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Die profitabelste Niederlage der Schweizer Geschichte

Der letzte Offensivkrieg in der Geschichte der Schweiz: Die Eidgenossen (l.) erleiden in der Schlacht bei Marignano im Jahr 1515 eine empfindliche Niederlage gegen die Franzosen. (Bild: Wikipedia)

Nächstes Jahr gedenkt die Schweiz der Schlacht bei Marignano (1515). Die Vorbereitungen dazu sind bisher erstaunlich geräuschlos verlaufen. Ganz anders war dies im Vorfeld der 700-Jahr-Feier von 1991, als viele Kulturschaffende zum Boykott aufriefen, oder vor dem Jubiläumsjahr 1998, als man über die Bedeutung der Helvetik (1798–1803) stritt. Zur Erinnerung: Für Kantone wie zum Beispiel Aargau oder Waadt war 1798 das Gründungsjahr, für die Innerschweiz, vor allem für Nidwalden, ein Schreckensjahr. Im September 1798 fielen mehrere Hunderte im Kampf gegen die französischen Truppen.

Was ist bei Marignano, das in der Nähe von Mailand liegt und heute Melegnano heisst, überhaupt passiert? Kurz gesagt, erlitten die Eidgenossen gegen Frankreich eine so verheerende Niederlage, dass sie von da an keinen Expansionskrieg mehr wagten. Deshalb gilt die Schlacht als Geburtsstunde der schweizerischen Neutralität.

Möglicherweise kommt es doch noch zu einer Debatte, denn die Neutralität wird heute von vielen abgelehnt oder gar nicht mehr ernst genommen. Und wie immer herrscht in der Geschichtsschreibung keine Einigkeit. Während einige Historiker Marignano durchaus als Wendepunkt betrachten, sehen andere darin eine nachträgliche Konstruktion. Neutralität sei ein neueres Konzept, das nicht auf das 16. Jahrhundert übertragen werden könne, argumentieren sie.

Aus ökonomischer Sicht lässt sich jedoch die Bedeutung von Marignano kaum bestreiten. Sowohl kurzfristig wie langfristig resultierten aus dem Ewigen Frieden von 1516, der nach der Schlacht zwischen der Eidgenossenschaft und Frankreich abgeschlossen wurde, enorme Vorteile. Wirtschaftlich kann man die Folgen von 1515 gar nicht überschätzen.

Erstens erhielten die Eidgenossen von Frankreich eine hohe Summe zugesprochen. Frankreich hätte sogar noch mehr bezahlt, wenn die Eidgenossen grosse Teile des heutigen Tessins abgetreten hätten. Doch mit Geld liessen sie sich nicht zu dieser Konzession bewegen. Sie wollten beide Seiten des Gotthard kontrollieren.

Zweitens brachte der Friedensvertrag von 1516 die Erneuerung von Privilegien im Handel mit Frankreich und dem Herzogtum Mailand. Damit hatte die Eidgenossenschaft weiterhin Zugang zu blühenden europäischen Märkten.

Drittens genoss die Eidgenossenschaft dank einem neuen Soldbündnis den Schutz Frankreichs. Es ist vielleicht übertrieben, von einem Protektorat zu sprechen. Aber der Einfluss Frankreichs auf die eidgenössische Aussenpolitik war überwältigend. An der Tagsatzung nahm jeweils auch der französische Gesandte, der in Solothurn residierte, teil (auf dem Bild ganz links sitzend).

Am folgenreichsten aber waren nicht diese drei unmittelbaren Vorteile, sondern der indirekte fiskalpolitische Effekt, der oft übersehen wird. Die Kantone konnten nämlich auf die Finanzierung eines stehenden Heeres verzichten und damit die Steuersätze niedrig halten. Dies erhöhte die Sparquote und verbilligte das Kapital.

Ganz anders war die Situation in vielen umliegenden Staaten. Weil sie immer wieder in Kriege verwickelt wurden, waren sie gezwungen, die Steuern zu erhöhen, um die steigenden Militärausgaben zu finanzieren. Zur Erreichung dieses Ziels mussten die Fürsten und Könige mit allen Mitteln versuchen, die Finanzpolitik zu zentralisieren beziehungsweise mit alten Privilegien aufzuräumen. Die modernen Nationalstaaten sind zu einem erheblichen Teil diesen Zwängen, die sich aus der Kriegsfinanzierung ergaben, zuzuschreiben. Oft reichten diese Mittel nicht, sodass es immer wieder zum Staatsbankrott kam.

In der Eidgenossenschaft war keine Zentralisation notwendig, und so entstand auf ihrem Territorium kein moderner Staat im englischen, französischen oder preussischen Sinne. Vielmehr blieb die grosse politische Heterogenität bestehen, und sie schlug so tiefe Wurzeln, dass sie bis heute die politischen Institutionen prägt. Wenn es stimmt, dass die dezentrale Struktur der Schweiz ein wichtiger Standortvorteil ist, dann kann man Marignano nur als profitabelste Niederlage der Schweizer Geschichte bezeichnen.