Formen der Ausbeutung

Zwei Berichte beleuchten das Problem von Menschenhandel und Sklaverei. Im Westen nimmt man von deren globalen Ausmassen nur einen Bruchteil wahr.

Volker Pabst, Delhi
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Junge Knaben arbeiten faktisch wie Sklaven für Fischer an einem See in Ghana. (Bild: Keystone / EPA)

Junge Knaben arbeiten faktisch wie Sklaven für Fischer an einem See in Ghana. (Bild: Keystone / EPA)

Eine junge Frau aus der postsowjetischen Provinz wird mit falschen Versprechungen ins Ausland gelockt, im Westen nehmen ihr die vermeintlichen Arbeitsvermittler den Pass weg, missbrauchen sie und zwingen sie zur Prostitution. Es sind Schicksale, wie sie der preisgekrönte Film «Lilja 4-ever» und unzählige Opferberichte erzählen, die im Westen mit Menschenhandel und moderner Sklaverei verbunden werden. Weltweit betrachtet ist das Phänomen allerdings bedeutend vielfältiger.

Nicht nur sexuelle Ausbeutung

Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) zeigt in seinem Bericht zum weltweiten Menschenhandel , der am Montag vorgestellt wurde, eine Zunahme von Fällen, die mit anderen Formen der Zwangsarbeit als sexueller Ausbeutung in Zusammenhang stehen – auch wenn Letztere immer noch die Mehrheit der Fälle ausmacht. Dabei gibt es bedeutende regionale Unterschiede. Während in Europa zwei Drittel der Opfer zur Arbeit im Sexgewerbe genötigt werden, sind etwa in Südasien fast 75 Prozent in Landwirtschaft und Industrie tätig.

Zudem erinnert das UNODC daran, dass Menschenhandel vornehmlich in regionalen Dimensionen stattfindet. Ähnlich wie bei Flüchtlingsströmen wird das Phänomen oft als eine Bewegung vom globalen Süden zum Norden wahrgenommen, obwohl sich die allermeisten Fälle regional abspielen. Nur ein Viertel aller Opfer wird von einer Grossregion in eine andere – etwa aus Asien nach Europa – verfrachtet. Vom riesigen Problem nimmt man im Westen nur die Spitze des Eisbergs wahr.

Natürlich existiert auch ohne Menschenhandel Ausbeutung durch Zwangsarbeit. Laut dem letzte Woche publizierten Global-Slavery-Index der australischen Stiftung Walk Free leben weltweit fast 36 Millionen Menschen in Formen moderner Sklaverei. Indien verzeichnet dabei mit 14,3 Millionen Menschen die höchsten absoluten Opferzahlen, im Verhältnis zur Einwohnerzahl liegt Mauretanien an erster Stelle. Weder dort noch in Usbekistan oder Haiti, die allesamt einen hohen Anteil an Sklavereiopfern aufweisen, sind die Betroffenen in erster Linie Opfer von Menschenhandel. Bedeutender sind gesellschaftliche Hierarchien (Mauretanien), staatliche Zwangsrekrutierung (Usbekistan) oder Formen der Fronarbeit (Haiti, Indien). Lediglich in Katar (Rang 4 in der Liste) mit seinem hohen Anteil an unqualifizierten ausländischen Arbeitskräften spielt die Migration eine grössere Rolle.

Staatliches Wegschauen

Auf dem Subkontinent besonders verbreitet ist die Schuldknechtschaft, die zwar seit 1976 gesetzlich verboten ist, aber weiterhin vielerorts toleriert wird. Think-Tanks fordern deshalb in erster Linie eine ernsthafte Anerkennung des Problems durch den Staat. Nur so könnten umfassende Lösungsansätze ausgearbeitet werden. Walk Free hat in ihrem Bericht erstmals eine Rangliste des staatlichen Engagements gegen die Sklaverei erstellt. Die Niederlande, Schweden und die USA führen die Liste an. Im Verhältnis zu den finanziellen Möglichkeiten liegen aber Länder vorn, die sonst kaum eine Vorreiterrolle spielen: Georgien, Mazedonien und die Philippinen. Das UNODC fordert ebenfalls ein stärkeres staatliches Engagement, insbesondere bei der Ahndung des Menschenhandels. Die weitgehende Straffreiheit müsse beendet werden.