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Interview zu Organspenden Interview zu Organspenden: "Angehörige fällen neun von zehn Entscheidungen"

14.05.2014, 19:36
Er kommt dreimal in der Woche zur Dialyse in das Behandlungszentrum in Weißenfels: Benjamin Strauchmann aus Reichardtswerben. In zwei Jahren könnte er eine Spenderniere erhalten.
Er kommt dreimal in der Woche zur Dialyse in das Behandlungszentrum in Weißenfels: Benjamin Strauchmann aus Reichardtswerben. In zwei Jahren könnte er eine Spenderniere erhalten. peter lisker Lizenz

naumburg/MZ - Weltweit herrscht ein erheblicher Mangel an Spenderorganen. Viele Patienten auf Herz-, Leber- und Lungenwartelisten versterben, weil nicht rechtzeitig ein Organ zu Verfügung steht. MZ-Mitarbeiter Klaus-Dieter Kunick sprach drüber mit Dr. Klaus-Dieter Becker, Chefarzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin und Dr. Nancy Lützkendorf, Fachärztin für Anästhesiologie am Saale-Unstrut-Klinikum in Naumburg.

Wer darf denn spenden?

Becker: In Deutschland gibt es seit November 2012 die sogenannte Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz. Das heißt, alle Bundesbürger sollten ihre Entscheidung für oder gegen eine Organspende schriftlich festhalten. Anderenfalls können das nach dem Tod auch die Angehörigen tun, sofern es der Patient bzw. Verstorbene nicht selbst getan hat.

Lützkendorf: Organe spenden darf prinzipiell jeder, bei dem gemäß Transplantationsgesetz zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Es muss eine Zustimmung vorliegen und der Hirntod muss eindeutig festgestellt worden sein. Die Bereitschaft für eine mögliche Organspende kann ab dem 16. Lebensjahr dokumentiert werden. Mit 14 Jahren kann man sich schon dagegen entscheiden. Der Organspende selbst sind nach obenhin keine Altersgrenzen gesetzt.

Wer darf nicht spenden?

Becker: Akut Krebserkrankte, die noch nicht behandelt sind und HIV-positiv-Patienten. Hier gibt es Einzelfallentscheidungen insofern, dass ein Organ eines HIV-Patienten einem andern HIV-Patienten transplantiert wird. Nicht gespendet werden darf bei nicht beherrschbaren Infektionskrankheiten, wie Tuberkulose oder Tollwut. Und auch bei Blutvergiftung geht es nicht.

Um welche Organe geht es?

Becker: Gespendet werden können Niere, Leber, Lunge, Herz, Dünndarm und Bauchspeicheldrüse. Am weitaus häufigsten werden die Nieren verpflanzt. Seit einigen Jahren ist es auch möglich, Gewebe zu entnehmen, wie Haut, Augenhornhaut und Knochen. Bei Angehörigen ersten und zweitens Grades, Verlobte und Personen, die einem nahe stehen, ist auch die Lebendspende möglich. Hier kommen nur eine Niere oder Teile der Leber infrage. Organe gegen Geld zu spenden, steht in Deutschland unter Strafe.

Gibt es eine Warteliste?

Becker: Die Organspende läuft prinzipiell über die DSO, das ist die Deutsche Stiftung Organtransplantation. Eine Warteliste gibt es nur in der zentralen Vermittlungsstelle „Eurotransplant“ in Leiden/Holland. Patienten, die auf ein Organ warten, kennen wir demzufolge nicht. Es bestehen sieben DSO-Regionen in Deutschland. Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt gehören zur DSO-Region „Ost“. Wir rufen dort an, wenn wir einen potenziellen Spender haben. Man muss sagen, Spende, Vermittlung und Transplantation sind personell und organisatorisch völlig voneinander getrennt.

Es geht um den Tod eines Menschen, andererseits wird mit einem Organ einem anderen geholfen. Schwierig, das zu bewerkstelligen, oder?

Becker: Ja, das ist es. Die Angehörigen bekommen die Todesnachricht und im gleichen Atemzug sind die Angehörigen zu fragen, ob der Tote ein Organ spenden könne. Der Mediziner hat ja nicht viel Zeit: Es wird der Hirntod festgestellt und die Organe müssen weiter am Leben erhalten werden. Das geht zeitlich nicht unbegrenzt. Es geht nicht nur um die künstliche Beatmung, sondern man braucht auch Medikamente, um den Kreislauf entsprechend aufrecht zu erhalten.

Wie denken Sie persönlich darüber?

Becker: Ich denke als Arzt nie zuerst an eine Organspende. Es geht zu allererst immer darum, Leben zu erhalten. Und erst, wenn der Patient Hirntod ist, erst dann kommt er als Organspender in Frage.

Wie steht es um die Spendenbereitschaft insgesamt?

Lützkendorf: Die Zahl der Spender ist von 2012 auf 2013 um 16 Prozent gesunken und bei den Organen um 13 Prozent. 2012 gab es eine Umfrage - Cirka 70 Prozent der deutschen Bevölkerung sind spendenbereit. Aber: Unter 20 Prozent haben das dokumentiert. Und genau das ist oftmals unser Problem. Neun von zehn Entscheidungen fällen immer noch Angehörige im Krankenhaus für oder gegen eine Spende.

Becker: Im Vorjahr gab es lediglich 876 Spender in Deutschland, die haben über 3.300 Organe gespendet. Durchschnittlich werden pro Organspender drei Organe entnommen.

Wie reagieren die Menschen?

Becker: Das ist unterschiedlich, es geht um Fingerspitzengefühl. Wir versuchen, den richtigen Moment abzupassen und es den Angehörigen schonend, aber auch sachlich beizubringen. Wir lassen ihnen natürlich eine Überlegungsfrist und raten oft, einen Familienrat zu halten.

Gab es in Ihrer Klinik einen Organspender?

Lützkendorf: Wir hatten im letzten Jahr eine Organspende, es war eine Mehrorganentnahme. Wir haben in unserer Klinik in der Vergangenheit nicht mehr als eine Organspende pro Jahr realisiert.

Becker: Wir verlegen Patienten mit neurochirurgischen Erkrankungen, zum Beispiel nach Unfällen mit Kopfverletzungen in entsprechende Spezialkliniken. Möglicherweise kommt derjenige dort als Spender in Frage.