WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Wirtschaft
  3. Fabrikbesetzung: Der knallrote Aufstand der Fahrradwerker

Wirtschaft Fabrikbesetzung

Der knallrote Aufstand der Fahrradwerker

Quelle: strike-bike.de
Früher wurden bei Bike Systems Tausende Fahrräder produziert, inzwischen ist die thüringische Firma am Ende. Erst waren die Mitarbeiter nur wütend auf den Investor, die US-Beteiligungsgesellschaft Lone Star. Jetzt übernehmen sie das Ruder und produzieren ein "Strike-Bike". Unterstützung kommt von linksradikalen Anarchisten und der rechtsextremistischen NPD.

Der Protest ist rot und fährt, demnächst, auf zwei Reifen: Das "Strike Bike" wird gebaut. Seit nunmehr 84 Tagen besetzt die Belegschaft des stillgelegten Fahrrad-Herstellers Bike Systems GmbH das Werk im thüringischen Nordhausen. Offiziell ist es eine "ständige Betriebsversammlung". Die Mannschaft will zeigen, dass sie Fahrräder bauen kann, dass die Firma nicht marode ist. Und bietet per Internet das rote Bike an, zum "Soli-Preis" von 275 Euro. Inzwischen sind so viele Bestellungen eingegangen, dass das Protest-Fahrrad tatsächlich gebaut werden wird. Doch ob das insolvente Unternehmen Bike Systems anschließend wieder in die Fahrrad-Produktion einsteigen kann, ist fraglich.

Nordhausen im Oktober: Im Drei-Schicht-Betrieb wachen sie bei Bike Systems über die Maschinen und die Bänder. Ein Gartenzelt ist aufgebaut, man hat Bierbänke und Klapptische hingestellt. Abends brennen in Tonnen Feuer, gefüttert mit dem Holz alter Europaletten. Am Werkszaun hängen Plakate. Auf einem der Banner steht geschrieben: "Heuschreckenplage bringt Armut zutage." Drinnen werden sie Ende des Monats das "Strike Bike" bauen. 1450 Bestellungen sind eingegangen, 1200 aus Deutschland, 250 aus dem Ausland. Der Protest der Zweirad-Arbeiter und das "Strike Bike" sind zum Politikum geworden. Unterstützer kommen von den Grünen, von der SPD, von Linksradikalen und von der rechtsextremistischen NPD.

Linksradikale und Rechtsextremisten

Thüringens oppositionelle SPD hat laut Landeschef Christoph Matschie schon zwei der knallroten Räder als Dienstfahrzeuge geordert. Die grüne Spitzenfrau Katrin Göring-Eckhardt hat ein Strike Bike bestellt. Die rechtsextremistische NPD ruft auf ihrer Website zur "nationalen Solidarität" mit den Arbeitern in der thüringischen Fabrik auf und verweist auf die Internet-Seite strike-bike.de. Die wiederum wird betrieben von einem linksradikalen Trupp aus Hamburg.


Vor einigen Wochen kamen Mitglieder des "Café Libertad Kollektiv" nach Nordhausen und nahmen die Sache in die Hand. Die Gruppe, die auch im Hamburger Verfassungsschutzbericht Erwähnung findet, verkauft unter anderem Bio-Kaffee aus "aufständischen indigenen Gemeinden" Mexikos sowie "zapatistische Stiefel". Gegründet wurde das "Café Libertad Kollektiv" von Mitgliedern der anarchistischen Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU). Die versteht sich als Alternativ-Gewerkschaft und wird vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuft.

"Mit dem Strike Bike verdient man kein Geld"

Folkert Mohrhof gehört zum "Café Libertad Kollektiv" und fungiert inzwischen als Sprecher in Sachen "Strike Bike". Er hat auch dafür gesorgt, dass die Aktion eine Website bekam. Nicht zuletzt die Internet-Kompetenz der Anarcho-Gewerkschafter hat dazu beigetragen, dass binnen recht kurzer Zeit viele hundert Bestellungen eingingen. Tausende haben dieser Tagen eine E-Mail mit der Betreff-Zeile "Solidarität heißt Fahrradkauf" erhalten. Darin wird den Empfängern die Idee nahegebracht: Das Streik-Fahrrad, das ab Ende Oktober produziert werden soll, wird per Vorkasse bezahlt. 275 Euro kostet eines der roten Zweiräder, die es als Damen- und Herrenmodell gibt. Die Besetzer von Bike Systems haben kein Geld, müssen das Material erst noch kaufen. Bei 1500 Vorbestellungen macht die Aktion Verlust. Ab 1800 Rädern würde kostendeckend produziert – aber nicht nachhaltig.

1450 Bestellungen liegen dem Verein "Bikes in Nordhausen" vor, den Bike-Systems-Mitarbeiter André Kegel eigens mit Kollegen ins Leben rief – und der sich vom ungebetenen Zuspruch der NPD distanziert. "Das Fahrrad wird jetzt definitiv produziert", sagt Folkert Mohrhof. "Die Kollegen sind heiß darauf zu beweisen, dass sie auch vernünftige Fahrräder bauen können", sagt Folkert weiter, und dass die Fahrrad-Aktion "ein Akt der Klassensolidaridät" sei.


André Kegel, der früher eine der Produktionslinien bei Bike Systems überwachte, sagt es anders: "Na ja, das ist nur eine symbolische Aktion." Denn: "Mit dem Strike Bike verdient man ja kein Geld." Um profitabel zu werden, müsste die Fabrik in Nordhausen pro Jahr 200.000 Fahrräder herstellen. Laut Kegel geht das nur mit Bauteilen aus China und Taiwan. "Allein für die Teile der Produktion werden im Vorlauf sieben bis acht Millionen Euro fällig", sagt Kegel. Kaum einer der Fabrik-Besetzer kann sich vorstellen, eine solche Summe zusammenzubekommen. Die Belegschaft des insolventen Fahrrad-Herstellers hofft auf einen Investor.

Die Fabrikbesetzer haben einen Verdacht

Bislang gibt es keinen – sagt Wolfgang Wutzke, Chef der Erfurter Kanzlei Wutzke & Förster, die die Insolvenzverwaltung übernommen hat, nachdem Bike Systems am 10. August Insolvenz beantragte. André Kegel dagegen berichtet: "Zwei oder drei Investoren haben sich schon gemeldet" – beim Rechtsanwalt des Unterstützer-Vereins "Bikes in Nordhausen". Die Fabrikbesetzer erhalten inzwischen Arbeitslosengeld, der Betriebsrat verhandelt noch über einen Sozialplan. Die Beschäftigen sehen sich als Verlierer und glauben, dass die Gewinner in Sangerhausen sitzen, von Nordhausen ein Stück die Bundesstraße B80 hinunter: die Mitteldeutschen Fahrradwerke, die Mifa AG.

Bike Systems gehörte vor der Insolvenz zur Biria AG, einem der größten Fahrradhersteller Europas. Biria wie auch Mifa setzten auf Massenproduktion, lieferten Räder an Aldi und an Unternehmen des Handelskonzerns Metro. Biria baute ab Mitte der 90er-Jahre Lasten-Fahrräder für die Deutsche Post. Beide Unternehmen hatten Schwierigkeiten: Im Jahr 2006 meldete Mifa noch sinkende Umsätze. Die Biria-Werke in Nordhausen und im sächsischen Neukirch, hervorgegangen aus dem Volkseigenen Betrieb VEB IFA-Motorenwerke, verkauften im selben Jahr nur noch 300.000 Räder, 40 Prozent weniger als 2005.

Der Investor macht das Werk dicht

Anzeige

Zuvor hatte die US-Beteiligungsgesellschaft Lone Star Biria und damit auch Bike Systems übernommen. Das war im Jahr 2005. Biria war nach Angaben von Lone-Star-Europachef Michael Kolbeck hoch verschuldet. Im Interview mit einem Branchendienst versprach Kolbeck kurzfristige Abhilfe: "Durch die Lösung der akuten finanziellen Probleme werden das Vertrauen der Kunden und Lieferanten sowie die Motivation der Mitarbeiter wieder gestärkt." Das Unternehmen werde wieder in "eine hervorragende Ausgangsposition" gebracht.

Doch Ende 2006 schloss Lone Star das Fahrradwerk in Neukirch. Mehr als 200 Mitarbeiter verloren ihren Job. Bike Systems in Nordhausen wurde Lohnarbeit verordnet – ausgerechnet für den Konkurrenten Mifa, laut Lone Star die "einzig sinnvolle Möglichkeit". Dann wurde Bike Systems filettiert. In einer eigens gegründeten Gesellschaft hatte Lone Star Materialvorräte und Lagerbestände gebündelt. Diese gatus233. GmbH ging für acht Millionen Euro an die Mifa. Der gehörten die Materialien nach Angaben der Beteiligungsgesellschaft ohnehin, Bike Systems hatte ja lediglich die Fertigung in Lohnarbeit übernommen.

"Da sind so viele Emotionen drin"

Bezahlt wurde mit Aktien, die Mifa ist börsennotiert. Dadurch ist Lone Star mit 25 Prozent an der Mifa beteiligt. Im April 2007 wechselte dann Marcus Brüning, Interims-Chef bei Bike Systems, in den Vorstand der Mifa. Und Ende Juni war Schluss: Bike Systems bekam keine Aufträge mehr von der Mifa. Im August wurde Insolvenz angemeldet.

"Zum Zeitpunkt der Akquisition war die erfolgreiche Umsetzung des Restrukturierungsplans möglich", teilte Lone Star im September mit. "Vor dem Hintergrund einer nicht vorhersehbaren stark rückläufigen Entwicklung des Fahrradmarktes in 2006 und zunehmendem Wettbewerbsdruck konnte dies aber leider nicht erreicht werden."

"Eine Marktbereinigung", sagt André Kegel. Und deutet an, dass der Niedergang von Bike Systems womöglich vom Konkurrenten Mifa eingefädelt wurde. Das weist Peter Wicht zurück. Wicht war früher in der Produktionsleitung beim DDR-Computerkombinat Robotron und ist heute Vorstand der Mifa. "Der Radmarkt ist extrem hart umkämpft", sagt Wicht und verweist auf die Insolvenz der Traditionsmarke Vaterland vor wenigen Tagen. Er habe bei Bike Systems "100 Leuten ein Angebot gemacht", sagt Wicht, aber in der ganzen Angelegenheit gebe es inzwischen "so viele Emotionen", dass da nichts mehr zu machen sei: "Jetzt will ich auch nicht mehr."

Eine Millionen-Euro-Rechnung ist noch offen

Die Belegschaft will die Hoffnung nicht aufgeben. André Kegel findet, dass Thüringens Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) am Zug ist: "Die Landesregierung muss jetzt irgendetwas machen." Denn die Strike-Bike-Aktion ist eben nur eine Aktion. 1800 Fahrräder sind nicht viel. Die Mifa produziert 2000 pro Tag.

Aus Investoren-Sicht gibt es ein weiteres Problem. Im Januar hat die EU-Kommission entschieden, dass die Bike-Systems-Mutter Biria zu Unrecht Staatsbeihilfen in Höhe von 5,2 Millionen Euro erhalten hat, unter anderem durch eine stille Beteiligung an Bike Systems.

Anzeige

Das Geld muss zurückgezahlt werden. Unklar ist, wer zahlen muss. Lone Star jedenfalls wird in der Begründung der EU-Kommission ausdrücklich ausgeschlossen. Die fraglichen Beihilfen wurden gewährt, bevor die Beteiligungsgesellschaft Biria übernahm, und hätten Lone Star keinerlei Vorteil verschafft.

www.strike-bike.de

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema