Natalia Widla und Otto Hostettler haben den Fall Nussbaumer für den «Beobachter» recherchiert.
Schweiz

«Beobachter»-Journalist: «Die Kommunikation des Bistums Basel war beschämend»

Natalia Widla und Otto Hostettler haben den Fall Nussbaumer für den «Beobachter» recherchiert. Die Kommunikation des Bistums haben sie als «schwierig» und «lavierend» wahrgenommen. Im Gespräch mit kath.ch berichten die beiden Medienschaffenden von der Erfahrung, die sie unabhängig voneinander als «absurd» bezeichnen.

Annalena Müller

Am 17. August deckte der «Beobachter» massive Fehler des Bistums Basel in einem Missbrauchsfall auf. Die journalistischen Recherchen zu dem Fall dauerten zwei Jahre. Schon 2021 versucht zunächst die freie Journalistin Natalia Widla und ab Frühjahr 2023 der Reporter des «Beobachter», Otto Hostettler, vom Bistum Basel Antworten zu bekommen. Die Kommunikation erleben die Journalistin und der Journalist als «absurd», «lavierend» und als «Schikane».

Recherche in zwei Etappen

Dass der Artikel eine lange Vorgeschichte hat, ist nicht die Schuld des Bistums. Aufgrund eines familiären Schicksalsschlags muss Denise Nussbaumer die Zusammenarbeit mit der Journalistin zwischenzeitlich unterbrechen. Erst im April 2023 kann die Arbeit wieder aufgenommen werden. Zu diesem Zeitpunkt entschliessen sich Nussbaumer und Widla, Otto Hostettler vom «Beobachter» mit ins Boot zu holen. Ein Grund für den Entscheid: Der «Beobachter» verfügt über eine Rechtsabteilung. Dies gibt den Journalisten mehr Möglichkeiten auch im Umgang mit der Kommunikation des Bistums.

kath.ch hat mit den beiden Medienschaffenden über ihre Erfahrung gesprochen. Die Gespräche wurden unabhängig voneinander geführt.

Otto Hostettler ist Reporter beim «Beobachter»
Otto Hostettler ist Reporter beim «Beobachter»

Herr Hostettler, wie haben Sie die Kommunikation mit dem Bistum Basel erlebt?

Otto Hostettler*: Die Kommunikation mit dem Bistum Basel verlief über Wochen hinweg und war für mich sehr mühsam, sehr lang, sehr kompliziert. Ich habe selten eine so anstrengende Form von Austausch erlebt.

Inwiefern?

Hostettler: Ich bin kein Kirchenjournalist, habe aber zu Missbrauch von Klerikern schon verschiedentlich recherchiert. Mir war bewusst, dass es eine Differenz gibt zwischen dem, was Kirchenverantwortliche gegen aussen sagen und dem, was intern abläuft. Das Besondere an diesem Fall war, dass wir die fragwürdige Rolle von Bischof Gmür sehr gut dokumentieren konnten.

«Für einen Bischof, der mehrfach öffentlich dafür eingestanden ist, sich für Opfer stark zu machen, ist es beschämend.»

Was waren die grössten Hürden?

Hostettler: Es war schwierig, konkrete Aussagen auf unsere Fragen zu erhalten. Die Kommunikationsstelle war durchaus freundlich, aber auch sehr ausweichend. Zudem war für mich nicht klar, wer genau für den Inhalt der Antworten verantwortlich war.

Die barocke St. Ursen-Kathedrale in Solothurn.
Die barocke St. Ursen-Kathedrale in Solothurn.

Freundlich, aber unverbindlich…

Hostettler: Genau. Das ist ja auch eine legitime Informationsstrategie. Man hält den Ball flach, man vernebelt ein bisschen, man gibt eine riesige Erklärung, ohne Fragen konkret zu beantworten. Das sind normale Instrumente der Kommunikation.

Aber für ein Bistum, das sich Opferschutz und Missbrauchsaufklärung auf die Fahnen schreibt, ist es nicht ideal…

Hostettler: Für einen Bischof, der mehrfach öffentlich dafür eingestanden ist, sich für Opfer stark zu machen, ist es beschämend. Mich schockierte, wie uneinsichtig das Bistum reagierte.

«Es war sehr schnell klar, dass der Bischof das Berufsgeheimnis nach dem Strafgesetzbuch verletzt hat, als er Kontaktdaten von Frau Nussbaumer weitergab.»

Wann haben Sie angefangen, in dem Fall zu recherchieren?

Hostettler: Im April 2023. Damals haben wir mit Juristen unseres Beratungszentrums sowie mit einem externen Anwalt den Fall abgeklärt. Denn es war sehr schnell klar, dass der Bischof das Berufsgeheimnis nach dem Strafgesetzbuch verletzt hat, als er persönliche Notizen und Kontaktdaten von Frau Nussbaumer dem mutmasslichen Täter weitergegeben hat. Wir klärten ab, ob wir unter Umständen noch einen Strafantrag einreichen könnten. Das hat auch gewisse Zeit in Anspruch genommen.

Wann sind Sie mit dem Bistum direkt in Kontakt getreten?

Hostettler: Anfang Juni. Darauf wollte das Bistum die von Frau Nussbaumer unterzeichnete Entbindung von der Schweigepflicht nicht akzeptieren. Der Bischof verlangte von mir eine notarielle Beglaubigung der unterzeichneten Erklärung. Was das Bistum damit bezwecken wollte, ist mir schleierhaft. So etwas habe ich in über 30 Jahren Journalismus noch nie erlebt! Zumal diese Forderung ja gerade vor dem Hintergrund, dass Bischof Gmür persönliche Informationen des Opfers dem mutmasslichen Täter weitergegeben hat, besonders absurd ist.

Bischof Felix Gmür steht wegen des Missbrauchsskandals weiter unter Druck.
Bischof Felix Gmür steht wegen des Missbrauchsskandals weiter unter Druck.

Wie haben Sie reagiert?

Hostettler: Ich habe mich geweigert. Sie können ein Bankkonto eröffnen ohne notarielle Beglaubigung. Sie können mit einfacher handschriftlicher Unterschrift Ihren eigenen Strafregisterauszug bestellen. Warum also soll hier ein Notar die Unterschrift von Frau Nussbaumer beglaubigen? Das ist nicht nur völlig unüblich, sondern schlicht unnötig. Aus meiner Sicht war das eine reine Schikane des Bistums. Schliesslich akzeptierte man die Entbindungserklärung, aber ich musste sie dem Bistum im Original per Post senden. Dadurch verstrich schon wieder eine zusätzliche Woche.

Handelt es sich hier um eine Kommunikationsstrategie oder um Unprofessionalität?

Hostettler: Das kann ich nicht beurteilen. Es ist mir schlicht ein Rätsel, wie man auf diese Idee kommt. Allerdings verwundert es mich nach früheren Erfahrungen mit dem Bistum nicht.

«Was es zu keinem Zeitpunkt gab: Eine offene und proaktive, zukunftsgerichtete Kommunikation zu der Aufarbeitung eines schwerwiegenden Missbrauchsfalles.»

Zum Beispiel?

Hostettler: Ich hatte einmal einen Fall, da hatte sich ein Missbrauchsopfer an das Bistum Basel gewandt. Er hat dann zwei Jahre nichts gehört, bis wir vom «Beobachter» nachfragten. Und dann hiess es: Die Akten seien nicht mehr auffindbar. Ich weiss nicht, wo es im vorliegenden Fall haperte. Alles ist dokumentiert und der Bischof hat inzwischen ja auch reagiert. Weshalb man aber am Anfang mauerte, ist mir nicht klar. Und es ist von aussen nicht ersichtlich, wo genau das Problem ist.

Ein Desinteresse…?

Hostettler: Desinteresse ist wohl das falsche Wort. Vielleicht will die katholische Kirche einfach noch immer nicht wahrhaben, was passiert ist. Dieses unglaubliche Lavieren, keine Antworten auf konkrete Fragen. Noch einmal: Der Fall ist sehr gut dokumentiert und die Meldepflicht im kanonischen Recht völlig klar. Warum der Bischof zuerst behauptet, alles richtig gemacht zu haben und nach der Publikation eine 180-Grad-Kurve macht und zurückkrebst, ist mir schleierhaft.

Ein fragwürdiges Kommunikationsverständnis?

Hostettler: Es kann nicht nur an einer falschen Kommunikationsstrategie liegen. Wenn Sie mich fragen, wie ich den Austausch mit dem Bistum Basel erlebt habe, muss ich einfach sagen: Ich fühlte mich nicht ernst genommen. Sicher, es gab auch eine gewisse legitime Verzögerung aufgrund von mehreren personellen Wechseln. Aber ich habe vermisst, dass man den Fall ernsthaft, offen und selbstkritisch prüft. Der Bischof war ja sogar der Meinung, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Frau am Priester rächen wolle. Das ist nicht nur absurd, sondern hanebüchen und für die Frau ein Hohn. Immerhin, der Bischof hat sich nun entschuldigt und Versäumnisse nachgeholt.

*Otto Hostettler (*1967) ist seit mehr als 30 Jahren hauptberuflich im Journalismus tätig. Seit 2007 arbeitet er als Redaktor und Reporter beim «Beobachter». 2011 erhielt Hostettler den Zürcher Journalistenpreis für Artikel über das Schicksal von Verding- und Heimkindern.

Gespräch mit Natalia Widla

Natalia Widla ist freie Journalistin. Sie hat 2021 an dem Fall gearbeitet.
Natalia Widla ist freie Journalistin. Sie hat 2021 an dem Fall gearbeitet.

Frau Widla**, Sie haben 2021 das Bistum Basel erstmals wegen des Falls Nussbaumer kontaktiert. Wie haben Sie die Kommunikation erlebt?

Natalia Widla: Es war schwierig. Ich erlebte kein Entgegenkommen, sondern ein starkes Mauern von Seiten der Personalverantwortlichen, mit denen ich damals im Kontakt war.

Wie sah das Mauern aus?

Widla: Es wurde sehr lange nicht geantwortet und wenn, dann ausweichend. Ausserdem wurden absurde Forderungen gestellt. Man verlangte von mir zum Beispiel, die schriftliche Vollmacht, die Denise Nussbaumer mir gegeben hatte, notariell beglaubigen zu lassen. Das habe ich so auch noch nie erlebt im Journalismus, egal wo.

«Die Kommunikation war alles andere als entgegenkommend oder offen.»

Hatten Sie das Gefühl, dass hier Zeit geschunden wurde?

Widla: Ich habe wenig Erfahrung mit Kirchen-Geschichten, daher kann ich nichts über die Motivation sagen. Aber ich kann sagen, dass die Kommunikation alles andere als entgegenkommend oder offen war. Vor allem, wenn man sich mit Kirchenstrukturen nicht auskennt, war das Ganze sehr schwer zu durchschauen. Also, es fing schon damit an, herauszufinden, wer im Bistum für was zuständig ist und wer Auskunft geben kann. Auch mit googlen kommt man da oft nicht weiter. Das ist sehr irritierend.

«Für eine Person, die vielleicht traumatisiert ist, die vielleicht keine akademischen Sprachkenntnisse hat, oder die sich nicht so gut im Internet zurechtfindet – eine solche Person hat in meinen Augen kaum Chancen, Antworten zu bekommen.»

Das Gegenteil von niederschwellig?

Widla: Ja. Und sehr frustrierend. Einfach, weil man sehr viel Zeit investieren muss, selbst um banale Informationen herauszufinden. Und wenn man dann endlich weiss, wen man kontaktieren muss, läuft man trotzdem gegen Wände. Wenn man das als Betroffene machen muss, dann ist das auch emotional unglaublich hart. Einfach weil einem jegliche Informationsfindung so erschwert wird. Für eine Person, die vielleicht traumatisiert ist, die vielleicht keine akademischen Sprachkenntnisse hat, oder die sich nicht so gut im Internet zurechtfindet – eine solche Person hat in meinen Augen kaum Chancen, Antworten zu bekommen.

**Natalia Widla (29) arbeitet als freie Journalistin und Moderatorin. Sie ist Co-Autorin des Buchs «Hast du Nein gesagt?», das den behördlichen Umgang mit Opfern sexualisierter Gewalt thematisiert. Widla lebt und arbeitet in Zürich.

Anlaufstellen für Missbrauchsbetroffene

Eine Liste mit kirchlichen und weiteren Anlaufstellen für Missbrauchsbetroffene ist hier zu finden.

Für eine unabhängige Beratung ist die «Opferhilfe Schweiz» zu empfehlen.

Wer die eigene Geschichte öffentlich machen möchte, kann sich an die Redaktion von kath.ch wenden. Diese betreibt einen kritischen und unabhängigen Journalismus. Die Redaktions-Mailadresse lautet redaktion@kath.ch.

Der Text wurde am 23. August um 12.18 Uhr aktualisiert.


Natalia Widla und Otto Hostettler haben den Fall Nussbaumer für den «Beobachter» recherchiert. | © kath.ch
23. August 2023 | 11:30
Lesezeit: ca. 6 Min.
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