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EU-Lizenz zum Mogeln

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Ein Taschenrechner könnte beim Supermarkt-Einkauf hilfreich sein.
Ein Taschenrechner könnte beim Supermarkt-Einkauf hilfreich sein. © dpa

Der Preis für den Liter Milch oder eine 100-Gramm-Tafel Schokolade ist vielen Verbrauchern im Supermarkt geläufig.

Doch das wird sich bald ändern. Denn künftig könnten in den Regalen auch eine 0,9-Liter-Milchpackung oder eine 85-Gramm-Tafel Schokolade liegen.

Grund: Die EU schafft zum 11. April im Rahmen der Harmonisierung die strengen Verpackungsvorschriften für Grundlebensmittel ab. Die Packungsgrößen und Inhalte für Milch, Zucker, Mehl, Nutella und Fruchtsäfte sind künftig nicht mehr genormt. Die Hersteller können die Verpackungen und Inhalte beliebig vergrößern oder verkleinern.

Verbraucherschützer schlagen deswegen Alarm. Sie befürchten eine Zunahme von versteckten Preiserhöhungen auch bei Lebensmitteln. Armin Valet, Ernährungsexperte der Verbraucherzentrale Hamburg zur tz: „Man muss damit rechnen, dass Hersteller demnächst vermehrt und ganz bewusst mit den Packungsgrößen- und inhalten tricksen, indem sie weniger Inhalt zum gleichen Preis verkaufen, ohne dass es der Käufer groß merkt.

Mit Hilfe der EU werden den schwarzen Schafen jetzt Tür und Tor zum Tricksen auch im Lebensmittelbereich geöffnet. Sie erhalten quasi eine offizielle Lizenz zum Mogeln.“ Der Verbraucherschützer prangert derartige Methoden von Herstellern von Kosmetika und Putzmitteln schon seit drei Jahren an und stellt sie ins Internet (www.vzhh.de). Valet schildert seine Erfahrungen aus der Praxis: „Wenn ein Produkthersteller vor der Wahl steht: Erhöht man die Preise oder reduzieren wir den Inhalt, wird fast immer zu letzterem Mittel gegriffen, da man gewisse Schwellenpreise wie z. B. 1,99 Euro nicht überspringen will.“

Die Verbraucherzentrale führt die Mogelliste seit drei Jahren, nachdem man immer wieder von geprellten Käufern auf derartige Schummeleien aufmerksam gemacht wurde. Valet zur tz: „Wir werden diese Liste weiterführen und in nächster Zeit bundesweit verschärft Produkte kontrollieren. Zumal es laut Valet hierbei auch rechtliche Vorgaben gibt: „Eine Packung darf nicht den Anschein haben, dass mehr Inhalt drin ist, als letztlich vorhanden ist. Das werden wir notfalls per Eichung überprüfen, ob nicht der Tatbestand der Mogelpackung vorhanden ist.“

Andrea Danitscheck von der Verbraucherzentrale Bayern verweist noch auf einen anderen Trick der Hersteller: Großpackungen von Süßigkeiten, Waschmitteln oder Getränken sind oft teurer als wenn man sie in kleineren Packungsgrößen erwirbt.

Uwe Fajga

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"Das Tricksen wird jetzt noch leichter"

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Was bedeutet die Freigabe der Verpackungsmittelverordnung für Lebensmittel ab dem 11. April innerhalb der EU für Verbraucher?

Valet:  Die Verbraucher müssen sich auf viele neue Größen und Verpackungen von Lebensmittelprodukten in den Supermärkten einstellen. Waren die Packungsgrößen bisher auf feste Wertereihen wie z.B. 100, 125, 250, 500 oder 1000 Gramm reglementiert, so können Hersteller in Zukunft auch eine Schokoladenpackung mit nur 80 oder 85 Gramm Inhalt anbieten.

Wo liegt hier die Gefahr für den Käufer?

Valet:  Das Dilemma ist, dass mit der völligen Freigabe der Verpackungsgrößen es Herstellern von Produkten künftig auch im Lebensmittelbereich noch leichter möglich ist, zu tricksen. Man muss damit rechnen, dass dann auch bei Grundnahrungsmitteln wie Butter, Zucker, Mehl oder Schokolade heimliche Preiserhöhungen erfolgen, indem Hersteller die Füllmengen geringfügig senken, die Preise aber auf dem alten Stand belassen. Wir haben erst kürzlich bei Testkäufen in Hamburg wieder derartige Schummeleien aufgedeckt (siehe Tabelle oben – die Redaktion).

Müssen Verbraucher künftig mit dem Taschenrechner an die Regale gehen?

Valet:  Das wäre in manchen Fällen sicher ratsam. Tatsache ist: Die Verbraucher erwartet jetzt ein noch größeres Preiswirrwar an den Verkaufsregalen. Um den realen Preis zu berechnen, müssen sie sich jetzt die Grundpreise für Lebensmittel notieren, damit sie überhaupt vergleichen können, ob etwas teurer geworden ist oder nicht. Das ist eine erhebliche Erschwernis beim Einkauf, vor allem für ältere Leute bzw. Rentner.

Die Grundpreise für Lebensmittel sind doch bereits jetzt an den Regalen angebracht ...

Valet:  Ja, das ist bereits Pflicht. Doch kein Verbraucher weiß doch auswendig den Preis z.B. für ein Kilo Nutella oder Marmelade – er kennt nur den Preis für ein Glas. Und hier beginnt das Problem.

Wurde nicht auch früher schon mit den Inhalten getrickst?

Valet:  Leider ja. So wurden z.B. aus 150 Gramm Seife 125 Gramm. Beliebt ist auch die Verringerung des Inhaltes von Speiseeis, wo der Inhalt einer 1000-Gramm-Packung auf 900 Gramm reduziert wurde. Oder in einer Pampers-Packung sind plötzlich statt 44 nur noch 40 Windeln. Das neue Gewicht oder die Füllmenge wurde zwar in kleiner Schrift irgendwo auf der Packung aufgedruckt, doch dem Käufer fiel dies meist nicht auf, da der Preis meist der Alte blieb.

Gibt es Produkte, die von der neuen Verpackungsverordnung ausgenommen sind?

Valet: Ja, Wein und Spirituosen müssen weiterhin in den bisherigen, genormten Flaschengrößen verkauft werden.

Wie verhält es sich beim Bier?

Valet:  Hier kann man davon ausgehen, dass es die Hersteller bei den bisherigen Füllmengen belassen. Doch stellen wir hier immer wieder andere Tricksereien fest: Die Produzenten verringern nicht die Füllmenge, sondern reduzieren die Anzahl der Flaschen in den Trägern.

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Warum gibt die EU die Verpackungsgrößen frei?

Valet:  Dahinter steckt eine mächtige Wirtschaftslobby, die als Grund für die Änderung angab, dass man neuen Verbrauchergruppen wie z.B. Singels oder alleinstehenden Rentnern kleinere Packungsgrößen als die bisher vorgegebenen anbieten will. Dagegen haben wir natürlich nichts. Doch wir wehren uns gegen versteckte Preiserhöhungen, denen jetzt Tür und Tor geöffnet werden. Wir haben bei der Bundesregierung zwar dagegen protestiert, doch die Wirtschaftslobby unter den Politikern war stärker.

Interview: Uwe Fajga

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