Lippen-Kiefer-Gaumenspalte – Fehlbildung in der Gesichtsentwicklung

Spaltbildungen im Gesicht sind eine der häufigsten angeborenen Fehlbildungen und kommen etwa bei jedem 500. Neugeborenen vor. Die im Volksmund abwertend als Hasenscharte oder Wolfsrachen bezeichnete Missbildung wird korrekt als Lippen-Kieferspalte oder Lippen-Kiefer-Gaumenspalte bezeichnet. Dies bedeutet nicht nur eine erhebliche Entstellung für das Kind, sondern in vielen Fällen auch eine schwere Behinderung bei der Atmung und der Nahrungsaufnahme. Die Fehlbildungen sind heute gut behandelbar. 

Wie kommt es zu einer Spaltbildung im Gesicht?

In der frühen Schwangerschaftsphase entwickeln sich beim Embryo Teile des Gesichts zunächst getrennt, die erst später miteinander verschmelzen. Erfolgt diese Verschmelzung zwischen der fünften und siebten Schwangerschaftswoche nicht vollständig oder das Gewebe reißt auf, hat das eine Kiefer- oder Lippenspalte zur Folge. Tritt zwischen der zehnten und zwölften Woche eine Störung bei der Vereinigung der Gaumenteile des Embryos auf, verursacht das eine Hartgaumen- oder eine Gaumensegelspalte. Es handelt sich um zwei getrennte Entwicklungsstörungen; eine Gaumenspalte tritt allerdings oft zusammen mit einer Lippen-Kiefer-Spalte auf. 

Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (LKGS) statt Hasenscharte

Der Begriff Hasenscharte ist schon sehr alt und wird von vielen Betroffenen als verletzend und herabwürdigend empfunden. Einerseits stand vermutlich die Y-förmig eingeschnittene Nase des Hasen Pate für den Namen. Im europäischen, asiatischen und angloamerikanischen Kulturkreis glaubten Menschen außerdem jahrhundertelang daran, dass das Betrachten eines Hasen oder Gedanken an einen Hasen während der Schwangerschaft beim Ungeborenen zur Bildung einer Hasenscharte führen kann. Die Bezeichnung hält sich hartnäckig im Sprachgebrauch, ebenso wie der Begriff Wolfsrachen für die Gaumenspalte. In der Medizin hat die korrekte Bezeichnung Lippen-Kiefer-Gaumenspalte oder Lippenspalte schon Mitte des 20. Jahrhunderts den abwertenden Namen Hasenscharte abgelöst.  

Welche Folgen hat die angeborene Fehlbildung?

Abgesehen von den erheblichen psychischen und emotionalen Belastungen durch die Entstellung des Gesichts verursachen Lippen- und Gaumenspalten bei Kindern auch funktionelle Probleme. Durch die Entwicklungsstörung fehlt die wichtige Trennung von Mund- und Nasenraum. Nahrung kann in die Nase gelangen, was besonders für Babys lebensbedrohlich werden kann. Das Stillen ist bei einer Gaumenspalte oft kaum möglich, da das Gaumengewölbe des Säuglings fehlt und kein Saugdruck aufgebaut werden kann. Die Muskulatur im Mund ist teilweise unterbrochen und kann nicht ordnungsgemäß zusammenwirken, das erzeugt ein muskuläres Ungleichgewicht. Das Schlucken, Atmen, Essen und Trinken ist beeinträchtigt, durch chronische Mittelohrentzündungen wird die Sprachentwicklung des Kindes erschwert. Zähne in der Nähe einer Lippenspalte fehlen gelegentlich oder brechen verfrüht oder verspätet durch.

Welche Formen können Spalten in Lippe und Gaumen haben?

Kinder, die mit der Fehlbildung geboren werden, haben einen teilweisen oder vollständigen Spalt im Bereich der Oberlippe, des Oberkiefers und/oder des Gaumens. Es gibt verschiedene Formen von Spalten, die davon abhängen, zu welchem Zeitpunkt der Schwangerschaft sich die Missbildung entwickelt hat und wie schwerwiegend die Entwicklungsstörung war. Spalten können einseitig oder beidseitig auftreten; einseitige Spalten kommen auf der linken Seite des Gesichts doppelt so oft wie rechts, der Grund dafür ist nicht bekannt.


Lippenkerbe

Die Minimalform einer Lippenspalte äußert sich in einer Teilspaltung der Oberlippe, die Spalte reicht aber nicht bis zum Naseneingang. In ihrer geringsten Ausprägung ist bei dieser Fehlbildung nur das Rot der Lippen etwas eingezogen.

 

Lippenspalte

Die Oberlippe hat zwischen Mund und Nase eine Spalte, die bis zum Nasenloch reicht. Handelt es sich um eine beidseitige Spalte, ist der zentrale Teil der Oberlippe isoliert.

 

Lippen-Kiefer-Spalte

Die Spalte geht durch die Oberlippe und reicht bis in den zahntragenden Teil des Kiefers. Die Spalte zieht sich entlang des seitlichen Schneidezahns, der häufig verkümmert ist. Jungen sind von dieser Fehlbildung häufiger betroffen als Mädchen.

 

Gaumenspalte

Das Gaumenzäpfchen ist gespalten (geringster Schweregrad), ein Spalt im weichen Gaumen tritt auf (Segelspalte), oder der weiche und harte Gaumen sind vollständig voneinander getrennt. Der Gaumen kann auch gespalten sein, wenn er vollständig von Mundschleimhaut bedeckt ist (verdeckte Spalte). Eine isolierte Gaumenspalte tritt nur sehr selten auf.

 

Lippen-Kiefer-Gaumenspalte oder Lippen-Kiefer-Gaumen-Segelspalte

Bei dieser Form der Missbildung handelt es sich um eine Kombination aus Lippen-Kiefer- und Gaumenspalte. Die Spaltung kann auch doppelseitig sein und befindet sich dann rechts und links von der Mitte.

 

Van-der-Woude-Syndrom (VWS)

Diese seltene Entwicklungsstörung äußert sich mit symmetrischen Fisteln auf der Unterlippe (Lippengrübchen) und kann in Kombination mit Lippen-Kiefer-Gaumensegel-Spalten auftreten. Die Fisteln haben eine Verbindung zu den Speicheldrüsen. Patienten mit VWS, die nur Lippengrübchen zeigen, können an ihre Nachkommen Lippen-Kiefer-Gaumenspalten vererben.

Durch welche Ursachen entstehen Lippen-Kiefer-Gaumenspalten?

Die genauen Ursachen sind bis heute nicht im Detail geklärt. Man nimmt an, dass eine Kombination aus genetischen Ursachen und äußeren Einflüssen für LKGS-Spalten verantwortlich ist. Hat ein Elternteil bereits unter einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte gelitten, gibt es eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten bei den Nachkommen. Eine Erkrankung der Mutter während der Schwangerschaft – zum Beispiel Röteln oder Mumps –, Sauerstoffmangel, die Einnahme schädlicher Substanzen wie Alkohol, Nikotin und Drogen oder bestimmte Medikamente können die Bildung von Gesichtsspalten fördern. Auch eine Überdosierung der Vitamine A und E steht im Verdacht, zu dieser Fehlbildung beizutragen. Eine konkrete Prävention gibt es leider nicht; eine gesunde Lebensweise und die Einnahme von Folsäure vor und während der Schwangerschaft können das Risiko höchstens reduzieren.

Behandlung der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte

Die Therapie beginnt häufig schon in den ersten Lebenstagen des Kindes und zieht sich über lange Zeit hin. Anhand eines Oberkieferabdrucks wird zuerst eine Gaumenplatte angefertigt, mit der die Nahrungsaufnahme erleichtert und die Trennung von Mund- und Nasenraum hergestellt wird. Die Platte unterstützt auch die Ausformung des Oberkiefers und wird in regelmäßigen Abständen angepasst. Im Alter von etwa vier bis sechs Monaten wird mit einer ersten Operation die Lippenspalte verschlossen, nur eine kleine Narbe bleibt zurück. Noch bevor das Kind sprechen lernt – also im Alter von zehn bis zwölf Monaten – wird in einer weiteren Operation die Gaumenspalte verschlossen, um eine gestörte Sprachentwicklung zu vermeiden. Die Mittelohrprobleme bei Kindern mit Gaumenspalte können durch einen kleinen Trommelfellschnitt und den Einsatz sogenannter Paukenröhrchen behoben werden.

Die moderne Medizin ist in der Lage, betroffenen Kindern bis zur Einschulung ein normales Aussehen und eine gute Sprachentwicklung zu ermöglichen. Dafür arbeiten bei der Behandlung derartiger Missbildungen Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen, Kieferorthopäden, HNO-Ärzte, Zahnärzte, Psychologen und Logopäden Hand in Hand zusammen. Erst nach dem Wachstumsabschluss werden abschließende ästhetische Operationen wie eine Nasen- oder Lippenkorrektur vorgenommen und nicht angelegte Zähne implantiert.

Fazit

Wird ein Kind mit einer Spaltbildung im Gesicht geboren, ist das zunächst ein großer Schreck für die Eltern. Moderne chirurgische Methoden und die interdisziplinäre Zusammenarbeit der verschiedenen Fachbereiche stellen Ästhetik und Funktion wieder her und ermöglichen dem Kind ein normales Leben ohne Entstellung.