Gemeinsame Planung
Nirgends in der Schweiz gibt es mehr psychiatrische Behandlungen als in beiden Basel – jetzt greifen die Kantone ein

16 psychiatrische Hospitalisierungen auf 1000 Einwohnende zählen Basel-Stadt und Baselland pro Jahr, die Schweiz bloss knapp 12. Ab 2024 soll eine gemeinsame Psychiatrie-Spitalliste zu einer Verlagerung von stationären Aufenthalten hin zu Tageskliniken führen.

Michael Nittnaus Jetzt kommentieren
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Die Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK) sind das grösste psychiatrische Spital der Region.

Die Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK) sind das grösste psychiatrische Spital der Region.

Juri Junkov

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 2020 wurden 8082 Menschen, die in der gemeinsamen Gesundheitsregion der beiden Basel wohnen, mit einer psychiatrischen Erkrankung in einem Schweizer Spital stationär behandelt, 87 Prozent davon in einer hiesigen Klinik. Das ergibt 16 Hospitalisierungen pro 1000 Einwohnende – und damit den höchsten Wert der Schweiz. Die psychiatrische Hospitalisierungsrate in Baselland lag dabei bei 13,5, jene in Basel-Stadt bei 19,7 pro 1000 Einwohnende. Der schweizerische Durchschnittswert lag 2020 bei 11,7.

Diese Zahlen gehen aus dem am Montag von beiden Basel präsentierten neuen Versorgungsplanungsbericht 2022 «Psychiatrische Versorgung» hervor. Die Gesundheitsdirektoren Lukas Engelberger (BS) und Thomas Weber (BL) stellten das 100-seitige Werk, das nun die Vernehmlassung hinter sich hat, im Hotel Victoria am Basler Centralbahnplatz vor. Der Bericht bildet die Grundlage zur Einführung von neuen, in beiden Basel gleichlautenden Spitallisten im Bereich Psychiatrie, die ab 2024 in Kraft treten sollen. Dies analog zu der bereits 2021 eingeführten gemeinsamen Spitalliste in der Akutsomatik.

Psychiatrische Kliniken müssen ihr Angebot anpassen

Engelberger und Weber läuteten auch gleich das Bewerbungsverfahren ein. Bis Ende Januar 2023 dürfen sich psychiatrische Kliniken aus der ganzen Schweiz für Leistungsaufträge bewerben.

Allerdings müssen sich die Kliniken in den Bereichen Erwachsenenpsychiatrie und Alterspsychiatrie verpflichten, in einen sogenannten «Verlagerungsdialog» zu treten. Das Ziel ist, einen Teil der heute stationären Pflegetage in den intermediären Bereich zu verlagern. Damit sind beispielsweise Tageskliniken, Betreuung zu Hause oder digitale Angebote gemeint.

Die beiden Gesundheitsdirektoren Lukas Engelberger (BS, links) und Thomas Weber (BL).

Die beiden Gesundheitsdirektoren Lukas Engelberger (BS, links) und Thomas Weber (BL).

Roland Schmid

Konkret geben die beiden Basel vor, dass der stationäre Bereich bis 2029 um ungefähr 16 Prozent zu Gunsten des intermediären reduziert werden soll. Dies sei aber kein fester Wert, sondern könne im Dialog angepasst werden. Wie gut ein Spital kooperiert, wird aber bei der nächsten Vergabe der Leistungsaufträge 2028 berücksichtigt. Im Bericht steht auch:

«Verweigert ein Spital, am Verlagerungsdialog teilzunehmen, können die beiden Basel den Entzug oder einen Teilentzug des Leistungsauftrags auch vor Ablauf der Vertragsdauer prüfen.»

Von diesen Zielsetzungen ausgenommen ist die Kinder- und Jugendpsychiatrie, da hier schweizweit von einer starken Unterversorgung ausgegangen wird. Engelberger betont: «Hier sind wir besonders vorsichtig.» Allerdings zeigt der Versorgungsplanungsbericht auf, dass auch in diesem Altersbereich 24 Prozent mehr Menschen aus beiden Basel Leistungen in Anspruch nehmen als im Schweizer Durchschnitt. Bei den Erwachsenen sind es 22 Prozent, in der Alterspsychiatrie 23 Prozent.

Grosses Angebot führt zu grosser Nachfrage

Doch weshalb nehmen in Basel-Stadt und Baselland überdurchschnittlich viele Menschen stationäre psychiatrische Leistungen in Anspruch? Und auch bei der Aufenthaltsdauer der Patientinnen und Patienten wird der Schweizer Schnitt deutlich übertroffen. Aus dem neuen Bericht geht hervor, dass es nicht an einer möglichen Unterversorgung des ambulanten Bereichs liegt. Auch die ambulante Psychiatrie werde in beiden Basel überdurchschnittlich oft genutzt.

Ebenfalls keine hinreichende Erklärung seien die demografischen Eigenschaften der Bewohnerinnen und Bewohner der beiden Kantone. Der Bericht legt nahe, dass die Vielfalt und Grösse des Angebots psychiatrischer Leistungen in der Region letztlich zu einer stärkeren Nutzung geführt hat. Allerdings scheine der Bedarf durchaus gegeben. Die Inanspruchnahme psychiatrischer Leistungen sei mittlerweile weniger stigmatisiert. Im Gegensatz zur Akutsomatik, wo die beiden Gesundheitsdirektoren in gewissen Bereichen die Überversorgung durch Begrenzungen einzuschränken versuchen, halten sie im Psychiatriebericht fest:

«In Kombination mit bestehenden Wartelisten im Bereich der Psychiatrie und der Unsicherheit darüber, ob schweizweit eine optimale Versorgung besteht, wird auf eine Reduktion der Behandlungsressourcen verzichtet.»

Was Engelberger und Weber zudem betonen: Obwohl die Kosten, welche die stationäre Psychiatrie verursacht, in den letzten vier Jahren um 20 auf 100 Millionen Franken gestiegen sind, greife man nicht primär ein, um die Kosten zu senken. Auch aus fachlicher Sicht sei die Verlagerung zu weniger stationären Behandlungen sinnvoll.

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