Bauhalle der ETH kennenlernen, welche als Gastgeber fungierten. Mir war sofort klar, dass die ETH Zürich und das IBK meine erste Adresse sein würden, wenn ich jemals die Chance hätte, im Ausland zu forschen.

(Laura) Meine Wahl hängt zweifellos damit zusammen, dass die ETH Zürich eine der führenden Universitäten im Bereich Digital Fabrikation ist. Die wissenschaftliche Forschung an der ETH wird dank der vielen Gruppen in hochmodernen Labors (wie dem Robotic Fabrication Lab) vorangetrieben. Darüber hinaus habe ich die Möglichkeit, meine Forschung zu einem der aktuellsten Themen in meinem Bereich zu verbessern: wie man 3D-betongedruckte Strukturen bewehrt.

(Lisbel) Schon vor der Pandemie, war es nicht einfach, einen Ort zu finden, an dem man ein Thema bearbeiten kann, dass die eigene Forschung verbessert, und zugleich Unterstützung durch einen Betreuer hat. Mit der Covid-Pandemie war es durch die Reisebeschränkungen noch schwieriger, den richtigen Platz zu finden. Jemanden an der ETH zu kennen – in meinem Fall Dr. Jaime Mata Falcón, der meiner Heimatuniversität angehörte – kann diese Suche erleichtern. Dies und die Tatsache, dass sie eine der renommiertesten Hochschulen im Bauingenieurwesen ist, machte die ETH zur perfekten Destination.


Lisbel bei der Salginatobel Brücke

Was ist der grösste Unterschied zu deiner Heimat-Universität?

(Tobias) Die Gruppe von Prof. Kaufmann ist etwa dreimal so groß wie unser Institut in Wien, was die Zahl der dort tätigen wissenschaftlichen Mitarbeiter angeht. Sie haben also eine große Vielfalt in ihren Forschungsthemen, was zu einem sehr fruchtbaren wissenschaftlichen Austausch führt, der aktiv gefördert wird. Sie organisieren zum Beispiel ein zweiwöchentliches Format namens Journal Club, in dem interessante Artikel und Fachbeiträge gemeinsam diskutiert werden. Dadurch bekomme ich viele neue Aspekte für meine eigene Arbeit.

(Laura) Alles an der ETH ist wirklich gross, etwa die Anzahl der Labore und Laborgeräte. Nicht zuletzt auch die Zahl der Personen, die in der Gruppe von Prof. Kaufmann tätig sind, und die Zahl der bearbeiteten Themen. Diese Faktoren sind grundlegend für das wissenschaftliche Umfeld, in dem experimentelle Aktivitäten, kontinuierlicher Austausch und Diskussion im Mittelpunkt stehen.

(Lisbel) Den größten Unterschied habe ich auf jeden Fall in der Teamatmosphäre gemerkt und diese werde ich wahrscheinlich am meisten vermissen. Im großen Forschungsteam von Prof. Kaufmann wird das Teilen von persönlichen Perspektiven gefördert. Die in privaten Unternehmen durchaus übliche Interaktion zwischen Menschen und Teams ist in der akademischen Forschung nicht immer gegeben. Ein Doktoratsstudium ist ein relativ langer Abschnitt in unserem Leben. Es ist sowohl auf persönlicher als auch auf beruflicher Ebene bereichernd, diese Etappe in einer Teamatmosphäre durchzuführen. Darüber hinaus schafft der Ideenaustausch wichtige Synergien.

Welchen Einfluss hatte die Pandemie auf deine Zeit an der ETH Zürich?

(Tobias) Meine Zeit hier begann offiziell im April 2021. Da die Zahl der Covid-Fälle in Wien im Februar/März gestiegen war, musste ich spontan etwas früher als geplant nach Zürich reisen, um eine Quarantäne zu vermeiden. Die Einschränkungen und die Fallzahlen in Zürich waren damals im Vergleich zu Österreich geringer, was das tägliche Leben auch recht entspannt machte. Zum Glück durfte ich auch einige Zeit am Hönggerberg verbringen. Darüber hinaus organisierte die Kaufmann-Gruppe virtuelle Kaffeepausen, was bei der Kontaktaufnahme sehr half.

(Laura) Ich freue mich sehr, hier zu sein, auch wenn dies keine leichte Phase ist. Wir alle erleben jetzt die Covid-Pandemie, die unseren Alltag beeinflusst. Trotzdem kann ich mit Schutzmaßnahmen das Campusleben, die Forschungs- und Laboraktivitäten und die Wunder dieses Landes genießen.

(Lisbel) Natürlich wurde das gesellschaftliche Leben in und außerhalb der Arbeit durch die Pandemie eingeschränkt. Die Tatsache, dass mir trotz Pandemie die Teamatmosphäre an meinem Aufenthalt gefallen hat, zeigt, dass die Gruppe durch neue Technolgien in Kontakt blieb. Obwohl ich viele Kollegen nicht persönlich treffen kann, werden regelmäßige virtuelle Treffen abgehalten, um berufliche und außerberufliche Themen zu besprechen, sodass Sie trotz der bestehenden Einschränkungen Kollegen sehen und von ihnen lernen können.

Laura mit den Kolleginnen der Kaufmann-Gruppe am Ütliberg

Was nimmst du aus dieser Erfahrung mit?

(Tobias) All diese Erfahrungen, die ich an der ETH gemacht und Neues gesehen habe, sind nun in meinem „wissenschaftlichen Rucksack“ verpackt. Ich bin überzeugt, dass dies meine zukünftige Forschung insgesamt verbessern wird. Mein Ziel ist es, zumindest einen Artikel über meine Experimente zu schreiben. Noch wichtiger finde ich jedoch dieses neue Netzwerk, das ich hier aufbauen konnte. Ich denke, dies wird zu erfolgreichen zukünftigen Kooperationen zwischen der ETH Zürich und der TU Wien führen.

(Laura) Die Auslandserfahrungen sind von beruflicher und persönlicher Seite wirklich prägend. Es ist wichtig, andere Kulturen, Lebensstile oder Traditionen zu kennen, um eigene und neue Facetten zu entwickeln, zu entdecken und zu schätzen. Hier an der ETH Zürich ist das einfacher, denn es ist wie eine kleine Stadt, in die Studierende aus allen Teilen der Welt kommen, um zu lernen und zu teilen.

(Lisbel) Diese Zusammenarbeit hat es mir ermöglicht, neue Leute zu treffen, die in meinem Forschungsgebiet tätig sind, was ich in Zeiten ohne Konferenzen zum Netzwerken sehr schätze. Der Aufenthalt an der ETH wird meinen Lebenslauf bereichern, ohne dabei meine Heimatuniversität abwerten zu wollen, da ich der Meinung bin, dass das an der UPV erworbene Wissen andere hoch angesehene Universitäten ebenwürdig ist. Andererseits haben die Arbeiten während dieses Aufenthaltes zu sehr interessanten Forschungsergebnissen geführt und eine Verbindung zwischen meiner Heimatuniversität und der ETH geschaffen, die zukünftige Kooperationen begünstigen könnte.

Tobias und seine Frau Letti beim Wandern am Monte Brè

Was war einzigartig während deiner Zeit an der ETH Zürich?

(Tobias) Die sehr hilfsbereiten und netten Leute hier am IBK und generell in der Schweiz. Ich würde mich freuen, mit meinen neuen Kollegen über die Jahre in Kontakt zu bleiben – nicht nur für Forschungsaspekte.

(Laura) Die Verbindung zwischen der Stadt Zürich und den Grünflächen. Auch hier, auf dem Hönggerberg, gibt es einen fantastischen Kontrast zwischen der Innovation und Technologie der ETH und der ländlichen Umgebung draußen.

(Lisbel) Die Menschen, die ich hier kennengelernt habe und die tollen Orte, die ich in der Schweiz besucht habe. Trotz des kurzen Aufenthalts habe ich das Gefühl, Freunde fürs Leben gefunden zu haben, mit denen ich meinen zukünftigen Doktortitel in Zürich oder in Valencia feiern kann.

Lisbel mit Kolleginnen beim Paella-Tag

Welcher kultureller Unterschiede warst du dir nicht bewusst?

(Tobias) Ich wusste, dass Fondue in der Schweiz ein Nationalgericht ist und ich habe es mir oft schmecken lassen. Was ich nicht wusste ist, dass es üblicherweise nur in der kalten Jahreszeit gegessen wird. Immer wenn ich einem Schweizer erzählte, dass ich Fondue gegessen habe, meinten sie, dass es eigentlich nicht die richtige Jahreszeit dafür sei, außer im Kanton Wallis ;-).

(Laura) Auch an Werktagen nach Büroschluss können die Menschen Freizeit und Freiraum genießen: Wanderungen, Spaziergänge um den See, Freizeitaktivitäten werden perfekt in den Alltag integriert.

(Lisbel) 1. Die Leidenschaft fürs Wandern und wie fit die Menschen deshalb sind, was bei diesen beeindruckenden Landschaften durchaus verständlich ist. 2. Die Mittagszeit gegen 12 Uhr statt 14 Uhr, was ich am Ende viel besser fand. 3. Die Schweizer anfangs nicht sehr offen ercheinen, sich aber nach nur einem einzigen Treffen ausserhalb der Arbeit die Beziehung zu einer wirklich guten Freundschaft wandelt.

Laura in Lugano

Tobias Huber, Laura Esposito und Lisbel Rueda García

Link to English version: The way to the automatic crack measurement in experiments on the load-bearing behaviour of concrete

Vor knapp fünf Jahren konnte ich im Rahmen einer Master-Projektarbeit erste Methoden für ein Rissmessungs-Tool zur Auswertung von Betonversuchen entwickeln. Das Ziel dabei war, aus den Messungen der Oberflächenverformung, die durch digitale Bildkorrelation gewonnen werden, automatisch Risse zu erkennen und deren Weite und Schiebung zu messen. Meine Betreuer Prof. Dr. Walter Kaufmann und Dr. Jaime Mata-Falcón hatten zu diesem Zeitpunkt bereits erste Ideen und Konzepte ausgearbeitet und auch einige Testdaten standen zur Verfügung. Nach Abschluss der Projektarbeit wurde das Tool stetig weiterentwickelt und vermehrt auch zur Auswertung unserer Versuche angewendet. Dabei zeigte sich das grosse Potential des Verfahrens, sodass es heute als Open-Source-Software unter dem Namen ACDM (für «automated crack detection and measurement») frei zur Verfügung steht. Die Benutzeroberfläche bietet eine einfache Anwendung, so dass auch bereits andere Forschungsinstitute auf dieses Tool zurückgreifen. In diesem Blogbeitrag geht es um den Weg zum heutigen ACDM, dessen Bedeutung in der experimentellen Forschung sowie um die wichtigsten Elemente, die dem Tool zum Durchbruch verhalfen.

Weshalb sind Rissmessungen in Versuchen so wichtig?

Um das Tragverhalten von Betonelementen besser zu verstehen und Modelle weiterentwickeln und validieren zu können, sind Belastungsversuche nötig, bei welchen das Rissverhalten genau erfasst wird. So ist zum Beispiel die Schubkraft, die über Risse übertragen werden kann, stark von der Unebenheit der Rissflächen und der Rissweite abhängig. Solche Grössen müssen genau erfasst werden, um Rissverzahnungsmodelle validieren zu können. Oftmals sind auch grossmassstäbliche Versuche notwendig, um Resultate zu erhalten, die repräsentativ für reale Tragwerke sind. Solche Grossversuche sind aber sehr aufwendig in der Durchführung und weisen im Allgemeinen ein komplexes Rissmuster auf, wobei die exakten Rissstellen nicht vorausgesagt werden können. Es wurden bereits verschiedene Messsysteme zum Messen von Rissen entwickelt, die aber in Ihrer Anwendbarkeit oftmals stark eingeschränkt sind. Das liegt hauptsächlich daran, dass die Auflösung und Genauigkeiten bezüglich der gemessen Risskinematiken, bestehend aus der Rissweite und –schiebung, meistens nicht ausreichen, um verlässliche Aussagen über das tatsächliche Trag- und Verformungsverhalten des Materials zu treffen. Das genaue Messen von Rissen mit einer hohen Auflösung ist deshalb zentral, stellt aber eine grosse Herausforderung dar.

Rissbreitenmessung von Hand durch Risslineale. Bildquelle: Ingenieurbüro Dressel.

Wie wurden Risse bis anhin gemessen?

Das bis vor einiger Zeit übliche Verfahren zur Messung von Rissen an Experimenten bestand darin, den Versuch an ausgewählten Last- oder Verformungszuständen zwischenzeitlich zu stoppen und relevante Rissbreiten von Hand durch Risslineale oder mit Risslupen direkt an der Versuchsoberfläche zu messen. Dieses manuelle Messverfahren ist aber anfällig für Messfehler und zudem sehr aufwendig, insbesondere bei Grossversuchen mit einer Vielzahl von Rissen. Ausserdem fehlen bei Elementen mit geringer Verformungskapazität in der Regel relevante Messungen nahe der Versagenslast aufgrund des damit verbundenen Risikos hinsichtlich der Sicherheit für das Personal.

Alternative Messverfahren – wie z.B. die Verwendung von DEMEC, NDI oder LVDTs («linear variable differential transformers») – verbessern die Genauigkeit der Rissmessungen sowie die zeitliche Auflösung, sind jedoch weiterhin beschränkt auf wenige vordefinierte Rissstellen und deshalb auch kaum oder nur schwer anwendbar auf komplexe Rissmuster, bei welchen die genauen Rissstellen in der Regel nicht vorausgesagt werden können.

Komplexes Rissmuster in einem grossmassstäblichen Scheibenversuch. Bildquelle: Beck 2021.

Welche Vorzüge bietet digitale Bildkorrelation (DIC)?

Unter digitaler Bildkorrelation (bekannt als DIC für «digital image correlation») versteht man ein kamerabasiertes Verformungsmessverfahren von Oberflächen, bei welchem die Verformung eines aus zufälligen Punkten bestehenden Oberflächenmusters durch Korrelationsalgorithmen gemessen wird. Aus den dabei gewonnenen vollflächigen und hochpräzisen Verschiebungsmessung können mit relativ einfachen Verfahren auch Oberflächendehnungen des Bauteils berechnet werden. Gegenüber herkömmlichen Messverfahren liefert DIC quasi-kontinuierlichen Messungen (räumlich und zeitlich), und eröffnet so neue Möglichkeiten zur sehr detaillierten und verlässlichen Erfassung des Rissverhaltens in Laborversuchen.

Zwar wird DIC bereits in vielen Forschungsinstitutionen zur Messung von Rissöffnungen und –schiebungen verwendet, jedoch werden die Resultate meistens nur an wenigen diskreten Stellen mittels manuell gesetzten Extensometern ermittelt, was zu Folge hat, das viele wertvolle Informationen verloren gehen. Solche manuelle Verfahren sind auch kaum anwendbar auf Grossversuche mit komplexen Rissmuster. Die in Grossversuchen erzeugten DIC Datenmengen sind extrem gross und können daher nur durch automatische Verfahren effizient zu brauchbaren Resultaten weiterverarbeitet werden. Zudem müssen die Rissöffnungen und -schiebungen über virtuelle Referenzpunkte, die etwas von den tatsächlichen Rissufern entfernt sind, bestimmt werden, um verzerrungsfreie Messungen zu erhalten. Das führt dazu, dass schon geringfügige Rotationen des Versuchskörpers berücksichtigt werden müssen (insbesondere für Rissschiebungsmessungen), was das Messverfahren um einiges erschwert. Hier muss jedoch erwähnt werden, dass letzterer Punkt für alle Rissmessverfahren gilt, bei denen Rissuferverschiebungen nicht direkt, sondern über Referenzpunkte, die nur schon geringfügig vom Rissufern entfernt liegen, gemessen werden (also auch für Rissmessungen mittels manueller DIC-Extensometer aber auch z.B. bei der Verwendung von DEMEC, NDI oder LVDTs).

Um DIC effizient zur Erfassung des Rissverhaltens in Betonversuchen einsetzen zu können – was durch andere bekannte Messverfahren nicht mit dieser Genauigkeit und Auflösung möglich wäre – wurden in unserer Forschungsgruppe von einigen Jahren erste Schritte in Richtung des heutigen vollautomatischen DIC-basierten Rissmessungs-Tools «ACDM» unternommen.

Was waren die ersten Schritte bei der Entwicklung von ACDM?

Das Grundkonzept von ACDM bestand von Anfang an darin, die Beziehung, dass die lokale Oberflächenzugdehnung an Rissen theoretisch unendlich gross wird, zu nutzen. Aufgrund der endlichen Auflösung des DIC und der Tatsache, dass das Dehnungsfeld oftmals gefiltert wird, um das Messrauschen zu verringern, resultieren an den Rissen jedoch endliche Zugdehnungen. Die Grösse der berechneten Hauptzugdehnung steht nun im Zusammenhang mit der Risskinematik, also mit der Rissöffnung (Verformung senkrecht zur Rissneigung) und der Rissschiebung (Verformung parallel zur Rissneigung). Somit suchten wir nach einem Verfahren, das Risse an Stellen mit hohen Hauptzugdehnungen extrahiert. Eine erste Lösung bestand darin, Zonen mit hohen Dehnungen zu bestimmen und diese dann durch bewährte morphologische Operationen in Risslinien (als Rissskelett) zu verdünnen.

Grundkonzept mit Funktionsschema von ACDM.

Die erkannten Risslinien haben gegenüber einzelnen unabhängigen Risspunkten den grossen Vorteil, dass für jeden Risspunkt die lokale Rissneigung berechnet werden kann, die unter anderem für die Bestimmung der Risskinematiken benötigt wird. Die Rissuferverschiebungen wurden in einem ersten Schritt mittels zweier Referenzpunkte (pro Rissufer) berechnet, damit – wie bereits erwähnt – lokale Rotationen des Versuchskörpers berücksichtigt werden konnten.

Benutzeroberfläche vom Open-Source-Programm ACDM.

Wie wurde ACDM zur vollautomatischen Software weiterentwickelt?

Die Methoden wurden von Anfang in eine Benutzeroberfläche integriert, um die Anwendung des Tools zu erleichtern. Bei Versuchen mit einem verhältnismässig einfachen Rissmuster zeigte sich schnell, dass ACDM sehr genaue Resultate zu den Rissorten und den Risskinematiken liefern konnte. Bei komplexeren Rissmuster zeigten sich aber Probleme mit verzerrten Resultaten in Bereichen nahe von Rissverzweigungen, bei welchen das Verfahren versagte. Deshalb wurde in einem nächsten Schritt das Verfahren zur Risserkennung überarbeitet. Anstelle von Zonen mit hohen Dehnungen, die zu Risslinien verdünnt werden, werden in der heutigen Version von ACDM die Risslinien direkt als Kanten im Dehnungsfeld extrahiert. Zudem wurde bei der Berechnung der Risskinematiken die Anzahl von Referenzpunkten erhöht und ein Algorithmus entwickelt, der die Verlässlichkeit der Resultate verbessert.

Verfeinertes Risserkennungsverfahren von ACDM.

ACDM steht der Öffentlichkeit unter https://gitlab.ethz.ch/ibk-kfm-public/acdm als Open-Source-Software zur Verfügung. In diversen Experimenten unserer Forschungsgruppe und insbesondere bei unseren Grossversuchen im Large Universal Shell Element Tester (LUSET) wurde ACDM bereits erfolgreich angewendet und konnte so zu relevanten neuen Erkenntnissen zum Tragverhalten von Beton beitragen. Beispielsweise haben Alexander Beck und Demis Karagiannis im Rahmen ihrer kürzlich veröffentlichten Doktorarbeiten 2.0 x 2.0 grosse Scheiben in LUSET getestet, wobei ACDM in der Auswertung der Versuchsresultaten verwendet wurde. Die damit gewonnenen Informationen zum Rissverhalten hatten eine zentrale Bedeutung bei der Entwicklung und Validierung ihrer mechanischen Modelle. Aber auch ausserhalb der ETH fand ACDM anklang und wurde schon in diversen Studien zur Auswertung von Experimenten genutzt.

Anwendung von ACDM auf einen Schubversuch in LUSET.

Damit das auch in Zukunft weiterhin so bleibt, sind wir daran, ACDM laufend zu verbessern. Ein Ziel, das wir zum Beispiel seit längerem verfolgen, ist die Echtzeitmessung von Rissen mittels ACDM, was uns ermöglichen würde, Versuche unter Steuerung von Rissweiten oder Rissschiebungen (was beispielsweise in Versuchen mit faserverstärkten Betonelementen wichtig ist) zu belasten. Weiteres Potential von ACDM sehen wir auch in der Überwachung bestehender Tragwerke zur Früherkennung von Schäden. Entsprechende Untersuchungen sind Gegenstand aktueller Forschung.


Nicola Gehri

Link to English version: Shear behaviour of lightly reinforced concrete membrane elements

Bei der Beurteilung der Tragsicherheit von bestehenden Tragwerken zeigt sich immer wieder, dass die momentan zur Verfügung stehenden Berechnungsmethoden unzureichend sind, insbesondere betreffend Schubtragfähigkeit. Das liegt daran, dass zur Analyse bestehender Tragwerke in der Regel die gleichen Modelle angewendet werden, die auch für die Bemessung neuer Tragwerke gelten, dass die Querkraftbewehrungsgehalte in alten Bauwerken aber auf Grund der früher geltenden Normbestimmungen oft sehr niedrig sind. In meiner Dissertation, die ich kürzlich erfolgreich verteidigt habe, versuchte ich das Verständnis des Lastverformungsverhaltens von Stahlbeton-Scheibenelementen mit sehr geringen Bewehrungsgehalten im ebenen Spannungszustand zu verbessern.

Versuchsaufbau und Versuchskörper der SL Testreihe.

Dazu wurde eine Serie von Schubversuchen an sechs grossformatigen Scheibenelementen mit sehr geringen vertikalen Bewehrungsgehalten von ρz=0.14…0.22%, sowie an einem uniaxial bewehrten Scheibenelement durchgeführt. Drei Elemente wurden unter einer reinen Schubbeanspruchung in der Ebene und vier Elemente unter einer Schubbeanspruchung in der Ebene mit aufgebrachter Längsdehnung mit und ohne Gradient über die Höhe der Versuchskörper getestet. Die Versuche wurden in der neu entwickelten Versuchsanlage Large Universal Shell Element Tester (LUSET) durchgeführt. Dabei kamen moderne Messtechniken zum Einsatz, wobei insbesondere die digitale Bildkorrelation zur Erfassung der Verformungen und Rissbilder auf der Betonoberfläche sowie die faseroptischen Dehnungsmessungen entlang der einbetonierten Bewehrungsstäbe wertvolle und umfassende Daten zur Charakterisierung des Verformungsverhaltens lieferte.

Versuchsergebnisse SL1 (reine Schubbeanspruchung, ρz =0.22%).

Die Versuchsergebnisse wurden hinsichtlich des Lastverformungsverhaltens der Scheibenelemente, aber auch hinsichtlich ihres Rissverhaltens und der Rissverzahnung (aggregate interlock), d.h. des durch die Unebenheit der Risse entstehenden Verzahnungswiderstandes, mit theoretischen Modellen verglichen. Die Modellvorhersagen bzgl. der Traglast wie auch des Verformungsvermögens des ursprünglich von Prof. Dr. Walter Kaufmann entwickelten gerissenen Scheibenmodells mit fester Rissrichtung (CMM-F) waren hervorragend, insbesondere unter Verwendung des rough crack model (RCM) als Rissverzahnungsmodell. Das RCM ist ein rein empirisches Rissverzahnungsmodell, das mit einer Vielzahl von Versuchen kalibriert wurde. Das CMM-F unter Verwendung des two-phase model (TPM) von Walraven, das ebenfalls empirisch kalibriert wurde, aber auf einem mechanischen Modell basiert und deshalb wohl das am weitesten verbreitete Rissverzahnungsmodell ist, führte zu konservativen Vorhersagen. Dies ist im Hinblick auf die Anwendung von Querkraftmodellen auf Basis des TPM in der Bemessungspraxis positiv zu bewerten (z.B. die Querkraftbestimmungen für Bauteile ohne Schubbewehrung in der SIA 262). Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Versuchsserie hinsichtlich der Bemessungspraxis war die Bestätigung der bewährten Empfehlung, bei normalfesten Betonen einen Mindestbewehrungsgehalt von ρz =0,2% vorzusehen. Zu dieser Erkenntnis hat insbesondere geführt, dass die Versuchskörper mit ρz=0.14% eine Bruchlast aufwiesen, die nicht oder nur unwesentlich höher war als die Risslast, während die Last bei den Versuchskörpern mit ρz=0.22% nach dem Reissen noch gesteigert werden konnte. Es wird deshalb davon abgeraten, diesen Wert zu senken, wie dies z.B. gemäss fib MC 2010 oder in der SIA 262 zugelassen ist.

Lastverformungsverhalten von Scheibenelementen: Korrelation mit Modellvorhersagen.

In den Versuchen konnte auch gezeigt werden, dass die verfügbaren Rissverzahnungsmodelle aus der Literatur nur mässig gut funktionieren, wenn es darum geht, die Rissverzahnungsspannungen aus der gemessenen Risskinematik zu bestimmen. Dies war ein Ziel meiner Forschung, um diese Spannungen in Zukunft vielleicht vorhersagen zu können. Die Ergebnisse dieser Berechnungen variierten aber sehr stark. Somit sind die Rissverzahnungsmodelle nicht geeignet, den Spannungszustand eines beliebig geformten Risses in einem Bauteil vorherzusagen. Zudem sind Rissabstände, -neigungen und -formen aufgrund vieler lokaler Einflüsse wie Eigenspannungszuständen, der Variation der Zugfestigkeit innerhalb des Versuchskörpers, unterhalb der Betondeckung verlaufenden Bewehrungsstäben und der Verteilung der Zuschlagstoffe im Beton kaum vorhersagbar.

Gleichgewichtsbetrachtungen: Rissverzahnungsspannungen aus dem Gleichgewicht berechnet.

Alexander Beck

Link to English version: Eco-friendly concrete structures?

Beton – Grundlage unserer Zivilisation

Beton war für die Industrialisierung und die Entwicklung unserer urbanen Zivilisation unabdingbar und ist heute der mit Abstand am meisten verwendete Baustoff: Jährlich werden rund 15…20 Milliarden Kubikmeter Beton verbaut, also gut zwei Kubikmeter pro Erdbewohner weltweit(1). Die Betonbauweise ist derart weit verbreitet, weil sie gute mechanische Eigenschaften(2) mit hoher Dauerhaftigkeit(3) und Feuerwiderstand vereint, bei weltweiter Verfügbarkeit zu tiefen Kosten. Die beiden letztgenannten Vorteile werden oft übersehen, sind aber wohl die wichtigsten Faktoren für die grosse Verbreitung der Betonbauweise.

(1) Genaue Zahlen sind nicht verfügbar; die Schätzung basiert auf der von Cembureau registrierten jährlichen weltweiten Produktion von 3.99 Milliarden Tonnen Zement (Kennzahlen Cembureau) hochgerechnet analog zum Vorgehen der Cement Sustainability Initiative unter Annahme von 300 kg Zement mit 70% Klinkeranteil pro Kubikmeter Beton. In der Schweiz werden gemäss Statistik des FSKB jährlich 15 Millionen Kubikmeter Transportbeton geliefert, was bei einem Transportbetonanteil von 75% einem jährlichen Betonverbrauch von rund 2.5 Kubikmeter pro Kopf entspricht.

(2) Beton weist eine hohe Druckfestigkeit auf, versagt aber bereits unter geringer Zugbeanspruchung spröd. Die Erfindung des Stahlbetons, in welchem eine Bewehrung – in der Regel Betonstahl – die Zugkräfte aufnimmt, war daher für den Erfolg der Betonbauweise essentiell. Andererseits sorgt der Beton dafür, dass sich die Bewehrung bei einem Brandereignis nur langsam erwärmt und sorgt damit für einen hohen Feuerwiderstand. Betonstahl – in der Schweiz werden jährlich rund 1.6 Millionen Tonnen verbaut – wird heute praktisch ausschliesslich aus Altmetall hergestellt.

(3) Dank der hydraulischen Eigenschaften des Bindemittels Zement ist Beton selbst unter Wasser dauerhaft. Die Lebensdauer bewitterten unbewehrten Betons ist daher nahezu unbegrenzt, wie beispielsweise das Pantheon in Rom beweist. Dies gilt auch für Stahlbeton, solange die Bewehrung nicht korrodiert. Letzteres hängt primär von der Exposition ab: Während in trockenen Innenräumen keine Korrosion auftritt, müssen Bauwerke, die Feuchtigkeit und Chloriden ausgesetzt sind, unter Umständen nach einigen Jahrzehnten instandgesetzt werden. Im Vergleich mit den meisten anderen Baustoffen ist die Dauerhaftigkeit von Stahlbeton jedoch auch unter solcher Exposition sehr hoch.

Bauwerksbestand Schweiz in Mio t, Stand 2015 (Bundesamt für Statistik: Materialflüsse in der Schweiz).

Hoher Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen

Offensichtlich geht mit der grossen Verbreitung der Betonbauweise ein hoher Ressourcenverbrauch einher, auch wenn dieser durch die Wiederverwendung von Betonabbruch als rezyklierte Gesteinskörnung für neuen Beton reduziert werden kann. Zudem trägt der als Bindemittel im Beton verwendete Zement je nach Berechnungsweise rund 5…8% zu den weltweiten Treibhausemissionen bei(4). Vor dem Hintergrund des Klimawandels ist es daher naheliegend, einen Ersatz von Beton durch andere Baustoffe, insbesondere Holz, zu fordern.

(4) Bei der Herstellung von Portlandzement (auch als Klinker bezeichnet) durch die Kalzinierung von Kalkstein und Mergel werden rund 470 kg CO2 pro Tonne freigesetzt. Die Erhitzung der Ausgangsstoffe auf die zur Kalzinierung notwendigen Temperatur von ca. 1450°C verursacht weitere 100…500 kg CO2 pro Tonne Klinker (je nach verwendetem Brennstoff). Durch den hohen Zementverbrauch von jährlich 3.99 Milliarden Tonnen (Kennzahlen Cembureau) – allein in der Schweiz 4.21 Millionen Tonnen (Kennzahlen cemsuisse) resultieren entsprechend hohe Treibhausgasemissionen.

Ersatz von Beton: Taugliche Lösung?

Der Ersatz von Beton ist jedoch nur teilweise möglich und zumindest für sich alleine nicht zielführend. Einerseits ist Beton für viele Anwendungen faktisch alternativlos: Untergeschosse von Gebäuden, Stützmauern, Talsperren oder Tunnels in anderer Materialisierung sind hinsichtlich Tragwiderstand, Dauerhaftigkeit und Kosten nicht annähernd gleichwertig. Andererseits können alternative Baustoffe nur einen kleinen Teil der weltweit benötigten Mengen an Baustoffen abdecken(5), und sie verursachen bei grosser Verbreitung entsprechend hohe Treibhausgasemissionen, die in den meisten Fällen sogar höher sind als diejenigen von Beton(6).

(5) Beispielsweise beträgt der jährliche Rundholzeinschlag weltweit heute rund 2 Milliarden Kubikmeter, wovon etwa 500 Millionen zu Holzprodukten verarbeitet werden (FAO Global Forest Products Facts and Figures 2018). Dies entspricht wenigen Prozenten des Betonverbrauchs. Selbst bei einer starken Erhöhung dieser Menge (soweit dies mit nachhaltiger Forstwirtschaft machbar ist) könnte nur ein kleiner Teil des Betons substituiert werden.

(6) Hier ist zwar Massivholz eine Ausnahme, aber viele Holzwerkstoffe verursachen ebenfalls hohe Emissionen. Beispielsweise emittiert Sperrholz pro Kubikmeter rund sechsmal mehr CO2 als Beton (KBOB Ökobilanzdaten im Baubereich).

SBB Durchmesserlinie Zürich, Einschnitt Oerlikon: Stützmauern und Unterquerungsbauwerk: Alternative Materialisierung möglich?
© dsp Ingenieure + Planer AG
Vergleich von Masse und Emissionen eines typischen Gebäudes der Stadt Zürich (Armin Grieder, Michael Pöll: „Was muss der Beton der Zukunft können? Dauerhaftigkeit «trotz» Nachhaltigkeit,“ Stadt Zürich, Amt für Hochbauten, Holcim Betontagung 2018).

Wenn der Ressourcenverbrauch und die Treibhausgasemissionen der Baubranche substantiell reduziert werden sollen, kann daher nicht einfach Beton ersetzt werden. Wenn schon müsste die Bautätigkeit insgesamt eingeschränkt werden, verbunden mit einem Übergang zur Kreislaufwirtschaft. Solche Überlegungen haben in industrialisierten Ländern ihre Berechtigung: Wir haben bereits eine gute Infrastruktur und wir können uns höhere Kosten für ihren Erhalt, Ersatz oder Ausbau unter Verwendung alternativer Baustoffe – gegebenenfalls in Form von Lenkungsabgaben zu deren Förderung – leisten. In Entwicklungs- und Schwellenländern ist dies jedoch kaum realistisch, und ich halte es für anmassend, wenn industrialisierte Länder von diesen Ländern die Berücksichtigung solcher Kriterien beim Aufbau ihrer Infrastruktur fordern, oder sogar einen Verzicht verlangen. Hält man sich vor Augen, dass diese Länder heute rund 85% des Zements verbrauchen (https://www.suedwind-magazin.at/zweischneidiges-schwert), ist der Ersatz von Beton kaum die Lösung.

Weltweite Zementproduktion 2018 (Millionen Tonnen, nach https://cembureau.eu/about-our-industry/key-facts-figures/)

Umweltfreundlichkeit durch effiziente Tragwerke

Vielmehr gilt es, den Ressourcenverbrauch und die Emissionen der Betonbauweise zu reduzieren. Das Cembureau hat dazu den «5C»-Ansatz entwickelt, mit dem folgende fünf Punkte verfolgt werden:

Der erste Punkt ist in der Schweiz bereits weitgehend umgesetzt: Die Schweizer Zementindustrie bezieht heute über zwei Drittel der Energie aus alternativen Brennstoffen. Auch der Klinkergehalt im Schweizer Zement wurde bereits stark reduziert: Der Anteil des bis 1998 praktisch ausschliesslich eingesetzten reinen Portlandzements beträgt heute weniger als 7% (Kennzahlen cemsuisse). Eine weitere Reduktion des Klinkergehalts im Zement ist möglich, wobei jedoch die Dauerhaftigkeit nicht beeinträchtigt werden darf. Aus demselben Grund ist eine Reduktion des Zementgehalts im Beton nicht ohne weiteres möglich(7).

(7) Dauerhaftigkeitsprobleme treten im Betonbau primär durch Korrosion der Bewehrung auf. Die Alkalität des Betons, welche durch die Verwendung von Klinker gewährleistet wird, schützt die Bewehrung vor Korrosion. Dies ist bei einer Reduktion von Zementgehalt und Klinkeranteil im Zement bei exponierten Betonbauteilen zu beachten.

Betonbauten absorbieren durch die Karbonatisierung des Betons (CO2-Aufnahme) über ihre Lebensdauer 10-20% (je nach Berechnungsmethode) der emittierten Treibhausgase. Dieser Anteil kann beispielsweise durch die gezielte Karbonatisierung von Betonabbruchgranulat erhöht werden (https://www.aramis.admin.ch/Texte/?ProjectID=47360). Eine interessante Alternative besteht darin, CO2 an der Emissionsquelle einzufangen und daraus Kalkstein herzustellen, wie dies beispielsweise die Firma Blue Planet bereits macht. Wird dieser synthetische Kalkstein als Gesteinskörnung für Beton eingesetzt, würden Betonbauten in Zukunft mehr CO2 absorbieren, als bei der Zementherstellung emittiert wird. Ob sich der Prozess allerdings skalieren und wirtschaftlich betreiben lässt, ist gegenwärtig noch nicht absehbar.

Das grösste Potential sehe ich persönlich in der Reduktion des Betonverbrauchs im Bauwerk, die sich am besten mit statisch effizienten Tragwerken erreichen lässt. Solche Tragwerke zeichnen sich ja eben gerade dadurch aus, dass sie die Lasten mit geringem Eigengewicht (und somit kleinem Ressourcenverbrauch und Emissionen) materialgerecht abtragen. Hier können und müssen die im konstruktiven Ingenieurbau tätigen Bauingenieurinnen und Bauingenieure ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Aufgrund niedriger Materialpreise bei steigenden Lohnkosten wurde die statische Effizienz als Entwurfsziel in den letzten Jahrzehnten leider allzu oft vernachlässigt. Stattdessen wurden einfache und schnell zu erstellende Bauwerke favorisiert, auch wenn diese wesentlich mehr Material erforderten. Zudem wurden die Mindestabmessungen von Betonbauten laufend erhöht: Im Hochbau um die Schalldämmung zu gewährleisten und Haustechnikleitungen einlegen zu können(8), im Tiefbau um eine maximale Dauerhaftigkeit zu gewährleisten(9). Hier bietet der zunehmende Druck, Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen zu reduzieren, den Bauingenieurinnen und Bauingenieuren die Chance, sich auf eine ihrer ureigenen Kompetenzen zu besinnen und der statischen Effizienz wieder den Stellenwert einzuräumen, den sie verdient.

(8) Ein Beispiel hierfür sind Häuser mit kontrollierter Lüftung, wie dies zur Erreichung des «Minergie»-Labels notwendig ist. Um die Lüftung in die Decken integrieren zu können, beträgt die Deckenstärke meistens 26 cm, obschon statisch eine viel dünnere Decke ausreichend wäre.

(9) Die Anforderungen an die Dauerhaftigkeit wurden aufgrund der Erfahrung mit Korrosionsschäden an frühen Betonbauten stark erhöht, was zweifellos gerechtfertigt ist: Ein frühzeitiger Ersatz eines korrodierten Bauwerks ist gewiss nicht nachhaltig. Die heute von vielen Normen und Bauherren pauschal an alle Bauwerke gestellten Maximalanforderungen hinsichtlich Dauerhaftigkeit sollten jedoch hinterfragt und differenziert werden, da sie zu Lasten von Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen gehen.

Statisch effiziente Betonbauten

Die effizientesten Betonbauten sind zweifellos Bogen- und Schalentragwerke, welche die Lasten bei geringem Eigengewicht primär über Druckkräfte abtragen. Allerdings gilt dies nur für den Endzustand. Die konventionelle Erstellung solcher Tragwerke erfordert hingegen oft sehr aufwändige Lehrgerüste und Schalungen, wodurch ihre Vorteile stark relativiert werden.

Viaducto de Almonte: Hochgeschwindigkeitseisenbahn-Bogenbrücke mit 384 m Spannweite – Effizient im Endzustand, aufwändig in der Erstellung. © Arenas & Asociados

Hier gilt es, noch effizientere Bauverfahren zu entwickeln, was beispielsweise Gegenstand aktueller Forschung im NCCR dfab an der ETH Zürich ist (https://dfab.ch/streams/lightweight-flexible-formwork). Solche Bestrebungen sind keineswegs neu: Beispielsweise entwickelte J. Melan bereits 1892  ein System zur Erstellung von Bögen, bei dem ein leichter Stahlbogen zugleich als Lehrgerüst für den Beton und dessen Hauptbewehrung dient. Mit der auf dem gleichen Prinzip basierenden «CSFT» (Concrete Filled Steel Tube) Bauweise werden in China heute Bogenbrücken mit über 500m Spannweite erstellt (https://concrete.ethz.ch/brd/arch-bridges/).

Bögen und Schalen eigenen sich naturgemäss nicht für alle Anwendungen, beispielsweise Geschossdecken, die meistverbreitete Anwendung von Stahlbeton. Auch geometrisch einfachere Bauwerke können jedoch statisch effizient sein, wenn sie entsprechend konzipiert werden. Hier gilt es einige Grundprinzipien zu beachten, die für Bauingenieurinnen und Bauingenieure selbstverständlich sein sollten:

Für Geschossdecken eignen sich insbesondere Rippen-, Kassetten- und Hohlkörperdecken, mit denen sich gegenüber einer Vollplatte in vielen Fällen mehr als 50% des Materials einsparen lassen. Auch hier gibt es bestehende Systeme, beispielsweise standardisierte Schalungen für Ortbeton-Kassettendecken und vorfabrizierte Hohlkörperdecken. Neue Möglichkeiten sind Gegenstand aktueller Forschung im NCCR dfab an der ETH Zürich.

Zusammenfassung

Die Reduktion von Ressourcenverbrauch und Treibhausgasen ist angesichts des Klimawandels ein Gebot der Stunde. Der Ersatz von Beton durch andere Baustoffe ist jedoch nur in wenigen Fällen zielführend, da nicht der Beton an sich das Problem ist, sondern seine grosse Verbreitung: Wenn andere Baustoffe in solch grossen Mengen verbaut werden, verursachen sie einen ebenso grossen Ressourcenverbrauch und ähnlich grosse Treibhausgasemissionen wie Beton.

Vielmehr müssen unsere Bauwerke insgesant umweltfreundlicher werden. Mit statisch effizienten Tragwerken können und müssen projektierende Bauingenieurinnen und Bauingenieure hier einen substantiellen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Damit solche Tragwerke auch wirtschaftlich sind, muss der Bauvorgang im Tragwerksentwurf einbezogen werden. Zudem müssen wir Bauverfahren entwickeln, mit denen komplexere Bauwerke effizient hergestellt werden können.

An unserer Professur versuchen wir, mit der Vermittlung der Grundlagen für einen effizienten Tragwerksentwurf und mit unserer Forschung im Bereich neuer, digitaler Fabrikationsverfahren unseren Beitrag zu leisten.


Walter Kaufmann

Link to English version: Learning to learn: Digital learning applications for structural concrete

So wie das grundsätzliche Prinzip der Betonherstellung sich in den letzten hundert Jahren nur geringfügig geändert hat, so scheint die Lehre im Stahlbetonbau seit jeher gleich geblieben zu sein. Der Unterrichtsstoff basiert auf einer konsequenten Anwendung des Gleichgewichts und einem starken Fokus auf mechanisch konsistente Modelle, deren Tradition an der ETH insbesondere durch Prof. Thürlimann und Prof. Marti geprägt wurde. Dies stärkt nicht nur die Kompetenz im Stahlbetonbau, sondern bildet allgemein ein gutes Fundament für die Ausbildung junger Bauingenieur*innen. Die Auszeichnung von Prof. Kaufmann mit der Goldenen Eule für besondere Leistungen in der Lehre, welche vom Verband der Studierenden der ETH vergeben wird, zeigt zudem auf, dass der Unterricht als kompetent und authentisch wahrgenommen wird. Obwohl wir vom Inhalt unserer Vorlesungen überzeugt sind, sehen wir immer noch Verbesserungspotential – vor allem bezüglich der Unterrichtsmethoden und der dabei verwendeten Hilfsmittel.

Digitalisierung in der Lehre

Der Beton hat im Laufe der Zeit einige Anpassungen in seiner Rezeptur erfahren und auch unsere Vorlesungen wurden zeitgemäss angepasst. Statt einer handgeschriebenen Autographie sind die Folien nun digital. Anstatt ausschliesslich an der Wandtafel zu arbeiten, werden die Notizen nun teilweise auf dem iPad verfasst und projiziert. Ist diese milde Digitalisierung aber tatsächlich eine Innovation in der Lehre? Die klassische Art des Frontalunterrichts scheint alternativlos bei der Wissensvermittlung. Die Fülle an Informationen während einer Vorlesung ist jedoch immens und nicht immer schaffen es die Studierenden, alles aufzunehmen und direkt zu verarbeiten. Oft findet die richtige Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsstoff erst später statt: beim Lösen der Kolloquien und Hausübungen oder erst kurz vor der Prüfung, deren Vorbereitung davon geprägt ist, «Kochrezepte» für gewisse Aufgabentypen zu verinnerlichen. Dabei bleibt das Verständnis der Materie leider oft auf der Strecke. Selbstverständlich sehen wir uns als Lehrende hier in der Verantwortung. Wie können wir also die Lehre verbessern, um den Studierenden einen einfacheren Zugang zur eher trockenen Theorie zu ermöglichen?

Typische Vorlesung im Hörsaal (Foto vor der Pandemie aufgenommen).

Innovedum – «Advancing education at ETH»

Unter der Marke “Innovedum” fördert Rektorin Prof. Springman «Initiativen, welche die Lehre an der ETH qualitativ und langfristig weiter entwickeln». Daraus sind bereits zahlreiche innovative Lehr- und Lernprojekte in verschiedenen Disziplinen und mit unterschiedlichen Ansätzen entstanden, beispielsweise Hands on-Workshops oder Gamification der Lehrinhalte.

So fragten auch wir uns, wie neue Lehrelemente eingeführt werden könnten, um das kritische Denken und die Selbstinitiative der Studierenden zu fördern. In der Stahlbeton-Vorlesung befassen wir uns vorwiegend mit der Statik von Tragwerken, welche mittels Grenzzuständen (beispielsweise bezüglich der Tragsicherheit) beschrieben werden. Zwar können diese sauber und mechanisch konsistent hergeleitet werden, sie sind jedoch begrenzt auf isolierte Zustände mit vordefinierten Parametern und vermögen nur bedingt das nicht-lineare Verhalten des Stahlbetons adäquat darzustellen. Das neue Lernmaterial sollte sowohl eine dynamische Darstellung der Resultate wie auch die Möglichkeit zur aktiven Veränderung von Parametern bieten. Aus dieser Idee entstand im Rahmen eines vom Innovedum-Fonds finanzierten Lehrprojekts die Entwicklung von digitalen Lernapplikationen für die Stahlbeton-Vorlesung.

Virtuelle Experimente und Tragwerksanalyse

Der Grossteil der Applikationen besteht aus virtuellen Experimenten, in denen Bauteile und Tragwerke unter verschiedenen Beanspruchungsarten untersucht werden können. Dabei gibt es Beispiele, wo der momentane Spannungszustand bei gegebener Belastung betrachtet wird, aber auch Anwendungen, wo das Last-Verformungsverhalten unter steigender Last verfolgt werden kann. Zentral war für uns, dass die Studierenden die Eingabeparameter möglichst frei verändern können. Die kontinuierliche Verfolgung der Ausgabeparameter sorgt dabei für ein besseres Verständnis der Übergänge zwischen den analytisch behandelten Grenzzuständen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Interaktion von Biegung und Normalkraft in Stahlbetonstützen. In der Vorlesung lernen wir, wie wir mithilfe des Dehnungszustands und der Stoffgesetze den Spannungszustand im Stahlbetonquerschnitt bestimmen können. Schon mit wenigen charakteristischen Paaren von Biegung und Normalkraft lässt sich somit eine linearisierte Hüllkurve für die Traglast im MN-Diagramm konstruieren. Die Änderung der Spannungs- und Dehnungszustände zwischen diesen charakteristischen Punkten erscheint aufgrund der nicht-linearen Beziehungen relativ komplex. Dabei handelt es sich rein geometrisch nur um eine Rotation der Dehnungsebene, was sich wunderbar in einer dynamischen Abbildung darstellen lässt. Durch die Änderung der wirkenden Normalkraft mittels eines Schiebereglers kann man im eigenen Tempo die sich ändernden Dehnungen und Spannungen beobachten (siehe Animation unten). Beispielsweise lässt sich so einfach erkennen, dass im Punkt des maximalen Biegemoments die massgebende Dehnung mit steigender Drucknormalkraft nicht mehr im Bewehrungsstahl sondern im Beton auftritt.

Veränderung der Lastkombination mittels Slider – direkte graphische und numerische Ausgabe der Resultate.

Nicht nur die Einwirkungen können verändert werden, sondern auch die Geometrie und die Bewehrung. So lässt sich zeigen, dass eine Verdoppelung des Bewehrungsgehalts eben nicht zu einer Verdoppelung des Biegewiderstands bei gegebener Normalkraft führt. Diese Erkenntnisse mögen trivial erscheinen. Wir sind jedoch überzeugt, dass bereits solch einfache Darstellungen und die kleinen Aha-Erlebnisse erheblich zum Verständnis beitragen und die Neugier der Studierenden für das effektive Verhalten von Stahlbeton, welches über das Berechnen von Grenzzuständen mithilfe starrer Formeln hinausgeht, fördern können.

Parametrisierung der Geometrie und Bewehrungsgehalte.

Die Applikationen sind zudem hilfreich für Problemstellungen, die wir grafisch lösen, deren händische Erarbeitung jedoch relativ aufwendig ist, insbesondere wenn mehrere Zustände betrachtet werden sollen. Dies zeigt sich beispielsweise bei den Fachwerkmodellen, wo die wandernde Einzellast über den Balken verschiedene Neigungen der Spannungsfelder erzeugt und deren Einfluss auf den inneren Lastabtrag untersucht werden kann. Das Potential dieser einfachen Visualisierungen zeigt sich in zahlreichen weiteren Anwendungen wie Mohrsche Kreise, Fliessbedingungen, dreidimensionale Bruchmechanismen in Platten und viele mehr.

Fachwerkmodell für einen einfachen Balken mit Einzellast.

Die digitalen Lernapplikationen decken mittlerweile fast alle Themengebiete ab, welche wir im Stahlbeton behandeln, und sind somit ein ständiger Begleiter der Lehrveranstaltung. Sie bieten dabei vielfältige Vorteile: In der Vorlesung veranschaulichen sie beispielsweise neu eingeführte Themen oder sie erlauben in den Hausübungen effizientere Parameterstudien. Unser oberstes Ziel wäre schliesslich, dass die Studierenden auch unabhängig von gegebenen Aufgabenstellungen die Apps selbständig erkunden können, da das vermittelte Wissen nicht nur spezifisch für Stahlbeton sondern grundsätzlich für alle Arten von Baustoffen und Tragwerken anwendbar ist. Noch sind nicht alle Applikationen bezüglich des theoretischen Hintergrunds ausführlich dokumentiert. Wir sehen dies jedoch notwendig an, um eine Anwendung als reine Black Box zu vermeiden, und werden dies in der Zukunft noch weiter ergänzen.

Auswahl verschiedener Darstellungsarten der Resultate.

Die digitalen Apps wurden zudem ergänzt mit einigen physikalischen Modellen. Beispielsweise verwenden wir einen vorgespannten Balken, der aus Schaumstoffsegmenten besteht. Die Wirkung der Vorspannung und die Dekompression der Querschnitte können somit sowohl im physikalischen Modell als auch in der App dargestellt werden. In Zukunft möchten wir auch vermehrt reale Versuche aus unserer experimentellen Forschung den Simulationen gegenüberstellen. Denn auch diese virtuellen Experimente bleiben – wenn auch dynamisch und animiert – eine Modellvorstellung. Die Beobachtung von tatsächlich beanspruchten Bauteilen und Tragwerken gibt dabei eine bessere Vorstellung, was diese theoretisch formulierten Versagenszustände überhaupt in der Realität bedeuten.

Physisches Modell eines vorgespannten Balkens und entsprechende digitale Applikation.

Herausforderungen in der Entwicklung und Implementierung

Die Entwicklung der Webapplikationen sowie deren Implementierung in den bestehenden Unterrichtsstoff stellten eine grosse Herausforderung dar. Unser Alltag ist bereits stark geprägt von digitalen Apps verschiedenster Art und insbesondere die digital native Generation hat hohe Ansprüche an die Nutzerfreundlichkeit. Für eine erfolgreiche Umsetzung war somit neben der fachlichen Ingenieurkompetenz auch das Webdesign ein prägender Faktor. Die Apps sollten im Erscheinungsbild wie auch in der intuititven Anwendung einen Wiedererkennungswert aufweisen. Gleichzeitig sollte die verwendete Plattform einen einfachen Einstieg ermöglichen, so dass die Applikationen auch von der zukünftigen Generation von Assistierenden stetig weiterentwickelt werden können. Die Erarbeitung der technischen Grundlagen verlangte daher einiges an Zeit und es waren mehrere Iterationen notwendig, bevor die erste App überhaupt programmiert werden konnte.

Wir hatten den Anspruch, dass die Webanwendungen als integraler Bestandteil des Unterrichts wahrgenommen werden, wobei wir diese nicht einfach als zusätzliches Element in einem bereits höchst umfangreichen Kurs einführen konnten. Gemäss einer Studierendenbefragung wurden die Applikationen als Darstellungsinstrument während der Vorlesung sehr geschätzt und auch in der Prüfungsvorbereitung wurden sie rege genutzt. Die Auseinandersetzung während des Semesters schien aber aufgrund fehlender Zeit eher gering zu sein. Dies bestärkte unser Bestreben, weitere Anpassungen in den Kolloquien und Übungen voranzutreiben, um die Anwendung im «alltäglichen» Gebrauch weiter zu fördern.

Fazit und weitere zukünftige Möglichkeiten

Die Entwicklung und Einführung digitaler Lernapplikationen eröffnete uns breitere Möglichkeiten unsere Lehrinhalte in der Vorlesung und in den Übungen zu gestalten, wobei wir vor allem Vorteile in der visuellen dynamischen Interaktion mit den Studierenden sehen. Dies ist nur ein erster Schritt in der Digitalisierung der Lehrinhalte und es gibt bereits viele weitere Ideen für neue innovative Unterrichtsmethoden wie beispielsweise die Anwendung von Augmented Reality (Vermischung von realer Umgebung mit digitalen Inhalten) im Brückenentwurf. Nach wie vor sind wir aber überzeugt, dass das Fundament unserer Lehre im Stahlbetonbau auf der konsequenten Anwendung des Gleichgewichts und mechanisch konsistenter Modelle beruht. Dafür sehen wir ganz klar Papier und Stift als die besten Werkzeuge an. Trotzdem möchten wir Sie einladen, die Applikationen einmal selber zu erkunden. Denn es gibt auch im Stahlbeton-Einmaleins – sei es im Studium, in der Praxis oder in der Forschung – immer wieder Neues zu entdecken.

Danksagung

Dieses Lehrprojekt wurde durch den Innovedum-Fonds der ETH Zürich unterstützt. Ein grosser Dank gilt allen Beteiligten, welche zur Umsetzung der Applikationen beigetragen haben.

Projektverantwortliche: Prof. Dr. Walter Kaufmann, Minu Lee
Webdesign und Entwicklung: Sebastian Wehrli
Applikationen: Lukas Gebhard, Nicola Gehri, Nathalie Reckinger
Revision: Fabian Morger, Andreas Näsbom

Links

Sammlung aller Stahlbeton-Lernapplikationen:
https://concrete.ethz.ch/applikationen/

Learning and Teaching Fair:
https://learning-teaching-fair.ethz.ch/project/visual-interactive-learning-applications/?view=grid

Innovedum-Projektdatenbank:
https://ethz.ch/en/die-eth-zuerich/lehre/innovedum/projektdatenbank.html


Minu Lee

Link to English version: Reinforcement affected by local corrosion – minor damage with significant consequences

Die Bewehrung vieler älterer Bauwerke korrodiert. Die Gründe hierfür sind vielfältig und reichen von der Karbonatisierung des Betons über das Eindringen von Chloriden bis hin zu undichtem Überdeckungsbeton. Das Schadenspotential ist gerade bei lokaler Korrosion der Bewehrung (bspw. Lochfrasskorrosion infolge von Chloriden oder undichter Überdeckung) beträchtlich, da die Korrosionsgeschwindigkeit durch Makroelementbildung sehr hoch ist (Querschnittsabtrag typischerweise im Bereich von 1 mm pro Jahr). Doch welche Auswirkungen haben lokale Korrosionsschäden eigentlich auf die Tragfähigkeit und das Verformungsvermögen betroffener Bauwerke? Davon handelt dieser Blogbeitrag.

Versteckter Schaden – grosse Unsicherheit

Eine Pilotstudie des Bundesamtes für Strassen ASTRA ergab, dass die Bewehrung vieler Winkelstützmauern entlang der Autobahnen, welche in den 1960er und 1970er Jahren gebaut worden sind, korrodiert. Im Schnitt wiesen rund 36% der untersuchten Bewehrungsstäbe Korrosionsschäden auf, der Querschnittsverlust der betroffenen Stäbe betrug im Mittel 25%. Betroffen ist die hangseitige Biegebewehrung oberhalb der Arbeitsfuge zwischen Fundament und aufgehender Wand. Die plausibelste Ursache für die lokale Korrosion sind Kiesnester, also undichter Überdeckungsbeton, infolge unsauberen Einbringens und Verdichtens des Wandbetons, ohne massgeblichen Einfluss von Chloriden.

Schacht hinter einer Winkelstützmauer und deren Bewehrung nach Abtrag des Überdeckungsbetons. Sichtbar sind massive lokale Korrosionsschäden. Bildquelle: GUMA

Die Detektion der Korrosion bei diesen Bauwerken erwies sich in der Pilotstudie als äusserst schwierig. Die Stärke der Mauern oberhalb des Fundaments war zu gross, als dass mit bekannten Messverfahren von der Luftseite her eine zuverlässige Aussage zum Zustand der hangseitigen Bewehrung gemacht werden konnte. Das Schadensausmass zeigte sich erst durch die visuelle Inspektion der Bewehrung, d.h. nach vorgängigem Erstellen von Schächten hinter der Mauer und Abtrag des (schadhaften) Überdeckungsbetons.

Aufgrund der entstandenen Unsicherheit hinsichtlich Anzahl betroffener Stützmauern und deren Tragverhalten startete das ASTRA zusammen mit dem Bundesamt für Verkehr BAV (auch die Bahn hat viele Winkelstützmauern) fünf Forschungsprojekte, wovon wir eines bearbeiten dürfen. Dieses Projekt befasst sich mit dem Tragverhalten und Verformungsvermögen von Winkelstützmauern mit lokal korrodierender Bewehrung. Eine erste Einschätzung im Rahmen des Projekts ergab, dass die Tragfähigkeit der Stützmauern überproportional verringert sein dürfte (also stärker als wenn lediglich der vorhandene Verlust an Bewehrungsfläche betrachtet wird). Zudem ist das Verformungsvermögen durch die lokale Schädigung drastisch reduziert. Letzteres ist insbesondere von Relevanz, da diese Mauern nach der damaligen Normengeneration häufig nur auf aktiven Erddruck bemessen wurden. Dies setzt jedoch eine Verformung der Wand und damit ein ausreichendes Verformungsvermögen im Grenzzustand der Tragsicherheit voraus. Ist das Verformungsvermögen reduziert, so ist neben der verminderten Tragfähigkeit zudem von einer erhöhten Einwirkung (im Extremfall dem Erdruhedruck) auszugehen – eine unschöne Ausganglage für eine Überprüfung.

Winkelstützmauer mit (rot) und ohne (blau) Bewehrungskorrosion. ea bezeichnet den aktiven Erddruck, e0 den Erdruhedruck.

Lokale Korrosion – vielfältige Auswirkungen

Die Forschung hat erkannt, dass die Schädigungsgeometrie (Morphologie) das Verhalten eines Bewehrungsstabs rund um die Korrosionsstelle massgebend beeinflusst. Infolge der lokalen Verjüngung laufen die Spannungstrajektorien zusammen, es entsteht ein inhomogener, dreidimensionaler Spannungszustand im Querschnitt. Die am ungeschädigten Bewehrungsstab ermittelten Materialkennlinien verlieren ihre Gültigkeit.

Durch die Verschiebung der Neutralachse bei einseitig geschädigten Stäben – eine bei Lochfrass häufig vorkommende Schädigungsgeometrie – entstehen zudem lokal Biegemomente, welche der Zugbelastung superponiert werden müssen. Das zusätzlich einwirkende Biegemoment reduziert sich zwar mit zunehmender Plastifizierung des Stahls (es bildet sich ein lokales Fliessgelenk), durch die grosse Krümmung wird aber die Bruchdehnung vergleichsweise früh erreicht. Dies kann zu einem vorzeitigen Versagen führen, wie experimentelle Untersuchungen im Rahmen dieses Projekts gezeigt haben.

Links: verschiedene Auswirkungen lokaler Bewehrungskorrosion (3D-Spannungszustand und lokale Biegung) sowie die verschiedenen Materialzonen über den Querschnitt für Tempcore-Stäbe; rechts: im Zugversuch gemessene Dehnungen an zwei Bewehrungsstäben mit unterschiedlich starker Schädigung.

Seit Ende der 1970er Jahre wird ein Grossteil des Bewehrungsstahls weltweit im sog. «Tempcore-Verfahren» hergestellt (warmgewalzt und aus der Walzhitze vergütet), so auch in Europa. Der Querschnitt dieser Stäbe besteht aufgrund des Produktionsprozesses aus drei verschiedenen Materialschichten, welche unterschiedliche Eigenschaften aufweisen. Wenn ein Tempcore-Stab korrodiert, so ändert er aufgrund seines schichtweisen Aufbaus mit fortschreitendem Materialverlust laufend seine mechanischen Eigenschaften. Insbesondere nimmt seine Festigkeit kontinuierlich ab, da das Kernmaterial gegenüber dem Mantel eine fast 30% geringere Festigkeit aufweist.

Links: Querschnitt eines Tempcore-Stabes mit sichtbarem Martensitring (aussen); rechts: Festigkeitsverteilung (Streckgrenze und Zugfestigkeit) über den Querschnitt eines Tempcore-Stabes mit Durchmesser 20 mm.

Die Schädigung eines Bewehrungsstabes über eine kurze Länge erweist sich für sein Verformungsvermögen als äusserst ungünstig. Der Stab dehnt sich insbesondere im geschwächten Bereich, die Verformung lokalisiert sich (engl.: strain localisation). Kritisch wird es spätestens dann, wenn der geschädigte Querschnitt vor dem Bruch nicht mehr genügend Kraft übertragen kann, um die daran anschliessenden, ungeschädigten Stabbereiche ins Fliessen zu bringen. Der Stab hat dann praktisch sein gesamtes plastisches Verformungsvermögen verloren. Für heutige Stäbe aus europäischer Produktion ist dieser Punkt bereits bei kleinen Querschnittsverlusten zwischen 12% und 20% erreicht (zur Erinnerung: der mittlere Querschnittsverlust in der Pilotstudie des ASTRA betrug 25%). Erschwerend kommt hinzu, dass der kritische Schnitt bei den Stützmauern am Rand eines Bewehrungsstosses liegt (die Bewehrung wurde typischerweise oberhalb der Arbeitsfuge gestossen). Dies ist eine Zone mit ohnehin eingeschränktem Verformungsvermögen, wie eine neue, noch unveröffentlichte Studie zeigt.

Beispiel eines Last-Verformungs-Diagramms eines Bewehrungsstabes. Links: für den ungeschädigten Bereich A (blau); Mitte: für den geschädigten Bereich B (orange); rechts: für den gesamten Stab A+B.  ζ = Verlust an Querschnittsfläche (zwischen 0 (kein Verlust) und 1 (Stab ist vollständig korrodiert)). Sichtbar ist der Verlust des Verformungsvermögens für eine kurze Schädigungslänge lb<<la zwischen ζ = 0 (grün) und ζ = 0.17 (violett).

Forschung im Kleinen – und im Grossen

Neben mehr als 100 Zugversuchen an Bewehrungsstäben mit unterschiedlichsten Schädigungsgeometrien wurden im Rahmen dieser Forschungsarbeit auch 8 Grossversuche an Stützmauerausschnitten im Large Universal Shell Element Tester LUSET durchgeführt. Die Wände waren 2.0 m breit, 1.7 m hoch, 0.38 m stark und standen auf Fundamenten mit Abmessungen von 2.1 x 0.4 x 1.4 m. Die mehr als sechs Tonnen schweren Elemente repräsentierten den untersten Teil einer 4.7 m hohen Stützmauer und wurden im LUSET am Elementkopf mit einer entsprechenden Kombination aus Normal- und Querkraft sowie dem in dieser Höhe wirkenden Biegemoment belastet.

Die Wandelemente wurden mit modernster Messtechnik instrumentiert. Mittels faseroptischer Dehnungsmessung konnte die Spannung in der Bewehrung ermittelt und alle paar Millimeter dargestellt werden. Ein dreidimensionales Bildkorrelationssystem (DIC) gab Aufschluss über die Verformung der Wand sowie die Kinematik der entstandenen Risse mit einer Genauigkeit von einigen Hundertstel Millimetern.

Links: Ein mit Glasfaser instrumentierter Bewehrungsstab; rechts: mit DIC sichtbar gemachtes Rissbild.

Um den Einfluss des Querschnittsverlusts infolge Korrosion zu untersuchen, wurden einzelne Bewehrungsstäbe vorgängig mechanisch mit einem Radiusfräser von 20 mm Durchmesser auf Höhe der Arbeitsfuge geschädigt. Diese Art von «künstlicher Korrosion» führt, wie vorgängige Versuche in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Ueli Angst gezeigt haben, zu unwesentlich anderem Verhalten als eine «natürliche» elektrochemische Korrosion. In drei Hybridversuchen wurden vier (von 10) Bewehrungsstäbe direkt während des Versuchs mit am Fundament befestigten, vollautomatisch gesteuerten Bohrmaschinen schrittweise geschädigt. Mit Hilfe eines Modells des Instituts für Geotechnik (Prof. Dr. Alexander Puzrin, David Perozzi), welches den Erddruck in Abhängigkeit der Wandverformung simulieren kann, wurde die aufgebrachte Last unter Einbezug der gemessenen Wandkopfverschiebung fortlaufend aktualisiert und der Versuchskörper so realitätsgetreu belastet.

Was wir nun wissen – und was noch nicht

Die Traglast von Bauteilen mit lokal korrodierter Bewehrung ist überproportional reduziert, dies infolge lokaler Phänomene rund um die Korrosionsstelle. Berechnungsmodelle, die lediglich den Querschnittsverlust berücksichtigen, überschätzen daher die tatsächlich vorhandene, verbleibende Traglast.

Eine lokale Schwächung der Bewehrungsstäbe führt bereits bei kleinen Querschnittsverlusten zu einem drastisch eingeschränkten, um bis zu 85% geringeren Verformungsvermögen eines Bauteils. Damit sind sämtliche Modelle, die auf dem unteren Grenzwert nach der Plastizitätstheorie basieren, – also die Mehrheit der Normnachweise – nicht mehr uneingeschränkt gültig, und das tatsächliche Verformungsvermögen muss im Detail untersucht werden.

Die Resultate der durchgeführten Versuche an Bewehrungsstäben und Stützmauerausschnitten belegen obige Aussagen eindrücklich. Die innerhalb dieses Forschungsprojekt entwickelten Modelle – ausgehend von einer Erweiterung des Zuggurtmodells – bilden einen vielversprechenden Ansatz zur Beschreibung des verbleibenden Last-Verformungs-Verhaltens von Bauteilen mit lokaler Bewehrungskorrosion. Sie können sowohl für die Überprüfung von Winkelstützmauern wie auch von anderen Bauteilen, für welche das Verformungsvermögen relevant ist (bspw. Brückenquerschnitt über Mittelauflager), herangezogen werden.

Links: Stützmauerausschnitt vor Versuch mit installierten Bohrmaschinen; rechts: Last-Verformungs-Kurven der fünf ersten Versuche mit unterschiedlich stark gewählten Schädigungen. ζ = Verlust an Querschnittsfläche (zwischen 0 (kein Verlust) und 1 (Stab ist vollständig korrodiert)).

Eines der Ziele dieses Projekts ist die Erarbeitung von (vereinfachten) Überprüfungsregeln für die Praxis. Wie genau diese ersten Forschungsresultate von Ingenieuren, die mit der Überprüfung solcher Bauwerke betraut sind, genutzt werden können, wird derzeit noch diskutiert. Der Fokus hierbei sind u.a. die Folgen einer nur sehr eingeschränkt möglichen Detektion von Korrosionsschäden, sowie ob und wie die Beobachtungsmethode angewandt werden könnte, um korrodierende Stützbauwerke weiterhin sicher betreiben zu können.

Ob filigrane Stützbauwerke tatsächlich «passé» sind, wie der Titel eines Interviews im Tec21 (40/2016) lautete, ist am Ende eine Entscheidung der Bauherrschaft. Die Exposition ist grundsätzlich moderat (Erdkontakt, wechselfeucht, ohne Chloride), und bei korrekter Bauweise (d.h. Anbringen einer sog. «Kickerschalung» und gute Verdichtung des Wandbetons, allenfalls Abkleben der Betonierfuge) sind solche Bauwerke grundsätzlich nicht stärker korrosionsgefärdet als andere, vergleichbare Bauteile. Ein genereller Paradigmenwechsel zu massiven Schwergewichtsmauern, mit entsprechend hohem Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen, scheint aus unserer Sicht jedenfalls nicht angezeigt zu sein.


Severin Haefliger

Link to English version: Building curved concrete walls without formwork


Beton ist heutzutage bei weitem das meistgenutzte Baumaterial. Die Möglichkeit ihn in jede mögliche Form zu giessen hat sicher zu seinem Erfolg beigetragen. Von frühen Anwendungen im römischen Reich bis heute wird Beton typischerweise in eine Schalung gegossen. Kennen Sie aktuelle Forschung um Schalungen bei Bau von Betonstrukturen zu vermeiden? In diesem Post stelle ich die neusten Fortschritte in der digitalen Fabrikation mit Beton vor, mit einem speziellen Fokus auf das schalungslose Verfahren Mesh Mould Prefabrication. Neue digitale Technologie eröffnet den Weg zur nachhaltigeren Herstellung von optimierten, geometrisch komplexen Bauwerken und könnte bald standardmässig auf Baustellen verwendet werden.

Schwachpunkte konventioneller Schalung für komplexe Geometrien

Auf dem Markt gibt es eine Fülle industrieller Schalungssysteme, die es erlauben Betonstrukturen mit einfachen oder wiederholenden Formen effizient zu bauen. Der Anteil solcher Schalungen an der totalen Umwelteinwirkung und an den Kosten des Bauwerks ist üblicherweise begrenzt, da sie mehrmals wiederverwendet werden können. Bei geometrisch komplexen Bauwerken sieht das grundlegend anders aus. Solche Bauwerke benötigen oft sehr teure Unikate als Schalung, die oft nicht wiederverwendet oder sogar nicht recycelt werden können.

Die Bilder zeigen, dass der Bau von geometrisch komplexen Bauwerken mit Einwegschalungen alles andere als wirtschaftlich und nachhaltig ist. Daraus folgt, dass nur einzigartige Projekte sich heute komplexe Geometrien, wie zum Beispiel doppelt gekrümmte Oberflächen, leisten können. Viele von Ihnen denken wahrscheinlich, dass solche Bauwerke ein Nischenprodukt sind, das nur ästhetische Zwecke erfüllt. Warum sind wir dann daran interessiert sie effizienter zu bauen? Wir haben früher verwendete statische System mit effizientem Tragverhalten zugunsten von effizienten Bauabläufen aufgegeben. Unser oberstes Ziel ist es die Herstellung von materiell optimierten Betonbauwerken erschwinglich und nachhaltig zu machen, nicht nur extravagante Entwürfe zu ermöglichen.

Wie die Digitale Fabrikation den Betonbau verändern kann

Die zunehmende Digitalisierung im Bauwesen bietet viele Möglichkeiten um die Herausforderung von Betonbauten mit komplexer Geometrie zu gleichen Kosten und sogar mit weniger Bauabfall anzugehen. Das Forschungsgebiet heisst Digitale Fertigung mit Beton und deckt eine Vielzahl Themen ab, von robotisch hergestellter Bewehrung über die additive Fertigung von Beton bis zu rechnergestützten Entwurfstools für komplexe Geometrien. Dank unserer Beteiligung am Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) Digitale Fabrikation ist unsere Gruppe in diesem Gebiet sehr aktiv. In einem zukünftigen Post werde ich das breite Spektrum an Technologien der digitalen Fabrikation, die zur Erstellung von Betonbauten genutzt werden können, vorstellen. Die Verfahren sind entweder schalungsfrei oder sie nutzen keine herkömmliche Schalung. Vielleicht haben Sie schon vom 3D-Druck mit Beton gehört, der meisterforschten Methode der digitalen Fabrikation. Dabei wird ein Betonelement schalungsfrei produziert indem Betonschichten übereinander extrudiert werden.

3D-Drucksystem mit Beton, entwickelt an der ETH Zürich. Bildquelle: Axel Crettenand.

Dank grossen Entwicklungen in der Materialwissenschaft und –technologie hat der 3D-Druck mit Beton einen hohen Grad der Automatisierung erreicht. Die Herstellung von Betonbauten mit 3D-Druckverfahren ist jedoch noch eine Herausforderung, da es noch keine geeignete Strategie zur Integration der Bewehrung gibt, insbesondere in die Druckrichtung. High-tech 3D-gedruckte Wände sind bis jetzt üblicherweise unbewehrt und auf sehr geringe Einwirkungen ausgelegt (typischerweise einstöckige Gebäude, wie in den Bildern unten). Sie hätten mit viel tieferen Kosten und Umwelteinwirkungen in Mauerwerk gebaut werden können.

Mesh Mould: Beginn der Forschungsarbeiten

Mesh Mould ist ein weiterer digitaler Fabrikationsprozess und löst die Problematik der Integration von Bewehrung, die bei anderen Technologien, wie zum Beispiel 3D-Druck mit Beton, besteht. Mesh Mould erlaubt es effizient doppelt gekrümmte tragende Wände zu erstellen. Gramazio Kohler Research an der ETH Zürich kam bereits vor einem Jahrzehnt auf das Konzept, als Weiterentwicklung des Ferrocement Systems, das Pier Luigi Nervi 1943 patentiert hat, mit innovativen digitalen Prozessen.

The formwork which represents the real weakness of reinforced concrete from a constructive and economic viewpoint becomes absolutely superfluous with ferrocement. The metal reinforcement made up of netting and bars can adapt with great ease to curved surfaces or any type of skewing. Its intrinsic lightness and deformability mean that it can be supported with light scaffolding, which enormously simplifies the construction of large and very large roofs

P. L. Nervi: “Scienza O Arte Del Costruire?: Caratteristiche E Possibilità Del Cemento Armato”, 1945

Bei Mesh Mould produziert ein Roboter ein dichtes Bewehrungsnetz. Das Netz wird mit einer speziellen Betonmischung befüllt, die eine genügende Verdichtung erreicht, ohne aus dem Netz zu fliessen.

Schliesslich wird die Bewehrungsüberdeckung mit Spritzbeton aufgetragen. Obwohl wir Mesh Mould oft als schalungslose Bauweise bezeichnen dient die Bewehrung strenggenommen als durchlässige verlorene Schalung. Die geometrische Freiheit von Wänden, die mit diesem Verfahren hergestellt werden, ist nur durch die robotische Herstellung der Netze beschränkt. Das grosse Potential zur effizienten Herstellung von doppelt gekrümmten Betonbauwerken erklärt, dass wir den Swiss Technology Award 2016 in der Kategorie «Inventors» mit Mesh Mould gewonnen haben.

In der ersten Phase des Projekts wurden die Netze auf der Baustelle vom “in-situ fabricator” Roboter hergestellt. Um die Möglichkeiten und Grenzen von Mesh Mould in einer richtigen Bauumgebung zu testen, haben wir eine 12 m lange, 120 mm dicke doppelt gekrümmte Wand im DFAB HOUSE, einer Residenz die 2019 für Forschungsgäste der EMPA in Dübendorf eröffnet wurde, erstellt.

Folgendes Video zeigen mehr Details zum Bau im DFAB. Wie Sie sehen sieht das Resultat grossartig aus, aber wir haben im grossmassstäblichen Bau einige Aspekte festgestellt die verbessert werden müssen. Zum einen war das Betonieren sehr arbeitsaufwändig. Zum anderen bestand die horizontal Bewehrung aus kleinen, angeschweissten Segmenten: eine ineffiziente Lösung aus Sicht des Tragverhaltens, die nur durch die Fertigung bedingt war.

Mesh Mould Prefabrication: Industrielle Umsetzung

Dank der ergebnisreichen Zusammenarbeit zwischen unserer Gruppe, Gramazio Kohler Research und den Industriepartnern PERI und SIKA, entwickeln wir Mesh Mould weiter um eine Kommerzialisierung zu erreichen. Die Netze werden nun in einer kontrollierten industriellen Umgebung vorgefertigt um die Schwierigkeiten im DFAB HOUSE zu umgehen. Dank eines neuartigen, patentierten, robotergestützten Drahtapplikationsverfahrens ist die Bewehrung jetzt in beide Richtungen durchgehend. Der automatisierte Biege- und Schweissprozess ermöglicht die Herstellung und Schichtung von doppelt gekrümmten Gitterstrukturen aus Bewehrungsstahl mit einem Durchmesser von bis zu 12 mm. Der Prozess beinhaltet die Entwicklung einer wettbewerbsfähigen Betonmischung, die einen robusten Füllprozess auf der Baustelle und eine gute Verdichtung sicherstellt.

Wir führen ein umfangreiches Versuchsprogramm durch, um das Tragverhalten von Mesh Mould Prefabrication zu untersuchen. Dank der Anwendung einer innovativen und automatischen Methode zur Tragwerksbemessung auf Basis des Sandwichmodells, können komplexe Mesh Mould Bauwerke effizient und im Rahmen internationaler Stahlbetonnormen bemessen und optimiert werden. Wir hoffen, mit diesem und ähnlichen Projekten einen Schritt in Richtung einer nachhaltigeren Betonbauweise machen.


Jaime Mata-Falcón

Link to English version: Teaching during the pandemic


Vier Wochen nach Beginn des Frühjahrssemesters 2020, am 16. März, setzte die ETH Zürich den Präsenzunterricht aus. Seit mehr als einem Jahr haben die Studierenden die Hörsäle der ETH nicht mehr betreten. In diesem Blogbeitrag möchte ich einen persönlichen Rückblick auf unsere Lehrtätigkeit in diesem Jahr geben, mit einigen Ideen zu möglichen langfristigen Lehren aus der Pandemie.

Präsenzunterricht eingestellt

Am 13. März 2020 fiel der Entscheid des Bundesrats, alle Hochschulen zu schliessen.Was rückblickend erwartbar wirkt, kam für viele von uns damals überraschend. Auch wenn unsere Schulleitung bereits am Vortag die Einstellung des Präsenzunterrichts beschlossen hatte – wir wurden am 12. März 2020, 21:27 Uhr, durch die Rektorin informiert – mussten wir über ein Wochenende unseren gesamten Unterricht umstellen, u. a. Webcams und Mikrofone beschaffen, eine geeignete Online-Lehrplattform festlegen, Alternativlösungen für die Tafel finden und vieles mehr. Dank des Einsatzes aller Beteiligten konnten wir die damit verbundenen Herausforderungen meistern und am 16. März erfolgreich unsere erste Online-Vorlesung über die Plattform Zoom halten. Seitdem gingen alle Vorlesungen und Kolloquien online über die Bühne, und zwar zur exakt gleichen Zeit, wie wenn sie im Hörsaal stattfänden. Wir halten dies für den besten Weg, die Studierenden dabei zu unterstützen, zumindest einen Teil ihres normalen Studienalltags beizubehalten.

Vorlesungen

Für die Vorlesungen profitierten wir von unserer Lehrplattform concrete.ethz.ch, die wir im Jahr zuvor eingerichtet hatten: Alle Lehrmaterialien waren also für die Studierenden bereits online verfügbar. Naja, nicht wirklich alle: Die Wandtafel konnte natürlich nicht auf die Lehrplattform hochgeladen werden, und einen geeigneten Ersatz für dieses didaktische Werkzeug zu finden, das viele Studierende trotz seiner altmodischen Anmutung den Powerpointfolien vorziehen, war eine große Herausforderung. Im Frühjahrssemester 2020 habe ich zunächst MS Whiteboard verwendet, das meine Schrift zwar krakelig aussehen liess, aber ansonsten anständige Ergebnisse lieferte. Allerdings bereitete der Touchscreen meines Windows-Laptops regelmässig Probleme. Daher wechselten wir zum Herbstsemester, in dem auch Dr. Jaime Mata Falcón unterrichtet, auf ein iPad. Während das Schreiberlebnis des iPads deutlich besser war, war sein Display bei direkter Freigabe unscharf, und wenn es über einen Windows-Laptop gekoppelt war, brach die Verbindung häufig ab. Deshalb verbinden wir das iPad jetzt über ein MacBook. Zudem benutze ich jetzt auch den Lehr-Laptop unserer Gruppe, dessen Touchscreen besser funktioniert als jener meines persönlichen Notebooks. Mit diesem kann ich dadurch als Teilnehmer der Vorlesung beitreten und so überwachen, dass diese korrekt gestreamt wird. Mit all diesen Geräten sieht mein Schreibtisch während der Vorlesungen aus wie derjeinige eines Technik-Nerds, der Geräte für ein Laptop-Magazin testet. Nachdem unser Stream der Vorlesung nun diese Odyssee durchlaufen hat, hat sich ironischerweise die Anzeigequalität von iPads, die direkt in Zoom-Meetings geteilt werden, kürzlich durch ein Software-Update drastisch verbessert…

Die Vorlesung “Bridge Design”, die wir im Frühjahrssemester 2020 zum ersten Mal unterrichteten, beinhaltet einerseits Gastvorträge von renommierten Brückenbauern und andererseits Flipped-Classroom-Übungen. Die Umstellung der Gastvorlesungen auf das Online-Format war bedauerlich, hat aber gut funktioniert. Auch die Flipped-Classroom-Übungen konnten erfolgreich online durchgeführt werden, indem die Studierenden in einem gemeinsamen Meeting auf Breakout-Räume verteilt wurden.

Kolloquien

Neben den Vorlesungen umfassen die Lehrveranstaltungen im Fach Stahlbeton auch Kolloquien, die von Hilfsassistierenden in kleineren Gruppen unterrichtet werden. Dank der Kompetenz und des Einsatzes unserer HilfsassistentInnen ist es uns gelungen, auch diese während des FS2020 nahtlos auf das Online-Format umzustellen. Ein zusätzlicher positiver Aspekt sind die Web-Applikationen, die wir kürzlich im Rahmen eines Innovedum-Projekts entwickelt haben: Diese können von den Studierenden selbständig, aber auch in Vorlesungen und Kolloquien genutzt werden (mehr zu diesen Web-Applikationen und dem gesamten Innovedum-Projekt in einem unserer nächsten Blogs).

Arbeiten von Studierenden

Für die Betreuung der Studierendenprojekte greifen wir im Wesentlichen auf die gleichen Online-Tools zurück wie für die Vorlesungen. Während der ersten Phase der Pandemie, im März und April 2020, waren wir jedoch mit einem Shutdown der gesamten ETH konfrontiert, einschliesslich Büros und Labors. Dies beeinträchtigte mehrere experimentelle Projekte Studierender, die wir auf theoretische Arbeiten umstellen mussten. Dank der Flexibilität und des Einsatzes der Studierenden und ihrer Betreuer konnten alle diese Projekte dennoch erfolgreich abgeschlossen werden. Seit dem Herbstsemester 2020 sind experimentelle Projekte für Studierende wieder möglich.

Prüfungen

Glücklicherweise erlaubte es die Pandemie-Situation zum Zeitpunkt der regulären Prüfungssessionen, unsere schriftlichen Prüfungen in physischer Präsenz abzuhalten. Während dies auch für die mündlichen Prüfungen im Sommer 2020 möglich war, mussten wir diese im Winter 2021 auf ein Online-Format umstellen. Dies war eine weitere Herausforderung, da die Studierenden in unseren Prüfungen Lösungen zu den gestellten Aufgaben skizzieren. Auch dies konnte dank des Einsatzes und der Flexibilität aller Beteiligten erstaunlich gut gemeistert werden. Insgesamt scheinen die Leistungen der Studierenden in den Klausuren während der Pandemie allerdings leicht unter denen der Vorjahre zu liegen. Das kann allerdings auch dadurch bedingt sein, dass im Sommer 2020 im Falle eines Nichtbestehens der Prüfungen kein Fehlversuch angerechnet wurde – normalerweise kann eine Prüfung nur maximal zweimal abgelegt werden. Vielleicht liessen sich einzelne Studierende dazu verlocken, weniger gut vorbereitet zu einer Prüfung anzutreten?

Schluss

Der Übergang vom Präsenz- zum Online-Unterricht verlief sehr gut; sogar viel reibungsloser, als ich es erwartet hatte. Das wäre ohne die leistungsfähigen Online-Konferenz-Tools, die heute zur Verfügung stehen, unmöglich gewesen. So sehr wir uns auch über Softwarefehler beklagen mögen: Kann sich jemand vorstellen, wie die ETH mit dieser Pandemie umgegangen wäre, wenn sich das Virus entschieden hätte, 20 Jahre früher aufzutauchen?

In der Tat haben Online-Vorlesungen ihre Vorteile. Sie können im eigenen Tempo angeschaut werden. Unklare oder schwierige Passagen können nachgespielt und langweilige übersprungen werden – ich hoffe allerdings, unsere Studierenden benötigen letztere Funktion nicht allzu oft. Aufgezeichnete Vorlesungen den Studierenden zur Verfügung zu stellen, ist also auch nach der Rückkehr in die Präsenzlehre eine Überlegung wert. Zudem ist es viel einfacher, Gastvorträge von namhaften Referenten aus dem Ausland zu organisieren, wenn diese nicht anreisen müssen. Was Letzteres betrifft, so hat uns die Pandemie auch gelehrt, dass physische Anwesenheit nicht immer notwendig ist. Ich bin überzeugt, dass wir nach der Pandemie weniger reisen und damit effizienter sein werden, und gleichzeitig die Umwelt weniger belasten.

Allerdings können Online-Meetings die physische Anwesenheit nicht vollständig ersetzen. Dies gilt nicht nur für Aktivitäten wie Exkursionen oder experimentelle Arbeiten, sondern genauso für Aufgaben, die grundsätzlich durchaus remote durchgeführt werden können. Zum Beispiel können Online-Projektpräsentationen den Studierenden nicht die Erfahrung bieten, persönlich vor einem Publikum zu präsentieren. Ebenso vermisse ich das Feedback der Studierenden in meinen Online-Vorlesungen sehr – auch wenn dieses, abgesehen von einigen Fragen in den Pausen, meist nonverbal war. Und wenn ich an mein eigenes Leben als Studierender zurückdenke, dann gibt es nicht viel, was ich lieber “online” gemacht hätte.

Heute ist nicht klar, wie lange wir wegen der Pandemie noch aus der Ferne unterrichten müssen. Nur zur Erinnerung: Der Masterplan unserer Schulleitung vom 15. April 2020 sah eine Rückkehr zum Normalbetrieb bis zum Herbstsemester 2020 vor (was viele pessimistisch fanden). Dennoch hoffe ich, dass wir spätestens ein Jahr nach diesem Termin, also im Herbstsemester 2021, zum Präsenzunterricht zurückkehren können. Wann auch immer es soweit sein wird, ich freue mich schon jetzt darauf.


Walter Kaufmann

Der Titel dieses Blogeintrags ist die komprimiert möglichste Beschreibung dessen, was mich in den letzten fünf Jahren beschäftigt hat. Im vergangenen Dezember habe ich meine Dissertation zu diesem Thema erfolgreich verteidigt, die ich unter der Leitung von Prof. Dr. W. Kaufmann erarbeitet habe. In diesem Beitrag werde ich versuchen, Ihnen eine etwas weniger komprimierte Version des Inhalts der Arbeit zu geben, indem ich Antworten auf die folgenden Fragen gebe.

Was ist das Problem und warum ist es relevant?

Der Grund dafür, dass wir im Jahr 2021 immer noch über einen Lastfall diskutieren, für den es Normenvorschriften gibt, hängt mit der Tatsache zusammen, dass die entwickelten Länder heute mit der Herausforderung einer alternden Infrastruktur konfrontiert sind. Um ihre Tragsicherheit zu gewährleisten, müssen viele Infrastrukturobjekte neu überprüft werden, da sowohl die Verkehrsintensität als auch die Verkehrslasten seit ihrer Errichtung zugenommen haben. Die aktuellen Bemessungsvorschriften und -richtlinien beruhen auf früheren Untersuchungen und deren zugehörigen Modellen, die mit dem Ziel konzipiert wurden, neue Bauwerke sicher zu bemessen. Sie sind daher konservativ und enthalten Reserven. Das Vorsehen gewisser Traglastreserven ist beim Entwurf neuer Bauwerke sicherlich angebracht ist, da es in der Regel mit einer Erhöhung der Robustheit und Redundanz bei geringen zusätzlichen Kosten einhergeht. Dies gilt indes nicht für bestehende Tragwerke.

Wie im Titel angedeutet, ist einer der zu beurteilenden Lastfälle die Kombination von Längsschub und Querbiegung. Es ist klar, dass die Belastung eines Brückenträgers Längsbiegung und damit Längsschub – also eine Beanspruchung durch in der Ebene des Stegs wirkende Kräfte – verursacht. Gleichzeitig müssen die auf die Fahrbahn aufgebrachten Lasten aber auch in Querrichtung abgetragen und in den Längsträger eingeleitet werden, was zu einer Biegebeanspruchung im Querschnitt führt. Da der Steg monolithisch mit der Fahrbahnplatte verbunden ist, nimmt er einen grossen Teil des Biegemoments auf, das er zusätzlich zu den in der Ebene wirkenden Schubkräften aufnehmen muss.

Welche Modelle gibt es, und warum war zusätzliche Forschung notwendig?

Eine Gruppe von Ansätzen, die als starr-ideal plastische Modelle klassifiziert werden können, machen sich zunutze, dass Krümmungen um die Vertikalachse und/oder Verdrillungen des Stegelements durch die Fahrbahnplatte, die untere Kastenplatte und benachbarte Stegelemente, sowie zusätzlich durch allfällige Querscheiben oder -träger behindert werden. Anstelle der zugehörigen sogenannten verallgemeinerten Spannungen des Stegelements treten somit verallgemeinerte Reaktionen auf, die einen beliebigen Wert annehmen, der den Tragwiderstand in Funktion der verbleibenden verallgemeinerten Spannungen maximiert.

Die Tatsache, dass das Drillmoment und das Biegemoment um die vertikale Achse beliebige Werte annehmen können, ermöglicht eine seitliche Verschiebung des Druckfeldes, das für die Übertragung des Längsschubes verantwortlich ist, zur Biegedruckseite. Dadurch können die Bügel auf der Biegezugseite fast vollständig für die Übertragung des Biegemoments genutzt werden, was zu einer deutlichen Erhöhung des Tragwiderstands führt.

Diese starr-ideal plastischen Modelle haben das Potenzial, gute Abschätzungen der Tragfähigkeit des Stegs zu liefern. Ihre Anwendbarkeit auf Bauteile mit sehr geringem Bügelbewehrungsgehalt ist jedoch eingeschränkt, da die ihnen zugrunde liegende Annahme eines ausreichenden Verformungsvermögens in diesen Fällen ohne expliziten Nachweis nicht erfüllt ist.

Darüber hinaus wurden diese Modelle anhand einer sehr begrenzten Anzahl von Versuchen validiert. Infolgedessen wurde die zweite grundlegende Annahme, nämlich dass eine seitliche Verschiebung des Druckfeldes durch die kinematischen Randbedingungen des Stegs ermöglicht wird, nie experimentell verifiziert.

Weiter gilt es die Tatsache zu beachten, dass die Querbiegemomente im Steg nicht a priori bekannt sind, sondern von der Steifigkeit des Stegs relativ zur Fahrbahnplatte abhängen. Auch dieser Effekt ist bisher weder theoretisch noch experimentell untersucht worden. Wenn der Steg ein ausreichendes Verformungsvermögen aufweist (d.h. nicht vorzeitig versagt, sondern allmählich seine Biegesteifigkeit verliert), können Querbiegemomente aus exzentrischen Verkehrslasten vom Steg zur Fahrbahnplatte umgelagert und Querbiegemomente aus der Verformung des Querschnitts reduziert  werden (einhergehend mit einer Zunahme der Wölbtorsion).

Wie wurden die Wissenslücken geschlossen?

Die Wissenslücken wurden durch die Durchführung von Grossversuchen im Large Universal Shell Element Tester an ebenen Schalenelementen, die isolierte Stegelemente einer Hohlkastenbrücke darstellten, geschlossen. Der Large Universal Shell Element Tester ist eine Versuchseinrichtung, die von zwei Testanlagen an der Universität Toronto inspiriert ist, und deren Fähigkeiten kombiniert. Er ermöglicht die Durchführung von Grossversuchen an Stahlbetonschalenelementen mit Abmessungen von 2 m x 2 m und einer variablen Dicke. Der Aufbau erlaubt das Aufbringen kontrollierter, beliebiger Lastkombinationen an den vier Rändern des Versuchskörpers (8 unabhängige Spannungsresultierende oder aufgezwungene Verformungen) mit Hilfe von 100 hydraulischen Pressen (siehe Kaufmann et al. 2019 and LUSET).

Es wurden insgesamt 10 Versuche an orthogonal bewehrten Stahlbetonschalenelementen durchgeführt. Die Prüfkörper, die einen Teil eines Hohlkastenstegs darstellten, wurden verschiedenen Kombinationen aus homogener Belastung und aufgezwungenen Verformungen unterworfen. Diese Lastkombinationen waren so definiert, dass die dem Steg durch die gesamte Brückenkonstruktion vorgegebenen Randbedingungen angemessen berücksichtigt wurden. Zu den untersuchten Parametern gehörten der Bewehrungsgehalt, die kinematischen Restriktionen und die Belastungsreihenfolge. Um die Auswirkung der Steifigkeitsabnahme des Stegs auf die Querbiegemomentenverteilung zu untersuchen, wurde auch ein sogenannter Hybridversuch durchgeführt. Bei diesem Test bildete ein Finite-Elemente-Modell, das kontinuierlich mit der tatsächlichen Biegesteifigkeit des physischen Prüfkörpers aktualisiert wurde, das globale Verhalten des Brückenquerschnitts ab, und beeinflusste dementsprechend die aufzubringende Last.

Was waren die wichtigsten experimentellen Ergebnisse?

Die Ergebnisse der Versuchsreihe bestätigten die Annahme der meisten existierenden starr-ideal plastischen Modelle, dass sich das für die Übertragung der Querkraft in Längsrichtung wirksame Druckfeld tatsächlich seitlich in Richtung der Biegedruckseite des Stegs verschiebt. Die auf das verschobene Druckfeld einwirkende Biegedruckkraft wirkt sich, zusammen mit den insgesamt auf den Steg einwirkenden verallgemeinerten Reaktionen, günstig auf dien Tragwiderstand des Steges unter kombinierter Beanspruchung aus. Die massgebende Versagensart bei Elementen mit sehr geringem Bügelbewehrungsgehalt war in allen Versuchen das Reissen der Bügelbewehrung. Dieser spröde Versagensmodus, der vor einer signifikanten Ausnutzung des Betons auf Druck eintrat, schränkt die Anwendbarkeit von Modellen ein, die nicht explizit das Verformungsvermögen überprüfen. Die experimentellen Ergebnisse unterstreichen damit die Bedeutung des Vergleichs von Verformungsbedarf und Verformungsvermögen bei der Beurteilung von Bauteilen mit sehr niedrigem Bügelbewehrungsgehalt.

Der durchgeführte Hybridversuch, der das Systemverhalten berücksichtigte, bestätigte den günstigen Einfluss einer Umlagerung der Biegemomente in einem Kastenträger auf den Tragwiderstand des Stegs bei kombinierter Längsschub- und Querbiegebeanspruchung. Diese Aussage gilt jedoch unter der der Voraussetzung, dass alle angrenzenden Bauteile (die Fahrbahnplatte und die untere Kastenplatte) eine ausreichende Tragreserve aufweisen, um die dadurch resultierende, zusätzliche Belastung aufnehmen zu können. Durch die Berücksichtigung des Systemverhaltens bei der Beurteilung bestehender Brücken kann daher der Umfang der erforderlichen Verstärkungsmassnahmen allenfalls reduziert werden. Falls Verstärkungsmassnahmen dennoch als notwendig erachtet werden, ist eine Erhöhung der Steifigkeit der Fahrbahnplatte anderen, deutlich aufwändigeren Verstärkungsmassnahmen vorzuziehen.

Wie können bestehende Methoden um eine Überprüfung des Verformungsvermögens erweitert werden (unter Beibehaltung ihrer Einfachheit)?

Die Erweiterung bestehender Modelle zum Nachweis des Verformungsvermögens erfordert die Berücksichtigung komplizierterer Ansätze zur Modellierung des Verhaltens von Beton und Bewehrung (insbesondere Druckentfestigung und Zugversteifung). Dies führt dazu, dass ihre Formulierungen stark nichtlinear werden und daher komplexe iterative Algorithmen zur Lösung erforderlich sind. Um ein vereinfachtes Verfahren zur Bestimmung des Tragwiderstands zu erhalten und gleichzeitig die Grenzen des Verformungsvermögens zu berücksichtigen, wurde ein grafischer Ansatz entwickelt. Dieser nutzt die in den Versuchen beobachtete Tatsache, dass Stege mit sehr kleinem Bügelbewehrungsgehalt infolge Reissen der Bügel versagen, um das Problem auf zwei kinematische Unbekannte zu reduzieren. Man erhält eine Abschätzung des Querbiegewiderstands und der zugehörigen Verformung, indem der Schnittpunkt des Lösungsraums mit den Zielwerten für die aufgebrachte Längsschubbeanspruchung grafisch bestimmt wird. Neben der Ermittlung der Bruchlast kann die Methode auch für die Untersuchung des Systemverhaltens verwendet werden, da sie die Berechnung vereinfachter bilinearer Momenten-Krümmungs-Diagramme des Stegs bei gegebenem Längsschub ermöglicht.

Was ist die wichtigste Erkenntnis für Ingenieure in der Praxis?

Bei der Überprüfung bestehender Tragwerke wird sehr viel Wert auf die maximale Ausnutzung der vorhandenen Tragwiderstands gelegt. Im Falle einer kombinierten Beanspruchung von Längsschub und Querbiegung ist es zur Vermeidung unnötiger Verstärkungsmassnahmen jedoch in vielen Fällen erfolgversprechender, das auf den Steg wirkende Querbiegemoment möglichst realistisch abzuschätzen. Dies gilt insbesondere verglichen mit der maximalen Ausnutzung vorhandener Traglastreserven ohne Berücksichtigung einer Lastumlagerung. Daher wird eine detailliertere Untersuchung des Systemverhaltens unter Berücksichtigung der Steifigkeitsabnahme im Steg bei zunehmender Belastung empfohlen.

Link to English version: Are truss models outdated in the 21st century?


Wer wie ich an der ETH studiert hat, kennt die Antwort auf die Frage, welche der Titel des Blogeintrags aufwirft: Generationen von Bauingenieuren und Bauingenieurinnen eigneten sich nicht grundlos Wissen über Fachwerkmodelle und Spannungsfelder an, und auch heute noch sind sie, als wertvolle Instrumente für die Bemessung im Betonbau, in meinen Vorlesungen von zentraler Bedeutung. Vielleicht interessiert es Sie aber, weshalb ich es keineswegs als selbstverständlich erachte, dass Fachwerkmodelle auch in Zukunft verwendet werden – und was wir unternommen haben, um dem Aussterben dieser Methoden entgegenzuwirken?

Die Ursprünge von Fachwerkmodellen reichen bis in die Anfangszeit des Betonbaus zurück. Auf eine konsistente mechanische Grundlage gestellt und für die Bemessung verwendet wurden sie allerdings erst viel später: In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wagten es einige Pioniere, darunter Professor Thürlimann und seine Mitarbeiter an der ETH Zürich, Traglastverfahren auf Stahlbeton anzuwenden. Sie interpretierten dazu Fachwerkmodelle als diskontinuierliche Spannungsfelder, und diese wiederum als Lösungen nach dem unteren Grenzwertsatz der Plastizitätstheorie. Fachwerkmodelle liefern somit konservative Resultate und ermöglichen es, Zwangsbeanspruchungen zu vernachlässigen – was sie zum perfekten Instrument für die Bemessung im Grenzzustand der Tragsicherheit macht.

So selbstverständlich dies zumindest den ETH-Alumni unter uns erscheinen mag, war es das  damals keineswegs. Vielmehr stiess die neue Theorie anfänglich selbst innerhalb der ETH Zürich auf heftigen Widerstand (siehe beispielsweise Basler 1983). In der Tat ist die Duktilität der Bewehrung, und vor allem diejenige des Betons, natürlich begrenzt. Durch die Vernachlässigung der Zugfestigkeit des Betons, das Vorsehen einer Mindestbewehrung und die Anwendung vorsichtiger Werte für die Betondruckfestigkeit kann jedoch ein duktiles Verhalten gewährleistet und damit die Voraussetzung für die Anwendung der Plastizitätstheorie geschaffen werden. Diese konstruktiven Regeln einzuhalten ist bekanntlich generell ratsam. Andernfalls wird die Bemessung semi-empirisch und damit um Grössenordnungen komplizierter.

Zurück zu den Fachwerkmodellen: Sie bilden, wie bereits gesagt, eine konsistente Grundlage für die sichere Bemessung von Betonbauten, und sie ermöglichen in vielen Fällen eine direkte Bemessung der Bewehrung für eine gegebene Beanspruchung. Der Kraftfluss kann verfolgt werden und die Berechnungen sind transparent und nachvollziehbar. Vor allem aber hat der Ingenieur resp. die Ingenieurin die Kontrolle über die Bemessung und kann beispielsweise ein praxistaugliches Bewehrungslayout wählen. All dies sind klare Vorteile bei einer Anwendung in der Bemessungspraxis.

Fachwerkmodelle haben aber auch Nachteile. Da ihre Geometrie meist iterativ angepasst werden muss und verschiedene Laststellungen zu untersuchen sind, ist die Anwendung als Handrechnung in der Praxis oft aufwändig. Zudem eignen sie sich nicht direkt für die Ermittlung von Durchbiegungen und Rissbreiten im Gebrauchszustand, wofür weitere Modelle herangezogen werden müssen, und die in modernen Normen stipulierte Abhängigkeit der Druckfestigkeit des Betons vom Verzerrungszustand erschwert die händische Entwicklung von Fachwerkmodellen enorm.

Daher besteht in der Praxis eine klare Tendenz, für die Tragwerksanalyse und Bemessung eines der heute verfügbaren, benutzerfreundlichen Computerprogramme auf Basis der Methode der finiten Elemente (FE) einzusetzen, welches für die Grenzzustände der Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit verwendet werden kann – was zwar oft unpraktische und unwirtschaftliche Bewehrungen ergibt, aber automatisierbar und damit bei der Bemessung sehr effizient ist.

Dies gilt für händisch entwickelte Fachwerkmodelle und Spannungsfelder leider nicht. Wenn diese Schwächen nicht beseitigt werden, besteht die reale Gefahr, dass sie bald nur noch im Hörsaal eingesetzt werden – und vielleicht noch als anschauliches Hilfsmittel für die Formfindung und das Verfolgen des Kraftflusses im konzeptionellen Entwurf. Dies war mir bereits bewusst, als ich noch in der Praxis tätig war, und ich wusste auch schon, wie man dieser Entwicklung entgegenwirken kann, hatte doch mein Vorgänger bereits vor über 30 Jahren die Lösung vorgeschlagen (siehe Zitat): Fachwerkmodelle müssen in benutzerfreundliche Computerprogramme implementiert werden, ohne dabei ihre Vorteile – Transparenz und Kontrolle über die Bemessung – zu beeinträchtigen.

Recent advances in computer development indicate that there might be much better ways of using the unique capabilities of computers to assist reinforced concrete designers in the future. There is a considerable potential for applying interactive computer programs with graphical input and output that could replace the traditional drawing board and pocket calculator methods for developing truss models. Apart from ultimate strength considerations, such programs would allow us to investigate the deformations in the cracked state by taking appropriate truss member stiffnesses into account.

Peter Marti: “Truss Models in Detailing,” Concrete International, Vol. 7, No. 12, Dec. 1985, pp. 66-73

Die Zeit war aber noch lange nicht reif für eine Umsetzung dieser visionären Idee. Erste Programme für ideal plastische Spannungsfelder (u.a. Hajdin 1990) waren wenig benutzerfreundlich. Weder diese, noch die kurze Zeit später entwickelten Programme zur plastischen Bemessung auf Basis linear elastischer FE-Analysen (u.a. Despot 1995) waren in der Lage den Gebrauchszustand oder das Verformungsvermögen zu untersuchen.

Auch als Anfang des 21. Jahrhunderts erste Programme für die automatisierte Stahlbetonbemessung mit Fachwerkmodellen entwickelt wurden, setzten sich diese in der Praxis nicht durch. Diese diskontinuierlichen Modelle scheiterten an der automatisierten, zuverlässigen Bestimmung von Betondruckfestigkeit und Steifigkeiten.

Das an der EPFL entwickelte Programm EPSF zeigte aber, dass die Verwendung kontinuierlicher Spannungsfelder dies bedeutend vereinfacht (siehe Fernández Ruiz und Muttoni 2007). Im Wesentlichen ist EPSF eine vereinfachte FE-Berechnung. Das Programm ist frei verfügbar, setzt jedoch Java-Script Kenntnisse voraus und ist für Untersuchungen des Gebrauchszustands und der Duktilität nur bedingt geeignet, da die Zugversteifung vernachlässigt und linear elastisch-ideal plastisches Materialverhalten vorausgesetzt wird.

Eigentlich ist die Implementierung realitätsnäherer Stoffgesetze aber leicht umsetzbar, und insbesondere das von Viktor Sigrist und Manuel Alvarez entwickelte Zuggurtmodell (Marti et al. 1998) eignet sich dafür hervorragend. Einerseits wird damit die Mitwirkung des Betons zwischen den Rissen mechanisch konsistent erfasst, andererseits ist der Tragwiderstand unabhängig von der Zugfestigkeit des Betons, womit die Verbindung zu plastischen Bemessungsverfahren gewährleistet bleibt. 

Als mich kurz nach meiner Rückkehr an die ETH Zürich die Tschechische Software-Firma IDEA StatiCa kontaktierte, um gemeinsam «ein Tool für automatisierte Fachwerkmodelle» zu entwickeln, schlug ich daher genau dies vor: Kontinuierliche Spannungsfelder mit dem Zuggurtmodell zu verknüpfen. In der Zwischenzeit ist daraus die Compatible Stress Field Method (CSFM) entstanden, und das darauf basierende Programm IDEA StatiCa Detail. Dieses ist weltweit erhältlich, auch in der Schweiz (https://www.ingware.ch/produkte/statik-und-dynamik/idea-statica-detail/idea-statica-detail.html).

Als kommerzielle Software ist IDEA StatiCa Detail (nach Ablauf der kostenlosen Testlizenz) zwar nicht gratis, dafür aber sehr benutzerfreundlich und leistungsfähig. Die Grundprinzipien und die Ergebnisse seiner Validierung an zahlreichen Beispielen sind in einem Verification Book zusammengestellt, und ich habe das Programm kürzlich – mit einem etwas ausführlicheren geschichtlichen Rückblick auf die Entwicklung von Spannungsfeldern und einigen Anwendungsbeispielen – an einer Schulung vorgestellt (hier geht’s zum Youtube-Video).

Weder ich persönlich noch die ETH Zürich haben übrigens ein finanzielles Interesse am Vertrieb von IDEA StatiCa Detail. Unser Vorteil ist immaterieller Art: Wir hoffen, damit einen Beitrag zum Erhalt der gefährdeten Spezies der Fachwerkmodelle und Spannungsfelder zu leisten. Egal, ob sie dieses Anliegen teilen oder einfach ein effizientes Tool für die Bemessung von Stahlbetontragwerken mit Spannungsfeldern suchen: Es würde uns freuen, wenn Sie das Programm bei Gelegenheit einmal ausprobieren.

Walter Kaufmann

Link to English version: Bridging university and industry in structural engineering


Sind Sie in der Praxis tätig und an neuen Entwicklungen im konstruktiven Ingenieurbau an der ETH Zürich interessiert? Schliessen Sie ein Bachelorstudium im Bauingenieurwesen ab und ziehen eine Vertiefung in Konstruktion an unserem Departement in Betracht? Oder möchten Sie nach dem Masterstudium ein Doktorat in einem unserer Forschungsgebiete in Angriff nehmen? Oder haben Sie diesen Blog aus anderen Gründen gefunden? Warum auch immer Sie diese Zeilen lesen: Willkommen im neuen Blog der Professur für Betontragwerke und Brückenbau an der ETH Zürich!

In naher Zukunft werden Sie hier Beiträge zu verschiedenen Themen finden, wie z. B. aktuelle Erkenntnisse und Publikationen, Aktivitäten in Kommissionen, laufende Versuche in unserem Labor oder Rückblicke auf Prüfungen. Ausserdem werden wir unsere Gedanken und Meinungen zu aktuellen und relevanten Themen teilen.

In diesem einleitenden Beitrag möchte ich Ihnen unsere Hauptaktivitäten vorstellen und erklären, warum wir es als notwendig erachten, diesen Blog zu starten. Tatsächlich wurde mir Letzteres erst vor kurzem klar: Als ich 2014 an die ETH Zürich zurückkehrte, nachdem ich mehr als 15 Jahre lang als Bauingenieur gearbeitet hatte, war ich sehr gut in der Praxis vernetzt. Ich hielt diese Verbindungen für selbstverständlich und hätte mir nicht im Traum vorgestellt, Social-Media-Aktivitäten zu starten, um den Austausch mit Fachleuten zu fördern. Im Laufe der letzten Jahre wurde mir jedoch zunehmend bewusst, dass meine ehemaligen Kollegen keine – oder höchstens eine sehr vage und oft falsche – Vorstellung von unseren Aktivitäten in Forschung und Lehre hatten.

Vor einiger Zeit sagte mir ein guter Freund und sehr kompetenter Bauingenieur unverblümt, dass er und die meisten Ingenieure in der Industrie keine Ahnung hätten, was “auf dem Hönggerberg” (für Nicht-ETH-Absolventen: Das ist der Ort, an dem wir uns befinden) los sei. Ich fragte dann meine Gruppenmitglieder, ob sie ähnliche Rückmeldungen von ihren in der Praxis tätigen Kollegen erhalten hätten, was sie bestätigten. Wir begannen dann, über Möglichkeiten zu diskutieren, diese Situation zu verbessern, und schliesslich wurde die Idee dieses Blogs geboren.

Aber was sind denn überhaupt diese Aktivitäten unserer Gruppe, über die wir Sie informieren wollen? Im Wesentlichen sind es drei Bereiche:
Lehre, Forschung und Dienstleistung

Persönlich betrachte ich die Lehre als meine wichtigste Aufgabe, auch wenn die akademische Reputation eines ETH-Professors in erster Linie von den Leistungen in der Forschung abhängt. Genau genommen ist die Lehre an der ETH keine Pflicht, sondern ein Vergnügen: Die Möglichkeit, begabte, motivierte junge Menschen zu unterrichten, ist ein Privileg und eine der erfüllendsten Aufgaben, die man sich vorstellen kann.

Laut der jährlichen Lehrevaluation durch die Studierenden gehören unsere Kurse zu den anspruchsvollsten des Departements, was kein Zufall ist: Ich bin davon überzeugt, dass die Studierenden lieber herausgefordert werden, als sich zu langweilen (was übrigens ebenfalls durch die Ergebnisse der Evaluation bestätigt wird). Wir bemühen uns, kritisches Denken und selbstmotiviertes Lernen zu fördern, was in der heutigen Zeit, wo Kreditpunkte die Währung der höheren Bildung sind, nicht immer einfach ist.

Ausführlichere Informationen darüber, wie wir dies zu erreichen versuchen, und über unseren Unterricht im Allgemeinen, folgen in den nächsten Beiträgen. Wenn Sie in der Zwischenzeit neugierig geworden sind, laden wir Sie ein, einen Blick auf unsere E-Learning-Plattform https://concrete.ethz.ch/ zu werfen. Vielleicht möchten Sie sogar die interaktiven Apps https://concrete.ethz.ch/applikationen/ ausprobieren?

Wie Sie angesichts meines Werdegangs in der Praxis schon vermutet haben könnten, konzentriert sich unsere Forschung auf Fragestellungen, die wir als wichtig und praxisrelevant erachten. Sie umfasst innovative Themen, aber auch das, was ein namhafter Kollege einmal als “Brot-und-Butter-Forschung” bezeichnete: Untersuchungen zum Verhalten von konventionellen Betontragwerken.

Dies ist notwendig, da das mechanische Verhalten von Betontragwerken bei weitem noch nicht vollständig geklärt ist – was angesichts der Unmenge an existierenden Betonbauwerken erstaunen mag. Selbstverständlich sind wir heute in der Lage, sichere und effiziente Betontragwerke zu konstruieren, insbesondere auf der Grundlage des unteren Grenzwertsatzes der Plastizitätstheorie (mehr dazu in meinem nächsten Blogbeitrag).

Bei der Beurteilung der Tragsicherheit bestehender Bauwerke, die vor Jahrzehnten anhand von semi-empirischen Bemessungsregeln dimensioniert und bewehrt wurden, sind unsere modernen Bemessungsmethoden jedoch selten zielführend, da solche Bauwerke deren Voraussetzungen nicht erfüllen.

Darüber hinaus sind bestehende Bauwerke oft kombiniert beansprucht, was die Beurteilung ihrer tatsächlichen Tragfähigkeit sehr anspruchsvoll macht. In der Folge weisen viele bestehende Betontragwerke rechnerische Tragsicherheitsdefizite auf.

Eine Vielzahl von Bauwerken zu verstärken oder gar zu ersetzen, ohne sicher zu sein, dass dies tatsächlich notwendig ist, ist aber gewiss nicht nachhaltig. Daher ist ein verbessertes Verständnis des mechanischen Verhaltens von Betontragwerken unerlässlich, um den ökologischen Fussabdruck der Bauindustrie zu reduzieren. Ehrlich gesagt finde ich dies sogar dringender als die Entwicklung innovativer, nachhaltiger Lösungen.

Nichtsdestotrotz beschäftigen wir uns auch mit Letzterem. In beiden Fällen kombinieren wir mechanische Modelle mit grossmassstäblichen Versuchen und numerischen Analysen. Nähere Angaben zu unseren Forschungsgebieten und -methoden finden Sie auf unserer Website https://kaufmann.ibk.ethz.ch/de/. Sie werden zukünftig ein Hauptbestandteil dieses Blogs sein.

Last but not least erbringen wir auch Dienstleistungen für Berufspraxis und Gesellschaft. Diese Aktivitäten umfassen einerseits anspruchsvolle Gutachten – mit denen wir die Experten aus der Praxis nicht konkurrenzieren, sondern unterstützen – und andererseits die aktive Mitarbeit in Berufsverbänden, Expertengremien und Normkommissionen. Damit wollen wir zur Lösung der Herausforderungen unserer Gesellschaft beitragen. Auch diese Aktivitäten werden Gegenstand zukünftiger Beiträge sein.

Vielmehr wollen wir eine Plattform für den Austausch und die Diskussion im konstruktiven Ingenieurbau schaffen.

Wie gesagt besteht das Ziel dieses Blogs nicht nur darin, über unsere Aktivitäten zu informieren. Vielmehr wollen wir eine Plattform für den Austausch und die Diskussion im konstruktiven Ingenieurbau schaffen. Aus diesem Grund fordern wir Sie auf, uns Ihr Feedback zukommen zu lassen, egal ob positiv oder negativ. Wir beabsichtigen auch Gastbeiträge in diesen Blog aufzunehmen, und laden Sie ein, uns zu kontaktieren wenn Sie daran interessiert sind einen Beitrag zu verfassen.

Wir hoffen, dass Ihnen die Idee dieses Blogs gefällt und Sie uns zukünftig regelmässig besuchen werden. Bitte teilen Sie uns Ihre Meinungen und Wünsche als Kommentar mit.

Walter Kaufmann