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Kreditblasen und Überkapazitäten Chinas Wirtschaftsboom steht vor dem Ende

Ein toxischer Cocktail aus Überkapazitäten, Immobilien- und Kreditblasen droht dem Boom ein jähes Ende zu setzen. Nur deutsche Unternehmen ignorieren die Gefahren noch.
Regenschirmprozess in Hongkong (Oktober 2014): Als Zugmaschine der Weltwirtschaft habe die Volksrepublik erst mal ausgedient

Regenschirmprozess in Hongkong (Oktober 2014): Als Zugmaschine der Weltwirtschaft habe die Volksrepublik erst mal ausgedient

Foto: Alex Hofford/ dpa

Als sich die zwei Dutzend Vertreter von Bundesbank, Europäischer Zentralbank und Finanzindustrie im grauen Monumentalbau des Finanzministeriums an der Wilhelmstraße einfinden, ahnt noch keiner, wie heiß das Treffen werden würde. China lautet das Thema des Workshops.

Es war November, in Griechenland herrschte Ruhe. Von einem erzwungenen Schuldenschnitt oder gar einem Euro-Austritt war noch keine Rede. Doch die Stimmung ist auch so schon gedrückt. Sebastian Heilmann, der Direktor des Mercator Institute for China Studies (Merics), warnt die Banker und Ministerialbeamten in eindringlichem Ton, dass sie China ab sofort auf die Liste potenzieller Gefahrenherde setzen sollen.

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China: Frostige Zeiten

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Als Zugmaschine der Weltwirtschaft habe die Volksrepublik jedenfalls erst mal ausgedient, so der China-Kenner.

Auch wenn die Kommunistische Parteiführung offiziell noch an Wachstumsprognosen von 7 Prozent festhalte - inoffiziell hätten chinesische Beamte das Ziel längst kassiert, so Heilmann. Mit Glück werde das Wachstum bei 5 Prozent liegen, wenn überhaupt. Experten wie der Investor Marc Faber sind sogar noch skeptischer, er hält die Zahlen schon länger für frisiert. Ein Verdacht, der sich mit einer Studie des von westlichen Multis finanzierten The Conference Board ("The Long Soft Fall in Chinese Growth") deckt.

Die "neue Normalität", von der Partei- und Staatschef Xi Jinping spricht, könnte nach 35 Jahren ungezügelter Dynamik verdammt ungemütlich werden. Zum einen, weil der Westen, allen voran deutsche Unternehmen, nach wie vor geradezu blind auf China als Boommarkt setzen. Zum anderen, weil die Volksrepublik als Retter ausfällt, wenn Europa nach den Wahlen in Griechenland einmal mehr in den Abgrund blicken sollte. Nach der Lehman Brothers-Pleite und der darauf folgenden Jahrhundertkrise bewahrte allein China die deutsche Wirtschaft vor einer länger anhaltenden Depression.

Zwar wirken der gesunkene Ölpreis und der günstige Wechselkurs gegenwärtig wie ein kleiner Konjunkturstimulator. Doch wenn Chinas Wachstum auf unter 5 Prozent einbricht, können Deutschlands Exporteure ihre hochgesteckten Ziele abschreiben. Die meisten haben ihre Absatz- und Renditevorgaben nach wie vor auf paradiesische Zustände ausgelegt.

Für den Autobauer BMW  wird die allzu optimistische Planung bereits teuer. Die Münchener konnten Anfang des Jahres einen Aufstand ihrer Händler nur dadurch besänftigen, dass sie ihnen umgerechnet rund 700 Millionen Euro zurückzahlen. Mehr als zwei Drittel der Händler klagen über Verluste, weil sie viel mehr Autos abnehmen müssen, als sie verkaufen können. Pro Fahrzeug entspricht das einem Zuschuss von 1500 Dollar.

Die Nachfrage nach Autos ist im vergangenen Jahr nur noch halb so stark gestiegen wie im Vorjahr, um 6 bis 7 Prozent, schätzen Analysten. BMW geht davon aus, dass sie auch 2015 nurmehr einstellig zulegt.

Die Abschwächung tut weh, denn China stand zuletzt für 20 Prozent des Absatzes und einen großen Batzen des Gewinns. BMW-Chef Norbert Reithofer sieht die Wachstumschancen in dem Riesenreich inzwischen deutlich nüchterner. So viel Vorsicht ist allerdings eher die Ausnahme als die Regel.

Risiken nicht mehr zu ignorieren

Dabei sind die Risiken immer schwerer zu ignorieren. Chinas Wirtschaft wird von mehreren Blasen gleichzeitig erdrückt: Ein überhitzter Immobilienmarkt, eine von Überkapazitäten geplagte Industrie, ein ausuferndes und fragiles Schattenbankensystem sowie ein Schuldenberg bei Unternehmen und Haushalten, der Dimensionen erreicht wie in Großbritannien nach der Bankenkrise; in China wimmelt es nur so von faulen Krediten.

Am sichtbarsten ist die Immobilienkrise. Baukräne und leer stehende Häuser sind zum Symbol des neuen Chinas geworden. Die Preise für Wohnungen fallen seit Monaten. Mit Mädchen in Miniröcken und Verlockungen wie iPhones oder gar einem Mercedes wird um Kunden gebuhlt. Oft vergeblich.

Vor allem in den Städten der zweiten und dritten Reihe - von den es mehrere Hundert gibt - bleiben abends ganze Häuserblocks stockdunkel. Viele Wohnungen wurden als Investment gekauft - und nie bezogen oder vermietet. In China werden Immobilien wie Goldbarren behandelt, man erwirbt sie und lässt sie unberührt liegen, damit sie im Wert steigen. Bernd-Uwe Stucken, Partner bei der Anwaltskanzlei Pinsent Masons und seit Ende der 80er Jahre in China, kennt Familien, die all ihr Vermögen in solchen Wohnungen angelegt haben. Nun, da die Preise erstmals bröckeln, fürchten sie um den hart erarbeiteten Wohlstand.

Insgesamt stehen im Reich der Mitte 64 Millionen Wohnungen leer, mancherorts sind ganze Geisterstädte entstanden, wie Jingjin City, eine Satellitenstadt vor den Toren der Metropole Tianjin. Nach lokalen Presseangaben handelt es sich dabei um 3.000 Häuser, es ist das größte Villenprojekt Asiens.

Rund drei Viertel des Vermögens wohlhabender Chinesen stecken in Beton. Wenn diese Blase platzt, kommt das einer Enteignung der Mittelschicht gleich. Denn Projekte wie Jingjin wurden in fast allen Provinzen hochgezogen. Und es kommen immer noch neue hinzu.

Die ersten Immobilienentwickler stecken schon in Schwierigkeiten. Kaisa konnte zum Jahresende einen Bankkredit nicht bedienen. Konkurrenten wie Agile Property und Country Garden stehen unter Refinanzierungsdruck.

Angst vor Immobiliencrash

Der Bau gilt als Schlüsselbranche der chinesischen Wirtschaft. Jonathan Anderson, einst Banker bei der UBS, heute bei der Emerging Advisors Group in Peking, hält chinesische Immobilien sogar für "den wichtigsten Sektor im Universum". Die Ratingagentur Standard & Poor's schätzt seinen Anteil auf 20 bis 30 Prozent des chinesischen Sozialprodukts. Wenn er wankt, fällt das ganze Reich. Die plötzliche Aktienrally an den Börsen in Shanghai und Shenzhen ist ein untrügliches Zeichen für die Angst vor einem Immobiliencrash. Die Sparer schichten um, raus aus Wohneigentum, rein in Aktien.

Auf Branchen wie die Glas-, Stahl- und Zementindustrie hat der Virus schon übergegriffen. Sie leiden unter massiven Überkapazitäten, die über Jahre mithilfe billiger Kredite aufgebaut wurden. Zwischen 2011 und 2013 verbrauchte China mehr Zement als die USA im gesamten 20. Jahrhundert. Beim Stahl sind die überschüssigen Kapazitäten so groß wie die gesamte deutsche Produktion.

Viele Unternehmen aus diesen Branchen - wie auch Werften und Chemiekonzerne - wären eigentlich längst bankrott. Die Produzentenpreise sinken seit Jahren, immer mehr Firmen melden Verluste, der Schuldendienst frisst die liquiden Mittel.

Doch die lokalen Regierungen tun alles, um Pleiten zu verhindern. Sie fürchten das daraus resultierende Heer von Arbeitslosen und um ihr Image. Denn in den Krisenbranchen tummeln sich besonders viele Staatsunternehmen, kurz SOEs (State-Owned Enterprises). Sie stellen mehr als die Hälfte der Top 500 in China. Die SOEs nehmen oft eine Monopolstellung ein und gelten als ineffizient, träge und wenig innovativ. "Mehr Kapital (als bei den SOEs) wird nirgendwo auf der Welt verbrannt", so das vernichtende Urteil von Frederic Neumann, China-Analyst der Großbank HSBC.

Die Kumpanei zwischen Staatsbanken und Staatsunternehmen sorgte für einen niemals versiegenden Kapitalzufluss. Not leidende Kredite werden automatisch verlängert, weil ja sonst die Geldhäuser kollabieren würden. Erst im vergangenen September pumpte die Zentralbank wieder einmal umgerechnet 70 Milliarden Euro in fünf ausgewählte Staatsbanken, die das Geld weitergaben an die SOEs.

Undurchsichtige Bankgeschäfte

So hat sich über die Jahre ein gespaltener Kreditmarkt herausgebildet: Auf der einen Seite die Staatsunternehmen, die auf günstige Konditionen (ab 6 Prozent) bei den Staatsbanken zurückgreifen können, auf der anderen Seite die zumeist effizienteren und innovativeren Privatbetriebe, die sich in einem Schattenbankensystem zu zweistelligen Zinssätzen refinanzieren müssen.

Die unregulierten Schattenbanken haben ebenfalls ganz wesentlich zu dem Schuldenzuwachs beigetragen. Laut Daten des Financial Stability Boards entfallen auf den völlig intransparenten Sektor heute zwei Drittel des chinesischen BIP. Eine Zeitbombe mit unkalkulierbarer Detonationskraft, denn die Zahlungsausfälle häufen sich.

In den beiden Kreditmarktsegmenten schlummern tonnenweise faule Kredite - aus dem Immobilien-, aber auch dem Industriegeschäft. Die toxische Quote hat einen neuen Höchststand erreicht.

Wie in Europa und in den USA trägt die Notenbank daran eine Mitschuld. Seit der Finanzkrise 2008 haben Chinas Zentralbanker die Geldmenge fast verdreifacht - auf umgerechnet 2750 Milliarden Euro. Die Mittel wurden vorrangig in Infrastrukturprojekte gelenkt - Brücken, Straßen, Trassen, Häfen. Ende Oktober 2014 genehmigte die Zentralregierung nochmals 16 Bahnstrecken und fünf Flughäfen. Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in China, fragt sich, wie viele Neubauten noch gebraucht werden: "Sie haben ja schon die besten Bahnhöfe und Flughäfen."

Dieses weltweit einmalige Deficit Spending kann sich das Land nicht mehr lange leisten. Chinas gesamtwirtschaftliche Verschuldung liegt inzwischen bei alarmierenden 250 Prozent des BIP. Der Schuldenstand der Unternehmen außerhalb des Finanzsektors hat die 100-Prozent-Marke überschritten und liegt damit höher als im Krisenland Italien.

Wenn der Staat die Ausgabenprogramme nun zurückfahren muss, kostet das unweigerlich Wachstum. Vielen Kommunen bleibt aber gar nichts anderes übrig. Städte und Gemeinden sind Opfer einer verfehlten Steuerpolitik. Das Gros der Einnahmen kassiert die Zentralregierung, obwohl die Kommunen nicht nur für die Sozialleistungen ihrer Bürger aufkommen, sondern auch einen Gutteil der oft sinnlosen Stimulus-Projekte finanzieren müssen.

Viele Städte sind deshalb hoch verschuldet. Weil ihnen in ihren offiziellen Haushalten enge Grenzen gesetzt wurden, gründeten sie Investmentgesellschaften als Finanzierungsvehikel. Niemand hat einen Überblick, wie viel in diesen Blackboxes versenkt wurde.

Eine alternative Finanzierungsquelle für die Kommunen sind Landverkäufe, bei vielen Städten machen sie bis zu zwei Drittel des Haushalts aus. Da die ursprünglichen "Eigner" des Landes häufig mit lächerlichen Beträgen abgespeist werden, führen die Landnahmen zu massenhaften Protesten.

Die Gefahr, die von solchen Demonstrationen ausgeht, ist unberechenbar. Sind es 100.000 oder 200.000 Proteste pro Jahr? Die Behörden veröffentlichen seit Jahren keine Zahlen mehr. Gründe, auf die Barrikaden zu gehen, gibt es jedenfalls mehr als genug: neben den fragwürdigen Landnahmen, Repressionen, miese Arbeitsbedingungen, soziale Ungerechtigkeiten, verseuchte Lebensmittel, vergiftetes Wasser, verpestete Luft und so weiter.

Laut der NGO China Labour Bulletin gingen in den vergangenen Monaten viele Lehrer auf die Straßen. Sie klagten über schlechte Bezahlung und die vielen Überstunden. Einen der größten Proteststürme löste vor sechs Jahren verseuchtes Milchpulver aus. Noch heute bestellen viele Chinesen Säuglingsnahrung online im Ausland oder lassen sie kiloweise von Bekannten und Verwandten von dort mitbringen.

Die Reichen flüchten

Die einen gehen auf die Straße, die anderen, die es sich leisten können, außer Landes. Viele reiche Chinesen wandern aus ins nahe Hongkong, ins ferne Europa oder nach Nordamerika. Zwei von drei Millionären und Milliardären wollen emigrieren, hat das Research-Institut Hurun in einem Wealth Report ermittelt.

Zu den Gewinnern, die in den Boomjahren reich wurden und das Land verlassen haben, gehört Joe Zhang (51). Der ehemalige UBS-Investmentbanker stammt aus Zentralchina und lebt nun in Hongkong. Als er vor einem Jahr seine Familie im Dorf Jingmen besuchte, wunderte er sich, dass sein Bruder vor dem Abendspaziergang ein Armeemesser in den Gürtel steckte. In der einst friedlichen Gemeinde habe es zuletzt viele Überfälle gegeben, erklärte der. Ein Cousin war halb tot geprügelt worden, für die Polizei aber kein Grund zu ermitteln.

"Chinas traditionelles soziales Gefüge ist zerstört, das wird auf dem Land besonders deutlich, wo die Menschen unter Armut und Umweltzerstörung extrem leiden", sagt der Wahl-Hongkonger, der sich mittlerweile auch einen australischen Pass besorgt hat. Denn der bietet eine Rechtssicherheit, von der chinesische Bürger nur träumen können.

Andere nutzen die Krise in Südeuropa und erwerben dort ein Aufenthaltsrecht. Das geht in Griechenland schon, wenn man für eine Viertelmillion Euro ein Haus erwirbt. So erkaufe sich die chinesische Mittelschicht ihren "Exit", sagt Margot Schüller vom Hamburger Giga Institut für Asien-Studien.

Raus aus der Volksrepublik streben auch viele Unternehmen, beobachtet Ben Wootliff, Landeschef der Sicherheitsfirma Control Risks: "China ist kein billiger Standort mehr." Vor allem die Löhne sind in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen, um das Vier- bis Sechsfache. In den Fabriken verdienen Arbeiter inzwischen 500 bis 600 Euro monatlich - mehr als die Büroangestellten. Zudem sind sie anspruchsvoller geworden. "WLAN muss man ihnen schon anbieten", sagt Patrick Andrist.

Der Deutsche lebt seit 20 Jahren in Hongkong. Ihm gehört die Firma Omnibrand, die in der elften Etage eines Hochhauses mit grandiosem Blick auf Hongkong Island residiert. In den Räumen hängen und liegen überall Kleider, an denen die Labels Laurèl und Zara kleben.

Für diese und andere Marken sucht Andrist die Produktionsstätten aus. Früher platzierte er die Aufträge ausschließlich in China, inzwischen nur noch zu einem Drittel. Der Standort ist in weiten Teilen nicht mehr wettbewerbsfähig.

Die Alternativen heißen nicht nur für ihn Bangladesch, Indonesien und Vietnam. Für den Sportartikler Puma  etwa ist Vietnam zum größten Beschaffungsmarkt avanciert, für die Modemarke S. Oliver Bangladesch. Und der Exodus betrifft längst nicht nur die Textilbranche: Der Elektronikkonzern Samsung verlagert seine Produktion ebenfalls von China nach Vietnam und investiert über acht Milliarden Dollar in vier neue Fabriken in der Nähe von Hanoi.

Einige Konsumgüterhersteller ziehen vom teuren chinesischen Küstenstreifen ins Landesinnere. Doch auch dort entkommen sie nicht der demografischen Falle: China gehen allmählich die Arbeitskräfte aus. Die Zahl derer im arbeitsfähigen Alter zwischen 15 und 59 Jahren nimmt infolge der Ein-Kind-Politik seit 2012 ab.

Steigende Löhne, überschuldete Unternehmen, Banken und Kommunen sowie eine Immobilienblase, die kurz davor ist, mit lautem Knall zu platzen - immer mehr deutsche Firmen im Land bekommen diesen Druck zu spüren. Selbst größere Staatsunternehmen können nicht mehr zahlen und diktieren ihren Lieferanten neue Bedingungen, einen Schuldenschnitt von 20 Prozent etwa und/oder ein Zahlungsmoratorium auf unbestimmte Zeit. "Da wird nicht diskutiert. Wenn Sie anrufen, legen die einfach auf", sagt Rechtsanwalt Stucken. Auch eine Klage sei da wenig aussichtsreich.

Die Selbsthilfemaßnahmen sind ein Alarmzeichen. Das weiß auch die neue Führung unter Staatschef Xi Jinping und Regierungschef Li Keqiang. Sie versucht daher gegenzusteuern.

Vor allem die Abkehr vom alten, exportbasierten Geschäftsmodell soll das Wachstum wieder beleben. Die neue Devise heißt: mehr Marktwirtschaft, mehr Konsum und mehr Innovationen.

Doch so einfach lässt sich das nicht verordnen. Die Konsumquote verharrt bei mageren 34 Prozent, hierzulande liegt sie bei fast 60, in den USA sogar nahe 70 Prozent. Kein Wunder: Viele Chinesen sind auch privat hoch verschuldet, ein Sozialsystem existiert nur rudimentär. Wer in jungen Jahren nicht spart und vorsorgt, kann im Alter schnell verarmen. Und jetzt, da die Immobilienwerte ins Rutschen geraten und Investment Trusts (die 10 Prozent Zinsen versprachen) kollabieren, wird die Kauflaune der Mittelschicht kaum zunehmen.

Konsumgütermultis wie Unilever, Nestlé und Colgate-Palmolive melden bereits Umsatzrückgänge. Die Nachfrage nach Neuwagen stieg zuletzt nur noch um gut 2 Prozent. Massenhersteller wie Honda und Toyota haben ihre Prognosen schon reduziert. Die Händler haben laut China Automobile Dealers Association die 1,8-Fache Menge ihrer monatlichen Verkäufe auf Halde, schon bei einer Quote von 1,5 wird es kritisch.

Selbst der Luxuskonsum könnte 2014 erstmals sinken, schätzt das Hongkonger Forschungsinstitut Fung. Bei Gucci, jahrelang mit Zuwächsen von 20 bis 30 Prozent verwöhnt, stagnierte der China-Umsatz.

Noch schwieriger als der Weg in eine Konsumgesellschaft gestaltet sich die Stärkung der Innovationskraft - auch wenn die Strategie im Prinzip richtig ist: China will höherwertige Produkte herstellen, weil das Land bei der Herstellung von Massenware nicht mehr mithalten kann.

Konformität statt Kreativität

Die Forschungsförderung hat sich zwischen 2006 und 2013 mehr als verdreifacht, auf 2,1 Prozent des BIP. Damit liegt China vor Ländern wie Italien und Spanien. Doch Innovationen lassen sich nicht per Parteitagsbeschluss beschließen. Sie müssen von unten kommen, von kreativen jungen Leuten. Und die bringt das Bildungssystem kaum hervor.

Maotang, ein Städtchen in den Bergen der Provinz Anhui. Zu den 35.000 Einheimischen gesellen sich jedes Jahr 11.000 Fremde. Alles Schüler, die hier ein Jahr auf das "Gaokao", die nationale Aufnahmeprüfung für die Universitäten, pauken. Jeden Tag von 6.30 bis 22.30 Uhr. Kosten der Ein-Jahres-Tortur: umgerechnet 6500 Euro. In dem Städtchen wird keine Ablenkung geduldet. Es gibt weder Internetcafés noch Karaoke, abends ist die Stadt wie ausgestorben.

Ein krasses Beispiel, aber symptomatisch für das antiquierte chinesische Bildungssystem, das fast nur auf stupides Pauken setzt, Widerspruch nicht duldet und zur Konformität erzieht. Um kreativ und innovativ zu sein, so der China-Kenner David Shambaugh, müsse erst mal kritisches Denken erlaubt werden.

Die von vielen herbeigesehnte "soft landing" ist also nicht mehr als Wunschdenken. Den Konzernbossen in Amerika und Japan scheint das bewusst geworden zu sein. Sie haben ihre Investitionen zurückgefahren und ihre Erwartungen nach unten korrigiert - anders als ihre deutschen Kollegen.

Ho-Chi-Minh-Stadt, Vietnam, Asien-Pazifik-Konferenz der Deutschen Wirtschaft. Beim China-Frühstück morgens um 7.30 Uhr malt ein deutscher Diplomat aus Peking ein düsteres Bild von der aktuellen Lage in der Volksrepublik. Im Publikum gestandene China-Manager deutscher Konzerne. Sie hören verärgert zu, schütteln die Köpfe. Was soll das negative Gerede? Nach dem Vortrag tuschelten sie über den vermeintlich "unerfahrenen" Diplomaten.

Eine Haltung, die sich noch rächen wird. "Die optimistischen Prognosen für den chinesischen Markt sind eher durch die eigene Abhängigkeit geprägt als durch gute Argumente", lästert Merics-Chef Sebastian Heilmann.

Andy Xie jedenfalls, Ex-Asien-Chef von Morgan Stanley und einer der profiliertesten Kritiker der Regierung in Peking, sieht China am Ende eines Zyklus angelangt. Er zieht Parallelen zu den USA Ende des 19. Jahrhunderts. Damals hätten Tycoone wie Rockefeller und Carnegie auch geglaubt, das Wachstum dauere ewig und es mit immer neuen Investitionen weiter befeuert. Ein solch selbst entfachter Boom müsse irgendwann in einem Crash und Deflation enden.

Xie ist berühmt für die Treffgenauigkeit seiner Analysen. Er hat sowohl die letzte Asien-Krise als auch das Subprime-Debakel in den USA vorausgesagt.

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