Wie viele Amerikaner sind wirklich arbeitslos?

Donald Trump hat immer wieder die Aussagekraft der offiziellen US-Arbeitslosenquote infrage gestellt. Die Januarzahlen zeigen eine starke US-Wirtschaft. Was ist an der Kritik dran?

Martin Lanz
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Der amerikanische Arbeiter droht Mangelware zu werden. (Tannen Maury / Keystone)

Der amerikanische Arbeiter droht Mangelware zu werden. (Tannen Maury / Keystone)

Offiziell beträgt die US-Arbeitslosenquote derzeit 4,7%. Doch was heisst das genau? Die Quote setzt die Anzahl als unbeschäftigt geltender Amerikaner im Alter von 16 und mehr ins Verhältnis zur Erwerbsbevölkerung. Als unbeschäftigt gilt, wer keinen Job hat, aktiv einen Job gesucht hat in den der Erhebung vorangegangenen vier Wochen und gegenwärtig verfügbar ist. Die Erwerbsbevölkerung ist die Summe aus Beschäftigten- und Unbeschäftigtenzahl.

Offizielle US-Arbeitslosenquote (U3-Quote)

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Das US-Büro für Arbeitsstatistiken (BLS) nimmt zur Berechnung der Quote weder die Anzahl Leute, die Arbeitslosenhilfe beziehen, noch geht es von Haus zu Haus, um Arbeitslose physisch aufzuspüren. Letzteres macht die US-Regierung im Rahmen der Volkszählung alle zehn Jahre. Vielmehr führt die Behörde jeden Monat eine Umfrage durch. Die Stichprobe für die Umfrage umfasst etwa 60 000 Haushalte oder umgerechnet etwa 110 000 Individuen.

Die Haushalte werden persönlich oder telefonisch befragt zu ihrer Aktivität auf dem Arbeitsmarkt bzw. zu ihrem Status als Nichtbeschäftigte. Die Antworten werden dann gewichtet und hochgerechnet. Die Methode des BLS hat zur Folge, dass die monatliche Arbeitslosenschätzung in 90 von 100 Fällen nicht mehr als um etwa 300 000 von der Zahl abweicht, die in einer Volkszählung erhoben würde. Wenn man bedenkt, dass die Arbeitslosenzahl im vergangenen Jahrzehnt immer zwischen 5 Mio. und 15 Mio. betrug, ist diese mögliche Abweichung nicht gross genug, um das Bild systematisch zu verzerren.

6,5 Mio. Arbeitslose in den USA

Arbeitslose Personen (in Millionen)

Mit einer ganzen Reihe vorsichtig konstruierter Fragen wird hergeleitet, wer als arbeitslos gilt, weil er keinen Job hat, aktiv einen Job sucht und verfügbar ist. Als aktiv arbeitssuchend etwa gilt, wer in den 4 Wochen vor der Umfrage einen Arbeitgeber, einen Vermittler, Freunde oder Verwandte usw. kontaktiert hat mit dem Motiv der Jobsuche, wer sich bewirbt oder Lebensläufe einreicht, wer sich auf Anzeigen meldet oder sich bei Berufsverbänden erkundigt. Wer nur einen Ausbildungskurs besucht oder die Stellenanzeigen studiert, wird dagegen nicht als aktiv jobsuchend eingestuft.

Die Arbeitslosenzahlen umfassen mehr als nur die Menschen, die den Job verloren haben. Es gehören auch jene dazu, die ihren Job gekündigt haben, um eine andere Beschäftigung zu suchen, oder Arbeitskräfte, deren Temporärjobs ausgelaufen sind, oder Individuen, die erstmals einen Job suchen, sowie auch erfahrene Arbeitskräfte, die nach einer Auszeit wieder ins Berufsleben einsteigen wollen.

Offizielle US-Arbeitslosenquote und alternative Masse

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U3
U5
U6

■ U3 = offizielle Arbeitslosenquote.

■ U5 = U3 plus marginal Aktive. «Marginale» sind Leute, die gegenwärtig weder arbeiten noch einen Job suchen, aber angeben, dass sie einen Job möchten, verfügbar wären und in den vergangenen 12 Monaten einen Job gesucht haben.

■ U6 = U5 plus unfreiwillige Teilzeitarbeitende, also Arbeitnehmer, die Teilzeit arbeiten, aber gerne einen Vollzeitjob hätten.

Das BLS anerkennt selber, dass diese offizielle Arbeitslosenquote (U3) ein relativ restriktiver Indikator ist und dass sie nicht die ganze Breite von Arbeitsmarktproblemen zu erfassen vermag. Die BLS-Ökonomen haben deshalb eine Reihe zusätzlicher Indikatoren entwickelt, um die Unterauslastung von Arbeitsressourcen zu erfassen. Die Indikatoren reichen von ganz restriktiven, die nur die seit mindestens 15 Wochen als arbeitslos Geltenden einfängt, zu sehr weiten, die alle Arbeitslosen, alle «marginal» Aktiven und alle aus wirtschaftlichen Gründen Teilzeitarbeitenden umfasst.

Einheitliches Bild

Egal aber, welchen dieser Indikatoren man nimmt, das Bild ist ziemlich konsistent. Alle drei Quoten schossen während der Grossen Rezession in die Höhe und erreichten Ende 2009 ihren Höhepunkt. Seit Mitte 2010 gehen alle drei Quoten zurück, liegen aber immer noch leicht über den Werten von 2007. Sie sind auch höher als im Jahr 2000, einem Zeitpunkt, den viele Arbeitsmarktbeobachter mit «echter» Vollbeschäftigung in Verbindung bringen. Im April 2000 war U3 bei 3,8%, U5 bei 4,7% und U6 bei 6,9%. Die entsprechenden Werte im Dezember 2016 lagen bei 4,7%, 5,7% und 9,2%.

Eine weitere Betrachtungsweise bietet ein Indikator des Think-Tanks Economic Policy Institute. Das EPI zählt sogenannt «fehlende» Arbeitskräfte zur offiziellen Arbeitslosenquote und kommt so für Ende 2016 auf einen Wert von 6,1%. Fehlen tun nach EPI-Ansicht jene, die auf den Arbeitsmarkt zurückkehren würden, wenn es denn nur bessere Job-Gelegenheiten gäbe.

Nach BLS-Methode werden diese Leute den Nichterwerbstätigen zugezählt. Das EPI argumentiert aber, dass während der Grossen Rezession und danach viele potenzielle Arbeitskräfte die Jobsuche aufgegeben haben, die heute wieder aktiv würden auf dem Arbeitsmarkt, wenn es eine Nachfrage gäbe. Derzeit schätzt das EPI die Zahl der Fehlenden auf 2,3 Mio. Auch die EPI-Quote zeigt aber eine stetige Verbesserung seit 2010.

Offizielle US-Arbeitslosenquote vs. EPI-Quote

U3
mit "fehlenden Arbeitskräften"

Gewisse Kreise betrachten aber auch solche erweiterten Quoten als unzureichend. Donald Trump etwa meinte im Wahlkampf, die «echte» Arbeitslosenquote könnte bis zu 42% betragen. Er schien sich dabei insbesondere auf die Nichterwerbsbevölkerung zu beziehen, die inzwischen 95 Mio. Amerikaner umfasst, und behauptete, diese Leute ständen im Abseits.

US-Erwerbs- vs. Nicht-Erwerbsbevölkerung

Tausend Personen (in Tausend)
Erwerbsbevölkerung
Nicht-Erwerbsbevölkerung

Trump deklarierte diese Nichterwerbsbevölkerung kurzerhand zu Arbeitslosen, rechnete dann die offiziell Arbeitslosen sowie Marginalisierten und unfreiwillig Teilzeitarbeitenden dazu und setzte diese Zahl ins Verhältnis zu den rund 250 Mio., welche die Gesamtbevölkerung der mindestens 16-Jährigen in den USA ausmachen. Trump ignoriert aber mit dieser Rechnung, dass die überwältigende Mehrheit der Nichterwerbsbevölkerung schlicht nicht arbeiten will, weil sie im Ruhestand ist, in der Ausbildung, als Hausfrau oder Hausmann amtiert oder dem Müssiggang frönt.

Ein ehemaliger Mitarbeiter der Reagan-Regierung, David Stockman, kam allerdings ebenfalls auf eine Arbeitslosenquote von 42%. Er zählte die potenzielle Arbeitszeit (420 Mrd. Stunden), die resultieren würde, wenn jeder Amerikaner im Alter von 16 bis 68 Vollzeit arbeiten würde. Weil 2014 aber effektiv nur 240 Mrd. Arbeitsstunden geleistet wurden, leitete er aus der Differenz zum Potenzial eine Arbeitslosenquote von über 42% ab.

All das zeigt, dass es schwierig ist, sich ein wahres Bild vom US-Arbeitsmarkt zu machen. Wenn aber die offizielle Arbeitslosenquote auf unter 5% sinkt und wie jüngst auch das Lohnwachstum relativ stark ausfällt, sind das deutliche Knappheitszeichen. Die meisten Beobachter gehen deshalb davon aus, dass in den USA nahezu Vollbeschäftigung herrscht.

Stagnierende Erwerbsquote

Wo die USA aber wahrscheinlich tatsächlich ein Problem haben, ist bei der Erwerbsquote bzw. Arbeitsmarktpartizipation. Von den Amerikanerinnen und Amerikanern im besten Arbeitsalter zwischen 25 und 54 galten jüngst nur 81,5% als aktiv auf dem Arbeitsmarkt (das heisst, sie hatten entweder einen Job oder zählten offiziell als arbeitslos). Oder anders ausgedrückt: Jeder fünfte eigentlich in der Blüte des Lebens Stehende ist nicht aktiv auf dem Arbeitsmarkt.

Zwar hat sich die Quote jüngst stabilisiert, aber die Stagnation seit Jahrzehnten ist unverkennbar. Was genau dahintersteckt, ist Gegenstand intensiver Diskussionen. Sicher, die meisten auch dieser Altersgruppe nehmen aus freien Stücken nicht am bezahlten Arbeitsleben teil. Weil die US-Behörde BLS in erster Linie misst und auswertet, aber nicht analysiert bzw. ergründet, gibt es leider keine flächendeckende Erklärung für die beunruhigende Entwicklung der Erwerbsquote.

US-Erwerbsquote, 25-54-Jährige