Weniger Frauen, keine Unterhaltung: Taliban übernehmen Medien-Kontrolle in Afghanistan

Die Taliban greifen inzwischen auch in die Medien ein.

Die Taliban greifen inzwischen auch in die Medien ein.

Kabul. Als Shabnam Dawran am Dienstag die Redaktion des Staatssenders RTA Pashto betrat, wusste sie noch nicht, dass dies ihr letzter Arbeitstag sein würde. Die TV-Journalistin ist als Nachrichtenmoderatorin beim Staatssender RTA Pashto eines der bekanntesten Gesichter Afghanistans. Doch seit Mittwoch ist sie vom TV-Bildschirm des Senders verschwunden, am Mittwochmorgen durfte sie nicht einmal mehr das Gebäude betreten.

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In einem Video berichtet Dawran, dass sie ihren ganzen Mut zusammengenommen habe und am Morgen wie zuvor zur Arbeit gegangen sei. Dann hätten sie die Taliban aber nicht in den Sender gelassen. „Meinen männlichen Mitarbeitern ist es gelungen, das Büro zu betreten. Mir wurde aber gedroht und gesagt, dass ich meine Arbeit nicht fortsetzen könne, weil sich das System geändert habe“, sagt sie im Video.

TV-Moderatorin Shabnam Dawran: „Unser Leben ist in Gefahr“

Dawran fürchtet sich vor weiteren Konsequenzen und appelliert: „Wenn die Welt meine Stimme hört, sollten sie uns helfen, denn unser Leben ist in Gefahr.“ Zuvor mussten auch bei Tolo News die Moderatorinnen gehen, bei einem der beliebtesten und größten TV-Sendern Afghanistans. Auch viele andere Moderatorinnen durften nicht zurück an ihren Platz, Programmchefs in Fernsehsendern wurden prompt ausgetauscht.

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Dass die Taliban bereits vier Tage nach der faktischen Machtübernahme in Kabul auch wichtige Medien im Land unter ihre Kontrolle bringen, zeigt sich bereits im Staatsfernsehen: Zu sehen sind in diesen Tagen fast ausschließlich Videobotschaften der Taliban, strenge Auslegungen islamischer Lehren und Koranrezitationen. Im Privatfernsehen zeichnen sich ebenfalls erste Anpassungen ab. Gameshows und Daily Soaps aus dem Ausland sind ebenso wie Musikshows nicht mehr zu sehen. Unklar ist, ob dies aus vorauseilendem Gehorsam oder aufgrund einer Anordnung geschehen ist.

Afghanistan unter den Taliban: Freiheit nur Propaganda?

Gleichzeitig betonen die Taliban in öffentlichen Auftritten, etwa in Interviews und in den sozialen Netzwerken, dass Frauen weiterhin ihren Berufen nachgehen dürften – im Rahmen der Scharia. Sie geben sich pragmatisch und versuchen, ein gemäßigtes Bild der Taliban zu zeichnen. Der Taliban-Sprecher Zabiullah Mujahid erklärte zwei Tage nach der Eroberung Kabuls, man wolle sich „positiv“ von der Herrschaft vor 20 Jahren unterscheiden.

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Zu dieser Zeit hatten die Islamisten weite Teile der Bevölkerung gegen sich aufgebracht, weil sie Frauen und religiöse Minderheiten unterdrückten und Musik und Fernsehen verboten hatten. „Damals wurden sie von Teilen der Bevölkerung sehr gehasst“, beschreibt der Islamismus-Experte Peter R. Neumann die Situation.

Umstritten unter Expertinnen und Experten ist, ob dies alles als Propaganda abzutun ist oder sich die Taliban zunächst mit Restriktionen zurückhalten. Neumann betont: „Der ideologische Kern der fundamentalistisch-islamistischen Taliban ist geblieben.“ Viele afghanische Frauen fürchten, dass die Taliban die bisherige Verfassung, die ihnen die gleichen Rechte wie Männern zusichert, nicht anerkennen werden. Schließlich wollen die Taliban eine Verfassung nach „islamischer Prinzipien“.

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Ankündigungen der Taliban offenbar nicht viel wert sind: In den vergangenen Monaten haben die Taliban zahlreiche Lokalsender dichtgemacht, wenn sie eine Region erobert hatten. Wer noch senden durfte, musste sich an strenge Regeln halten. Musik und Frauenstimmen im Radio waren verboten, stattdessen liefen Propaganda­meldungen der Taliban über den Sender.

+++ Alle Entwicklungen in Afghanistan hier im Liveblog +++

Westliche Truppen verbesserten die Pressefreiheit

Nach dem Sturz der Taliban vor rund 20 Jahren war die Medienlandschaft in Afghanistan regelrecht aufgeblüht: Es gibt inzwischen rund 200 TV- und Radiosender und weit über 100 Zeitungen. Wie wird sich diese Medienvielfalt nun verändern? Während der letzten Taliban-Herrschaft von 1997 bis 2001 gab es in Afghanistan nur den staatlichen Radiosender Taliban‘s Voice of Sharia. Die Inhalte beschränkten sich weitestgehend auf Gebetsrufe und die Verbreitung religiöser Dogmen.

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Unabhängige Medien waren unter den Taliban Repressalien und Angriffen ausgesetzt. Viele Reporterinnen und Reporter sind getötet worden, berichten lokale Medien und Reporter ohne Grenzen. Doch selbst unter dem Schutz westlicher Soldaten befindet sich Afghanistan noch immer auf Platz 122 von 180 in der Rangliste der Pressefreiheit.

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