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r.' lriig?;Jü Haus der Begegnung Ulm,ZA.März 2000 Dr. Heinz-Jürgen Loth DER MESSIAS AUS BROOKLYN Typen des jüdischen Messianismus heute Die jüdische Geschichte ist durchgehend von mystischen und messianischen Bewegungen gekennzeichnet (siehe Abb. 1), welche häufig Hand in Hand gehen. Auch wenn die Mehrheit der Juden und vor allem die Rabbiner dieses nicht wahrhaben wollen, so sind doch diese Traditionen integraler Bestandteil der jüdischen Religionsgeschichte. Der jüdische Gottesdienst ist ohne mystische Elemente nicht vorstellbar, wie schon beispielsweise das bekannte Sabbatlied, das stimmungsvolle Lecha dodi, ,,Auf, mein Freund, der Braut entgegen, Königin Sabbat wollen wir empfangen", zeigt. Es stammt von dem berühmten Mystiker Rabbi Soloma Alkabez (1505-1584). Die jüdische Mystik oder Kabbala istkein RandphZinomen; sie ist für die Chassidim und Adepten'des Sohars von zentraler Bedeutung für ihr Denken. Die Chassidut, wörtlich ,,Frömmigkeit", aber von ihren Anhängern auch als ,,liebevolle Güte" bezeichnet - wegen der Absicht, das jüdische Volk über die innere Dimension der Tora mit Gott zu verbinden und so die Ankunft des Messias vorzubereiten2 - ist nicht denkbar ohne Kabbala. Das Wort Kabbatabedeutet ,,Empfangen'7,,Empfang" und zwar der Tradition aus der Sicht des Empfangenden. Es handelt sich dabei um eine esoterische Theosophie, die über Vorformen bis in dieZnitdes Zweiten Tempels zurückreicht. Ansatzpunkte esoterischer Interpretation sind die Schöpfung in Genesis 1 sowie die Wagenvision 2", istvor allem ein mystischer Kommentar zu den Fünf Büchern Mose. Dieses zentrale Werk der Kabbalavereinigt in sich u. a. theosophische, mystische, gnostische und theurgides Propheten in Ezechiel 1.3 Der Sohar,das Buch vom ,,Glan sche Lehren (siehe unten) und wird von der Tradition dem Glauberiseiferer Schinfon bar Jochai (2. Jh. nChr) zugeschrieben, stammt aber mit seinem Hauptteil von dem spanischen Mystiker Moses de Leön (gest. 1305), der durch seinen Ehrentitel Ben Schem lov, ,,Sohn des guten Namens", als praktizierender Kabbalist und Magier ausgewiesen wird. Wie aktuell Mystik und Messiaserwartung sind, zeigt dieTatsache, dass die Zahl jener wächst, die in dem vor fünf Jatren verstorbenen Lubavitcher Rebben Schneerson den verheißenen Messias sehen und seine Wiederkehr erwarten. Die ultraorthodoxen Lubavitcher, deren 3000 Gesandte weltweit tlitig sind, können sich auf allen Kontinenten auf 150 000 bis 200 000 Anhänger stützen, zu denen noch weitere 250 000 Sympathisanten kommen. Die Geschichte dieser chassidischen Gruppe ist eine ,,Frfolgsstory" von globalen Ausmaßen, getragen von der Einsatz1 freudigkeit ihrer Anhänger und - der Benutzung modernster Kommunikations- technologie. Heute ist Lubavitch eine starke, über Satelliten gestützte Organisation. Diese Erfahrungen werden auch den messianischenLubavirchern zugute kommen. Zgm gegenwäi.rrigen jüdischen Messianismus zählen drei Gruppen: die Messianischen Juden, die sabbataischen Juden und die erwähnüen messianischen Lubavitcher. Die Messianischen Juden Das grundlegende Kennzeichen dieser Juden ist der Glauben, dass Jeschua (Jesus) yon Nazareth der Messias Israeis ist. Diese Überzeugung, die am Nerv des rabbinischen Judentums rührt" ist nicht auf christliche Missionstätigkeit zurückzuführen. Der Oberste Israelische Gerichtshof hat an 25. Dezember 1989 entschieden, dass Juden mit diesem Bekenntnis nicht zum jüdischen Volk gehören. Mit einer ganzseitigen Anzeige in der Jerusalem Postvom 5.05.1990 traten darauftrin die ,,Mes- sianic Jewish Alliance of Americai' und die ,,International Alliance of Messianic Congregations and Synagogues" an die Öffentlichkeit und formulierten ihre Überzeugungen. Die Messianischen Juden verstehen sich voll und ganz als Teil des jüdischen Volkes. Man könne ihnen ihr Judesein nicht absprechen, wenn gleichzeitig der Rabbi Akiva (ca. 40-135) als herausragender Tora-Gelehrter gilt, obgleich er fälschlicherweirse SchinfonBarKosiba zumMessias -BarKol<hba (,,Sternensohn", nach Num 24;17) - proklamiert hatte. ,,Des weiüeren mtißte zur Kenntnis genoilrmen werden, dass, 'sofern unser Glaube an Jeschua von Nazareth das Problem sein soilte, das irgendwie unsere jüdische Identität zunichte macht, die Einbeziehung in die Nation Israel niemals auf einer individuellen akkuraten Anerkennung des Messias basierte". Dieses ist sicherlich richtig gesehen, da die Gestalt des Messias im Judenturq eine wenig konkrete Personhaftigkeit aufweist, folglich in der Geschichte immer wieder von einzelnen oder Gruppen usurpiert werden konnte. Die - alles zusammenhaltende Klammer wiu im Judentum zudem nie die Theologie wie irt Christentum -, sondern die Halakha (,,Religionsgesetz")a und zwar als das ,,Weltg esetz", was alles in Bewegung hlilt. Das Messianische Judentum lehnt ferner das rabbinische Glaubenssystem ab und macht geltend, dass auch die Mehrheit des jüdischen Volkes dieses tue. Die Kdtik richtet sich gegen die rabbinische Halakha, insofcrn man nur die schriftliche Bibel als göttlich inspirierte Schrift anerkennt. Die mündliche Schrift oder,,mündliche Tora", die zu Mischnas, Talmud und den rabbinischen Kommentarwerken führt, wird als menschliches Denken abgelehnt. In der genannten öffentlichen Erklärung geben die Messianischen Juden ihre Anhängerschaft mit mindestens 100 000 Gläubigen in 15 Ländern an; die Zahl ihrer Synagogen - eine der größten und ältesten ist das ,,Beth Jeschua" (,,Haus Jesu") in Philadelphia - beziffern sie auf 150. In Israel selbst, wo in den letzten Jahren russische und äthiopische Juden (Falascha) den Zugang zu ihnen gefunden haben, beträgt threZahletwa 5000. Der Messias Sabbatai Zwi und das sabbataische' Judennm irn ttirkischen Raum Die Selbstproklamation des aus Smyrna stammenden Messias Sabbatai Zwi (1626167fi)7 versetzte große Teile der damaligen jüdischen Welt in den Jahren 1665 und 1666 in ekstatische Begeisterung. Das Studium der Kabbala hatten ihn und seinen Propheten, den Rabbi Nathan von Gaza (1643-1680), im Mai 1664 zu der Erkenntnis geführt, dass Sabb atai dq Messias ,,des Gottes Jakobs" sei. Schon Jahre zuvor hatte er 1648 eine Art von Berufungserlebnis messianischer Natur gehabu eine Stimme aus dem Himmel habe ihn als Erlöser bezeichnet. Am 18. Juni 1666 sollte jetzt aber der Anbruch der messianischen Erlösung erfolgen. W?ihrend zahlreiche Juden sich auf den Weg nach Palästina machten, wurde Sabbatai inhaftiert und am 16. September 1666 vor den Hof des Sultans Mehmed IV. nach Adrianopel gebracht: Vor die Wahl gestellt zwischen Hinrichtung und ÜUertritt zum Islam, entschied er sich für die Konversion und Doppelexistenz als Messias der Juden und als frommer Mus1im. Er verließ die Befragung als Aziz Mehmed Effendi - der Sultan hatte ihm die Übernahme seines Namens gewährt -, verbunden mit dem Ehrenamt eines Türwächters des Palastes, zu dem auch eine Pension gehörte. Der harte Kern seiner Anh2inger wußte die Apostasie ihres Führers als heilsge. schichtlich nonrendig zu deuten und fotgte ihm nach in der Annahme des Islam. Der Messias mußte, sofern man den Sturz des göttlichen Lichts in die Materie richtig deuten wollte, in die Unreinheit der dunklen Kelippot oder Schalen bzw. Kräfte des Bösen hinabsteigen, um dreNizozor oder götttichen Lichtfunken erlösen zu können. Die Annahme des Islam gab ihm die Möglichkeit, in das Zentrum des Feindes vorzudringen, um dort besser den Kampf ftihren.zu können. Die Konversion zum Islam wird so zu einem ,,messianischen Exil", aus dem heraus der Messias das Ende des Exils für Israel heraufführen wird. Auf diese Weise entstand ein Krypto-Judentum, das auch unter der ttirfcischen Bezeichnung ,,Dönme" (,,Konvertiten") bekannt ist. Diese sabbataischen Juden, die sich im Laufe der Jahre in Untergruppen aufteilten, aber dennoch ihre Existenz über 300 Jahre bewahren konnten und heute wohl noch 33 0008 Gläubige umfassen, glaubten weiter an den entschwundenen Messias und beteten ,,Wfu erwarten dich, Sabbatai Ztryi.. .".e Grundlage dieser Vorstellung ist der Mythos vom ,,Bruch der Gefäße" (Schevirat ha-Kelint), wie ihn Isaak Luria (1534-L572) gelehrt hatte. Der Schöpfungsprozess beginnt mit der,,Kontraktion" (Zinaum) der Gottheit, das heißt mit dem Zurückzug Gottes in sich selbst, um in der Unendlichkeit einen Urraum für das Endliche zu schaffen. Gott vor der Schöpfung ist brsof (,kein Ende", d.h. das ,,Unerfaßbare"). Dieser erste Schritt der Schöpfung aus dem Nichts beginnt also mit der Selbstverschr?inkung Gottes ,,aus sich selbst in sich selbst". Der zweite Schritt, die Offenba- rung des Schöpfergottes in dem von ihm geschaffenen Urraum, geschieht durch die Emanation des Lichtstromes aus dem En ^lof Aber die unteren der I0 Sefirot (wörtlich: ,,Zahlen",meint jedoch die Sph?iren oder Bereiche der göttlichen Potenzen) können die Dynamik des Lichts nicht auffangen: die Lichtsubstanzen zerspiit- tern und fallen in die Tiefe, wo sie von der Materie der Kelippor eingefangen und zum Aufbau einer dämonischen Welt benutzt werden. Die Erlösung besteht nun in der Restitution (Tikkun) der im Bruch verschütteten göttlichen Lichter. Bei diesem Prozess der Rückkehr zum göttlichen Ursprung kann der Me.nsch durch Erfüllung der 613 Mizwot (religionsgesetzliche Vorschriften) mithelfen, was die Lubavitcher immer wieder betonen. Es gibt noch immer sabbataische Juden, die in Sabbatai Zwi die Erfüllung der messianischen Verheißung sehen, sei es in öer Türkei, den USA, Europa oder auch in Deutschland. Von den übrigen Juden werden sie nicht als solche anerkaant, sondern können nur nach einer Konversion wieder zum Judentum zurüclüehren. Das war jedenfalls die Antwort des derzeitigen sefardischen Obenabbiners Israels, Rabbi Eliahu Bal<shi-Doron, im Okrober 1996 gegenüber einem Abgesandten der Sabbataier. Die sabbataischen Juden im katholischen Polen und Galizien Neben den Juden Italiens waren es vor allem die in Osteuropa, die nachhaltig von der messianischen Kraft der Dönmc geprägt wurden. In Polen und Galizien kam es zlr Bildung geheimer Gesellschaften. Die schon bei Sabbatai Zwi zu beobach- tenden antinomischen Tendenzento - als Messias unterliege er nicht mehr den Tora- förderten die Ausbreitung. In Südostpolen hatte cier Gelehrte Chajjim Mal'ak (gest. etwa I7I7l18) nach seiner Bekanntschaft mit den Dönme in der Türkei eine ,,neue Tora" getehrt :Verbote der Tora sind nunmehr Gebote! Gesetzen der Für 1706 hatte er die Wiederkunft Sabbatai Zwis verkündetrr In dieser Tradition stand auch Jakob Frank (1726-I7gl),der aus der Türkei die Anschauungen der Karakash, einer von Barukia Russo gegründeten Untergruppe der Sabbataier, mitgebracht hatte. Russo war von seinen Anh?ingern zu einer neuen Inkarnation von Sabbatai Zwi erklärt und hatte sich als ,,Seflor Santo" (,,Heiliger Herr..) anreden lassen. Ebenso verstand sich auch der Ekstatik er Jakob Frank als Reinkarnation von Sabbatai Zwi sowie als die lebende Verkörperung der Kraft Gottes. Nach seiner kabbalistischen Trinitätslehre besteht Gottes Natur aus drei Inkarna- tionen: Sabbatai Zwi, der,,Heilige Herr" Jakob Frank und der Messias als Jungfrau Maria, d.h. als die Schekhina. Gemeint ist damit die Einwohnung'. Gottes: die göttliche Gegenwart als weiblicher Aspekr Gortes, welche in der Kabbala mit der untersten sefira gleichgesetzt wird und ursprung der seelen ist. Von den Rabbinern Polens 1756 exkommuniziert, trat er 1759 zum katholischen Glauben über und forderte seine Anhänger zur Nachahmung auf. So wie Jakob zu Esau gereist sei (Gen 32f.), so müsse auch er in die Kelippa(Singular zu Kelippot, siehe oben) hinabsteigen und alles tun, damit die bestehende Ordnung zugrunde gehe. In Lemberg kam es zu einer Massentaufe von etwa 1000 Juden. Doch bald bezichtigte ihn die katholische Kirche zutreffend der Hliresie. Nach einem Haftaufenthalt in der Festung Czenstoch av zog Frankmit seinen Anhängern über Brünn nach Offenbach und lebte dort bis zu seinem Tode 1791 als ,,Heiliger Herr..und ,,Baron von Frank". Bis zu ihrem Tode 1817 frihrte seine Tochter Eva-Emunah die ,,Königin", die Sekte weiter, die danach erlosch. Viete der Anhänger in polen heirateten in die dortige Aristokratie ein oder kehrten zum Judentum zurück. Als Fazit wird man sagen müssen, dass der gesamte Sabbataismus sich in einer Krise aufgelöst hatte, welche insbesondere das polnische Judentum schwer traf. Aus dieser Krise führte dann der Chassidismus herals, aus deren Mitte wiederum die Lubavircher kommen. Mystik und Messianismus aus der sicht der l-ubavitcher I. Das Weltbildvon Chabad Lubavitch Der Chassidismas (von chassid, ,,fromm") entstand also in einem Milieu, welches geprägt war von sabbataischen Kabbalisten. Der Begründer des Chassidismus, Israel Ben Eliezer (1698-1760), Träger des Ehren tttels Baal Schem?lav (,,Meister des guten [= heiligen] Namens [= Gott]..), als Akronym zu BeSchT verkürzi, wirkte in Miedzyboz - im nämlichen podolien, wo auch chajjim Mal,ak und Jakob Frank zu Hause waren. Schon der Ehrentitel verweist auf magische und theurgische Fähigkeiten des ekstatischen Wunderheilers, der mit Amuletten und . verbotenen Namens Beschwörungen tätig war. Durch Aussprechen des heiligen und gewirkt haben. Das Gottes, JHWH, soll er, det hddik (,,Gerechter"), Wunder zu theurgische Denken basiert auf dem Glauben, Gott könne durch den Menschen einem Handeln bewegt werden. In diesem Sinn verfügt der Tnddik über den mit besonderen Zugang zu Gott, weil er infolge einer mystischen Vereinigung Gott auf einer spirituell höheren Stufe steht. Dieses gab dem BeSchT auch das Recht, Rabbiner und Gemeindevorst?inde zu tadeln' Die popularisierung der mystischen Frömmigkeit ließ eine breite Entwicklung (1710entstehen, für die daru- Dov Baer, der Maggid [= Prediger] von Meseritch I77Z), die organisatorischen und ideologischen Grundlagen legte, die ihn zum jedoch in eigentlichen Begründer der Bewegung machten. Diese unterteilte sich zahlreiche Gruppen, deren charismatische Führer, die fuddikim (Plural zu Zaddik) Dynastien gründeten. Die hibavitcher Chassidim, so benannt nach der weißrussischen KleinstadtLjubaviö, oder auch Chabad Lubavitchlz, unterscheiden sich von den anderen dadurch, dass ihr Begründer Schne'ur Salmnn (1745-1812) mit seinem erstmals 1796 veröffentlichten Werk Tanja (,,Es wurde gelehrt") eine systematische Darstellung der chassidischen Do}frin unternahm. Der Tanja ist gewissermaßen die zweite schriftlich e Tora der Chabadnifts. Das Akronym (Buchstabenwort) Chabad muss im Kontext dieses Werkes erkllirt werden: es steht für die sefrotische Trias Chochma, Binaund Ddot, deren Anfangskonsonanten das Kunstwort ChaBaD ergeben. Im kabbalistischen Denken bezeichnet chochma die göttliche "lveisheit"' der auf menschlicher Ebene der intuitive Geistesblitz im Sinne intellektueller Erleuchtung entspricht. Bina,,,Verstehen", steht dann für das reflektierende, die Idee aktualisierende Erkennen oder Verstehen, das in Verbindung mit der Chochmozu einem aktnellen ,,'Wissen", Ddat,ftihrt. Beider Verhältnis zueinander ist also ein höchst dynamisches, wobei die Bina mit dem ewigen sprachphilosophischen Problem der Umsetzung intuitiver Erleuchtung zu tun hat. Was mit der Chochma als dem ersten Instrument aktueller Schöpfung in derselben nun potentiell vorhanden ist, kann nur über die F?ihigkeiten des menschlichen Intellekts nach ,,außen" getragen und erkllirt werden. Die Chochma als die Potentialität dessen, ,,was ist", bleibt unverändert, währen d die Binasich fortentwickeln muss. Dazu bedarf sie jedoch die für die gefühlsbetonten Kr?ifle im Menschen steht, welche nach der Umsetzung dessen streben, was von Chochm"a über die Bina off.enbart wurde: der Darat, ,,nach dem zu suchen oder zu streben, was die Weisheit vorschreibt, das getan werden sollte und das zu meiden, von dem die Weisheit vorschreibt, das es gemieden werden sollte".r3 Die Emotionen des Menschen verlangen auch in der jüdischen Mystik nach einer \ ! \ aktiven Gestaltung der Welt nach dem in der Tora niedergelegten Willen Gottes: Die Liebe zu Gott ist das Fundament der 248 positiven Mizwof, während die Furcht vor Gott die Beachtung der 365 Verbote zum Gegenstand hat. Die 613 religionsgesetzlichen Verpflichtungen werden zu Gewlindern der göttlichen Seele im Menschen. Die Zusammenschau von luriartischer.Kabbala und chassidischen Themen sowie von Panentheismus und Rationalismus lassen hier ein Weltbild entstehen, in dem der fuddik als Heiliger über menschlichem Begehren steht. Einige Zitate aus dem Ta4ja mögen das veranschaulichen: ,,Der kddik ist das Fundament der Welt" (vgl. Spr 10,25), die hddikrn sind die,,reinen Seelen, d.h. die göttlichen Seelen" und der Zaddik ist vor allem der ,,Diener Gottes", hebräisch eved ha-Schem (= Gon).14 2. Der Messias Menachem Schneerson Rabbi Menachem Mendel Schneerson (I4.4.L902 - 12.6.1994), der Rebbeschlecht- hin frir seine Anhängero wil der siebente Führer von Chabad Lubavi.tch und zugleich derjenige, der ab 1950 das einflussreiche Imperium in Crown Heights, Brooklyn, schuf. Schon zu Lebzeiten wurden viele seiner Anhänger von einer messianischen Hochstimmung ergriffen. Am 19. Juni 1991 war in einer großen Anzeige in der New York Times die Aufforderung an die Juden ergangen, ,,aufmerksam den M o s chiach l= M as chiach,,, M es sias " ztJ erwarten"l am 22. August f 1991 wurde ebendaselbst verkündet: ,,Die Ara des Moschiach ist unter uns". Vorausgegangen war eine öffentliche Erkllirung des Rebbenzum Thema der Eriö- r*g, in der er kundtau' o,Was kann ich noch machen, das jüdische Volk zu bewegen, lautstark zu fordern und aufzuschreien und so tatsächlich die Ankunft des Maschiach herbeizuftihren...? Alles was ich vielleicht tun kann, ist, euch die Sache zu übergeben. Unternehmt alles, was in eurer Kraft steht" hier und jetzt, sofort den Maschiach herbeizuftihren... Ich habe meinerseits alles getan, was ich kann: von jetzt an obliegt es euch, alles zu.fun, was in eur€r Macht liegt..."1s Einige sahen in ihm bereits zu Lebzeiten den erwarteten Messias. Nach dem ersten Schlaganfall \gg2 bezeichneten ihn viele als ,,Messias im Wartezustand": Man bemühte das Buch Jesaja, den Midrascä, d.h. die rabbinische Alslegung der Bibel, und kabbalistische Quellen, um den Nachweis zu führen, dass der Messias leiden müßte, bevor er sich zu erkennen geben könnte. Aufgrund der dem Rebben nachgesaglen Wunderkrlifte erwartete man, dass er sich erholen werde. Eine Gruppe von Aktivisten ging sogar soweit, dass man für den Kranken, der nicht mehr sprechen konnte, am 31. Januar 1993 eine Tv-Satelliten-Verbindung au'fbaute, damit er sich vor einem internationalen Publikum als Messias zu erkennen gebe. Schneersorz lehnte jedoch ab. Sein Tod arn 12.6.lgg41ieß nicht den Glauben an sein Messiastum verstummen. Der Messianismus in den Reihen der Lubavitcher findet sogar zusehends mehr AnhZinger. Es ist durchaus möglich, dass der Bewegung eine Spaltung droht. Die Gegner der messianischen Verklärung des Rebben verweisen auf die Christen, deren Weg man nicht gehen wolle. Andrerseits hat die Tatsache, dass Lubavitch heute ohne Führer ist Schneerson hatte keinen leiblichen Nachkommen und - hatte die Nachfolgefrageauch nicht gekllirt-, bislang an keinen Nachteilen geftihrt. Im Gegentell: Chabad-Einrichtungen sind weltweit um 30 Vo angewachsen und selbst in Städten wie Bangkok, Shanghai oder Kannandu anzutreffen. 3000,,Emissäre" sind weltweit bei der Vermittlung von Jiddischkeit oder Judaizität im ortho- doxen Sinne üitig. Auch in Deutschland, wo die Mehrheit der Juden in den Gemeinden heute Einwanderer aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion sind und die Nonvendigkeit einer Vermittlung jüdischer Identität groß ist, stnd Lubavitcher Rebben tättg, z.B. in Berlin, Franlfurt am Main, Köln, München, Offenbach und Postdam. Man kann diesbezüglich von einer innerjüdischen Mission sprechen! Nach einem Bericht von Yigal Schleifer und Gershom Gorenberg in Israels Jeru- Reporf| nimmt der Glaube an den Messias Schneerson zunehmend festere Zäge an. Die Halle im Hauptquartier von LubavitchTT0 Eastern Parkway, in der frtiher Schneerson seine Reden zu halten pflegte, ist jetzt Schrein des Messias, wo satlem erklingl ,,Lang lebe unser Meister, unser Lehrer und unser Rabbi, der König Messias - ftir aile Zeit und ewig". Diese Inschrift das folgende messianische Credo findet sich auf Bannern, Gebetbüchern m?innlichen Kopfbedeckungen und anderen Gegenstäinden. Und die Gebetsgottesdienste enden stets mit dem Yehi (= hebräisches Anfangswort des obigen Credos); selbst am Telefon sagen sie nicht,nFlallo", als ob der Rebbe für den Augenblick nur verborgen sei. F:trr Rabbi 'Wochenblattes mit Namen ,,Haus Shmuet Spreitzer, dem Herausgeber eines sondern Yehi - Moschiach-Magazin", besteht kein Widerspruch zwischen der Tatsache der Beerdigung des Rebben und dem Glauben, dass er dennoch lebt. Darauf angesprochen, dass eine Auferstehung desselben vom Tode nach Christentum klingt, folgt die Antwo4; ,,Auferstehung ist ganz klar ein Dogma, auf das die Christen aufgesprungen und nachhaltig übernommen haben, aber tatsächlich ist es jüdisch. ... Weil sie es, angenommen haben, sollten wir davonlaufen? Nein, es gehört uns."r7 Überdies sprechen die messianischen Chabadnils nicht über den Tod Schneerson, sondern reden vom "3' des Monats Tamus" (= ]tl'Juni)' Die Messias-Gruppe, die inzwischen nach Kennern der Szene die Mehrheit der Bewegung ausmachen soIl, setzt alles daran, um die Welt davon zu überzeugen, dass der Rebbe der Maschiach sei und bald das Werk der Erlösung vollenden werde. Dies geschieht nicht nur wieder über eine ganzseitige Anzeige in den New York Times oder die Parade von 50 ,,Moschiach-Tanks" auf der Fifth Avenue, sondern auch durch die Entscheidung prominenter Lubavitcher Rabbiner, wonach der Glaube an den Messias schneerson eine hal.akhische pflicht ist. So befremdlich dieses alles auch erscheinen mag, im Kontext des kabbalistischen Denkens erscheint es durchaus plausibel. Wenn Meir Barane.r vom Obenabbiner und Führer det Chabadniks der Stadt Safed exkommu niziertwurde, weil er eine noch radikalere Idee auf Postern in Israel verbreitet hane: Der Rebbe ist Gott, so kann er sich sehr wohl auf den Tanjaberufen: ,,Der Zweck der Schöpfung dieser Welt besteht darin, dass Gott wünschte, in den unteren Bereichen zu leben...Das erinnert an die unteren Sefirot, welche nach dem ,,Bruch der Gefäße'{ die göttlichen Lichfunken auffingen. Zum Zeitpunkt der Erlösung, o,der jeta gekommen ist.. so Baranes - ,,offenbart sich der Heilige Eine, Er sei gesegnet, im Körper des Messias, welcher ist der Lubavitcher Rebbe." Die Körperlosigkeit Gottes gelte nur für die 7*itvor der Schöpfung.l8 In diesem Zusainmer.rhang ist auf die Gedankenwelt des berühmten Lubavitcher Kabbalisten Rabbi Yiachak Gütsburghhinzuweisen. Der Zaddikist hier nicht nur das Fundament der Welt, er ist auch der Anfang derselben. Und als Repräsentant aller Seelen Israels hat er die Macht, das im toten Körper verborgene, schlafende Lebenspotential - das ist der gönliche Funke auS dem Licht des En Sof _ zu verstärken und den dazugehörenden Körper wieder zu erwecken.re Die Seele des Messias erlebt sich fortgesetzt als fallend und sterbend, wenn Gott sie nicht vor einem endgtiltigen Tod bewahren würde. Ein Vergleich wird mit dem ,,verborgenen fu.ddiV' Eezogen, der von oben gezwungen wird, sich zum Wohle Israels und der Welt zu offenbaren.m Grundsätzlich sind Zaddikim,,lebende" Seelen, weil sie im Tode als lebend gedacht werden.2l Der Zaddik, der die Göttlichkeit in der Welt offenbaren und dieselbe in die welt hineinziehen kann, ,,in ,Berührung. mit der inneren, reinen Form der ganzen Wirklichkeit, ist in Oer Lage,die Wirklichkeit zu ,,formen" - in Übereinstimmung mit seinem willen, wie gesagt ist: , Der hddik verftigt und der Heilige Eine, Er sei gesegnet, verwirklicht [Talmud Schabbat 59bf'-"22 Die gegenwrirtige welt erlebt die Geburtswehen des Maschiach.23 Messias und hddift sin'd offensichtlich nur zwei unterschiediiche Weisen des Sprechens über die Gestalt des Erlösers. Im Kontext des kabbaiistischen Denkens besteht das universum äus : fl1ei kreativen' Kräften : der Energie in der physikalischen Natur, der Chajjut oder force vitale in allen Lebewesen und dem Licht im Sinne von Kanäilen eines göttlichen Influx in Bewußtsein und Seele. Dann wird auch erkennbar, warum der tote Taddik zugleich leben kann: die göttliche Licht aus dem En Sof als Influx ,, göttliche Seele" in ihm und das machen ihn gewissermaßen unsterblich' Wer sich ein wenig in der Kabbala auskennt, wird wissen, dass hier eine Interpretation von Wirklictrkeit anzuffeffen ist, welche gerade in einer von High-Tech reich an modernen und Globalisierung geprägten Mediengesellschaft- die ihrerseits KabbaMythen ist - Sinnstiftung und spirituelle Werte zu vermitteln vermag. Für ist alles an gegenwärtigen und zukünftigen Ereignissen bereits in der Welt listen ftir enthalten. Und damit natürlich auch die Erlösung! So wird verständlich, dass die messianischen Chabadnil<s kein Zweifel darüber besteht, wenn sie glauben, die Erlösung stehe unmittelbar bevor. ,,Der Rebbe versprach, dass wir ilie Generation sind, die den Moschiachbegrußen wird" - so Rabbi Yosef Carlebach vom messianischen Chabad-Haus an der Rutgers Universität . ,,Als er sagte, diese Generation, dann meinte er keine andere Generation, die auf irgendeine Weise mit dieser einen verbunden werde. Er meinte dich und mich und den Burschen auf der Straße, die wir leben und jeta wohlauf sind."za ' Der Artikel ist die leicht überarbeitete Fassung eines gleichnamigen Vortrags im.Haus der Begegnung Ultn am 20. M?irz Unter gleichem Titel wurde ein ausführlicher Beitag veröflentlicht in: Materialdienst der F,ZW 62,12(1999) j$-Zlz,der allerdings nicht so detailliert auf die kabbalistischen Vorstellungen eingeht. , yitzchak Ginsburgh [assisted by Avraham Arieh Trugmann and Moshe Yaakov Wisnefsky], Thc Hebrqv letters: channcts of creative consciousncss,2nd. eö., Jerusalem 1992,350- , Voo grundlegender Bedeutung fiir das Verständnis der Kabbatasind die Forschüngen von Moshe tOet(sielJ, .8. Kabbalu nnw perspectives, New Haven-London 1988). o Halaklw(,,Wandeln") ist als eine aus Normen und Gesetzen begtehende Rechtsordnung zu verstehen, die von spezifischen, fär möglichst alle Einzelf?ille im menschlichen Leben gesetzlich geregelten Tatbeständen aus geht s Mischna(,,Wiederholung") bezeichnet die kodifrzierte ,Jnündliche Tord' aus dem 2. Jh., welche die Grundlage des Talmuds bildet" u In der Literau.y benutzt man für die von SabbataiZwf herkommende Bewegung die Begriffe sabbatianischbzw. Sabbatianismu.r, wils aber keine korrekte Bildung zum Namen Sabbatai Zwi darstellt. Wir benutzen daher die Selbstbezeichnung ,,sabbataisch" (siehe Anm. 9). ? Maßgeblich für die Biographie Sabbatais ist noch inmer Gershom Scholem, Sabbwai Zwi: der mystische Messias, Frarikfurt a-M'192. 10 t Da es sich um Krypto-Judentum handelt, gibt es unterschiedliche Zahlenangaben. Der Verf. folgt hier Aubrey Ross, ^Israrä Chief Rabbinate rejects 'return to Judaism' bid by Turkishfollowers of Shabtai Tu| in: Jerusalem Report vom 9.01.1997, S. 11. ' Ay$" Öktem, Das Geheimnis der ,,6önmc",in: Allgemeine Jüdische Wochenzeitung vom 4. 02.99, S.3. ro So waren die Erlaubnis des Genusses von Chelev (tierisches Fett im Bereich der inneren Organe) und die Aufhebung des 9. Av als Trauertag ausgeprägte Symbole seines revolutionliren Messianismus: Chelev ist nach Lev 7,23 absolut verboten und der 9. Av (Tischa be-Av) ist nationaler Gedenl-tag anläßlich der Zerstörung des Ersten und Zweiten Tempels und - der Tag, an dem nach der Tradition der erwartete Messias das Licht der Welt erblicken wird. tt Johann Maier, Geschichte der jtidischen Religion: von der Zeit Atexntnders des GroJ3en bis zur Aufkldrung mit einzmAusblick auf das 19J20. Jahrhundert, neubearb. Aufl (Herder-Spekrum, 4116), Freiburg i. Br. u.a. 1992,592. t2 Siehe Heinz-Jtirgen Loth, Tora wtd Chassidus: Jiddischkeit aus der Sicht von Lubovitch-Chabad, in: Zeitschrift ftir Religions- und Geistesgeschichte 34 (1952) 3U-3M. 13 Jacob Immanlel Schochet" Mystical concepts in Chassidism, in: Likutei Amarim Bi-lingual edition, 2nd (revised) ed., New York - London 1973,831. t4 Tanya, Tanjal, l (S. 3), I, 29 (S. 125) und I, 15 (S. 63). ls Aft. bei William Shaffir, Inrerpreting adversity: dynmics of commitment in redernptioit campaigry in: Jewish Joumal of Sociology 36 (1,994) 16 - 4. o. Messianic Chabad's Messiah Complex. in: Jerusalem Report, Jrme 21, lggg,30-34. t7 Ztt. ebd.,32. 18 Ebd.,33. re A. a. O. (siehe Anm. 2),280. 20 Ebd.,2o8f. 2t 22' Ebd.,335. fud.,269. 23 Ebd.,z4g. Im Internet ist Lubavirch z.B. zufinden unter: htp://www.cbabad.org/chabadir-access.hml oder http://www.moshiach.net/blind, wo eine Sammlung von Wundern angeftihrt ist. l1 Mystische und rnessianiscäe Bewegwgen im Judentum Merkaba-Mystik oder Thronwagenvision [mindestens seit 200 v.u.Z.l Messias Jesus von Nazareth Messias Bar Kokhba alias Schrim'on Bar KosebalKosläa [gest 135 n.u.Z.] Hekhalot-Mystik oder Thronhalleri-Mystik [ca. 2. - 6.Ih. ] Messias Abu'Issa al-Isfahani I8.Jh.l Messias David Alroy t12.Jh.I messianische Bewegung im Jemen im 12.Jh. [siehe Maimonides] messianische Bewegung ausgehend von Abraham Ben Schemu'el Abulafia n24A - n% ?1 Kabbala: Sefer ha-Sohar : Moses Ben Schem Tov von Letin [ca. nq - 1305] Isaak Luria ha-Ari 11534 - t572) Messias David Re'uveni [gest. ca" 1538] Messias Schelomo Molkho [ca. 1500 Messias Sat'hatai messianische Bewegung der Dönme: Zwi t1626 - - 15321 16761: Izmiritis oder Cavalleros; Jakob Querido [JakubisJ; Barukja Rnsso [frühes 18.Jh.: Quniosos] .t messianische Bewegung des Jakob Frank U726 - 1791) messianische BeyegunS des Chassidismus: Israe(el Ben Elffezer Ba'aI Schem Tov [1698 -17601 I ll Menachem Mendel Schneerson t1902 i .i a - 1994]