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Kampf für Sozialismus und Judentum auf vier Kontinenten: Isaac Nachman Steinbergs rooted cosmopolitanism Tobias Grill Am 3. Januar 1957 meldete die New York Times unter der Überschrift „Isaac Steinberg, a Jewish Leader“ den Tod eines ehemaligen Mitglieds in Lenins Kabinett, der sich in den letzten Lebensjahren als Generalsekretär der Freeland League for Jewish Territiorial Colonization für die Ansiedlung von jüdischen Flüchtlingen und Holocaust-Überlebenden eingesetzt hatte (New York Times 3.1.1957: 33). Auch die in London erscheinende Jewish Quarterly widmete in ihrer Frühjahrsausgabe von 1957 dem verstorbenen Isaac Steinberg einen Nachruf, aus dem ausschnittsweise zitiert wird: Everyone who knew him in the prime of life must have seen a certain resemblance of the late Dr. Steinberg to the traditional portraits of Jesus, particular that of the painter Hoffmann. […] In a sense Dr. Steinberg was a man of destiny. There have been many Jewish leaders in our time, but few have so impressed people as did the head of Freeland League. […] In his later years he could be taken for a publicist turned statesman – a composite European in physique and physiognomy, yet he was an Orthodox Jew in creed and observance.[…] Dr. Steinberg was destined early in life to play an important part in human affairs; for at the age of 29 he became Commissar of Justice in Lenin’s Cabinet, but his own conception of justice stemming from the Prophets was so remote from that of the Bolsheviks that he soon found himself in conflict with the powerful Soviet leader, and was imprisoned. […] His escape to Germany, and after Hitler’s deadly machinations, to England; his cultural activities in South Africa and socio-political explorations in Australia, his later residence in the United States, and frequent excursions to Mexico and Canada are sufficient to give one a glimpse of the mercurial spirit which activated the man. (Roback 1957: 39) Beide Nachrufe stimmten darin überein, dass es sich bei dem verstorbenen Steinberg um eine führende Persönlichkeit des Judentums, um einen „Jewish Leader“ gehandelt habe, der laut Jewish Quarterly zu den wenigen gehörte, die Menschen in außerordentlichem Maße beeindruckten. Wie schon der oben zitierte Nachruf andeutet, war Steinbergs Leben wesentlich geprägt von einem transkontinentalen und globalen Wirken. Dabei ist zu betonen, dass seine politischen, kulturellen und sozialen Aktivitäten in Russland, in der Schweiz, in Deutschland, in England, in Südafrika, in Australien, in den USA sowie in Mittel- und Südamerika nie auf seinen aktuellen Aufent- BIOS, Jg. 28 (2015), Heft 1/2 https://doi.org/10.3224/bios.v28i1-2.03 42 Tobias Grill haltsort beschränkt blieben, sondern immer untrennbar mit anderen Ländern und Kontinenten verflochten waren. In diesem Sinne lässt sich argumentieren, dass Steinberg durch seine beständigen Grenzüberschreitungen unterschiedlichster Art und sein Eingebundensein in zahlreiche Netzwerke einen globalen Handlungs- und Kommunikationsraum erzeugen konnte. Seine bewusst globale Lebenspraxis, angetrieben von einem „merkurianischen Geist“, war im Wesentlichen bestimmt von einem rooted cosmopolitanism. Einerseits setzte sich der Sozialrevolutionär Steinberg als erklärter Internationalist für die Befreiung der gesamten Menschheit von sozialer und politischer Unterdrückung ein, die seiner Meinung nach gerade von Nationalismus und Nationalstaat mit seinen homogenisierenden, exklusiven und absoluten Tendenzen ausging. Andererseits blieb er als gläubiger osteuropäischer Jude, der sein Leben lang religiös-observant war, nicht nur persönlich in seinen kulturellen Wurzeln verhaftet, sondern er setzte sich im Sinne einer Identitäts- und Differenzbehauptung sogar für eine Wahrung der kulturellen Souveränität des osteuropäischen Judentums ein. Dabei ist zu betonen, dass Steinberg diese Verwurzelung keineswegs als partikularistischen Antipoden zu seinem kosmopolitischen Universalismus begriff. Vielmehr bedingte sich beides gegenseitig, implizierte das Engagement für emanzipatorische Anliegen von Juden auch die der Menschheit, ein Umstand, der umgekehrt ebenso galt. Steinbergs rooted cosmopolitanism zielte dementsprechend vor allem auf eine Einheit und Brüderlichkeit der Menschheit in kultureller Vielfalt ab. Globalgeschichte und Biographie In den letzten Jahren hat sich in der Historikerzunft in Abkehr von einem lange vorherrschenden „methodischen Nationalismus“ eine transnationale und globale Perspektive auf die Geschichte etabliert, die vor allem von einer relationalen Geschichte der Moderne bestimmt ist und sich gegen eine nationalgeschichtliche sowie eurozentrische Sichtweise der Historiographie wendet. Von zentralem Interesse sind dabei unter anderem Phänomene grenzüberschreitender Migration, die jedoch nicht mehr wie früher vornehmlich entlang des nationalstaatlichen Homogenisierungspostulats von Integration, Assimilation und Akkulturation analysiert werden, sondern hinsichtlich ihrer transnationalen Verflechtungen, Interaktionen und Transfers, die multiple und hybride Identitäten erzeugen.1 Dabei wird immer wieder betont, dass mit der Überschreitung von staatlichen Grenzen durch Migranten nicht selten eine subversive Praxis der Unterminierung nationalstaatlicher Setzungen und Normen einhergeht. Ähnlich wie die klassische Sozialgeschichte tendiert die Globalgeschichte dazu, im Sinne einer synthetisierenden Makroperspektive „auf übergreifende, strukturelle Bedingungen zu verweisen“ (Conrad 2013: 106) und verallgemeinernde Aussagen zu treffen.2 Damit wird allerdings oftmals suggeriert, dass in einer globalisierten Welt 1 Dennoch hat Wolfgang Schwentker noch 2005 im Sammelband Globalisierung und Globalgeschichte die Vermutung geäußert, dass „globale Lebensläufe“ „in der neuen Globalgeschichte […] eine gewichtige Rolle spielen [dürften], weil sie komplexe Vorgänge wie die der Akkulturation oder Assimilation empirisch, d.h. quellenmäßig gesichert untermauern können und plastisch zu illustrieren vermögen“ (Schwentker 2005: 50). 2 Vgl. auch Pernaus Feststellung: „Am ehesten ließ sich die Globalgeschichte noch mit der klassischen Sozialgeschichte vereinbaren – Lebenserwartung, Heiratsalter, mit etwas größerem Aufwand auch die Kampf für Sozialismus und Judentum auf vier Kontinenten 43 das Individuum keinen Handlungsspielraum mehr besitzt und von vorherrschenden anonymen Strukturen bestimmt wird. Vor diesem Hintergrund ist jüngst von Bernhard Struck, Kate Ferris und Jacques Revel überzeugend die Forderung erhoben worden, wonach transnationale Geschichte auch die lokale und individuelle Ebene miteinbeziehen müsse. Damit könnten, so die Historiker, die Akteure und ihre agency wieder in die Analyse eingebracht werden, sind doch diese Akteure oft die Knotenpunkte zwischen den „Wabenstrukturen“ der transnationalen Räume. Des Weiteren erlaubt ein solcher Mikrozugang zur transnationalen Geschichte die Untersuchung räumlicher Vielfältigkeit im Leben bzw. in den Erfahrungen von individuellen Akteuren, wobei sich diese Vielfältigkeit von der lokalen Mikroebene bis hin zur Makroebene im nationalen und globalen Maßstab erstreckt (Struck/Ferris/Revel 2011: 577; AHR Conversation 2013: 1.445). Schließlich bleiben ohne einen akteurszentrierten Blick die Erwartungen der handelnden Zeitgenossen, die „grundsätzliche[n] Offenheit der Geschichte“ (Bödeker 2003: 22) für diese selbst und somit auch die Alternativen des Geschichtsverlaufs im globalen Kontext weiterhin verschüttet. Jenseits der bloßen Illustration von abstrakten Strukturen und Makroprozessen können demnach transnationale und globale Biographien unser Verständnis von globalgeschichtlichen Vorgängen erweitern, die Kontingenz struktureller Entwicklungen aufzeigen und somit den oftmals vermittelten Eindruck eines teleologischen Universalismus aufbrechen. Für eine transnational-biographische Geschichtsperspektive sind insbesondere solche Akteure von besonderer Bedeutung, die sich immer wieder bewusst und absichtlich verschiedenartiger Grenzüberschreitungen bedienten, 3 um mit Hilfe von Netzwerken ihren eigenen Anliegen einen erweiterten Rezeptionsraum und größere Durchsetzungsmöglichkeiten zu verschaffen. Dabei stellt sich die zentrale Frage, ob dieser intendierte transnationale Aktivismus historischer Individuen von partikularistischen oder universalistischen Zielsetzungen motiviert wurde. Konkret geht es also darum, inwiefern dem transnationalen und globalen Agieren bestimmter Persönlichkeiten in der Vergangenheit eine bewusste Absage an das Prinzip des Nationalstaats bzw. des Nationalismus immanent war und nicht zuletzt deshalb die permanente Grenzüberschreitung als Lebensform praktiziert wurde. 4 Oder anders gefragt: Inwieweit war ein transgressives Subjekt von einem internationalistischen und kosmopolitischen Bewusstsein geprägt, das sich in einer gegen die nationalstaatliche Ordnung gerichteten transnationalen und globalen Praxis äußerte? Kosmopolitismus und rooted cosmopolitanism Kosmopolitismus wird allgemein als dezidierte Haltung eines Individuums verstanden, das als Weltbürger danach trachtet, die für Nationalstaat und Nationalismus vermeintlich konstitutiven Merkmale der ethnischen, politischen, kulturellen oder Entwicklung des Lebensstandards und des Konsumverhaltens konnte man für verschiedene Länder nach den gleichen Prinzipien erheben und vergleichen“ (Pernau 2011: 78). 3 Auch Kitzinger verweist in seinem Aufsatz zu Dietrich von Hildebrand als transnationalen Akteur auf die Intentionalität als zentralen Aspekt von Grenzüberschreitungen (Kitzinger 2011: 670). 4 Vgl. hierzu auch Herren (2005: 17), die feststellt: „Der biographische Ansatz erlaubt Internationalismus nicht nur als ein im 19. Jahrhundert entwickeltes, politisches Konzept zu erkennen, sondern als Lebensform der Grenzüberschreitung und damit als Beispiel für die Schwierigkeiten und Möglichkeiten transnationaler zivilgesellschaftlicher Aktivitäten.“ 44 Tobias Grill sozialen Ab- und Ausgrenzungen zu transzendieren, da derartige Exklusionen ihrer Auffassung von Humanität widersprechen. In diesem Sinne ist der Kosmopolit vom Wunsch getragen, zum Wohle der ganzen Menschheit zu handeln. Sein Loyalitätsund Referenzrahmen wäre demnach nicht „ethnos“, sondern „kosmos“. Während im Zeitalter der Aufklärung die Haltung und der Begriff des Kosmopolitismus noch äußerst positiv besetzt waren, wurde die kosmopolitische Weltanschauung mit der Entstehung eines ethnisch konnotierten Nationalismus im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr zum negativen und verwerflichen Antipoden. Dabei ist zu betonen, dass gerade Antisemiten zunehmend Judentum mit Kosmopolitismus gleichsetzten, insbesondere, da die als ethnisch fremd wahrgenommenen Juden eine nicht unerhebliche Rolle in verschiedenen revolutionären, vor allem auch in den sozialistischen Bewegungen spielten (Miller/Ury 2010: 347). Ebenso war aber auch bei Teilen der Linken - allen voran bei Karl Marx - eine negative Assoziation von Judentum und Kosmopolitismus vorherrschend (Marx 1929). Weitaus wichtiger für unser Thema war aber die in den späten 1940er Jahren von der sowjetischen Staatsführung ausgehende Kampagne gegen die sogenannten „wurzellosen Kosmopoliten“. Zwar wurde nicht explizit erklärt, dass damit Juden gemeint waren, aus dem Kontext der Anschuldigungen ging dies jedoch klar hervor (Grüner 2008: 510). Dabei diente das Adjektiv „wurzellos“ in affirmativer Weise dazu, das Verständnis vom Kosmopolitismus als verwerflichen Antipoden zum Patriotismus besonders hervorzuheben. Auch in meinungsbildenden Kreisen des Zionismus, insbesondere in der Frühphase der Eigenstaatlichkeit Israels dominierte nicht nur eine strikte Ablehnung gegenüber der Diaspora (hebr.: shlilat ha-galut), sondern auch gegenüber kosmopolitischen Entwürfen. Gerade Repräsentanten der einflussreichen zionistisch-orientierten „Jerusalemer Schule“ wie die Historiker Ben-Zion Dinur oder Yitzhak Baer betrachteten die jüdische Geschichte im dialektischen Sinne: einem positiv konnotierten Zentrum im Heiligen Land und einer negativ konnotierten Peripherie in der Diaspora. Besonders deutlich kommt dies in Baers Äußerungen aus dem Jahre 1947 zum Tragen: „Alles, was wir auf fremden Boden taten, war ein Verrat an unserem eigenen Geist.“ Insofern teilte die erste, dem Zionismus stark verpflichtete Generation von israelischen Akademikern Geschichte und Gesellschaft in eine normative Dichotomie von „jüdischer Geschichte“ und „nicht-jüdischer Geschichte“ ein (vgl. Miller/Ury 2010: 338). Auf der einen Seite standen die gesunden, jüdisch-nationalen Elemente, auf der anderen Seite diejenigen, deren Existenz auf Grund des unnatürlichen Lebens in der Diaspora in physischem und nationalem Sinne bedroht war. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass das Leben kosmopolitischer Juden jahrzehntelang im kulturellen Gedächtnis Israels und auch der jüdischen Diaspora kaum eine Rolle gespielt hat. Erst in den letzten Jahren ist in den Jüdischen Studien bzw. im Bereich der jüdischen Geschichte die Tendenz zu beobachten, diese auf einem Israelzentrismus beruhende binäre Teilung zu hinterfragen. Werke wie Yuri Slezkines Das Jüdische Jahrhundert, Natan Sznaiders Gedächtnisraum Europa oder Sznaiders Aufsatz Hannah Arendt’s Jewish Cosmopolitanism verweigern sich einem simplen Gegensatz von jüdischem Nationalismus auf der einen sowie jüdischem Kosmopolitismus auf der anderen Seite. Vielmehr betonen sie die Nuancen und Gemeinsamkeiten dieser als Universalismus und Partikularismus sich scheinbar gegenseitig ausschließenden Phänomene. Kampf für Sozialismus und Judentum auf vier Kontinenten 45 Damit reflektieren die Jüdischen Studien eine allgemeine Debatte um Wesen und Wert von Kosmopolitismus, die Philosophen, Soziologen, Ethnologen und andere Wissenschaftler seit Beginn der 1990er Jahre führen. In diesem Zusammenhang stellte Mitchell Cohen 1992 erstmals das dialektische Konzept eines rooted cosmopolitanism vor, das auf Grundlage einer gemeinsamen Basis eine Vielzahl von kulturellen Ursprüngen akzeptiert und auf der Legitimität von pluralen Loyalitäten beruht (Cohen 1992: 478-483).5 Kurz gesagt bezeichnet rooted cosmopolitanism nichts anderes als das die eigene Identität bestimmende Bewusstsein, wonach in globaler Perspektive alle gleich sind und jeder anders ist. Dies bedeutet, dass man nicht nur das Recht des Anderen auf Anderssein akzeptiert („universal concern and respect for legitimate difference”, Anthony Appiah), sondern ebenso für sich selbst dieses Recht in Anspruch nehmen kann. Im Sinne der „loyality to all of humanity“ (Anthony Appiah) und dem damit verbundenen Eingeständnis der zu akzeptierenden Heterogenität wird dem Trennenden kein Konfliktpotential (mehr) zugesprochen. 6 Nur wenige Monate nach Mitchell Cohen veröffentlichten Daniel und Jonathan Boyarin im Critical Inquiry einen bahnbrechenden Aufsatz mit dem sperrigen Titel Diaspora. Generation and the Ground of Jewish Identity. In ihrer Diskussion über historische und zeitgenössische jüdische Identitäten schlugen sie die Diaspora als ein theoretisches und historisches Modell vor, um nationale Selbstbestimmung zu ersetzen. Denn der Zionismus, also jüdisch-staatliche Hegemonie, stehe ihrer Meinung nach für die Unterminierung und Zerstörung („subversion“) jüdischer Kultur und nicht für deren Kulminationspunkt. Insofern sprachen sie sich für eine Theorie und Praxis von Identität aus, die gleichzeitig die Irreduzibilität und den positiven Wert kultureller Differenz respektiert, den Nachteil des Verlustes von Einzigartigkeit thematisiert und zur gegenseitigen Befruchtung von unterschiedlichen Lebensstilen und Traditionen ermutigt (vgl. Boyarin/Boyarin 1993: 711). Es gehe ihnen, so die Boyarins weiter, um eine Synthese, die ein unbeirrbares Festhalten an ethnischer, kultureller Besonderheit erlaube, dies jedoch im Kontext einer tief empfundenen und gelebten menschlichen Solidarität (Boyarin/Boyarin 1993: 720).7 Die Feststellung der Boyarins, wonach eine absolute Hingabe für die Erhaltung jüdischer Kultur und des histo5 Neben Mitchell Cohen haben sich unter anderen auch Martha Nussbaum, Pnina Werbner, Kwame Anthony Appiah, Sidney Tarrow oder Natan Sznaider mit dem Konzept des rooted cosmopolitanism bzw. vernacular cosmopolitanism intensiv auseinandergesetzt. 6 Diese Ansicht markiert letztlich nur eine Rückkehr zur ursprünglichen Bedeutung des griechischen Begriffs, der sich aus Kosmos (Universum) und Polis (Stadt) zusammensetzt und damit sowohl Universalismus als auch Partikularismus einschließt. So vertraten im antiken Griechenland die Kyniker und Stoiker einen Kosmopolitismus, der keineswegs lokale Verwurzelung und Zugehörigkeit strikt ablehnte, sondern vielmehr von einer Anerkennung gemeinsamer Bestrebungen und Werte ausging, die die Menschheit in eine einzige Gemeinschaft vereinige (vgl Miller/Ury 2010: 340). Ein derartiges Verständnis von Kosmopolitismus, das eben nicht in einem grundsätzlichen Gegensatz zum Lokalen, Partikularen oder Nationalen bestand, war lange Zeit vorherrschend. 7 Vgl. hierzu auch Kwame Anthony Appiahs Konzept des „kosmopolitischen Patrioten“, das dem Diaspora-Modell der Boyarins äußerst ähnlich ist: „the cosmopolitan patriot can entertain the possibility of a world in which everyone is a rooted cosmopolitan, attached to a home of one’s own, with its own cultural particularities, but taking pleasure from the presence of other, different places that are home to other, different people. The cosmopolitan also imagines that in such a world not everyone will find it best to stay in their natal patria, so that the circulation of people among different localities will involve not only cultural tourism […] but migration, nomadism, diaspora. […] In a world of cosmopolitan patriots, people would accept the citizen‘s responsibility to nurture the culture and the politics of their homes.” (Appiah 1997: 618 f.). 46 Tobias Grill rischen Gedächtnisses nicht unvereinbar gewesen sei mit dem Engagement für radikale Anliegen menschlicher Befreiung, verweist deutlich auf das Konzept eines rooted cosmopolitanism bzw. auf eine Synthese von Universalismus und Partikularismus im Kontext jüdischer Geschichte. In ähnlicher Weise haben Jahre später auch Miller und Ury die rhetorische Frage gestellt, ob tatsächlich alle jüdischen Kosmopoliten radikale Assimilanten waren, die darauf abzielten, jegliche Spuren ihrer jüdischen Wurzeln zu eliminieren (Miller/Ury 2010: 340). Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die Boyarins sowie Miller und Ury die Praxis eines rooted cosmopolitanism auch historisch verorten, während es in der seit den 1990er Jahren vornehmlich von Philosophen, Soziologen und Anthropologen geführten Debatte über dieses Konzept vor allem um die zeitgenössische Bedeutung geht (vgl. bspw. Werbner 2006: 497). Inzwischen gibt es auch erste Ansätze, das Konzept des rooted cosmopolitanism in der allgemeinen Geschichtswissenschaft forschungspraktisch aufzugreifen (Panter/Paulmann/Szöllösi-Janze 2015: 1-14), wenngleich eine empirische Umsetzung bisher äußerst vage geblieben ist. Mit den folgenden skizzenhaften und exemplarischen Ausführungen zu Steinberg soll gezeigt werden, in welcher Weise der bewusste transnationale Aktivismus eines globalen Subjekts in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von einer dezidierten Haltung des rooted cosmopolitanism geprägt war. Damit offenbart sich in der grenzüberschreitenden Lebenspraxis eines Individuums, wie das Globale und das Lokale, Universalismus und Partikularismus, Weltbürgertum und kulturelle Souveränität miteinander verflochten waren bzw. aufeinander bezogen blieben. Auch wenn einem derartigen transnationalen Aktivismus im „Zeitalter der Extreme“ letztlich kein „Erfolg“ beschieden war, und der rooted cosmopolitan in der Erinnerungskultur marginalisiert wurde,8 so treten doch mit Hilfe des biographischen Zugangs sehr deutlich die Alternativen des Geschichtsverlaufs im globalen Kontext zutage. Konkret geht es darum, Steinbergs Globalität als biographische Praxis des gelebten Internationalismus in Ablehnung des Nationalstaates deutlich zu machen, das dynamische Verhältnis seiner Verwurzelung und seines Kosmopolitismus zu bestimmen, sein Agieren in Netzwerken als Teil dieser Globalität herauszustellen sowie den Zusammenhang von Steinbergs Selbst- und Fremdwahrnehmung zu reflektieren. Biographische Skizze zu Isaac Steinberg Bevor Steinbergs rooted cosmopolitanism in seinen verschiedenen Aspekten exemplarisch erörtert wird, sei zunächst ein kurzer biographischer Überblick vorangestellt. 1888 in eine orthodoxe jüdische Familie im zum Russländischen Reich gehörenden Dvinsk (heute Daugavpils in Lettland) geboren, erhielt Steinberg eine gründliche talmudische wie auch säkulare Erziehung. Schon kurz nachdem Steinberg 1906 in Moskau sein Jurastudium aufgenommen hatte, trat er der äußerst populären Partei der Sozialrevolutionäre bei. Dieses politische Engagement führte wenig später zu seiner ersten Verhaftung. Vor die Wahl gestellt, in die Verbannung oder ins Exil zu gehen, entschied sich Steinberg dafür, sein Jura- und Talmudstudium in Heidelberg unter 8 Vgl. hierzu auch Harders 2014: 52, die die Problematisierung der Marginalisierung und den Ruf nach Pluralisierung als einen der wesentlichen Fortschritte der Biographieforschung und biographischen Praxis der letzten Jahre sieht. Kampf für Sozialismus und Judentum auf vier Kontinenten 47 anderem bei Gustav Radbruch, dem späteren Justizminister der Weimarer Republik, fortzusetzen. 1909 schloss er dieses mit einer Dissertation über talmudisches Strafrecht ab. Nach Moskau zurückgekehrt, arbeitete Steinberg zunächst als Anwalt, stieg aber während des Ersten Weltkriegs zu einem der führenden Repräsentanten des linken Flügels der Sozialrevolutionäre auf. Nur wenige Wochen nach dem Oktoberumsturz der Bolschewiki bildeten die Linken Sozialrevolutionäre eine Koalitionsregierung mit der Partei Lenins, wobei Steinberg erster Volkskommissar für Justiz wurde. In den circa drei Monaten seiner Amtszeit unternahm er enorme Anstrengungen, um ein Abgleiten der Oktoberrevolution in Willkür und Terror zu verhindern und eine gewisse Form der Rechtsstaatlichkeit im revolutionären Russland zu etablieren (vgl. hierzu Grill 2014: 144-147). Kurz nach dem Austritt aus der Koalitionsregierung sah sich auch die Partei der Linken Sozialrevolutionäre den Verfolgungen der Bolschewiki ausgesetzt. Nach Verhaftungen und zahlreichen Hausdurchsuchungen entschied sich Steinberg 1923 für die Emigration nach Deutschland, wo er mit Hilfe verschiedener Netzwerke schon bald neue politische wie kulturelle Aktivitäten entwickelte. Die nationalsozialistische Machtübernahme in Deutschland trieb den Exilant in die erneute Emigration, die gleichzeitig auch den Anbruch einer neuen Schaffensphase markierte. Für die nächsten Jahre konzentrierte sich Steinberg hauptsächlich auf die Realisierung seines Vorhabens, verfolgte (ost-)europäische Juden durch geschlossene Ansiedlung in einem weitgehend unbewohnten Gebiet zu retten. Bereits 1935 gründete er in London mit anderen Mitstreitern die trans- und international agierende Freeland League for Jewish Territorial Colonization und stieg damit zum wichtigsten Repräsentanten des jüdischen Territorialismuskonzepts auf. Seit Ende der 1930er Jahre verhandelte er als Vorsitzender der Freeland League mit den australischen Bundes- und Regionalregierungen über eine kollektive Niederlassung von europäischen Juden in einem unbesiedelten Gebiet des Landes. Obwohl sich zahlreiche Vertreter von Politik, Gewerkschaften und Kirchen dank Steinbergs unermüdlichem Engagement für dieses Projekt aussprachen, scheiterten die Verhandlungen nach vier Jahren letztlich daran, dass die australische Bundesregierung Immigration nur auf individueller, nicht jedoch auf kollektiver Basis zuzugestehen bereit war. In seinen letzten Lebensjahren konzentrierte Steinberg seine politischen und kulturellen Aktivitäten weiterhin darauf, ein Gebiet für eine kollektive Ansiedlung von jüdischen DPs (displaced persons) zu erlangen, wobei für eine gewisse Zeit Surinam (Niederländisch-Guyana) favorisiert wurde. Anfang 1957 verstarb er schließlich in New York, ohne jedoch seine Vision von einem jüdischen „Freiland“ realisiert zu haben. Isaac Steinbergs rooted cosmopolitanism Laut Yuri Slezkine bekämpften die meisten jüdischen Revolutionäre „den Staat nicht, um freie Juden zu werden; sie bekämpften den Staat, um sich von ihrem Judentum zu befreien - und so frei zu werden. Ihre Radikalität wurde nicht durch ihre Nationalität verstärkt, sondern durch ihren Kampf gegen ihre Nationalität. Lettische oder polnische Sozialisten konnten sich zum Universalismus, zur proletarischen Internationale und zu einer Vision künftiger kosmopolitischer Harmonie bekennen, ohne aufzuhören, Letten oder Polen zu sein. Für viele jüdische Sozialisten aber bedeutete Internati- 48 Tobias Grill onalist zu sein, sein Judentum vollständig abzustreifen“ (Slezkine 2007: 160). Was Slezkine hier für die große Mehrheit jüdischer Revolutionäre im Zarenreich behauptet, galt für Isaac Steinberg in keiner Weise. Schon in jungen Jahren vertrat und praktizierte er einen rooted cosmopolitanism, der einerseits im Sinne Appiahs von einer bedingungslosen Loyalität gegenüber der gesamten Menschheit getragen wurde, andererseits aber auch von einer Verwurzelung in seiner eigenen, jüdischen Kultur geprägt war. Als der junge Student Steinberg 1907 aufgrund seines Engagements für die Sozialrevolutionäre Partei von der zaristischen Polizei verhaftet wurde, zeigte sich, dass er nicht nur ein engagierter Revolutionär, sondern auch ein observanter Jude war. So weigerte sich Steinberg während seiner Zeit im Gefängnis, nicht-koscheres Essen zu sich zu nehmen, und morgens, wenn es allen erlaubt war, die Zellen zu verlassen, blieb er zurück und legte seine Gebetsriemen an, um zu beten. Darüber hinaus hielt er sogar einen Seder (rituelle Feier am Vorabend von Pessach) im Gefängnis. Laut seinem Bruder beeindruckte Steinbergs Standhaftigkeit, in der Haft an den jüdischen Riten festzuhalten, sowohl seine revolutionären Kampfgefährten, die selbst irreligiös waren, als auch die Gefängniswärter. Nachdem schließlich das ursprüngliche Urteil von drei Jahre Verbannung nach Sibirien in zwei Jahre Auslandsexil umgewandelt worden war und Steinberg am ersten Tag von Schavuot (Wochenfest) entlassen werden sollte, weigerte sich dieser die Entlassungsurkunde zu unterzeichnen, da das jüdische Religionsgesetz (Halacha) das Schreiben an Feiertagen untersage. Vielmehr beabsichtigte Steinberg, weitere drei Tage im Gefängnis zu bleiben, um nicht gegen die Halacha verstoßen zu müssen. Erst die Erklärung eines Rabbiners, wonach in diesem Fall der Verstoß gegen das jüdische Religionsgesetz erlaubt sei, veranlasste den jungen Revolutionär, nachzugeben und seine Entlassung zu unterzeichnen (Shteynberg 1961: 53-55). Ein internationalistischer Sozialrevolutionär zu sein und dabei gleichzeitig ein observanter (und der Kultur des Judentums verpflichteter) Jude zu bleiben war für Steinberg offenbar kein Widerspruch, sondern Teil seiner komplexen und hybriden Identität. Im Laufe des Ersten Weltkriegs nahm Steinberg sein politisches Engagement in der Partei der Sozialrevolutionäre wieder auf, wobei er schon bald zu einem der wichtigsten Vertreter ihres linken, internationalistischen Flügels wurde, der sich schließlich im November 1917 als eigenständige Partei konstituierte. Wenige Wochen nachdem die Bolschewiki durch den Oktoberumsturz die Macht an sich gerissen hatten, gingen Steinberg und seine Genossen eine Koalition mit diesen ein. Steinbergs drei Monate währende Tätigkeit als Volkskommissar für Justiz war nicht nur vom Prinzip eines ethischen Sozialismus geprägt, das auch die Wahrung der Menschenrechte politischer Gegner miteinschloss, sondern vor allem auch von einem dezidiert internationalistischen Revolutions- und Sozialismusverständnis. Für ihn konnte die russische (Oktober-)Revolution nur der Auftakt zur allgemeinen Befreiung der gesamten Menschheit von jeglicher Unterdrückung sein. Vor diesem Hintergrund war es nur folgerichtig, dass Steinberg und seine Partei der Linken Sozialrevolutionäre den Abschluss des deutsch-russischen Sonderfriedens von Brest-Litovsk, den vor allem Lenin aus Gründen des Machterhalts gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt hatte, als Verrat an den „werktätigen Massen“ im In- und Ausland ablehnten und aus Protest die Koalition mit den Bolschewiki aufkündigten (Grill 2014: 150). Kurz darauf begab sich Steinberg in die Schweiz, um seinem Anliegen eines revolutionären Kampf für Sozialismus und Judentum auf vier Kontinenten 49 Internationalismus möglichst weitreichend Gehör zu verschaffen. So veröffentlichte er dort im Namen seiner Partei eine Broschüre gegen den „konterrevolutionären“ Frieden von Brest-Litovsk, die auf Deutsch (Steinberg 1918), Französisch (Steinberg 1918a) und Englisch (Steinberg 1918b) erschien. 9 Darin kritisierte er unter anderem, dass der Friedensvertrag „in starkem Masse den internationalen Einfluss unserer Revolution verringert“ (Steinberg 1918: 36) und die Ausbreitung der Weltrevolution erschwert habe (ebda: 21). Grundsätzlich ist in unserem Zusammenhang zu betonen, dass Steinberg in der Phase, als er einer der herausragenden Repräsentanten der Oktoberrevolution und der Partei der Linken Sozialrevolutionäre war, zwar weiterhin religiös-observant blieb (vgl. bspw. die Erinnerungen von Spiegel 1963: 84 f.), jedoch in der Öffentlichkeit keine Stellung zu jüdischen Themen bzw. zur „jüdischen Frage“ bezog.10 Als überzeugter Sozialrevolutionär dürfte Steinberg davon ausgegangen sein, dass mit dem Anbruch eines sozialistischen Zeitalters die jüdische Gemeinschaft die grundsätzliche Möglichkeit erhalten würde, innerhalb der neuen politischen Ordnung ihre eigenen religiösen und kulturellen Belange ohne Einschränkungen pflegen zu können, sich die „jüdische Frage“ mithin von selbst erledigen würde. Auch während der Emigrationszeit in Berlin engagierte sich Steinberg politisch im internationalistischen und anti-etatistischen Sinne. Bereits 1921 hatte Steinberg für einen „internationalen Zusammenschluß aller sozial-revolutionären Kräfte“ geworben, die am Aufbau eines Sozialismus in Abkehr von den marxistischen und terroristischen Methoden der Bolschewiki interessiert waren (Steinberg 1921/2001a: 101 f.). Nachdem sich die „Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Parteien“ („Zweieinhalbte Internationale“), der auch die Partei der Linken Sozialrevolutionäre angehörte, gegen Steinbergs massiven Widerstand im Mai 1923 mit der „Zweiten Internationale“ zur „Sozialistischen Arbeiterinternationale“ vereinigt hatte, gründete Steinberg mit anderen Abweichlern das „Internationale Informationsbüro revolutionär sozialistischer Parteien“, das seinen Sitz zunächst in Berlin, dann in Paris hatte. Ziel des „Informationsbüros“ war die Propaganda für eine allumfassende Internationale (Buschak 1985: 321), wobei sowohl die terroristischen und staatskommunistischen Methoden der Bolschewiki wie auch die reformorientierte Haltung der Sozialdemokratie abgelehnt wurden. Auch wenn das „Informationsbüro“, dem einige sozialrevolutionäre und sozialistische Parteien Europas angehörten, nur eine Minderheit der sozialistischen Bewegung repräsentierte, blieb Steinberg seiner Überzeugung treu, dass im Sinne eines echten Internationalismus und Kosmopolitismus nur ein dritter Weg jenseits von Bolschewismus und Sozialdemokratie zur tatsächlichen Befreiung der Menschheit von jeglicher Unterdrückung führen könne. Damit vertrat Steinberg einen politischen Internationalismus, der weder kommunistisch noch liberal konnotiert war und in den 9 Diese Broschüre hatte Steinberg im selben Jahr auch auf Russisch in Moskau veröffentlicht, wobei davon auszugehen ist, dass die russischsprachige Version als Vorlage für die anderssprachigen Übersetzungen diente (vgl. Štejnberg 1918c). 10 Eine Ausnahme bildeten die antijüdischen Pogrome während des Bürgerkriegs, gegen die Steinberg im März 1921 seine Stimme erhob und dazu aufrief, den Kampf gegen den reaktionären und konterrevolutionären Antisemitismus „mit Hilfe des Staatsapparates, aber vor allem mit Hilfe der revolutionären Selbständigkeit der jüdischen arbeitenden Massen zu führen“ (Steinberg 1921/2001: 47). 50 Tobias Grill Bestrebungen nach Weltfrieden und einer gewissen Form von Weltbürgertum begründet war.11 Vor diesem Hintergrund knüpfte Steinberg in seiner Berliner Zeit enge Kontakte zu Personen, die anarchistischen, anarcho-syndikalistischen12, freisozialistischen und rätekommunistischen Richtungen nahestanden. Schon bald war Steinberg Mitglied teils überlappender Netzwerke, deren zentrale Knotenpunkte neben Steinberg unter anderen Karl Korsch, Erich Mühsam, Rudolf Rocker 13, Alfred Döblin, Theodor Liebknecht, Bertold Brecht und Augustin Souchy waren (vgl. Kubina 2000: 82; Korsch Gesamtausgabe 2001: 26, 419-421; Souchy 1977: 73 ff). Auch wenn es sich dabei um „ideologisch nicht ganz gleichgesinnte Personen“ (Souchy 1977: 73) handelte, so war doch das verbindende Element eine freiheitliche, sozialistische, ethische und antietatistische Haltung, die sowohl in Opposition zur Sozialdemokratie wie auch zum Kommunismus bolschewistischer Richtung stand. Steinberg bewegte sich in diesen Netzwerken nicht nur, um sich über theoretische Fragen des Sozialismus mit ihm ideologisch nahestehende Personen austauschen zu können. Vielmehr boten ihm diese vor allem auch die Möglichkeit, als offizieller Vertreter der Auslandsdelegation der Partei der Linken Sozialrevolutionäre und des Sozialrevolutionäre-Maximalistenverbandes deren und seine Anliegen vertreten zu können. Dabei ging es ihm nicht allein darum, seine auf unmittelbare persönliche Erfahrungen beruhende Ansicht, wonach die Bolschewiki die Ideale der Oktoberrevolution und die Prinzipien eines internationalistischen, ethisch konnotierten Sozialismus durch die systematische Anwendung von Gewalt und Terror verraten hätten, in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen und für einen humanen Weg zum Sozialismus zu werben. Ganz konkret nutzte er diese und andere Netzwerke, so das „Vereinigte Comité zum Schutze der in Russland gefangenen Revolutionäre“ (Joint Committee for the Defense of the Revolutionists Imprisoned in Russia), auch, um über die Verfolgungen von Revolutionären in Sowjetrussland zu informieren und sich für eine Amnestie dieser Häftlinge wirkungsvoller engagieren zu können (vgl. hierzu auch Souchy 1977: 51; Amnestie 1927; vgl. auch Korsch 2001: 352; 2000 protestieren 1929: 1). Grundsätzlich war für Steinberg der Kampf der Arbeiterklasse bzw. der Kampf für den Sozialismus sozialrevolutionärer Prägung eine übernationale und vor allem auch antinationale globale Aufgabe, die er in einer transnationalen Öffentlichkeit insbesondere durch seine zahlreichen Publikationen in verschiedenen Sprachen verhandelte. Zentral für Steinbergs sozialistisches bzw. sozialrevolutionäres Selbstverständnis blieb die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von Revolution und Ethik, eine Frage, die insbesondere auf seine eigenen Erfahrungen mit Gewalt und Terror der Bolschewiki zurückging und seiner Meinung nach von existentieller Bedeutung für die Zukunft des Sozialismus war (vgl. hierzu Grill 2014: 159-166; Wallat 2013: 127150; Wallat 2012: 205-223). In aller Deutlichkeit formulierte er in seinem 1923 in 11 Zu den unterschiedlichen Auffassungen von Internationalismus in der Zwischenkriegszeit vgl. Clavin 2011: 5 f. 12 Dem Selbstverständnis nach war die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD), Organisation der deutschen Anarcho-Syndikalisten, „sozialrevolutionäre Klassenkampforganisation und radikale Kulturbewegung zugleich“ (Graf 2001: 36), was sich mit den politischen und kulturellen Interessen Steinbergs sicherlich sehr weit deckte. 13 Rudolf Rocker: Dr. J. Steinberg zum 60. Geburtstag, Rudolf Rocker Papers, Folder 308, International Institute of Social History, Amsterdam. Kampf für Sozialismus und Judentum auf vier Kontinenten 51 Berlin auf Russisch erschienenen Buch Das sittliche Antlitz der Revolution (1931 auf Deutsch publiziert) folgendes Credo: Der Sozialismus ist sittlicher Aktivismus. Nur als eine moralische Bewegung wird der Sozialismus den Menschen befreien oder gar nicht (zitiert nach der deutschsprachigen Ausgabe: Steinberg 1931: 326; auf Russisch: Štejnberg 1923: 308). Dabei ist zu betonen, dass Steinberg mit seiner bedingungslosen Forderung nach einem ethischen, humanen Sozialismus immer wieder die Öffentlichkeit suchte, um mit westlichen Sozialisten – z. B. Romain Rolland oder Ernst Toller – hart ins Gericht zu gehen, da in seinen Augen deren Solidarität mit der Sowjetunion die Verbrechen der Bolschewiki bagatellisierte und das grundsätzliche Bekenntnis des Sozialismus zur Menschlichkeit in Frage stellte. So schloss er 1930 einen offenen Brief an Ernst Toller mit den Worten: Ich frage Sie an, Genosse Toller, wollen Sie helfen, das historische Erbgut des Sozialismus – die Humanität – zu vernichten oder wollen Sie helfen, es zu retten?14 Steinbergs kategorische Forderung nach einem strikt humanen Sozialismus erhielt nicht zuletzt durch seine eigenen Erfahrungen und sein früheres Wirken Legitimität und Glaubwürdigkeit. Zum einen hatte er sich selbst in seiner kurzen Amtszeit als Justizkommissar für die Rechte politisch Andersdenkender massiv eingesetzt, zum anderen war er selbst als Linker Sozialrevolutionär und Protagonist des Roten Oktober zwei Mal unter Lenin für insgesamt ca. viereinhalb Monate inhaftiert und somit selbst Opfer bolschewistischer Repressalien geworden. Wie Steinberg ein Jahr später im Vorwort seiner in München erschienenen autobiographischen Schrift Als ich Volkskommissar war erklärte, würden die „Linken Sozialrevolutionäre einen Kampf gegen die Methoden des Bolschewismus im Namen der unverfälschten Sowjetrepublik und des Weltsozialismus“ (Steinberg 1929: 14) führen. Gerade mit dieser autobiographischen Schrift wollte Steinberg seinem Kampf gegen die Bolschewiki und ihrer Pervertierung der Oktoberrevolution nicht nur eine aus der Unmittelbarkeit seiner eigenen Erfahrungen speisende Legitimität, sondern auch eine globale Dimension verleihen. Um eine möglichst große Leserschaft zu erreichen, erschienen – wie die zahlreichen anderen Publikationen Steinbergs – auch die Erinnerungen an seine Zeit als Volkskommissar in verschiedenen Sprachen, neben Deutsch auf Französisch, Spanisch und Jiddisch. Seit 1926 gab der in Berlin lebende Steinberg die jiddischsprachigen Fraye shriftn farn yidishn sotsialistishn gedank heraus, die zunächst in Wilno (Wilna) und dann in Warschau erschienen. Dieses von ihm begründete Periodikum, das bis 1937 publiziert 14 Offener Brief Steinbergs an Ernst Toller vom 12.12.1930, Papers of Isaac Nachman Steinberg (18881957), YIVO New York, RG 366, Folder 944. Vgl. auch Grill 2014:63. Vgl. auch Steinbergs offenen Brief an Emile Vandervelde, dem Führer der belgischen Sozialisten, der sich für den inzwischen in der Sowjetunion in Ungnade gefallenen Trockij eingesetzt hatte (Offener Brief Steinbergs an Emile Vandervelde, ohne Datum, Papers of Isaac Nachman Steinberg [1888-1957], YIVO New York, RG 366, Folder 944). 52 Tobias Grill wurde und möglicherweise an das von Ben-Adir (Abraham Rosin, 1878-1942) 1923 in Berlin herausgegebene Dos fraye vort. Organ fun umophengikn sotsialistishn gedank anknüpfte,15 stellte seinen Versuch dar, innerhalb des jiddischsprachigen Judentums einen ethischen Sozialismus zu propagieren.16 Dieser Wunsch einer Synthese von jüdischer Ethik und internationalistischem Sozialismus verweist in aller Deutlichkeit auf Steinbergs rooted cosmopolitanism. Einerseits war seine Identität von einer tiefen Religiosität und Observanz wie auch engen Verbundenheit mit der jiddischsprachigen Kultur geprägt, andererseits war er Sozialist und erklärter Internationalist (nicht allein im engen sozialistischen Sinn), der nichts weniger als die Befreiung aller Menschen von staatlicher, politischer, sozialer und ökonomischer Unterdrückung anstrebte. Dabei ist zu betonen, dass für Steinberg die grundlegenden sozialistischen Ideale bereits in den traditionellen religiösen Schriften des Judentums formuliert waren und sich somit auch kein Widerspruch von religiöser und sozialistischer Überzeugung auftat. Nach Ansicht Steinbergs musste „eine neue Welt erkämpft werden, […] in der die Träume der jüdischen Propheten von der Brüderlichkeit des ganzen Menschengeschlechts verwirklicht werden sollen“, was nichts weniger als die „Erlösung der Menschheit“ (Steinberg 1933: 1) bedeutete. Bei Steinbergs Zeitgenossen löste sein rooted cosmopolitanism allerdings durchaus Irritationen und Unverständnis aus. Als er an Pessach 1924 zum Seder-Abend andere Emigranten in sein Berliner Haus einlud, notierte der anwesende Simon Dubnow (1860-1941), herausragender jüdischer Historiker und einst Begründer der Jüdischen Volkspartei im Zarenreich, in seinem Tagebuch, dass der „gestrige Pessach-Sejder unter seltsamen Umständen: in der Familie des ehemaligen Kommissars für Justiz Steinberg, der an religiösen Riten festhält“ (Tagebucheintrag Dubnows vom 19. April 1924, Dubnow 2005: 95), stattgefunden habe. Für Dubnows Enkel, Victor Erlich (1914-2007), war dieser Seder-Abend, der eine „ausschweifende rituelle Angelegenheit war, der längste und ‚orthodoxeste‘ Seder, an dem ich je teilgenommen habe“. Wie Erlich vermutete, war Dubnow „zugleich verwirrt und fasziniert davon“, dass in „Steinbergs Weltanschauung revolutionärer Maximalismus und orthodoxes Judentum so unvermittelt nebeneinander standen“. In den Augen Erlichs machte dies „Steinberg zu einem einzigartigen, ja wenn nicht exzentrischen Phänomen“, wobei Erlichs dreizehnjähriger Bruder, selbst „bereits ein engagierter und prinzipientreuer säkularer Freigeist mit sozialistischen Überzeugungen“, von Dubnow dazu überredet werden musste, „auf die religiösen Überzeugungen des ersten sowjetischen Justizkommissars Rücksicht zu nehmen“ (Erlich 2005: 223 f.). Im Sinne seiner bewussten Verwurzelung im osteuropäischen Judentum war Steinberg in Berlin auch Mitglied und Knotenpunkt eines transnationalen jiddischsprachigen Netzwerkes, das sich letztlich die Wahrung einer kulturellen Souveränität des jiddischsprachigen, osteuropäischen Judentums verschrieben hatte. Im Juli 1924 weilte der aus New York stammende Schriftsteller und Aktivist des Workmen’s Circle (Arbeyter Ring) A. S. Sachs (Zaks, 1979-1931) in Berlin. Auf seine Initiative hin 15 Dieses Blatt trat als Verfechter eines dezidierten jüdischen Sozialismus hervor und war vor allem auch explizit gegen die Politik der Bolschewiki und der Evsekcija (Jüdische Sektion innerhalb der Kommunistischen Partei) gerichtet (vgl. Neiss 1998: 245). 16 Vvgl. bspw. Fraye shriftn farn yidishn sotsialistishn gedank. Zamlbuch 1, September 1926: 4; Steinberg, Isaac: jiddischsprachiges Manuskript ohne Titel, Januar 1939, Papers of Isaac Nachman Steinberg (1888-1957), YIVO New York, RG 366, Folder 949. Kampf für Sozialismus und Judentum auf vier Kontinenten 53 versammelten sich im Haus von Isaac Steinberg Vertreter der in Berlin ansässigen jiddischsprachigen Intelligenz aus Osteuropa (Elias Tscherikower, Nachum Schtif, Jakov Letschinski, Aaron Steinberg, A. Litvak), um die Gründung einer „Jüdischen Wissenschaftlichen Akademie“, also eines zentralen Ortes für die jüdische Volkserziehung in jiddischer Sprache zu besprechen. In Abkehr von dieser Idee entwickelte sich in der Diskussion jedoch die Absicht, eine Institution für Wissenschaft und Forschung in jiddischer Sprache ins Leben zu rufen. Dies war letztlich die Geburtsstunde der Idee vom Yidisher Visnshaftlekher Institut, kurz YIVO (Steinberg, Isaac: „Hauptdetails für die Rede bei der Schlusssitzung“, Papers of Isaac Nachman Steinberg (1888-1957), YIVO New York, RG 366, Folder 61; Kuznitz 2014: 45; Elkin 1961: 442), bis heute die weltweit wichtigste Institution für die Erforschung des jiddischsprachigen, osteuropäischen Judentums. Als etwas mehr als ein Jahr später – im August 1925 – in Berlin die Vorberatungen für die konkrete Errichtung des YIVO stattfanden, zog sich Steinberg bereits am ersten Tag aus Protest gegen die Einladung von Repräsentanten sowjetischer Akademien zu einer geplanten wissenschaftlichen Konferenz aus dem Gründungskomitee des YIVO zurück (Kuznitz 2014: 100). Im Gegensatz zu seinem Bruder, der diesem Komitee weiterhin angehörte, war Steinberg nicht bereit, Wissenschaft und Politik zu trennen. Angesichts seiner eigenen Erfahrungen mit dem Terror der Bolschewiki, seinem Kampf gegen die Pervertierung der Oktoberrevolution und seinem Engagement für sozialistische Gefangene in der Sowjetunion wollte Steinberg in der Frage einer wie auch immer gearteten Kooperation des YIVO mit sowjetischen Wissenschaftlern keine Kompromisse eingehen. Dennoch blieb Steinberg beinahe dreißig Jahre mit dem YIVO an verschiedenen Orten in der Welt eng verbunden (vgl. Shur 1961: 354-359; Elkin 1961: 442-447). Dabei tat er sich nicht nur durch regelmäßige Vorträge hervor, sondern reiste beispielsweise im Herbst 1935 für mehr als ein Jahr - getrennt von seiner Familie -, nach Südafrika, um dort „Propaganda“ für die Arbeit des YIVO zu machen und insbesondere Spenden einzuwerben. Auch nach seiner Emigration nach New York 1943 war Steinberg als Mitglied der Verwaltung und des Direktoriums einer der wichtigsten Repräsentanten des YIVO. Im Februar 1954 verließ er jedoch das Direktorium aus Protest gegen den Beschluss des YIVO, deutsche Wiedergutmachungszahlungen anzunehmen, um damit jüdische Kultur zu fördern. Wie Steinberg in einem offenen Brief erklärte, handele es sich bei den Wiedergutmachungszahlungen um eine Frage, die den moralischen Zustand der ganzen jüdischen Gesellschaft berühre, beeinflusse und in Frage stelle (vgl. Elkin 1961: 444).17 Wie schon im Vorfeld der Gründung des YIVO war er auch hier nicht zu Kompromissen bereit, die seinem Anspruch von Moral und der Wahrung kultureller Souveränität des Judentums entgegenstanden. Dass sich Steinberg und seine Familie vor dem Zugriff der Nazis durch Emigration bzw. Flucht hatten retten können, dürfte wesentlich zu seinem neuen politischen Engagement beigetragen haben, das in den verbliebenen 22 Jahren seines Lebens 17 Vgl. hierzu auch Steinbergs Beitrag Mir zeynen da?, in dem er schreibt: „Und schaut, wie leicht sich unter uns die moralische Pest des deutschen Geldes verbreitet hat! Kein einziges staatliches, politisches oder kulturelles Argument kann die stille Stimme des jüdischen Gewissens ersticken, das sich gegen den falschen Beschluss erhebt.“ (Mir zeynen da?, Anhang von Steinbergs Brief an United Jewish Survivors of Nazi Persecution in U.S.A., 3.1.1955, Papers of Isaac Nachman Steinberg [1888-1957], YIVO New York, RG 366, Folder 50). 54 Tobias Grill einen zentralen Platz einnahm. Bereits im Juli 1935 gründete er zusammen mit anderen Aktivisten in London die transnational und global agierende Freeland League for Jewish Territorial Colonization, die sich als Nachfolgerin der von Israel Zangwill begründeten und 1925 aufgelösten Jewish Territorialist Organization (ITO) darum bemühte, von einem Staat das Recht zu erlangen, verfolgte europäische Juden kollektiv und unter Wahrung ihrer eigenen Kultur ansiedeln zu dürfen. Eine wesentliche Rolle bei dieser Gründung spielte ein Netzwerk um Steinberg, Alfred Döblin und Ben-Adir (Abraham Rosin), das sich bereits in Berlin Mitte der 1920er Jahre (in Anlehnung an Horch 1995: 26) aus gemeinsamem Interesse an Fragen des Sozialismus gebildet hatte und nun in London und Paris angesichts der zunehmenden Verfolgungen des europäischen Judentums neue Prioritäten setzte. Wie Steinbergs Ausführungen in seiner im September 1933 in London gegründeten jiddischsprachigen Wochenzeitung Dos fraje Vort zeigen, ging es ihm dabei nicht allein um die physische Rettung verfolgter Juden, sondern vielmehr auch um die Umsetzung eines sozialpolitischen und moralischen Programms. Dabei war nach Steinbergs Meinung das aktive Eintreten für jüdische Rechte - insbesondere das freie Niederlassungsrecht - keineswegs einem partikularistischen, sondern vielmehr einem universalistischen Prinzip verpflichtet (Steinberg 1935: 1). Im Sinne von Steinbergs rooted cosmopolitanism war das Engagement für jüdische Belange untrennbar verbunden mit dem Kampf um die Befreiung der ganzen Menschheit von sozialer und politischer Unterdrückung, womit eine klare Kontinuität zu seinem Engagement während der Russischen Revolution deutlich wird.18 In den folgenden zwei Jahrzehnten avancierte Steinberg schließlich zum weltweit wichtigsten Repräsentanten des jüdischen Territorialismusgedankens. In dieser Eigenschaft wurde Steinberg zu einem rastlosen Wanderer zwischen Ländern und Kontinenten, wobei er zahlreiche Verhandlungen mit höchsten Regierungsvertretern Großbritanniens, Australiens, den USA, Frankreichs und den Niederlanden führte. Am wichtigsten in diesem Zusammenhang war sein vier Jahre währender Aufenthalt in Australien zwischen 1939 und 1943, der von dem Versuch bestimmt war, australische Regierungen sowie Vertreter der Gewerkschaften, Kirchen und der Gesellschaft zu überzeugen, der Freeland League in den westaustralischen Kimberleys ein größeres Gebiet für die kollektive Ansiedlung verfolgter europäischer Juden zu überlassen (vgl. hierzu allgemein Rovner 2014: 154-159, 163-167, und passim; Matsdorf 1973/74: 2430; Blakeney 1984: 277-292; Brenner 2016: 123-125; Alroey: 276-282). Dabei ist zu betonen, dass der aus Europa stammende Jude Steinberg eine nicht zu unterschätzende Mittler- und Brückenfunktion in der australischen Öffentlichkeit erfüllte, die auch als solche wahrgenommen wurde. So erklärte die im australischen Perth erscheinende Zeitung Westralian Worker im Juli 1939: The presence of Dr. Steinberg in Australia brings closer to us the persecutions now being suffered by the Jews in the totalitarian countries, and his mission is one to which it is impossible to remain indifferent (Westralian Worker, 21.7.1939: 5). 18 Hendrik Wallat hat ganz richtig Folgendes bemerkt: „Steinbergs Weg von der Russischen Revolution zum Kampf für die (europäischen) Juden basiert auf der unbedingten, in seinem jüdischen Glauben gründenden Treue zur universellen Befreiung der Menschheit“ (Wallat 2013: 28). Kampf für Sozialismus und Judentum auf vier Kontinenten 55 Tatsächlich war es Steinberg schon kurz nach seiner Ankunft in Australien mit seiner „meisterhaften propagandistischen Technik“ (Blakeney 1984: 283) gelungen, die Regierung des Bundesstaates Westaustralien, regionale Politiker, Gewerkschaftsführer (The Argus, 6.1.1940: 3; The Australian Worker, 6.3.1940: 11; The West Australian, 20.4.1940: 4), höchste Kirchenvertreter (den anglikanischen Erzbischof Henry Le Fanu, den katholischen Erzbischof Dr. Daniel Mannix, den anglikanischen Bischof Charles Venn Pilcher), herausragende Personen des öffentlichen Lebens (vgl. bspw. The West Australian, 21.4.1943: 4; Rubinstein 1999: 35-59), Handelskammern, Universitäten (The West Australian, 7.4.1943: 2) und auch Teile der Presse (Blakeney 1984: 285) für seinen Plan zu gewinnen (vgl. auch Steinberg 194?: o.P.; Blakeney 1984: 282 f.). Dieser Umstand zeugt deutlich von Steinbergs politischen, interkulturellen, interreligiösen und sprachlichen Kompetenzen, die ihm - einem im Russländischen Reich geborenen orthodoxen Juden und Protagonisten der Oktoberrevolution - die Anerkennung als seriösen und verlässlichen Verhandlungspartner sehr erleichtert haben dürften. Auch der Umstand, dass er Abstinenzler war, einen möglicherweise irritierenden Bart trug (Steinberg 1948: 36 f.; Stedman 1960: 173) und einst mit den Bolschewiki koaliert hatte, habe angeblich keineswegs, wie ursprünglich befürchtet, seine australische „Mission“ beeinträchtigt. Ganz im Gegenteil scheint in den Augen Steinbergs gerade seine Vergangenheit als russischer Revolutionär für das von ihm repräsentierte Freeland-Projekt von Vorteil gewesen zu sein (Steinberg 1948: 37). Allerdings gab es bezüglich Steinbergs Vergangenheit auch Vorbehalte und Missverständnisse auf höchster Ebene, die ihm selbst verborgen geblieben sein dürften. Wie aus den Memoiren eines ehemaligen australischen Ministers hervorgeht, hielt der damalige Premierminister Australiens, John Curtin (1885-1945), Steinberg für einen ehemals fanatischen Bolschewik, der für mehr Todesurteile verantwortlich gewesen sein soll als irgendeine andere Person in Russland (Calwell 1972: 111). Warum ausgerechnet der australische Premierminister gegenüber einem seiner Minister vorsätzlich oder unabsichtlich mit falschen biographischen Informationen zu Steinberg operierte, ist nicht bekannt. Es spricht jedoch einiges dafür, dass das antisemitische Ideologem vom „jüdischen Bolschewismus“ eine nicht unerhebliche Rolle dabei gespielt hat (vgl. bspw. die Erinnerungen von Minister Calwell 1972: 116). Während die Führungen einflussreicher Gewerkschaften Steinberg insbesondere aufgrund seiner sozialrevolutionären Vergangenheit unterstützten, war genau dies ein Grund für gewisse Politiker - auch in den Reihen der Labour-Party - gegenüber dem jüdischen Revolutionär Steinberg äußerst misstrauisch zu sein (Blakeney 1984: 290). Tatsächlich war Steinberg als ehemaliger russischer Revolutionär von Beginn an von australischen Sicherheitsbehörden heimlich überwacht worden, da man ihn zunächst für einen potentiellen kommunistischen Spion hielt, der antibritisch eingestellt sei.19 Dabei ist zu betonen, dass sich der australische Security Service bei seiner Überwachung mit Steinbergs Transkulturalität bzw. kulturellen Hybridität durchaus schwer tat. Denn dieser bediente sich eben nicht nur des Englischen, sondern beispielsweise bei Ansprachen vor jüdischen Gemeindevertretern, in Briefen an seine 19 Vgl. hierzu das Dossier des Security Service, New South Wales, National Archives of Australia: C123, 1554. Auch die Catholic Press verwies darauf, dass Steinbergs russischer Hintergrund das Einsickern von Kommunisten in das Land zur Folge haben könne (vgl. Blakeney 1984: 286). 56 Tobias Grill Frau oder bei der Veröffentlichung von Freeland-Broschüren auch des Jiddischen, was ihn als besonders fremd und verdächtig erscheinen ließ. Steinberg betrachtete sich selbst jedoch keineswegs als einen Fremden. In einem persönlichen Brief an den australischen Premierminister erklärte er im November 1943, dass er im Laufe seines vier Jahre währenden Aufenthaltes Land und Leute zu lieben begonnen habe und sich sogar als Adoptivsohn Australiens betrachte (Brief Steinbergs an den australischen Premierminister John Curtin vom November 1943, National Archives of Australia, M1415, 331). Auch wenn diese Wahrnehmung und Selbstrepräsentation nicht zuletzt dazu diente, die Skepsis, die mancher dem Fremden, Ausländer und Juden Steinberg entgegenbrachte, zu zerstreuen, so war sie doch keineswegs aus der Luft gegriffen. Als Ende März 1943 der australische Gesundheitsminister Jack Holloway (1875-1967) dem britischen Arbeitsminister Ernest Bevin (1881-1951), der auf Bitte Steinbergs bereits 1938 als mächtiger Gewerkschaftsführer die australische Regierung wegen der Realisierungsmöglichkeiten des Freeland League-Projektes angeschrieben hatte, in einem Brief um Unterstützung Steinbergs bat, nannte er diesen einen „sehr hoch geschätzten Bürger in unserem Land“ („very highly respected citizen in our country“). Zwar wolle Steinberg nach so langer Abwesenheit seine Familie, die in London lebe, wiedersehen, allerdings hoffe man, wie Holloway betonte, dass er wieder zurückkehren und seine gute Arbeit in Australien fortführen werde.20 Und auch die Anhänger des Freeland-Projektes nahmen Steinberg nicht als Fremden wahr, sondern vielmehr als Internationalisten und Kosmopoliten. Ein australischer Jude, der ursprünglich ebenfalls aus Russland stammte und sich mit Steinberg gemeinsam für den Kimberley-Plan eingesetzt hatte, charakterisierte ihn später nahezu als Paradebeispiel für einen kosmopolitischen Juden, der das durch jahrhundertelange Grenzüberschreitungen gesammelte Wissen des Judentums in sich trug, dieses vermitteln konnte und dessen Weltanschauung von der Idee der Brüderlichkeit aller Menschen bestimmt war: Who was more international and more cosmopolitan than Dr. Steinberg? It was the idea of the brotherhood of all men that dominated his philosophy. No country was to him dearer than another. Wherever people dwelt in peace and contentment this was the promised land. Steinberg never felt himself a stranger anywhere (Stedman 1960: 173). Im Gegensatz zur großen Mehrheit jüdischer Kosmopoliten und Internationalisten blieb aber Steinberg im religiösen und kulturellen Judentum Osteuropas verhaftet. Vor dem Hintergrund seines rooted cosmopolitanism war es nur konsequent, dass er sich angesichts der nahezu vollständigen Vernichtung der osteuropäischen Juden dafür einsetzte, im Sinne einer Selbstbehauptungsstrategie nach innen wie nach außen zur Lösung der Jüdischen Frage einen dritten Weg jenseits von zionistischem Staatsnationalismus oder radikaler Assimilation einzuschlagen, der auf eine Kontinuität der transnationalen und transterritorialen Diaspora-Kultur des osteuropäischen Judentums in einer anderen Region der Welt abzielte. Seine Absicht einer kollektiven Ansied20 Brief des australischen Sozial- und Gesundheitsministers Holloway an E. Bevin vom 31.3.1943, The National Archives, Kew, UK, FO 371/52516-0023. Kampf für Sozialismus und Judentum auf vier Kontinenten 57 lung osteuropäischer Juden ohne Eigenstaatlichkeit war vor allem auch vom Wunsch nach Wahrung kultureller Souveränität der künftigen jüdischen Siedler getragen. Das „Freiland“ sollte ihnen neben dem physischen Schutz insbesondere die Möglichkeit geben, unter ihresgleichen die eigenen, jüdischen Traditionen, insbesondere aber die jiddische Sprache pflegen zu können. Damit waren zwar Grenzüberschreitungen und Interaktionen keineswegs ausgeschlossen oder verpönt, aber eine Assimilation, also die Preisgabe religiöser und kultureller Eigenart war in Steinbergs Augen alles andere als wünschenswert, was ihn als klaren Gegner des nationalstaatlichen Homogenisierungspostulats erscheinen lässt. Mit den Worten Steinbergs: We want to see a vigorous Jewish culture take root in the Freeland territory. […] We specifically do want Polish, Lithuanian, Russian and Galician Jews to have their own historical continuity, to maintain and evolve their own particular way of life and their Yiddish language. This means creating a territory for Jews outside the Land of Israel […] A free land that will be secure from antisemitism and assimilation on the one hand and from statehood and its pitfalls on the other. A land that will be steeped in freedom and Jewish culture and help build a peaceful, productive and authentically Jewish home. (Steinberg 1948/2011: 6.3; ähnlicher Wortlaut auch bei Steinberg 1948a: 2 f.)21 Allerdings vertrat, und dies muss mit größtem Nachdruck betont werden, Steinberg in Bezug auf das Judentum keineswegs ein essentialistisches Kulturverständnis, das von einer Reinheit und Unveränderlichkeit aus- und „oft mit einem aggressiven Verständnis von Nation, Heimat, Gemeinschaft und Zugehörigkeit einhergeht“ (Said 1997: 22). Zwar blieb in seinen Augen das Wesen des Judentums über die Jahrhunderte hinweg in seinem Kern unverändert. Allerdings war er gleichzeitig der Meinung, dass das Judentum im Laufe der Zeit zahlreichen kulturellen Einflüssen und Veränderungen mithin einer Hybridisierung unterworfen gewesen sei. Wie oft erscheine, so Steinbergs rhetorische Frage, die eine oder andere Form jüdischen Lebens als typisch und rein jüdisch, obwohl diese die Juden in Wahrheit von einem anderen Volk übernommen haben. Das beste Beispiel sei Jiddisch. Was könne tiefer verwurzelt sein in der jüdischen Seele als Jiddisch? Und doch gehe, wie Steinberg betonte, mehr als die Hälfte dieser Sprache auf das Deutsche zurück (Steinberg 1948: 118). Letztlich bewertete Steinberg diese kulturellen Grenzüberschreitungen, Aneignungen und Hybridisierungen, die eng mit den transnationalen und transterritorialen Lebensformen des mittel- und ostmitteleuropäischen Judentums verbunden waren, als positiv, womit er sich in Opposition zum palästinozentrischen und diasporafeindlichen Kulturalismus des zionistischen Mainstreams befand.22 21 In ähnlicher Weise hatte er auch in seiner Schrift Plain Words to Australian Jews, die 1943 in Melbourne veröffentlicht wurde, darauf hingewiesen, dass nur eine kollektive Ansiedlung in einem bestimmten Gebiet Juden vor Assimilation und dem Verlust jüdischer Werte und jüdischer Kultur bewahren könne (Steinberg 1943: 19). 22 Zudem hob sich Steinberg mit seinen Ansichten zur jüdischen Kultur deutlich von vielen anderen Verfechtern kultureller Souveränität ab, die durch „die Behauptung der Eigenheit, der Reinheit und der Authentizität Deutungs- und konsequenterweise Handlungsmacht herzustellen“ (Feindt/Gißibl/Paulmann 2017: 25) versuchten (vgl. auch ebd.: 31). 58 Tobias Grill Ebenso stand Steinbergs anti-etatistischer Internationalismus und Kosmopolitismus wie auch sein betont „unpolitischer“ Plan eines Freelands für verfolgte Juden in deutlichem Gegensatz zum politischen Zionismus. Im Januar 1946 wurde Steinberg als Vertreter der Freeland League vor das Anglo-American Committee of Inquiry geladen. Dieses Komitee war gemeinsam von der britischen und US-amerikanischen Regierung eingesetzt worden, um den Konflikt zwischen Juden und Arabern im Mandatsgebiet Palästina auf diplomatischem Wege zu lösen. In seiner Aussage vor dem Gremium zollte Steinberg dem zionistischen Aufbauprojekt in Palästina einerseits seinen Respekt, andererseits machte er auch keinen Hehl aus seinen massiven Vorbehalten, die seiner anti-etatistischen und ethischen Haltung entsprangen. Ohne Umschweife gestand er als Vertreter der Jewish Freeland League ein, dass seine Organisation kein großes Interesse an der Entstehung eines jüdischen Staates in Palästina habe. Zum einen glaube man grundsätzlich nicht, dass die Welt, wie sie sich momentan entwickle, überhaupt noch eines weiteren Staates bedürfe. Zum anderen hätte ein jüdischer Staat in Palästina, sollte er nicht mit Zustimmung der arabischen Bevölkerung gegründet werden, einen sehr schweren Stand – ein Umstand mit besorgniserregenden Folgen. Wolle ein solch kleiner Staat überleben, müsse er, so Steinbergs Befürchtung, seine ganze Energie auf die Selbstverteidigung ausrichten, was von Beginn an eine Militarisierung des Landes bedeuten würde. Damit würde aber die moralische, geistige und ökonomische Entwicklung des Landes gelähmt werden. Vor diesem Hintergrund sei die Freeland League, so Steinberg weiter, der Meinung, man müsse einen anderen Weg gehen, nämlich den der kollektiven Ansiedlung von Juden in einem unbewohnten Gebiet auf strikt unpolitischer Grundlage.23 Seiner auf einer anderen Vorstellung von jüdischer Vergemeinschaftung beruhenden grundsätzlichen Ablehnung einer jüdischen Staatlichkeit in Palästina, wie er sie vor dem Anglo-American Committee of Inquiry zum Ausdruck gebracht hatte, blieb Steinberg bis zum Ende seines Lebens treu, was nicht zuletzt daran lag, dass die weitere Entwicklung des Staates Israel seine Befürchtungen zu bestätigen schien. Bereits im Herbst 1946 rief er zu einem Ende des „Krieges“ in Palästina auf, wobei er harsche Kritik an den „terroristischen“ Methoden jüdischer Extremisten gegen Engländer, Araber und andere Juden übte (Steinberg 1946: 5-7, 14 f.). Ebenso betrachtete er das Massaker, das israelische Soldaten unter dem Kommando Ariel Scharons Mitte Oktober 1953 im palästinensischen Dorf Kibya verübten, nicht nur als kaltblütigen Mord an unschuldigen Menschen und als ein haarsträubendes Verbrechen, sondern als Bedrohung der traditionellen ethischen Grundlagen des jüdischen Volkes. Wie Steinberg weiter ausführte, bestehe die Aufgabe der Freeland League nicht mehr allein darin, Ansiedlungsgebiete für entwurzelte Juden zu finden, sondern vor allem in der Wahrung der zunehmend vernachlässigten Diasporakultur des jüdischen Volkes und der Stärkung seiner Moral, die tagtäglich mehr ihre Heimat verliere. Der Freeland League fiel somit nach seiner Meinung die Verantwortung zu, die durch den „politischen und etatistischen Zionismus“ verursachte ethische Degeneration des Judentums zu bekämpfen (Steinberg 1953: 3). Damit stand der „jüdische Nationalismus“, der laut Slezkine „wirklich eine Antwort auf das Problem der Staatlichkeit hatte“ und „sich überdies dadurch empfahl, dass er die Vision eines konsequent appolinischen Juden23 Reports of the Anglo-American Committee of Inquiry, confidential files, re, Palestine, 1944-1946, Wilmington/Delaware 1987, Mikrofilm Nr. 8. Kampf für Sozialismus und Judentum auf vier Kontinenten 59 tums, inklusive Kriegerehre und ländlicher Verwurzlung bot“ (Slezkine 2007: 157), im krassen Gegensatz zu Steinbergs rooted cosmopolitanism, der in der jiddischsprachigen Diasporakultur verwurzelt war und auf einer Ethik der Achtung des anderen bzw. Fremden beruhte. Insofern verkörperte Steinbergs Lebenspraxis und politischkulturelles Engagement ein Modell jüdischen Lebens, das Jahrzehnte später die Boyarins als Gegenentwurf zum Zionismus und seiner Betonung einer jüdisch-staatlichen Hegemonie vertraten. Auch wenn in der Rückschau das zionistische Staatsprojekt in Palästina als die einzig folgerichtige Lösung der jüdischen Frage erscheint, so muss betont werden, dass die politische Realisierung des Freeland-Projektes in seiner Zeit alles andere als aussichtslos oder unrealistisch war. Steinberg war ein global agierender Visionär, der mit seinen Vorstellungen von einer Wahrung kultureller Souveränität des DiasporaJudentums ein sehr weitreichendes grenzüberschreitendes Unterstützernetzwerk knüpfen konnte, dem unter anderen Thomas Mann, Erich Fromm, Arthur Hays Sulzberger, Yehudi Menuhin, Sumner Welles, George Cukor (Regisseur), Max Warburg und der Friedensnobelpreisträger Sir Norman Angell angehörten. Dass es ihm gelang, ernsthafte politische Verhandlungen mit höchsten Regierungsvertretern Australiens, Englands, der USA, Frankreichs oder der Niederlande führen und teilweise auch die Öffentlichkeit für sein Projekt einer kollektiven Ansiedlung von Juden mobilisieren zu können, spricht deutlich für seine inter- und transkulturelle Kompetenz und Weltgewandtheit. Allerdings war der Kosmopolit Steinberg angesichts der jüngsten Erfahrungen und politischen Verhältnisse nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs offensichtlich keineswegs der Meinung, dass auch für die Überlebenden des Holocaust eine gewisse Form von Internationalismus angebracht sei. Als ihm ein Entscheidungsträger vorschlug, die künftigen jüdischen Siedler in Surinam als erste Menschen überhaupt mit der UN-Staatsbürgerschaft auszustatten, antwortete ihm Steinberg, seit Jahrzehnten ein überzeugter Internationalist und Anti-Etatist, Folgendes: We are sure that your suggestion to make the Jewish settlers in Surinam the world’s first U.N. citizens is well meant, but we doubt if it would have the support of the Jewish DP’s in Europe. These people have suffered too much and too recently to become the first guinea-pigs of an experiment in international brotherhood which unfortunately is still far from being reality. In the past, almost every Western nation has used them as scapegoat and testing ground for its own vicious inclinations, and today, sick in body and despondent in spirit, they are still exposed to the most degrading man-hatred in civilized history. For them, a U.N. Citizenship status would be merely a euphemism for the outcast state in which they find themselves already. To resign one’s own citizenship and accept that of the U.N. requires a kind of heroism which we, who live in comfort, have no right to exact from the underdog. We would suggest that the step be taken first by Englishmen, or by Australians or Americans, by people, in fact, who are accustomed to security and who can better afford to take risks. (Brief Steinbergs an V. Victarsen vom 14.10.1947, Papers of Isaac Nachman Steinberg (1888-1957), YIVO New York, RG 366, Folder 121). 60 Tobias Grill Vor dem Hintergrund seiner persönlichen Erfahrungen wie auch des Zweiten Weltkriegs und vor allem des Holocausts war Steinberg zu sehr Realist, um nicht doch Zweifel an einem „Experiment in internationaler Brüderlichkeit“ bzw. an der Praktikabilität kosmopolitischer Lebensentwürfe zu hegen. In den Augen des Anti-Etatisten Steinberg war Kosmopolitismus und Internationalismus mit erheblichen Risiken verbunden, die einerseits vom Nationalismus ausgingen, andererseits aber auch durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat - allerdings nicht zu einem jüdischen - verringert werden konnten. Auch wenn Steinberg weiterhin einen bedingungslosen ethischen Universalismus propagierte und die loyalty to all of humanity niemals aufgab, so war er nun alles andere als überzeugt, dass sich sein rooted cosmopolitanism angesichts der damit verbundenen Gefahren als Modell auf andere übertragen ließe. Schlussbemerkungen Abschließend sei nochmals der eingangs zitierte Nachruf auf Steinberg im Jewish Quarterly in Erinnerung gerufen, wonach Steinbergs Wirken in Russland, Deutschland, England, Südafrika, Australien, den USA, Kanada und Mexiko auf den merkurianischen Geist verweise, der ihn angetrieben habe. Fünfzig Jahre später veröffentlichte Jurij Slezkine sein bahnbrechendes Werk Das jüdische Jahrhundert, in dem er die Juden als herausragende Vertreter der Merkurianer behandelt, die als ethnisch fremde Nomaden die einheimischen, sesshaften und kriegerischen Bevölkerungen der umgebenden Agrar- oder Hirtengesellschaften, also die Apollonier, vor allem mit Dienstleistungen versorgten. Wenn man Slezkine folgt, wonach Nationalismus wie auch Kommunismus „von Grund auf apollinisch waren, weshalb viele Merkurianer, die der Ermordung entgingen, zu Apolloniern merkurianischer Herkunft oder zu Bürgern des gerade ,wiederbelebten‘ Israel [...] wurden (die zumeist apollinischer – und wesentlich martialischer – als Apollo selbst waren)“ (Slezkine 2007: 55), dann war Steinberg eher eine Ausnahmeerscheinung. Bis zu seinem Lebensende beschritt er konsequent den Weg des Antinationalismus und Antikommunismus. Dies bedeutete konkret, dass er im Sinne seines auf die biblischen Propheten zurückgehenden ethischen Universalismus immer wieder den Zionismus und Israel wie auch die Sowjetunion wegen deren unverhältnismäßiger Anwendung von Gewalt, die nur der Erhaltung des Staates und der Macht diene, massiv in der Öffentlichkeit kritisierte. Gerade in diesem Umstand dürfte sicherlich der wesentliche Grund liegen, warum Steinberg, um mit den Worten Adam Rovners zu sprechen, eine der bedeutendsten jüdischen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts ist, von der man wahrscheinlich noch nie gehört hat (Rovner 2014: 154). Als überzeugter Internationalist und Anhänger eines ethischen Sozialismus brach er mit den staatskommunistischen Bolschewiki, deren „Staatsinteresse“ den „Interessen der Weltrevolution“ (Steinberg 1927: o.P.) widersprach und die mit ihrem systematischen Terror den „Roten Oktober“ verrieten. Da sowohl in der Sowjetunion als auch im Westen jahrzehntelange eine Sichtweise dominierte, die die führende Rolle der Bolschewiki in der Oktoberrevolution, ob im Positiven oder im Negativen, betonte, wurden realistische Alternativen des Ge- Kampf für Sozialismus und Judentum auf vier Kontinenten 61 schichtsverlaufs, wofür nicht zuletzt Steinbergs Wirken und das seiner Partei der Linken Sozialrevolutionäre stand, aus dem kollektiven Gedächtnis ausgeblendet. 24 In ähnlicher Weise fügte sich Steinbergs globales Engagement für eine Wahrung kultureller Souveränität des osteuropäischen Judentums lange Zeit nicht in die vom Zionismus dominierten master narratives jüdischer Geschichte ein. Konkurrierende und alternative Entwürfe zum zionistischen Staatsaufbauprojekt in Palästina, die in Abkehr von jüdisch-nationalen Eigenstaatlichkeitsbestrebungen auf eine Kontinuität der von Transnationalität und Transterritorialität geprägten osteuropäisch-jüdischen Diasporakultur abzielten, fanden bewusst keinen Eingang in das jüdische kulturelle Gedächtnis. Wie bereits bei den allgemeinen Ausführungen zum Kosmopolitismus erwähnt, haben gerade die Lebensläufe kosmopolitischer Juden jahrzehntelang keine Rolle in der israelischen und diasporajüdischen Erinnerungskultur gespielt. Dass Steinberg im Gegensatz zu Zionisten und Assimilationswilligen für einen rooted cosmopolitanism stand, machte ihn umso mehr zu einem Außenseiter, den man dem Vergessen anheimfallen lassen konnte. Der biographische Ansatz ermöglicht es jedoch, globale Subjekte wie Steinberg - vermeintliche „Verlierer der Geschichte“ - wieder ins kulturelle Gedächtnis einzuschreiben und damit vor allem realistische Alternativen des Geschichtsverlaufs aufzuzeigen. Steinbergs ethischer und internationalistischer Sozialismus, seine vehemente Absage an Nationalismus und Etatismus wie auch seine Lebensweise, in der Welt zuhause zu sein und trotzdem an seinen kulturellen Wurzeln festzuhalten, passten in keine der gängigen und dominierenden ideologischen Strömungen der Zeit. Inwieweit aber diese transgressive Lebenspraxis eines rooted cosmopolitanism in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts tatsächlich eine weitgehende Ausnahme darstellte, müssen weitere Forschungen zeigen. ARCHIVQUELLEN Offener Brief Steinbergs an Ernst Toller vom 12.12.1930, Papers of Isaac Nachman Steinberg (1888-1957), YIVO New York, RG 366, Folder 944. 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Dossier des Security Service, New South Wales, National Archives of Australia: C123, 1554. 24 Die Rolle der PLSR während der Revolution vor dem Vergessen zu bewahren und deutlich zu machen, dass es auch einen anderen, humaneren Weg Russlands nach der Oktoberrevolution gegeben hätte, war ein zentrales Anliegen Steinbergs für die Publikation seiner autobiographischen Erinnerungen In the Workshop of the Revolution (Steinberg 1953a: VIII–IX). 62 Tobias Grill Brief des australischen Sozial- und Gesundheitsministers Holloway an E. Bevin vom 31.3.1943, The National Archives, Kew, UK, FO 371/52516-0023. LITERATUR 2000 protestieren. Eine imposante Kundgebung für die Vorkämpfer der russischen Revolution, in: Der Syndikalist. Organ der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (AnarchoSyndikalisten) – Angeschlossen an die Internationale Arbeiter-Assoziation 11, Nr. 16, 20.4.1929. 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Auch wenn einem derartigen transnationalen Aktivismus im „Zeitalter der Extreme“ letztlich kein „Erfolg“ beschieden war, und der rooted cosmopolitan in der Erinnerungskultur marginalisiert wurde, so treten doch mit Hilfe des biographischen Zugangs sehr deutlich die Alternativen des Geschichtsverlaufs im globalen Kontext zutage.