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Klimagipfel in Durban: Der Marathon von Durban

Foto: Nic Bothma/ dpa

Umweltgipfel Die Klimaretter haben sich verrannt

Die Teilnehmer des Uno-Klimagipfels haben sich - mal wieder - auf einen ziemlich kleinen Nenner geeinigt. Auf der Konferenz in Durban setzten sich erneut die Zögerer und Bremser durch. Die nächsten Gipfel müssen zu Foren des gegenseitigen Lernens werden, nicht des brutalen Feilschens.
Von Christian Schwägerl

Durban - Bis in die frühen Morgenstunden des Sonntag haben Unterhändler aus aller Welt in Durban hart darum gerungen, wer in den kommenden Jahrzehnten wie viel Kohlendioxid in die Atmosphäre pusten darf. Nach zwei Wochen Verhandlungen waren sich die meisten Teilnehmer des Uno-Klimagipfels nur in einem wirklich einig: Nichts wie nach Hause, nichts wie weg aus dem Konferenzzentrum!

Das Ergebnis muss alle enttäuschen, die darauf setzen, dass die Menschheit rechtzeitig umsteuert, um eine gefährliche Erwärmung von Atmosphäre und Ozeanen zu verhindern. Am Ende des Gipfels maß sich der Erfolg daran, für wie viele Jahre ein Weltklimavertrag noch aufgeschoben wird - das ist angesichts der nahenden Gefahren grotesk. Durchgesetzt haben sich nun die Zögerer und Bremser, die sich alle Optionen offenhalten wollen, statt ihre Volkswirtschaft konsequent umzubauen.

Es wäre falsch, die Vereinten Nationen verantwortlich zu machen. Klimakonferenzen sind deshalb so schwierig, weil hier harte nationale Interessen aufeinanderprallen. Die reichen Länder wollen ihren mit Kohle und Öl befeuerten Wohlstand verteidigen. Die Schwellenländer wollen wirtschaftlich aufholen. Und die ärmsten Länder wollen verhindern, einem ungebremsten Klimawandel zum Opfer zu fallen. Das Ergebnis von Durban ist ein Spiegelbild dieser Unterschiede.

Nach Durban sind die Vereinten Nationen dennoch gefragt: Ihre Führung muss das Format künftiger Klimaverhandlungen so reformieren, dass bessere Ergebnisse zumindest wahrscheinlicher werden.

17 Jahre wird nun bereits auf eine Weise verhandelt, die 2010 zu Rekordemissionen an CO2-geführt hat. Tausende Menschen werden in licht- und sauerstoffarmen Räumen zusammengepfercht. Sie bekommen schlabbrige Sandwiches verabreicht, werden unter Schlafentzug gesetzt. Am Ende fallen Entscheidungen in einer Art klimapolitischem Delirium. Das sind aber nur die äußeren Symptome einer tiefer sitzenden Krankheit.

Der ganze Uno-Verhandlungsprozess hat zwei Geburtsfehler: Er setzt nicht bei den tieferen Ursachen von CO2-Emissionen an und präsentiert das Ziel der CO2-Minderung einseitig negativ. Das Phänomen Klimawandel wird seit Beginn der Verhandlungen 1995 in Berlin allein vom Ende, vom Abgas her betrachtet, das aus Schornsteinen, Auspuffen, Schloten und brennenden Wäldern strömt. Klimaschutz wird als lästiges burden sharing inszeniert, als Lastenteilung. Beides hat den Verhandlungen einen falschen Charakter gegeben. Es wird kaum über positive Ziele und schon gar nicht über wirtschaftliche Chancen geredet. Ausgerechnet der gilt als Gewinner, der es schafft, den anderen am Tisch die höchsten CO2-Reduktionen aufzuzwingen, statt selbst zu handeln.

Um diese negative Prägung herum hat sich ein irrsinnig komplizierter Prozess entwickelt. Weil Politiker sich nicht einigen können, formulieren ihre Beamten und Juristen immer neue, immer kompliziertere Texte mit wenig Aussagekraft und Bedeutung. In Durban wurde in den letzten Stunden um die Frage gerungen, ob bis 2020 nun ein "rechtliches Ergebnis" oder ein "vereinbartes Ergebnis mit rechtlicher Kraft" entstehen soll - "Klimasprech" pur.

Die Sprache der Klimapolitik ist noch unzugänglicher als Gebrauchsanleitungen von japanischen Elektrogeräten. Ausgerechnet der Versuch, das Leben auf der Erde zu schützen, hat eine kalte und graue Verhandlungssprache hervorgebracht, die nur einige Auserwählte verstehen. Viele Klima-Verhandler sehen das selbst extrem kritisch und warnen, dass man sich verrannt hat.

Die Konsequenz kann aber nicht sein, Klimakonferenzen in ihrem heutigen Großformat abzuschaffen. Diese Konferenzen sind bei allen Problemen ein echter zivilisatorischer Fortschritt, ja ein kulturelles Weltwunder: Es gibt kein anderes Problem, bei dem 200 Länder an einem Ort so hart um eine Lösung für ein Zukunftsproblem ringen. Es braucht ein Forum, in dem diese Menschheitsfrage öffentlich und mit Beteiligung von Bürgergruppen und Wirtschaft verhandelt wird.

Wie sich die Klimakonferenz neu erfinden muss

Dringend nötig ist es deshalb, dass die Vereinten Nationen ihre Konferenzen grundlegend erneuern. Am wichtigsten wäre es, dass die Zusammenkünfte künftig bei den tieferen Ursachen von CO2-Emissionen ansetzen. Dazu gehört, dass

  • der energiehungrige American Way of Life trotz der Umweltprobleme weltweit immer populärer wird und umweltfreundlichere Lebensweisen zurückdrängt,
  • das Konzept der "Green Economy" bisher nicht funktioniert, weil Dienstleistungen der Umwelt keinen ökonomischen Wert haben und weil weltweit mehr als sechsmal so viele Subventionen für Öl, Kohle und Erdgas wie für erneuerbare Energien fließen,
  • laut Internationaler Energie-Agentur rund 90 Milliarden Euro pro Jahr an Forschungsinvestitionen fehlen, um neue umweltfreundliche Energietechnologien zu entwickeln,
  • viele der fast 2,5 Milliarden Menschen, die unter 20 Jahre alt sind, auch in Umweltfragen keine ausreichende Bildung erhalten,
  • viel zu wenig thematisiert wird, wie sehr der Klimawandel neben der Umwelt auch den materiellen Wohlstand und den Frieden in vielen Regionen gefährdet.

Natürlich ist es naheliegend, nun noch verengter um die CO2-Mengen aus den Auspuffen zu ringen. Die Zeit läuft aus. Bis 2020 müssen die globalen CO2-Emissionen von heute 50 Milliarden Tonnen auf 44 Milliarden Tonnen sinken, wenn eine Chance bestehen soll, die Erderwärmung einigermaßen zu begrenzen. Es muss deshalb bei den Gipfeln weiter über CO2-Obergrenzen und künftig auch über Pro-Kopf-Budgets verhandelt werden, um schnellstmöglich einen Weltklimavertrag zu erreichen.

Doch um zu den wahren Ursachen des Problems vorzudringen, braucht es jetzt neue Themen, neue Verhandlungsformen, neue Ziele - und einen erweiterten Teilnehmerkreis, auch wenn das die Zusammenkünfte noch komplizierter macht.

Bei künftigen Klimagipfeln sollten nicht nur Umweltminister vor Ort sein, sondern auch Wirtschaftsminister, Außenminister und Verteidigungsminister. Das würde das Nischendasein des Klimawandels als Umweltthema beenden. Künftige Gipfel sollten an der Wurzel des Problems ansetzen: Wie müssen das Weltwirtschaftssystem und die Wirtschaftspolitik verändert werden, um umweltfreundliches Wachstum zu fördern? Vereinbarungen über den Abbau der 410 Milliarden Dollar Subventionen für fossile Energie wären dafür zentral. Erst wenn faire und moderne Wettbewerbsbedingungen hergestellt sind, können "Green Economy" und CO2-Minderung zum ökonomischen Erfolg werden. Dann könnte aus dem Verschieben von vermeintlichen Lasten ein Wettrennen um Geschäftschancen werden.

Dringend nötig sind für künftige Gipfel auch positive, greifbare konstruktive Vorhaben statt abstrakter Reduktionsziele: Unter dem Dach der Vereinten Nationen könnte zum Beispiel ein Human-Energie-Projekt organisiert werden, das ähnlich wie beim Humangenomprojekt Forscher aus aller Welt zusammenbringt. Sie könnte ihre Kräfte in der Erforschung von erneuerbaren Energiequellen und Effizienztechnologien bündeln und Patente auf solche Verfahren der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Ein anderes Vorhaben könnte ein konkreter Plan dafür sein, die Welt mit Umweltschulen zu überziehen, in denen der Lernstoff zu einem guten Teil in der Natur und im Schulgarten vermittelt wird. Das wäre wohl folgenreicher als 90 Prozent des Textes in den Abschlussdokumenten von Gipfeln.

Am wichtigsten aber wäre es, dass künftige Klimagipfel zu Foren des öffentlichen und gegenseitigen Lernens werden, nicht nur des brutalen Feilschens. Jedes Land sollte statt der üblichen Rundumschläge gegen andere einen eigenen Beitrag zu Lösungen präsentieren. Dann könnte zum Beispiel der japanische Ministerpräsident der Weltöffentlichkeit erklären, wie seine Bevölkerung auch ohne riesige überheizte Häuser gut lebt. Der indische Ministerpräsident könnte berichten, warum Hunderte Millionen seiner Landleute sich vegetarisch ernähren. Der US-Präsident könnte die vielversprechendsten Ergebnisse der US-Energieforschung vorstellen. Ein afrikanischer Regierungschef könnte berichten, was er tun will, um sein Land mit erneuerbaren Energien zu versorgen, und der chinesische Premier könnte seine Vision eines nachhaltigen "Chinese Way of Life" ausbreiten. Statt um CO2-Technokratie sollte es bei den Gipfeln darum gehen, gemeinsam ein attraktives Szenario des 21. Jahrhunderts zu entwickeln.

Das wäre nicht Pseudo-Harmonie, sondern würde zu einer positiven Verhandlungsatmosphäre beitragen und dazu, Klimapolitik nicht nur als passive Gefahrenabwehr zu betreiben, sondern als Mittel, die Zukunft zu gestalten.

Wenn die Strategen der Vereinten Nationen nun über künftige Klimagipfel nachdenken, sollten sie Veranstaltungen entwerfen, bei denen die Teilnehmer am Ende nicht weglaufen. Es fehlt bisher an Ritualen, die widerspiegeln, wie wertvoll und wichtig diese Menschheitstreffen sind. Bei der Vertragsstaatenkonferenz, der "Conference of the Parties" sollte es deshalb künftig eine große, bunte, feierliche "Party of the Conference" geben. Wenn die Minister und Unterhändler künftig am Ende eines Gipfels dableiben wollen, um miteinander zu feiern, wäre das ein sicheres Zeichen für einen besseren Kurs als den, der nun in Durban eingeschlagen wurde.