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„Gesetzlosen Horden zuarbeiten?“

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Die Brinkmannstraße bleibt weiter in der Diskussion. Die Geschichtswerkstatt will nun keinen QR-Code zum Wirken des Bürgermeisters in der Nazi-Zeit erstellen.
Die Brinkmannstraße bleibt weiter in der Diskussion. Die Geschichtswerkstatt will nun keinen QR-Code zum Wirken des Bürgermeisters in der Nazi-Zeit erstellen. © mix

Achim – Das Thema Brinkmannstraße kocht erneut hoch. Die nach dem Achimer Bürgermeister in der NS-Zeit benannte kleine Sackgasse hat offenbar das Potenzial zum dauerhaften großen Aufreger. Hatte manch einer geglaubt, mit dem kurz vor Weihnachten gefassten Beschluss des Stadtrates, dort ein Zusatzschild mit der Aussage „Er trat Diktatur, Krieg und Verfolgung nicht entgegen“ und einen am Besten von der Geschichtswerkstatt Achim zu erstellenden QR-Code für weitere Informationen zum Wirken des damaligen Stadtoberhaupts Johann Brinkmann anzubringen, würden sich die Wogen glätten, wird nun eines Besseren belehrt.

Auch diese von Werner Meinken (SPD) initiierte „Kompromisslösung“ nach dem mehrmaligen Scheitern von Anträgen der Grünen, die Straße umzubenennen, ist Anlass für Streit.

Die Geschichtswerkstatt will, wie am Dienstag berichtet, keinen Text für einen QR-Code verfassen. Eine „pauschale persönliche Verurteilung“ Brinkmanns sei problematisch, da ja nahezu alle Amtsträger und ein Großteil der Bevölkerung sich dem Nazi-System nicht widersetzt hätten, erläuterte Vorsitzender Manfred Brodt in einer Pressemitteilung. „Mich irritiert die Begründung“, sagt Meinken auf Nachfrage.

Es sei jeder Institution unbenommen, einer Bitte des Rates nicht nachzukommen, das gelte natürlich auch für die „eigenständige“ Geschichtswerkstatt. „Die Entscheidung des Vereins ist hinzunehmen, wenn mir auch das Verständnis fehlt“, ergänzt der Sozialdemokrat.

„Erschüttert“ zeigt er sich jedoch von der „Begründung, wonach alle Bürgermeister in der Nazi-Zeit mitmachen mussten, und von Herrn Brinkmann sei immerhin bekannt, dass er keinen besonderen Eifer bei der Umsetzung der grausamen Judenverfolgung verfolgt habe“. Laut Geschichtswerkstatt habe er einzelne Anordnungen sogar hinausgezögert „und sich so den Zorn örtlicher Nazi-Größen zugezogen“. Das reiche der Geschichtswerkstatt, „um Herrn Brinkmann als ehrungswürdigen Bürgermeister mit einer Straßenbenennung herauszustellen“, merkt Meinken an.

Dieser zitierte Streit mit den Nazis um sein Verbleiben im Amt werde als Widerstand angesehen, „auch wenn er keinen einzigen Achimer Juden vor der Deportation, der Vertreibung aus den Wohnungen, der Wegnahme ihres Eigentums bewahrt oder die Zerstörung der Synagoge verhindert habe“. Von Brinkmann als Chef der Ordnungskräfte sei kein aktiver Widerstand gegen das gesetzlose Treiben gegen das Leben und das Eigentum der Achimer Juden übermittelt worden. „Im Gegenteil: Er hat in seinem Amt im Sinne der Nazis und gegen die Menschenwürde funktioniert! Er hat zugeschaut, und deshalb durfte er auch im Amt bleiben“, schreibt Werner Meinken und fügt hinzu: „Alles nicht so sclimm, weil nach Recht und Ordnung?“

Und das reiche der gesamten Geschichtswerkstatt, um sich der Ratsbitte zu entziehen? Das Argument habe übrigens der Vorsitzende Brodt bereits im Vorfeld „zur Beeinflussung der Ratsentscheidung in Leserbriefen und den sogenannten Sozialen Medien als persönliche Meinung kundgetan – Zitate gab es in der Ratssitzung. Verbunden war das mit der Diffamierung auch meiner Person als Widerstandsheld – und darin liegender Unterstellung, auch ich wäre im Amt geblieben und hätte folglich mit den Nazis paktiert“.

Ratsherr Meinken greift in seinem Statement zur Reaktion der Geschichtswerkstatt des Weiteren die aktuellen Demonstrationen für den Erhalt der Demokratie auf. „Hunderttausende gehen in diesen Tagen auf die Straße oder versuchen durch andere Aufklärungsmaßnahmen zu verhindern, dass auch bei den anstehenden Kommunalwahlen Bürgermeister und Landräte als Anhänger der neuen Rechten gewählt werden“. Unter Umständen drohe ein schlimmes Szenario. Wie damals könnten kommunale Amtsträger und Chefs der Ordnungsbehörden den Anordnungen „von oben“ folgen und die bekannt gewordenen Pläne zur Rassenhetze und Remigration von Millionen Menschen willfährig umsetzen, Menschenrechte und demokratische Grundsätze mit Füßen treten „und wie in der Amtszeit von Herrn Brinkmann den gesetzlosen Horden zuarbeiten“.

Werner Meinken will keine neuen „Brinkmänner“, auf die sich neue Nazi-Größen dann in den Kommunen verlassen könnten. „Deshalb ist jetzt die Aufklärung über die damaligen Geschehnisse und der Vergleich mit den heutigen Aktivitäten so wichtig. Auch und gerade im Zusammenhang mit einer Straßenbenennung!“

Meinken äußert die „Bitte an die Mitglieder der Geschichtswerkstatt, noch einmal zu überdenken, ob diese Form der geschichtlichen Betrachtung der Geschehnisse in der Achimer Nazizeit wirklich von allen geteilt wird“. Und sagt: „Ich kann es immer noch nicht glauben.“

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