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Arno Frank

Länderfinanzausgleich Ganz Rheinland-Pfalz liegt an der Goldgrube

Arno Frank
Eine Glosse von Arno Frank
Plötzlich gehört Rheinland-Pfalz zu den Geberländern – nach Jahrzehnten des querfinanzierten Wohllebens. Zu verdanken hat es das nur einem einzigen Unternehmen mit vielsagender Adresse.
Mainzer Innenstadt mit Dom

Mainzer Innenstadt mit Dom

Foto: Claudia Nass / iStockphoto / Getty Images

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Es war die bundesfinanzinnenpolitische Nachricht dieser Tage, dass Rheinland-Pfalz neuerdings Geberland ist. Geberland! Wie schön schon diese drei Silben über die Zunge rollen, weich und rund wie Lummerland, Nimmerland oder Doggerland. Geberländer gibt es nicht allzu viele in der Bundesrepublik, die sich aus Nehmerländern zusammensetzt.

Zur föderalen Idee gehört, dass sich die Länder gegenseitig aushelfen. Wer knapp bei Kasse ist, dem fließen automatisch stattliche Summen zu. Aus Ländern, die das Glück haben, dass sich bei ihnen profitable Unternehmen angesiedelt haben. Traditionell sind das Baden-Württemberg, Hessen und Bayern – Nordrhein-Westfalen gehörte früher auch dazu, ist aber immer mal wieder abstiegsbedroht.

Baden-Württemberg mit seinen "hidden champions" auf jeder grünen Wiese ist ein Mittelstandsparadies, geizig ist man hier schon lange nicht mehr. Wohl aber sparsam – und sei es aus Erfahrung: »Aber nicht für Bahnhöfe ausgeben!«

Hessen hat Frankfurt, seinen Flughafen und ein paar Wolkenkratzer, von denen niemand weiß, was genau darin betrieben wird, hier gibt man dezent: »Sag niemandem, dass Du’s von mir hast!«.

Bayern ist Bayern und hat Bayern, der Muskelprotz unter den Geberländern, zugleich ein wenig neureich noch, weil es nach dem Krieg lange zu den ärmsten Landstrichen zählte, hier gibt man mit einem bisweilen bis nach Berlin hörbaren Zähneknirschen: »Das war das letzte Mal, klar?«.

Abba no hinne naus

Alle anderen Bundesländer halten nur die Hand auf, kommen auf keinen grünen Zw,eig und nehmen, nehmen, nehmen. Berlin beispielsweise. Ist aus bayerischer Perspektive so etwas wie der Abfluss einer Badewanne, deren Stöpsel verloren gegangen ist. Da röchelt’s nur so raus.

So auch Rheinland-Pfalz.

Über Jahrzehnte hinweg gab sich das Land der Wälder, Hinterwälder, Wiesen und Felder der querfinanzierten Wohllebe hin. Gut, an seinen Grenzen, am Rhein, sind ein paar große Unternehmen hingekuschelt wie Katzen an einen warmen Ofen, die BASF in Ludwigshafen oder Boehringer Ingelheim in Ingelheim. Dazu der Wein, fröhlicher vor sich hinplätschernder und weitgehend eingepegelter Wirtschaftszweig seit rund 2000 Jahren.

Abba no hinne naus (Pfälzisch für: »Aber nach hinten raus«), südwestwärts, gibt es nur noch Holz und Kartoffeln. Grob gesprochen, wie man dort eben so spricht. Vielleicht noch die eine oder andere Kuh. Julia Klöckner. Okay, die größte Luftwaffenbasis der USA außerhalb der USA, dann aber wieder nur Kartoffeln und Holz. Kühe. Kurt Beck, die SPD-Variante von Helmut Kohl, Saumagen, höhö. Mark Forster, naja. Trier, immerhin mal Hauptstadt eines Imperiums – hat Berlin nie geschafft. Dahinter aber: Feierabend. Irgendwann kommt nur noch Frankreich, und dort sieht es sogar noch trister aus als auf der pfälzischen Seite. Zonenrandgebiet.

Jetzt aber hat sich dieses historische Blatt gewendet.

Ob endgültig, das werden »die Märkte« entscheiden, wie sie schon das Wenden des Blattes bewirkt haben. Hängt alles davon ab, wie sich künftig die Aktien eines einzigen Unternehmens entwickeln, in der Landeshauptstadt am Rhein, dortselbst ansässig unter einer Adresse, über die bereits ganz Deutschland, tss, tss, tss, lächelnd den Kopf geschüttelt hat: An der Goldgrube 12, 55131 Mainz.

Biontech hat in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres einen Gewinn von rund sieben Milliarden Euro gemacht. Das Unternehmen gehört, wenn man das so sagen darf, zu den Gewinnern der Coronakrise. Allein Mainz mit seinen maroden Straßen und den steppengleichen Grünflächen wird in absehbarer Zeit von dem Gewerbesteuersegen profitieren. Aber eben auch das Land. Wenn die städtische Wanne übervoll ist, läuft das Geld sozusagen über ins Land. Und das wird dann Geberland.

Die Redaktion der »Titanic« hat in Mainz bereits die Aktion »Wisereor« initiiert oder auch fingiert, also die Bürgerinnen und Bürger darauf angesprochen, ob sie nicht von ihrem plötzlichen Reichtum dem benachbarten Wiesbaden etwas abgeben wollen. Die Reaktionen waren eher so lala, jedenfalls nicht gekennzeichnet von übertriebener Geberlaune.

Wichtiger ist und weisen wird sich nun, wie Rheinland-Pfalz bei den nächsten Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich auftreten wird. Zu empfehlen wäre eine gewisse Generosität. Weil niemand weiß, ob der Boom von Dauer sein wird.

Nicht auszuschließen, dass Rheinland-Pfalz in wenigen Jahren wieder auf die Gewogenheit von München, Stuttgart oder Wiesbaden angewiesen sein wird. Düsseldorf eher nicht. Mit der Verwandlung des Ruhrgebietes von einer Rüstungsschmiede in einen Vergnügungspark wird sich NRW wohl kaum jemals wieder in die erste Liga braunkohlebaggern; Experten sprechen schon von Versaarlandung.

Da wird verdient bis dottenaus

Was beim Jubel über die sprudelnde Geldquelle an der Goldgrube gerne vergessen wird, ist ihr Ursprung. Biontech ist das, was man eine Ausgründung nennt. Leute, in diesem Fall Uğur Şahin und Özlem Türeci, forschen an der Universität so vor sich hin, bis sie eines Tages denken: »Hey, diese Idee könnte mich eines Tages auf den 50-Euro-Schein bringen!«. Und dann gründen sie ein Unternehmen. Nicht etwa, um sehr, sehr reich zu werden. Sondern um ihre Idee in eine Wirklichkeit zu überführen, die das braucht.

Bei Biontech war das, Aktienkurs hin oder her, der Fall. Ein Huhn mit ziemlich guten Augen fand nicht nur ein Korn, sondern gleich das ganze Futtersilo. Hier hatte, gewiss, der Zufall seine zitternde Hand im Spiel, wie, nebenbei, auch die Existenz einer bereits 1477 gegründeten Universität. Was aber nichts am Ergebnis ändert, dass Rheinland-Pfalz jetzt Geberland ist. Ge, ber, land!

Was uns zum zweiten Gedanken führt, der auf den ersten Blick vielleicht absurd erscheinen mag. Unternehmen zahlen Steuern. Verrückt, oder? Gewerbe, Einkommen, das volle Programm, was halt so zu entrichten ist. Wer gerade über seiner eigenen Steuererklärung brütet, kennt das Gefühl. Es ist kein gutes Gefühl. Şahin und Türeci kennen es auch. Und trotzdem zahlen sie ihre Steuern. So viel, dass Rheinland-Pfalz unversehens Ge, ber, land wird.

Neuerdings und normalerweise nämlich husten Unternehmen mit bizarren Umsätzen den Staaten was, in denen sie diese Umsätze machen. Da wird verdient bis dottenaus (Pfälzisch für: »bis dort hinaus«), aber dann gibt es eine Adresse in Dublin, Schlupflöcher oder einschüchternde Anwaltskanzleien. Und alle Gewinne fließen nach Kalifornien in die Produktion von Marsraketen.

So weit ist Deutschland noch nicht. Deutschland ist, und das wäre die gute Nachricht, in Rheinland-Pfalz noch auf dem Stand einer präneoliberalen Wirtschaft. Und die funktioniert, ganz augenscheinlich.

Darauf kann man ruhig einen Grauburgunder trinken, gerne Cuvée, biodynamisch, meinetwegen aus Sprendlingen oder Oppenheim nördlich oder südlich von Mainz, die sollen ganz gut sein. Wenn man mit Biontech geimpft und geboostert ist, durchaus auch in einer gemütlichen Wääähstubb (Pfälzisch für: »Weinstube«).