Die Deutschen Bahn will die Berliner S-Bahn nicht hergeben und entfacht damit die Diskussion um den Nahverkehr in der Hauptstadt neu. Die von Regierungschef Wowereit ins Spiel gebrachte Ausschreibung brächte einige Schwierigkeiten mit sich.

Ernsthaft überrascht war am Donnerstag niemand, dass die Deutsche Bahn (DB) ihre Nahverkehrstochter, die S-Bahn Berlin GmbH, nicht an das Land verkaufen will und auch eine Veräußerung ihrer Fahrzeugflotte ablehnt. Schließlich hatte Konzernchef Rüdiger Grube diese Option in der Vergangenheit mehrfach kategorisch abgelehnt. Den Schienenverkehr in der Hauptstadtregion zu betreiben, gehöre zu den „Kerndienstleistungen des DB-Konzerns“ hieß es. Den abzustoßen sei, als glaube man im Bahntower selbst nicht mehr an das eigene Geschäftsmodell.

Zu keinem Zeitpunkt hatte die Bahn signalisiert, dass sich an dieser Position grundsätzlich etwas ändern könnte. „Die Entscheidung war zu erwarten“, sagte Hans-Werner Franz, Chef des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg Morgenpost Online. „Die Bahn verkauft doch nicht eines ihrer besten Pferde im Stall.“

Doch Debatte um die Zukunft der S-Bahn hat die DB damit nicht gestoppt, im Gegenteil. Nachdem Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit als erster Reaktion auf die Absage der Bahn eine Teilausschreibung des S-Bahn-Verkehrs ab 2017 ankündigte, ist sie erst richtig entbrannt. Verkehrsexperten der Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus forderten am Donnerstag schnelle Weichenstellungen. „Wir haben schon viel Zeit verloren“, sagte Stefan Gelbhaar (Grüne). Der Senat müsse jetzt zügig eine Teilausschreibung sowie die Anschaffung eines eigenen S-Bahn-Fuhrparks vorbereiten. Jutta Matuschek (Linke) bedauerte die Absage der Bahn und erneuerte die Forderung nach an einer Kommunalisierung der S-Bahn. Das Land solle dafür nun ein neues kommunales Verkehrsunternehmen gründen, sagte Matuschek.

Wird die S-Bahn teilweise ausgeschrieben, müsste der Senat in einem europaweiten Wettbewerb für die Zeit nach Ablauf des gültigen Verkehrsvertrages im Jahr 2017 zunächst einen Betreiber für die Ringbahn suchen. Eine Ausschreibung bedeutet nicht, dass die Bahn keinesfalls den Zuschlag bekommt, oft genug hat sich der Konzern in entsprechenden Verfahren durchgesetzt. Im DB-Konzern hieß es nach der Ankündigung Wowereits denn auch umgehend, man werde sich im Fall einer Teilausschreibung darum bemühen, den Zuschlag zu bekommen.

Eine Teilausschreibung ist jedoch nur eine von mehreren Optionen des Senats. Im Koalitionsvertrag ist auch davon die Rede, nach einer Ausschreibung den gesamten S-Bahnbetrieb an ein Unternehmen zu vergeben. Dies müsse aber rechtlich geprüft werden, heißt es. Tatsächlich birgt der Plan eine Reihe von möglichen Problemen. Denn es wäre wohl kein anderes Unternehmen als die DB in der Lage, bis 2017 genügend Fahrzeuge für den Betrieb auf dem gesamten Netz zu beschaffen. Die DB könnte hingegen den größten Teil ihrer bisherigen Flotte – selbst nach Meinung unabhängiger Gutachter – noch lange nach 2017 weiter nutzen.

Immerhin hat die Bahn ihre Bereitschaft erneuert, unabhängig vom Ausgang einer Ausschreibung die Beschaffung neuer S-Bahn-Züge voranzutreiben. Eine geplante Kooperation von Konzern und Land, bei der man gemeinsam die Möglichkeiten der Beschaffung prüfen wollte, musste man aufgeben. Die Zusammenarbeit hätte zu einem Konflikt mit den Wettbewerbswächtern führen können. Befürchtete wurde, das Kartellamt könnte der Bahn den Vorwurf machen, sich durch die Beteiligung an der Konstruktion neuer Wagen einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen. Nun arbeitet die Bahn allein an Ersatzkonzepten, sie hat dem Senat zugesagt, die Bestellung von Zügen bis 2017 voranzutreiben. „Wir stehen dazu und arbeiten mit Hochdruck daran“, sagte S-Bahnchef Peter Buchner Morgenpost Online. „Wenn der Senat Interessen daran hat, dass die Bahn diesen Weg weiterverfolgt, muss sie die Anforderungen für die neuen Fahrzeuge veröffentlichen, damit deren Ausschreibung schnell vorangetrieben werden kann.“

Tatsächlich steht und fällt die Frage nach der Zukunft der S-Bahn mit der Beschaffung neuer Züge. Ende 2017 werden zunächst mindestens 190 neue Doppelwagen benötigt, um veraltete Zugbaureihen zu ersetzen. Nach Schätzungen belaufen sich die Kosten dafür auf 500 bis 600 Millionen Euro. Die Frage ist nun – auch wenn die Bahn die Bestellung vorantreibt –, wer die Kosten trägt. Ein Konkurrent der Bahn, sollte ein solcher den Zuschlag für einen Teil des Betriebs bekommen? Oder das Land Berlin selbst, weil es nach dem Vorbild Niedersachsens einen eigenen Fahrzeug-Pool aufbaut? Schon aufgrund der Kosten würde das beide Seiten vor große Probleme stellen: Das Land, weil es im Grund kein Geld dafür hat, das Unternehmen, weil Berliner S-Bahnen nur dort fahren können. Jeder Betreiber dort steht vor der Herausforderung, nach Ende des Verkehrsvertrages und dem Verlust des Betriebs auf Zügen zu sitzen, die praktisch unverkäuflich sind.

Sollte Berlin sich – wie von Wowereit angekündigt – nun tatsächlich zu einer Teilausschreibung entschließen, kündigte die Bürgerinitiative „Berliner S-Bahn-Tisch“, bereits Widerstand an. Die nun gescheiterten Verkaufsverhandlungen bezeichnete Sprecher Rouzbeh Taheri als Farce. Er kündigte an, dass ungeachtet dessen die nächste Stufe des Volksbegehrens „Rettet unsere S-Bahn“ gegen eine Privatisierung der Bahntochter vorbereitet werde. Im Falle eines erfolgreichen Volksentscheids müsse die Ausschreibung unter Umständen annulliert beziehungsweise wiederholt werden, betonte er.

Der Deutschen Bahn ist derweil die S-Bahn so wichtig, dass sie in Kauf nimmt, damit bis zum Auslaufen des Verkehrsvertrages 2017 kein Geld verdient zu haben. Im Gegenteil: Für die Gesamtlaufzeit werden aufgrund der technischen Schwierigkeiten bei den Wagen Verluste erwartet.