Kommentar

Der Lockdown in Österreich ist eine Bankrotterklärung und Ausdruck völliger Ratlosigkeit

Österreichs Regierung stolpert durch die Krise und sieht radikale Schritte als einzigen Ausweg. Die Schweiz ist gut beraten, nicht mit Unverständnis zuzusehen, sondern eine ähnliche Katastrophe noch rechtzeitig abzuwenden.

Meret Baumann 581 Kommentare
Drucken
Ab Montag werden in Österreich wieder die Stühle hochgestellt, wie hier in Tirol während des Lockdowns vor einem Jahr.

Ab Montag werden in Österreich wieder die Stühle hochgestellt, wie hier in Tirol während des Lockdowns vor einem Jahr.

Jan Hetfleisch / Getty

Seit Wochen klagt der neue österreichische Bundeskanzler Alexander Schallenberg über eine Pandemie der Zögerer und Zauderer. Er meint natürlich die Ungeimpften, die das Infektionsgeschehen im Land auf traurige Rekordwerte getrieben haben. Aber die Formulierung passt für seine Regierung genauso. Das Bild, das sie in den letzten Wochen der sich rasant zuspitzenden Krise bot, war unwürdig und chaotisch.

Fast im Tagesrhythmus wurden die Massnahmen verschärft, man stolperte von einer 3-G-Regelung am Arbeitsplatz zu 2 G für das gesamte öffentliche Leben und schliesslich in einen abstrakten Lockdown für Ungeimpfte, von dem niemand wusste, wie er konkret umgesetzt oder kontrolliert werden sollte. Während dramatische Berichte aus den Spitälern in den besonders betroffenen Regionen die Öffentlichkeit erschütterten, lieferten sich die Koalitionsparteien auf offener Bühne einen Streit über weitere Verschärfungen. Ein Landeshauptmann verhöhnte Virologen, die «alle einsperren» wollten, ein anderer behauptete kühn, man habe zum Glück genug Intensivbetten, und verkündete am nächsten Tag den Lockdown für sein Bundesland.

Die Impfpflicht wird die Gesellschaft noch tiefer spalten

Das groteske Schauspiel kostete wertvolle Zeit, in der mit notwendigen, aber punktuellen Massnahmen vielleicht noch Gegensteuer hätte gegeben werden können. Warum gab es etwa nicht längst eine Home-Office-Empfehlung, ein vorläufiges Verbot von Grossveranstaltungen oder auch eine Schliessung von Bars und Klubs?

All das wäre unerfreulich gewesen und fern der Normalität, die man sich mit der Impfung erhofft hatte. Es wäre auch ein Eingeständnis gewesen, dass Altkanzler Sebastian Kurz mit seiner gebetsmühlenartig wiederholten Ansage, die Pandemie sei für die Geimpften vorbei, danebenlag. Dass genau dies seine Partei und ihre Exponenten in der Regierung und den Bundesländern zögern liess, will man kaum glauben. Allein dass dieser Vorwurf kursiert, ist Ausdruck des desolaten politischen Klimas.

Das Dilemma der Regierung, mit Einschränkungen auch für Geimpfte die Impfkampagne zu torpedieren, war echt und nachvollziehbar. Doch mit dem vierten harten Lockdown ist nun der grösstmögliche Schaden angerichtet. Statt beim Weihnachtseinkauf und an den Punschständen finden sich die Österreicherinnen und Österreicher ab Montag in den eigenen vier Wänden wieder. In den wichtigsten Wochen für den Einzelhandel sind die dekorierten Geschäfte geschlossen, Ökonomen schätzen die Kosten auf eine Milliarde Euro pro Woche. Ob so die Wintersaison im Tourismus gerettet werden kann, ist fraglich.

Selbstverständlich scheitern mit diesem Schritt alle Versuche, Ungeimpfte zu überzeugen, krachend. Die Regierung schlägt deshalb mit einer Impfpflicht ab Februar eine radikale Massnahme als Ausweg vor. Das ist eine logische Konsequenz, weil ein Lockdown nur eine Atempause ist, aber keine Strategie. Doch wie der Zwang zur Vakzine umgesetzt werden soll und ob er verfassungsrechtlich hält, ist offen. Klar ist dagegen, dass er die Spaltung der Gesellschaft in gefährlicher Weise vertieft.

Die tiefe Impfquote ist ein krasses Versagen

Der Lockdown ist eine Bankrotterklärung der österreichischen Politik. Diese hat in den vergangenen Monaten viele Fehler begangen – einige sind erst im Rückblick zu erkennen und deshalb erklärbar, andere unverständlich. Er ist aber auch Ausdruck der völligen Ratlosigkeit. Es ist im Gegensatz zu anderen Ländern nicht gelungen, einen genügend grossen Teil der Bevölkerung von der Impfung zu überzeugen, sei es durch Appelle an die Eigenverantwortung, kreative Anreize oder frühe Erschwernisse für Ungeimpfte.

Das ist ein krasses Versagen, das in der Schweiz und Deutschland ebenso festzustellen ist. Die Politik hierzulande ist gut beraten, nicht mit Unverständnis über den Arlberg zu blicken, sondern mit vereinten Kräften eine ähnliche Katastrophe rechtzeitig abzuwenden.

581 Kommentare
A. E.

Heute tagesaktuell sind in Salzburg 16% der Intensivbetten frei, in Kärnten 18%. In allen anderen Bundesländern sind es teils deutlich mehr. Für ganz Österreich sind 33% oder 690 Betten frei. In Worten Sechshundertneunzig. Wie man da eine wie auch immer geartete Notlage herbeifabulieren will, ist mir schleierhaft. Wie man damit eine allgemeine Impfpflicht mit einem so schlecht wirkenden (nur kurz, nicht steril, schlechtes Nebenwirkungsprofil) und nur über eine bedingte Zulassung verfügenden Impfstoff (EMA) einführen kann, ist mir noch schleierhafter. Dass das verfassungskonform ist kann ich mir fast nicht vorstellen. Dass das trotzdem durchgezogen wird und als Steilvorlage für weitere Länder gelten wird, hingegen leider schon. Immer dann wenn man denkt es könnte nicht mehr schlimmer kommen, wird nochmal eins drauf gesetzt. Es ist zum Verzweifeln.

U. R.

Ich kann Ihnen nur zustimmen, Frau Baumann.  Österreich (und die Schweiz, und Deutschland) stolpern mit einer viel zu niedrigen Impfquote in die nächste, lange vorhergesagte Katastrophe. Mit völlig unnötigen Toten und Versehrten. Mit überlästetem, zu Recht frustriertem Krankenhauspersonal (letztes Jahr war es Schicksal, dieses Jahr ist es die Rücksichtslosigkeit der Minderheit). Es werden viele Menschen sterben in versteckter Triage (diesmal vielleicht sogar in offener): Unfalloper und Herzinfarkte, die stundenlang in Krankenwagen liegen, bis sie ein Intensivbett finden; Krebspatienten, die erst in Wochen (oder Monaten?) ihre nötige Behandlung bekommen; und und und. In der Tat eine Bankrotterklärung der Politik in Österreich, in der Schweiz, in Deutschland. Aber auch eine Bankrotterklärung von uns, oder genauer der Impfverweigerer, die uns Geimpfte (und unsere Kinder unter 12) in Geiselhaft nehmen. Wie bitter.