Die Kinderfresser von Brüssel – schrill lanciert die SVP den Kampf gegen das EU-Paket. Und die Befürworter?

Die Gegner der Verhandlungen stehen bereit. Und die Fürsprecher vor einer schwierigen Aufgabe.

Fabian Schäfer, Bern 3 min
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Ballone gegen die EU: Am Dienstag haben SVP-Parlamentarier vor dem Bundeshaus ihre Kampagne gegen das Verhandlungspaket lanciert.

Ballone gegen die EU: Am Dienstag haben SVP-Parlamentarier vor dem Bundeshaus ihre Kampagne gegen das Verhandlungspaket lanciert.

Anthony Anex / Keystone

War es Hunger oder unbändige Kampfeslust? Die Damen und Herren National- und Ständeräte der SVP waren am Dienstag aufgeboten, medienwirksam den nächsten grossen Kampf ihrer Partei zu eröffnen, die «Mutter aller Schlachten», wie man sich intern gern ausdrückt: die Kampagne gegen das neue Vertragspaket, das der Bundesrat mit der EU abschliessen will.

Punkt 12 Uhr sollte die Aktion auf der Bundesterrasse starten. Doch so lange mochten sie nicht warten. Als kurz vor Mittag letzte Parlamentarier und Journalisten um die Ecke kamen, waren die vielen roten Ballone mit dem weissen Kreuz, mit denen die SVP das Thema unter die Leute bringen will, längst gen Osten verschwunden und die Parlamentarier in den umliegenden Restaurants.

Das Signal aber war klar: Die SVP steht bereit. Sie ist entschlossen, einen harten Kampf zu führen. Rhetorisch hat sie längst aufgerüstet: Von «Unterwerfung» ist die Rede, von einem «Kolonialvertrag», von der «Knebelung» der Schweiz durch die EU. Und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch der unsägliche «Landesverrat» wieder die Runde macht.

Sogar die GLP ist leiser geworden

Eine neue Eskalationsstufe hat die SVP am Dienstag gezündet: Der Bundesrat wolle die Schweiz der EU «zum Frass vorwerfen». Optisch untermalt wird die Botschaft mit dem Berner Kindlifresserbrunnen, wobei die furchterregende Brunnenfigur in der SVP-Montage anstelle eines nackten Kindes die Schweiz in den Rachen schiebt. Ähnlich rustikal wird es in den nächsten Monaten weitergehen. Die SVP hat alles Interesse daran, das Thema weiter zu beackern, das Terrain zu besetzen, die Deutungshoheit zu gewinnen.

Und die Gegenseite? Die überzeugten Befürworter, die sich der SVP entgegenstellen und den Wert geregelter Beziehungen mit der EU betonen: Wo sind sie?

Im Dilemma. Wer wie die SVP das Projekt aus grundsätzlichen Gründen ablehnt, unabhängig davon, wie die bevorstehenden Verhandlungen ausfallen, hat leichteres Spiel und kann bereits heute in aller Deutlichkeit losschlagen. Hingegen gibt es praktisch keine Befürworter, die auch nur annähernd so glühend für das Paket sind, wie die SVP dagegen ist. Lange haben die Grünliberalen diese Rolle gespielt, doch sogar sie sind leiser geworden. Grosse Wirtschaftsverbände wie Economiesuisse und die Arbeitgeber sind im Prinzip immer noch für das Paket. Doch ihr Selbstvertrauen ist angeknackst, nach der AHV-Abstimmung erst recht. Sie wollen sich noch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.

FDP wartet ab

Auch die Parteien hadern mit dem Dossier. Ob SP, FDP oder Mitte – alle möchten noch so gern den vielbesungenen bilateralen Weg fortsetzen. Aber nicht um jeden Preis. Alle haben ihre Sonderwünsche, die auch noch erfüllt werden müssten. Grob gesagt: Die FDP hat Bedenken wegen der Zuwanderung, die SP wegen des Lohnschutzes, die Mitte wegen beidem. Hinzu kommen Fragen rund um das Stromabkommen. Bevor die Verhandlungen abgeschlossen sind und das definitive Paket mit allen Details auf dem Tisch liegt, wollen sich die Parteien nicht festlegen.

Gerade die FDP hat letzte Woche in unerwarteter Deutlichkeit erklärt, dass sie sich vorläufig nicht festlegen werde. Vielmehr soll die Basis in einer offenen Ausmarchung über die Position der Partei entscheiden. Allerdings geht einer der gewichtigsten Befürworter, der Nationalrat und Unternehmer Simon Michel, fest davon aus, dass die Mehrheit der FDP das Paket unterstützen werde. Andernfalls hingegen wird er die Haltung der Basis mittragen, wie er im Interview sagt.

SVP dominiert

Das parteienübergreifende Abwarten mag zum kollektiven Pokerspiel gehören. Es führt aber auch dazu, dass die Debatte in der nächsten Phase einseitig von den Gegnern dominiert werden dürfte. Vertreter der Wirtschaft, die Hochschulen und andere Kreise wollen der SVP-Kampagne zwar im Rahmen von Plattformen wie «Stark und vernetzt» und «Progresuisse» punktuell etwas entgegensetzen.

Dennoch befürchten manche Befürworter, dass die Gegner das Paket in den nächsten Monaten ungestört schlechtreden können und danach mit Vorsprung in die nächste und entscheidende Etappe starten. Falls die Verhandlungen mit der EU wie geplant 2024 beendet werden, beginnt 2025 die konkrete innenpolitische Diskussion. Wie auch immer sie ausgeht: Sie dürfte giftig werden.

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