Nach dem Hongkonger Urteil zur Evergrande-Insolvenz: Was heisst das jetzt? Wie geht es weiter?

Die Vollstreckung eines Hongkonger Gerichtsurteils in China ist ein hochkomplizierter Vorgang. Umso interessanter ist, was nach dem Abwicklungsbeschluss nun mit dem einst grössten Immobilienentwickler Chinas passieren wird. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Matthias Kamp, Peking 4 min
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Der Immobilienkonzern Evergrande hat viele Bauruinen produziert. Ein Hongkonger Gericht hat am 29. Januar die Liquidation der Gruppe angeordnet.

Der Immobilienkonzern Evergrande hat viele Bauruinen produziert. Ein Hongkonger Gericht hat am 29. Januar die Liquidation der Gruppe angeordnet.

Qilai Shen / Bloomberg

Was ist passiert?

Eine Gruppe ausländischer Gläubiger unter Führung des Investors Top Shine Global hatte in Hongkong die Liquidierung des mit 333 Milliarden Dollar verschuldeten Immobilienentwicklers Evergrande beantragt. Nachdem wochenlange Verhandlungen mit den ausländischen Gläubigern zu keinem Resultat führten, hat die Richterin Linda Chan am Hongkonger High Court entschieden, Chinas seit bald drei Jahren in Zahlungsschwierigkeiten steckender grösster Immobilienentwickler müsse liquidiert werden. Die Evergrande Group ist damit offiziell insolvent.

Demnächst dürfte ein Insolvenzverwalter eingesetzt werden. Doch das spezielle Verhältnis von Hongkong und Festlandchina sorgt dafür, dass die Implikationen dieses Urteils nicht so klar sind, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Und dass das weitere Vorgehen der chinesischen Regierung viel aussagen wird über die tatsächliche Stellung von Investoren, die an der Hongkonger Börse kotierte Anleihen und Aktien halten.

Welche Teile des Unternehmens betrifft das Urteil?

Unmittelbar betrifft das Urteil die Hongkonger Gesellschaft des Konzerns. Sie wurde gegründet, um Evergrande in Hongkong an die Börse zu bringen.

Wer hat bei Evergrande jetzt das Sagen?

In den kommenden Wochen dürfte ein vom Hongkonger High Court bestimmter Konkursverwalter das Ruder bei Evergrande übernehmen. Das bisherige Management unter dem CEO Shawn Siu muss dann die Kontrolle abgeben.

Inwieweit unterscheidet sich eine in Hongkong beschlossene Insolvenz eines chinesischen Unternehmens von einem Konkurs, etwa der Swissair in Zürich?

Der Konkursverwalter von Evergrande hat kaum Möglichkeiten, auf Vermögenswerte des Unternehmens in China zuzugreifen. Zwar haben Hongkong und die Volksrepublik China 2021 ein Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gerichtsurteilen geschlossen. Doch in die Vereinbarung sind sehr hohe Hürden eingebaut.

Unter welchen Bedingungen kann ein Hongkonger Insolvenzverwalter auf Assets auf dem chinesischen Festland zugreifen?

Die Vereinbarung über die gegenseitige Anerkennung von Gerichtsurteilen ist gemäss einem Erlass des Obersten Volksgerichts Chinas ein Pilotprojekt und gilt nur für die Städte Schanghai, Xiamen und Shenzhen. Nur bei Gerichten in diesen drei Städten kann ein Hongkonger Insolvenzverwalter eine Anerkennung des Hongkonger Urteils beantragen. Das in Konkurs gegangene Unternehmen muss zudem einen grossen Teil seiner Vermögenswerte oder eine Repräsentanz in einer der drei Städte haben.

Ist dies bei Evergrande der Fall?

Zwar hat der Konzern Aktivitäten in Schanghai, Xiamen und Shenzhen und seinen festlandchinesischen Konzernsitz in Shenzhen. Der Grossteil der Vermögenswerte ist aber übers ganze Land verteilt. So sind die Tochtergesellschaften für Gebäudemanagement und Elektromobilität in Guangzhou angesiedelt. Eine weitere wichtige Tochterfirma sitzt auf der Insel Hainan. Die Hunderte Bauprojekte von Evergrande sind über ganz China verteilt. Auf all diese Assets hätte der Insolvenzverwalter keinen Zugriff. Evergrande verfügt nur zu einem sehr geringen Teil über Vermögenswerte ausserhalb Chinas.

Kann ein chinesisches Gericht die Anerkennung des Hongkonger Urteils verweigern?

Ja. Der Erlass des Obersten Volksgerichts Chinas sieht dies für den Fall vor, dass das zu liquidierende Unternehmen «grundlegende Prinzipien des chinesischen Rechts» verletzt, die «öffentliche Ordnung» stört oder die «gute Moral» verletzt. Für die drei Tatbestände lassen sich bei Evergrande ohne viel Phantasie Indizien finden. So sitzt etwa der Evergrande-Gründer Xu Jiayin seit September in Hausarrest. Ablehnen kann das chinesische Gericht die Zusammenarbeit ausserdem «unter anderen Umständen». Damit ist ein Hongkonger Insolvenzverwalter de facto den chinesischen Behörden, also dem politischen Apparat Chinas, ausgeliefert.

Wie funktioniert ein Insolvenzverfahren in China?

Grosse Konkursverfahren werden normalerweise vom Staat gesteuert. Dabei werden oft nicht mehr rettbare Unternehmensteile geordnet abgewickelt. Andere Teile werden auf gesündere chinesische Firmen verteilt.

Wer sind die Gläubiger der Evergrande-Gruppe?

Zum ganz überwiegenden Teil ist der Konzern bei chinesischen Banken verschuldet. Ausländischen Fonds und Banken schuldet Evergrande rund 17 Milliarden Dollar.

Wie sind die Aussichten, dass die Ansprüche ausländischer Gläubiger befriedigt werden?

Sehr gering. Chinas Regierung hat in der Vergangenheit mehrfach erkennen lassen, dass chinesische Evergrande-Gläubiger bevorzugt behandelt werden sollen. Das chinesische Konkursrecht sieht zudem vor, dass Ansprüche, die unter die Rechtsprechung der Volksrepublik China fallen, bevorzugt bedient werden. Erst danach dürfen Ansprüche befriedigt werden, die sich aus einem Hongkonger Insolvenzurteil ergeben.

Was passiert mit den vielen Bauvorhaben von Evergrande?

Chinas Machthaber versuchen dafür zu sorgen, dass Evergrande Wohnungen, die bereits verkauft, aber noch nicht fertiggestellt sind, zu Ende baut und an die Käufer übergibt. Peking fürchtet, dass unzufriedene Immobilienkäufer ihre Wut auf die Strasse tragen könnten. Zahlreiche Bauvorhaben wurden darum von lokalen Regierungen übernommen. Sie sollen mit öffentlichem Geld zu Ende geführt werden.

Gibt es ähnliche Fälle wie Evergrande?

Ja. Zahlreiche staatliche und private Unternehmen aus China, vor allem auch Immobilienentwickler, sind an der Hongkonger Börse kotiert. Bei einem Insolvenzbeschluss durch ein Hongkonger Gericht stünden ausländische Investoren, die sich bei den Firmen engagiert haben, vor ähnlichen Problemen wie jetzt die Evergrande-Gläubiger aus dem Ausland.

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