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Deutschland Betreuung

Der Westen holt beim Ausbau von Kita-Plätzen auf

NRW hat den höchsten Zuwachs bei der Betreuung von unter Dreijährigen, die Ostländer den geringsten. Die Qualität der Betreuung ist aber weit von den Standards entfernt, die Experten fordern.

Der Westen holt beim Kita-Ausbau auf. Das geht aus den jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamts hervor. Ihnen zufolge wurden zum Stichtag 1. März 2014 etwa 662.000 Kinder unter drei Jahren in Deutschland betreut. Das sind rund 64.000 mehr als zum selben Zeitpunkt im vergangenen Jahr. Das teilte das Statistische Bundesamt mit. Insgesamt werden damit geschätzte 32,5 Prozent der unter Dreijährigen in Kitas oder von Tagesmüttern betreut, rund drei Prozentpunkte mehr als 2013 (29,3 Prozent).

Den größten Zuwachs gab es in Nordrhein-Westfalen. Hier werden 20 Prozent mehr unter Dreijährige betreut als im Vorjahr. Auch Bremen legte bei der Betreuung um 17,5 Prozent zu. Dort galt die Versorgungslage für die Betreuung von unter Dreijährigen als besonders schlecht. Am niedrigsten fielen die Steigerungen in Sachsen-Anhalt (0,3 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern (1,5 Prozent) und Thüringen (1,9 Prozent) aus.

Allerdings gab es hier schon vor Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz im vergangenen August fast überall ausreichend Betreuungsmöglichkeiten. Im Westen der Republik sah das anders aus. Experten waren im vergangenen Jahr bundesweit von einem Bedarf von rund 35 Prozent ausgegangen.

Eltern wünschen sich längere Betreuung

Befragt man die Eltern, so liegt dieser noch höher. 2013 wünschten sich im Schnitt 41,7 Prozent von ihnen eine Betreuung für ihr Kind unter drei Jahren. Allerdings gibt es erhebliche regionale Unterschiede. Immer mehr Eltern wünschen sich zudem einen Ganztagsplatz oder erweiterten Halbtagsplatz.

Laut dem Bundesfamilienministerium gaben im vergangenen Jahr 38,3 Prozent der Eltern an, für ihr Kind idealerweise eine Betreuung von mehr als 35 Wochenstunden zu benötigen; 28,6 Prozent wünschten sich einen erweiterten Halbtagsplatz (26 bis 35 Stunden), bei dem im Gegensatz zum normalen Halbtagsplatz das Kind in der Betreuungseinrichtung auch zu Mittag isst. Nur 23,5 Prozent möchten einen normalen Halbtagsplatz für ihr Kind. 2012 hatten sich deutlich weniger Eltern einen erweiterten Halbtagsplatz gewünscht (23,7 Prozent), dafür etwas mehr einen Ganztagsplatz (39,1 Prozent).

Offenbar tragen ein ausgeweitetes Betreuungsangebot und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf dazu bei, dass Eltern ihre Kinder nicht den ganzen Tag in einer Betreuung lassen möchten. Auch hier gibt es große regionale Unterschiede.

Kommunen nutzen Gebühren zur Abschreckung

Die Sorge, der schleppende Krippenausbau könnte zu Massenklagen von Eltern führen, die keinen Betreuungsplatz bekommen haben, bestätigte sich nicht. Nach Auskunft des Familienministeriums ist es bei den Verwaltungsgerichten seit Inkrafttreten des Rechtsanspruchs bis Ende 2013 bundesweit nur zu 242 Verfahren gekommen. In nicht allen davon ging es um einen Betreuungsplatz, sondern teilweise auch um die Betreuungsgebühren.

Diese sind von Kommune zu Kommune unterschiedlich, werden teils von den Trägern selbst festgelegt. Experten gehen davon aus, dass manche Kommunen erhöhte Gebühren benutzen, um Eltern von Kleinkindern abzuschrecken und so Defizite bei der Betreuungslage zu kaschieren. Laut Statistik besuchten zum 1. März 2014 84,8 Prozent der betreuten unter Dreijährigen Kitas, die übrigen 15,2 Prozent eine Tagespflegemutter oder einen Tagespflegevater.

Deutschland hat in den vergangenen zehn Jahren das Angebot an Betreuungsplätzen für Kleinkinder kräftig ausgebaut. Ziel der Krippenoffensive war es, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern. Flankiert wurde der Ausbau von der Einführung des Elterngeldes, das seit 2007 in den ersten 14 Monaten nach der Geburt gezahlt wird, und dem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz, der seit dem vergangenen August gilt.

Weit von internationalen Standards entfernt

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In den letzten Jahren rückte zudem das Thema der „frühkindlichen Bildung“ immer stärker in den Fokus der Familienpolitik. Die Betreuung der Ein- und Zweijährigen in Kindertagesstätten oder durch Tagesmütter biete Anregungen und fördere überdies bei Migrantenkindern die Deutschkenntnisse, so argumentieren die Befürworter. Studien zeigen allerdings, dass die Qualität der staatlich geförderten Kleinkindbetreuung fast überall in Deutschland weit von den Standards entfernt ist, die international von Experten gefordert werden. Und während Ostdeutschland zwar quantitativ deutlich vor dem Westen liegt, sieht es bei der Qualität genau umgekehrt aus.

Vor allem beim Personalschlüssel hapert es. Jugendforscher empfehlen, dass sich eine Erzieherin um maximal drei Kleinkinder kümmern sollte, um angemessen auf die Bedürfnisse der Ein- und Zweijährigen eingehen zu können. Laut der jüngst von der Bertelsmann Stiftung veröffentlichten Bildungsstudie gibt es auch zwei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung noch immer eine tiefe Kluft zwischen Ost und West.

Die größten Gruppen, die eine Erzieherin betreuen muss, gibt es in Sachsen-Anhalt, das mit einer Quote von knapp sieben Kindern pro Fachkraft den schlechtesten Standard hat. Tatsächlich sind es sogar noch mehr Ein- und Zweijährige, die eine Erzieherin beaufsichtigt. Denn beim Personalschlüssel sind die Zeiten für Dokumentation, Elterngespräche oder Vorbereitung noch gar nicht berücksichtigt, die mit rund 25 Prozent der Arbeitszeit zu Buche schlagen.

Im Osten betreut eine Kindergärtnerin sechs Kinder

Da der Großteil der Kleinkinder noch gewickelt werden muss und oft auch Hilfe beim Essen benötigt, dürfte kaum mehr viel Zeit für anderes bleiben, wenn sich ein Erwachsener um neun Knirpse kümmern muss. Dass es bei solchen Verhältnissen mit der häufig beschworenen „frühkindlichen Bildung“ nicht weit her sein dürfte, liegt auf der Hand. Und fraglich ist auch, ob die stark geforderten Fachkräfte überhaupt die Möglichkeit haben, die Ein- und Zweijährigen auch einmal auf den Arm zu nehmen, wenn sie getröstet werden müssen.

Doch auch im Westen gibt es zwischen den Bundesländern erhebliche Unterschiede. Während Bremen mit einer Quote von 3,2 Kindern pro Erzieher deutschlandweit den besten Wert erreicht, hat Hamburg mit 5,4 einen deutlich schlechteren Personalschlüssel. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 4,5 Kindern. Dabei steht der Westen mit durchschnittlich 3,7 Kindern deutlich besser da als der Osten, wo eine Kindergärtnerin auf sechs Kinder aufpasst.

Noch schlechter sieht es aus, wenn die Kleinen nicht in altershomogenen Gruppen betreut werden, sondern altersgemischte Einrichtungen besuchen. „Die Bildungschancen der unter Dreijährigen verschlechtern sich derzeit deutlich, wenn sie statt einer Krippe eine andere Gruppenform besuchen, in der auch ältere Kinder betreut werden“, heißt es in dem Bildungsreport. So haben sich in den vergangenen Jahren viele Kindergärten für Zweijährige geöffnet. Mitunter besuchen sogar Einjährige gemeinsam mit Vorschulkindern die gleiche Gruppe. Im Westen und im Osten sind in solchen altersgemischten Gruppen die Personalschlüssel deutlich schlechter als in den Krippen.

Fast jede dritte Tagesmutter ist nicht qualifiziert

In den neuen Bundesländern hat der überwiegende Teil der Kinder einen Ganztagsplatz. Mehr als 70 Prozent werden mindestens 35 Stunden in der Woche betreut. Im Westen sind dagegen nur gut 40 Prozent der Plätze für die unter Dreijährigen Ganztagsplätze.

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Nicht nur in Kitas wurden in den vergangenen Jahren mehr Angebote geschaffen. Auch die Zahl der von Tagesmüttern und seltener von Tagesvätern betreuten Kinder ist stark gestiegen. 31 Prozent von ihnen verfügen über eine pädagogische Grundausbildung. Fast jede dritte Tagesmutter hat jedoch gar keine Qualifikation. 39 Prozent haben wenigstens eine rund sechswöchige Grundausbildung absolviert. Vergleichbar mit der dreijährigen anspruchsvollen Erzieherausbildung ist ein solcher Schnellkurs aber selbstverständlich nicht.

In Westdeutschland betreuen die meisten Tagespfleger zwei oder drei Kinder, mitunter handelt es sich dabei um Mütter, die zusätzlich zu ihren eigenen Kindern weitere Schützlinge versorgen. In Ostdeutschland sind es dagegen oft ausgebildete Erzieherinnen, die mindestens fünf Kinder betreuen. Insgesamt sind Tagesmütter im Westen beliebter als in den neuen Bundesländern, wo die Betreuung von Ein- und Zweijährigen in Kindertagesstätten schon zu DDR-Zeiten üblich war.

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