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An vorderster Impffront: Arzt aus Bayern rechnet schonungslos ab - nicht nur mit Impfgegnern

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Ein Puchheimer Arzt hat einen Roman über den Alltag an der Impffront veröffentlich. (Symbolfoto) © Helmut Fricke / dpa

Alles fiktiv, alles erfunden: Das betont der Puchheimer Arzt Rainer Jund, wenn es um sein Buch über den Alltag an der Impffront geht. Es lässt etwas von dem Wahnsinn durchblicken, den er gerade zu Corona-Beginn erlebte.

Puchheim – Die Figuren sind frei erfunden und doch hat der in Puchheim praktizierende Hals-Nasen-Ohren-Arzt Rainer Jund in den vergangenen Monaten ähnliche Begegnungen zuhauf erlebt. Da wären die Nachbarn, die über den Gartenzaun gleich auch für ihre Kinder Impftermine bestellen wollten, obgleich noch die Priorisierung galt.

Arzt schreibt Roman über seine Erfahrungen in der Corona-Pandemie

Die Freundin, mit der man früher über alles diskutieren konnte, die aber auflegt, nachdem sie am Telefon ihre Hirngespinste über ansteckendes Gen-Material der Pharmaindustrie losgeworden ist. Der Patient, der mit Verschwörermiene nach der „Impfkasse“ fragt, weil er unbedingt noch vor dem Urlaub eine Spritze haben will. Und die ältere Dame, die gerade eine neue Herzklappe eingesetzt bekam, eine Impfung aber als zu gefährlich ablehnt. Was Corona betreffe, da passe Gott schon auf sie auf, erklärte sie.

Puchheim: Buch über Corona ist für Arzt auch eine Therapie

Der Mediziner Jund gehörte zu den ersten, die in der eigenen Praxis Astra Zeneca und Biontech spritzen durften. In einer Art Tagebuch hat er aufgeschrieben, was ihm in dieser Zeit widerfahren ist. Weil er es für erzählenswert hält, wie Menschen reagieren, wenn knappe Güter verteilt werden. Und weil er danach auch eine Form von Selbsttherapie gebraucht hat, wie er sagt.

In der fiktiven 139-Seiten-Reportage, die jetzt als Taschenbuch erschienen ist, wird sich niemand wiedererkennen, anderenfalls künftig wohl viele Patienten anderswo Hilfe suchen würden. Aber in der verklärten Welt eines Arztromans hätten die manchmal schonungslosen Charakterstudien auch keinen rechten Platz.

Ich habe das Buch geschrieben, weil ich es für erzählenswert halte, wie Menschen reagieren, wenn knappe Güter verteilt werden. Und weil ich danach auch eine Form von Selbsttherapie gebraucht habe. Rainer Jund, HNO-Arzt
„Ich habe das Buch geschrieben, weil ich es für erzählenswert halte, wie Menschen reagieren, wenn knappe Güter verteilt werden. Und weil ich danach auch eine Form von Selbsttherapie gebraucht habe“, Rainer Jund, HNO-Arzt. © tb

Corona-Impfung in Bayern: Plötzlich pflegten alle ihre Eltern

Jund schüttelt gleichsam über beide Seiten den Kopf: Die anfänglichen Impfdrängler genauso wie die Verweigerer, wobei er über erstere natürlich mehr erzählen kann. Da gab es jene, die privat versichert sind und sich manchmal um das behinderte Kind der Nachbarn kümmern, weshalb ein früherer Termin ja wohl selbstverständlich sei.

Oder den, der in der „Klinikarchitektur“ tätig ist und deshalb bevorzugt behandelt werden will. Und halb Deutschland, so Junds anfänglicher Eindruck, schien plötzlich die besonders schutzbedürftigen, dementen Eltern zu pflegen und brauchte deswegen schnellstmöglich die Spritze.

Arzt schreibt Corona-Buch: Keine Gnade für Impfgegner

Mehr als solche geschönten Wirklichkeiten mit vielleicht schlechtem Gewissen regt ihn aber unverhohlenes Anspruchsdenken auf. „Das kann’s ja wohl nicht sein, dass wir nicht nach Mallorca können,“ lässt er einen der vielen Meckerer in seiner Sprechstunde sagen. Auf etwas zu verzichten werde heute als „narzisstische Kränkung“ wahrgenommen, schreibt Jund. Ein anderer hält die rasante Impfstoff-Entwicklung für eine Selbstverständlichkeit, schließlich habe man ja auch „30 Jahre lang Steuern gezahlt“.

Aber gar keine Gnade beim Tagebuch-Schreiber finden die überzeugten Impfgegner, beispielsweise solche, die hinter dem Virus und dem rasch aufgetauchten Gegenmittel eine abgefeimte Strategie der profitsüchtigen Pharmaindustrie erkannt haben.

Für den Mediziner in Puchheim ist die Entwicklung des „vielleicht wichtigsten Stoffes der Gegenwart“ eine wissenschaftliche Meisterleistung. Und Geimpfte würden eben nicht mehr schwer krank: Eine Woche Husten zu haben, sei etwas anderes als „in der Klinik zu liegen und zu spüren, dass es jede Stunde schwerer mit der Luft wird“. Für Bauchgefühl, Halbwissen, „eigene Interpretationen der Realität“ hat der Dr. med. nach seinem Einsatz an der Impffront offenbar nur noch Verachtung übrig. Meinungen seien „idiotische Gewissheiten“, schreibt er an einer Stelle.

In seiner Gesellschaftskritik bekommen auch Apotheken, die Vakzine abhängig von Radiomeldungen abgeben, Kassenärztliche Vereinigungen, die keine Fragen beantworten oder die Politik mit ihren „stündlich aktualisierten Erkenntnissen“ ihr Fett weg.

Corona-Pandemie in Bayern: Endlich wieder eine Mittelohrentzündung

Aber „die überwiegende Zahl der Menschen ist nett“, heißt es einmal überraschend in einer Art Atempause zwischen den vielen Begegnungen, die eigentlich das Gegenteil nahelegen. Ein Menschenfeind sei er nicht geworden, sagte er dem Tagblatt. Sonst könnte er auch seinen Beruf nicht ausüben. Und inzwischen begegnet er ja auch wieder ganz normalen Beschwerden in seiner Praxis. Jüngst bedankte er sich quasi sogar bei einer Patientin für deren Mittelohrentzündung – die erste seit einem halben Jahr.

Das Buch Rainer Jund: „Von der Impffront. Aus dem Alltag eines Arztes“, Finanzbuchverlag, 139 Seiten, 10 Euro. Olf Paschen

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